Anselm Feuerbach
Ein Vermächtnis von Anselm Feuerbach
Anselm Feuerbach

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München

Die Beratungen im elterlichen Hause über meinen künftigen Aufenthaltsort gingen, noch während ich in Düsseldorf verweilte, sehr ins breite, und es hatten sich mehrere erfahrene Freunde meines Vaters Sitz und Stimme in dem Konsilium erobert, was nicht sehr günstig auf einen etwaigen raschen Abschluß der Angelegenheit wirken konnte.

Lessings Ausspruch, daß er auf einen Künstler nichts halte, welchem das Studium in Deutschland nicht genüge, war der antiken Kunstliebe meines Vaters zwar in hohem Grade widerstrebend, aber meinen immer unverhüllter hervortretenden belgischen Gelüsten gegenüber gewann er demungeachtet Bedeutung, und die Meinung der Düsseldorfer Professoren überhaupt, daß ich die Schule zu früh verlassen, stand mit einer gewissen, für mich als heilsam erachteten Strenge ziemlich im Vordergrund. Es war in Freiburg kein Geheimnis geblieben, daß ich den anfänglich in mich gesetzten Hoffnungen nicht entsprochen hatte.

Ein Koffer voll akademischer Akte und Studien, ein kleines, sehr rotes Bild, einen im Flötenspiel unterrichtenden alten Faun nebst Schüler darstellend, welches mir allerdings für einige Jahre ein bescheidenes Stipendium von dem Großherzog Leopold von Baden eingetragen hatte, nebst einem Berg von Kompositionsskizzen, das waren die Früchte meiner dreijährigen Lehrzeit. Meine Entschuldigung, daß ich zu fleißig gewesen sei, wollte man nicht gelten lassen.

Mein Vater hatte schwere Stunden, meine Mutter schlimme Tage. In all diesen Zweifeln und Befürchtungen gab die badische Revolution im Jahre 1848 den Ausschlag. Mir war im Grunde alles recht, wenn ich nur nicht nach Düsseldorf zurück sollte. Ich machte mir ein Vergnügen daraus, von Freiburg über Wiesbaden, wo wir die liebenswürdigsten Freunde hatten,Freiherr von Löw, Direktor des Hof- und Appellationsgerichtes. unter beliebigem fremden Namen nach München zu flüchten, um nicht mit Gewalt in die Revolutionsarmee gesteckt zu werden. Die Verwirrung in Baden war so groß, daß in dem Tumult niemand an den einzelnen dachte. So entkam ich im blühendsten Humor und mit den schönsten Vorsätzen, ein lustiges Jahr in München zu verleben.

Es blieb aber nicht bei einem Jahre, sondern es wurden ihrer zwei, die ich für die Kunst verlor.

Nach dem Rate eines Universitätsfreundes meines Vaters, eines an Geld und Geist sehr reichen Mannes, der sich dazu eines unerschütterlichen Eisenkopfes erfreute und Neigung zeigte, meiner Ausbildung förderlich zu werden, wenn ich mich seinem Willen fügen würde – wozu natürlich nicht die geringste Aussicht vorhanden war – nach dem Rate dieses Freundes alsoMedizinalrat Heine in Speyer. sollte ich Schüler bei Kaulbach werden, und ich glaube, daß die Sache bereits viel vorteilhafter, als ich selbst wußte, für mich angebahnt war. Andere teilnehmende Berater stimmten für Schorn, welcher sich eben durch zwei über die Maßen häßliche Bilder, »die Wiedertäufer« und »die Sündflut«, berühmt gemacht hatte. (Beiläufig gesagt, ist Schorn der richtige Stammvater der Pilotyschule.) Ich ging auch wirklich zu ihm und brachte ihm eine große mythologische Zeichnung. Mit verbindlichem Lächeln sagte er mir: »Ich werde Sorge tragen, daß Sie Gegenstände wählen, welche gefallen, und sichere Ihnen sofortigen Verkauf.«

Dies mißfiel mir damals – wahrscheinlich mit Unrecht – und ich ging, nachdem ich einige Zeit auf der Akademie mich herumgetrieben und in der Pinakothek mit leidlichem Erfolg kopiert hatte, zu dem politisch kompromittierten Rahl, vor dessen Umtrieben die Monarchen übrigens ruhig hätten schlafen dürfen. Ich hielt es in Wahrheit bei ihm etwas über acht Tage aus, obwohl meine Schülerschaft dem Namen nach und anstandshalber doch einige Wochen dauerte. Noch besitze ich eine Zeichnung, Penthesileas Tod, die mir Rahl durch seine reflektierte Korrektur ziemlich verpfuschte.

