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4

Die Marschallin war bereit und erwartete ihn.

»Das ist hübsch von Ihnen!« sagte sie und sah ihn heiter und zärtlich zugleich mit ihren schönen Augen an.

Nachdem sie ihre Hutbänder zugeknüpft hatte, setzte sie sich aufs Sofa und schwieg.

»Gehen wir?« fragte Frédéric.

Sie sah auf die Uhr.

»O nein! erst in anderthalb Stunden!« als hätte sie ihrer Ungewißheit selbst diese Grenze gesetzt.

Endlich, als die Uhr schlug:

»Wohlan, andiamo, caro mio

Sie strich noch ein letztes Mal über ihren Scheitel und gab Delphine Verhaltungsmaßregeln.

»Kommen Madame zum Mittagessen?«

»Wozu denn? Wir essen irgendwo zusammen, im Café Anglais oder wo Sie wollen!«

»Schön!«

Ihre kleinen Hündchen kläfften um sie her.

»Man kann sie mitnehmen, nicht wahr?«

Frédéric trug sie selbst bis zum Wagen. Es war eine Mietskutsche mit zwei Pferden und einem Kutscher; seinen Diener hatte er hinten aufsitzen lassen. Die Marschallin schien zufrieden über seine Zuvorkommenheit; dann, als sie Platz genommen hatte, fragte sie ihn, ob er kürzlich bei Arnoux gewesen sei.

»Seit einem Monat nicht,« sagte Frédéric.

»Ich habe ihn vorgestern gesehen, er wäre auch heute gekommen. Aber er hat allerlei Ungelegenheiten, wieder einen Prozeß, ich weiß nicht um was. Ein schnurriger Mensch!«

»Ja, sehr schnurrig!«

Frédéric fügte mit gleichgiltiger Miene hinzu:

»Apropos, sehen Sie noch ... wie hieß er doch? ... dieser ehemalige Sänger ... Delmar?«

Sie entgegnete trocken:

»Nein! das ist aus!«

Ihr Bruch war also gewiß. Frédéric faßte neue Hoffnungen.

Sie fuhren im Schritt das Quartier Breda hinunter; wegen des Sonntags waren die Straßen leer, und hinter den Fenstern erschienen die Gesichter der Bürger. Der Wagen nahm ein rascheres Tempo; bei dem Geräusch der Räder wandten die Vorübergehenden sich um, das Leder des zurückgeschlagenen Verdecks glänzte, der Diener saß in straffer Haltung, und die beiden Havaneser Hündchen nebeneinander sahen aus wie ein Hermelin-Muff, der auf dem Polster lag. Frédéric ließ sich von den Federn wiegen. Die Marschallin wandte den Kopf lächelnd nach rechts und links. Ihr Hut von glänzendem Stroh hatte eine Garnitur von schwarzen Spitzen. Die Kapuze ihres Umhanges flatterte im Winde, und sie schützte sich unter einem Sonnenschirm von lila Atlas, der oben wie eine Pagode in eine Spitze auslief, vor der Sonne.

»Welche süßen kleinen Fingerchen!« sagte Frédéric und nahm sanft ihre andere Hand, die linke, die mit einem goldenen Armband in Gestalt einer Kette geschmückt war. »Das ist reizend; woher ist es?«

»O! ich habe es schon sehr lange,« sagte die Marschallin.

Der junge Mann wandte nichts gegen diese heuchlerische Antwort ein. Er wollte lieber »die Situation ausnutzen«. Und indem er ihr Handgelenk immer noch hielt, drückte er seine Lippen zwischen Handschuh und Manschette darauf.

»Lassen Sie das, man sieht uns noch!«

»Ach! was tut das!«

Hinter der Place de la Concorde bogen sie zum Quai de la Conférence und dem Quai de Billy ein, wo man eine Zeder in einem Garten sah. Rosanette glaubte, daß der Libanon in China liege; sie lachte selbst über ihre Unwissenheit und bat Frédéric, ihr Geographiestunden zu geben. Dann ließen sie den Trocadéro zur Linken liegen, fuhren über den Pont d'Jéna und hielten mitten auf dem Champ de Mars neben anderen Wagen, die schon an der Rennbahn standen.

Die Rasenhügel waren von kleinen Leuten besetzt. Man sah Neugierige auf dem Balkon der Militärschule; und die beiden Pavillons außerhalb des Rennplatzes, zwei Tribünen innerhalb desselben und eine dritte vor der des Königs waren mit einer eleganten Menge angefüllt, die durch ihre Haltung ein besonderes Interesse für dieses noch neue Vergnügen verriet. Das Publikum der Rennen, die zu jener Zeit etwas Besonderes waren, hatte ein weniger gewöhnliches Aussehen; es war die Epoche der Hosenstege, der Samtkragen und der weißen Handschuhe. Die Frauen, in leuchtende Farben gekleidet, trugen Kleider mit langen Taillen, und auf den Stufen der Estraden, wo sie saßen, sahen sie aus wie mächtige Blumenmassen, zwischen denen die dunkeln Anzüge der Herren hier und dort schwarze Tupfen bildeten. Aber aller Blicke wandten sich dem berühmten Algerier Bou-Maza zu, der reglos zwischen zwei Stabsoffizieren auf einer besonderen Tribüne saß. Diejenige des Jockey-Klubs war ausschließlich von älteren Herren besetzt. Die größten Enthusiasten hatten unten an der Rennbahn Platz genommen, die durch zwei Reihen mit Stricken verbundener Pfähle geschützt war; in dem ungeheuren Oval, das diese Pfostenreihe beschrieb, ließen Lakritzenwasserhändler ihre Klappern rasseln, andere verkauften das Rennprogramm, wieder andere riefen Zigarren aus, ein vielstimmiges Gesumm erhob sich; die Polizisten gingen hin und her; eine Glocke, die an einem mit Zahlen bedeckten Pfahl hing, läutete. Fünf Pferde erschienen, und die Tribünen füllten sich wieder.

Allein schwere Wolkenmassen streiften die Wipfel der Ulmen vor ihnen. Rosanette fürchtete Regen.

»Ich habe Regenschirme,« sagte Frédéric, »und alles Nötige, sich zu zerstreuen,« fügte er hinzu und öffnete den Kasten, in dem sich der Korb mit Eßwaren befand.

»Bravo! wir verstehen uns!«

»Und werden uns bald noch besser verstehen, nicht wahr?«

»Es kann sein!« erwiderte sie errötend.

Die Jockeys in Seidenjacken versuchten ihre Pferde schnurgerade aufzustellen und hielten sie mit beiden Händen zurück. Eine rote Fahne wurde herabgelassen. Darauf neigten sich alle fünf über die Mähnen und trabten davon. Anfangs bildeten alle eine geschlossene Masse, aber bald schossen sie vorwärts und aneinander vorbei; der Jockey in der gelben Jacke wäre mitten im ersten Rennen beinahe gestürzt, lange schwankte es zwischen Filly und Tibi; dann kam Tom-Pouce an die Spitze; aber Clubstick, seit dem Start ganz hinten, holte sie ein und kam ihnen zuvor, indem er Sir Charles mit zwei Längen schlug; das war eine Überraschung; alles schrie durcheinander; die Bretterhallen erzitterten unter dem Geschrei und Gestampfe.

»Wie amüsant das ist!« sagte die Marschallin, »ich liebe dich, mein Schatz.«

Frédéric zweifelte nicht länger an seinem Erfolg; dieses letzte Wort Rosanettes bestätigte es ihm.

Hundert Schritte von ihm erschien in einem vierrädrigen Kabriolett eine Dame. Sie bog sich über den Wagenschlag und sank rasch wieder zurück; das wiederholte sich mehrmals, doch Frédéric vermochte ihr Gesicht nicht zu erkennen. Ein Argwohn stieg in ihm auf, er meinte, es sei Madame Arnoux. Allein das war ja unmöglich! Warum sollte sie hier sein?

Unter dem Vorwand, sich auf der Rennbahn umschauen zu wollen, stieg er aus dem Wagen.

»Sie sind nicht sehr galant!« sagte Rosanette.

Er hörte nichts und ging weiter. Das Kabriolett wandte sich um und fuhr im Trabe davon.

Im selben Augenblick wurde Frédéric von Cisy erwischt.

»Guten Tag, Lieber! Wie geht es Ihnen! Hussonnet ist dort drüben. Hören Sie?«

Frédéric versuchte loszukommen, um das Kabriolett einzuholen. Die Marschallin aber machte ihm ein Zeichen, zu ihr zurückzukehren. Cisy bemerkte sie und wollte sie durchaus begrüßen.

Seitdem er die Trauer um seine Großmutter abgelegt hatte, suchte er sein Ideal zu verwirklichen und »Eigenart« anzunehmen. Schottische Weste, kurzer Rock, breite Bandschleifen auf den eleganten Schuhen und die Eintrittskarte im Hutband, es fehlte tatsächlich nichts an seinem »Chic«, wie er es selbst nannte, einem übertriebenen, englischen, flotten Chic. Er begann damit, sich über den Champ de Mars als einen erbärmlichen Turf zu beklagen, sprach dann von den Rennen von Chantilly und den Streichen, die man sich dort erlaubte, schwor, zwölf Glas Champagner während genau zwölf Minuten trinken zu können, schlug der Marschallin vor, zu wetten, und streichelte sanft ihre beiden Hündchen. Und den einen Ellbogen auf den Wagenschlag gestützt, breitbeinig, den Knopf seines Stockes im Munde, fuhr er fort, seine Torheiten vorzubringen. Frédéric stand neben ihm und rauchte, während er zu entdecken suchte, was aus dem Kabriolett geworden war.

Als die Glocke ertönte, entfernte sich Cisy zur großen Freude von Rosanette, die er sehr langweilte, wie sie sagte.

Das zweite Rennen brachte nichts Besonderes, auch das dritte nicht, außer daß ein Mensch auf einer Tragbahre fortgebracht wurde. Das vierte, bei dem acht Pferde um den Preis der Stadt stritten, war interessanter.

Die Tribünenzuschauer waren auf die Bänke geklettert. Die andern folgten, in den Wagen stehend, mit Lorgnetten in den Händen, den Bewegungen der Jockeys, die man hintereinander als rote, gelbe, weiße und blaue Flecke längs der Menge sah, die die Bahn umschloß. Von fern machte ihre Schnelligkeit keinen besonderen Eindruck am andern Ende des Champs de Mars schienen sie sich sogar zu verlangsamen und nur durch ein Gleiten weiterzukommen, wobei der Bauch der Pferde den Boden berührte, ohne daß ihre gestreckten Beine sich bogen. Als sie aber sehr schnell umkehrten, sahen sie größer aus; ihr Lauf durchschnitt die Luft, der Boden zitterte und die Kiesel flogen; der Wind, der sich in den Jacken der Jockeys fing, blähte sie wie Flügel; mit heftigen Peitschenhieben trieben sie ihre Tiere an, um den Pfahl zu erreichen, der das Ziel bezeichnete. Die Nummern wurden entfernt, eine andere aufgezogen; und mitten unter Beifallklatschen schleppte das siegreiche Pferd sich schweißtriefend mit steifen Gelenken und geneigtem Halse bis zum Wiegeplatz, während sein Reiter sich, wie in den letzten Zügen, im Sattel die Seiten hielt.

Ein Streit verzögerte das letzte Rennen. Die Menge langweilte und zerstreute sich. Männer plauderten in Gruppen unten an den Tribünen. Man redete ungeniert. Damen der guten Gesellschaft, über die Nachbarschaft von Loretten empört, fuhren davon.

Es waren auch Berühmtheiten der öffentlichen Bälle, Schauspielerinnen der Boulevardtheater anwesend; – und es waren nicht immer die schönsten, denen die meisten Huldigungen dargebracht wurden. Die alte Georgine Aubert, die ein Verfasser von Vaudevilles den Ludwig XI. der Prostitution genannt hatte, lag furchtbar geschminkt und von Zeit zu Zeit eine Art grunzendes Lachen ausstoßend, lang ausgestreckt und wie mitten im Winter in einen Marderpelzkragen gehüllt, in ihrer langen Kalesche. Madame de Remoussot, durch ihren Prozeß in Mode gekommen, thronte in Gesellschaft von Amerikanern auf dem Bock eines Break, und Therese Bachelu, mit der Miene einer Madonna, füllte mit ihren Dutzenden von Falbeln das Innere des Wagens, der anstatt der Schutzdecke eine Jardiniere voller Rosen hatte. Die Marschallin war eifersüchtig auf diesen Glanz; um bemerkt zu werden, begann sie mit lebhaften Gebärden und sehr laut zu sprechen.

Einige Herren erkannten sie wieder und grüßten sie. Sie erwiderte die Grüße und nannte Frédéric ihre Namen. Es waren alles Grafen, Vicomtes, Herzöge und Marquis; es schmeichelte ihm, denn die Blicke jener verrieten einen gewissen Respekt vor seinem glücklichen Los.

Cisy sah in dem Kreise von würdigen Männern, der ihn umgab, nicht minder glücklich aus. Sie lachten nachsichtig, wenn sie sich über ihn lustig machten, schließlich reichte er dem Ältesten die Hand und ging auf die Marschallin zu.

Sie aß mit gezierter Gier eine Scheibe Leberpastete; Frédéric machte es ihr aus Gefälligkeit nach und hielt eine Flasche Wein auf den Knien.

Das Kabriolett erschien abermals, es war Madame Arnoux. Sie wurde außerordentlich blaß.

»Gib mir Champagner!« sagte Rosanette. Und ihr Glas möglichst hoch hebend, rief sie:

»Ein Hoch auf die anständigen Frauen, die Gattin meines Beschützers lebe hoch!«

Lachen ertönte um sie her; das Kabriolett verschwand. Frédéric zupfte sie am Kleide, er wollte aufbrausen. Aber Cisy stand in derselben Haltung da wie vorher, und in wachsender Dreistigkeit lud er Rosanette zum selben Abend zum Diner ein.

