Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel

Donia ging grade an dem Tage zu Köpkes, als Hanna ihrer Mutter von Herrn Purtallers lächerlichem Englisch erzählt hatte. Hanna hatte ihre Freundin mitgebracht, die in der Schule zu den besten Engländerinnen gehörte, und deren Bruder seit einem halben Jahr in London im Geschäft war. Diese Autorität galt viel in Frau Köpkes Augen, und über Herrn Purtallers Haupt zog sich ein drohendes Wetter zusammen.

»Wie kann der Mensch englische Stunden geben, wenn er kein Englisch kann,« sagte Frau Köpke entrüstet. Und in diesem Augenblick trat Donia in die Tür.

Der Empfang war infolgedessen etwas frostig, und Donia sagte mit zaghafter Stimme:

»Ich störe doch nicht?«

»Das ist nett, daß du kommst,« antwortete Frau Köpke mit kühlem Ton, aus dem keine Freude sprach.

»Aber ich will wirklich nicht stören,« wiederholte Donia, die fühlte, wie ein Etwas ihr die Kehle zusammenpreßte.

»Hanna!« rief Frau Köpke ins Nebenzimmer. »Donia Purtaller ist da.«

Es blieb einen Augenblick still, dann hörte man ein heftiges Stuhlschurren und das Geräusch hingeworfener Bücher.

Hanna erschien in der Tür und sah gleichgültig auf Donia. »Guten Tag!« sagte sie gedehnt.

»Guten Tag,« erwiderte Donia, die am liebsten wieder umgekehrt wäre. »Ich störe dich jedenfalls bei der Arbeit.«

»Nur beim Englischen,« sagte Hanna spöttisch. Aber Donia konnte diesen Spott nicht verstehen.

»Das tut mir leid,« entschuldigte sie sich. »Papa sagt, gerade das Englische sei so schwer.«

»Ja, es ist furchtbar schwer!« rief Hanna und lachte hell auf.

Donia wurde rot; sie hörte jetzt wohl den Spott heraus, wußte aber nicht, was sie davon zu halten hatte.

»Aber willst du nicht Platz nehmen,« sagte Hanna und bot ihr einen Stuhl. »Nachher habe ich leider Klavierstunde.«

»Aber dann will ich doch lieber gleich wieder gehen,« meinte Donia und erhob sich.

»Nein, nein, bis dahin habe ich Zeit,« rief Hanna. Sie sah Donias Verlegenheit, und ihre natürliche Gutmütigkeit regte sich.

»Wir wollen in mein Zimmer gehen, willst du?« Und sie führte Donia eine Treppe höher in ihr Zimmer, das im zweiten Stock lag. Donia folgte ihr mit dem Wunsche, nicht gekommen zu sein.

Was sollst du eigentlich hier? dachte sie. Frau Köpke hat dich liebgewonnen, hat der Vater gesagt; sonderbare Liebe, die so kalt sein kann.

Hannas Stube war klein, aber hell und gemütlich. Es waren alle kleinen Dinge da, womit ein Backfisch gern sein Zimmer schmückt. Es roch nach Veilchenseife.

»Ist es nicht mollig hier?« fragte Hanna.

»Reizend,« sagte Donia und sah sich lebhaft um. Ja, wer es so haben konnte! Sie hätte kein Mädchen sein müssen, um sich nicht angeheimelt zu fühlen. Wie kahl und nüchtern war es dagegen in ihren vier Wänden. Sie fühlte, wie der Druck von der Kehle sich löste, und sie atmete diese feine parfümierte Luft mit Behagen ein.

Hanna, die merkte, welchen Eindruck ihr Zimmer auf die arme Donia machte, fühlte sich geschmeichelt und taute auf. Sie nahm ihr den Hut ab und drückte sie in die bunten, weichen Kissen ihres niedrigen Schaukelstuhls.

»Hier möchte ich auch wohnen,« sagte Donia.

»Warum kommst du so selten? Komm doch öfter,« meinte Hanna.

