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Geschichtsphilosophie

Zweck der Menschheit

Der Zweck des Erdenlebens der Menschheit ist der, daß sie in demselben alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach der Vernunft einrichte.

Altersbestimmung

Noch scheint die Menschheit nicht bis zum Alter des Schämenlernens heraufgewachsen zu sein.

Die Gegenwart

Von allem, was da vorgeht, bewegt mich nichts und wundert mich nichts, und ich erwarte noch weit Heilloseres; denn ich glaube, unser Zeitalter als das Zeitalter der absoluten Verwesung aller Ideen sattsam begriffen zu haben. Dennoch bin ich fröhlichen Muts; denn ich weiß, daß nur aus dem vollkommenen Ersterben das neue Leben hervorgeht.

Die Morgenröte

Bis jetzt ist die Menschheit in dem, was ihr not tut, sehr weit zurück; aber wenn mich nicht alles täuscht, ist jetzt der Zeitpunkt der hereinbrechenden Morgenröte, und der volle Tag wird ihr zu seiner Zeit folgen. Deine Weisen sind größtenteils noch blinde Leiter eines blinderen Volkes; und deine Hirten sollten mehr wissen?

Helden und Heldenverehrung

Leben in der Idee

Wo die Idee als ein eigenes und selbständiges Leben sich darstellt, geht der niedere Grad des Lebens, das sinnliche, völlig in ihr auf und wird in ihr verschlungen und verzehrt, – sagten wir. Die Liebe dieses niederen Lebens zu sich selber und sein Interesse für sich selbst ist vernichtet. Aber alles Bedürfnis entsteht nur aus dem Dasein dieses Interesses und aller Schmerz nur aus der Verletzung desselben. Das Leben in der Idee ist vor aller Verletzung auf diesem Gebiete in Ewigkeit gesichert, denn es hat sich aus demselben zurückgezogen. Für dieses Leben gibt es keine Selbstverleugnung mehr und keine Aufopferung: das zu verleugnende Selbst und die Objekte des Opfers sind seinem Auge entrückt und seiner Liebe verschwunden. Diese Verleugnung und diese Opfer bewundert nur derjenige, für den die Gegenstände davon noch Wert haben, weil er selbst sie noch nicht aufgegeben; wie man sie aufgibt, so verschwinden sie in nichts, und es findet sich, daß man nichts verloren habe. Für dieses Leben in der Idee ist das ernst gebietende Pflichtgebot aufgehoben, welches die Lust voraussetzt und nur dazu da ist, um anfangs die Begier in das Dunkle des Herzens zurückzuscheuchen, damit die Idee Platz gewinne, ihr Leben zu entwickeln. Nur der erste Schritt ist's, der da kostet. Ist man einmal hindurch, so steht dasjenige, was erst als ernste Pflicht drohte, da als das, was man allein noch treiben und um dessen willen allein man noch leben möchte: als einige Lust, Liebe und Seligkeit. Es ist daher Unkunde, wenn man einer tiefen Philosophie zutraut, sie wolle die finstere Sittenlehre der Selbstkreuzigung und Ertötung erneuern. O nein; einladen will sie, daß man hinwerfe, was keinen Genuß gewährt, damit dasjenige, was unendlichen Genuß verleihet, an uns kommen und uns ergreifen könne.

Die Idee ist selbständig, genüget ihr selbst und geht auf in sich selber. Sie will leben und da sein, schlechthin um da zu sein, und verschmäht jeden Zweck ihres Daseins, der außerhalb ihrer selbst liege. Sie schätzt daher und liebt ihr Leben keinesweges nach dem fremden Maßstabe irgend eines Erfolges, Nutzens oder Vorteils, den dasselbe ertrage. Wie sie in der ganzen Gattung keinesweges das Wohlsein, sondern nur die absolute Würde, – nicht etwa Würdigkeit der Glückseligkeit, sondern Würde durchaus für sich, – anstrebt: ebenso ist sie, wo sie zum besonderen Leben gediehen, in sich selber durch diese Würde vollkommen ersättigt, ohne des Erfolgs zu bedürfen. Die Unsicherheit desselben kann daher ihre innere Klarheit nie trüben, noch der wirkliche Nichterfolg ihr jemals Schmerz verursachen, da sie auf den Erfolg nicht rechnete und ihn ebenso aufgegeben hat, wie die sinnliche Begierde. Wie könnte in diesen in sich geschlossenen Zirkel des Lebens Leid und Schmerz oder Störung je eintreten?