»Unmöglich!« erwiderte sie. »Wir gehen zusammen ins Café Anglais.«

Frédéric blieb stumm, als hätte er nichts gehört, und Cisy verließ die Marschallin mit enttäuschter Miene.

Während er, am rechten Wagenschlag stehend, mit ihr sprach, war Hussonnet von der linken Seite gekommen und hatte das Wort Café Anglais aufgefangen.

»Das ist ein hübsches Etablissement! Ob man da wohl etwas essen soll?« sagte er.

»Wie Sie wollen,« sagte Frédéric, der, in die Ecke des Wagens gedrückt das Kabriolett am Horizont verschwinden sah und das Gefühl hatte, als wäre etwas Unersetzliches verloren und seine große Liebe für immer vorbei. Und da neben ihm saß die andere, fröhlich und leichtherzig! Aber abgespannt, voll widersprechender Wünsche, wußte er nicht mehr, was er wollte, und empfand nur eine maßlose Traurigkeit und Lebensüberdruß.

Ein lautes Geräusch von Schritten und Stimmen veranlaßte ihn, den Kopf zu heben; Straßenjungen stiegen über die Stricke der Rennbahn, um die Tribünen anzusehen, die man verlassen hatte. Einige Regentropfen fielen. Das Gedränge der Wagen wurde größer. Hussonnet war verschwunden.

»Um so besser!« sagte Frédéric.

»Du ziehst es vor, allein zu sein?« erwiderte die Marschallin und legte ihre Hand auf die seine.

Nun kam ein prachtvoller Landauer mit spiegelndem Kupfer und Stahl an ihnen vorüber, mit vier Pferden à la Daumont bespannt und von zwei Jockeys in Samtwämsern mit goldenen Fransen gelenkt. Madame Dambreuse saß neben ihrem Gatten, Martinon gegenüber auf dem andern Sitz; alle drei machten erstaunte Gesichter.

»Sie haben mich erkannt!« sagte sich Frédéric.

Rosanette wollte halten lassen, um das Vorbeifahren der Wagen besser zu sehen. Aber Madame Arnoux konnte sich wieder zeigen. Er rief daher dem Kutscher zu:

»Vorwärts! Vorwärts! Weiter!«

Und der Wagen stürmte auf die Champs-Elysées zu, mitten zwischen den anderen Gefährten, Kaleschen, Britschkas, Tandems, Tilburys, Dog-carts, Kremsern mit Schutzleder, in denen Arbeiter lustig sangen, Einspännern, von Familienvätern mit Vorsicht selber gefahren. In offenen Wagen, mit Menschen vollgepfropft, ließen einige junge Leute, die auf den Füßen der anderen saßen, ihre Beine hängen. In großen Coupés mit Tuchsitzen fuhren vornehme Damen, nachlässig zurückgelehnt. Indessen wurde der Platzregen stärker. Regenschirme, Sonnenschirme, Gummimäntel wurden hervorgeholt, man rief sich von weitem zu: »Guten Tag!« – »Geht's gut?« – »Ja!« – »Nein!« – »Bis nachher!« und die Gesichter folgten einander mit einer Geschwindigkeit wie im chinesischen Schattenspiel. Frédéric und Rosanette unterhielten sich nicht mehr, da dieses unausgesetzte Vorüberrollen sie schließlich ermüdete.

Für Augenblicke mußten die Wagenreihen, allzusehr zusammengedrängt, anhalten. Dann blieb einer neben dem andern stehen, und man sah sich prüfend an. Über wappengeschmückte Wagenschläge hinweg fielen gleichgiltige Blicke auf die Menge; Augen voll Neid funkelten aus dem Innern der Droschken; verächtliches Lächeln antwortete auf hochmütige Gebärden; mit offenem Mund drückten andere einfältige Bewunderung aus, und hier und da sprang mitten auf der Landstraße ein Spaziergänger mit einem Satz zurück, um einem Reiter auszuweichen, der zwischen die Wagen galoppierte und wieder herauszukommen versuchte. Dann setzte sich alles wieder in Bewegung, die Kutscher lockerten die Zügel und senkten ihre langen Peitschen; die Pferde schüttelten neu belebt ihre Mähnen und warfen Schaum um sich, während die Kruppen und Geschirre in dem Wasserdunst dampften, den die Strahlen der untergehenden Sonne durchbrachen. Unter dem Arc de Triomphe sammelte sich in Manneshöhe ein rötliches Licht, in dem die Radspeichen, die Wagengriffe, die Deichselspitze, die Sattelringe funkelten; und auf beiden Seiten der Avenue – einem Sterne gleich, auf dem Mähnen, Kleider, Menschenköpfe hinfluteten – erhoben sich die vom Regen schimmernden Bäume wie zwei grüne Mauern. Das Blau des Himmels droben, das hier und da hervorblickte, hatte die Zartheit von Atlas.

Frédéric erinnerte sich nun der fernen Tage, an denen er das unaussprechliche Glück ersehnt hatte, sich in einem dieser Wagen zur Seite einer dieser Frauen zu sehen. Jetzt besaß er dieses Glück und war darum nicht froher.

Der Regen hatte aufgehört. Die Fußgänger, die zwischen den Säulen des »Garde-Meubles« Zuflucht gesucht hatten, gingen weiter. Spaziergänger schlenderten von der Rue Royale den Boulevard hinauf. Auf den Stufen vor dem Auswärtigen Amt saß eine Reihe Müßiggänger.

Bei den chinesischen Bädern verlangsamte der Wagen seine Fahrt, da Löcher im Pflaster waren. Ein Mann in haselnußfarbenem Paletot ging dicht am Rande des Trottoirs. Etwas Straßenschmutz, der unter den Federn aufspritzte, traf ihn am Rücken. Der Mann drehte sich wütend um. Frédéric wurde bleich; er hatte Deslauriers erkannt.

An der Tür des Café Anglais schickte er den Wagen fort. Rosanette war vor ihm hineingegangen, während er den Kutscher bezahlte.

Er holte sie auf der Treppe wieder ein, wo sie mit einem Herrn plauderte. Frédéric nahm ihren Arm. Aber mitten im Korridor hielt sie ein zweiter Herr an.

»Geh nur!« sagte sie, »ich komme gleich nach!«

Und er trat allein in das Kabinett. Durch die beiden offenen Fenster sah man gegenüber Leute an den Fenstern der Häuser. Breite Wasserrinnen kräuselten sich auf dem trocknenden Asphalt, und eine Magnolia auf dem Rande des Balkons sandte balsamischen Duft ins Zimmer. Dieser Wohlgeruch und die Frische draußen beruhigten seine Nerven; er sank auf den roten Diwan unter dem Spiegel.

Die Marschallin kam herein und küßte ihn auf die Stirn.

»Hast du Kummer, mein armer Junge?«

»Vielleicht!« erwiderte er.

»Du bist nicht der einzige, weißt du!« Was soviel heißen sollte: »Mag jeder den seinen in einer gemeinsamen Glückseligkeit vergessen!«

Dann steckte sie einen Blumenstengel zwischen die Lippen und bot sie ihm zum Kusse dar. Diese Bewegung von einer Grazie und fast lasziven Weichheit rührte Frédéric.

»Warum machst du mir Kummer?« sagte er und dachte an Madame Arnoux.

»Ich Kummer?«

Und vor ihm stehend, mit gerunzelten Brauen, die Hände auf seine Schultern gelegt, blickte sie ihn an.

All seine Tapferkeit, all sein Groll verwandelte sich in bodenlose Schwäche.

Er erwiderte:

»Weil du mich nicht lieben willst!« und zog sie auf seine Knie.

Sie ließ es geschehen, er umschlang ihre Taille mit beiden Armen; das Rascheln ihres Seidenkleides erregte ihn.

»Wo sind sie?« hörte man Hussonnet im Korridor fragen.

Die Marschallin erhob sich jäh und ging ans andere Ende des Zimmers, wo sie der Tür den Rücken zukehrte.

Sie verlangte Austern und sie setzten sich.

Hussonnet war nicht unterhaltend. Da er täglich über allerlei Dinge schreiben mußte, viele Zeitungen lesen, viele Diskussionen anhören und Paradoxe aufstellen, um zu verblüffen, hatte er schließlich das sichere Urteil verloren, da seine eigenen schwächlichen Sensationsnachrichten ihn verblendeten. Die Mühen eines früher bequemen, jetzt erschwerten Lebens hielten ihn in fortwährender Anspannung; und der Mangel an Erfolg, den er sich nicht eingestehen wollte, machte ihn bissig und sarkastisch. Im Gespräch über ein neues Ballet »Ozai« ereiferte er sich über den Tanz, und dann über die Oper, die Italiener, die jetzt durch eine Truppe spanischer Schauspieler ersetzt waren, »als ob man die Kastilier nicht satt hätte!« Frédéric mit seiner romantischen Liebe für Spanien verletzte das; und um die Unterhaltung abzubrechen, erkundigte er sich nach dem Collège de France, aus dem Edgar Quinet und Mickiewicz eben ausgestoßen waren. Aber Hussonnet, der ein Verehrer von de Maistre war, erklärte sich für die Autorität und den Spiritualismus. Dabei bezweifelte er die erwiesenen Tatsachen, bestritt die Geschichte und stellte die positivsten Dinge in Abrede, ging selbst so weit, bei dem Wort Geometrie auszurufen: »Welch ein Schwindel ist die Geometrie!« Und alles dies mit der Pose eines Schauspielers. Hauptsächlich war Sainville sein Modell. Diese Torheiten langweilten Frédéric tödlich. In einer ungeduldigen Bewegung traf er eins der Hündchen unter dem Tisch mit seinem Stock.

Alle beide begannen auf fürchterliche Art zu kläffen.

»Sie müssen Sie fortbringen lassen!« sagte er barsch.

Rosanette wollte sie niemand anvertrauen.

Da wandte er sich an den Bohémien.

»Nun, Hussonnet, opfern Sie sich!«

»Ach ja, mein Lieber! Das wäre sehr liebenswürdig!«

Hussonnet ging, ohne sich bitten zu lassen.

Wie sollte man seine Gefälligkeit belohnen? Frédéric dachte nicht weiter daran. Er begann sich wieder an dem tête-à-tête zu freuen, als ein Kellner eintrat.

»Madame, es wird nach Ihnen gefragt!«

»Wie! schon wieder?«

»Ich muß doch nachsehen!« sagte Rosanette.

Ihn dürstete, verlangte nach ihr. Dieses Verschwinden schien ihm wie eine Rücksichtslosigkeit, fast eine Roheit. Was sollte sie denn? war es nicht genug, Madame Arnoux beleidigt zu haben? Er bedauerte es übrigens nicht. Von jetzt an würde er alle Frauen hassen; und Tränen erstickten ihn, weil seine Liebe verkannt und seine Begierde so ungestillt war.

Die Marschallin kam wieder herein und stellte ihm Cisy vor.

»Ich habe den Herrn eingeladen. Es ist doch recht, nicht wahr?«

»Wie denn! gewiß!« Mit dem Lächeln eines zum Tode Verurteilten forderte Frédéric den Edelmann auf, sich zu setzen.

Die Marschallin überflog die Speisekarte und verfiel auf die bizarrsten Namen.

»Ob wir einen »Turban de Lapin à la Richelieu« essen und einen »Pudding à la d'Orléans?«

»O! keinen Orléans!« rief Cisy, der Legitimist war und witzig zu sein glaubte.

»Wollen Sie lieber eine Steinbutte à la Chambord?« erwiderte sie.

Diese Liebenswürdigkeit empörte Frédéric.

Die Marschallin entschied sich für einen einfachen Tournedos, Krebse, Trüffeln, Ananas-Salat und Sorbet à la Vanille.

»Das Übrige wird sich finden. Gehen Sie nur! Ach! ich vergaß! Bringen Sie mir eine Wurst! aber ohne Knoblauch!«

Und sie nannte den Kellner »junger Mann«, schlug mit ihrem Messer ans Glas, warf Brotkrumen an die Decke. Sie wollte gleich mit Burgunder anfangen.

»Man trinkt ihn nicht zum Beginn,« sagte Frédéric.

»Zuweilen doch, wie der Vicomte sagt.«

»O nein! niemals!«

»Freilich, ich versichere Sie!«

»Ah! Siehst du!«

Der Blick, mit dem sie diese Worte begleitete, sollte sagen: »Das ist ein reicher Mann, höre auf ihn!«

Indessen öffnete die Tür sich jeden Augenblick, die Kellner lärmten, und auf einem fürchterlichen Piano in dem Nebenkabinett paukte jemand einen Walzer. Dann kamen sie durch die Rennen auf die Reitkunst und ihre zwei entgegengesetzten Systeme zu sprechen. Cisy verteidigte Baucher, Frédéric den Comte d'Aure, bis Rosanette die Achseln zuckte und sagte:

»Genug, mein Gott! Er versteht sich besser darauf als du!«

Sie biß in einen Granatapfel, den Ellbogen auf den Tisch gestützt; die Kerzen in dem Kandelaber vor ihr flackerten im Luftzuge; das weiße Licht verlieh ihrer Haut schimmernde Töne, hauchte ihre Lider rosig an und machte ihre Augäpfel glänzen; die Röte der Frucht verschmolz mit dem Purpur ihrer Lippen, und ihre feinen Nasenflügel bebten; ihre ganze Person hatte etwas Trotziges, Trunkenes, übermütiges, das Frédéric im höchsten Maße abstieß und dennoch die tollste Begierde in seinem Herzen weckte.

Auf einmal fragte sie mit ruhiger Stimme, wem der große Landauer mit den kastanienbraunen Livreen gehöre.

