Theodor Fontane
Ein Sommer in London
Theodor Fontane

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Das deutsche Theater in England

Ein deutsches Theater in London! Unsre Landsleute sind nicht mehr sie selbst: ein elektrischer Schlag ist durch die Nation gegangen; sie hat aufgehört der blinde Bewunderer fremder Sitte, der dienstfertige Schleppenträger fremden Hochmuts zu sein. Sie fühlt sich wieder als das, was sie ist, schätzt wieder, was sie hat und was sie in krankhafter Bescheidenheit weit unter den Wert taxierte. Vor zwanzig Jahren hätte sich hier eine deutsche Truppe unmöglich halten können; das Unternehmen wäre Hungers gestorben, St. James-Theater und horror vacui wären verwandte Begriffe gewesen. Das englische Publikum hätte gefehlt, noch mehr aber das deutsche; jenes weil das Interesse für deutsche Sprache damals noch außer Fashion war, dieses weil es mit Spott und Wohlbehagen tagtäglich die eigene Mutter zu verleugnen pflegte. Das ist anders geworden, und wiewohl der erste Bericht der »Times« von einem Publikum spricht, das der Aufführung des »Egmont« mit dem Schulbuch in der Hand gefolgt sei, so kann ich Ihnen doch versichern, daß das Publikum entschieden deutsch und seine fast begeisterte Aufnahme dessen, was geboten wurde, eine Art Demonstration war; man wollte entzückt sein. Die Deutschen in London, die es vor Zeiten für ihre Pflicht gehalten haben würden, vornehm auf die Sache herabzublicken, fanden jetzt eine Ehre darin, das Unternehmen um jeden Preis zu stützen und zu halten. Es war ein deutscher Theaterabend: auf den Foyers klangen einem alle Dialekte zwischen Oder und Rhein ans Ohr, der sächsische natürlich, wie der Ton einer Pickelflöte, jeden andren überpfeifend, und am Büffet hätte man glauben können in Dresden oder Berlin zu sein, wenn nicht die Ingwerbier-Flaschen gewesen wären und – die Londoner Preise.

Das Verdienst einer ersten Anregung zu diesem Unternehmen gebührt dem Dr. Küntzel; nichtsdestoweniger hat Emil Devrient das größere, die gegebene Idee mutig erfaßt und trotz unendlicher Schwierigkeiten glücklich ausgeführt zu haben. Ganz abgesehen davon, daß bei der Charakter-Eigentümlichkeit des Engländers, dessen Interesse durch allerlei Zufälligkeiten angeregt aber auch verscherzt werden kann, der Erfolg keineswegs vorher zu berechnen war, bot das Engagement einer Truppe, wenn sie nicht den Kofferträgern der Demoiselle Rachel gleichen sollte, unendliche Schwierigkeiten dar. Mittelmäßigkeiten durften es nicht sein, Berühmtheiten aber sind dieselben in der Schauspiel- wie in der Feldherrenkunst: sie fechten nicht gern auf einem Terrain das sie nicht kennen, und selbst im Fall eines Sieges, scheuen sie die Nebenbuhlerschaft eines Mit-Triumphators, der an der Seite Emil Devrients nicht fehlen konnte. Indes – was vermöchte auf die Dauer einem beharrlichen guten Willen zu widerstehen! – endlich schifften sich dreißig deutsche Schauspieler in Ostende ein, die einzig denkbare Truppe, deren Landung auf keinen Widerstand rechnen durfte. Und doch kamen sie, wie vor 1400 Jahren, unter einem berühmten Sachsenführer und wie dieser bereit, das Land zu erobern.

Am 2.. Juni wurde der Zyklus mit »Egmont« eröffnet. Ihm vorher ging ein Prolog, der besser fortgeblieben wäre. Der Vorhang rollte auf: rechts und links die Statuetten Goethes und Schillers, beide überragt von einer Büste Shakespeares. Schon dieser leicht zu erratende Rebus war des Guten zuviel, wurde es aber vollends, als eine junge Dame vortrat und, mit einem Lorbeerkranz bewaffnet, anhob über Sprachverwandtschaft, englische Freiheit etc. sich des weiteren zu verbreiten. Die Huldigung war nicht fein, die Verse schlecht, und der Vortrag wie für deutschlernende Ladies eingerichtet. Unsere Sprache schien nur aus Spondäen und Molossen zu bestehen und die unglückliche Silbe »en« dürfte nie zuvor mit so viel Auszeichnung behandelt worden sein.