Die Idee ist durch sich selber sich selbst genug zum lebendigen, tätigen Leben, das da ewig aus sich selber quillt, ohne eines anderen zu bedürfen oder ihm den Einfluß in sich zu verstatten. Das Selbstgefühl dieser ewig unmittelbar gegenwärtigen Unabhängigkeit und dieses sich selbst Genügens zu ewig und ununterbrochen aus ihm selber hervorgehender Tätigkeit, – die Gediegenheit dieser ewig an sich selber zehrenden und in alle Ewigkeit mit gleichbleibender Kraft sich erschwingenden Flamme ist die Liebe des Vernunftlebens zu sich selber und der Selbstgenuß seiner selbst und die Seligkeit: – keinesweges ein eitles Brüten über sich selber in Betrachtung und Anschauung seiner Vortrefflichkeit; denn die Betrachtung ist durch das Sein verschlungen, und zu ihr läßt die rastlos fortbrennende Flamme des wirklichen Lebens weder Zeit noch Anhalt, tötend und in den Schoß der Vergessenheit versenkend alles Vergangene um in jedem Augenblicke neu sich zu gebären Diese trunkene Schilderung des völligen Aufgehens des Genius in seinem idealen Schaffen ist ebenso die beste und erschöpfendste Psychologie Bachs, Beethovens, Schuberts, Michelangelos, Carlyles und aller Größten, wie sie ein Selbstporträt Fichtes ist. Man möchte sie bezeichnen als die transzendentale und darum einheitliche Psychologie aller Schöpferkraft des menschlichen Genies..

Aufopferung für Ideen. Heroen der Tat. Alexander der Große

Alles Große und Gute, worauf unsere gegenwärtige Existenz sich stützet und davon ausgeht, und unter dessen alleiniger Voraussetzung unser Zeitalter sein Wesen treiben kann, wie es dasselbe treibt, ist lediglich dadurch wirklich geworden, daß edle und kräftige Menschen allen Lebensgenuß für Ideen aufgeopfert haben; und wir selber mit allem, was wir sind, sind das Resultat der Aufopferung aller früheren Generationen, und besonders ihrer würdigsten Mitglieder. Keinesweges aber gedenke ich diese Bemerkung also zu gebrauchen, daß ich Sie durch die Betrachtung des Nutzens, den jene Opfer Ihnen bringen, zur Toleranz gegen jene Vorgänger besteche; denn sodann würde ich in Ihnen gerade diejenige Denkart wiederum erregen und sie zu meinem gegenwärtigen Zwecke gebrauchen, welche ich ganz aus der Welt vertilgen würde, falls ich es vermöchte; auch würde ich sodann die Antwort erwarten müssen; »Gut für uns, daß jene Toren waren, die uns im Schweiße ihres Angesichts Schätze sammelten, welche wir genießen; wir werden, so viel an uns liegt, vor ähnlicher Torheit uns hüten; mögen die künftigen Generationen sehen, wie sie zurecht kommen werden, wenn wir nicht mehr leben«: – und ich würde diese Antwort, wenigstens als konsequent, rühmen müssen. – – Vielmehr möchte ich nur folgendes wissen: ob Sie eine solche Denk- und Handelsweise, ganz unabhängig davon, ob Sie dieselbe klug finden, worüber dermalen kein Urteil begehrt wird, – nicht doch genötigt sind, höchlichst zu respektieren und zu bewundern.

