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Herr Mellini hatte sich auf Herrn Peters Fürsprache bereit erklärt, Donia zu unterrichten und seinen Preis auf drei Mark zu ermäßigen. Er mache nur Herrn Peters zuliebe eine Ausnahme.
Freilich hatte sich bei Herrn Mellini herausgestellt, daß Donia nicht einmal Klavier spielen könne. Das aber sei unerläßlich.
Vater und Tochter waren sehr niedergeschlagen. Aber Herr Purtaller, immer kühn, wenn es galt, sich auf das trügerische Meer neuer Hoffnungen hinauszuwagen, rechnete sofort mit Herrn Peters.
»Wir werden mit Herrn Peters sprechen, Donchen. Er wird nicht zu teuer sein.«
Donia wagte nicht so hoffnungsvoll zu sein. Ach, wenn sie bei Herrn Peters Unterricht haben könnte, ja, das wäre herrlich! Und was würde Hanna dann wohl sagen?
Aber daran würde wohl wieder alles scheitern. Wo wollte der Vater all das viele Geld hernehmen?
In der Tat hätte man alle diese schönen Pläne aufgeben müssen, wenn Frau Köpke sich nicht erboten hätte, auszuhelfen. Damit hatte Herr Purtaller eigentlich von Anfang an gerechnet. Herr Peters hatte ein warmes Wort für Donia eingelegt, und Frau Köpke mit ihrem weichen Herzen gefiel sich in der Rolle einer Gönnerin. Und Donia war die Tochter ihrer Jugendfreundin, der armen Male.
»Gott, die arme Male! Ich kann doch ihr Kind nicht so ganz ohne Freundschaft lassen. Und so ein kleines nettes Mädchen, wie sie eigentlich ist.«
Frau Köpke hatte freilich Herrn Purtaller kündigen wollen, doch damit würde sie ja ihre neue Wohltat zum Teil wieder aufheben. So kam sie nach langem Hinundherdenken zu dem Ausweg, mit dem Englischen für Hanna allerdings Schluß zu machen, aber dafür Herrn Purtaller zu bitten, sich Max noch etwas mehr zu widmen, indem er auch dessen andere Arbeiten beaufsichtigte.
Max hatte nichts dagegen. Er war bequem genug, um sich jede Hilfe gern gefallen zu lassen. Jetzt freilich standen die Sommerferien vor der Tür, und Herr Purtaller würde fünf Wochen feiern müssen. Er war das gewohnt und war darauf vorbereitet. Wenn andere ihre schönsten Wochen des Jahres hatten, hatte er seine schlechtesten. Donia mußte schon früh anfangen, um für die Ferienwochen einen Notgroschen zurückzulegen. Diesmal mußte die Hoffnung auf die kommende, goldene Zeit über die Fastentage hinweghelfen, sie war die einzige Zukost zu ihrem mageren Brot.
Währenddessen erholte sich Frau Köpke mit ihren Kindern in der Sommerfrische von den Strapazen ihres täglichen Lebens, und kehrte nach Ablauf der fünf Wochen gesund und vergnügt wieder in ihr Haus zurück. Max und Hanna hatten rote Backen bekommen, und Frau Köpke war noch ein wenig rundlicher geworden.
Max hatte einen Glashafen mit vier jungen Laubfröschen mitgebracht: ganz kleine Tierchen, nur eins war ein wenig größer. Er ging sogleich durch alle Stuben und fing die Fliegen, die an den Wänden und Fenstern saßen, für seine Frösche. Er zimmerte eine kleine Leiter, um sie in den Hafen zu stellen, auf dessen Grund etwas feuchtes Moos und ein paar Brombeerblätter waren. Die Frösche hüpften auf die Leiter und schienen sich ganz wohl zu fühlen. Wenn Max eine lebendige Fliege durch das durchlöcherte Papier, mit dem das Gefäß verschlossen war, steckte, so konnte das unglückliche Geschöpf kaum einmal in dem gläsernen Gefängnis umhersummen, sofort hatte auch schon einer der hungrigen Grünröcke es mit einem treffsicheren Sprung erhascht; gewöhnlich war es der größte, der den Raub verzehrte, während sich die Kleinen mit der Hoffnung auf spätere Fliegen sättigen mußten.
Als Herr Purtaller wieder in die Stunde kam, mußte er die Laubfrösche bewundern, und Max fing in seiner Gegenwart eine Fliege; natürlich erst nach längerer Jagd, deren Ergebnis Herr Purtaller gern und geduldig abwartete.
