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»Fahrt oder geht möglichst viel umher und seht möglichst wenig Bilder«
Briefe
An Ernst Gründler,
Berlin, 11. Februar 1896
Daß Sie Schottland kennen, webt ein zweites Band zwischen uns. Ich bin Nordlandsmensch, und Italien kann, für mich, nicht dagegen an.
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An Tochter Martha,
Berlin, 16. März 1884
Heute früh erhielten wir Deinen zweiten Brief aus Nizza – ich bin entschieden gegen »Nice« –, und da ich nicht wissen kann, was die nächsten Tage an Störungen vielleicht bringen, so benutze ich die Sonntagsstille (für Mama zu still, woraus sie mir immer einen Vorwurf macht), um Dir zu schreiben und vor allem auch zu gratulieren [zum Geburtstag am 21. März]. Zu den vielen Wünschen, die ich für Dich habe, gehört mit Rücksicht auf die momentane Lage vor allem auch der, daß Du so froh, so heiter, so zweifelsohne wie möglich in den herrlichen blauen Himmel hinauf und auf das herrliche blaue Meer hinab schauen mögest. Glaube mir nach meinen reichen Reise-Erfahrungen überhaupt, aber speziell auch nach meinen aus zwei Aufenthalten herstammenden italienischen Erfahrungen, daß es nur darauf ankommt, nur auf das, was auf der Straße liegt, was man von jedem Hôtel- oder Wagen-Fenster aus sehen kann. Mama und ich sind vollkommen einig darüber, daß die weitaus größten Genüsse, die wir in Italien gehabt haben, Fahrten aller Art: auf Eisenbahn, Dampfschiffen, Booten, in Landkutschen und Droschken, und außerdem Spaziergänge waren, Spaziergänge den Corso oder den Toledo (in Neapel; jetzt Via nazionale), die Piazzetta oder den Monte Pincio entlang, und daß alle Kunstgenüsse daneben verschwinden. Auch der wütendste Bilder-Tiger kommt außerdem noch sehr bald dahinter, daß er nicht alles, nicht ein Zehntel verschlingen kann und daß man sich mit Brocken begnügen muß. Die aber werden keinem versagt, so wenig, daß man eher umgekehrt sagen kann, sie fliegen einem wie Konfetti während der Karnevalszeit an den Kopf. Welche Plätze Ihr auch besuchen mögt viele oder wenige, große oder kleine, eine reiche Ausbeute ist ganz unausbleiblich, was Du nach überstandener Kampagne mit ebensoviel Dank wie Genugtuung erkennen wirst.
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An Tochter Martha,
Berlin, 8. April 1884
Statt eines Osterstollen wenigstens einen Osterbrief. Wo wir Dich in der Ewigen Stadt suchen sollen, wissen wir noch nicht, doch, denk ich, vorläufig in dem Hôtel sopra Minerva. Da hast Du die Kirche in der Nähe, in der, glaub ich, links neben dem Altar der wunderbar schöne Christus von Michelangelo steht (mit einem Goldschuh, weil der Vorderfuß, wenn mir recht ist, abgebrochen war), da hast Du Monte Citorio, wo sich das römische Volk zu versammeln liebte, trotzdem der Monte nicht höher und größer ist als unser Schneckenberg, da hast Du die Piazza Colonna, den Palazzo Borghese, die Post, das Café Cavour, alles so nah, daß man sich vom einen zum andern einen Guten Morgen zurufen kann. Auch eine wundervolle Conditorei ist da, wo man kleine »Bouches« kriegt, Schokoladenbiskuits mit Creme-Füllung, woneben die ganze Herrlichkeit von Kranzler-Josty nur eine Roheit oder doch höchstens ein Kultur-Anfang ist. Und schrägüber von der Konditorei ist eine Wasserbude, wo statt schrecklichen Sodawassers mit noch schrecklicherem Himbeersaft bloß acqua, bloß Wasserleitungswasser verkauft wird, aber welch Wasserleitungswasser, nicht aus dem algenreichen Tegler-See, sondern ein Wasser »vom Gebirge her«. Doch wozu Dir von dem erzählen, was Du vor Augen hast und in jedem Augenblicke genießen kannst; ich mach es wieder wie vor 14 Tagen bei Lindau, wo ich den neben mir sitzenden Prinzen von Meiningen, an der Hand Onkel Wittescher Weisheit und Erfahrungen, über Meininger Zustände unterhielt, bis ich mich entsann und mich entschuldigte.
