Theodor Fontane
Die Poggenpuhls
Theodor Fontane

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Viertes Kapitel

Leo, der den Weihnachtsmarkt und Helms und die Reichshallen wirklich besucht und sich dann schließlich vor dem Bartensteinschen Hause von den beiden jüngeren Schwestern, die er bis dahin begleitet, verabschiedet hatte, war bald nach neun wieder zu Haus, wo er nun, so ging wenigstens sein Plan, mit der Mutter und Therese weidlich plaudern und über seine Berliner Eindrücke berichten wollte, denn er gehörte zu den Glücklichen, die, sowie sie den Fuß auf die Straße setzen, immer was erleben oder sich wenigstens einbilden, was erlebt zu haben. Er traf es daheim aber anders als erwartet: Therese war in die Stadt gegangen, um noch ein paar Kleinigkeiten für den Geburtstagstisch der Mama zu kaufen, und diese selbst, wie er von Friederike gleich auf dem Korridor erfuhr, war schon zu Bett. »Hm«, brummte er und schickte sich, weil ihm nichts andres übrigblieb, eben zu stillem Meditieren in einer Sofaecke an, als die Mama ihm sagen ließ, er solle nur an ihr Bett kommen und ihr was erzählen. Das war ihm denn allerdings erheblich lieber, als, wie er sich ausdrückte, »unter Betrachtung seines Innern« auf Therese zu warten.

»Ist dir schlecht, Mama?«

»Nein, Leo, schlecht eigentlich nicht. Ich habe mich nur hingelegt, weil ich morgen doch ein bißchen bei Kräften sein will. Nimm dir einen Stuhl und rücke ran und dann hole die Lampe, daß ich dich immer vor mir habe. Denn du hast ein gutes Poggenpuhlsches Gesicht, und wenn dann was kommt, was nicht stimmt, so kann ich es dir immer gleich ansehen und mir meinen Vers danach machen.«

»Ach, Mama, du denkst immer, ich mache Flausen; aber es ist nicht so schlimm damit. Ich habe nicht mal Talent dazu; ich übertreibe bloß ein bißchen.«

»Ist schon recht. Und du warst auch immer mein Liebling, und die andern haben es dir auch gegönnt. Aber du bist so leichtsinnig und denkst immer, ›es wird sich schon finden‹. Und sieh, das ängstigt mich. Was finden! Wie soll sich denn was finden, wo soll es denn herkommen? Es ist ja doch eigentlich ein Wunder. daß es noch immer so gegangen ist.«

»Ja, Mutter, das ist es ja gerade; da steckt ja gerade die Hoffnung, und ich muß beinahe sagen die Zuversicht. Wenn das Wunder gestern war, warum soll es nicht auch heute sein oder morgen oder übermorgen.«

»Das klingt ganz gut, aber es ist doch nicht richtig. Sich zu Wunder und Gnade so stellen, als ob alles so sein müßte, das verdrießt den, der all die Gnade gibt, und er versagt sie zuletzt. Was Gott von uns verlangt, das ist nicht bloß so hinnehmen und dafür danken (und oft oberflächlich genug), er will auch, daß wir uns die Gnadenschaft verdienen oder wenigstens uns ihrer würdig zeigen und immer im Auge haben, nicht was so vielleicht durch Wunderwege geschehen kann, sondern was nach Vernunft und Rechnung und Wahrscheinlichkeit geschehen muß. Und auf solchem Rechnen steht dann ein Segen.«

»Ach, Mama, ich rechne ja immerzu.«

»Ja, du rechnest immerzu, freilich, aber du rechnest nachher, statt vorher. Du rechnest, wenn es zu spät ist, wenn du bis über den Kopf drinsteckst, und dann willst du dich herausrechnen und rechnest dich bloß immer tiefer hinein. Was dir nicht paßt, das siehst du nicht, willst du nicht sehen, und was dir schmeichelt und gefällt, daraus machst du Wahrscheinlichkeiten. Die Menschen haben so viel für uns getan, auch für dich, und nun, mein ich, heißt es: ›Hilf dir selber.‹ Immer bloß ›wir sind die Poggenpuhls‹, damit machen wir uns bloß bedrücklich, und zuletzt sind wir Querulanten, was ich doch nicht erleben möchte.«

»Davon sind wir weitab, Mama.«

»Nicht so weit, wie du denkst. Onkel Eberhard, der ein sehr feiner und sehr gütiger Mann ist, ich muß ihn wirklich einen echten Edelmann nennen, wird allmählich auch reserviert und ungeduldig. Er sagt es nicht geradeheraus, weil er eben gütig ist, aber es steht doch leise zwischen den Zeilen.«

»Ja, der Onkel, der alte Streitpunkt. Ich bitte dich, Mama, er tut aber doch auch wirklich zu wenig und alles so bloß um Gottes willen, und er müßte doch eigentlich denken: › Ich habe meine Zeit gehabt, nun sind die andern dran.‹ Er gibt wohl dann und wann, gewiß, aber was er so auf dem Familienaltar opfert, steht in keinem rechten Verhältnis, weder zu seinen Einnahmen noch zu seinen Ermahnungen. Er könnte sich kürzer fassen und mehr geben. Hat er doch ein riesiges Glück gehabt und sitzt nun über ein Dutzend Jahre schon in der Wolle oder, wie manche sagen, in einer guten Assiette.«