»Der Komtesse Dambreuse,« erwiderte Cisy.

»Sie sind sehr reich, nicht wahr?«

»O! sehr reich! obwohl Madame Dambreuse, die ein ganz einfaches Fräulein Boutron, Tochter eines Präfekten, war, nur ein mäßiges Vermögen besaß.«

Ihr Mann dagegen würde mehrere Erbschaften machen. Cisy zählte sie auf; da er bei den Dambreuses verkehrte, kannte er ihre Verhältnisse.

Frédéric konnte nicht unterlassen, ihm zu widersprechen, um ihn zu ärgern. Er behauptete, daß Madame Dambreuse de Boutron heiße und verbürgte ihren Adel.

»Gleichviel! Aber ihre Equipage hätte ich gern!« sagte Rosanette und lehnte sich in ihren Fauteuil zurück.

Der Ärmel ihres Kleides, der ein wenig heraufglitt, enthüllte an ihrem linken Handgelenk ein Armband, das mit drei Opalen geschmückt war. Frédéric bemerkte es.

»Ei, sieh doch! aber ...«

Sie sahen sich alle drei an und erröteten.

Die Tür öffnete sich diskret, der Rand eines Hutes erschien, darauf das Profil Hussonnets.

»Verzeihung, wenn ich euch störe, ihr Verliebten!«

Aber erstaunt, Cisy zu sehen, der seinen Platz eingenommen hatte, hielt er inne.

Es wurde noch ein Gedeck gebracht; und da er großen Hunger hatte, nahm er aufs Geratewohl von den Resten der Mahlzeit, Fleisch von einer Schüssel, eine Frucht aus dem Obstkorbe, trank mit einer Hand und bediente sich mit der andern und erzählte dabei von seiner Mission. Die beiden Wauwaus wären nach Haus gebracht. Nichts Neues sei dort passiert. Er hätte die Köchin mit einem Soldaten gefunden, eine Lüge, die er nur erfunden hatte, um Eindruck zu machen.

Die Marschallin riß ihren Hut von dem Garderoben-Halter herab. Frédéric stürzte sich auf die Klingel und rief dem Kellner von weitem zu:

»Einen Wagen!«

»Ich habe meinen,« sagte der Vicomte.

»Aber!«

»Indessen!«

Sie sahen sich in die Augen, beide bleich und mit zitternden Händen.

Endlich nahm die Marschallin Cisys Arm und sagte, auf den Bohémien am Tisch weisend:

»Geben Sie acht auf ihn! er erstickt. Ich möchte nicht, daß seine Aufopferung für meine Köter ihm den Tod bringt.«

Die Tür fiel zu.

»Nun?« sagte Hussonnet.

»Nun, was?«

»Ich glaubte ...«

»Was glaubten Sie?«

»Wollten Sie nicht...?«

Er vervollständigte seinen Satz durch eine Geberde.

»O nein, nie im Leben!«

Hussonnet drang nicht weiter in ihn. Er hatte ein Ziel verfolgt, als er sich zum Diner einlud. Sein Blatt, das nicht mehr l'Art hieß, sondern le Flambard mit dem Motto: »Kanoniere, an eure Geschütze!« ging gar nicht, er hatte Lust, es in eine wöchentliche Revue umzuwandeln, aber allein, ohne Deslauriers Beihilfe. Er fing an von dem alten Projekt zu sprechen und setzte seinen Plan von neuem auseinander.

Frédéric, der ohne Zweifel nichts davon verstand, gab unbestimmte Antworten. Hussonnet raffte ein paar Zigarren vom Tisch, sagte: »Adieu! mein Lieber!« und verschwand.

Frédéric forderte die Rechnung. Sie war lang; und der Kellner wartete, die Serviette unterm Arm, auf sein Geld, als ein zweiter kam, ein fahler Mensch, der Ähnlichkeit mit Martinon hatte, und sagte:

»Verzeihung, im Kontor ist vergessen worden, die Droschke mitanzuschreiben.«

»Welche Droschke?«

»Die der Herr eben für die kleinen Hunde genommen hatte.«

Und der Kellner machte ein langes Gesicht, als bedauere er den armen jungen Mann. Frédéric hatte Lust, ihn zu ohrfeigen. Er ließ die zwanzig Francs, die er herausbekam, als Trinkgeld zurück.

»Danke, gnädiger Herr!« sagte der Kellner mit der Serviette mit einer tiefen Verbeugung.

Frédéric verbrachte den folgenden Tag damit, über seinen Zorn und seine Demütigung zu grübeln. Er machte sich Vorwürfe, Cisy nicht geohrfeigt zu haben. Die Marschallin schwor er, nicht wiederzusehen; es fehlte nicht an anderen, die ebenso schön waren; und da man Geld brauchte, um diese Frauen zu besitzen, wollte er an der Börse mit dem Erlös seines Landguts spielen; er würde reich werden und mit seinem Luxus die Marschallin und jedermann ausstechen. Als der Abend gekommen war, überraschte es ihn, daß er nicht an Madame Arnoux gedacht hatte.

»Umso besser! wozu auch?«

Am nächsten Tage, um acht Uhr, besuchte ihn Pellerin. Er begann mit Lobpreisungen auf seine Einrichtung und mit Schmeicheleien. Dann fragte er barsch:

»Sie waren Sonntag zum Rennen?«

»Ja, leider!«

Da fing der Maler an, über die Anatomie der englischen Pferde herzuziehen, pries die Pferde des Géricault und die Pferde des Parthénon. »Rosanette war mit Ihnen?« Und er begann schlau ihr Lob zu singen.

Die Kälte Frédérics brachte ihn aus der Fassung. Er wußte nicht, wie er es anfangen sollte, von dem Porträt zu sprechen.

Seine erste Absicht war gewesen, es im Stile Tizians zu malen. Allein nach und nach hatten ihn die verschiedenen Fleischtöne seines Modells verlockt, und er hatte frisch darauf los gearbeitet, Farbe auf Farbe, Licht auf Licht aufgesetzt. Rosanette war anfangs entzückt; durch ihre Zusammenkünfte mit Delmar aber wurden die Sitzungen unterbrochen und so Pellerin in seiner Verblendung bestärkt. Dann, nachdem die Begeisterung sich etwas gelegt hatte, fragte er sich, ob es seiner Malerei nicht an Größe fehle. Er hatte sich die Tizians wieder angesehen, sah den Unterschied ein und erkannte seinen Fehler, worauf er einfach begann, seine Konturen zu ändern. Daraus hatte er versucht, die Härten zu mildern und die Töne des Kopfes in die des Hintergrundes überfließen und sich verlieren zu lassen; und so hatten das Gesicht an Ausdruck, die Schatten an Tiefe gewonnen; alles erschien viel kräftiger. Dann endlich war die Marschallin wiedergekommen. Sie hatte sich sogar Einwendungen erlaubt, wogegen der Künstler sich natürlich verwahrte. Nach heftigen Ausbrüchen über ihren Unverstand hatte er sich gesagt, daß sie vielleicht recht haben könne. Und wieder kam eine Zeit der Zweifel und Unruhe über ihn, die Magenverstimmungen, Schlaflosigkeit, Fieber, Überdruß hervorriefen; er hatte es gewagt, zu ändern, aber ohne Lust und in dem Gefühl, daß seine Arbeit schlecht sei.

Er beklagte sich, daß er vom Salon zurückgewiesen worden war, und machte Frédéric dann Vorwürfe, daß er nicht gekommen war, sich das Bild der Marschallin anzusehen.

»Ich mache mir nichts aus der Marschallin!«

Eine solche Erklärung ermutigte ihn.

»Wollen Sie glauben, daß dieses Luder es nicht mehr will?«

Was er nicht sagte, war, daß er tausend Taler von ihr verlangt hatte. Die Marschallin habe sich gar nicht darum gekümmert, wer es bezahlen sollte, und da sie vorzog, Arnoux für dringendere Dinge heranzuziehen, ihm nicht einmal davon gesprochen.

»Nun, und Arnoux?« sagte Frédéric.

Sie hatte es ihm zugeschickt. Der ehemalige Bilderhändler aber wußte mit dem Porträt nichts anzufangen.

»Er bleibt dabei, daß es der Rosanette gehört.«

»Allerdings gehört es ihr.«

»Und gerade sie ist es, die mich zu Ihnen schickt!« entgegnete Pellerin.

Hätte er sein Bild für vorzüglich gehalten, so wäre es ihm vielleicht nicht eingefallen, es auszubeuten. Aber eine Summe (und eine beträchtliche Summe) würde ein Gegenbeweis der Kritik sein und eine Ermutigung für ihn. Um die Sache los zu sein, erkundigte Frédéric sich höflich nach seinen Bedingungen.

Die übertriebene Höhe der Zahl empörte ihn, er erwiderte:

»Nein, o nein!«

»Sie sind aber doch ihr Liebhaber, Sie haben das Bild bei mir bestellt!«

»Erlauben Sie, ich war der Vermittler!«

»Aber es kann mir doch nicht auf dem Halse bleiben!« Der Künstler war entrüstet.

»Ah! ich hielt Sie nicht für so geldgierig!«

»Noch ich Sie für so geizig! Ihr Diener!«

Eben war er gegangen, als Sénécal sich einstellte.

Frédéric war verstimmt und machte eine ungeduldige Bewegung.

»Was gibt's?«

Sénécal erzählte seine Geschichte.

»Am Sonnabend gegen neun Uhr hatte Madame Arnoux einen Brief erhalten, der sie nach Paris rief; da zufällig niemand da war, einen Wagen aus Creil zu holen, wollte sie gern, daß ich es tun sollte. Ich habe mich geweigert, denn das gehört nicht zu meinen Obliegenheiten. Sie ist fortgefahren und Sonntag abend zurückgekehrt. Gestern morgen erscheint Arnoux plötzlich in der Fabrik. Die Bordelaisin hat sich beklagt. Ich weiß nicht, was zwischen ihnen vorgeht, aber er hat vor allen andern ihre Strafe aufgehoben. Wir haben heftige Worte miteinander gewechselt. Kurz, er hat mich entlassen, und hier bin ich!«

Dann fügte er mit Nachdruck hinzu:

»Übrigens bereue ich es nicht; ich habe meine Pflicht erfüllt. Es geschah Ihretwegen.«

»Wie?« rief Frédéric in der Furcht, Sénécal könnte ihn durchschaut haben.

Sénécal hatte nichts durchschaut, denn er erwiderte:

»Das heißt, daß ich ohne Sie vielleicht Besseres gefunden hätte.«

Frédéric empfand eine Art Gewissensbisse.

»Womit kann ich Ihnen jetzt helfen?«

Sénécal verlangte irgendeine Beschäftigung, eine Stellung.

»Das ist Ihnen ein leichtes. Sie kennen so viele Leute, Monsieur Dambreuse unter anderen, wie mir Deslauriers gesagt hat.«

Diese Zumutung Deslauriers' war Frédéric unangenehm. Es lag ihm nach der Begegnung auf dem Champ de Mars nicht sehr viel daran, wieder zu Dambreuse zu gehen.

»Ich bin nicht intim genug in dem Hause, um jemand zu empfehlen.«

Der Demokrat nahm diese abschlägige Antwort stoisch auf und sagte nach einer Minute des Schweigens: »Alles dies kommt sicher durch diese Bordelaisin und auch Ihre Madame Arnoux.«

Dieses Ihre nahm Frédéric den Rest guten Willens, den er noch im Herzen bewahrte. Aus Zartgefühl indessen holte er den Schlüssel zu seinem Schreibtisch.

Sénécal kam ihm zuvor.

»Danke!«

Dann vergaß er sein Mißgeschick und sprach über die Zustände im Lande, die Ehrenkreuze, die am Geburtstage des Königs so verschwenderisch verliehen wurden, einen Kabinettswechsel, den Prozeß Drouillard und Bénier, von Skandalen des Tages, schimpfte über die Bürger und prophezeite eine Revolution.

Eine japanische Waffe, die an der Wand hing, zog seine Blicke auf sich. Er nahm sie, versuchte den Griff und warf sie dann mit einer Miene von Geringschätzung auf den Diwan.

»Also, leben Sie wohl! Ich muß nach Notre-Dame de Lorette.«

»So! Wozu?«

»Heute ist die Jahresfeier für Godefroy Cavaignac. Er ist für das Werk gestorben. Aber noch ist nicht alles verloren! ... Wer weiß?«

Und Sénécal reichte ihm entschlossen die Hand.

»Wir sehen uns vielleicht nie wieder! Leben Sie wohl!«

Dieses zweimal wiederholte »Leben Sie wohl«, die düstere Miene, als er den Dolch betrachtete, seine Resignation und vor allem seine Feierlichkeit machten Frédéric nachdenklich, bald aber vergaß er es wieder.

In derselben Woche sandte ihm sein Notar aus Havre die Summe für sein Landgut, hundertvierundsiebzigtausend Francs. Er teilte sie, legte die eine Hälfte in Staatspapieren an und brachte die andere zu einem Wechselmakler, um an der Börse damit zu spekulieren.

Er aß in den gesuchtesten Restaurants, ging häufig ins Theater und bemühte sich, sich zu zerstreuen, als Hussonnet ihm einen Brief sandte, in dem er lustig erzählte, daß die Marschallin Cisy am Tage nach dem Rennen wieder verabschiedet habe. Frédéric freute sich darüber, ohne zu überlegen, warum der Bohemien ihm das mitteilte.

Der Zufall wollte, daß er Cisy drei Tage später begegnete. Der Gentleman verlor seine Fassung nicht und lud ihn sogar für den folgenden Mittwoch zum Diner ein.