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An Tochter Martha,
Berlin, 8. April 1884
Wenn ich mir für Rom Ratschläge erlauben darf, so fahrt oder geht möglichst viel umher und seht möglichst wenig Bilder. Campagna, Frascati, Tivoli, Albano, Genzano, Nemi, Palatin, Esquilin, Villa Doria Pamfili (Trastevere), sechs, acht Kirchen, die Vaticanische Galerie, die Galerie im Palazzo Borghese, die Farnesina, das sind – außer dem, was am Wege liegt – die Dinge, die man gesehn haben muß, das andre kann man sich schenken. Fünf Tage lang in Rom und Umgebung unausgesetzt umherfahren ist lehr- und genußreicher als das programmäßige sight-seeing. In Neapel, das Ihr bald sehen werdet, trifft dies noch mehr zu; freilich ist dort auch die Verführung nicht so groß, um aufgespeicherter Kunst willen die Natur zu opfern. Die Natur ist da alles.
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An Heinrich Kruse,
Berlin, 16. Mai 1888
Wozu nicht die Fontana di Trevi alles gut ist! Als ich anno 74 an dem alten Wasserkasten stand und eine Kupfermünze hineinwarf (oder vielleicht war es ein anderer Hokuspokus), um mir dadurch den Anspruch auf ein Wiedersehn zu erkaufen, war ich eines Heinrich Kruse-Grußes von jener Stelle aus nicht gewärtig. Ich freue mich zu hören, daß Ihnen alles so wohl gefallen hat, und unzweifelhaft, es ist ein Glück, in den Thermen des Caracalla oder zwischen den Säulen von Paestum gestanden und auf das blaue Meer geblickt zu haben, aber ich habe keine Sehnsucht wieder hin, und wenn ich dennoch auch dazu käme, so würde ich nur auf der Campagna oder im Apennin umherbummeln und den ganzen Kunstkram beiseite lassen, nicht aus Gleichgültigkeit gegen die Kunst, sondern aus immer wachsendem Respekt. Wovon man nichts versteht (und ich verstehe immer noch mehr als der durchschnittliche »sight-seer« davon), davon muß man fernbleiben. Mir tut die Zeit leid, die ich daran gesetzt habe, das M. Angelosche »Jüngste Gericht« schön zu finden, und so geht es einem in Italien mit tausend Sachen. Nur von der Natur hat man einen vollen, reinen Genuß.
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An Georg Friedlaender,
Berlin, 24. Oktober 1888
In Ihrem ersten Briefe hat Ihr in Gastein zurückbleibender »staatsanwaltlicher Kollege« den tiefsten Eindruck auf mich gemacht. Diese beständigen kleinen Schicksalstücken, bei denen die persönliche Schuldfrage nur erst ein Zweites und beinah Nebensächliches ist, interessieren mich immer ungemein. Es ist, als ob die Götter unser nach eignem Plan zurechtgelegtes Glück nicht wollen, sie werfen uns dann und wann eine süße Frucht in den Schoß und haben nichts dagegen (im Gegenteil), daß sie uns schmeckt, aber sowie wir das Glück zwingen oder auch nur mit Hilfe von Baedeker uns etappenmäßig ausrechnen wollen, in Innsbruck dies Glück und in Verona das und in Venedig ein stupendes drittes in einer Gondel oder Nicht-Gondel – so darf man sicher sein, daß alles kläglich scheitert. Wieviel Tränen junger Frauen sind schon auf dem Marcusplatz vergossen worden, und kaum eine dieser Frauen, die nicht wenigstens (auch wenn sie bloß im Hôtel war) auf der Seufzerbrücke gestanden hätte. Und das sind dann die berühmten Hochzeitsreisen, die, nach der Berechnung des Bräutigams, direkt in den Himmel führen sollten.