»Daß du nicht davon abzubringen bist und nicht wissen willst, wie's mit dem Onkel eigentlich liegt. Er hat die reiche Witwe geheiratet und wohnt in einem Schloß, und wenn seine Frau den Prinzen Albrecht oder einen von den Carolaths einladen will, dann ist das ein großes Wesen, und der halbe niederschlesische Adel sitzt dann mit zu Tisch, und es sieht dann aus, als gäbe Onkel Eberhard das Fest. Aber er gibt es nicht, sie gibt es; er gibt nur den Namen dazu her und auch das kaum, denn viele, wenn sie hinter dem Rücken der Tante sprechen nennen sie noch immer bei dem Namen ihres ersten Mannes. Der war schlesisch und ein sehr vornehmer Mann, vornehmer als die Poggenpuhls ... das müßt ihr euch nun schon gefallen lassen, daß es noch Vornehmere gibt... Ich sage dir, so gut sie ist, sie hält ihn trotzdem knapp, und er hat nicht viel mehr als seine Generalspension, von der er noch alte Schulden bezahlen muß ...«

»... Alte Schulden! Siehst du, Mama, da sagst du's nun selbst. Auch der also. Und ist doch General geworden und hat nun eine reiche Frau...«

»... Wovon er alte Schulden bezahlen muß«, wiederholte die Mama, ohne seiner Zwischenrede weiter zu achten. »Und da bleibt ihm nur ein Taschengeld.«

»Aber ein gutes...«

»Vielleicht, oder sagen wir gewiß. Und wenn er trotzdem damit zu Rate hält, so liegt es wohl auch daran, daß er dir mißtraut oder, wenn nicht er, daß die Frau dir mißtraut und daß deren Einfluß ihn bestimmt.«

»Das ist es ja eben, was einen ärgert, dieser unwürdige Weibereinfluß. Und dann, Mama, von mir will ich am Ende nicht reden, ich bin vielleicht enfant perdu; meinetwegen. Aber Wendelin, dieser Musterknabe, wenn ich meinen Herrn Bruder so nennen darf, an dem müßte er doch wenigstens seine Freude haben und sogar die Frau Tante. Da liegt doch die Knauserei ganz deutlich zutage.«

»Spricht Wendelin ebenso?«

»Nein. Der nicht, der braucht es auch nicht. Wendelin, der das Talent hat, bei seiner Wasserkaraffe sich Herr von ungezählten Welten zu fühlen, Wendelin macht auch so seinen Weg. Aber auch für ihn ist doch ein Unterschied. Es ist nun mal was andres, ob man seinen Weg spielend macht oder in ewiger Askese. Die mit Askese haben meistens einen Knacks weg; – sie werden berühmt oder können es wenigstens werden, aber auch wenn sie berühmt sind, wirken sie meistens wie kleine Schulmeister. Möglich, daß Wendelin eine Ausnahme macht.«

»Glaubst du denn überhaupt und mit einer Art von Zuversicht, daß etwas Höheres aus ihm werden wird?«

»Gewiß, Mutter. Kein halbes Jahr, so kommt er in den Generalstab. Was er über Skobeleff geschrieben, hat Aufsehen gemacht. Und dann noch ein Jahr oder zwei, dann schicken sie ihn nach Petersburg, und da heiratet er, so nehme ich vorläufig an, eine Yussupoff oder eine Dolgorucka; die haben alle wenigstens zehntausend Seelen und Bergwerke mit Diamanten. Was meinst du dazu? Kein übler Blick in die Zukunft. Zugegeben, nicht wahr? Aber wenn der Onkel anders wäre oder meinetwegen auch die Tante – doch von der können wir es nicht verlangen, denn sie ist bloß angeheiratet und war eine ›Bourgeoise‹, was immer schlimm ist; du bist doch wenigstens eine ›Bürgerliche‹ -, ja, dann wäre er schon da, dann wär er schon in Petersburg, und ich wäre schon attachiert und ginge mit in den Kaukasus oder nach Merw oder nach Samarkand, und all das unterbleibt oder vertagt sich wenigstens grausamerweise, bloß weil kein Vorspann da ist, weil die Goldfüchse fehlen.«

»Gott, Leo, wenn man dich so hört, so sollte man glauben, du könntest alles haben, wenn sich bloß der Wind ein bißchen drehen wollte. Phantasien, Pläne, so warst du schon als kleiner Junge.«

»Ja, Mutter, so muß man auch sein, wenigstens unsereiner. Wer was hat, nun ja, der kann das Leben so nehmen, wie's wirklich ist, der kann das sein, was sie jetzt einen Realisten nennen; wer aber nichts hat, wer immer in einer Wüste Sahara lebt, der kann ohne Fata Morgana mit Palmen und Odalisken und all dergleichen gar nicht existieren. Fata Morgana, sag ich. Wenn es dann, wenn man näher kommt, auch nichts ist, so hat man doch eine Stunde lang gelebt und gehofft und hat wieder Courage gekriegt und watet gemütlich weiter durch den Sand. Und so sind denn die Bilder, die so trügerisch und unwirklich vor uns gaukeln, doch eigentlich ein Glück.«

»Ja, die Jugend kann das und darf es auch vielleicht. Und ich will dir noch mehr zugeben: wer immer hoffen kann, und die Hoffnung ist oft besser als die Erfüllung, der hat sein Teil Freude weg. Aber trotzdem, du hoffst zuviel und arbeitest zuwenig.«

»Ich arbeite wenig, das ist richtig, und ich will es nicht loben. Aber ich habe einen heiteren Sinn, und das ist schließlich besser als alles Arbeiten. Heiterkeit zieht an, Heiterkeit ist wie ein Magnet, und da denk ich, ich kriege doch auch noch was.«

»Nun, ich will es dir wünschen. Und jetzt geh in die Küche und sage Friederike. daß sie dir was zum Abendbrot bringt.«


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