Am Morgen dieses Tages erhielt Frédéric vom Gerichtsboten eine Zustellung, in der Monsieur Charles-Jean-Baptiste Oudry ihm mitteilte, daß er nach Gerichtsbeschluß Besitzer einer zu Belleville gelegenen Besitzung geworden sei, die dem Herrn Jacques Arnoux gehöre, und daß er bereit sei, die zweihundertzwanzigtausend Francs als Betrag des Verkaufspreises zu zahlen. Wie jedoch aus denselben Akten hervorgehe, übersteige die Summe der Hypotheken, da das Grundstück belastet sei, den Kaufpreis, und somit sei Frédérics Schuldforderung vollständig verloren.

Das ganze Unheil käme daher, daß er nicht rechtzeitig eine hypothekarische Eintragung vorgenommen habe. Arnoux habe diese Sache übernommen, sie aber dann vergessen. Frédéric war über ihn aufgebracht, doch als sein Ärger verrauchte:

»Übrigens ... meinetwegen! Wenn es ihn retten kann, um so besser! ich sterbe nicht daran! pfeifen wir darauf!«

Aber als er seine Papiere von dem Tische nahm, fiel ihm Hussonnets Brief wieder in die Hände, und er bemerkte die Nachschrift, die er das erste Mal ganz übersehen hatte. Der Bohémien bat ihn geradeheraus um fünftausend Francs, um die Zeitungsangelegenheit in Gang zu bringen.

»Ah, der Mensch ist widerwärtig!«

Und er schlug es schroff in einem lakonischen Billet ab. Darauf kleidete er sich an, um sich in die Maison-d'or zu begeben.

Cisy stellte seine Gäste vor, indem er mit dem ehrwürdigsten, einem dicken Herrn mit weißem Haar, begann:

»Marquis Gilbert des Aulnays, mein Pate. Monsieur Anselme de Forchambeaux,« sagte er darauf (dieser war ein junger, blonder, schmächtiger, bereits kahlköpfiger Mann); dann auf einen Vierziger von einfachen Manieren weisend: »Joseph Boffreu, mein Vetter; und hier mein alter Professor Monsieur Vezou,« der halb wie ein Fuhrmann, halb wie ein Seminarist aussah, mit starkem Backenbart und einem langen Rock, der unten mit einem einzigen Knopf geschlossen war.

Cisy erwartete noch jemand, den Baron de Comaing, »der vielleicht noch kommt, doch ist es nicht sicher«. Alle Augenblicke ging er hinaus, schien unruhig; endlich, um acht Uhr, gingen sie in einen Saal, der prächtig erleuchtet, aber für die Zahl der Gäste viel zu geräumig war. Cisy hatte ihn eigens seiner Pracht halber gewählt.

Ein silberner Tafelaufsatz, mit Blumen und Früchten beladen, nahm die Mitte der Tafel ein, die nach altem französischen Brauch mit Silbergerät reich besetzt war; längliche Schüsseln mit Radieschen, Eingesalzenem und Gewürzen umrahmten sie; Krüge mit rosenrotem Wein, in Eis gekühlt, standen in gleichen Abständen voneinander; fünf Gläser von verschiedener Höhe reihten sich vor jedem Gedeck mit allerlei wunderlichen Dingen, tausend sinnreichen Speisegeräten, deren Gebrauch man nicht kannte. Als ersten Gang gab es: Störkopf in Champagner; Yorker Schinken in Tokayer, gebackene Krammetsvögel, gebratene Wachteln, eine Pastete Béchamel, ein Ragout von Rebhühnern und dazu noch Kartoffeln mit Trüffeln vermischt. Ein Kronleuchter und Kandelaber erhellten den Raum, der in rotem Damast gehalten war. Vier Diener in schwarzem Frack standen hinter den Saffianfauteuils. Bei diesem Anblick sprachen die Gäste, besonders der Hofmeister, laut ihre Bewunderung aus.

»Unser Gastgeber hat sich selbst überboten, auf mein Wort! Das ist zu schön!«

»Dies?« sagte der Vicomte de Cisy, »ach, gehen Sie!«

Und nach dem ersten Löffel:

»Nun, mein alter des Aulnays, sind Sie schon im Palais Royal gewesen, um Père Portieret zu sehen?«

»Du weißt doch, daß ich keine Zeit habe!« erwiderte der Marquis.

Seine Vormittage waren von einem Kursus über Baumzucht in Anspruch genommen, seine Abende durch einen landwirtschaftlichen Verein und alle seine Nachmittage durch Studien in den Fabriken für Ackerbaugeräte. Er wohnte drei Viertel des Jahres in la Saintonge und benutzte seine Reisen in die Hauptstadt, um sich zu unterrichten; und sein breitkrempiger Hut, der aus einer Konsole lag, war mit Broschüren angefüllt.

Cisy bemerkte, daß Monsieur de Forchambeaux den Wein zurückwies.

»Trinken Sie doch, zum Donnerwetter! Für Ihr letztes Junggesellenmahl sind Sie nicht flott genug!«

Bei diesem Wort verneigten sich alle und beglückwünschten ihn.

»Und die junge Dame«, sagte der Hofmeister, »ist sicherlich reizend!«

»Gewiß!« rief Cisy. »Er hat aber doch unrecht; es ist so töricht zu heiraten!«

»Du sprichst leichtfertig, mein Freund!« entgegnete Monsieur des Aulnays, dem bei der Erinnerung an seine verstorbene Frau eine Träne im Auge schimmerte.

Und Forchambeaux wiederholte mehrmals höhnisch:

»Sie kommen auch noch dahin, Sie kommen auch noch dahin!«

Cisy protestierte. Er zöge es vor, sich zu amüsieren, »ausschweifend zu sein«. Er wollte das Boxen erlernen, um die Gaunerkneipen der Stadt zu besuchen, wie Prinz Rudolf in den »Geheimnissen von Paris«. Er zog eine kleine Pfeife aus der Tasche, fuhr die Diener an, trank übermäßig; und um zu imponieren, tadelte er alle Gerichte. Er schickte sogar die Trüffeln zurück, und der Hofmeister, der sich daran delektierte, sagte boshaft:

»Das wiegt die geschlagenen Eier Ihrer Frau Großmutter nicht auf!«

Dann fing er wieder an, sich mit seinem Vetter, dem Landwirt, zu unterhalten, der in dem Landaufenthalt viele Vorteile sah, wären es auch nur die, seine Töchter in einfachem Geschmack erziehen zu können. Der Hofmeister pflichtete diesen Ideen bei und schmeichelte ihm in unwürdiger Weise, da er vermutete, daß er Einfluß auf seinen Schüler ausüben könne, dessen Verwalter zu werden er heimlich hoffte.

Frédéric war verstimmt zu Cisy gekommen! jedoch seine Albernheit hatte ihn entwaffnet. Aber seine Gebärden, sein Gesicht, seine ganze Person, die ihn an das Diner im Café Anglais erinnerten, reizten ihn mehr und mehr; und er hörte den unfreundlichen Bemerkungen zu, die der Vetter Joseph, ein braver Bursche ohne Vermögen, Jagdliebhaber und Stipendiat, mit halber Stimme machte. Cisy nannte ihn scherzend einigemal »Dieb«, dann plötzlich rief er:

»Ah! der Baron!«

Ein lustiger Patron von dreißig Jahren, mit einer gewissen Roheit in den Zügen und geschmeidigen Gliedern, den Hut auf dem Ohr und eine Blume im Knopfloch, trat herein. Er war das Ideal des Vicomte, der entzückt war, ihn dazuhaben, und durch seine Anwesenheit angeregt, versuchte er sogar ein Wortspiel zu machen, als ein Coq de Bruyère gereicht wurde.

»Dies ist der beste aller ›Charaktere‹ von la Bruyère.«

Er richtete, eine Menge Fragen über der Gesellschaft unbekannte Personen an Monsieur de Comaing, dann sagte er, wie wenn ihm plötzlich etwas einfiele:

»Sagen Sie, haben Sie an mich gedacht?«

Der andere zuckte die Achseln.

»Sie haben nicht das Alter, mein Junge, unmöglich.«

Cisy hatte ihn gebeten, ihn in seinen Klub aufnehmen zu lassen. Aber der Baron schien Mitleid mit seiner Eigenliebe zu haben:

»Ah! ich vergaß! Tausend Glückwünsche zu Ihrer Wette, mein Lieber!«

»Welcher Wette?«

»Die Sie beim Rennen machten, an demselben Abend zu jener Dame zu gehen.«

Frédéric hatte ein Gefühl wie von einem Peitschenschlag. Er beruhigte sich jedoch beim Anblick von Cisys fassungslosem Gesicht.

In der Tat hatte die Marschallin es am nächsten Tag bereut, als Arnoux, ihr erster Liebhaber, sich am selben Tag einfand. Alle beide hatten dem Vicomte zu verstehen gegeben, daß er »störe«, und hatten ihn ohne große Umstände an die Luft gesetzt.

Er tat, als habe er nichts gehört. Der Baron fuhr fort:

»Wie geht's ihr, der guten Rose? ... hat sie noch so schöne Beine?« und gab durch diese Bemerkung zu verstehen, daß er sie intim kannte.

Frédéric ärgerte diese Entdeckung.

»Da ist nichts zu erröten,« begann der Baron wieder, »es ist eine gute Sache!«

Cisy schnalzte mit der Zunge.

»Ach! nicht weit her!«

»Aber nein!«

»Mein Gott ja! Erstlich finde ich sie nicht besonders, und dann kann man von dieser Sorte haben, soviele man will, denn schließlich ... ist sie ja käuflich!«

»Nicht für jedermann!« entgegnete Frédéric scharf.

»Er hält sich für besser als andere,« fiel Cisy ein, »sehr gut!«

Lachen ertönte ringsum.

Frédéric fühlte sein Herz zum Ersticken klopfen. Er stürzte zwei Glas Wasser hintereinander hinunter.

Aber der Baron hatte Rosanette noch in gutem Andenken.

»Lebt sie noch immer mit einem gewissen Arnoux?«

»Ich weiß nichts davon,« sagte Cisy. »Ich kenne diesen Herrn nicht!«

Nichtsdestoweniger behauptete er, daß er eine Art Betrüger sei.

»Bitte!« rief Frédéric.

»Ganz gewiß! Er hat sogar einen Prozeß gehabt.«

»Das ist nicht wahr!«

Frédéric begann Arnoux zu verteidigen. Er stand für seine Rechtschaffenheit ein, glaubte schließlich selber daran, erfand Zahlen, Beweise. Der Vicomte, der entrüstet und außerdem betrunken war, hielt an seiner Behauptung fest, so daß Frédéric ernst zu ihm sagte:

»Wollen Sie mich damit beleidigen, mein Herr?«

»O! durchaus nicht! Ich gebe selbst zu, daß etwas sehr Gutes an ihm ist: seine Frau.«

»Sie kennen sie?«

»Mein Gott! Sophie Arnoux, jedermann kennt sie doch!«

»Was Sie sagen!«

Cisy, der sich erhoben hatte, wiederholte stammelnd:

»Jedermann kennt sie doch!«

»Schweigen Sie! Sie gehört nicht zu den Damen, mit denen Sie verkehren!«

»Ich schmeichle mir ...«

Frédéric warf ihm seinen Teller ins Gesicht.

Er flog wie ein Blitz über den Tisch, warf zwei Weinflaschen um, zertrümmerte eine Kompotschüssel und traf, am Tafelaufsatz in drei Stücke zerbrechend, den Vicomte.

Alle erhoben sich, um ihn zurückzuhalten. Er sträubte sich, von einer Art Raserei ergriffen. Monsieur des Aulnays wiederholte:

»Beruhigen Sie sich! Hören Sie, liebes Kind!«

»Aber das ist ja abscheulich!« schrie der Hofmeister zornig.

Forchambeaux wurde erdfahl und zitterte; Joseph lachte schallend; die Kellner wischten den Wein auf, sammelten die Scherben vom Boden, und der Baron schloß das Fenster, denn der Lärm konnte trotz des Wagengerassels auf dem Boulevard gehört werden.

Da alle in dem Augenblick, als der Teller geschleudert wurde, durcheinander sprachen, war es unmöglich, die Ursache dieser Beleidigung zu entdecken, ob es sich um Arnoux, Madame Arnoux, Rosanette oder einen andern gehandelt hatte. Gewiß war nur die unqualifizierbare Brutalität Frédérics; er weigerte sich entschieden, die geringste Reue darüber zu zeigen.

Monsieur des Aulnays versuchte ihn zu besänftigen, ebenso der Vetter Joseph, der Hofmeister, selbst Forchambeaux. Der Baron tröstete indes Cisy, der infolge einer nervösen Schwäche Tränen vergoß. Frédéric wurde im Gegenteil immer gereizter, und sie wären bis zum Morgen dageblieben, wenn der Baron nicht, um ein Ende zu machen, gesagt hätte:

»Der Vicomte wird Ihnen morgen seine Sekundanten schicken, mein Herr.«

»Um welche Zeit?«

»Mittags, wenn es Ihnen recht ist.«

»Vollkommen.«

Draußen angelangt, atmete Frédéric tief auf. Zu lange schon hatte er sich Zwang angetan. Endlich durfte er sich gehen lassen; er empfand etwas wie Mannesstolz, eine überfülle innerer Kraft, die ihn berauschte. Er brauchte zwei Sekundanten. Der erste, an den er dachte, war Regimbart, und er begab sich sogleich in eine Wirtschaft in der Rue Saint-Denis. Die Ladentür war geschlossen. Aber hinter einer Scheibe über dem Eingang leuchtete es hell.

Sie öffnete sich, und indem er sich tief unter das Schutzdach bückte, trat er ein.