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An Hermann Wichmann,
Berlin, 14. Februar 1890
Heute geht es mir endlich ein bißchen besser, und so schreibe ich denn, zunächst um Ihnen nochmals aufs herzlichste für einen so liebenswürdigen Brief zu danken. – Es hat mir schon das erste Mal sehr gut in Rom gefallen, und unter Ihrem Rat und Beistand würde der Kunst- und Naturgenuß ein sehr gesteigerter sein. Und was noch wichtiger ist, der Aufenthalt würde, auch nach der menschlichen Seite hin, eine freundlichere Gestalt gewinnen-alles absolute sich fremd und einsam fühlen würde in Wegfall kommen. Dennoch, und wenn ich sechs ideale Wochen in Rom zubringen könnte (was in dieser Welt voll Kopfweh, Zahnschmerzen und Magenkolik, anderer Unberechenbarkeiten zu geschweigen, doch immer fraglich bleibt), dennoch, sag ich, würde sich kein ganz richtiges Verhältnis von Einsatz und Gewinn herausstellen, weil der denkbar höchste Gewinn aufgehört hat, ein so recht eigentlicher Gewinn für mich zu sein. Angenommen, ich schriebe jetzt an einer historischen oder novellistischen Arbeit, zu deren Abschluß es nötig wäre, daß ich täglich erst den Palatin und dann drüben das Trümmerfeld des Esquilin durchwanderte, so stünde mir durch eine Romreise ein bestimmter, großer, mich beglückender »Gewinn« in Aussicht, der um so größer wäre, je mehr ich mich, gleichviel ob mit Recht oder Unrecht, von der Wichtigkeit meiner Arbeit durchdrungen hielte. Denn »nur der Irrtum ist das Leben, und die Wahrheit ist der Tod«. Aber so liegt es nicht, ich habe in Rom nichts Derartiges zu holen und würde im wesentlichen über die Erneuerung gehabter Eindrücke nicht hinauskommen. Ich war in den Katakomben und bewunderte das Profil von Rocca di Papa, ich bin die spanische Treppe hinauf- und in San Clemente die Stufen in die Kryptkirche hinabgestiegen, ich war im Café Cavour und habe Acqua fresca (der Name war noch anders, es war Gebirgswasser, so ähnlich wie Marcia; man trank es in Buden für eine Kupfermünze) und aus der Fontana Trevi getrunken. Von allem habe ich sozusagen die Sahne abgeschöpft und das davon gehabt, was der Laie überhaupt davon haben kann. Wenn ich mir den »Moses« auch noch zehnmal und das »Jüngste Gericht« auch noch zwanzigmal ansehe, so komme ich doch in Genuß und Verständnis um kein Haarbreit weiter. Nun bleibt ja natürlich immer noch was übrig, und wenn das auch nicht wäre, so hat das bloße mal wieder in Rom gewesen sein doch einen bestimmten Wert, aber dreimal unterstrichen: einen bestimmten Wert. Als Bankier fände ich diesen »bestimmten Wert« mit l000 Taler (für 3 Personen) nicht zu hoch bezahlt, als kleiner Schriftsteller ist es zu hoch, weil es sich um nichts Neues, sondern lediglich um eine Rekapitulation, eine Wiederauffrischung handelt. Dazu, wie ich Ihnen schon schrieb, würde man mir in Freundeskreisen eine solche Ausgabe doch als Anmaßung oder mindestens als schlechte Wirtschaft auslegen. Und nicht ganz mit Unrecht. Ich kann acht Tage nach meiner Reise einen Schlaganfall kriegen und erwerbsunfähig werden, da würde ich dann schlimme Dinge zu hören kriegen. Alles spitzt sich im letzten zu einer Geldfrage zu, und so liegt es denn einfach so, besäße ich soviel Guineen wie ich Markstücke besitze, so wäre ich schon in 14 Tagen an der Riviera und in 6 Wochen in Rom. Da's aber liegt, wie's liegt, so war der ganze Plan nur Idee und Traum, und ich muß hier stillesitzen, bis ich zur Sommerszeit in ein schlesisches Gebirgsdorf kann.
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An Joseph Viktor Widmann,
Berlin, 27. April 1894
Aufrichtig dankbar bin ich Ihnen auch für das Zitat aus »Rektor Müslins italienischer Reise« [Schrift von Joseph Viktor Widmann]. Es ist jetzt gerade 20 Jahre, daß ich vor dem Bilde [»Die Ehebrecherin vor Christus« von Tintoretto] stand, und alles wurde mir im Lesen Ihrer Schilderung wieder lebendig. Ich erinnere mich deutlich, daß ich (meine Frau begleitete mich) damals Betrachtungen angestellt habe, die sich mit den Ihrigen, bis in einzelne Wendungen hinein, vollkommen decken. Es hat etwas eigentümlich Anheimelndes und auch wieder romantisch Grusliges, sich, vor einem alten Bilde, so bei 120 Meilen Entfernung, im Geiste zu finden.