»Wenn ich darf?«

»Gewiß, gern,« sagte Hanna gönnerhaft. »Du mußt nur Sonnabends kommen, da habe ich mehr Zeit. Mittwochs habe ich immer Klavierstunden.«

»Wie schön,« rief Donia.

»Nicht wahr?« sagte Hanna, die eigentlich gar nicht für Klavierstunden schwärmte.

»Wenn ich doch auch spielen könnte,« meinte Donia, »ich schwärme so für Musik.«

Hanna zuckte die Achseln, als wollte sie sagen, jeder kann es natürlich nicht. Aber dann fügte sie hinzu: »Aber du singst ja.«

»Ein wenig,« sagte Donia.

Hanna dachte an die lächerliche Szene von damals und sah Donia von unten bis oben an, wie man jemand mustert, aus dem man nicht recht klug wird.

»Mama sagt, ich hätte gar keine Stimme,« sagte Hanna.

Jetzt zuckte Donia die Achsel; jeder kann natürlich nicht singen.

»Ist dein Klavierlehrer nett?« fragte sie.

»Na,« antwortete Hanna zögernd. »Es geht. Er kann wenigstens ganz nett sein. Meine Freundin nennt ihn immer das alte Ekel. Aber ich finde ihn ganz nett. Das heißt, hübsch ist er gar nicht, das mußt du nicht denken.«

Donia lachte.

»Das ist ja auch nicht nötig.«

»Nein, meinetwegen könnte er so häßlich wie die Nacht sein,« sagte Hanna wegwerfend.

»Ist er noch jung?« fragte Donia, nur um etwas zu sagen.

»Na, zu haben ist er noch. Aber ich danke!«

Sie lachten beide. Donia fand, obgleich ihr die Unterhaltung recht albern vorkam, daß es ganz nett bei Hanna sei. Diese wußte aber so recht nichts mit ihrem Besuch anzufangen und verfiel darauf, ihre Kleider zu zeigen. Sie holte eins nach dem anderen aus dem Schrank und breitete es vor Donia aus. Donia bewunderte sie pflichtschuldigst und gewann dadurch Hannas Gunst. Sie ist doch ganz nett, dachte Hanna.

Als Donia sich verabschieden wollte, mußte sie noch einmal bei Frau Köpke eintreten, um noch eine Tasse Tee zu trinken und noch etwas Keks zu essen; sie dankte zwar höflich, nahm es aber gern.

Das Klavier war schon geöffnet in Erwartung des Musiklehrers, und die Noten lagen auf dem Pult.

»Singst du noch fleißig?« fragte Frau Köpke.

Donia, in Erinnerung an ihr Mißgeschick, errötete.

»Manchmal, Papa hört es so gern.«

»Ja, ich habe es von dem Vater gehört, daß du so hübsch singst,« sagte Frau Köpke.

»Ach, sing mal etwas,« bat Hanna.

Und obgleich Donia sich wehrte, mußte sie sich doch zuletzt entschließen, ein Lied zu singen.

Aber Hanna konnte nicht mit der Begleitung zurechtkommen. Darüber verging die Zeit, und der Klavierlehrer trat ins Zimmer.

Donia brach erschrocken ab und stand verlegen neben dem Klavier.

»Ach, Herr Peters!« rief Hanna und errötete gleichfalls, wegen ihrer Stümperei.

»Störe ich?« fragte Herr Peters.

»Donia Purtaller – Herr Peters,« stellte Frau Köpke vor.

Donia machte einen steifen Knicks, und Herr Peters nickte freundlich mit dem Kopf.

»Das kleine Fräulein singt?« fragte er.

Aber Donia beeilte sich, sich zu verabschieden; sie reichte allen schnell die Hand, auch Herrn Peters, und ließ es sich gefallen, daß Frau Köpke sie an die Treppe begleitete.

»Ganz nette Stimme,« sagte Herr Peters zu Frau Köpke.