Eine Kerze am Rande des Zahltisches erhellte den leeren Raum. Alle Stühle waren mit den Füßen in der Luft auf die Tische gestellt. Der Wirt und die Wirtin nahmen mit dem Kellner ihre Abendmahlzeit in einem Winkel neben der Küche ein – und Regimbart, den Hut auf dem Kopf, teilte ihr Mahl und belästigte den Kellner, der gezwungen war, sich bei jedem Bissen ein wenig zur Seite zu wenden. Nachdem Frédéric ihm die Sache kurz erzählt hatte, bat er ihn um seinen Beistand. Der Citoyen antwortete anfangs nichts; er rollte die Augen, schien zu überlegen, ging mehrmals durch den Saal und sagte endlich: »Ja, gern!«

Und ein teuflisches Lächeln erhellte seine Züge, als er erfuhr, daß der Gegner ein Adliger sei.

»Wir werden ihn mit Sang und Klang abziehen lassen, seien Sie ruhig! Vor allem ... auf Degen ...«

»Aber vielleicht,« warf Frédéric ein, »habe ich nicht das Recht...«

»Ich sage Ihnen, Sie müssen Degen wählen!« entgegnete der Citoyen barsch. »Können Sie fechten?«

»Ein wenig!«

»Aha! ein wenig! so sind sie alle! Und dann haben Sie die Tollwut, anzugreifen? Welchen Zweck hat der Fechtboden? Hören Sie mich an: halten Sie sich stets in der richtigen Distanz und weichen Sie aus, weichen Sie aus, das ist gestattet! Ermüden Sie ihn! Dann machen Sie getrost einen Ausfall! Und sonst keine Hinterlist, keine Stöße à la Fougère! nein! einfach eins, zwei, die Klinge los! So, sehen Sie?« Und er drehte die Faust, wie um ein Schloß zu öffnen. – »Vater Vauthier, geben Sie mir Ihren Stock! So, der genügt!«

Er ergriff den Stab, der zum Anzünden der Gasflammen diente, bog den linken Arm rund, krümmte den rechten und begann Ausfälle gegen die Wand zu machen. Er stampfte mit dem Fuß auf, wurde hitzig, tat, als hätte er Schwierigkeiten zu überwinden, wobei er rief: »Da hast du's! Da hast du's!« und seine ungeheure Silhouette mit dem Hut, der bis an die Decke zu reichen schien, zeichnete sich auf der Wand ab.

Der Wirt rief von Zeit zu Zeit: »Bravo! Sehr gut!« Seine Frau bewunderte ihn, obwohl sie sehr aufgeregt war, ebenso; und Théodore, ein alter Soldat, der überdies für Regimbart schwärmte, saß wie angenagelt vor Staunen.

Früh am nächsten Morgen eilte Frédéric in das Magazin Dussardiers. Nach einer Flucht von Räumen, mit Stoffen angefüllt, die in Regalen oder quer über die Tische ausgebreitet lagen, während hier und da Schals auf Holzständern hingen, bemerkte er ihn in einem vergitterten, käfigartigen Raum, wo er, mitten unter Konto-Büchern stehend, an einem Pulte schrieb. Der brave Bursche verließ sofort seine Arbeit.

Die Sekundanten kamen am Vormittag. Frédéric glaubte aus Taktgefühl nicht an der Besprechung teilnehmen zu dürfen.

Der Baron und Monsieur Joseph erklärten, sich mit den einfachsten Entschuldigungen begnügen zu wollen. Regimbart aber, der das Prinzip hatte, niemals nachzugeben und darauf bestand, die Ehre Arnoux' zu verteidigen (Frédéric hatte nur davon gesprochen), forderte, daß der Vicomte sich entschuldige. Monsieur de Comaing war empört über diese Anmaßung. Der Citoyen aber wollte nicht davon abstehen. Da eine Versöhnung unmöglich war, sollten sie sich schlagen.

Andere Schwierigkeiten kamen dazu, denn die Wahl der Waffen stand rechtmäßig Cisy als dem Beleidigten zu. Aber Regimbart behauptete, daß er nach der Kartellordnung als der Beleidiger gelte. Cisys Sekundanten erhoben Einspruch, da eine Ohrfeige die grausamste aller Beleidigungen wäre. Der Citoyen widersprach dieser Anficht, da ein Stoß keine Ohrfeige sei. Schließlich kamen sie überein, sich bei einigen Militärs zu erkundigen, und die vier Sekundanten gingen, um sich in irgendeiner Kaserne mit Offizieren zu beraten.

Sie entschieden sich für die am Quai d'Orfay. Monsieur de Comaing setzte zwei Rittmeistern, die er angesprochen hatte, den Streit auseinander.

Durch die Zwischenbemerkungen des Citoyens verwirrt, verstanden die Rittmeister nicht das geringste. Sie rieten den Herren, alles zu Protokoll zu bringen, wonach sie sich entscheiden wollten. Alle begaben sich nun in ein Café, und um die Angelegenheit geheim zu halten, bezeichneten sie Cisy durch ein H und Frédéric durch ein K.

Dann kehrten sie in die Kaserne zurück. Die Offiziere waren ausgegangen. Sie kamen wieder und erklärten, daß die Wahl der Waffen offenbar Monsieur H zustehe. Alle gingen wieder zu Cisy. Regimbart und Dussardier blieben auf der Straße.

Als der Vicomte den Ausgang erfuhr, geriet er in eine so heftige Bestürzung, daß er ihm mehrmals wiederholt werden mußte; und als Monsieur de Comaing die Forderungen Regimbarts erwähnte, murmelte er ein »aber weshalb« und war nahe daran, ihm beizustimmen. Dann ließ er sich in einen Fauteuil fallen und erklärte, daß er sich nicht schlagen werde.

»Wie?« sagte der Baron.

Da überließ Cisy sich einer Flut von wirren Reden. Er wollte sich auf Blunderbüchsen mit ihm schlagen, ganz nahe, auf einmaligen Kugelwechsel.

»Oder man könnte auch Arsenik in ein Glas tun, das ausgelost wird. Das geschieht zuweilen, ich habe es gelesen!«

Der Baron verlor natürlich die Geduld und fuhr ihn barsch an:

»Diese Herren erwarten Ihre Antwort. Das wird ja schließlich unanständig. Was wählen Sie also? Den Degen?«

Der Vicomte antwortete »ja« mit einem Kopfnicken, und das Rendezvous wurde für den folgenden Tag am Tor Maillot pünktlich um sieben Uhr festgesetzt.

Da Dussardier genötigt war, in sein Geschäft zurückzukehren, ging Regimbart, Frédéric zu benachrichtigen.

Man hatte ihn den ganzen Tag ohne Bescheid gelassen, seine Ungeduld war unerträglich geworden.

»Sehr gut!« rief er.

Der Citoyen war zufrieden mit seiner Haltung.

»Man verlangte Entschuldigungen von uns, wollen Sie es glauben? Fast nichts, ein einfaches Wort! Aber ich habe sie gut abfallen lassen! wie ich mußte, nicht wahr?«

»Zweifellos,« sagte Frédéric, wobei er dachte, er hätte besser getan, sich einen andern Sekundanten zu wählen.

Dann, als er allein war, wiederholte er sich mehrmals ganz laut:

»Ich werde mich also schlagen. Also ich werde mich schlagen! Wie drollig!«

Und als er durchs Zimmer schritt und am Spiegel vorbeikam, bemerkte er, daß er bleich war.

»Habe ich etwa Furcht?«

Eine grenzenlose Angst überkam ihn bei dem Gedanken, auf dem Kampfplatz Furcht zu zeigen.

»Wenn ich nun aber getötet werde? Mein Vater ist auf dieselbe Art gestorben. Ja, ich werde getötet werden!«

Und plötzlich sah er seine Mutter in schwarzem Kleide vor sich; unzusammenhängende Bilder zogen im Geiste an ihm vorüber. Seine eigne Feigheit brachte ihn auf. Ihn überkam ein Paroxismus von Tapferkeit, ein gieriger Blutdurst. Ein Bataillon hätte ihn nicht zurückgeschreckt. Nachdem dieses Fieber sich gelegt hatte, fühlte er zu seiner Freude seinen Vorsatz unerschütterlich. Um sich zu zerstreuen, ging er in die Oper, wo ein Ballet gegeben wurde. Er hörte die Musik, betrachtete die Tänzerinnen durch sein Glas und trank im Zwischenakt ein Glas Punsch. Doch wieder nach Haus zurückgekehrt, überfiel ihn beim Anblick seiner Möbel, seines Zimmers, wo er sich vielleicht zum letztenmal befand, eine Schwäche.

Er ging in seinen Garten hinunter. Die Sterne funkelten; er betrachtete sie. Der Gedanke, sich für eine Frau zu schlagen, erhöhte ihn in seinen Augen, adelte ihn. Dann legte er sich ruhig schlafen.

Mit Cisy verhielt es sich nicht so. Nach dem Fortgehen des Barons hatte Joseph versucht, seine moralische Kraft wieder auffrischen, und sagte, als der Vicomte gleichgiltig blieb;

»Aber, mein Lieber, wenn du es vorziehst, davon abzustehen, werde ich hingehen und es sagen.«

Cisy wagte nicht es zuzugeben, aber er zürnte seinem Vetter, daß er ihm den Dienst nicht leistete, ohne davon zu sprechen.

Er wünschte, Frédéric möchte in der Nacht an einem Schlaganfall sterben oder daß durch einen unvermuteten Aufruhr am nächsten Morgen genug Barrikaden da wären, um die Zugänge zum Bois de Boulogne zu versperren, oder daß ein Zufall einen der Sekundanten verhinderte, sich dahin zu begeben, denn dann würde das Duell ohne Sekundanten nicht stattfinden können. Er wäre am liebsten mit einem Expreßzug irgendwohin geflohen. Er bedauerte, nicht genug von Arzneikunde zu wissen, um etwas einzunehmen, das, ohne sein Ende zu gefährden, seinen Tod glaubhaft machte. Er ging so weit, daß er sich wünschte, ernstlich krank zu sein.

Um einen Rat, eine Hilfe zu haben, schickte er nach Monsieur des Aulnays. Der vortreffliche Mann war infolge einer Depesche, die ihn von der Erkrankung einer seiner Töchter benachrichtigte, nach Saintonge zurückgekehrt. Das schien Cisy von schlimmer Vorbedeutung. Glücklicherweise besuchte ihn sein Hofmeister Monsieur Vezou. Dem schüttete er sein Herz aus.

»Was fang' ich an, mein Gott! Was fang' ich an?«

»Ich an Ihrer Stelle, Herr Graf, bezahlte einen Lastträger, um ihm eine Tracht Schläge auszuzählen.«

»Er würde sofort wissen, woher das kommt!« entgegnete Cisy.

Und er seufzte von Zeit zu Zeit und sagte dann:

»Aber ist es denn erlaubt, sich zu duellieren?«

»Es ist ein Überbleibsel von Barbarei! Was ist dabei zu tun!«

Aus Gefälligkeit lud der Pädagoge sich selbst zum Mittagessen ein. Sein Schüler aß nichts und fühlte nach der Mahlzeit das Bedürfnis, einen Spaziergang zu machen. Als sie an einer Kirche vorüberkamen, sagte er:

»Ob wir ein wenig hineingehen ... um zuzusehen?«

Monsieur Vezou war sogleich bereit und reichte ihm sogar selbst das Weihwasser.

Es war der Marienmonat, Blumen bedeckten den Altar, Stimmen sangen, die Orgel tönte. Aber es war ihm unmöglich, zu beten, der Pomp dieser Religion erweckte in ihm die Vorstellung von Leichenbegängnissen; er meinte, die Klänge des De profundis zu vernehmen.

»Lassen Sie uns gehen! Ich fühle mich nicht wohl!«

Sie verbrachten die ganze Nacht mit Kartenspiel. Der Vicomte bemühte sich, zu verlieren, um das Unglück zu bannen, und Monsieur Vezou nahm seinen Vorteil wahr. Schließlich bei Morgengrauen sank Cisy, der nicht mehr konnte, auf das grüne Tuch hinab und fiel in einen Schlaf voll unangenehmer Träume.

Wenn Mut aber darin besteht, seine Schwäche zu beherrschen, war der Vicomte mutig; beim Anblick seiner Sekundanten, die ihn abholten, raffte er sich mit aller Kraft auf, da seine Eitelkeit ihm deutlich sagte, daß er bei einem Rückzug verloren wäre. Monsieur de Comaing machte ihm Komplimente über seine gute Haltung.

Doch unterwegs entkräftete ihn das Schwanken der Droschke und die Hitze der Morgensonne. Seine Energie hatte ihn wieder verlassen. Er unterschied nicht einmal mehr, wo sie sich befanden.

Der Baron belustigte sich damit, seine Angst zu erhöhen, indem er von der »Leiche« sprach und der Art, sie heimlich in die Stadt zu bringen. Joseph unterstützte ihn dabei; da beide die Sache lächerlich fanden, waren sie überzeugt davon, daß sie sich arrangieren lassen würde.

Cisy hielt den Kopf auf die Brust gesenkt; er hob ihn langsam und machte darauf aufmerksam, daß man keinen Arzt mitgenommen hatte.

»Es ist unnötig,« sagte der Baron.

»Also hat es keine Gefahr?«

Joseph erwiderte in ernstem Ton:

»Hoffen wir es!«

Und keiner in dem Wagen sprach mehr.

Um sieben Uhr zehn Minuten gelangten sie vor dem Tor Maillot an. Frédéric und seine Sekundanten, alle drei schwarz gekleidet, waren schon da. Regimbart trug anstatt der Kravatte eine Halsbinde wie ein Soldat und hatte eine Art langen Violinkasten speziell für diese Art von Abenteuern mit. Kalt wurde ein Gruß gewechselt. Dann gingen sie auf dem Wege nach dem Restaurant de Madrid tiefer in das Bois de Boulogne hinein, um dort einen passenden Platz zu finden.

