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Am 30. Sept. 8½ Uhr von Berlin nach Leipzig gereist, schönes Wetter, gehobene Stimmung. Alleinbesitz des Coupés. Vom Bahnhof in die Stadt, wo gerade Messe war; jeder 3te Mensch ein Jude, je mehr man aber in das Getriebe des Handel-Bereichs kam, wurde jeder zu einem Erzjuden, den man sah, solche Echtheit der Trödelerscheinung ist mir in Berlin nicht vorgekommen, da herrscht mehr der Jude als Aristokrat. Theodor zeigte mir die Stätten seiner Jugend. Neuberts Apotheke etc.; nachdem wir gut u. billig gegessen, fuhren wir nach Gohlis, wo das Haus eine Tafel hat, in dem Schiller das Lied »an die Freude« gedichtet hat. Nachdem wir Kaffee mit gutem sächsischen Kuchen wieder billig genossen, gingen wir nach dem Rosenthal, wo Theo oft Sonntagsmorgen seine Gedichte niedergeschrieben. Dann nahmen wir eine Droschke u. fuhren nach Schönfeld, zu unseren verehrten Lazarus', die uns mit der größten Liebenswürdigkeit empfingen u. bewirteten. Ihre Villa ist fein u. gemütlich eingerichtet. Um 11 sagten wir diesen lieben Freunden Lebewohl u. fuhren nach dem Bahnhof u. dampften um 12 Uhr gen München. Zu unserer großen Bequemlichkeit bekamen wir ein Coupé allein u. schliefen nach den Anstrengungen u. Freuden des Tages ganz prächtig. Um 4 Uhr d. 1. Okt. nachmittag erreichten wir München, u. der erste Genuß, den wir uns hier bereiteten, war eine gründliche Säuberung, denn Staub u. Hitze waren arg gewesen. Wir bekamen im Hôtel Marienbad ein sehr hübsches Zimmer u. ließen uns, da nach Papas Prinzip, »an solchen Tagen pflege ich nicht zu essen«, wir auch wirklich von morgens 9 Uhr bis abends 6 Uhr nichts genossen hatten, [eine Erfrischung ins Zimmer bringen]. Dann suchten wir Paul Heyse auf u. verlebten einen höchst angenehmen Abend mit ihm u. seiner Familie.
Am 2. Okt. beim Morgen-Tee erhielten wir eine sehr freundliche Einladung von Heyse zum Nachmittag. Wir machten uns nun auf die Suche der Sehenswürdigkeiten u. sahen zuerst die Basilika, wunderschön. Die Ruhmeshalle, das alte Schloß, die Frauenkirche mit dem berühmten, prachtvollen Denkmal, den Marienplatz, mit dem schönen Brunnen. Dann aßen wir bei Dell Armi, sehr gut u. billig; sahen dann die Ludwigkirche u. gingen zu Paul Heyse, tranken Kaffee mit ihm u. seiner Familie, lernten den kleinen dreijährigen Wilfried kennen u. unterhielten uns höchst angenehm, mußten auch feierlich versprechen, auf der Rückreise wiederzukommen. Dann ins Hôtel zurück, 4 Karten an: Mete, Theo, George u. Zöllners geschrieben, gepackt, Tee getrunken u. – Fahrt nach dem Bahnhof um 10 Uhr, wo wir hörten, daß kein Zug ging, Abänderung seit dem l. Okt. Wir kehrten sehr gern in unser Hôtel zurück, da wir todmüde waren u. lieber die Nacht im Bett als auf der Eisenbahn verlebten.
Am 3t. Okt. 9 Uhr mit dem Schnellzug abgefahren; 2 Stationen hinter München fangen die Bayrischen Alpen an; bei Kufstein werden sie schon großartig, überhaupt von da Staunen u. Bewundrung, jede Sekunde ein Bild. In Innsbruck sehr gut gegessen: Suppe mit Leberknödel; eine schwedische Familie, Eltern u. drei Töchter mit 27 Stück Gepäck, worunter wahre Riesenkoffer! Nun die Fahrt über den Brenner, über alle Beschreibung schön! Durch 28 Tunnel, durch viele minutenlange Fahrt. Es begann zu regnen, in Bozen sehr stark, bis Verona, wo wir beim schönsten Sternenhimmel um 11 Uhr anlangten. Mit einem jungen Engländer nette Konversation gemacht; mit ihm u. einem Deutschen in das Hôtel Colomba d'oro gefahren; einfaches, ausreichendes Zimmer. Tee getrunken u. sehr müde zu Bett.
Am 4t. Okt. 9½ Ausgang; zuerst nach dem Amphitheater, muß man sehen; in den Dom, flaniert; ein Kotelett essen wollen, wegen Knoblauch stehenlassen. Dann ganz reizende Fahrt nach dem jardino Giusti. Fünfhundertjährige Zypressen, 120 [Fuß] hoch! schöner Blick vom Belvedere über die Stadt. Theodor schreibt sich ins Fremdenbuch, unmittelbar hinter Thiers! u. Böcklin! Dann Besichtigung eines wunderschönen Tizian, Himmelfahrt der Maria. Zum Grabmal der Julia; auf dem Wege dahin den Palast der Capulet gesehen. Beim Grabmal Thiers getroffen, nebst 2 Damen. Einen Kranz mit einer Karte einer Mrs. Shakespear[e] gesehen, welche einen Nachkommen S. geheiratet u. am 4. Juni 1874 auch hier war. Nun nach dem Hôtel gefahren, Sachen gepackt, zur Eisenbahn. Um 6 Uhr mit Schnellzug abgereist; schönste Aussicht bis zum Dunkelwerden, durch Padua durch u. um 10 Ankunft in Venedig. Sogleich mit unseren Sachen in eine Gondel u. unsagbar schöne Fahrt durch den Canal grande nach dem Hôtel Bauer. Ich sperrte alle Fühlhörner meines Seins auf, aber man wird überwältigt; denken, vorstellen kann man sich den Eindruck, den man empfängt, nach keiner Beschreibung, nach keinem Bilde. Etwas zurechtgemacht, nachdem wir ein hübsches Zimmer im 3. Stock erhalten u. [in] der riesigen Restauration, die zum Hôtel gehört, zu Abend gegessen; wundervollen Fisch, Asia genannt, u. kostbares Bier; alle Nationen vertreten; ein Lärm, ein Lachen, ein Rauchen, ein Spucken, ein Schmutz u. dann wieder eine so anmutende Heiterkeit u. Ungeniertheit, wie ich es noch nicht erlebt. Bis hierher überall alles billig u. besser wie bei uns, mit Ausnahme des Knoblauch-Beefstäcks in Verona.
5. Okt. Ausgang um 10 Uhr nach dem Markusplatz! Markuskirche besucht! Flaniert; Chokolade u. Bouillon bei Florian auf der Piazza getrunken, die berühmten Tauben gefüttert. Wein u. Pfirsich gekauft; nach der Post, Paket von Decker. Wieder flaniert; immer bleibendes Entzücken. Um 6 Uhr zu table d'hôte in unserem Hôtel; gut gegessen u. getrunken. Frau u. Frl. v. Noville getroffen; mit ihnen nach dem Markusplatz, Piazetta etc. Dann bei Florian Eis u. Limonade getrunken. Um 9 die Damen nach dem Hôtel begleitet u. noch ein Birra in dem Bauer-Restaurant getrunken.
Am 6. Okt. um 9 mit Novilles gefrühstückt, Theo im Zimmer geblieben, um zu arbeiten. 2 Paläste alter Dogen besichtigt, Kirchen, in die Glashandlung v. Salviati; das Bild von Werner gesehen; verschiedene Teile desselben bereits fertig in Mosaik; die venezianischen Künstler sind so entzückt von dem Bilde, daß einer ihrer bedeutendsten, Callini, gesagt hat, seitdem er das Bild gesehen, möchte er gar nicht mehr malen. 25 Künstler in Mosaik arbeiten an dem Bilde, welches ungefähr l½ Jahr zur Vollendung gebraucht. Von dort nach einer Perlenfabrik, sehr interessant, die Bereitung von Anfang an, als Art Kalkmasse in den Ofen schütten sehen, bis fertig in hunderterlei Formen u. Farben zum Verschicken. Auf den Rialto, Fassaden, Kirchen, eine Gondelfahrt, endlich um 6 Uhr, ohne etwas außer ein Stückchen Chokolade genossen zu haben, ins Hôtel. Bis nach 8 Uhr auf Theo gewartet, dann in unser Restaurant, um zu essen. Sehr müde zu Bett.
Am 7. Okt. mit Novilles gefrühstückt; dann ich mit ihnen verschiedene Einkäufe gemacht, in der mercheria; dann eine Gondelfahrt nach der Akademie; herrliche Bilder, hier Theo getroffen; wieder gegondelt nach dem Platz, wo die schöne Reiterstatue von Colleoni steht. Eine Glasspinnerei besichtigt, gesehen, wie die Fabrik-Mosaik angefertigt wird. Kirche dabei mit schönem alten Glasfenster. Wieder Gondelfahrt nach der piazetta; den Campanile bestiegen; 140mal sich umbiegen, immer eine Stufe; sonst sehr bequem, lehnan. Oben göttliche Aussicht; wunderbar schöner Sonnenuntergang. Nach Hause, mit Novilles table d'hôte gespeist, sehr mäßig. Etwas geruht u. nach dem Markusplatz gegangen, wo von 8-10 Musik. Das Ganze wie ein Riesen-Tanzsaal; l000ende von Menschen aller Länder auf u. ab promenierend, unzählige Tische u. Stühle, wo man sich niederläßt, Eis u. Früchte ißt, herrliche, weiche Luft, man ist wie berauscht. Endlich nach Haus, erst noch ein birra getrunken, Metes Perlen kaputt gemacht u. infolge davon mäßig geschlafen.