Anstatt zur Akademie oder Pinakothek zurückzukehren, wie es das klügste gewesen wäre, mietete ich mit einem Freunde zusammen ein großes Atelier mit Garten und malte, nachdem ein Versuch des seit einem Jahre mich ganz und gar erfüllenden Bacchusbildes schmählich mißglückt war, lebensgroße Amoretten, die den kleinen bocksbeinigen Pan als Spielgenossen in den Olymp entführten. Es war eine lustige Komposition, wohl geeignet für eine kleine Darstellung, die aber in so großen Dimensionen verwunderlich aussehen mußte. Wenn ich nicht irre, so befindet sich das Bild in irgendeinem Winkel des Freiburger Lyceums. Auf welche Art es dahin geraten, ist mir nicht mehr erinnerlich.

Ein kleiner schlafender Bacchus, dem einige Windgötter seine Trauben stehlen und dafür vom Wächter Panther tüchtig gezaust werden, erfreut sich jetzt noch einiger Gunst, indem er mir gegenüber an der Wand des Zimmers hängt, in welchem ich die gegenwärtigen Zeilen schreibe. Das Bild tragt eine für die Nachwelt unverständliche Dedikation an eine liebe Verwandte, die – eine seltene Eigenschaft an einer Frau – echten Humor versteht und besitzt.

Fertig war ich freilich mit meinen derartigen Erzeugnissen zum Erschrecken schnell. Die beste Frucht meines Münchener Aufenthaltes wird wohl meine erste Arbeit, die Kopie des Simson, gewesen sein, da mein Vater sich ihrer sehr erfreute.

Mein sonstiges Leben in München war gerade nicht dazu angetan, um meinen dortigen Gönnern freudige Hoffnungen für meine Zukunft zu erwecken. Nicht, daß ich Schlimmes verübt hätte, aber ich war launisch, faul, spaziergängerisch, vergnügungssüchtig, und der Rückschlag meiner Düsseldorfer quälerischen Gewissenhaftigkeit erfolgte nach den schönsten psychologischen Regeln.

Ich gefiel mir damals im Vollgenusse meiner Jugend, und die Ferienzeit in Freiburg, wo ich in fröhlichster Gesellschaft den Schwarzwald durchstreifte, sowie die Besuche bei der schönen, gütigen Großmutter und den heiteren Tanten in dem alten, prächtigen Nürnberg waren nicht geeignet, den schäumenden Übermut zu dämpfen. Jugendneigung, dichterischer Drang, der sich in kindlichen Versen Luft machte,Eine kleine Sammlung von diesen Jugendgeschichten ist noch vorhanden. Verwöhnung, Überschätzung ließen mich momentan fast vergessen, daß es noch Pflichten für mich geben könne, obgleich ein dunkler Punkt im Hintergrund meiner Seele lag, über den ich erst hinwegkommen mußte, ehe ich mich dem völligen Behagen überlassen konnte.

Indes allzulange ließ die Kunst nicht mit sich spielen. Zwei Jahre verstrichen nutzlos, und ich kam mir eines Tages in meinem malerischen Samtkostüm vor wie ein Pfau, der nichts hat als sein glänzendes Gefieder. Der kurze Traum war vorüber, und ich vermöchte nicht zu sagen, daß das Erwachen ein angenehmes gewesen sei.

Briefauszüge

April 1848

»Ich habe neulich in Eile geschrieben und warte nicht einmal auf Antwort, sondern melde, wie gut sich alles gemacht hat. Von morgen an kann ich alle Tage von acht bis zwei Uhr auf der Pinakothek kopieren. Ich wollte die Rubensschen Kinder mit den Früchten haben, aber das war zu groß. Nun habe ich ganz kühn den prächtigen Simson mit Beschlag belegt, trotz des Kopfschütteins des Direktors.

Ich habe so ein Gefühl, wie es mich noch nie betrogen hat, daß ich nach dieser Kopie meinen Bacchus malen kann – den Quälgeist!

Ich will ihn Euch beschreiben.