»Nicht wahr!« rief Frau Köpke. »Eine kleine süße Stimme. Schade, daß sie nicht ausgebildet werden kann.«

Herr Peters sagte nichts dazu. Ausgebildet werden können! Die gute Frau Köpke! Ob sie eine Ahnung hatte, was dazu gehörte? Süße Stimme. Na ja, ganz nettes Material. Aber die Ausbildung! Fleiß und Ausdauer, ganz abgesehen vom Talent und von der musikalischen Begabung! Und dann die Hauptsache: Geld, Geld und wieder Geld! Aber Frau Köpke meinte wohl nur, Gesangstunden nehmen, so wie die jungen Mädchen alle ein bißchen singen lernen. Die Kleine erschien ihm übrigens noch reichlich jung.

Das alles dachte Herr Peters, schwieg aber und wandte sich zu Hanna, die indes am Klavier Platz genommen hatte.

Frau Köpke verließ das Zimmer. In einer halben Stunde würde Herr Purtaller kommen. Sie hatte die Absicht gehabt, die englische Stunde zu kündigen. Aber nun Donia dagewesen war, war es ihr doch peinlich. Hanna und Donia waren heute schon ganz vertraut miteinander gewesen.

»Alte eklige Sache,« sagte Frau Köpke zu sich. »Man kann doch das Kind nicht ins Haus ziehen und dem Vater kündigen.«

Eigentlich kündigen wollte sie ja auch nicht; nur für das Englische. Die französischen Stunden sollte Herr Purtaller ja beibehalten. Nun, morgen war auch noch ein Tag. Heute wollte sie noch nicht davon sprechen. Und da fiel ihr der viele Vorschuß ein. Wann sollte Herr Purtaller den abarbeiten? Wie lange würde das dauern, wenn er nur eine Stunde täglich gäbe. Und sie lächelte, wenn sie daran dachte, daß Donias Stimme ausgebildet werden sollte. Herr Purtaller würde das auch bezahlen können!

Als nun Herr Purtaller erschien, war das erste, daß sie auf Donias Stimme zu sprechen kam. Herr Purtaller hatte Donia unterwegs getroffen und hatte erfahren, daß man sie wieder zum Singen aufgefordert hatte. Auch vom Klavierlehrer hatte Donia erzählt; er habe zwar nichts gesagt, aber er habe sie so eigentümlich angesehen.

»Meine Donia kommt grade von Ihnen,« sagte Herr Purtaller mit schmeichelnder Stimme. »Das gute Kind war noch ganz voll davon.«

»Ja,« sagte Frau Köpke. »Die beiden Mädchen freunden sich immer mehr an.«

»Sie haben wieder zusammen musiziert! Wie schön, wie anregend für meine Donia,« fagte Herr Purtaller erfreut.

»Schade, daß Sie Donia keine Gesangstunden geben lassen können. Sie hat so eine hübsche Stimme.«

Herr Purtaller machte ein betrübtes Gesicht. Wo sollte er das Geld hernehmen?

»Ja, wenn die Stimme es wirklich wert wäre,« sagte er, »wenn daraus etwas zu machen wäre – ich weiß ja – jedes Opfer würde sich einst zehnfach lohnen. Und sie ist es wert. Ich habe ein wenig Ohr dafür. Eine innere Stimme sagt es mir.«

»Ja, eine kleine, süße Stimme hat sie ja,« betonte Frau Köpke noch einmal. »Ich will doch mal mit Herrn Peters sprechen. Vielleicht prüft er sie mal. Sie wissen wohl, Hannas Klavierlehrer.«

»O, das wäre nett! O, das wäre lieb! Das wäre ja einfach großartig!« rief Herr Purtaller enthusiastisch. »Donia würde es Ihnen auf den Knien danken!«

Frau Köpke machte eine abwehrende Bewegung, als fürchte sie, daß Herr Purtaller in diesem Augenblick selbst auf die Knie fallen würde.

»Gehen Sie nur hinein,« sagte sie. »Max wartet schon.«


 << zurück weiter >>