Am 8. Okt. (an Tante M[erckel] gedacht). Mit Frl. v. Noville in das Perlenmagazin; der Herr erklärte mir auch, »Metall sei zerbrechlich«, war aber doch so liebenswürdig, mir eine neue Kette zu geben, so daß ich meine 5 fr. gerettet hatte, dafür noch 2 Armbänder nahm. Nun mit Theo in den Dogenpalast, anstrengend, aber lohnend. Dann etwas gefrühstückt am Quai, wo die Dampfschiffe liegen, u. dann um 4 Uhr mit Novilles nach dem Lido; auch Herrn Baumeister Schwechten u. seinen Freund Königs aus Köln getroffen. Unterhaltung lohnender wie die Partie; da macht das Meer bei Brighton doch einen anderen Eindruck. Zurück u. noch eine Gondelfahrt im Dunkeln durch den Canale grande, um die Paläste zu sehen, dann in unser Restaurant u. gut gegessen. Auf den Markusplatz mit unseren Berlinern, Eis gegessen, geschwatzt; Theo nach 10 Uhr noch ein Birra mit den Herren.
Am 9. Oktober (an Schreiners gedacht) gepackt; mit Theo bei Quadri gefrühstückt in Gesellschaft unserer Berliner, dann Abschied genommen, die Damen fuhren nach Padua, die Herren blieben noch; per Gondel nach der Schule St. Rocca; nach der Akademie, dann über die Kettenbrücke eiligst nach Haus, im Restaurant das letzte Bier getrunken, Rechnung bezahlt u. nochmalige letzte Fahrt durch den Canal grande nach der Eisenbahn. Während unseres ganzen Aufenthalts das schönste Wetter, gar nicht zu heiß, nur freundliche Menschen, nirgends Überteuerung, dazu diese Natur u. Kunst – facit: Venedig kann wieder besucht werden. Um 2½ Uhr mittags fort; interessante Fahrt mit der Eisenbahn über das Meer, was wir bei der Ankunft in der Dunkelheit passiert hatten. Wir kommen durch Padua, Ferrara, Bologna. Hier mußten wir 1. Klasse fahren u. 5 fr. zu unseren Billets zulegen; sehr schöne Weintrauben in Bologna gekauft. Gegen 11 Uhr in Florenz! guter offner Wagen bringt uns nach unserem von Herrn Schwechten empfohlenen chambre garni; etwas primitiver Eindruck; Betten aber gut, dicker Mann u. dünne Frau freundlich, nach vielen Flohstichen gut geschlafen.
Am 10. Okt. ich sehr lange geschlafen, namentlich gelegen, da mein Kreuz anfängt, schwach zu werden. Briefe von der Post holen lassen, von Mete u. George. Beide zeigen uns den Tod unseres teuren Fournier an! Theo u. ich an die Kinder geschrieben, an Herrn Hertz. In unserer casa Nardini gefrühstückt u. erst um 3 Uhr ausgegangen. Ich war so äußerlich u. innerlich angegriffen, daß alle bauliche u. bildliche Schönheit wie mit einem Schleier bedeckt war. Nachdem wir etwas gegessen in dem restaurant antiche carrozze, gut u. billig, gingen wir in den Dom, der mich, vielleicht durch Weihrauchduft u. Kerzenschein, trotz seiner Höhe bedrückte; flanierten dann u. kamen in die Kirche Annunziata, die, überladen u. von Gold u. Lichterglanz strotzend, nichts weniger als erhebend auf mich wirkte. Wir waren beide worn out, fielen noch in ein Kaffehaus, botte teglio, u. nachdem wir im Dunkeln den Arno gesehen, den Brief zur Post gegeben u. durch die Uffizien gegangen, begaben wir uns todmüde u. ich etwas heimwehsick nach Hause, wo ich mich trotz der frühen Stunde, es war 7 Uhr, sogleich zu Bett legte. Theo brachte mir den Tee, schön zubereitet, an mein Bett, u. da er schon am Morgen mir ebenso liebenswürdig den Caffé serviert hatte, so nenne ich ihn vom 10. Okt. 74 meinen Pagen.
Sonntag d. 11. Okt. erst gegen 11 Uhr von Hause fort, über die Brücke, ähnlich dem Rialto, Namen weiß ich noch nicht, nach dem Palace Pitti; von dort nach dem Platz des Palace Vecchio mit der Ruhmeshalle, sehr schön Perseus von Benvenuto Cellini. Dann bei schöner Musik in dem Uffizienhof, ähnlich wie unsere Wachtparade, nach der Bildergalerie. Hier die unsterblichen Werke gesehen. Statuen: die Venus von Medici, die Ringer, der tanzende Faun, der kleine Apoll, der Schleifer usw. Bilder: Fornarina, Raffael usw., L. d. vinci: der Kopf der Medusa etc. Dann müde von allem Schönen in unser restaurant antiche carrozzi; eine Suppe, halb Reis, halb durchgeschlagene Erbsen u. viel Pfeffer essen müssen, dann anstatt Fisch, worauf ich Appetit, ein Riesen-Schweinekotelett mit Schoten. Dissonanz wegen des Platzes. Nach Haus. Theo zu Bett. Zwei deutsche Damen besehen unsere Wohnung. Früh zu Bett.
Montag d. 12. Okt. Über die Brücken, am Arno entlang, mit einer Fähre über den Arno gefahren; zu Tisch in ein feines restaurant, dann nach Santa Croche, die Grabmäler. Beim Eintreten links das Grabdenkmal Galileis; gegenüber Michel Angelo, dann folgen an derselben rechten Seite Dante, Alfieri, Macchiavell. Alfieris gefiel mir am besten (von Canova).
Nach Hause. Erst noch Kaffee getrunken in einem deutschen restaurant: Gilli e Letta.
Dienstag d. 13. Okt. Nach der Galerie im Palast Pitti; reich an Porträts von Raffael, Tizian, die berühmten Madonnen etc. Beinah 4 Stunden dort geblieben. Gegessen in der Antiche carrozze; sehr gute Makkaroni, Huhn mit Kartoffeln, Kotelett mit Schoten. Dann zum Baptisterium, die kostbaren Gherettischen [!] Türen genau besichtigt; einer Taufe zufällig beigewohnt, einen noch fabrikmäßigeren, nur äußerlichen Eindruck davon gehabt; in eine neue Likörkneipe, 3 feine Schnäpse u. große Gläser, 2 gute Stück Kuchen für 4 sgr. Mit einem Omnibus nach den Cashinen, sehr mäßiges Vergnügen; frostig wirkend. Corsofahrt der eleganten Welt, es war ersichtlich nicht die eigentliche season dafür. Sehr interessanter Gang zurück, am Arno entlang, durch den fashionablesten Teil Florenz'. Zu Haus; ich furchtbar erkältet; Uva gegessen, Tee getrunken, todmüde zu Bett. Theo bleibt immer noch stundenlang auf, macht Notizen, Studien u. bringt sein Tagebuch in Ordnung.
Mittwoch d. 14. Okt. Mich allein in einen Laden gewagt u. für 2 fr. drei Fächer gekauft, um doch auch etwas aus Florenz mitzubringen. Dann mit Theo flaniert, nochmal palace vecchio von außen u. innen bewundert, den Perseus, die verschiedenen Paläste, dann ein Beefsteak gefrühstückt, auf die Diligence nach Fiesole gefahndet, Limonade getrunken, endlich einen Fiaker genommen u. nach Fiesole gefahren. Sehr interessante Fahrt mit blühenden Rosenhecken auf dem Gemäuer, kostbarer Blick auf Florenz, nur verleidet durch ein Heer von Bettlern. In Fiesole Dom besichtigt; Unterkirche aus dem 12. Jahrhundert; ein kostbarer Giotto, Kopf u. Bart des alten Heiligen wunderbar; sehr schöne Majolika-Altarbilder u. einzelne Heilige, namentlich ein Bischof oder Papstkopf. Herrliche Fahrt zurück; ein weites, weites Tal, von dreifacher, ansteigender Hügelreihe umgeben; nach dem protestantischen Kirchhof, um das Grab Mr. Greves, Röschens Mann, aufzusuchen. Es mit Hilfe einer Art Totengräber-Tochter gefunden; ein großer Stein, natürlich weder Blume noch Strauch; selbst die Buchsbaum-Einfassung nur noch stellenweis erhalten; mit Mühe einige Kleeblätter und etwas Buchsbaum mitgenommen, um es in einem Briefe an Pine zu schicken. Am Dom den Fiaker abgelohnt; den Dom nochmals besichtigt, den bedrückenden, seine Großartigkeit sehr vermindernden Eindruck empfangen, dazu das beständige Dämmerlicht, ein in dunkelster Ecke im Kerzenschein prangender Altar, Weihrauch, Geklingel, Plärren zweier Geistlichen, Spucken, Betteln, umherlaufende Fremde u. Einheimische, »Yes« u. »splendid« faselnde englische Kinder, wen das fromm u. andächtig stimmen kann, dem muß das Herz so übervoll von Gram oder Freude sein, daß er eben nichts mehr sieht u. hört; ich war froh, als ich wieder auf freiem Platze war u. meinen lieben, alten Himmel, blau u. klar wie in der Heimat, ohne Heilige, Gekreuzigte, Himmel- und Höllenfahrt sah. Noch ein wenig flaniert; in einer entsetzlich zugichten Kneipe Limonade getrunken, die »Kölnische« u. »Neue fr. Presse« durchflogen, nichts Wichtiges gefunden, als daß Graf Arnim aus der Hausvogtei nach dem maison de santé in Schöneberg gebracht werden soll. Früh nach Hause, um zu packen, da es nun heißt: Auf, morgen nach Rom, der Ewigen Stadt. Eigentlich ginge ich nun gern wieder ein bißchen »heeme«, denn mein armer Grips reicht nirgends aus.