Der Bacchus wird lebensgroß; eher sterbe ich, als daß jemand mich einschränken sollte. Bacchus steigt die Schiffsstufen hinab, einfach, langsam, mit gesenktem Kopf, aus dessen Dunkel die Augen hervorblitzen. Die linke Hand berührt das Kinn, der Ausdruck ernst, der Mund eher feiner Spott als Ruhe, wozu die Handbewegung trefflich paßt; die rechte Hand streckt er aus, eine dunkle Schale haltend. Vor seinem Blick drängen sich die Schiffsleute in den Hintergrund des Schiffes. Einige, von der Macht des Weines schon überwältigt, liegen ihm zu Füßen. Jetzt kommt der Moment, den ich gefaßt habe. Die Bande, mit welchen die Räuber den Gott gefesselt hatten, liegen am Boden. Reben entsprießen und winden sich, Schlangen gleich, rauschend über das dunkle Schiff, Bacchus tritt einen leichten Schritt vor, finsteren Blickes die Schale darbietend. Die Räuber prallen zurück und beugen sich fliehend über die Schiffswand. Zwei stürzen schon.

Ein Bild voll Lebenslust, durchweht von allem Schönen der Natur. Der leichte, kleine Schritt des Gottes, das Entsetzen der andern – es muß ja von kolossaler Wirkung sein!

Nur das einzige Bild gebe das Schicksal, daß ich vollende, dann will ich getrost zu Grabe fahren! Ihr sollt sehen, es findet nicht seinesgleichen! Ich weiß es, ich sehe es, ich fühle es!«

An den Vater

Ohne Datum

»Ich will Dir melden, was aus Deinen Empfehlungsbriefen geworden ist.

Mein Herr Pate Thiersch hat mich freundlich und zärtlich empfangen und in seine Abendzirkel eingeladen. Minister von Zwehl war die Güte und Freundlichkeit selbst. Am herzlichsten war Schwanthaler. Er empfing mich im Bette, seine rechte Hand von Gicht geschwollen, die Knie zusammengebogen, ein Schmerzensanblick. Ich gab ihm schweigend Deinen Brief. »Ach, von Anselm!« waren seine ersten Worte. Ich war entzückt von diesem herzlichen Ton. Er frug mich sehr lieb nach Dir. »Ja«, sagte er, »ich bin eben jetzt so herunter, ich muß mich in mich selbst zusammenziehen, in meine innere Welt.«

Aber – wie fuhr ich vor den Fresken des Cornelius zurück! O weh, Vater, wie schön hast Du mir die olympischen Götter beschrieben! – Ist das Cornelius, der große Cornelius? Bei näherer Betrachtung wird es immer schlimmer; man entdeckt immer mehr mangelhafte Stellen der Zeichnung, grobe Zeichnungsfehler, wenn Du mir erlauben willst, die Wahrheit zu sagen: von Kolorit keine Spur. Wo ist denn nun eigentlich die große Herrlichkeit des berühmten Künstlers, die innerliche geistige Auffassung, wenn man sie aus den Arm- und Beinbrüchen und den Körperverrenkungen herausfinden kann? Du wirst sagen, ich hätte kein Recht zu urteilen – leider ist es so; nun dann schweige ich eben.

Morgen komme ich in Kaulbachs Atelier; wie wirds mir gehen? Und Schorn? Und Schorn?«

Immer ohne Datum

»Mein Bacchus ist merkwürdig reif geworden. Bald soll er da stehen – aber ohne vorherige Zeichnung, aus meinem Geiste auf die Leinwand geworfen und dann von innen heraus studiert, das ist der einzig geniale Weg!

Das Leben ist hier frei und heiter; ich bin heimisch in München, als wäre ich hier geboren. Im englischen Garten spazieren, bei Tambosi sitzen, gute Musik hören ist so angenehm. Andere tun es auch, warum ich nicht? Ich kann nur Liebes und Poetisches von meinem hiesigen Aufenthalt sagen. Ich brauche vielleicht etwas zu viel Geld, aber ich lebe und lebe glücklich. Gebt acht, ich bringe es bald ein!«

Herbst 1848

»Das Arbeiten wird mir doch schwerer, als ich geglaubt habe! In geistiger Unruhe bin ich freilich immer. Es ist doch ein großer Schritt vom Denken und Vorstellen bis zum Machen mit den Händen.