Werfen Sie mit mir einen Blick auf die uns umgebende Welt. Sie wissen, daß noch bis diesen Augenblick mehrere Striche des Erdbodens mit faulenden Morästen und undurchdringlichen Waldungen bedeckt daliegen, deren kalte und dumpfe Atmosphäre giftige Insekten erzeugt und verheerende Seuchen aushaucht, fast ganz zum Wohnhause anheimgefallen dem Wilde, und den wenigen menschlichen Gestalten, welche da leben, bloß ein dumpfes und freudenloses Dasein ohne Freiheit, Geschicklichkeit und Würde verstattend. Es ist aus der Geschichte bekannt, daß der Boden, den wir dermalen bewohnen, ehemals größtenteils dieselbe Gestalt trug. Jetzt sind die Moräste ausgetrocknet und die Waldungen ausgehauen, verwandelt in fruchttragende Ebenen und Rebenhügel, welche die Lüfte reinigen und sie mit belebenden Düften schwängern; den Flüssen sind ihre Betten angewiesen und dauernde Brücken über sie gelegt; Dörfer und Städte sind dem Boden entstiegen mit haltbaren, bequemen und inständigen Wohnungen für die Menschen und mit öffentlichen Gebäuden, welche schon Jahrhunderten trotzten, zum Gelbrauche und zur Erhebung des Gemüts. Sie wissen, daß noch bis diesen Augenblick wilde Stämme ungeheure Wüsteneien durchtreifen, ihr kärgliches Leben mit unreinen und ekelhaften Nahrungsmitteln, an denen es öfters gebricht, fristend; doch, wie sie aneinander stoßen, sich bekriegend um diese dürftige Nahrung und ihre ärmlichen Erwerbs- und Luxuswerkzeuge, erstreckend die Wut der Rache bis zum Verzehren des Mitmenschen. Es ist höchst wahrscheinlich, daß wir insgesamt von dergleichen Stämmen herkommen, – wenigstens in einer der Generationen unserer Vorväter durch diesen Zustand hindurchgegangen sind. Jetzt sind die Menschen aus den Wäldern versammelt und zu Massen vereinigt. Wie in der Wildnis jede Familie ihre mannichfaltigen Bedürfnisse selber unmittelbar zu besorgen, zugleich die Erwerbswerkzeuge für jedes selber zu verfertigen hatte, mit mannichfaltigem Verluste an Zeit und vergeudeter Kraft, so sind die entstandenen Menschenmengen jetzo in Stände verteilt, deren jeder nur das Eine treibt, dessen Erlernung und Übung er sein Leben gewidmet, versorgend darin alle übrigen Stände und versorgt von ihnen mit allen seinen übrigen Bedürfnissen; und so wird der Naturgewalt die möglichst größte gebildete und geordnete Masse von vereinigter Vernunftkraft gegenübergestellt. Ihrer Wut, sich gegenseitig zu bekriegen und zu berauben, bieten Gesetze und die Verwalter derselben einen undurchdringlichen Damm; jeder Streit wird unblutig geschlichtet und die Lust des Verbrechens durch harte Strafen in das innerste Dunkel des Herzens zurückgeschreckt, und so ist der innere Friede geboren, und jeder bewegt sich sicher innerhalb der ihm angewiesenen Grenzen. Ansehnlichen Massen von Menschen, oft entsprungen aus sehr ungleichartigen Abstammungen und vereinigt, man weiß kaum wie, stehen ebenso ansehnliche Massen, ebenso wunderbar vereinigt, gegenüber und flößen, jede nicht recht bekannt mit der Kraft der anderen, sich gegenseitig Furcht ein, damit auch der äußere Friede von Zeit zu Zeit die Menschen beglücke oder, wenn es zum Kriege kommt, selbst die überwiegende Macht an dem Widerstände der anderen gleichfalls beträchtlichen ermatte und sich breche, und statt der insgeheim immer beabsichtigten Vertilgung der Friede erfolge; und so hat selbst zwischen unabhängigen Völkern sich eine Art von Völkerrecht und aus getrennten Volkshaufen eine Art von Völkerrepublik erzeuget. Sie wissen, wie noch bis jetzt den scheuen und mit sich selbst unbekannten Wilden jede Naturkraft einengt oder tötet. Uns ist durch die Wissenschaft unsere eigene geistige Natur aufgedeckt und dadurch die äußere sinnliche Naturgewalt großenteils uns unterworfen worden. Die Mechanik hat die schwache menschliche Kraft beinahe ins Unendliche vervielfältiget und fährt fort, sie zu vervielfältigen. Die Chemie hat uns an mehreren Stellen in die geheime Werkstätte der Natur eingeführt und uns fähig gemacht, manches ihrer Wunder für unseren Zweck nachzutun und vor großen Beschädigungen durch sie uns zu schützen; die Astronomie hat den Himmel erobert und seine Bahnen gemessen. Sie wissen, und die gesamte Geschichte des Altertums sowie die Beschreibung der noch vorhandenen Wildlinge bezeugen es Ihnen, daß jene Völker, selbst die gebildetsten unter ihnen nicht ausgenommen, entronnen den Schrecknissen der äußeren Natur und eingekehrt in die geheime Tiefe ihres Herzens, erst da das furchtbarste Schrecknis fanden: die Gottheit als ihren Feind. Durch kriechende Demütigungen und Supplikationen, durch Aufopferung dessen, was ihnen am liebsten war, durch freiwillig sich zugefügte Martern, durch Menschenopfer, durch das Blut des eingeborenen Sohnes, wenn es galt, – suchten sie dieses auf alles menschliche Wohlsein eifersüchtige Wesen zu bestechen, mit ihren unerwarteten Glücksfällen es auszusöhnen, sie ihm abzubitten.