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An Hermann Wichmann,
Berlin, 7. Juli 1894
Als Ihr famoser Brief kam, wollte ich gleich antworten, nun sind aber doch etliche Wochen vergangen, da mir daran lag, erst eine Arbeit zu beenden [»Die Poggenpuhls«]. Das ist nun geschehen, und ich habe Spielraum. Seien Sie schönstens bedankt. Solche Briefe schreiben sich die Leute heute nicht mehr, alles wird im Telegrammstil besorgt. Und dabei bildet man sich noch ein, das sei ein Fortschritt. Dies ist nun aber ganz und gar verkehrt. Daß die sentimentalen Seichbeuteleien, die zu Anfang des Jahrhunderts behebt waren, jetzt außer Mode gekommen sind, ist ein Glück; jene Briefe enthielten nur Redensarten, die noch dazu Lüge waren; daß man aber auf jeden Austausch von Mitteilungen, wenn diese nicht praktisch-geschäftlich sind, verzichten soll, erscheint mir als ein Unsinn. Natürlich müssen Schreiber und Leser einander entsprechen; wenn ich Ihren Brief nehme, ja, für jeden Reetzengassenbewohner ist er nicht geschrieben, wer aber ein bißchen Bescheid weiß, wer mit Piazza d'Espagna und Piazza Navona eine Vorstellung verknüpft, wer Italiener und italienisches Leben, wenn auch nur ganz oberflächlich, kennenlernte, für den ist ein Brief wie der Ihre der reine Zucker, weil er aus ihm mehr Licht und Wissen empfängt als aus 6 Reisebüchern oder wohl gar aus 12. Denn je mehr man liest, je dümmer wird man. Es mag das nach den Naturen verschieden sein, aber ich für mein Teil habe von sogenannten »gründlicheren Studien« gar nichts gehabt und schiebe mein leidliches Zuhausesein in Welt, Leben und Geschichte darauf, daß ich mich immer nur vom unterhaltlichen Stoff, von Anekdoten, Memoiren und Briefen genährt habe. Der alte Witz: »totale Unkenntnis von der Sache sicherte ihm ein unbefangenes Urteil«, umschließt ein gut Stück Wahrheit. Natürlich werden auf diese Weise keine Gelehrten geboren; aber offener Sinn und Phantasie, wenn sie sich bewußt bleiben, daß sie's über »fühlen und ahnen hinaus« nicht bringen können, treffen es meist besser als die mit Scheuklappen vorgehenden Bücherfresser. Also noch einmal, ich halte es mit Briefen und habe den Ihrigen nicht nur mit herzlichem Vergnügen, sondern, wie ich mir einbilde, auch mit Nutzen gelesen. Ich sehe ganze Zustände mit einem Male in hellerer Beleuchtung. Dies bezieht sich besonders auf drei, in ausführlicherer Behandlung auftretende Stellen Ihres Briefes, auf Palazzo Chigi und Palazzo Lante (beide incl. ihrer Besitzer resp. Bewohner) und auf Architekt Prang, jetzt russische Exzellenz.
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An Paul und Paula Schlenther,
Berlin, 6. Dezember 1894
Ob diese Zeilen noch rechtzeitig kommen, um sich durch ein paar Reisevorschläge nützlich machen zu können, ist mir leider zweifelhaft, denn die festgesetzten 14 Tage sind beinah um. Treffen die Zeilen aber noch vor des Doktor-Gemahls Abreise nach Florenz ein, so möchte ich – indem ich Bologna und Ravenna, wovon ich früher sprach, fallenlasse – statt dieses unverhältnismäßig weiten Umwegs Pisa proponieren, das, über Spezzia, am Wege liegt und einen halbtätigen Aufenthalt lohnt; die dicht nebeneinander liegenden drei Dinge: Dom, Campo Santo, Baptisterium, sind ganz einzig in ihrer Art. In Florenz selbst lenke ich Ihre Aufmerksamkeit auf eine, wenn ich nicht irre, neben der Via Calzajoli (oder so ähnlich) laufende schmale mittelalterliche Straße mit hundert kleinen Kramläden; höchst interessant. Der hochverehrten Frau und Freundin aber wünsche ich volle Genesung, mehr noch eine rasche, denn Italien sieht man nicht gleich wieder, und da heißt es denn: »Halte, was du hast.«
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An Tochter Martha,
Berlin, 24. April 1896
Ja, Verona! Trifft man es in Verona gut, so ist es in seiner Verlorenheit ganz besonders entzückend, ist es aber kalt, windig, staubig, so ist es ein furchtbares Loch. Trotzdem – da Du von Italien so wenig kennst, denn Deine Reise mit der Dooly [1884] steht nicht höher als eine Reise nach Pichelsdorf – bin ich erstaunt, daß Dir der alte Steinkasten so wenig imponiert hat. 1. Arena. 2. Piazza d'Erbe (schon Menzels wegen [der 1884 ein vielbeachtetes Gemälde dazu ausgestellt hatte]). 3. Dante-Platz. 4. Grabmäler der Scaliger. 5. Giardino Giusti. 6. Die alte Kirche neben einer Etsch-(?)Brücke mit einer sehr schönen Tizianschen Assunta und 7. die Erinnerungen an »Julia«, wenn auch nur als eine Art Ulk, machen den Ort doch immerhin interessant. Aber Du hast nie die richtigen Führer. Und Colomba d'oro! Das ist ja die reine Ausspannung. Dahin geht niemand mehr. Die richtigen Gasthöfe heißen: »Duc Torre« und »Torre di Londra« oder so ähnlich, für ital. Korrektheit kann ich nicht einstehn. Das sind wundervolle Gasthöfe von englischem Zuschnitt.
