Theodor Fontane
Vor dem Sturm
Theodor Fontane

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»So sehen wir nach«, sagte Tubal, schob den Gegenstand von Pachalys Verdacht rechts weg gegen den großen Gundermannsbüschel, der bei dieser Gelegenheit raschelnd vom Pflock fiel, und trat nun, dicht an der Wand, auf die breite Mitteldiele, deren linkes Ende gerade hier durch die darüberstehende Kommode verdeckt gewesen war. Im selben Augenblicke senkte sich das Brett, dem an dieser Stelle die Balkenunterlage fehlte, um mehrere Zoll und hob sich, nach Art eines in der Mitte aufliegenden Wippbrettes, an der entgegengesetzten Seite in die Höhe.

»Dacht' ich's doch«, sagte Pachaly, sprang herzu und stellte die Diele, die sich unschwer entfernen ließ, beiseite. Was sich jetzt zeigte, war immer noch überraschend genug. Der ganzen Länge des Brettes entsprechend, war das Erdreich herausgenommen und bildete eine ziemlich flache Rinne, die sich nur nach links hin, wo das Brett aufwippte, zu einer mehr als zwei Fuß tiefen Grube vertiefte. Zwischen beiden war alles derartig geschickt verteilt, daß sich die flache Rinne als das Schnitt- und Kurzwarengeschäft, die vertiefte Grube aber als das Kolonialwarenlager Hoppenmariekens ansehen ließ.

Pachaly begann jetzt auszupacken und reichte, was sich an Gegenständen vorfand, Tubal zu, der es in Ermangelung eines besseren Platzes auf Hoppenmariekens Bett legte. Es waren Schürzenzeuge, ein Stück roter Fries, ein Rest von geblümtem Sammetmanchester, bunte Haubenbänder und schwarzseidene Tücher, wie sie die Oderbrücherinnen als Kopfputz tragen. In der Grube fanden sich Beutel mit Zucker, Kaffee, Reis, darüber in Stangen geschnittene Seife und Talglichte, die oben an den Dochten wie zu einer großen Puschel zusammengebunden waren. Aus allem ergab sich, daß Hoppenmarieken mit Hilfe dieses Warenlagers einen Handel trieb und Gegenstände, die sie von Küstrin oder Frankfurt aus mitbringen sollte, so weit wie möglich aus ihrem eignen Hehlervorrat zu nehmen pflegte. Das Brett wurde nun wieder aufgelegt, es paßte wie ein Deckel. Auch die Nägel, die einer rechtmäßigen Diele zukommen, fehlten nicht; sie waren aber vor dem Einschlagen mit der Zange kurz abgekniffen und hatten keinen anderen Zweck, als nach oben hin die Köpfe zu zeigen.

Die draußen Auf- und Abschreitenden hatten inzwischen ihre Promenade unterbrochen und waren wieder eingetreten. Berndt musterte alles und sagte dann: »Ich kenne Hoppenmarieken, hiermit zwingen wir's nicht. Sie wird all dies für ihr Eigentum ausgeben, und es wird schwer halten, ihr das Gegenteil zu beweisen. Denn sie steckt mit allerhand schlechtem Handelsvolk zusammen, das jeden Augenblick bereit ist, ihr den rechtmäßigen Erwerb zu bestätigen. Ich bin aber sicher, daß es gestohlenes Gut ist; es fehlt nur noch das Eigentliche, so etwas ausgesprochen Privates, das ihr alle Ausflucht abschneidet. Suchen wir weiter. Muschwitz und Rosentreter, von unserem eigenen Gesindel, das wir hier auf dem Forstacker haben, gar nicht zu reden, werden sich auf Schürzenzeug und Seifenstangen nicht beschränkt haben.«

Indem war Pachaly, der, während Berndt sprach, in seinen Nachforschungen nicht nachgelassen hatte, auf die Schwelle der kleinen Tür getreten und winkte Lewin, der ihm zunächst stand, in die Kammer hinein. Er trat, als dieser ihm gefolgt war, ohne weiteres an den dicken Holzpflock, von dem der Gundermannsbüschel herabgefallen war, hob das Licht in die Höhe und sagte: »Passens Achtung, junger Herr, der Pflock sitzt nicht fest; der Lehm ist rundum abgesprungen; dahinter steckt was.«

»Das wäre!« rief Lewin lebhaft, faßte den Pflock und riß ihn ohne die geringste Mühe heraus.