Donnerstag d. 15. Oktober, um 8½ Uhr von Florenz abgereist; frisch, wie ein Morgen in der Heimat. Die ganze Fahrt bis Rom so landschaftlich interessant, daß man sich die Augen auskucken möchte. Immer an den Apenninen entlang, Festen, Burgen, Klöster zu Dutzenden, am Trasimenischen See entlang, berühmt durch Hannibal, der die Schlacht dort gewann; der See hat 10 Stunden im Umkreis. Seine tiefste Tiefe ist 18 Fuß; Napoleon hat ihn wollen trockenlegen, zum Glück nicht geschehen, würde eins der schönsten Landschaftsbilder zerstört haben; drei Inseln darin, natürlich mit Klöstern. Wetter kostbar; Theo bei brillantem Appetit, stürzt fast wie Chevalier bei jeder Station aus dem Coupe, um etwas zu genießen. Endlich um 6½ Uhr in Rom! etwas Mondschein, furchtbarer Trubel, da sehr großer, langer Zug mit vielen Deutschen; Hôtel-Fuhrwerk sehr übersichtlich, da jeder Name transparent erleuchtet. Im Omnibus des Hôtel du Sud et de la pace eingestiegen. Angekommen, sehr elegant, Wirt u. Wirtin geben uns den zweifelhaften Vorzug, uns für Engländer zu halten. Zimmer mit riesiger englischer Bettstelle u. 4 Türen u. 2 Fenstern. Netter französisch sprechender Kellner aus Parma; überhaupt von nun an in 4 Sprachen geredet. Gutes souper auf unserem Zimmer, Theo ißt wie ein Werwolf; auch hier wieder die Erfahrung, wenn man Kotelett bestellt, bringen sie einem rumpsteak. Sehr gut u. lange geschlafen, denn – es ist unser Hochzeitstag – der ewig blaue Himmel Italiens hat seine Schleusen geöffnet u. läßt es regnen wie im lieben Berlin, am Freitag d. 16. Oktober. Es regnet den ganzen Tag. Theo flaniert, während ich im Hôtel mich ausruhe u. zu Ehren des Tages fein mache, etwas umher, kommt nach 2 Stunden wenig befriedigt zurück. Wir dinieren gut mit 2 liebenswürdigen Herren aus Kaiserslautern. Nachher noch ein Gang in die Stadt, nach dem Corso; alles macht nach dem Regentage einen düstern, tristen Eindruck. Unseren Tee im Hôtel getrunken.
Am 17. Oktober uns bei drückender Hitze auf Wohnungssuche gemacht; viele Steintreppen umsonst erklettert, wieder nach Haus. Ich packe, während Theo wieder wandern u. suchen geht; nach 4 Stunden kommt er zurück, fadennaß, krank, eine Wohnung gefunden. Wir siedeln über; ich habe einen furchtbaren Eindruck; wir gehen nach dem Corso, sitzen u. hören Musik; endlich zögernd gegen 9 Uhr in unser neues »Heim«. Beim Licht macht es einen etwas besseren Eindruck; zu Bett u. eine wahre Höllennacht durchlebt. Ich durch Flöhe u. entsetzlichen Lärm auf der Straße im höchsten Fieber der Verzweiflung, Theo ganz krank! innigste Sehnsucht nach Potsdamerstr. 134. c.III.
Am Morgen des 18. Okt. lachender Sonntag, weinendes Herz! Theo krank, sitzt in furchtbar ungemütlicher Umgebung über seinen Korrekturbögen! ich wage ihn nicht anzusehen, weil ich immer nur an meinen Tränen zu schlucken u. Flöhe zu fangen habe. Er ist so elend, daß er nicht ausgehen kann, beschwört mich aber, eine Fahrt allein zu machen. Ich verspreche es; schleppe mich bis zur Post, aber mit dem Gefühl, als hätte ich eine Hautkrankheit, [denke ich] mit Schaudern an unsere Wohnung. Ich kehre matt u. müde zurück, bestreue Bett u. mich mit Bergen von Insektenpulver; es nutzt nichts, zu Dutzenden fange ich die Quälgeister, wie Nadelspitzen groß. Endlich Ausbruch der Verzweiflung; Alternative zwischen mich nach Berlin schicken oder ausziehen! Ich eile in unser Hôtel; stelle unserem zum Glück englisch sprechenden Wirt unsere Lage vor; er gibt mir ein nettes Zimmer für täglich 5 fr.; ich fliege zurück, packe; Theo zahlt die ganze Summe für 3 Wochen, u. wir kehren in das Hôtel zurück.
Zwischen Freude und Leid wird Tee getrunken, sich gründlich bereinigt u. sehr früh in das mir ideal erscheinende Bett gekrochen.
Am Montag d. 19. Oktober. Sehr gut geschlafen; Fahrt durch die Stadt. Vom Hôtel aus zunächst an Fontane trevi vorbei nach dem Trajans-Forum; von dort durch ein Gewirr von Gassen nach dem Forum romanum; die drei Triumphbögen, das Colisseum u. die verschiedenen Reste des alten Rom oberflächlich besichtigt. Vom Colisseum aus durch eine ziemlich langweilige Gasse (wood-sculptur Warrington) nach dem Lateran-Platz, die Kirche St. Giovanni u. den palace in Augenschein genommen. Von St. Giovanni nach der sehr schönen, wenn auch nur einen palastartigen Eindruck machenden Kirche Santa Maria maggiore. Von hier aus über piazza Mathei nach ponte sisto (erquickender Brunnen) u. Trastevere. Rechts einbiegend nach dem vatikanischen Stadtteil; St. Peter, Vatican, Engelsburg. Von hier über ponte st. Angelo nach dem Corso. Abgestiegen u. im Café de Roma etwas genossen. Zur Post; keinen Brief, aber Hr. Ewald getroffen. Mit ihm zum café Cavour, geplaudert u. eine Fahrt für den Nachmittag verabredet. Theo immer noch angegriffen. Ins Hôtel; etwas geruht, dann mit Hr. Ewald in einer schönen, zweispännigen Equipage an santa Maria Montorio vorbei, bis zur villa Doria Pamfili. In deren schönen Parkgärten umhergefahren. Zurück in die Birraria am Corso. Lauter Deutsche getroffen: Oberbaurat Strack, Maler Hübner, Heilbutt, Präsident v. Schoen. Angenehme Plauderei, gutes Wiener Bier, fettes, italienisches Essen. Sehr müde nach Hause.
Am Dienstag den 20. Oktober. Um 9 Uhr Fahrt mit Hr. Ewald nach dem Forum romanum; das am Tage vorher flüchtig Gesehene nunmehr Nummer für Nummer durchgenommen. Via sacra u. die 3 Triumphbögen; Colliseum, Kaiserpaläste (soweit sie ohne permessi zugänglich), Basilica constantinae; Tempel der Faustina (Kirche dahinter), Tempel des Castor und Pollux; Basilica Julia, Phocas-Säule, Tempel des Saturn, Tabularium (unten die vielen gut erhaltenen Säulen) etc. Dann die Treppe zur Rückseite des Capitols hinauf u. durch eine Schwenkung nunmehr in Front; Mittelgebäude mit Turm; daneben 2 Flügelgebäude, von denen das eine der Palast der Senatoren, das andere der Konservatoren heißt. In diesem letzteren befinden sich die kapitolinischen Sammlungen, Skulpturen u. Gemälde. Unter den Skulpturen interessierten uns hauptsächlich die zahlreichen Porträtbüsten der Architekten, Bildhauer, Maler, Komponisten u. Dichter. Unter den ausgegrabenen Bronzeskulpturen vieles sehr schön; drei Frauengestalten, so zueinander gestellt, wie gewöhnlich die Grazien dargestellt werden (vorzüglich erhalten); der Knabe, der sich den Splitter aus dem Fuß zieht; Trümmer von Pferden u. Stieren; die Wölfin, Remus u. Romulus säugend. Unter den Bildern, die sich in 2 Sälen befinden, wären zu erwähnen: eine Madonna v. Francesco Francia; Tod u. Himmelfahrt der Maria von ..., Tod der Hl. Petronella (oben von Gottvater empfangen, unten ins Grab gelegt) von Guercino. Sieg des Alexander über den Darius, von Cortona. Raub der Sabinerinnen, ganz in Rubens-Manier, von Cortona. Porträt des Velasquez, von ihm selbst.