Dies ist die Religion der alten Welt und der noch vorhandenen Wildlinge, und ich fordere jeden Geschichtsforscher auf, in diesem Gebiete eine andere nachzuweisen. Uns ist jenes Schreckbild längst entschwunden, und die Erlösung und Genugtuung, von der in einem gewissen Systeme Dem Christentum. gesprochen wird, ist offenbare Tatsache, wir mögen nun daran glauben oder nicht; und sie ist um so mehr Tatsache, je weniger wir daran glauben wollen. Unser Zeitalter, weit entfernt, die Gottheit zu scheuen, hat in seinen Repräsentanten dieselbe sogar zu ihrem Lustdiener bestallet. Wir unseres Ortes, weit entfernt, dasselbe über diesen seinen Mangel an Gottesfurcht zu tadeln, rechnen denselben vielmehr unter seine Vorzüge, und nachdem sie nun einmal zu dem rechten Genusse der Gottheit, sie zu lieben und in ihr zu leben und selig zu sein, nicht fähig sind, so mögen wir es ihnen wohl gönnen, daß sie dieselbe nicht fürchten. Mögen sie, wenn sie wollen, sich derselben ganz erledigen, oder mögen sie auch dieselbe sich also verarbeiten, wie sie ihnen erfreulich werden kann.

So wie ich zuerst sagte, ehrwürdige Versammlung, war ehemals die Gestalt der Menschheit und ist es zum Teil noch; so wie ich zuletzt sagte, ist jetzo wenigstens unter uns ihre Gestalt. Wie und durch wen und auf welcherlei Antriebe ist denn diese neue Schöpfung vollbracht worden?

Wer hat denn zuvörderst, besonders den neueuropäischen Ländern, ihre bewohnbare und gebildeter Menschen würdige Gestalt gegeben? Hierauf antwortet die Geschichte: Religiöse waren es, welche in dem festen Glauben, daß es Gottes Wille sei, daß der scheue Flüchtling in den Wäldern zu einem gesitteten Leben, und in ihm zu der beseligenden Erkenntnis der menschenliebenden Gottheit gebracht werde, gebildete Länder und alle die sinnlichen und geistigen Genüsse derselben und ihre Familien, Freunde und Verwandte verließen, hinausgingen in die öde Wildnis, übernahmen den bittersten Mangel und die härteste Arbeit und, was mehr ist, die unermüdete Geduld, unartige Geschlechter, von denen sie verfolgt und beraubt wurden, an sich zu ziehen und ihr Vertrauen zu gewinnen, oft am Ziele eines durchgekümmerten Lebens des Märtyrertodes starben von der Hand derer, für die sie ihn starben, und für uns, derselben Enkel und Urenkel, freudig in der Hoffnung, daß über ihrer Marterstätte eine würdigere Generation aufblühen werde. Diese setzten ohne Zweifel ihr persönliches Leben und seinen Genuß an ihre Idee, und in dieser Idee an die Gattung. Und so mir jemand einwerfen dürfte: »sie opferten das gegenwärtige Leben der Erwartung einer unendlich höheren, himmlischen Seligkeit auf, welche sie durch diese Entbehrungen und Arbeiten zu verdienen hofften, doch immer nur dem Genüsse den Genuß, und zwar den geringeren dem größeren«, – so bitte ich einen solchen mit mir ernsthaft folgendes zu überlegen. Wie unangemessen sie sich auch etwa über diese Seligkeit anderer Welten in Worten ausdrücken, und in welche sinnliche Bilder sie auch die Beschreibung derselben einkleiden mochten, so wünschte ich nur das zu wissen: wie sie denn zu dem festen Glauben an diese andere Welt, den sie durch ihre Opfer dokumentierten, auch nur gekommen seien, und was dieser Glaube, als Akt des Gemüts, denn doch eigentlich sei? Opfert denn nicht das Gemüt, welches gläubig eine andere Welt als sicherlich vorhanden ergreift, in diesem bloßen Ergreifen schon die gegenwärtige auf, und ist denn nicht dieser Glaube schon selber das im Gemüte mit einem Male für immer vollendete und vollzogene Opfer, welches sodann erst bei einzelnen Vorfällen im Leben als Erscheinung eintritt? Mag es immer gar kein Wunder, sondern durchaus begreiflich und von dir selber, der du diesen Einwurf machst, in derselben Lage nachzutun sein, daß sie alles aufopferten, nachdem sie einmal an ein ewiges Leben glaubten: so ist dies das Wunder, daß sie glaubten, welches der Egoist, der das Gegenwärtige nie aus dem Auge zu lassen fähig ist, ihnen nimmermehr nachtun, noch in dieselbe Lage hineinkommen wird.

