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Die Zeit, in welcher ich Paris zum erstenmal betrat, war für mich verhängnisvoll. Mein Vater lag in Freiburg an schwerer Krankheit darnieder; ich aber sollte und wollte nach seinem Wunsche mein Programm erfüllen, denn ich hatte manches gut zu machen, und es war mein ehrlicher Vorsatz, dies nach besten Kräften zu tun.
Ich wohnte zuerst in rue Blanche und später rue Douai 15, hoch oben in einem kleinen Stübchen, rings von Freunden und Bekannten umgeben, die sich nach und nach einfanden und in demselben Hause oder in der Nachbarschaft sich einnisteten. Es war ein heiteres, zuweilen stark mutwilliges Treiben unter uns, wie es junge Leute lieben, wenn die Muse gnädig und der Beutel nicht allzu leer ist. Trotz Hitze und Staub, weiter Wege und Entbehrungen von vielerlei Art war mir Paris vom ersten Tage an heimisch. Es erschien mir als die Stadt der ewigen Jugend. Für was hatte ich mir den Wahlspruch »Eternamente Giòvine« auserkoren?
Ich will hier eine Eigentümlichkeit meines Wesens erwähnen, welche mir während meines bisherigen Lebens stets treu geblieben ist, ich meine die Gabe, durch äußere Dinge nicht verblüfft, nicht außer Fassung gesetzt zu werden. Meine Phantasie ist immer stark genug, mit der Umgebung Schritt zu halten, über sie Herr zu werden. Das größte, beste ist mir gerade das rechte, das – wenn ich so sagen darf – meiner Natur angemessene. Nur die absolute Schönheit hat wirkliche Gewalt über mich. So war es auch hier im Heiligtum des Louvre, im Salon carré und vor der göttlichen Frau von Milo, daß ich in Erschütterung geriet, wie fast noch nie in meinem Leben.
Der Kehrseite dieser Eigenschaft und der mir dadurch bereiteten Leiden gedenke ich in Schweigen.
Übrigens fühlte ich mich während des Pariser Aufenthaltes stets in künstlerischer Anregung, »enjoué«, wie die Franzosen sagen. War es doch die Zeit eines Troyon, Rousseau, Delacroix, Decamps; eine Zeit der echten Kunstblüte, deren kräftige Luft wir atmeten.
Meine erste künstlerische Zuflucht in Paris war die spanische Galerie, in welcher ich kleinere Bilder zweiten Rangs kopierte, da die Riberas und Velasquez auf Monate hinaus vergeben waren. Ein Versuch im Louvre mißglückte, weil mir die vielen Damen mit flatternden Locken, langen Gesichtern und schmutzigen Händen, die, hoch oben sitzend, die besten Bilder, welche die Welt besitzt, auf riesigen Leinwanden verunstalteten, einen unüberwindlichen Ekel einflößten.
In der Folge mietete ich ein Atelier, und hier entstand mein erstes großes Bild, »Hafis in der Schenke«, ein Werk, welches trotz seiner Mängel in meinem Vaterlande einiger Aufmerksamkeit wert gewesen wäre, sei es auch nur um des Hafiskopfes willen, der einem Größeren als mir keine Schande gemacht haben würde.
Beiläufig gesagt, ist dieses im Jahre 1852 vollendete Bild im Frühling 1876, unmittelbar vor unserer Übersiedlung nach Nürnberg, als ein sehr interessantes Kunstwerk verkauft worden, und zwar gerade dahin, wo es vierundzwanzig Jahre vorher mit Hohn und Spott verstoßen worden war.
In die ersten Monate meines Pariser Aufenthaltes fällt der Tod meines guten Vaters. Er starb am 9. September 1851, an seinem dreiundfünfzigsten Geburtstage. An jenem Tage malte ich, wenngleich vorbereitet, doch eine so nahe Entscheidung nicht ahnend, eine kleine italienische Begräbnisskizze, welche meine Stimmung in jener verhängnisvollen Zeit besser ausdrückt, als ich es mit Worten je zu tun vermöchte. Es ist nicht meine Absicht, die Lesewelt mit Berichten über meine menschlich persönlichen Schicksale zu behelligen, und ich decke das teure Grab, in dem auch meine Jugend eingesargt liegt, mit Schweigen zu.