Vom Capitol, die große Freitreppe hinunter, an blühenden Rosen u. Oleander vorüber, nach dem Corso u. Piazza Collonna. Auf der Post Briefe empfangen von: E. Zöllner, Wichmann, Johanna Treutier u. Mete. Gelesen in der Biarria; nach Haus, Briefe an Fr. Lübke, Johanna u. Mete geschrieben. Um 4 Uhr auf den Monte Pincio, um 6 Uhr zu Tisch; die Gesellschaft vom Abend vorher. Abschied von Hr. Ewald, der am andern Morgen nach Florenz reist. Nach Haus; Tee getrunken; sehr müde zu Bett; in der Nacht Gewitter.
Am Mittwoch den 21. Oktober. Theo wieder sehr unwohl. Bleibt im Bett. Ich in eine engl. Apotheke. Um 4 Uhr rappelt er sich auf zu einer Fahrt nach den Thermen des Caracalla. Unsagbar interessant; sie zu sehen verlohnt es schon einer Reise hierher. Zurück; Theo wieder zu Bett, ich zu table d'hôte, nur Engländer u. ein deutsches Ehepaar. Früh zu Bett.
Am 22. Donnerstag, Okt. Theo fühlt sich etwas wohler; schreibt einige Zeilen an Hr. Ernst u. ich einen Brief an meine liebe Chevaliere [Emilie Zöllner]. Früher wie sonst an die Arbeit: nach den »Kaiserpalästen«. Wieder unbeschreiblich; am interessantesten das sehr gut erhaltene Haus der Livia, in zweiter Ehe Gattin des Augustus; Mutter des Tiberius aus ihrer ersten Ehe mit Tiberius dem Ollen. Auf der höchsten Aussichtsstelle Gewitterregen mit Regenbogen; prachtvolle Rundaussicht auf alle berühmten Ruinen des alten Rom. Um 2 Uhr erst fertig; zur Post, sehr netter Brief von unserem George. Dann Fahrt: am Nordostrande von Rom hin. Erst Villa Borghese u. sein weitgedehnter Park; dann zurück auf den Monte Pincio, vorüber an Villa Monte Pincio, dem Spillmannschen Lokal, Villa Medici, Akademia della Francia, bis zur Kirche oben an der Treppe des Spanischen Platzes. Dann bergauf, bergab durch die Straßen des montes Viminalis u. montes quirinalis, an Villa Ludovisi u. palazzo Barberini vorüber bis zu den Thermen des Diocletian u. der in die Trümmer derselben durch Michel Angelo eingebauten Kirche S. Maria degli Angeli. Dieselbe besichtigt; den Tod des st. Sebastian, von Dominichino, mit besonderem Interesse. (Frescobild aus dem Vatican.) Am Palaste des Quirinal vorbei über Monte cavallo bis zur Fontana trevi u. den Corso hinunter, in unsere Biarria. Dort mit Herrn Hübner geplaudert u. die nähere Bekanntschaft mit Hr. Sandvoß gemacht, Privatsekretär des Hr. v. Keudell. Nach Hause. Ich todmüde zu Bett, Theo schreibt mehrere seiner unendlichen Briefe.
d. 23. Freitag, Okt. Nach der Kirche St. Maria degli Angeli; nochmals den Domenichino bewundert. Die Termen des Titus u. das darunter liegende goldene Haus Neros. Nach dem Palast Borghese, die Bildergalerie. Sehr angegriffen nach Hause; früh zu Bett.
Sonnabend d. 24. Okt. Theo nach der Gesandtschaft u. zu Hr. Dr. Klugmann. Um 3 Uhr mit demselben nach dem Colisseum; die Substruktionen des Baues, allerhand im Schutt Vorgefundenes u. besonders die auf viele Steinquadern eingekratzten Tier- u. Menschengestalten, darunter auch Kampfesszenen, in Augenschein genommen. – Von hier nach St. Clemente. Musterstück für den Basilikastil. In der Oberkirche interessante Mosaiken in der Apsis u. sehr bemerkenswerte Fresken von dem jungen Massaccio oder seinem Meister. Christus mit den beiden Schachern u. der Maria sehr gut. In der Unterkirche, deren Säulen jetzt zwischen auf gemauerten Pfeilern stehen, sehr alte Fresken, in byzantinischer Manier; vorzugsweise Szenen aus dem Leben des heiligen Clemens darstellend. Diese jetzige Unterkirche, die einst frei zutage stand, hatte zu ihrer Zeit noch eine eigentliche Kryptkirche, die, ebenfalls noch vorhanden, jetzt eine dritte, allerunterste Kirche bildet, von der man jedoch nur weniges in Augenschein nehmen kann, da sie, seit der letzten Tiber-Überschwemmung, partiell unter Wasser steht. Die Kirche gehört den englischen Dominikanern, von denen jetzt 3 in St. Clemente sind. Es gibt ein dickes, in engl. Sprache geschriebenes, mit Photographien gut ausgestattetes Buch (käuflich), das die Geschichte der Kirche erzählt. – Von hier nach St. Pietro in Montorio. Etwas verfehlte Fahrt. Die Kirche dunkel u. die Freude an der schönen Aussicht durch eine schneidend kalte Tramontana sehr beeinträchtigt. – In die Birraria; durch Café u. Curassao die Lebensgeister aufgefrischt; Sieglac u. Seife gekauft, nach Hause. Tea mit blackigem Brot.
Sonntag 25. Okt. Theo gestern abend noch das Briefpaket gemacht. Mit der Eisenbahn um 9 Uhr nach Frascati; von der Eisenbahn zu Fuß in die Stadt. Wagen genommen zu einer Fahrt über Marino, Ariccia, Castel Gandolfo, Albano nach Genzano u. dem Nemi-See; Preis 20 fr. Der erste Wagen hatte ein stutiges Pferd, u. nach 2 Minuten bekam es den Koller u. wollte nicht bergan. Wir bekamen dann einen besseren Kutscher u. Pferd. Die ganze Partie sehr reizend u. bei einer gewissen Verwandtschaft doch immer sehr wechselnd in den Bildern. Die glänzendsten Partien sind: der Blick auf rocca di papa, auf den Albano u. Nemi-See, endlich der Blick auf das Campagna-Panorama, mit Rom in der Mitte u. einer Umkränzung von Bergen nach 3 Seiten hin, während das Meer als ein breiter lichtbeschienener Streifen die vierte schließt. Auf Hin- und Rückfahrt uns an frisch vom Stock geschnittenen Trauben gelabt. In Albano Kastanien gekauft und gegessen u. einen italienischen Opernzettel für Hr. Wichmann erstanden. Mit dem 4 Uhr 10 M. [Zug] zurück; die Campagna-Trümmer in untergehender Sonne, brillant. Vom Bahnhof zu Fuß in die Biarria; angenehmes Souper, wenig angenehme Gesellschaft an Maler Heilbutt u. Hübner. Um 7 Uhr heim. Tee getrunken.
Montag d. 26. Okt. mich photographieren lassen. Dann mit Theo noch einmal in die Villa Borghese; dann in das Pantheon. Erst das Briefpaket zur Post; im Pantheon das Grabmal oder vielmehr die Grabstätte Raffaels, seine Büste ist fort u. im Vatikan. Außerdem sind daselbst beigesetzt: Annibal Caracci, Thadeo Zucchero u. Peruzzi. Die Kirche empfängt all ihr Licht durch eine weite Öffnung in der Kuppel. Diese selbst wirkt kahl, weil die Kassetten ihres Goldblechschmuckes längst beraubt sind. Trotz alledem ist der Eindruck bedeutend, wozu die Schönheit der Verhältnisse nicht minder dazu beiträgt als ihre Großartigkeit. Die Nischen u. quadratischen Einbauten, alle von geringer Tiefe, enthalten Altäre, ich glaube 6 an der Zahl außer dem Hauptaltar. – Vom Pantheon, gewöhnlich die Rotonda geheißen, nach der nahen Piazza della Minerva, auf der sich ein Elefanten-getragener Obelisk erhebt. (Bernini.) Richtiger sagt man, der Obelisk wachse dem Elefanten durch den Leib. An diesem Platze liegt die Kirche S. Maria sopra Minerva; die einzige wirkliche gotische Kirche Roms. Sie wirkt durch ihre prächtigen grauen Marmorpfeiler, die ein blau koloriertes, mit Bildern u. Goldsternen geschmücktes Gewölbe tragen, außerordentlich schön. Die Hauptsachen in dieser Kirche sind: 1. ein Christus (Marmorfigur) v. Michel Angelo u. 2. die von Philippino Lippi herrührenden Fresken in der Caraffa-Kapelle.