Regimbart sagte zu Frédéric, der zwischen ihm und Dussardier ging:

»Wie steht es mit der Angst? Wenn Sie etwas wünschen, genieren Sie sich nicht, ich kenne das! Die Furcht ist etwas Natürliches bei den Menschen!«

Dann fügte er mit leiser Stimme hinzu:

»Rauchen Sie nicht, das macht schlapp!«

Frédéric warf seine Zigarre fort, die ihm lästig war, und ging festen Schrittes weiter. Der Vicomte folgte, auf den Arm seiner beiden Sekundanten gestützt, hinter ihnen.

Vereinzelte Fußgänger begegneten ihnen. Der Himmel war blau, und zuweilen hörte man Kaninchen vorüberhuschen. An der Biegung eines Weges plauderte eine Frau mit einem Mann in einer Bluse, und in der großen Avenue unter den Kastanienbäumen ließen Diener in Leinenkitteln ihre Pferde traben. Cisy rief sich die glücklichen Tage zurück, wo er, das Glas im Auge, auf seinem Fuchs neben dem Schlag der Kaleschen geritten war; diese Erinnerungen erhöhten seine Angst; ein unerträglicher Durst quälte ihn; das Summen der Fliegen vermischte sich mit dem Pochen in seinen Adern, seine Füße versanken im Sande, und er hatte das Gefühl, schon seit endloser Zeit zu marschieren.

Die Sekundanten spähten, ohne sich aufzuhalten, nach beiden Seiten der Straße; sie beratschlagten, ob sie zum Kreuz von Catelan oder unterhalb der Mauern von Bagateile gehen sollten. Endlich bogen sie nach rechts und entschieden sich für eine Art Kreuzweg unter den Kiefern.

Die Stelle wurde so gewählt, daß die Oberfläche des Terrains für beide Teile gleich war. Die beiden Plätze, wo die Gegner stehen sollten, wurden bezeichnet. Dann öffnete Regimbart den Kasten. Er enthielt auf einem Polster von rotem Leder vier wundervolle, in der Mitte gekreuzte Degen mit durchbrochenen Griffen. Ein leuchtender Strahl, der das Laub durchbrach, fiel darauf; und sie schienen Cisy zu glänzen wie silberne Schlangen auf einer Blutlache.

Der Citoyen zeigte, daß sie von gleicher Länge waren; er nahm den dritten für sich selbst, um die Kämpfenden zu trennen, wenn es nötig sein sollte. Monsieur de Comaing trug einen Stock. Schweigen herrschte. Man betrachtete einander. Alle Gesichter hatten etwas Verstörtes oder Grausames.

Frédéric hatte seinen Rock und seine Weste abgelegt; Joseph half Cisy, das Gleiche zu tun; als er seine Kravatte abgenommen hatte, bemerkte man eine geweihte Münze an seinem Halse. Das entlockte Regimbart ein mitleidiges Lächeln.

Dann versuchte Monsieur de Comaing, Schwierigkeiten zu machen (um Frédéric noch einen Moment der Überlegung zu lassen). Er forderte das Recht, einen Handschuh anzuziehen und den Degen seines Gegners mit der linken Hand zu fassen; Regimbart, der es eilig hatte, verweigerte es nicht. Schließlich wandte der Baron sich an Frédéric:

»Alles hängt von Ihnen ab! Es ist durchaus keine Schande, seine Fehler einzugestehen!«

Dussardier stimmte ihm mit einer Gebärde bei. Der Citoyen war entrüstet.

»Glauben Sie, wir sind hier, um Maulaffen feilzuhalten, zum Donnerwetter? ... Vorwärts! ...«

Die Gegner standen sich gegenüber, ihre Sekundanten zu beiden Seiten. Er gab das Kommando:

»Los!«

Cisy wurde erschreckend bleich. Seine Klinge zitterte an der Spitze wie eine Reitpeitsche. Sein Kopf fiel zurück, seine Arme breiteten sich aus und er fiel ohnmächtig auf den Rücken. Joseph hob ihn auf, und indem er ihm ein Flacon unter die Nase hielt, schüttelte er ihn tüchtig. Der Vicomte öffnete die Augen wieder und stürzte sich plötzlich wie ein Rasender auf seinen Degen. Frédéric hatte den seinen behalten, und er erwartete ihn mit festem Blick und erhobener Hand.

»Halt, halt!« rief eine Stimme, die zugleich mit dem Geräusch eines galoppierenden Pferdes vom Wege kam, während das Verdeck eines Kabrioletts die Zweige streifte. Ein Mann, der sich herausneigte, winkte mit seinem Taschentuch und rief fortwährend: »Halt! halt!«

Monsieur de Comaing, der an ein Einschreiten der Polizei glaubte, erhob seinen Stock:

»Hören Sie doch auf! der Vicomte blutet!«

»Ich?« rief Cisy.

Er hatte sich beim Sturz in der Tat den Daumen der linken Hand verletzt.

»Aber das geschah im Fallen,« fügte der Citoyen hinzu.

Der Baron tat, als höre er nicht.

Arnoux war aus dem Kabriolett gesprungen.

»Ich komme zu spät! Nein! Gott sei Dank!«

Er schloß Frédéric in die Arme, streichelte ihn, bedeckte sein Gesicht mit Küssen.

»Ich kenne den Grund; Sie wollten Ihren alten Freund verteidigen! Das ist schön von Ihnen, wirklich sehr schön! Das vergesse ich Ihnen nie! Wie gut Sie sind! Mein lieber Junge!«

Er betrachtete ihn strahlend vor Freude und vergoß Tränen dabei. Der Baron wandte sich zu Joseph.

»Ich glaube, wir sind überflüssig bei diesem kleinen Familienfest. Es ist zu Ende, nicht wahr, meine Herren? Vicomte, legen Sie Ihren Arm in die Binde; da, hier ist mein Taschentuch.« Dann sagte er gebieterisch: »Gehen wir! Keinen Groll mehr! Das muß sein!«

Die beiden Gegner schüttelten sich warm die Hände. Der Vicomte, Joseph und Monsieur de Comaing verschwanden nach einer Seite, und Frédéric ging mit seinen Freunden nach der andern.

Da das Restaurant de Madrid nicht weit war, schlug Arnoux vor, dort ein Glas Bier zu trinken.

»Man könnte selbst frühstücken,« sagte Regimbart. Da aber Dussardier keine Zeit hatte, begnügten sie sich mit einer Erfrischung im Garten. Alle empfanden jenes Wohlbehagen, das eine Folge glücklicher Lösungen ist. Der Citoyen indessen war ärgerlich, daß man das Duell im besten Augenblick unterbrochen hatte.

Arnoux hatte durch einen gewissen Compain, Regimbarts Freund, Kenntnis davon erhalten und war in einer Herzensregung herbeigeeilt, um es zu verhindern, da er die Ursache dazu zu sein glaubte. Er bat Frédéric, ihm einige Details darüber anzugeben. Gerührt durch die Beweise seiner Zärtlichkeit, trug Frédéric Bedenken, ihn in seiner Illusion zu bestärken.

»Um Himmelswillen, sprechen wir nicht mehr davon!«

Arnoux fand diese Zurückhaltung sehr zartfühlend. Dann ging er mit seiner gewohnten Leichtigkeit auf etwas anderes über.

»Was gibt's Neues, Citoyen?«

Sie fingen an, von Handel und Terminen zu sprechen. Um noch bequemer flüstern zu können, gingen sie abseits an einen andern Tisch.

Frédéric unterschied die Worte: »Sie werden es unterschreiben. – Ja! aber selbstverständlich ... – Ich habe ihn endlich für dreihundert erstanden! – Schöner Auftrag, meiner Treu!« Kurz, es war klar, daß Arnoux und der Citoyen mit allerlei dunkeln Sachen zu tun hatten.

Frédéric dachte daran, ihn an seine fünfzehntausend Francs zu erinnern. Aber sein Verhalten eben verbot jeden, auch den sanftesten Vorwurf. Überdies fühlte er sich ermüdet und der Ort war auch nicht dafür geeignet. Er verschob es auf einen anderen Tag.

Arnoux, der im Schatten eines Ligusters saß, rauchte mit heiterer Miene. Er blickte zu den Türen der Kabinetts empor, die alle aus den Garten gingen, und sagte, daß er früher sehr oft dort gewesen sei.

»Nicht allein wahrscheinlich?« entgegnete der Citoyen.

»Bei Gott! Das will ich meinen!«

»Welch ein Durchgänger Sie sind! ein verheirateter Mann!«

»So, und Sie?« erwiderte Arnoux und sagte mit einem nachsichtigen Lächeln: »Ich bin sicher, daß selbst dieser Schlingel da irgendwo ein Zimmer hat, wo er kleine Mädchen empfängt.«

Der Citoyen gestand mit einem einfachen Emporziehen der Brauen ein, daß es wahr sei.

Dann ließen sich diese beiden Herren über ihren Geschmack aus: Arnoux zog jetzt die Jugend vor, die Arbeiterinnen. Regimbart verabscheute die »Zierpuppen« und war vor allem für das Derbe. Zum Schluß behauptete der Fayence-Händler, daß man die Frauen nicht ernst nehmen könne.

»Dennoch liebt er seine!« dachte Frédéric, als er sich wieder zu ihnen gesellte, aber er hielt ihn für einen unzuverlässigen Menschen. Er zürnte ihm wegen dieses Duells, als hätte er sein Leben soeben um seinetwillen gewagt.

Aber er war Dussardier dankbar für seine Aufopferung; der Kommis kam auf seine dringenden Bitten bald jeden Tag zu ihm.

Frédéric lieh ihm Bücher: Thiers, Dulaure, Barante, »Die Girondisten« von Lamartine. Der gute Junge hörte ihm andächtig zu und nahm seine Ansichten wie die eines Lehrmeisters an.

Eines Abends kam er ganz verstört zu ihm. Morgens auf dem Boulevard war ein Mann, der außer Atem angelaufen kam, gegen ihn angerannt, und als er einen Freund von Sénécal in ihm erkannte, hatte er zu ihm gesagt:

»Er wurde eben verhaftet, ich bringe mich in Sicherheit.«

Es war nur zu wahr. Dussardier hatte den Tag damit verbracht, Erkundigungen einzuziehen. Sénécal war hinter Schloß und Riegel, eines politischen Attentats verdächtig.

Als Sohn eines Werkführers in Lyon geboren, hatte er zum Lehrer einen alten Schüler von Chalier und ließ sich bei seiner Ankunft in Paris in der Familien-Genossenschaft aufnehmen; seine Gewohnheiten waren bekannt; die Polizei überwachte ihn. Er hatte in dem Gefecht vom Mai 1839 mitgekämpft und hielt sich seitdem im Hintergrunde, doch, immer schwärmerisch begeistert für Alibaud, vermengte er seinen Groll gegen die Gesellschaft mit dem des Volks gegen die Monarchie und erwachte jeden Morgen in der Hoffnung auf eine Revolution, die in den nächsten vierzehn Tagen oder einem Monat die Welt umwandeln würde. Schließlich hatte er sich, angewidert durch die Energielosigkeit seiner Genossen, außer sich über die Hemmnisse, die man seinen Träumen entgegenstellte, und verzweifelnd an seinem Vaterland, als Chemiker an dem gefährlichen Bombenattentat beteiligt, und man hatte ihn beim Transport von Pulver überrascht, das er als äußerstes Mittel, die Republik zu begründen, auf dem Montmartre versuchen wollte.

Dussardier war nicht weniger begeistert dafür, denn sie bedeutete, wie er meinte, Befreiung und allgemeines Glück. Eines Tages hatte er – fünfzehn Jahre alt – in der Rue Transnonain vor dem Laden eines Gewürzkrämers Soldaten mit blutgeröteten Bajonetten gesehen, an deren Kolben Haare klebten; seit jener Zeit sah er die Regierung als Verkörperung der Ungerechtigkeit an: Mörder und Gendarmen waren für ihn fast gleichbedeutend; ein Spitzel war in seinen Augen einem Vatermörder gleich. Alles Übel auf Erden schrieb er einfach der Regierung zu; und sein Haß gegen sie war so tief und anhaltend, daß er ihn ganz erfüllte und seine Empfindlichkeit noch steigerte. Die Schimpfreden Sénécals hatten ihn geblendet; mochte er schuldig sein oder nicht und sein Vorhaben hassenswert, was schadete es! Von dem Augenblick ab, wo er das Opfer der Behörden war, mußte man ihm helfen.

»Die Pairs werden ihn verurteilen! Er wird in einem Zellenwagen abgeführt werden wie ein Sträfling, und man wird ihn ins Mont-Saint-Michel stecken, wo die Regierung sie verkommen läßt: Austen wurde irrsinnig! Steuben hat sich getötet! Und Barbès hat man an den Haaren, an den Beinen in die Zelle gezogen. Sie traten ihn mit Füßen, und sein Kopf schlug die ganze Treppe hinunter bei jedem Schritt auf. Welch ein Greuel! Diese Elenden!«

Ein zorniges Schluchzen erstickte ihn, und er ging, wie von einer großen Angst ergriffen, im Zimmer hin und her. – »Es muß etwas geschehen! Doch ich weiß nicht, was! Ob wir versuchen, ihn zu befreien? Während er ins Luxembourg geführt wird, könnte man sich in den Gängen auf die Bedeckung stürzen! Ein Dutzend entschlossene Männer genügen schon!«

Seine Augen flammten so, daß Frédéric zitterte.

Sénécal erschien ihm größer als bisher. Er erinnerte sich seiner Leiden, seines harten Lebens; ohne den Enthusiasmus Dussardiers für ihn zu teilen, empfand er dennoch jene Bewunderung, die jeder Mensch, der sich ganz einer Idee opfert, einflößt. Er sagte sich, daß es Sénécal nicht so ergangen wäre, wenn er ihm beigestanden hätte; und die beiden Freunde suchten eifrig nach einem Auskunftsmittel, ihn zu retten.

