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Sein milder, weicher, rötlicher Dämmerschein erhellte gerade nur die eine Ecke des armseligen Mansardenzimmers und streichelte wie mit zärtlichen Fingern die Dinge einer kleinen, stillen Welt: den billigen bosnischen Teppich, die hingebreitete blühweiße Serviette, auf der die Teekanne stand und die Zuckerschale, die beiden goldgeränderten Tassen, der Brötchenteller, das kleine Milchkännchen und die Vase mit Blumen – wenn es hoch herging, lag noch ein Stückchen Butter auf dem Glasteller oder gar ein paar Orangen; und wie er langsam hin- und herschaukelte an seinem Bindfaden, war es, als wollte er das kleine Häuflein Liebesglück und Lebensfreude segnen, die lustige Puppenwirtschaft der beiden großen Kinder, wenn sie zur Dämmerstunde nebeneinander lagerten in dieser Ecke, die wie aus einem Bohêmeroman herausgeschnitten war.
Die kleine Frau fand, daß man bei solcher Anordnung der Tafel sehr viel ersparte an Sitzmöbeln, Tischwäsche und Beleuchtung, und er fand natürlich dasselbe, obgleich seinen Knochen das härtliche Lager ein wenig wehtat und die Beinkleider Kniebohrer bekamen und der Rock allerlei mißliche Falten.
Du lieber Gott: sie hatten beide alle Ursache zu sparen und kämpften sich hart genug durch ein feindseliges Leben hindurch – er gab Privatlektionen und schrieb Skizzen und Feuilletons und sie war eine Künstlerin in Batikarbeiten.
Batiktüchlein und Feuilletonskizzen haben eine gewisse künstlerische Verwandtschaft. Es sind zarte, seine, duftige 41 Sächelchen, die jeder glaubt machen zu können, und die darum schlecht bezahlt werden; aber man versuche es nur und schaffe eine wirklich originelle Batik oder ein hochwertiges Feuilleton! Das Technische – natürlich sehr einfach: ein wenig geschmolzenes Wachs, Farblösungen, dünne weiße Seidentüchlein – Feder, Tinte und ein paar Blätter weißes Papier; aber wenn was Vollendetes dabei herauskommen soll . . . Und die heimliche Sehnsucht der Alltagsmenschen verlangt sie, diese farbenfröhlichen Dinger mit den lustigen Mustern, die keine Blumen sind und keine Sterne und keine Blätterranken und doch von all diesen hübschen Sachen irgendwas an sich haben; und die phantastischen Illusionen, den farbigen dichterischen Abglanz des Lebens, der mit einem guten Einfall, einer heiteren Pointe, einem seltsamen Geschehnis den öden Alltag und seine Berufsfron erträglich macht.
Und so lagen sie denn fast jeden Abend in ihrem Glückswinkel und zeigten sich, was sie tagsüber gearbeitet hatten: hübsche, freche, bunte Muster und hübsche, freche, bunte Geschichten – ein loses Spiel von Schnörkeln und Gedanken, Träumen und Illusionen und doch Glückes genug für zwei, die sich lieb haben und denen ein Blumenstrauß in vollem Ernste wichtiger als ein Mittagessen ist.
An einem Abend aber, als die Kerze im roten Lampion schon tief herabgebrannt war und das Gespräch immer leiser und langsamer und die liebe Last in seinen Armen schwerer und schwerer ward wie eine köstliche reifende Frucht, da flog mitten in ihre Küsse ein greller Feuerschein hinein, es knisterte und rauchte und flammte gegen die Decke in jäher Lohe und sie schrie auf: »Der Lampion brennt!« Und im bleichen Schrecken tappten ihre Hände in die Flammen; gottlob, es war ja nichts geschehen, der Teppich, der kostbare Teppich blieb heil, ein Endchen angebrannter Bindfaden war in die 42 Butter gefallen und in der Teeschale schwamm ein Stück rotes, halbverkohltes Papier; er zündete eine Kerze an und streichelte ihre Hand. Sie zitterte vor Erregung und schloß die Augen, und er sah an ihr vorüber ins Leere – die weiche, rosige Dämmerung war fort, aus den Winkeln des dürftig möblierten, öden Zimmers krochen scharfe, groteske Schatten, wuchsen an den Wänden empor, streckten sich drohend zur Decke; und als sie wieder Worte fanden, sprachen sie müde und gequält von ihren Geldsorgen und der unsicheren Zukunft; sollte er nicht doch lieber die Lehramtsprüfung machen und an einer Schule Anstellung suchen, statt Feuilletons zu schreiben – und sie wollte in ein Bureau gehen, da bekam man mit Stenotypie und Maschinenschreiben bei acht Stunden Tagesarbeit monatlich eine Million Kronen oder gar noch eine halbe darüber, wenn es Überstunden gab.
Und er ging mit gesenktem Kopf durch die nächtlichen Straßen heim und schlug sich drei Tage lang mit seiner Angst und Sorge herum und fand erst am Abend des vierten wieder den Weg zu ihr; wenn sie nun auch so müde und verzagt war wie er, dann war das Glück dahin, verbrannt, vergiftet, erstickt im öden Alltag,
Sie aber . . . o Eva, Eva!
Sie kam ihm entgegengelaufen in dem leichten weißen Kleid, in dem sie wie ein junges Mäderl aussah – die weichen, kühlen Arme warf sie um seinen Hals und lachte und weinte in einem Atem, weil er nur wieder da war – und dann nahm sie ihn bei der Hand und führte ihn zu ihrem Glückswinkel, und siehe, da hing ein neuer, schöner, großer Lampion, viel schöner und größer als der alte, den hatte sie selbst zurechtgeschnitten und geklebt und ihr allerkühnstes Rankenwerk in Dunkelrot und Grün und Violett auf das feine Seidenpapier gemalt, und auf der weiß schimmernden Serviette stand die 43 kleine Teekanne mit Brötchen und Butter, und sogar zwei Orangen waren da, als sei heute ein Festtag; und als sie wieder beisammen lagen, da zeigte sie ihm voll Stolz und Freude einen neuen Entwurf für ein großes Seidentuch; ein ganzes Dutzend hatte sie in Auftrag bekommen und die Arbeit wurde viel besser bezahlt als die kleinen Taschentücher. Da kroch eine leise Scham über sein Herz: sollte er, der Mann, sich überbieten lassen an Lebensglauben und Zuversicht von einer tapferen kleinen Frau? »Wir lassen uns nicht unterkriegen, gelt, du?« sagte sie und küßte ihn wieder – und über ihren Häuptern schaukelte leise der neue schöne Lampion. . . . 44