Das eine dieser Bilder, und zwar das von der rechten Seitenwand, stellt den heiligen Thomas von Aquino dar, wie er, auf hohem Sitz, von vier weiblichen Gestalten (wahrscheinlich die Kardinal-Tugenden darstellend) umgeben, die römisch-katholischen Dogmen siegreich gegen die Häretiker verteidigt, die in Gruppen zur Linken und Rechten des Bildes stehen. Die Hauptgestalten dieser zwei Gruppen, darunter die beiden Führer (der eine weißbärtig, der andre kahlköpfig) sowie ein dritter Alter, dem man ansieht, »er war nur durch Schwäche betört und freut sich jetzt, durch Thomas von Aquin wieder zurechtgerückt zu werden«, sind sehr bedeutend. Ebenso bedeutend ist das andre Bild an der Rück- und Altarwand der Kapelle. Es stellt dar, wie Thomas von Aquin den Caraffa, im Momente des Weltgerichts, der Gnade der Jungfrau empfiehlt. Es ist Unsinn, dies Bild »eine Himmelfahrt Maria« zu nennen. Im Gegenteil; sie fährt nicht hinauf, sondern sie steigt herab. Links neben ihr ruft der Engel, in die Tuba blasend, zum Gericht; rechts neben ihr hält ein zweiter Engel die Waage, auf der gewogen wird. Unmittelbarer umschweben sie 4 Engel, die Cymbeln und Harfen spielen, während drei andere Engel, mit Fackeln oder Feuerschwertern, die Wolke tragen, auf der Maria niederschwebt. Zu ihr hinauf strecken Bittende die Hände, unter ihnen Thomas von Aquin, der für Caraffa ein Fürwort bei der Jungfrau einlegt. Alles höchst eigentümlich; großer Stil, ernst, erhaben, wirkungsvoll. Nicht das Modekupferhafte einer späteren Epoche. Der Michel Angelosche Christus unmittelbar links neben dem Altar ist sehr schön, aber doch an Macht u. Bedeutung mit dem Moses gar nicht zu vergleichen. Seiner ganzen Natur lag es eben näher, einen hochpotenzierten Gewaltmenschen als einen nur in der Liebe u. Ergebung Starken daraustellen.
Von der Piazza della Minerva um 3 nach der Birraria, Imbiß genommen. Um 3½ nach st. pietro in vinculis; einer Basilika, deren Mittelschiff durch 20 antike dorische Marmorsäulen von den Seitenschiffen geschieden ist. Die Sehensw[ürdigkeiten] dieser Kirche sind: das Grabmal Julius II. (der hier übrigens nicht begraben wurde) und die Ketten, in denen Petrus gefangenlag. Letztere sahen wir nicht; sie werden nur mittwochs gezeigt. Das Grabmal J. II. ist ein figurenreicher komplizierter Bau, der in 6 Feldern den Moses u. über ihn das Bildnis des Papstes, links und rechts, die Rahel u. die Lea u. über diesen 2 gleichgültige Gestalten enthält. Der Moses ist Michel Angelos berühmtestes Werk u. von großartiger Wirkung im ganzen wie im einzelnen. Von sanct pietro in vinculo durch Trümmergassen bis in die Nähe des Colisseums u. von hier durch das forum romanum bis zum Septimius severus-Bogen. Hier im Begriff, die Treppe zum Capitol hinaufzusteigen, sahen wir eine engl. Familie in einem kleinen kirchenartigen Bau am Fuß der Treppe verschwinden u. folgten ihr. So gelangten wir ohne Wissen, Willen in die Mamertinischen Gefängnisse oder, wie sie vielfach genannt werden, in den Carcer Petri et Pauli. Es sind 2 niedrige, die Größe einer kleinen Kammer habende, übereinander liegende Felsenlöcher. An der Stelle, wo ein Treppchen aus dem Ober- ins Untergefängnis führt, wird der Gesichtsabdruck St. Peters in der Felsmasse gezeigt. Im Unter-Gefängnis der Steinpfosten, an den Peter u. Paul gekettet waren; daneben der Quellbrunnen, der, der Sage nach, damals wunderbar aufquoll.
Von hier aus treppauf auf den Hügel. Kurzer Besuch in der Kirche santa Maria in aracoeli. Basilika, alte Granitsäulen trennen die Schiffe. Hier befindet sich als Hauptsehenswürdigkeit der vielgenannte Sankt Bambino. Kurzer Aufenthalt auf dem Kapitol u. beim Palast Cafarelli. Die vorspringende Trapejische Felsecke gesehen. Müde zurück zum Corso. Kaffee getrunken in café Cavour; Geld gewechselt, Hunderttalerschein, Weißbrot-Einkäufe in via condotti, zurück u. Tee getrunken, schlecht geschlafen.
Dienstag d. 27. Okt. Zunächst nach via scrofa 70, um einen Permesso für die Katakomben von St. Calisto zu erhalten. Mit diesem permesso am forum romanum u. den Caracalla-Thermen vorüber, bis zur völlig mittelalterlichen porta sanct Sebastiane. Kurz vorher schon hatte uns der Weg an dem sogenannten Columbarium u. den Scipionengräbern vorübergeführt. Nunmehr die alte via appia innehaltend, kamen wir nach etwa 10 M. Fahrt bis zu den Calistus-Katakomben; man steigt einige Stufen zu einem Terrain empor, das den Eindruck halb eines wüst liegenden Gartens, halb einer Baustelle macht; wird bald von dem üblichen Kustoden empfangen u. steigt, als handle es sich darum, ein Bergwerk zu befahren, in die Tiefe hinab. Kellerartige Räume nehmen uns auf, die, von obenher gut ventiliert, zunächst keinen anderen Eindruck machten als überhaupt tiefliegende, in den Fels gehauene Kellerräume. Einige heißen Kapellen, andere sind Altarplätze, an denen die ersten Gottesdienste gehalten oder in deren Nähe Bischöfe u. angesehene Männer der Kirche begraben wurden. Weiter hin verengen sich die Räume, u. man tritt in ein Gewirr schmaler Gassen ein, in deren Felswände rechts u. links, kabinenartig, die langen, aber niedrigen Öffnungen zur Beisetzung der Leichen eingehauen sind. Es wirkt wie niedrige Öfen, in die man Backbretter hineinschiebt. Nachdem wir 10 M. lang in diesen schrecklichen u. innerhalb des Schrecklichen doch wieder langweiligen Gassen umhergeirrt waren, eilten wir an die Ausgänge zurück u. freuten uns, wieder Himmel u. Sonne über uns zu haben. Wir trafen eine engl. Gesellschaft, worunter eine durch Liebenswürdigkeit sich auszeichnende Blondine war, endlich mal eine nette Engländerin (lahm wie Elsy).
Weiter hinausfahrend auf der via appia, erreichten wir zunächst die Kirche st. Sebastiano. Der Leichnam des h. S. soll hier beigesetzt sein. Die 2. Kapelle zur Linken enthält unter dem Sarkophage, drin sich die Asche des H. befindet, eine Liegende, nach einem Modell von Bernini angefertigte Statue des H., der die Pfeile nicht fehlen. Neben dem Altar führen Treppen zu Katakomben hinunter, die nach dieser Kirche benannt werden; seit Erschließung der Calisto-K. aber kein besonderes Interesse mehr bieten.
Der Weg führt nun immer mehr in die Campagna hinaus, u. das Bild, das sich bietet, ist sehr ähnlich dem, das wir am Sonntag auf unserer Eisenbahnfahrt nach Frascati hatten. Das schöne Albanergebirge mit seinen vielgenannten Punkten vor uns, links u. rechts Gras- u. Heideland, über das sich in endlosem Wechsel Trümmer von Aquädukten, Häusern u. Türmen ziehn, während unmittelbar am Wege, mehr oder minder zerfallen, die Grabmäler aufragen, die die via appia einfaßten. Das schönste unter diesen ist das in seiner Form dem Hadrians-Grabmal verwandte Grabdenkmal der Cäcilia Metella. Dadurch, daß es im Mittelalter in den Donjon einer ausgedehnten Burganlage umgewandelt wurde u. eine Mauerkrone erhielt, hat es an malerischem Reiz nur gewonnen. Von seiner Höhe aus blickt man auf die tiefer gelegenen Trümmer hernieder, die als Circus des Maxencius bezeichnet werden u. die in ihrer Campagna-Stille, von Efeu überwachsen u. durch alte Portale unterbrochen, einen poetischen Zauber üben. Nachdem wir noch eine kurze Strecke gefahren, kehrten wir auf demselben Wege in die Stadt zurück, um in der Birraria einen Imbiß zu nehmen (bœuf à la mode). Um 3 Uhr zunächst nach der Cestius-Pyramide u. dem protestantischen Kirchhof, um daselbst die Gräber von Th. Fournier u. Wichmanns Bruder zu besuchen. Grenzenlose Konfusion der betreffenden Bücher. Endlich ohne Buch Fourniers Grab gefunden, Wichmanns nicht. Dafür die Grabdenkmäler von Goethes Sohn, Waiblinger, Maler Reinhardt u. Elsasser gesehen. Die ganze Anlage des Kirchhofs sehr schön; terrassenförmig ansteigend, die letzte Terrasse von der Stadtmauer u. ihren malerischen Turmruinen überragt, während die Cestius-Pyramide die eine Seite flankiert.