Wenn ich, nachdem ich dies ausgesprochen, dennoch zu einer schriftlichen Mitteilung mich gedrungen fühle, so ist es, um von dem zu sprechen, was die Sonne des Lebens und der Geschichte ist, von der Kunst; zunächst freilich von meiner Kunst und von mir selbst, als Träger und Vertreter einer verkannten und verpönten Kunstrichtung, die ich meinerseits allerdings nur einfach »Kunst« nennen möchte.
Ich wünsche Verständigung mit meinen Zeitgenossen. Die Anweisung auf die Nachwelt ist kein Ersatz für den lebendigen Pulsschlag verwandter Herzen und für liebevoll ermunterndes Eingehen und Aufnehmen, dessen der Künstler für sein Schaffen bedarf, wie die Pflanze des Lichtes der Sonne zum Wachsen. Ich habe mich bis jetzt vergeblich darnach gesehnt. Jeder Akkord, den ich anschlug, und von dem ich glaubte, daß er richtig und rein sei, ist zum Mißklang geworden, sowie er über den Atelierraum hinausdrang.
Was meine Kunst nicht erreichen konnte, das will ich jetzt mit dem Worte versuchen, und ich werde in der Folge dieser Blätter die Wahrheit sagen, so wie sie in meiner Seele steht.
Im Jahre 1852 siedelten Mutter und Schwester nach Heidelberg über, wo ich sie im Laufe des Sommers besuchte, um dann nochmals nach Paris zurückzukehren und so lange zu bleiben, als es die Geldmittel erlauben würden, die freilich so gut wie nicht vorhanden waren.
Ich erlebte den 2. Dezember in Paris und werde nie einen Gang zur Post vergessen, den ich an jenem Tage machte. An wild und finster aussehenden Truppen, einzeln vorübersprengenden Reitern mit gespannten Pistolen, an fliehenden Menschen und zerschossenen Häusern vorbei ging ich meines Weges durch die mit Blutspuren befleckten Straßen. Bei uns im Hause war es ruhig geblieben. Wir Deutsche saßen die Nacht über zusammen und lauschten dem fernen Donnern, Knattern und Geschrei, bis es in der Morgendämmerung dahinschwand.
Kurz darauf hatte ich in Paris das gefunden, nach dem ich mich die sieben vorhergehenden Jahre vergeblich sehnte, einen Meister.
Ich verbrachte das letzte Jahr mit wenig Unterbrechung in unausgesetzter Tätigkeit. Angeregt durch das bedeutendste, epochemachende Bild der französischen Schule, durch Coutures »Romains de la décadence«, trat ich sofort in sein Atelier und malte unter seiner Leitung lebensgroße Akte. Nicht genug danken kann ich dem Meister, welcher mich von der deutschen Spitzpinselei zu breiter, pastoser Behandlung, von der akademischen Schablonenkomposition zu großer Anschauung und Auffassung führte.
Paris ist der Wendepunkt meines Künstlerlebens, das Fundament meiner künstlerischen Bildung geworden. Von den früheren Studienjahren darf ich wenigstens die Hälfte verloren geben.
Nachträglich habe ich noch eines in Paris 1851 entstandenen Bildes Erwähnung zu tun, einer Grablegung Christi, welche dem Eindruck der Titianischen Grablegung im Louvre ihr bescheidenes Dasein verdankt.Eigentümer Herr Dr. Roller in Achern. Paris, 8. August 1851 »Wäre Vaters Krankheit nicht, so würde ich mich hier sehr glücklich fühlen, denn ich bin schon ganz vollkommen heimisch in Paris. Meine Natur ist auf das Genießen eingerichtet und läßt sich durch nichts verblüffen. Diesmal aber gilt es fleißig sein, und das will ich redlich und ehrlich. Ich kopiere in der spanischen Galerie und gehe häufig nach dem Louvre. Ein einziges Mal seine Bilder so im Traume beisammen zu sehen, wie sie hier an den Wänden hängen, ist mehr als einen Tod wert.«
Oktober 1851 »Die besten meiner Antwerpener Freunde sind nun hier und haben sich in Ateliers auf Jahre eingemietet. Ich lebe unter vielen Bekannten, jungen, frischen, glücklichen Menschen und bin zu Zeiten auch wohl mit ihnen heiter. Des Abends werden deutsche Lieder gesungen, und ohne meinen Tenor können sie nicht auskommen. Doch fühle ich mich oft sehr einsam, und die Nächte sind schlecht, denn ich denke nach Hause. Nur in der Arbeit finde ich Ruhe und wirkliche Freudigkeit; das bleibt sich immer gleich, so sehr ich auch meine Ungeschicklichkeit einsehe und mich darüber ärgere.