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An Friedrich Stephany,
Waren, 28. August 1896
Die Leute gehen hier damit um, Waren zu einem Binnenbadeort zu gestalten, und wenn Sie mir bei meiner Rückkehr nach Berlin eine halbe Spalte [in der »Vossischen Zeitung«] zur Verfügung stellen wollen, so hab ich vor, den Berliner Sommerfrischler auf dies prächtige Stück Erde aufmerksam zu machen. Vor allem aber möchte ich Ihnen und Ihrer hochverehrten Frau diesen Platz allerpersönlichst empfehlen dürfen. Immer gleich nach Schweiz oder Italien ist zu teuer und zu umständlich, außerdem langweilig durch Kunst, durch »große Natur« und Table d'hôte, dran die Fremden einem zu anmaßlich und die Landsleute zu ruppig erscheinen. Hier im mecklenburgischen Kornlande blüht aber der Weizen!
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An Friedrich Stephany,
Berlin, 24. September 1896
Seien Sie schönstens bedankt für Ihren lieben Brief und den famosen Rückblick auf Ihre römischen Tage. Sie schildern darin das Schicksal aller derer, die, statt zu flanieren oder in einer Trattoria zu frühstücken, alle Quattro- und Cinquecentisten in drei Wochen einschlachten wollen. Der Aufwand an Zeit und Kraft steht in gar keinem Verhältnis zu dem, was man davon hat. Selbst Leute von Fach haben wenig davon und schließen nicht viel besser ab als der Laie. Was auch gar nicht anders sein kann. Wenn ich in eine Bibliothek von hunderttausend Bänden geführt werde, so hab ich, trotzdem ich lesen kann, innerhalb dreimal vierundzwanzig Stunden nicht mehr davon als ein beliebiger Analphabet und komme über die Betrachtung der Deckel auch nicht hinaus. Das Stadt- und Landschaftsbild in sich aufzunehmen, davon hat man was. Auch von Betrachtung großartiger und berühmter Architekturen, selbst dann noch, wenn man sie in ihrer Größe und Schönheit nicht versteht. Aber das herkömmliche durch die Galerien Gejagtwerden ist nicht bloß eine Grausamkeit, sondern der reine Unsinn. Es müßte, wenn man Rom oder Paris oder die holländisch-flandrischen Kunststädte besucht, Leute geben, die dem Laien ein Dutzend oder, wenn's hoch kommt, zehn Dutzend Sachen zeigen – damit müßte man entlassen werden. Ich war zweimal sieben Wochen in Italien, 1874 und 1875, und habe schlecht gerechnet zehntausend Bilder und Skulpturen gesehn (täglich hundert Stück reicht kaum), wäre nachträglich aber glücklich, wenn ich mich höchstens um den zehnten Teil davon bemüht hätte. Sie waren insoweit noch schlimmer daran, als Sie das Opfer einer Art Verschwörung waren, während ich wenigstens freiwillig hineintappte. Fanatische Kunstweiber, und wenn sie's noch so gut meinen, können einen vollends zur Verzweiflung bringen. Auf dem Palatin stehn, über den Esquilin hinwandern., das Grabmal der Caecilia Metella besuchen, durch die Campagna bis an den Nemisee fahren, das sind die großen Momente, nicht die Bilder, sie mögen so schön sein, wie sie wollen. Ein paar Ausnahmen sollen zugegeben werden.
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An Sohn Theodor,
Karlsbad, 29. August 1898
Schweiz, Italien, Paris muß man gesehen haben, das ist man sich schuldig, und ein »Intendant« erst recht; aber das vergnügliche Reisen, von dem man menschlich was hat, liegt doch woanders. Stille Plätze, wenig Menschen, ein Buch, ein Abendspaziergang über die Wiese, mit andern Worten: die kleine Lehrersommerfrische.