Wer hat die rohen Stämme vereinigt und die widerstrebenden in das Joch der Gesetze und des friedlichen Lebens gezwungen, wer hat sie darin erhalten und die stehenden Staaten gegen Auflösung durch innere Unordnung und gegen Zerstörung durch äußere Gewalt geschützt? – Welches auch ihre Namen sein mögen, Heroen waren es, große Strecken ihrem Zeitalter zuvorgeeilt, Riesen unter den Umgebenden an körperlicher und geistiger Kraft. Sie unterwarfen ihrem Begriffe von dem, was da sein sollte Geschlechter, von denen sie dafür gehaßt und gefürchtet wurden; schlaflos durchsannen sie, für diese Geschlechter sorgend, die Nächte, rastlos stürzten sie sich von Schlachtfeld zu Schlachtfeld, entsagend den Genüssen, die sie wohl hätten haben können, immer ihr Leben als Beute darbietend, oft verspritzend ihr Blut. Und was suchten sie mit dieser Mühe, und wodurch wurden sie dafür entschädiget? Ein Begriff, ein bloßer Begriff von einem durch sie hervorzubringenden Zustande, der aber schlechthin ohne allen weiteren Zweck außer ihm realisiert werden sollte, war es, der sie begeisterte; und das unaussprechliche Wohlgefallen an diesem Begriffe war es, was sie belohnte und für alle Mühe entschädigte; dieser Begriff war es, der die Wurzel ihres inneren Lebens ausmachte, indes er das äußere in Schatten stellte, verdunkelte und als etwas des Andenkens unwürdiges aufgab; die Kraft dieses Begriffs war es, die den durch die Geburt seiner Umgebung Gleichen zum körperlichen und geistigen Riesen herausarbeitete; derselben Idee fiel die Person zum Opfer, durch welche sie erst zu einem würdigen Opfer ausgestaltet worden.

Was treibt den König, der auf angeerbtem Throne sicher ruhen und des Markes des Landes genießen könnte, – was treibt, um an ein bekanntes Beispiel, das von dem empfindelnden Zwerggeschlechte auch so oft gemißdeutet worden, meine Frage anzuknüpfen, – was treibt den mazedonischen Helden aus dem angeerbten, schon vom Väter wohlgesicherten und reichlich versehenen Königreiche in einen fremden Weltteil, den er unter ununterbrochenen Kämpfen durchzieht und erobert? Wollte er dadurch satter werden und gesünder? Was heftet den Sieg an seine Fußsohlen und schreckt vor ihm her die ihm an Menge ungeheuer überlegenen Feinde? Ist dies bloßer Zufall? Nein, eine Idee ists, die den Zug beginnt und die ihn beglückt. Weichliche Halbbarbaren hatten das damals geistreichst ausgebildete Volk unter der Sonne wegen seiner kleineren Anzahl zu verachten und den Gedanken seiner Unterjochung zu fassen gewagt; sie hatten in Asien wohnende, verbrüderte Stämme wirklich unterjocht und das gebildete und freie Volk den Gesetzen und den empörenden Strafen roher und sklavischer Völkerschaften unterworfen. Dieser Frevel mußte nicht ungestraft verübt sein; auch mußte umgekehrt das gebildete herrschen und das ungebildete dienen, wenn geschehen sollte, was Rechtens ist. Diese Idee lebte schon seit langem in den edleren griechischen Gemütern, bis sie in Alexander zur lebendigen Flamme wurde, welche sein individuelles Leben bestimmte und aufzehrte. Rechne man mir nun nicht vor die Tausende, die auf seinem Zuge fielen, erwähne man nicht seines eigenen, frühzeitig erfolgten Todes: was konnte er denn nun, nach Realisierung der Idee, noch größeres tun als sterben?

Bürgschaft des Sieges

Diese und alle anderen in der Weltgeschichte, die ihres Sinnes waren, haben gesiegt, weil das Ewige sie begeisterte, und so siegt immer und notwendig diese Begeisterung über den, der nicht begeistert ist.