Ich will zu Rahl gehen, das ist sicherlich das beste. Er ist lieb gegen mich und gibt mir immer so gute Ratschläge, von denen ich nur wünschen möchte, daß ich sie befolgte. Als ich vor einigen Tagen von einer kleinen Tour ins Gebirge mit Freunden zurückkam, erschrak ich über meinen Bacchus. Ich konnte mich nicht mehr hineinfinden; so klein, so geringfügig, schlecht gezeichnet, elend komponiert. Wo ist mein Ideal hingekommen auf dem Wege vom Kopf zur Hand? Schreibt mir nichts, sagt mir nichts, ich bitte. Ich weiß alles, weiß es nur zu gut! Und nun kurz und gut, ich riß das Bild herunter und schnitt es in Stücke. Jetzt sitze ich wieder vor einer leeren Leinwand, aber ohne Begeisterung, das ist das Ende vom Liede.


Ich will Dir etwas sagen. Jeder Mensch schafft sich sein eigenes Paradies, und bestände es nur aus einem Blitz der Hoffnung. Ich weiß, daß ich sehr wenig kann, aber ich habe eine Zuversicht, die ins Grenzenlose geht, und bin ich auch manchmal kleinmütig, so weiß ich doch, daß die Zeit kommt, wo ich alle Wirr- und Drangsale unter mir haben werde, und ist es nicht, so habe ich doch kühn gehofft und gestrebt.«

Karneval 1849

»Ihr habt mit Leid und Krankheit zu schaffen, und ich mache einen Ball mit; das paßt schlecht zusammen, doch ist es der erste und letzte in diesem Winter; und Ihr gönnt mir das Vergnügen, das weiß ich ja. Ich habe mich kurz entschlossen und habe auch einen ehrenvollen Posten bekommen als Wappenträger der Künstlerschaft. Mein Kostüm steht mir prächtig, und ich werde einen Kranz von wilden Reben auf dem Kopfe tragen. Zwei flotte Abende und eine süße Erinnerung mehr an München. Seid mir nicht böse. Das junge Blut hat eben seine Freude daran.«

April 1849

»Was mein neues Bild betrifft, so sind es lebensgroße Amoretten, die den kleinen Pan entführen. Er liegt auf Zweigen und Tüchern und streckt die Ärmchen nach seiner meckernden Ziege aus, während der lustige Kinderkranz sich immer höher hebt. Es ist ein Stück Poesie darinnen. Das Bild wird leicht, aber nicht leichtsinnig gemalt. Es fliegt eben alles.«

September 1849

»Und wenn ich es nun recht überlege, wie ist es eigentlich mit mir? Von allen meinen herrlichen Idealen ist nicht das kleinste geschaffen. Ich habe gedichtet, aber nicht gemalt. Kein Strich beweist das, was ich in mir fühle, was meinem inneren Sinn entspricht. Wie soll das werden – was soll ich tun? Liebe Mutter, ich will den Vater nicht quälen. Rate Du mir!«

Dezember 1849

»Nachdem ich stunden- und tagelang in bitterer Qual mich abgerungen habe, bleibt mir nichts Anderes übrig, als gerade heraus zu sagen, daß ich nicht länger hier bleiben kann. Ich weiß, daß ich Euch durch meine exaltierten Gedanken und Pläne – alle Augenblicke etwas Anderes – viele Sorgen mache, aber ich kann nicht anders als Euch bitten, mich nach Antwerpen, Paris, Florenz oder wohin es sonst sei, als Schüler auf die Akademie zu schicken. Ich will in eine Elementarklasse gehen, ein Jahr lang nichts als Studienköpfe malen, nur um den quälenden Gedanken loszuwerden: »Was könntest du sein, und was bist du!« Ich gehe zugrunde, wenn ich mich nicht in eine grenzenlose Arbeit stürze. Ich habe keinen Lehrer, keine gleichstrebenden Elemente. Gegen den Strom schwimmen kann nur ein fertiger Künstler, ich gehe darin unter, das weiß ich; darum laßt mich fort. Habt Nachsicht mit meinem kochenden Blut und meinen hämmernden Pulsen. Für was heiße ich Feuerbach? Ich habe Feuer in den Adern.

Zu Schorn hatte ich gesollt? Nun wohl, ich war überrascht von so wenig Geist und Gemüt bei so brillanter Technik. Das gleißt und glänzt! Seine Schüler malen einer wie der andere. Die Bilder sehen prächtig aus; schimmernde Stoffe! – die Technik hat mich kleinmütig gemacht, aber die Bilder haben mich kalt gelassen. Schorns Schüler werden Maler; ich will ein Künstler werden.«


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