Ich male jetzt mit ganz wenigen, aber transparenten Farben. Ich möchte eine ernste, tiefe Richtung verfolgen. Mein Bild soll einfach werden, aber dramatisch wirken. Ich halte schon Modell und beginne in nächster Woche die Aufzeichnung. Über den Gegenstand nächstens.
Mein Aussehen ist nicht das brillanteste, aber sei ganz ruhig. Ich weiß, daß alle diejenigen, die ein ernstes Streben haben, gefeit sind. Es gibt nur eines, was ich fürchte, das Gespenst, das uns auf den Fersen folgt, und das ich gar nicht nennen mag; sonst habe ich Mut, es mit der ganzen Welt aufzunehmen. Was ich meine, brauche ich Dir nicht zu sagen.«
Dezember 1851
»Ich hatte gehofft, daß wenigstens eine meiner früheren Arbeiten verkäuflich sei – nichts! – Und wie zum Hohn arbeite ich an einem neuen großen Bilde, mit neuen Sorgen. Dies macht mich mir selbst fremd; es demütigt mich in meinen schönsten und heiligsten Empfindungen. Ich bin nicht gemacht, am Boden zu kriechen, und doch reißt das Schicksal mich immer an den Flügeln. Der Fluch der Armut! – Wenn heute einer mich in Versuchung führte, ich würde Shylocks Schein ohne Bedenken unterzeichnen.«
Ohne Datum
»Liebe Mutter, ich danke Dir. Du hast geholfen wie immer, aber Du hilfst doch nur dem Sohne, nicht dem Künstler; denn der braucht leider mehr. Überlasse mich meinem Schicksal; höre auf Opfer zu bringen, die doch nicht fruchten! Wenn bessere Zeiten kommen, werde ich sagen können, wie ich gelitten habe und wie alles gewesen ist.
Soll es zugrunde gegangen sein, so will ich es wenigstens allein besorgen.«
Paris, Weihnachten 1851
»Mein Hafis im orientalischen Kostüm lächelt selig von Liebe und Wein und schreibt eine Ghasele an die Mauer. Er ist rührend arm, denn seine Kleider sind abgetragen und zerrissen, aber zu jedem genialen Loch sieht der echte Dichter heraus. Die Zuhörer in Entzückung, üppiges Blumen und Rankenwerk und die ganze Glut der sinkenden Sonne!
Paris hat mächtige Einflüsse. Ich war zum ersten Male im Theater und habe eine Aufführung von »Joseph und seine Brüder« erlebt, so ergreifend, daß fortwährende Schauer mich durchbebten. Ich bemühte mich anderen Tages, einen Hauch dieses Geistes auf die Leinwand zu bringen.
Auch eine Beethovensche Symphonie habe ich gehört, die mich ergriffen und durchgeschüttelt hat wie noch nie. Es war die Symphonie in C-Moll. Ich fühlte erst, wie viel wunde Stellen in mir sind, in die die Musik einhackt. Mit neuen Schmerzen habe ich den teuren Vater vermißt und alles, was mir fehlt. So ein einzelnes Werk hat Kraft, den ganzen Menschen durchzuwühlen. –
Meine Erhebung und Freude ist die, daß ich heute noch ebenso frisch und freudig an meinem Bilde arbeite wie am ersten Tage. Wie anders ist das geworden gegen früher, wo ich immer da aufhörte, wo ich erst recht hätte anfangen sollen! Es ist schrecklich zu denken, daß die Jahre in Düsseldorf und München ganz nutzlos vergeudet sind. Ich weiß nichts mehr von launenhaftem Leichtsinn, die Arbeit ist mir Bedürfnis.