Quintessenz der Geschichte

Ein Zeitalter erkennen, heißt: den allgemeinen Glauben desselben erkennen und den Punkt, wo der Verstand durchbrechen will. Diesem nun seine rechten Gründe unterlegen und ihn bilden, ist die Aufgabe der Regenten und Leiter des Zeitalters. Der Standpunkt des Krieges zwischen Glauben und Verstand ist der Standpunkt der Zeitgeschichte.

Was ein Volk sei

Ein Volk: das Ganze der in Gesellschaft miteinander fortlebenden und sich selbst immerfort natürlich und geistig erzeugenden Menschen, das insgesamt unter einem gewissen besonderen Gesetze der Entwickelung des Göttlichen aus ihm steht.

Bedeutung der Sprache für das Volkstum

Welchen unermeßlichen Einfluß auf die ganze menschliche Entwickelung eines Volks die Beschaffenheit seiner Sprache haben möge, der Sprache, welche den einzelnen bis in die geheimste Tiefe seines Gemüts bei Denken und Wollen begleitet und beschränkt oder beflügelt, welche die gesamte Menschenmenge, die dieselbe redet, auf ihrem Gebiete zu einem einzigen gemeinsamen Verstände verknüpft, welche der wahre gegenseitige Durchströmungspunkt der Sinnenwelt und der der Geister ist und die Enden dieser beiden also ineinander verschmilzt, daß gar nicht zu sagen ist, zu welcher von beiden sie selber gehöre; – läßt sich im allgemeinen erraten.

Held und Milieu

Eine solche Ordnung aber ist die, freilich in keinem Begriffe zu erfassende, aber dennoch wahrhaft vorhandene, besondere geistige Natur der menschlichen Umgebung, aus welcher er selbst mit allem seinen Denken und Tun und mit seinem Glauben an die Ewigkeit desselben hervorgegangen ist, das Volk, von welchem er abstammt, und unter welchem er gebildet wurde und zu dem, was er jetzt ist, heraufwuchs. Denn so unbezweifelt es auch wahr ist, daß sein Werk, wenn er auch mit Recht Anspruch macht auf dessen Ewigkeit, keineswegs der bloße Erfolg des geistigen Naturgesetzes seiner Nation ist und mit diesem Erfolge rein aufgeht, sondern daß es ein Mehreres ist, denn das, und insofern unmittelbar ausströmt aus dem ursprünglichen und göttlichen Leben; so ist es dennoch ebenso wahr, daß jenes Mehrere sogleich bei seiner ersten Gestaltung zu einer sichtbaren Erscheinung unter jenes besondere geistige Naturgesetz sich gefügt und nur nach demselben sich einen sinnlichen Ausdruck gebildet hat. Unter dasselbe Naturgesetz nun werden, solange dieses Volk besteht, auch alle ferneren Offenbarungen des Göttlichen in demselben eintreten und in ihm sich gestalten. Dadurch aber, daß auch er da war und so wirkte, ist selbst dieses Gesetz weiter bestimmt, und seine Wirksamkeit ist ein stehender Bestandteil desselben geworden. Auch hiernach wird alles folgende sich fügen und an dasselbe sich anschließen müssen. Und so ist er denn sicher, daß die durch ihn errungene Ausbildung bleibt in seinem Volke, solange dieses selbst bleibt und fortdauernder Bestimmungsgrund wird aller ferneren Entwicklung desselben.