»Dürfen sie hier wohl stehen bleiben?« fragte Max, sicher, daß Herr Purtaller nicht Nein sagen würde.
Und der Hafen mit den Fröschen stand mitten auf dem Tisch zwischen Lehrer und Schüler, und beide konnten sich nicht enthalten, ab und zu einen Blick auf die Tiere zu werfen.
»Haben Sie gesehen?« rief Max begeistert. »Mit einem Satz auf die oberste Sprosse!«
»Ein famoser Kerl,« lobte Herr Purtaller.
Und nach einer Weile fragte Max: »Ob die Kleinen wohl noch wachsen?«
Herr Purtaller zog den Hafen zu sich heran, hielt ihn gegen das Licht und beguckte die Frösche.
»Das glaube ich doch,« entschied er.
»Wenn sie hübsch Fliegen kriegen,« meinte Max.
»Das ist wohl nötig,« sagte Herr Purtaller überzeugungsvoll. Wie sollte man auch wachsen, wenn man nichts Ordentliches zu essen bekäme. Er starrte gedankenvoll aufs Glas.
»Glückliche Tiere,« dachte er, »für die so liebreich gesorgt wird.« –
Donia, die jetzt bei Herrn Peters fleißig studierte, durfte jeden Morgen zu Köpkes kommen, um dort zu üben, da sie ja selbst kein Klavier besaß. Hanna war dann in der Schule und Frau Köpke im Hausstand beschäftigt; so war Donia ungestört und störte auch andere nicht. Aber sie bekam auf diese Weise Hanna fast kaum mehr zu sehen.
– Nach einem Jahr war Donia so weit, daß sie auch mit dem Gesangunterricht beginnen konnte.
Herr Mellini war ein sehr strenger Lehrer. Von Donia verlangte er besonderen Fleiß, da sie ihm Dankbarkeit schuldig war. Er interessierte sich für ihre Stimme und wollte gern etwas Gutes aus ihr machen. Er war ein großer, dicker Herr mit schwarzem Vollbart und angehender Glatze. Er war verheiratet und leitete den Cäcilienverein, die vornehmste Musikgesellschaft. Er war eine »Größe« in der Stadt, und Donia konnte stolz sein, zu seinen Schülerinnen zu gehören.
»Meine Tochter studiert bei Mellini,« prahlte Herr Purtaller überall, wo er Gelegenheit hatte. »Bei Professor Mellini.«
»Ach so, bei dem,« sagten die Leute, auch wenn sie ihn gar nicht kannten.
So bereitete Herr Purtaller jetzt schon die Welt auf den Ruhm Donias vor. Daß die Leute über ihn lächelten, merkte er nicht.
Indessen nahm Donia ihr Studium sehr ernst. So machte sie schnelle Fortschritte, und oft, wenn sie übte, saß Frau Köpke horchend hinter der Tür, freute sich der glockenreinen Stimme und der geläufigen Skalen und lobte Donia in ihrem Herzen als »ein kleines prächtiges Mädchen«. Wie kommt Herr Purtaller zu solcher Tochter? dachte sie. So ein kleines, zappeliges, krähendes Männchen, so ein – na – wie sollte sie ihn nennen? Allzu viel Hochachtung hatte sie gerade nicht vor ihm. Wenn sie nicht so eine gutmütige Seele wäre, könnte er sein Brot schon anderswo suchen, als in ihrem Hause. Aber von Donia hielt sie etwas.
»Wirklich, weißt du, Hanna, ich halte ordentlich was von dem Mädchen, und ich finde, sie wird auch jetzt recht hübsch; meinst du nicht auch?«
Hanna stülpte die Lippen auf und sagte:
»Hübsch kann ich sie nun nicht finden.«
»Ja, Hanna, sie ist hübsch,« erklärte Frau Köpke. »Ihre Mutter war früher auch so hübsch.«
»Sie sieht ja ganz gut aus,« gab Hanna zu, »aber unter hübsch verstehe ich doch etwas anderes.«
Und nach einer Weile sagte sie:
»Überhaupt, ich verstehe gar nicht, wie du dich so um Purtallers hast.«
»Hast? Wieso hast?« fragte Frau Köpke gereizt.
»Nun ja, was gehen uns eigentlich die Leute an? Und du gibst sogar Geld für sie aus; ob sie dir das danken, ist noch groß die Frage. Aber du bist immer so gutmütig.«
»Pfui!« rief Frau Köpke strenge. »Schäme dich, Hanna! Ich bin gar nicht gutmütig, ich tue nur meine Christenpflicht.«