Von dem Kirchhofe (Rosen, weiße u. rote, blühten auf F. Grabe, Rosen- und Veilchenblätter für Julie mitgenommen) die via ostiensis entlang bis zur Kirche S. Paolo fuori le mura, einer der größten u. schönsten Kirchenbauten Roms. Hier ruhen die Gebeine des Apostel Paulus, wie die des Apostel Petrus in der Peterskirche ruhen. Die betreffende Anlage ist dieselbe; da, wo sich Haupt- u. Querschiff schneiden, erhebt sich ein mächtiger, säulengetragener Baldachin, unter dem ein Altar u. auf diesem ein gotisches Tabernakel oder Sakramentenhaus steht; unter dem Altar die Gruft, zu der Treppenstufen hinabführen. Die Gruft selbst durch vergoldete Türen geschlossen. S. Paolo ist eine 5schiffige Basilika; bei aller Einfachheit von großer Pracht; die 4 mächtigen Säulenreihen, die die 5 Schiffe bilden, sind von Simplon-Granit u. wirken in der Tat wie ein Säulenwald. Ein Blick vom Querschiff aus, in das ein oder andre der Seitenschiffe hinein, macht den Eindruck, als habe man eine große, selbständige Kirche vor sich. Das große Mittelschiff ist zu beiden Seiten über den Rundbögen mit Fresken aus dem Leben des S. Paulus u. unter diesen, beinah friesartig, mit den Mosaikbildern aller Päpste geschmückt. Im übrigen weist die noch ganz neue Kirche (die alte brannte nieder) wenig Detailschmuck auf. Es fehlen durchaus berühmte Bilder u. Statuen. In der Kapelle neben dem Chor wird ein schönes Renaissance-Ziborium gezeigt; auf demselben ein Kruzifix aus dem 14. Jahrh., das durch seine Schönheit u. eine fromme Legende, die sich daran knüpft, im großen Ansehn steht. Aus dem rechten Querschiff (vom Eingang gerechnet) tritt man in den Kreuzgang des Klosters, der bei dem Brande nicht mit zerstört wurde; er ist von seltener Schönheit; zierliche phantastische Säulchen, die paarweis hintereinander stehen, tragen die kleinen Rundbögen u. erinnern in der Gesamtwirkung, die sie üben, an einzelne der Alhambrahöfe. Das Innere des Hofes ist hier in S. Paolo ein dicht bestandener Rosengarten, aus dem der uns führende Mönch mir einen Strauß pflückte.
Von S. Paolo aus direkt nach Haus. Theo rasch Toilette gemacht, um rechtzeitig zum Diner bei Ex. v. Keudell erscheinen zu können. Zugegen beim Diner: der Minister Minghetti, Graf Dönhof u. Frau (Seydewitz), Fürst Lynar u. Frau (Amerikanerin), Fr. v. Pommeresche u. Tochter, Hr. v. Klüber, Offizier aus Düsseldorf. Theo Platz zwischen Fr. v. P. u. der Fürstin Lynar. Um 10 Uhr Theo, Hr. v. Klüber, Fr. v. Pommeresche u. Tochter ins Colisseum, Mondscheinpartie, erst um 12 nach Haus.
Mittwoch d. 28. Oktober. Im Fiaker nach dem Popolo-Platz. Besuch der Kirche S. Maria del Popolo. In den Kapellen einzelnes Interessantes von Pinturicchio, der auch die Decke des Chors mit Fresken geschmückt hat. Sehr respektable Arbeiten. Näheres darüber hat Theo in seinem Notizbuch notiert. Berühmt in dieser Kirche sind noch die Grabmäler des Kardinals Girolamo Basso u. des Askanio Maria Sforza, Sohn des Herzog v. Mailand. Ein bedeutendes Renommee hat auch die Kapelle Chigi, die unter Mitwirkung Raffaels errichtet wurde. D. h. er entwarf sie; links neben dieser Kapelle erhebt sich das große Grabdenkmal einer Fürstin Chigi geb. Odescalchi, das die Bücher als eine Geschmacksverirrung bezeichnen. Wir fanden es sehr schön, trotzdem sich viel dagegen sagen läßt. Das Riesenteppich-Tuch vom schönsten rotbraunen Marmor u. der in stiller Trauer sich aufrichtende Löwe sind so meisterhaft gemacht, daß sie aller Kritik spotten.
Von S. Maria del Popolo den Corso hinauf, um uns die an demselben u. in unmittelbarer Nähe gelegenen Paläste einzuprägen. Lehrreich, aber mühsam und langweilig. Ermüdet nach Haus gegangen. Theo nach kleinem Imbiß in der Birreria in den Vatican, um die Sixtinische Kapelle durchzustudieren. Von dieser um 4 Uhr nach der Peterskirche; kostbare Musik-Vorträge von seiten der päpstlichen Sänger. Dann nach piazza colonna, um die Lokalstudien in Nähe dieses Platzes fortzusetzen. Um 6 nach Haus. Tagebuch geschrieben.
Donnerstag d. 29. Oktober. Um 8½ Uhr in den Vatican. Mit den Loggien des Raffael begonnen u. die exakte Durchsicht derselben in aller Muße beendet. Dann in die Stanzen; alle 4 kursorisch durchgenommen; nur die stanza, die die Messe von Bolsena enthält, eingehender bewundert; den Rest für morgen aufgehoben. Um 11 hinauf nach S. Pietro in montorio; innerhalb der Kirche einige gute Sachen v. S. del Piombo gesehen; namentlich ein Christus an oder über der ersten Kapelle rechts. Die eigentliche Sehenswürdigkeit dieser Kirche ist il Tempietto di Bramante; ein kuppelförmiges, von Säulen umstelltes zierliches Tempelchen, das inmitten des Klosterhofes sich an der Stelle erhebt, wo der Legende nach das Kreuz des Petrus gestanden haben soll. Ferdinand der Katholische v. Spanien u. Isabella errichteten diesen Bau, der eine kleine Kapelle u. in dieser ein Quell u. Brunnenloch umschließt, das die Stelle angibt, an der das Kreuz sich erhob. Von hier aus zurück in die Stadt. Sehr mäßiges u. ziemlich kostspieliges dejeuner bei Bedeau, via santa croce 81.
Von Bedau auf die Post; Brief vom Chevalier empfangen; im café Cavour mit Heiterkeit u. Freude gelesen. Dann wiederum in den Vatican, und zwar in die Sixtinische Kapelle, die Theo schon gestern durchgenommen hatte. Großartigen Eindruck empfangen von den ersten 6 Deckenbildern, die bis zum Sündenfall reichen,
Um 3½ in die Peterskirche; l½ St. innerhalb derselben verweilt; dann auf die Piazza Colonna. Noch eine halbe St. in der Birreria, wo wir die Nachricht von Arnims Freilassung in einer italienischen Zeitung lasen; kleine Einkäufe. Nach Haus. Tagebuch.
Freitag d. 30. Okt. Sehr früh aufgestanden, um wieder so früh wie möglich in den Vatican zu gehen. Begonnen mit der Laurentius-Kapelle. Dann die Durchsicht der 4 Raffaelischen Stanzen fortgesetzt u. beendet. Um 11 Uhr nach San Onofrio u. Kloster. Draußen die 3 St. Hieronymus-Bilder von Domenichino. Dann ins Kloster; in die Tasso-Zelle, wenn ich nicht irre, jetzt Zelle N 28. Man geht einen Korridor entlang u. biegt rechtwinklig in einen zweiten, an dessen Ende, letzte Zelle, sich die Tasso-Zelle befindet. Über einer der Korridor-Türen ein Lünettenbild von Lionardo da vinci; es ist die Madonna, mit dem Besteller des Bildes, knieend vor ihr. In der Tasso-Zelle befindet sich seine Totenmaske, der Bleisarg, darin sich seine Überreste befunden hatten, ein Manuskript, ein Sessel, ein Kruzifix u. a. m. Unmittelbar hinter dem Kloster führt ein Gang durch eine Art Gemüsegarten, gewiß zum Kloster gehörig, zu einer kleinen Anhöhe, von der man einen schönen Blick auf Rom hat. Zypressen u. wilde Rosen, Lorbeer wucherten im Gestein, fast nicht mit Händen zu reichen, steht malerisch schräg die Tasso-Eiche.
Von Onofrio in die Birraria u. den Kuchenladen. Dann wieder in den Vatican. Dritter Besuch der Sixtinischen Kapelle Theodors; seine Bemerkungen darüber stehen in dem kleinen Buch.
Vom Vatican um 4 Uhr ins Hôtel. Theo macht Toilette zu einer Visite bei Hr. v. Keudell. Nach Palazzo Caffarelli. Er gibt Karten ab u. geht in St. M. Ara Coeli hinein; besichtigt den St. Bambino in seiner kleinen Kapelle. Weiterer Spaziergang, dann Visite bei Frau v. Pommeresche Via due Marcelli 102; sie war sehr liebenswürdig, machte höchstens den Eindruck einer Amtmannsfrau. Gegen 9 Uhr ins Hôtel; ich schreibe den Geburtstagsbrief an Theo fertig, der Alte an Elsy v. Wangenheim u. Hr. v. Klüber.
Sonnabend d. 31. Oktober. Um 8½ Uhr wieder in den Vatican. Beinah 3 Stunden in der Pinacoteca. Theo macht Aufzeichnungen über jedes Bild.
Um 11 nach St. Maria Maggiore: Kapelle Borghese, Kapelle Sixtus V, Tomba di Pio nono. Fresken, Mosaiken, siehe Baedeker u. Fels. Ins Hôtel; Versuch eines lunch scheitert (weil die eigentliche Zeit vorüber). Um 2 in den Vatican. Besuch der Statuen-Galerie. Unsagbar herrliche Schätze: Porphyr-Sarkophage, Antinous-Statue u. Büste, Jupiter, Kaiser Nerva, bronzene Herkules, Phokion-Statue, galerie degli Animali, schlafende Ariadne, Apollo, Eidechstöter, Diskuswerfer, Siegeswagen, Pinienapfel, Eros (halbe Figur), Apollo in langem, frauenartigem Gewande, vor allem: Laokoon, Apollo, Merkur, Perseus mit dem Haupte der Medusa (letzteres modern, von Canova). Siehe die Striche im Felsschen Buch. Um 4 in die Peterskirche. Feierlicher Gottesdienst in der einen schönen Marienkapelle, gegenüber der Capella dello Sacramento.