Es war unmöglich für sie, bis zu ihm zu gelangen.

Frédéric unterrichtete sich in den Zeitungen über sein Geschick und besuchte drei Wochen lang häufig die Lesehallen.

Eines Tages fielen ihm mehrere Nummern des »Flambard« in die Hände. Der Leitartikel war unverändert dem Herrunterreißen einer berühmten Persönlichkeit gewidmet. Dann kamen Neuigkeiten aus der Welt, Klatsch und spöttische Bemerkungen über das Odéon, über Carpentras, die Fischzucht und die zum Tode Verurteilten, falls es solche gab. Das Verschwinden eines Postschiffes lieferte für ein Jahr Stoff zu Witzen. In der dritten Spalte wurden in einer Kunst-Korrespondenz in Gestalt von Anekdoten Ratschläge, Schneider-Reklamen, Berichte über Abendgesellschaften, Verkaufsanzeigen, Arbeitsanalysen gebracht und in einem Atem ein Band Verse und ein Paar Stiefel besprochen. Der einzig ernsthafte Teil war die Kritik der kleinen Theater, in der man sich auf zwei, drei Direktoren stürzte; und unter dem Vorwand von Kunstinteressen wurde die Ausstattung einer Seiltänzergesellschaft oder einer Liebhaberin der »Délassements« besprochen.

Frédéric war im Begriff, das Blatt fortzulegen, als seine Blicke auf einen Artikel mit dem Titel: Une poulette entre trois cocos fielen. Es war die Geschichte seines Duells in einem übermütigen, derben Stil erzählt. Er erkannte sich leicht, denn er war wiederholt in spöttischem Ton, als »Ein junger Mann aus der Hochschule der Intelligenz« bezeichnet, »an der es ihm selber mangele«. Man stellte ihn sogar als einen armen Teufel aus der Provinz hin, einen obskuren Einfaltspinsel, der versuchte, mit vornehmen Herren in Verkehr zu kommen. Der Vicomte dagegen spielte eine dankbare Rolle, zuerst beim Souper, zu dem er sich mit Gewalt eingeführt hatte, dann bei der Wette, da er die Dame erobert haben sollte, und schließlich auf dem Kampfplatz, wo er sich wie ein Edelmann benahm. Die Tapferkeit Frédérics wurde zwar nicht direkt bestritten, aber man gab zu verstehen, daß eine Mittelsperson, der »Gönner« selbst gerade zur rechten Zeit dazwischengekommen war. Das Ganze schloß mit dem äußerst boshaften Satz:

»Woher kommt also ihre Zuneigung? Problem! und wie Bazile sagt, wer zum Teufel wird hier betrogen?«

Dies war ohne den geringsten Zweifel eine Rache Hussonnets gegen Frédéric wegen seiner Verweigerung der fünftausend Francs.

Was war da zu tun? Wenn er Rechenschaft von ihm verlangte, würde der Bohémien seine Unschuld beteuern, und er gewänne nichts dabei. Am besten war es, das Ganze stillschweigend herunterzuschlucken. Niemand las ja übrigens den »Flambard«.

Als er die Lesehalle verließ, bemerkte er Leute vor dem Laden eines Bilderhändlers. Sie betrachteten das Bild einer Frau, unter dem in schwarzen Buchstaben stand: Mademoiselle Rose-Annette Bron, Eigentum des Monsieur Frédéric Moreau aus Nogent.«

Sie war es – wenigstens beinahe, – en face gesehen, der Busen entblößt, das Haar aufgelöst und in der Hand einen roten Samtbeutel, während hinter ihr ein Pfau mit dem Schnabel ihre Schulter berührte und die Wand mit seinem großen Federfächer verdeckte.

Pellerin hatte diese Ausstellung veranstaltet, um Frédéric zum Zahlen zu zwingen, in der Überzeugung, daß er berühmt genug sei und ganz Paris lebhaften Anteil an dieser unseligen Sache nehmen werde.

War das eine Verschwörung? Hatten der Maler und der Journalist die Sache gemeinsam abgekartet?

Sein Duell hatte also nichts genützt. Er wurde lächerlich gemacht, alle Welt machte sich lustig über ihn.

Drei Tage später hatte er, da die Nordbahn-Aktien Ende Juni um fünfzehn Francs gestiegen waren und er im vorigen Monat zwei Tausend davon gekauft hatte, einen Gewinn von dreißigtausend Francs. Diese Gunst des Glücks gab ihm wieder Vertrauen zu sich selbst. Er sagte sich, daß er niemand brauche, daß alle seine Verlegenheiten nur seiner Schüchternheit und seiner Unschlüssigkeit zuzuschreiben wären. Er hätte bei der Marschallin gleich brutal auftreten, Hussonnet gleich am ersten Tage abweisen müssen, sich mit Pellerin nicht einlassen dürfen; und um zu beweisen, daß alles das ihn nicht geniere, begab er sich an einem ihrer üblichen Abende zu Madame Dambreuse.

Mitten im Vorzimmer begegnete er Martinon, der zur selben Zeit gekommen war.

»Wie, du kommst hierher, du?« sagte er mit erstaunter Miene und selbst ärgerlich, ihn zu sehen.

»Warum nicht?«

Und indem er noch nach der Ursache seines Benehmens forschte, ging er in den Salon.

Es war nicht sehr hell trotz der Lampen, die in den Ecken standen; denn die weit geöffneten drei Fenster bildeten nebeneinander drei große, dunkle Schattenvierecke. Unter den Gemälden standen in Manneshöhe Jardinieren an den Wänden; und eine silberne Teemaschine mit einem Samowar spiegelte sich im Hintergrund in einem Spiegel wider. Ein Gemurmel leiser Stimmen erhob sich. Man hörte die Lackschuhe auf dem Teppich knarren.

Er unterschied schwarze Röcke, dann einen runden Tisch, von einem großen Lampenschirme erhellt, sieben oder acht Damen in Sommertoiletten, und ein wenig weiter Madame Dambreuse in einem Schaukelstuhl. Ihr Kleid aus lila Taffet hatte geschlitzte Ärmel mit Bauschen von Musseline, deren weicher Ton mit der Nuance ihres Haares verschmolz; und sie saß etwas hintenüber gelehnt, die Fußspitze auf einem Kissen, – reglos wie ein zartes Kunstwerk, wie eine seltsame Blume.

Monsieur Dambreuse und ein Greis mit weißem Haar schritten die ganze Länge des Saales auf und ab. Einige unterhielten sich hier und da auf kleinen Diwans; die anderen bildeten stehend in der Mitte einen Kreis.

Sie sprachen von Abstimmungen, von Amendements, Unteramendements, von der Rede Monsieur Grandins, der Erwiderung Benoists. Die Mittelpartei ginge entschieden zu weit! Das linke Zentrum hätte ein wenig mehr an seinen Ursprung denken sollen! Auf das Ministerium würden ernste Angriffe gemacht! Was dennoch beruhigte, wäre, daß man keinen Nachfolger dafür sähe. Kurz, die Lage sei vollkommen übereinstimmend mit der von 1834.

Da diese Dinge Frédéric langweilten, näherte er sich den Damen. Martinon stand neben ihnen, den Hut unterm Arm, das Gesicht etwas zur Seite geneigt und so zart, daß er einer Figur von Sèvreporzellan glich. Er nahm ein Heft der »Revue des Deux-Mondes«, die zwischen einer »Imitation« und einem »Gothaer Almanach« auf dem Tisch lag, kritisierte verächtlich einen berühmten Dichter und erzählte dann, daß er die Vorlesungen von Saint-François besuche. Er klagte über seinen Kehlkopf, schluckte von Zeit zu Zeit eine Pastille, sprach dabei über Musik und spielte den Angenehmen. Mademoiselle Cécile, die Nichte von Monsieur Dambreuse, die an einem Paar Manschetten stickte, sah ihn von unten mit ihren etwas blaßblauen Augen an; und Miß John, die plattnasige Erzieherin, hatte ihre Stickerei fallen lassen; alle beide schienen innerlich auszurufen:

»Wie schön er ist!«

Madame Dambreuse wandte sich zu ihm.

»Reichen Sie mir doch meinen Fächer dort von der Konsole. Sie irren sich, den andern!«

Sie erhob sich; und da er zurückkam, begegneten sie sich mitten im Salon; sie richtete lebhaft einige Worte an ihn, Vorwürfe vermutlich, nach dem hochmütigen Ausdruck ihres Gesichts zu urteilen; Martinon versuchte zu lächeln; dann mischte er sich unter die Versammlung älterer Herren. Madame Dambreuse nahm ihren Platz wieder ein und sagte, sich auf die Lehne ihres Fauteuils stützend, zu Frédéric:

»Ich habe vorgestern jemand gesehen, der von Ihnen gesprochen hat, Monsieur de Cisy; Sie kennen ihn, nicht wahr?«

»Ja ... ein wenig.«

Plötzlich rief Madame Dambreuse:

»Herzogin, o! welch ein Vorzug!« Und sie ging bis zur Tür, einer kleinen alten Dame entgegen, die ein Kleid von hellbraunem Taffet und ein Guipure-Häubchen mit langen Enden trug. Als Tochter eines Gefährten des Grafen von Artois im Exil und Witwe eines Marschalls des Kaiserreichs, der 1830 zum Pair von Frankreich ernannt worden war, hielt sie zum alten wie zum neuen Hof und hatte großen Einfluß. Plaudernde, die dort standen, traten zur Seite und nahmen die Unterhaltung dann wieder auf.

Jetzt war die Rede vom Pauperismus, dessen Schilderungen nach der Meinung der Herren stark übertrieben waren.

»Indessen«, warf Martinon ein, »das Elend besteht, das müssen wir zugeben! Aber das Heilmittel hängt weder von der Wissenschaft noch von der Regierung ab. Es ist eine rein individuelle Frage. Wenn die niederen Klassen sich von ihren Lastern lossagen wollten, würden sich ihre Bedürfnisse verringern. Mag das Volk moralischer sein, dann wird es weniger arm sein!«

Nach der Ansicht von Monsieur Dambreuse war ohne einen Überfluß von Kapital kein Ausstieg zu erreichen. Das einzig mögliche Mittel wäre also, »die Sache des Fortschritts, wie es übrigens auch die Saint-Simonisten wollen (mein Gott, sie hatten ihr Gutes! man muß gegen alle gerecht sein), denen anzuvertrauen, anzuvertrauen, sage ich, die das öffentliche Vermögen vermehren können«. Unmerklich kam man nun auf große industrielle Unternehmungen, Eisenbahnen, die Kohlenfrage. Und Monsieur Dambreuse sagte, zu Frédéric gewendet, ganz leise:

»Sie sind wegen unserer Angelegenheiten nicht gekommen.«

Frédéric schützte eine Krankheit vor; da er aber fühlte, daß die Entschuldigung zu ungeschickt war, fügte er hinzu: »überdies brauchte ich mein Geld.«

»Um einen Wagen zu kaufen?« warf Madame Dambreuse ein, die mit einer Tasse Tee in der Hand an ihnen vorüberging; und, den Kopf ein wenig über die Schultern geneigt, betrachtete sie ihn eine Minute.

Sie hielt ihn für den Liebhaber Rosanettes; die Anspielung war deutlich. Frédéric schien es sogar, als blickten von fern alle Damen flüsternd zu ihm hin. Um besser zu sehen, was sie dachten, näherte er sich ihnen nochmals.

An der andern Seite des Tisches blätterte Martinon neben Mademoiselle Cécile in einem Album. Es waren Lithographien, Vorlagen spanischer Kostüme. Er las ganz laut die Unterschriften: »Frau aus Sevilla, – Gärtner aus Valencia, – andalusischer Pikador;« und als er einmal bis ans Ende der Seite kam, fuhr er in einem Atem fort: »Jacques Arnoux, Herausgeber. – Einer deiner Freunde, nicht?«

»Jawohl,« sagte Frédéric, durch seine Miene verletzt. Madame Dambreuse bemerkte:

»Freilich, Sie kamen ja eines Morgens ... wegen ... eines Hauses, das seiner Frau gehörte.« (Das sollte bedeuten: »Das ist Ihre Geliebte.«)

Er wurde rot bis über die Ohren; und Monsieur Dambreuse, der im selben Augenblick zu ihnen trat, fügte hinzu:

»Sie schienen sich sogar sehr für sie zu interessieren.« Diese letzten Worte brachten Frédéric gänzlich aus der Fassung. Seine Verwirrung, die man sah, würde, wie er meinte, den Verdacht bestärken. Monsieur Dambreuse sagte, ganz nahe bei ihm, mit ernster Stimme:

»Sie machen doch vermutlich keine Geschäfte mit ihm zusammen?«

Er wies es durch wiederholtes Kopfschütteln von sich, ohne die Absicht des Kapitalisten, der ihm einen Rat geben wollte, zu begreifen. Er hatte Lust, fortzugehen. Die Furcht, feige zu erscheinen, hielt ihn zurück. Ein Diener räumte die Teetassen ab; Madame Dambreuse plauderte mit einem Diplomaten in blauem Rock; zwei junge Mädchen steckten die Köpfe zusammen und betrachteten einen Ring; die anderen, im Halbkreis auf Sesseln sitzend, bewegten leise ihre weißen, von blondem oder schwarzem Haar umrahmten Gesichter; um ihn kümmerte sich niemand. In langen Zickzackwindungen hatte er fast die Tür erreicht, als er im Vorbeigehen auf einer Konsole zwischen einer chinesischen Vase und der Holztäfelung ein zusammengefaltetes Blatt bemerkte. Er zog es ein wenig hervor und las die Worte: »Le Flambard.«

Wer hatte ihn hergebracht? Cisy! Kein anderer augenscheinlich. Was machte es übrigens! Sie würden alle dem Artikel glauben oder glaubten vielleicht bereits daran. Wozu diese Erbitterung?