Es zeigte sich ein tiefes Loch in der Lehmwand, viel tiefer, als das verhältnismäßig nur kurze Holzstück erheischte. Das mußte einen Grund haben. Lewin suchte deshalb in der Höhlung umher und fand ein Päckchen, nicht viel größer als eine halbe Faust, das erst in ein Stück blaues Zuckerpapier, dann, wie sich ergab, in einen Lappen grober Leinwand eingewickelt war. Als er beides entfernt hatte, lag der Inhalt vor ihm wie der Raub eines Rabennestes: ein silbernes Nadelbüchschen, eine Taschenuhr in einem Schildpattgehäuse, eine Kinderklapper, eine mit kleinen Rauchtopasen eingefaßte Amethystbrosche, von der die Nadel abgebrochen war, ein Petschaft mit nicht entzifferbarem Namenszug und ein kleiner ovaler Goldrahmen, in dem sich wahrscheinlich ein Miniaturbild befunden hatte. Alles ohne sonderlichen Wert, aber gerade das, dessen die Beweisführung bedurfte.

»Nun haben wir sie«, sagte Berndt ruhig, wickelte die Gegenstände wieder ein und steckte sie zu sich.

Auch noch die anderen Pflöcke wurden untersucht, saßen aber fest im Lehm. Es ließ sich annehmen, daß nichts unentdeckt geblieben war, und so beschloß man, von weiterer Nachsuchung abzustehen. In der Küche fand sich eine alte Kiepe vor, und Pachaly erhielt Ordre, alles, was aufgefunden war, in diese hineinzupacken und nach dem Herrenhause zu schaffen. Er gehorchte nicht gern, da es ihm gegen die Ehre war, an hellem lichten Tage mit einer Kiepe über die Dorfstraße zu gehen; der Dienst aber ließ ihm keine Wahl, und seinem Ärger in kurzen Selbstgesprächen Luft machend, tat er schließlich, wie ihm geheißen.

Berndt und Kniehase, von den beiden jungen Männern unmittelbar gefolgt, hatten inzwischen die Auffahrt zum Herrenhause erreicht und waren eben im Begriff, von der Dorfgasse her auf den Vorhof einzubiegen, als sie, keine dreihundert Schritt' mehr entfernt, Hoppenmarieken auf der großen Küstriner Straße herankommen sahen. Die kleine Figur, der rasche Schritt und die lebhaften Bewegungen ließen sie leicht erkennen.

»Da kommt sie«, sagte Berndt, und sich an Pachaly wendend, der schon vor dem Pfarrhause die Voranschreitenden eingeholt hatte, fügte er hinzu: »Nun eile dich; schiebe zwei, drei Stühle vor meinen Schreibtisch oben und baue auf, was du hast.«

Hoppenmarieken grüßte schon von weitem. Sie schien in sehr guter Stimmung und überreichte, als sie heran war, ihrem Gutsherrn einen Brief, den sie schon, als sie der Gruppe ansichtig geworden war, aus ihrem Mieder hervorgezogen hatte.

»Is hüt' dis een man«, sagte sie und setzte wie zur Erklärung hinzu: »De berlinsche Post is nich to rechte Tid inkamen.«

Sie wollte weiter und hatte schon einige Schritte gemacht, als ihr Berndt nachrief: »Hoppenmarieken, ich habe noch was für dich. Aber oben in meiner Stube, komm.«

Es mußte wider Willen des Sprechenden etwas Fremdklingendes in seiner Stimme gelegen haben; jedenfalls war der Ausdruck der Sicherheit aus dem Gesichte der Zwergin fort, als sie über den Hof hin und dann treppauf ihrem Gutsherrn nachschritt. Kniehase und die beiden Freunde folgten.

Pachaly hatte mittlerweile in der notdürftig wieder in Ordnung gebrachten Gerichtsstube seinen Aufbau beendet. Von den Bändern und Tüchern war nicht viel zu sehen. So recht ins Auge fiel nur das große, noch regelrecht auf ein Brett gewickelte rote Friesstück, ebenso die aus Seifenstangen und dem Lichterbündel aufgebaute Pyramide.

»Nun, Hoppenmarieken«, sagte Berndt, »wie gefällt dir der rote Fries?«

»Jut, Jnädjeherr. Wat süll he mi nich jefallen? Et is ja von den ingelschen; de Ell seben Groschen.«

»Hast du dies Stück Fries vielleicht schon gesehen?«

»Ick weet nich.«

»Besinne dich.«

»Ick seh so veel, Jnädjeherr; ick mag et wol all sehn hebben.«

»Wo?«

»Bi Jud' Ephraim.«

»Oder bei dir!«

»Bi mi? Jo, Wettstang, bi mi; hohoho. Nu seh ick ihrst. Se sinn bi mi west und hebben min kleen Tuusch- und Kramgeschäft utfunnen. Unner de Deel; en beeten beschwierlich; awers ick bin nich sicher sünnst.«

»Gut, Hoppenmarieken, du mußt vorsichtig sein. Es gibt jetzt so viel Gesindel...«

»Oh, so veel!«

»Nun gut. Aber du nimmst ja den Kaufleuten das Brot. Hast du denn einen Gewerbeschein?«

»Ne, Jnädjeherr, den hebb ick nich.«

»Ja, da werden wir dich am Ende in Strafe nehmen müssen.«

Bei diesen mit einem heiteren Anfluge gesprochenen Worten kehrte ihr ihre frühere Sicherheit zurück. Sie hatte plötzlich das Gefühl, daß alles einen guten Verlauf nehmen werde, und sagte halb grinsend, halb bittend vor sich hin: »Dat wihrn de Jnädjeherr jo nich dohn.«

»Ja wer weiß, Hoppenmarieken. Sieh mal hier, da ist noch was zum Auswickeln für dich!« und dabei nahm er das Päckchen, das er bei der Haussuchung zu sich gesteckt hatte, aus seiner großen Überrockstasche und legte es dicht vor ihr auf den Tisch.