Um 5½ in die Birraria. Gut gegessen: Theo zweimal Suppe v. Kräutern u. Fricandeau. Ins Hôtel; an Mete geschrieben; Theo Brief an Zöllner angefangen.
Sonntag d. 1. November. Um 10 Uhr in die Peterskirche. Gottesdienst in derselben Kapelle; ungefähr 2 Stunden dauernd, ohne Predigt. Gesang, endlich Abendmahl. Alles Zeremonie. Theo nimmt unterdessen den ganzen St. Peter durch. Siehe das Felssche Buch u. Theos Notizen über die Grabmäler der Stuarts u. der Königin Christine. Um l Uhr in die Villa Farnese. Bis 3 Uhr die berühmten Raffaelischen Deckengemälde, das Märchen von Amor u. Psyche darstellend, durchstudiert. Dann das 2. Zimmer; Raffaels Galatea; Perruzis Deckengemälde; Poussins Landschaften, in Kohle gezeichneter großer Kopf des Michel Angelo. – Mit dem Fiaker nach der Post, Metes Brief abgegeben u. zu meiner herzerquickenden Freude Briefe von Theo, Mete, Friedel, Tilla empfangen, die ich dem »Gestrengen« im café Cavour vorlese. Auf den Monte Pincio; wundervoller Sonnenuntergang; St. Peter in rotgoldner Glut. Entzückender Corso der vornehmen Welt: schöne Frauen in schönen Equipagen.
Um 5¼ nach Haus. Um 6 zur table d'hôte; höchst langweilig mit steifen Engländern. Um 7½ nach Fontane Trevi u. jeder von uns dreimal aus dem Brunnen getrunken. Ins Hôtel; gepackt.
Montag d. 2. November. Um 10 Uhr Rom verlassen! u. nach Neapel gereist. Wieder entzückende Fahrt; verhältnismäßiges Ausruhn, eine 7stündige Eisenbahnfahrt; nur leider wieder - gehungert. Im Hôtel W...-Omnibus mit einem netten Berliner Ehepaar gefahren u. später mit ihnen bei der table d'hôte uns angefreundet. Theo bleibt noch im Lesesalon, u. ich mache wieder eine – entsetzliche Entdeckung. Schlafe, nachdem ich die verschiedensten Reinigungen, frische Wäsche, Insektenpulver angewendet, wieder gut, erlebe aber im Traum wieder Ekelerregendes.
Dienstag d. 3. November. Sehr früh erwacht u. meines lieben Geburtstagskindes [Theo] aufs herzlichste gedacht. Um 6½ Uhr aufgestanden u. die Sonne über dem Vesuv aufgehen sehen. Um 8 Uhr Frühstück; weniger gut alles wie im Hôtel du Sud in Rom. Theo schriftstellert den ganzen Tag an einem Brief für die Chevaliers [Zöllners]; ich bessere aus, reinige meine Sachen, lese, schlafe, schreibe Tagebuch u. bewundere alle 5 Minuten die allerdings ideale Aussicht aus unserem Fenster; vor uns das sonnen-beglänzte Meer mit Capri, zur Linken den Vesuv! Beim schönsten Wetter, lauer, wohltuender Luft, nur leider mit – knurrendem Magen! Um 5 Uhr ein Stündchen flaniert, es war aber bereits zu dunkel, um einen klaren Einblick zu empfangen. Um 6 Uhr zur table d'hôte. Das Berliner Ehepaar stellt sich uns als Baurat Schwatlo vor; zugleich mit Bankier Hauk u. Sohn aus Frankfurt a /M. Angenehme Plauderei. Später mit den Herrschaften nach dem café ..., vorher am Quai Austern gegessen, ich nicht.
Mittwoch d. 4. November. Um 8 Uhr gefrühstückt, um 9 mit den Herrschaften nach Pompeji. Über alle Vorstellung interessant; namentlich auch die neuen Ausgrabungen, so wie die versteinerten Mumien. Sehr angreifende Partie. Todmüde um 5 Uhr wieder nach Neapel per Eisenbahn (l Stunde), wie am Morgen, zurück. Gegessen; nach dem Diner mit S. in ein Café. Von Lucae, Böttcher etc. gesprochen. Todmüde zu Bett.
Donnerstag d. 5. November. In glühender Hitze, nach dem Toledo, zum Buchhändler Hoepli gefahren; Hr. Ernst Sohn noch nicht angekommen. Pläne u. Buch gekauft. Sehr interessanter Gang durch den ganzen Toledo, das Treiben u. Leben, die Wirkung der Nebenstraßen, einzig in seiner Art. Zurück per Droschke in ein Café; Theo entdeckt, daß ihm seine Geldtasche gestohlen ist. Nach dem Quai, in die Austern-Restauration, Frühstück mit unseren neuen Bekannten. Dann nach der Schwefelquelle; nachdem wir getrunken, von einer Horde kleiner zerlumpter Neapolitaner, bettelnd, schreiend, Rad schlagend, weinend, uns umschwirrend wie die Fliegen, nach dem Hôtel eskortiert. Spaziergang nach der Villa u. ins Aquarium, 2 Stunden uns hier aufgehalten, man konnte sich nicht sattsehen. Herrliches, warmes Wetter. Fast ohnmächtig vor Hunger zu Tisch. Plauderei nach Tisch über Fr. v. L., die eine Jugendfreundin der Fr. Baurätin ist; sie ist 40 Jahr, unsere Gnädige. Die Verhältnisse im Prince Smidt Haus etc. Die Herren gehen noch flanieren. Frau S. fragt Fr. v. L.: Sind denn deine Erwartungen von der Ehe oder dgl. erfüllt, worauf sie antwortet: er ist die Antwort mir auf jede Frage.
Freitag d. 6. November. Mit den beiden Hr. Hauks u. S. per Dampfboot nach der Blauen Grotte. Ziemlich unruhige See; um 9 Abfahrt, um 12 Uhr da, in ein Boot mit Theo u. dem jungen Hr. Hauk; 2 kleine Fischerjungen lotsen uns in die wunderbare Grotte; ein alter Mann schwimmt für l fr. u. erscheint im Wasser wie ein Riesen-Silberfrosch. Wieder aufs Dampfschiff u. hinauf nach Capri. Beschwerlicher steiler Weg bei brennender Sonnenhitze; oben in der Künstlerkneipe wunderbar schön! Sehr gut gefrühstückt in dem Zimmer, wo die Maler Türen, Wände etc. aufs reizendste bemalt, allerhand Teller u. Tassen an den Wänden, mit Black gezeichnet. Schönen Capri getrunken, Abschied von Hauks genommen, die auf Capri bleiben, u. eiligst hinuntergestiegen, um mit dem Dampfschiff nach Sorrent zu fahren. Noch nicht unten angelangt, sehen wir es vor unseren Augen abdampfen. Sachen, Nachtzeug etc. alles mit. Wir verfassen ein Telegramm an unseren Wirt, die Effekten nach Salerno zu schicken, u. nehmen ein Boot mit 4 Ruderern, welche versprechen, uns in 2½ Stunden nach Sorrent zu fahren. Ich steige schweren Herzens mit ein; die See ruhig, die Sonne prachtvoll untergehend, Capri hinter, Sorrent vor uns, das schöne, großartige Meer, Hr. u. Frau? mit wohlklingenden Stimmen singen »O seh ich auf der Heide dort« u. »Ich wollt, all meine Lieb ergösse sich« u., zu Ehren des Entdeckers der Blauen Grotte, Kopischs »Als Noah aus dem Kasten kam«; es war alles unsagbar schön. Aber die Sonne schwand, u. es wurde kalt u. zu kalt ohne Plaids u. Decken, u. so langten wir im Finstern in Sorrent an; unsere Ruderer, die uns unterwegs mit ihrem, wenn es rasch gehen sollte, »aller« u. »Maccaroni« Rufen amüsiert hatten, geleiteten uns mit Hilfe einer Laterne in das Hôtel »Tramontana«, wo wir ein fürstliches Zimmer erhielten, Theo sich aber schleunigst, da er heftig erkältet war, ins Bett begeben mußte. Eine schlimme Nacht; früh morgens allerhand aus der Apotheke geholt. Theo bleibt im Bett liegen.