»Egmont« folgte. Mag da Handlung fehlen; auch das Wort hat gelegentlich sein Recht und es riß wieder mit fort und zündete, wie es schon tausendfach gezündet hat. Die Volksszenen, die Szenen Egmonts mit seinem Schreiber und Klärchen, diese wunderbaren Dialoge hatten noch ihren alten Zauber, und nur eines berührte mich wie etwas Verbrauchtes – die Freiheitstiraden des letzten Akts. Ob es ein Fluch der Phrasenhaftigkeit unserer Zeit ist, uns auch die Freude an dem verleidet zu haben, was über dem tönenden Erz und der klingenden Schelle steht, oder ob jenes Pathos von Tod fürs Vaterland, von Schergen- und Tyrannentum wirklich einer Stufe angehört, die von einer politisch reiferen Zeit überwunden werden mußte, lasse ich dahingestellt sein; kurzum ich blieb kalt. Und gerade diese Stellen sind es gewesen, die, dem Urteil der Londoner Presse nach, das englische Publikum mit fortgerissen haben. Was ist das anders, als ein neuer Beweis, daß England in Geschmacksachen zurück ist. Der Engländer verlangt alles gecayennepfeffert; Curry-powder und Mixed-pickles in Kunst, wie im Leben. Sie haben noch nicht begriffen oder es wieder vergessen, daß die dramatische Kunst nichts sein soll als die Spiegelung eines erhöhten, aber doch immer wahren Lebens, und daß es Nonsens ist, einen Hamlet-Monolog im Tone eines Karl Kunstschen Otto von Wittelsbach herunter zu donnern, oder den »lieblichen« Wahnsinn der Ophelia, und war's auch nur mit einer Zeile, in die Tobsucht der Königin Konstanze (im King John) ausarten zu lassen.

Außer Dresden haben nur drei Theater von Bedeutung ein Kontingent gestellt: Braunschweig, Stuttgart und Darmstadt. Den Reigen eröffnet wie billig Emil Devrient selbst. Wie es in Buchhändler-Anzeigen heißt: »der berühmte Name überhebt uns jeder Anpreisung«, so laß auch ich es bei der bloßen Vorstellung bewenden. »Wer lobt den Homer?« zitier' ich, natürlich cum grano salis. Emil DevrientIch kann nicht umhin, über die später stattgehabte Aufführung des Hamlet (Devrients Glanzrolle) hier noch ein interessantes Faktum nachzutragen. Drei berühmte Hamletspieler verschiedener Epochen: der steinalte Kemble, der noch rüstige Kean und ein dritter (nicht Macready) dessen Namen ich vergessen habe, hatten sich bei der Vorstellung eingefunden um voll Neugier und Teilnahme einem Spiel zu folgen, das mit ihnen und ihrem Ruhm konkurrieren wollte. In drei Rängen des Hauses saßen sie einer über dem andern, und der alte Kemble zuoberst. Der Triumph Devrients war ein vollständiger; an der Spitze des Beifall spendenden Hauses aber standen die drei Rivalen und begrüßten den vierten, neidlos, wie es dem Künstler geziemt. – Eine Folge dieses Sieges war die von besondern Huldigungen begleitete Aufnahme Emil Devrients in den Shakespeare-Club. weiß eben im vollsten Maße das, was die Engländer nicht wissen: »daß nur das Maß die Schönheit hat«.

An Ruf und Bedeutung steht ihm Grunert am nächsten. Er ist bis jetzt noch nicht aufgetreten, wie einige sogar meinen noch nicht eingetroffen,Er blieb überhaupt aus; die Gründe hab' ich nie erfahren. obwohl Alba (im Egmont), sowie auch König Philipp seinem Repertoire angehören. Die Berliner kennen ihn aus jener Zeit her, wo nach dem Tode Seydelmanns ein Ersatz gesucht und schließlich in einem Wettkampf zwischen Grünen und Döring zugunsten des letztern entschieden wurde.