Eine leise Ironie bemächtigte sich seiner. Er fühlte sich verloren wie in einer Einöde. Aber die Stimme Martinons erhob sich plötzlich:

»Bei Arnoux übrigens fällt mir ein, ich habe unter den Angeklagten des Bomben-Attentats den Namen Sénécal, eines seiner Angestellten, gelesen. Ist das der, den wir kennen?«

»Er ist es,« sagte Frédéric.

Martinon wiederholte sehr laut:

»Wie, unser Sénécal! unser Sénécal?«

Darauf fragte man ihn nach dem Komplott; in seiner Stellung als Hilfsarbeiter bei der Staatsanwaltschaft mußte er Aufschluß darüber geben können.

Er beteuerte, nichts zu wissen. Zudem kenne er den Menschen sehr wenig, habe ihn nur zwei-, dreimal gesehen, er hielte ihn entschieden für einen ziemlich schlimmen Gesellen. Frédéric rief entrüstet:

»Durchaus nicht! er ist ein sehr anständiger Mensch!« »Aber, mein Herr,« sagte ein Gutsbesitzer, »man ist kein anständiger Mensch, wenn man konspiriert!«

Die meisten der anwesenden Männer hatten wenigstens vier Regierungen gedient; und sie hätten Frankreich verkauft oder die Menschheit, um ihr Vermögen zu sichern, sich ein Unbehagen, eine Verlegenheit zu ersparen oder auch einfach aus Schlechtigkeit, in instinktiver Anerkennung der Macht. Alle erklärten politische Verbrechen für unentschuldbar. Viel eher müßten solche verziehen werden, die aus Not verübt wurden! Und sie verfehlten nicht, das ewige Beispiel des Familienvaters anzuführen, der das ewige Stück Brot bei dem ewigen Bäcker stahl. Ein Administrator rief sogar:

»Ich, mein Herr, wenn ich erführe, daß mein Bruder an einer Verschwörung teilnähme, ich würde ihn denunzieren!«

Frédéric berief sich auf das Recht der Auflehnung; und da er sich einiger Phrasen erinnerte, die ihm Deslauriers gesagt hatte, zitierte er Desolmes, Blackstones, die Rechtsbill in England und den Artikel 2 der Konstitution von 91; auf Grund dieses Gesetzes hatte man sogar die Absetzung Napoleons proklamiert; es war 1830 anerkannt worden, in der Verfassungsurkunde obenan verzeichnet. »Wenn übrigens der Herrscher wider den Vertrag handelt, will die Justiz, daß er gestürzt werde.«

»Aber das ist abscheulich!« rief die Frau eines Präfekten.

Alle anderen verstummten in vagem Schrecken, als hätten sie das Geräusch der Kugeln schon vernommen. Madame Dambreuse wiegte sich in ihrem Sessel und hörte ihm lächelnd zu.

Ein Industrieller, früherer Carbonaro, versuchte ihm zu beweisen, daß die Orleans eine vornehme Familie seien; sie hätten zwar Fehler ...

»Nun wohl, also?«

»Aber man darf sie nicht nennen, lieber Herr! Wenn Sie wüßten, wie all dieses Gezänk der Opposition den Geschäften schadet!«

»Ich kümmere mich nicht um Geschäfte!« erwiderte Frédéric.

Die niedrige Gesinnung dieser Älteren empörte ihn; und von jener Kühnheit hingerissen, die zuweilen die Schüchternsten überkommt, griff er die Geldleute, die Deputierten, die Negierung, den König an, übernahm er die Verteidigung der Araber und sagte viele Dummheiten. Einige ermutigten ihn ironisch: »Weiter! fahren Sie fort!« indes andere murmelten: »Teufel auch! welche Überspanntheit!« Endlich hielt er es für angemessen, sich zurückzuziehen; und als er ging, sagte Monsieur Dambreuse zu ihm, indem er auf die Sekretärstelle anspielte:

»Noch ist nichts beschlossen! Aber beeilen Sie sich!«

Und Madame Dambreuse sagte:

»Bald auf Wiedersehen, nicht wahr?«

Frédéric fühlte aus ihren Abschiedsworten einen leisen Spott heraus. Er war entschlossen, niemals wieder in dieses Haus zu kommen, mit allen diesen Leuten nicht mehr umzugehen. Er glaubte, sie verletzt zu haben, denn er wußte nicht, welchen hohen Grad von Gleichgültigkeit die Welt besitzt! Die Frauen besonders empörten ihn. Keine einzige, die ihn unterstützt hätte, nicht einmal mit einem Blick. Es ärgerte ihn, daß er nicht verstanden hatte sie aufzurütteln. Und Madame Dambreuse fand er etwas schmachtend und trocken zugleich, das machte es schwer für ihn, sie richtig zu beurteilen. Hatte sie einen Liebhaber? Und welchen? War es dieser Diplomat oder ein anderer? Martinon vielleicht? Unmöglich! Und doch empfand er eine gewisse Eifersucht auf ihn, und ihr gegenüber eine unerklärliche Feindseligkeit.

Dussardier, der an diesem Abend wie gewöhnlich gekommen war, erwartete ihn. Frédéric war schwer ums Herz; er teilte sich ihm mit, und seine Kümmernisse, wenn auch unbestimmt und schwer zu verstehen, betrübten den braven Kommis; Frédéric beklagte sich sogar über seine Einsamkeit. Dussardier schlug etwas zögernd vor. Deslauriers aufzusuchen.

Frédéric ergriff beim Namen des Advokaten das dringendste Bedürfnis, ihn wiederzusehen. Seine geistige Vereinsamung war sehr groß und die Gesellschaft Dussardiers ungenügend. Er überließ es ihm, alles zu verabreden, wie er wollte.

Ebenso empfand Deslauriers seit ihrer Verfeindung eine Lücke in seinem Leben. Er ging ohne Widerstreben auf sein herzliches Entgegenkommen ein.

Beide umarmten sich, und dann begannen sie von gleichgültigen Dingen zu reden.

Die Zurückhaltung Deslauriers rührte Frédéric, und um ihm eine Art Genugtuung zu geben, erzählte er ihm am nächsten Morgen von seinem Verlust der fünfzehntausend Francs, ohne zu sagen, daß diese fünfzehntausend ursprünglich für ihn bestimmt waren. Nichtsdestoweniger zweifelte der Advokat nicht daran. Dieses Mißgeschick, das ihm in seinem Vorurteil gegen Arnoux recht gab, entwaffnete seinen Groll gänzlich, und er sprach nicht wieder von dem alten Versprechen.

Frédéric glaubte, durch sein Schweigen getäuscht, daß er es vergessen hätte. Einige Tage später fragte er ihn, ob es kein Mittel gebe, wieder zu seinem Eigentum zu gelangen.

Man konnte die vorher aufgenommenen Hypotheken beanstanden, Arnoux als Grundstückschwindler angreifen, eine Klage gegen die Frau anstrengen.

»Nein! nein! nicht gegen sie!« rief Frédéric; und auf die Fragen des früheren Schreibers gestand er ihm die Wahrheit. Deslauriers war überzeugt, daß er sie nicht ganz sagte, wahrscheinlich aus Zartgefühl; und dieser Mangel an Vertrauen verletzte ihn.

Trotzdem waren sie befreundet wie ehemals und hatten ein solches Vergnügen daran, wieder beisammen zu sein, daß die Gegenwart Dussardiers sie störte. Unter dem Vorwand einer Verabredung gelang es ihnen allmählich, sich von ihm zu Befreien. Es gibt Menschen, die unter den anderen nur die Mission haben, als Vermittler zu dienen; man schreitet über sie hinweg wie über eine Brücke und geht weiter.

Frédéric verbarg nichts vor seinem alten Freunde. Er erzählte ihm von der Kohlen-Affäre und von dem Vorschlag des Monsieur Dambreuse. Der Advokat wurde nachdenklich.

»Das ist merkwürdig! für diese Stellung brauchte man jemand, der beschlagen genug in der Rechtskunde ist!«

»Aber du könntest mir helfen,« erwiderte Frédéric.

»Ja ... wahrhaftig! gewiß!«

In derselben Woche zeigte er ihm einen Brief von seiner Mutter.

Madame Moreau klagte sich an, Monsieur Roque falsch beurteilt zu haben, da er für seine Handlungsweise befriedigende Erklärungen gegeben hätte. Dann sprach sie von seinem Vermögen und der Möglichkeit einer späteren Heirat mit Louise.

»Das wäre vielleicht gar nicht dumm!« sagte Deslauriers.

Frédéric wies es weit von sich; Vater Roque wäre übrigens ein alter Gauner. Das hatte nach der Meinung des Advokaten nichts zu sagen.

Ende Juli trat eine unerklärliche Baisse in den Nordbahn-Aktien ein. Frédéric hatte die seinen nicht verkauft; er verlor mit einem Schlage sechzigtausend Francs. Seine Einkünfte waren dadurch empfindlich vermindert. Er mußte entweder seine Ausgaben einschränken, einen Beruf ergreifen oder eine gute Heirat eingehen.

Da sprach Deslauriers wieder von Mademoiselle Roque. Nichts hinderte ihn, die Verhältnisse einmal selbst anzusehen. Frédéric fühlte sich ein wenig matt; die Provinz und das mütterliche Haus würden ihn auffrischen. Er reiste ab.

Der Anblick der Straßen von Nogent, die er im Mondschein durchschritt, weckte alte Erinnerungen in ihm, und er empfand eine Art bange Furcht wie einer, der nach langen Reisen heimkehrt.

Bei seiner Mutter war alles beim alten geblieben: Die Herren Gamblin, Heudras und Chambrion, die Familie Lebrun, »die Fräulein Auger«; außerdem Vater Roque und Madame Moreau gegenüber an einem Spieltisch, Mademoiselle Louise, die jetzt erwachsen war. Sie erhob sich mit einem Schrei. Alle standen auf. Sie blieb reglos stehen, und die Flammen der vier silbernen Armleuchter auf dem Tisch erhöhten ihre Blässe. Als sie wieder zu spielen begann, zitterte ihre Hand. Diese Erregung schmeichelte Frédéric, dessen Stolz krankhaft war, über alle Maßen; er sagte sich: »Du wirst mich lieben!« Und aus Rache für die Verdrießlichkeiten, die er hatte durchmachen müssen, begann er jetzt, den Pariser zu spielen, den Salon-Löwen, brachte Neuigkeiten über die Theater, erzählte Anekdoten aus der vornehmen Welt, die kleinen Zeitungen entnommen waren, und blendete so seine Landsleute.

Am nächsten Morgen erging sich Madame Moreau über die Eigenschaften Louisens und zählte dann die Wälder und Güter auf, die sie besitzen würde. Das Vermögen Monsieur Roques war beträchtlich.

Er hatte es durch Geld-Anlagen für Monsieur Dambreuse erworben; denn er lieh Personen, die gute hypothekarische Sicherheit bieten konnten, Geld, und das berechtigte ihn, Provisionen zu fordern. Das Kapital lief, dank der sicheren Verwaltung, keine Gefahr. Außerdem schrak der alte Roque niemals vor einer Pfändung zurück; er kaufte dann zu niedrigem Preise die verpfändeten Güter, und da Monsieur Dambreuse seine Gelder eingehen sah, hielt er seine Geschäfte für sehr gut geleitet.

Aber diese nicht gesetzlichen Manipulationen verpflichteten ihn seinem Verwalter gegenüber, dem er nichts abschlagen konnte. Unter diesen Verhältnissen sah er sich auch genötigt, Frédéric so gut aufzunehmen.

In der Tat hegte Vater Roque im Grunde seiner Seele einen Ehrgeiz. Er wollte, daß seine Tochter Gräfin werde; um das zu erreichen, ohne das Glück seines Kindes aufs Spiel zu setzen, wußte er keinen andern jungen Mann als Frédéric.

Durch die Protektion von Monsieur Dambreuse würde man ihm den Titel seiner Vorfahren verschaffen, da Madame Moreau die Tochter eines Grafen von Fouvens und außerdem mit den ältesten Familien der Champagne, wie den Lavernades und d'Etrignys, verwandt war. Was den Namen Moreau anbetraf, so sprach eine gothische Inschrift in der Nähe der Mühlen von Villeneuve-Archevêque von einem Jakob Moreau, der sie im Jahre 1596 wieder aufgebaut hatte; und das Grab seines Sohnes, Pierre Moreau, erster königlicher Stallmeister unter Ludwig XIV., befand sich in der Kapelle Saint-Nicolas.

Soviel Ansehen blendete Monsieur Roque als Sohn eines ehemaligen Bedienten. Wenn die gräfliche Krone nicht zu erlangen war, wollte er sich mit etwas anderem darüber trösten, denn Frédéric konnte Deputierter werden, wenn Monsieur Dambreuse zur Pairswürde erhoben wurde, und ihm dann bei seinen Angelegenheiten helfen, ihm Lieferungen und Konzessionen verschaffen. Der junge Mann persönlich gefiel ihm. Und schließlich wollte er ihn zum Schwiegersohn haben, weil er sich schon seit langem mit dieser Idee trug, die immer fester Wurzel faßte.

Jetzt besuchte er häufig die Kirche; – und er hatte Madame Moreau besonders durch die Hoffnung auf den Titel bestochen. Sie hatte sich indessen gehütet, eine definitive Antwort zu geben.

Acht Tage später galt Frédéric daher, ohne daß eine Verlobung stattgefunden hatte, als »der Zukünftige« von Mademoiselle Louise, und der alte Roque ließ sie unbedenklich öfter allein.


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