Am Sonnabend d. 7. Nov. Ich frühstücke mit L., u. wir gehen dann Einkäufe machen, seidene Bänder u. reizende Holzsachen. Dann machen wir 3 eine entzückende Fahrt u. kommen gegen l Uhr zum Frühstück wieder; Theo hat sich unterdessen aufgerappelt, ist aber noch recht elend. Abschied von der netten englischen Wirtin, die uns mit Nachtzeug etc. aus der Verlegenheit geholfen, u. in einem bequemen Wagen fast die entzückendste Fahrt meines Lebens gemacht. Diese Fahrt ging zunächst durch die Ausläufer von Sorrent, worunter auch das Städtchen Meta, bis auf die Höhe eines Vorsprungs u. sieht nun immer den Rand der hier das Ufer bildenden Felsmassen, so daß wir nach rechts höher gelegene Berge, mit Dörfern u. Villen, nach links das Meer u. den Blick auf Sorrent, Capri u., wenn ich nicht irre, auch auf Ischia hatten. So erreichten wir castel-à-mare, von wo aus der Weg rechts einbiegend uns durch die vulkanischen Gebirgsketten führte, die das ganze Terrain zwischen Castel à mare u. Salerno ausfüllen. Letzteres erreichten wir nach Passierung kleinerer u. größerer Ortschaften gegen 6 Uhr abends u. nahmen Quartier im Hôtel Victoria. Nach eingenommener Mahlzeit u. Entwerfung eines Schlachtplans für den nächsten Tag gingen wir zu Bette.
Sonntag d. 8. November. Früh auf; gemeinschaftliches Frühstück u. Wettfahrt in 2 leichten Droschken nach der Eisenbahn; bis Battipaglia, hier unseren Wagen von gestern gefunden u. in einiger innerer Aufregung nach Paestum gefahren, eine staubige, windige Fahrt, aber landschaftlich interessant. Büffelherden begegnen uns, aber gottlob keine Briganten. Allerdings reitet eine Patrouille von 3 Ulanen mal vor, mal hinter uns her. Paestum sehr großartig, namentlich der Neptunstempel; durch Farbe u. Lage vor der sog. Basilika u. dem Cerestempel ausgezeichnet; namentlich auch durch die entzückenden Durchblicke zwischen seinen Säulen. Ein höchst gelungenes Frühstück auf den Stufen des Neptuntempels zu uns genommen, welches der Wirt in Salerno uns eingepackt. Um 3 Uhr Rückfahrt nach Battipaglia u. per Eisenbahn über Castel-a-mare – Pompeji u. Portici zurück, todmüde, Theo noch unwohl, aber durch die ganze Expedition doch sehr befriedigt.
Montag d. 9. November. Theo ruht sich aus, und ich gehe mit S. ins Museum, wo mich die Ausgrabungen von Pompeji aufs lebhafteste interessieren. Um 11½ nach dem Hôtel, leider keinen Brief von den Kindern. Fahrt mit S. nach Sankt Martine; schöne Aussicht über Neapel u. Hafen, sehr kalter Wind. Besichtigung von Kloster u. Kirche, ich bin sick of it. Rückfahrt, einige Einkäufe, zur table d'hôte ins Hôtel. Abendgeplauder im Salon über Mord u. Todesstrafe; da ich weder Interesse noch Geschmack daran fand, ziehe [ich] mich zurück u. schreibe Tagebuch.
Dienstag d. 10. November. Früh auf; ich schreibe an Mete u. Theo. Theo sen. krank im Bett; will die beabsichtigte Partie mit S. nach Bajä u. dem Posilipp nicht mitmachen. Während ich unten im Speisesaal frühstücke, läßt er sich durch den Baurat umstimmen; wir fahren um 9½ Uhr beim schönsten Sonnenschein vom Hôtel fort. Wir fahren bis Pozzuoli; begeben uns mit einem Führer nach dem Solfatara, eine Art Krater, aus dem ganz anständiger Schwefeldampf hervorquillt u. viele unzählige Dampfwölkchen in seiner nächsten Nähe. Der Boden ist hohl, was uns durch einen fleißigen Italiener, der einen Stein erhebt u. niederwirft:, mehrfach bewiesen wird. Zurückkehrend u. ein wenig weiterfahrend, finden wir das Amphitheater, welches größer ist als das in Pompeji u. Verona; hier wurden der heilg. St. Januarius u. andere Märtyrer von wilden Tieren verschlungen; merkwürdig erhalten in seinem Unterbau u. die Verwendung der Ziegeln dazu. Wieder in den Wagen u. nach dem Serapis-Tempel gefahren, welcher 1759 entdeckt u. ausgegraben wurde. Dieser Tempel ist nach u. nach unter den Meeresspiegel versunken. Die Statuen, die man vorfand, befinden sich im Museum zu Neapel. Er scheint dem Jupiter geweiht gewesen zu sein, zu gleicher Zeit ein Pantheon u. Bäder in sich vereinigt zu haben; in diesem höchst interessanten Ruinenkomplex stahl ich mir ein großes Stück Marmor. Von hier fuhren wir nach Baja, frühstückten auf einer hochgelegenen Veranda mit entzückender Aussicht u. wurden zum ersten Mal geprellt, d. h. eigentlich nur S...., da Theo gar nicht u. ich l Dtz. Austern für l fr. zu mir nehme. Überhaupt wurde uns aber der ganze Ort durch die unverschämteste Bettelei verleidet, so daß selbst mein Alter seine himmlische Ruhe verlor. In einer alten Grotte tanzten drei alte Weiber die Tarantella, was wenig poetisch aussah u. die Grazie nicht vertreten war, dafür kosteten aber auch 2 Minuten l fr., womit sie aber keineswegs zufriedengestellt waren. In derselben Grotte war auch ein merkwürdiges Echo. Von Bettlern jedes Alters förmlich belagert u. angefallen, traten wir schleunigst mit unserem Wagen den Rückweg an; fuhren nun nicht wie auf der Hinfahrt meist am Meere entlang, sondern landeinwärts u. kamen durch den merkwürdigen Posilipp, ein Felsen-Durchbruch von beträchtlicher Länge, mit Gasbeleuchtung u. so breit, daß 2 Wagen u. Fußgänger bequem durchkommen. Dicht dabei, nachdem man das Dorf Posilipp durchfahren, ersteigt man eine Anhöhe u. wird in das Columbarium des Virgil geführt, in dem er nebst Familie ruhen soll. Die authentische Grabtafel soll sich im Museum befinden. Um 5 Uhr treffen wir im Hôtel ein u. finden einen Brief von Mete u. dem jungen Herrn Ernst. Theo ißt Arraroût u. etwas Hammel auf dem Zimmer; schreibt an Zöllner u. Mete. Früh ins Bett.
Mittwoch d. 11. November. Nach dem Frühstück im Salle gehe ich zu Giorgio Sommer u. kaufe l Dtz. Photographien à 5 fr. Theo ins Museum. Es regnet u. stürmt; die Aussicht auf das wogende Meer entzückend. Kurzen Gang mit Frau S., es regnet, u. wir werden sehr naß. Es stürmt so, daß ich nicht mit zur table d'hôte gehen kann. Theo einiges über das Museum gelesen; geht zum diner u. plaudert Längeres im Salon mit dem Baurat.
Donnerstag d. 12. November. Um 10½ Uhr ins Museum nationale, Die Pinakotheka u. die Bronzen aus Pompeji bewundert. Dann in die Birraria, gefrühstückt. Von hier aus zunächst in die Capella St. Severa, um die daselbst durch ihre meisterhafte Technik ausgezeichneten Skulpturen in Augenschein zu nehmen. Drei derselben, eine in feinste Schleier gehüllte weibliche Figur, ein unter einem Linnentuch ruhender toter Christus u. eine männliche Figur, die sich aus dicken Netzen befreit, sind, wie man auch über den künstlerischen Wert dieser Dinge denken mag, in bezug auf Arbeit Werke ersten Ranges. Von St. Severo in den Dom, dessen Fassade wenig verspricht u. günstigenfalls mehr eigentümlich als schön ist. Im Inneren wirkt der [Dom] durch Dimensionen, Farbentönung, Licht u. Reichtum sehr günstig, so daß man über ein gewisses Stil-Sammelsurium gern hinwegsieht. Die Chornische u. die große Kapelle des heil. Januarius (in der sich auch das Blut des Heiligen befindet) sind mit Fresken Domenichinos reich geschmückt. Die Komposition in der Kuppel der letztgenannten Kapelle scheint bedeutend, doch hat weder sie noch die anderen Fresken den Domenichino- Ton.
Alles ist heller, blasser u. wirkt deshalb minder bedeutend als z. B sein St. Sebastian in St. M. degli Angeli zu Rom. Von dieser Kapelle aus begaben wir uns zunächst in die Kryptkirche unter dem Chor, wo sich neben höchst interessanten heidnischen Basreliefs aus Pozzuoli eine ausgezeichnete Statue Michel Angelos befindet, den betenden Caraffa darstellend. Außerdem befindet sich hier eine vergoldete Silberbüste des heiig. Januarius u. als Reliquie ein in einem Glaszylinder aufbewahrter Finger ebendieses Heiligen. In die Oberkirche zurückgekehrt, wurden wir noch in die einen Anbau bildende Kapelle der Santa Restituta geführt, die neben Granitsäulen aus der römisch-griechischen Zeit in ihrer Altarnische namentlich auch ein sehr interessantes Mosaikbild, angeblich aus dem 13. Jahrhundert, aufweist. Es stellte Maria mit dem Kinde dar, die zur Linken den heilg. Januarius, zur Rechten die heil. Restituta hat. Der Ausdruck der Köpfe ist viel feiner u. charakteristischer u. die Haltung der Figuren minder steif als auf den sonst verwandten, alten Mosaiken der Markuskirche in Venedig.
Vom Dom per Droschke ins Hôtel, Theo zu Bett, ich Tagebuch geschrieben.