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In Mannheim ging ich in den »Wütigen H.«, (der Ausdruck ist zu gemein, als daß ich ihn herschreiben könnte). Ein solches Leben, wie hier, ist mir im ganzen deutschen Reiche sonst nicht vorgekommen, weshalb ich die Gelegenheit ergreifen möchte, hier eine Schilderung davon zu entwerfen, wie das fahrende Gesindel in unserm Vaterlande seine Tage und Nächte verbringt.
Wer schon einmal ein größeres Zigeunerlager gesehen hat, der kann sich am besten vorstellen, wie es in einer solchen Herberge des Morgens hergeht. Da sind allerlei Sorten von Handwerkern und anderen Menschenkindern beisammen, Schuster, Schneider, Metzger, Bierbrauer, Hutmacher, Künstler, verdorbene Kellner, alte Weiber und junge Dirnen, die Orgelspieler selbstverständlich nicht zu vergessen. Hier sitzt einer in der Ecke und flickt seine stark beschädigten Hosen, deren fehlende Stücke er vermutlich bei einer Retirade vor verfolgenden Bauern an einem Zaune hat hängen lassen; dort hat ein anderer eine Beißzange und bemüht sich, seine krumm getretenen Absätze wieder grad zu machen; ein dritter flickt die Löcher an seinen Stiefeln mit Nadel und Faden. Ein vierter mustert seine Wäsche, die sich in traurigstem Zustande befindet, weswegen er sich rüstet, einen papiernen Kragen, eine ditto Brust und zwei Knöpfchen einzukaufen. Wieder einer, der sich in gleicher Notlage befindet, ruft ihm zu: »Hier hast Du sechs Kreuzer, bring mir auch einen Stehkragen, zwei Manschetten und zwei Knöpfchen. Du kannst auch mal Schnaps trinken, wenn Du kommst.«
»Ja, dann mußt Du noch einen Groschen zulegen für die Knöpfchen.«
»Ich habe keinen mehr, leg ihn vor, nachher steig ich los, dann kriegst Du ihn wieder.«
»Ja, dann mußt Du mich aber vorher einmal trinken lassen.«
Der also Angesprochene borgt sich bei der »Mutter« ein Viertelchen Schnaps. »Wissen Sie, in einer Stunde habe ich einen Gulden beisammen, dann werde ich zahlen.«
Die »Mutter« zweifelt daran nicht im Geringsten, schenkt ein und sagt: »Jetzt hast Du drei.«
Das Viertelchen läuft glatt die Kehle hinab und die Papierwäsche wird besorgt. »Vergiß nicht, daß ich Nummero 38 ½ habe, schreit der eine dem andern nach und spute Dich, jetzt ist gerade die beste Zeit zum Ausgehen, die Schmiere (Polizei) läuft noch nicht so auf der Gasse.«
Gegen zehn Uhr wird es im Wirtszimmer leer; alles ist auf Bettel, Schwindel und Betrug ausgeflogen, nur da und dort sitzt ein Paar, das es gerade nicht »nötig hat« und vertreibt sich die Zeit mit Schnapstrinken und Kartenspiel. Erst abends füllen sich die Räume wieder, wo sich auch die Fremden einstellen. Ist das Nachtessen vorüber, so werden die Tische beiseite gerückt und die Leierkasten fangen an zu spielen. Wer da hinten in einer Ecke steht und dem Ganzen zusieht, der muß über den Anblick lachen, ob er will oder nicht. Da ist einer, dem ist das Hosenbein an den Knieen abgerissen, dort schaut einem andern das schmutzige Hemd an den Ellenbogen oder an einem viel verdächtigeren Platze heraus. Der eine hat keine Absätze mehr, der andere keine Sohlen, der dritte verstattet seinen Fußzehen freie Luft und Aussicht. Ein vierter hat gar das ganze wackelige Gebäude seines Schuhwerkes mit einem Stricklein fest zusammengebunden. Von Zeit zu Zeit kratzt sich einer in den wirren Haaren oder fährt sich mit zwei Fingern in den Halskragen, wo es gewissen Tierlein zu warm geworden sein mag. Und nun die Weiber, deren Gewerbe man sofort am Gesicht erkennt! Was für Frisuren, Flitter und Fetzen! Die meisten haben ihre Röcke mit Franzeln besetzt und wenn eine bisweilen stille steht, scharrt sie mit dem einen Fuß am andern, weil der Staub unter den Strümpfen – beißt.
Da ich mich im Anfange etwas beiseite hielt, meinte die »Mutter«, ich sei noch geniert, weswegen sie mich ermahnte, nicht so tot dazusitzen, worauf ich denn auch mit ihr, mit der Tochter und dann auch mit den Dirnen tanzte. Von Zeit zu Zeit sammelt der Orgelspieler, dann präsentiert ein Tänzer, der gerade bei Geld ist, seiner Dame ein Glas Schnaps und so geht das lärmende und ausgelassene Treiben bis zur Polizeistunde.
Der Wirt läßt sich das Schlafgeld vorausbezahlen, »damit,« sagt er, »ihr mich morgen früh nicht ausschmiert. Auf Eure Papiere gebe ich nichts; die richtigen gebt Ihr nicht her und die selbstgemachten könnt Ihr auch behalten.«
Da verkuppelt der Hausbursch noch gegen Schnaps eine Dirne an einen zugereisten Gesellen und dann wird die Gesellschaft in die Betten gebracht, die man nur mit Ungeziefer bedeckt wieder verläßt.
Es ist ein »fideles Elend«, das ich geschildert habe und die meisten unter diesen Leutchen fühlen sich auch nicht unglücklich, im Gegenteil, ein derartiges Leben hat für viele sogar einen gewissen Reiz. Aber es ist, wie ich jetzt meine, doch traurig, daß in einem christlichen Lande – das will doch Deutschland sein – ein Teil der Jugend seine Tage also verbringt.