Kühn aus Darmstadt, die Doublette Grunerts, gab uns die obengenannten zwei Rollen und gab sie mit jenem Verständnis, das in England (weniger von der Kritik als vom Publikum) unverstanden bleibt. Er verschmäht jede bloße Appellation an das Trommelfell. Sein Alba genügte mir weniger, weil das Bild Seydelmanns in dieser Rolle noch allzu lebhaft vor meiner Seele stand; desto vortrefflicher fand ich seinen Philipp. Das mehr englische Publikum, das dieser zweiten Vorstellung beiwohnte, blieb verhältnismäßig kalt; er schrie nicht genug. Wohl ihm, daß er sich durch diesen halben Erfolg nicht bestimmen ließ, auf falschem Wege mehr erringen zu wollen und dadurch in den Augen der Urteilsfähigen den ganzen einzubüßen. Nur etwas möcht' ich tadeln, um so mehr und entschiedner, als ich damit gegen eine ganze Schule Front mache, die von Frankreich aus herübergekommen, auch bei uns Mode zu werden droht. Der Schauspieler liest seine Rolle, macht sich, so gut er kann, ein Bild von der Persönlichkeit und dem Charakter dessen, den er spielen soll und gibt uns nachher, mit Umgehung des Dichters und seiner doch nicht immer nutzlosen Worte, ein lebendes Bild; – man erniedrigt das Drama zur pantomimischen Darstellung. Der Dichter hat einen Cromwell oder Wallenstein, einen Karl Stuart oder Richelieu gezeichnet; was tut der Schauspieler? er besucht Gemälde-Galerien, studiert die Bilder Van Dycks oder Paul de la Roches, wirft, wenn er Zeit hat, auch einen Blick in Rottecks Weltgeschichte und gibt uns hinterher ein charakteristisches Bild statt einer Charakterrolle; – der Dichter und seine Worte werden übergeschluckt. Es gibt Schauspieler (dazu gute), die in Überschätzung ihrer selbst ganz ernsthaft versichern, der Dichter habe nichts weiter als ein Personen Verzeichnis und die szenische Einteilung des Stoffs zu geben, alles andre sei Sache des ausübenden Künstlers, der somit Dichter und Schauspieler in einer Person zu sein trachtet. Ich laß es dahingestellt sein, wieviel Schuld die Dichter selbst, und insbesondere die französischen Lustspielfabrikanten, die es in der Tat gleichgültig machen, ob der Schauspieler ihre oder seine Worte zitiert, an diesem Übermut der Bretterhelden tragen: – ich gebe nur die Tatsache und begnüge mich dabei hinzuzufügen, daß auch Kühn von dem Einfluß dieser Mode nicht frei geblieben ist. Das Murmeln in den Bart, das Verschlucken und dann wieder plötzliche Herausstoßen von Worten mag unter Umständen geeignet sein, das Charakterbild zu vervollständigen; das Drama soll aber mehr geben, als solche Bilder, und wie ein Kirchgang uns einen Spruch mit nach Haus gibt, so soll ich auch reicher im Herzen das Schauspiel verlassen; dazu braucht es aber der Worte.

Frau Stalte aus Braunschweig ist ebenso hübsch wie wohlgeschult, eine Künstlerin, doch ohne die höchsten Staffeln erklommen zu haben. Dazu ein Klärchen! es wird immer einer verwandten Natur bedürfen, um den ganzen Zauber dieser Rolle wiederzugeben. Die »Klärchen« sind selten im Leben und müssen es noch mehr auf den Brettern sein; das Bühnenleben ist nicht das, was der schönen Einfalt Vorschub leistet. – Frau Stoltes »Königin« (im Don Carlos) schien mir gelungener; ihre Szene mit Philipp – im vierten Akt – sogar ein Meisterstück. Die Leidenschaftlichkeit des Moments überhob sie der, in den übrigen Szenen gebotenen Grandezza, worin sie sich nur mühsam zurechtfinden konnte und um deshalb jener Würde entbehrte, ohne welche die Grandezza zu bloßer Steifheit wird.

Genüge das Gegebene, und sei mir's zum Schluß nur noch erlaubt, meine Mutmaßung über den Erfolg des deutschen Theaters in London auszusprechen. Der äußere ist nicht zu berechnen; doch wird das Publikum dem ganzen Unternehmen gegenüber wohl zunächst jene ruhig-kalte Stellung einnehmen (was den fashionablen Besuch des Theaters natürlich nicht ausschließt), die der mißtrauische Engländer gegen alles Fremde zu behaupten pflegt. Auch das Kopfschütteln derer, die den alten Kean noch im Gedächtnis haben, wird nicht ausbleiben. Nichtsdestoweniger, ob gelobt oder getadelt, wird eine Wirkung auf die englische Schauspielkunst sich geltend machen und die endliche Erkenntnis sich Bahn brechen, daß nur ein Weg zum guten Ziele führt  – die Natur.


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