Judentum

Fast durch alle Länder von Europa verbreitet sich ein mächtiger, feindselig gesinnter Staat, der mit allen übrigen im beständigen Kriege steht, und der in manchen fürchterlich schwer auf die Bürger drückt: es ist das Judentum. Ich glaube nicht, und ich hoffe es in der Folge darzutun, daß dasselbe dadurch, daß es einen abgesonderten und so fest verketteten Staat bildet, sondern dadurch, daß dieser Staat auf den Haß des ganzen menschlichen Geschlechtes aufgebaut ist, so fürchterlich werde. Von einem Volke, dessen Geringster seine Ahnen höher hinaufführt, als wir anderen alle unsere Geschichte, und in einem Emir, der älter ist als sie, seinen Stammvater sieht, (eine Sage, die wir selbst unter unsere Glaubensartikel aufgenommen haben); das in allen Völkern die Nachkommen derer erblickt, welche sie aus ihrem schwärmerisch geliebten Vaterlande vertrieben haben; das sich zu dem den Körper erschlaffenden und den Geist für jedes edle Gefühl tötenden Kleinhandel verdammt hat und verdammt wird; das durch das bindendste, was die Menschheit hat, durch seine Religion, von unseren Mahlen, von unserem Freudenbecher und von dem süßen Tausche des Frohsinns mit uns von Herz zu Herzen ausgeschlossen ist; das bis in seinen Pflichten und Rechten und bis in der Seele des Allvaters uns andere alle von sich absondert, – von so einem Volke sollte sich etwas anderes erwarten lassen, als was wir sehen, daß in einem Staate, wo der unumschränkte König mir meine väterliche Hütte nicht nehmen darf, und wo ich gegen den allmächtigen Minister mein Recht erhalte, der erste Jude, dem es gefällt, mich ungestraft ausplündert? Dies alles seht ihr mit an und könnt es nicht leugnen und redet zuckersüße Worte von Toleranz und Menschenrechten und Bürgerrechten, indes ihr in uns die ersten Menschenrechte kränkt; könnet eurer liebevollen Duldung gegen diejenigen, die nicht an Jesum Christum glauben, durch alle Titel, Würden und Ehrenstellen, die ihr ihnen gebt, kein Genüge tun, indes ihr diejenigen, die nur nicht ebenso wie ihr an ihn glauben, öffentlich schimpft und ihnen bürgerliche Ehre und mit Würde verdientes Brot nehmt? Erinnert ihr euch denn hier nicht des Staates im Staate? Fällt euch denn hier nicht der begreifliche Gedanke ein, daß die Juden, welche ohne euch Bürger eines Staates sind, der fester und gewaltiger ist als die eurigen alle, wenn ihr ihnen auch noch das Bürgerrecht in euren Staaten gebt, eure übrigen Bürger völlig unter die Füße treten werden?

Fern sei von diesen Blättern der Gifthauch der Intoleranz, wie er es von meinem Herzen ist! Derjenige Jude, der über die festen, man möchte sagen, unübersteiglichen Verschanzungen, die vor ihm liegen, zur allgemeinen Gerechtigkeits-, Menschen-und Wahrheitsliebe hindurchdringt, ist ein Held und ein Heiliger. Ich weiß nicht, ob es deren gab oder gibt. Ich will es glauben, sobald ich sie sehe. Nur verkaufe man mir nicht schönen Schein für Realität! – Möchten doch immer die Juden nicht an Jesum Christum, möchten sie doch sogar an keinen Gott glauben, wenn sie nur nicht an zwei verschiedene Sittengesetze und an einen menschenfeindlichen Gott glaubten. – Menschenrechte müssen sie haben, ob sie gleich uns dieselben nicht zugestehen; denn sie sind Menschen, und ihre Ungerechtigkeit berechtigt uns nicht, ihnen gleich zu werden. Zwinge keinen Juden wider seinen Willen und leide nicht, daß es geschehe, wo du der nächste bist, der es hindern kann; das bist du ihm schlechterdings schuldig. Wenn du gestern gegessen hast und hungerst wieder und hast nur auf heute Brot, so gib es dem Juden, der neben dir hungert, wenn er gestern nicht gegessen hat, und du tust sehr wohl daran. – Aber ihnen Bürgerrechte zu geben, dazu sehe ich wenigstens kein Mittel, als das, in einer Nacht ihnen allen die Köpfe abzuschneiden und andere aufzusetzen, in denen auch nicht eine jüdische Idee sei. Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich wieder kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern und sie alle dahin zu schicken.

Vorherrschende Toleranz der Juden in Staaten, wo für Selbstdenker keine Toleranz ist, zeigt sonnenklar, worauf eigentlich abgesehen wird. – Die Aufrechterhaltung deines Glaubens liegt dir so sehr an deinem Vaterherzen? Siehe diese Juden; sie glauben überhaupt nicht an Jesum Christum; das mußt du nicht leiden; und ich sehe, daß du sie mit Wohltaten überhäufst. – »O, sie haben Aberglauben, und das ist mir genug. Glaube du doch an Zoroaster oder Konfuzius, an Moses oder Mohammed, an den Papst, Luther oder Calvin, das gilt mir gleich; wenn du nur an eine fremde Vernunft glaubst. Aber du willst selbst Vernunft haben, und das werde ich nie leiden. Sei unmündig, sonst wächsest du mir zu Kopfe«. – Ich will nicht etwa sagen, daß man die Juden um ihres Glaubens willen verfolgen solle, sondern daß man überhaupt niemand deswegen verfolgen solle.