Nur das ist ein Kunstwerk, in dem sich die ganze Liebe des Künstlers ausspricht.«
April 1851
»Mein Hafis ist fertig und in einem der ersten Bilderläden ausgestellt. Die Kritik ist bis jetzt über alles Erwarten liebenswürdig ausgefallen, so daß ich ihn jetzt mit etwas mehr Mut auf die deutsche Wanderschaft schicke. Für Deutschland ist er gewiß gut, um aber in Paris wirklich Namen zu bekommen, müßte ich länger bleiben und in freien Zug kommen. Es ist keine leichte Sache. Wie viele unserer berühmten Maler dürften in Paris ausstellen? Couture und Courbet sind aus langer Dunkelheit vor wenigen Jahren erst aufgestiegen. Ich komme nicht darüber hinaus.«
Anfang des Jahres 1853
»Ich habe Euch nichts zu schreiben als die Versicherung, daß hier alles ruhig ist und ich frischen Mutes, gesund und tätig bin. Wenn ich Euch die namenlose, endlich errungene Seelenruhe beschreiben könnte, mit der ich täglich meine Fortschritte sehe und fühle, so würdet Ihr Euch mit mir freuen. Drei lebensgroße Figuren habe ich vier- bis fünfmal abgekratzt und mit Konsequenz immer wieder frisch gemalt, bis mir vorige Woche ein Licht aufging, und nun ist der erste Akt wirklich vollendet. Coutures Bemerkungen und seine Leitung sind unübertrefflich. Er nimmt Interesse an mir und behandelt meine Mängel mit medizinischer Genauigkeit. Alles bis auf das kleinste gibt er an, jede Mischung. Dabei hat er meine energische Durchführung gelobt. Kurz, ich segne die Stunde, in der ich sein Atelier betrat.
Es ist eine solide Malerei, und wenn Du die Studien siehst, so wird Dich die breite altmeisterliche Auffassung selbst in meinen unvollkommenen Schülerarbeiten frappieren. Mehrere ältere Berliner Maler sind im Atelier, die sich nicht zurecht finden und den Meister in einige Verzweiflung bringen. Ein Amerikaner, der drei Jahre im Orient, ein Jahr in Griechenland und zehn Jahre in Rom war, fragte mich nach dem jungen Feuerbach, dessen in Berlin ausgestelltes Bild »Hafis« ihn großenteils bewogen hätte, nach Paris zu Couture zu gehen; aber er sei zu alt, um von neuem anzufangen.
Mein guter Hafis, den ich beinahe schon vergessen hatte! Es ist freundlich von ihm, daß er mir einen Gruß sagen läßt, den ersten, seit er sich in Deutschland herumtreibt. Karlsruhe, Frankfurt, Hannover, Berlin. Ein tröstlicher Anfang!
Sonst habe ich nichts zu sagen, als daß ich mich wahrhaft glücklich fühle, von Tag zu Tag Fortschritte mache, und daß mir mein innerstes Gewissen sagt: Anselm, Du bist auf dem rechten Weg!
Meine einzige Sorge ist die, daß ich nicht lange genug bleiben kann. Ich will nicht daran denken. Es ist der dunkle, häßliche Schatten, die Sorge, die auf mir lastet, und die ich so schwer ertrage, sonst ist alles licht, hoch, frei und heiter.«
Herbst 1853
»Es ist recht und lieb von Dir, daß Du Dich in dem Glauben an mich nicht durch Einreden und Zuträgereien irre machen läßt. Ich bin manchmal wild, aber mehr aus halber Verzweiflung als aus Leichtsinn, und ich weiß, was ich Vaters Andenken, Dir und meinem Namen schuldig bin. Die Kunst ist mein Alles, ich strebe und ringe mit den Umständen, mit mir selbst. Wenn es so leicht wäre, ein guter Künstler zu werden, würde es nicht so viele schlechte geben.«
Januar 1854
»Ich habe eine kleine Bestellung für Hamburg erhalten. Nun – es war Zeit! Fragt mich nicht weiter, laßt mich ganz schweigen; es ist am besten für Euch und für mich. Und ich habe es auch schon halb überwunden und halb vergessen.
Wie viel Schlimmes braucht es, um einen guten, gesunden Menschen zu ruinieren, und wie wenig, wie wenig Gutes könnte ihn manchmal retten! Ein kleiner Sonnenblick, und alles Übel ist vergessen. Wie wird mir sein, wenn Gottes Sonne mich einmal mit ihrem vollen Licht bestrahlt? Espérance! Ich komme bald.«