Ich weiß, daß man vor verschiedenen gelehrten Tribunalen eher die ganze Sittlichkeit und ihr heiligstes Produkt, die Religion, angreifen darf, als die jüdische Nation. Denen sage ich, daß mich nie ein Jude betrog, weil ich mich nie mit einem einließ, daß ich mehrmals Juden, die man neckte, mit eigener Gefahr und zu eigenem Nachteil in Schutz genommen habe, daß also nicht Privatanimosität aus mir redet. Was ich sagte, halte ich für wahr; ich sagte es so, weil ich das für nötig hielt: ich setze hinzu, daß mir das Verfahren vieler neuerer Schriftsteller in Rücksicht der Juden sehr folgewidrig scheint, und daß ich ein Recht zu haben glaube, zu sagen, was und wie ich es denke. Wem das Gesagte nicht gefällt, der schimpfe nicht, verleumde nicht, empfindle nicht, sondern widerlege obige Tatsachen.

Die Fortschrittsleugner. Rousseau

Aber, ihr bleibt dabei, unsere philosophischen Grundsätze ließen sich einmal nicht ins Leben einführen; unsere Theorien seien freilich unwiderleglich, aber sie seien nicht ausführbar. – Das meint ihr denn doch wohl nur unter der Bedingung, wenn alles so bleiben soll, wie es jetzt ist, – denn sonst wäre eure Behauptung wohl zu dreist. Aber wer sagt denn, daß es so bleiben solle? Wer hat euch denn zu eurem Ausbessern und Stümpern, zu eurem Aufflicken neuer Stücke auf den alten zerlumpten Mantel, zu eurem Waschen, ohne einem die Haut naß machen zu wollen, gedungen? Wer hat denn geleugnet, daß die Maschine dadurch vollends ins Stocken geraten, daß die Risse sich vergrößern, daß der Mohr wohl ein Mohr bleiben werde? Sollen wir den Esel tragen, wenn ihr Schnitzer gemacht habt?

Aber ihr wollt, daß alles hübsch bei dem Alten bleibe; daher euer Widerstreben, daher euer Geschrei über die Unausführbarkeit unserer Grundsätze. Nun, so seid wenigstens ehrlich und sagt nicht weiter: wir können eure Grundsätze nicht ausführen, sondern sagt gerade, wie ihr es meint: wir wollen sie nicht ausführen.

Dies Geschrei über die Unmöglichkeit dessen, was euch nicht gefällt, treibt ihr nicht erst seit heute; ihr habt von jeher so geschrieen, wenn ein mutiger und entschlossener Mann unter euch trat und euch sagte, wie ihr eure Sachen klüger anfangen solltet. Dennoch ist trotz eurem Geschrei manches wirklich geworden, indes ihr euch seine Unmöglichkeit bewieset. – So rieft ihr vor nicht gar langer Zeit einem Manne zu, der unseren Weg ging und bloß den Fehler hatte, daß er ihn nicht weit genug verfolgte: » proposez nous donc ce, qui est faisable«. – »Das hieße: » proposez nous ce, qu'on fait«, antwortete er euch sehr richtig. Ihr seid seitdem durch die Erfahrung, das einzige, was euch klug machen kann, belehrt worden, daß seine Vorschläge doch nicht so ganz untunlich waren.

Rousseau, den ihr noch einmal über das andere einen Träumer nennt, indes seine Träume unter euren Augen in Erfüllung gehen, verfuhr viel zu schonend mit euch, ihr Empiriker; das war sein Fehler. Man wird noch ganz anders mit euch reden, als er redete.

Der alte Ofen

Erfahrungsweisheit – was heißt denn das? – »Dies hat bisher guten Erfolg gehabt; ohne Zweifel nach einem Gesetze, das mir unbekannt ist« (Hume). – Warum suchst du denn das Gesetz nicht? Es ist ohne Zweifel Zeitgesetz: und wenn die Zeit nun vorüber wäre? – »Der alte Ofen hat so lange gestanden!« – Eben darum mußte er einfallen. – Diese Täuschung mit dem alten Ofen überrascht auch den Verständigsten. Dem Neuen trauen wir alle nicht so sehr, wie dem Alten, aus empirischer Trägheit. Prinzip davon ist eben, daß wir die Dauer statt des Gesetzes nehmen; d. h. daß wir die lange Zeit mit aller Zeit verwechseln, denn nur alle Zeit enthält Darlegung des Gesetzes. Je mehr Zeit darum, desto leichter, je kürzere, desto schwerer ist die Güte einer Sache zu erproben. Daher die »vielen Fälle«, die man sucht. Gründlich hilft gegen diese Täuschung nur die Erforschung des Gesetzes; aber diese droht eben den alten Ofen umzuwerfen!


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