Sie fiel sofort auf die Knie und schrie: »Ick weet von nischt.«

»Aber wir wissen genug.«

»Ick weet von nischt. De kämen beed' in bi mi...«

»Wer?«

»Muschwitz und Rosentreter... un seggten, ick süll et man verwohren. Awers ick wull jo nich, un ick schreeg. Do nähm Muschwitz sin Taschenknif und seggt to mi: ›Wif, ick schnid di de Kehl ab, wenn du schreegst!‹ Un da nohm ick et.«

»Du lügst, Hoppenmarieken; du bist Hehlerin, was du immer warst. Du hast ihnen Geld gegeben; ich vermute, nicht genug; darum haben sie sich neulich auf der Landstraße noch etwas nachholen wollen. Sie waren sicher, daß du sie nicht verraten würdest. Aber sie haben dich doch verraten.«

»Jo, dat hebben se. Se wullen rut ut de Schling, un ick sall rin. Awers ick will nich, un ick bruk nich. Schwören will ick; ick kann schwören. Rufens Seidentoppen in; ja Seidentopp sall koamen... Oh, du lewe Herrjott, wat et för Minschen jewen deiht! Dat is, weem eens sülwsten to good is. O Jott, o Jott.« Und dabei rutschte sie auf den Knien näher zu Berndt heran und küßte ihm die Rockschöße.

»Steh auf!«

Der zwergige Unhold aber, immer noch auf den Knien, fuhr fort: »Et is allens nich so. Oh, dis Muschwitz, un de anner von Podelzig! Se hebben beed logen as de Düwels. Schwören will ick; ick kann schwören. Pachaly, holens ne Bebel in. Un hier sinn mine Finger; un schwören will ick, in de Kirch un ut de Kirch un wo Se sünnst wullen.«

»Du sollst nicht schwören, denn du schwörst falsch. Was machen wir mit ihr, Kniehase?«

Hoppenmarieken, die nicht anders dachte, als daß man ihr ans Leben wollte, schrie jetzt jämmerlich auf und rang die kurzen, stummelhaften Hände. Zuletzt sah sie Lewin, der an der Tür stehengeblieben war. Sie wollte rutschend auf ihn los, mutmaßlich, um die Szene zu wiederholen, die sie eben vor dem alten Vitzewitz gespielt hatte. Aber Pachaly hielt sie zurück.

»Laß es hingehen, Papa«, rief jetzt Lewin, als ob Hoppenmarieken, deren Unzurechnungsfähigkeit für ihn feststand, gar nicht zugegen wäre. »Sieh sie dir an; es ist der Mensch auf seiner niedrigsten Stufe. Droh ihr; das ist das einzige, was sie versteht. Ihr ganzer Rechtsbegriff ist ihre Furcht. Und Turgany weiß das so gut wie wir; er wird nichts an die große Glocke hängen. Wenn es aber sein muß, so wird er sie schildern, wie sie ist. Und das ist ihre beste Verteidigung. Ich bitte dich, laß sie laufen.«

»Hast du gehört?« fragte jetzt Berndt zu der Zwergin hinüber, die, während Lewin sprach, endlich aufgestanden war.

Sie zwinkerte mit den Augen und sagte: »Ick hebb allens hürt; ick weet, ick weet. Jo, de junge Herr, he kennt mi, un ick kenn' em. Un ick hebb'n all kennt, as he noch so lütt wihr, so lütt. Jo, de junge Herr...!«

»Er bittet für dich«, fuhr Berndt fort, »und will, daß ich dich laufen lasse. Warum? Weil du Hoppenmarieken bist. Ich aber kenn' dich besser und weiß, du hörst das Gras wachsen. Schlau bist du und taugst nichts; das ist das Ganze von der Sache. Nimm deine Kiepe; wir wollen diesmal noch ein Auge zudrücken. Aber paß Achtung, wenn wir dich wieder ertappen, ist es aus mit dir. Und nun geh und bessere dich fürs neue Jahr.«

Sie sah sich nach Stock und Kiepe um, die sie beide beim Eintritt ins Zimmer neben der eisenbeschlagenen Truhe niedergesetzt hatte. Als sie wieder marschfertig war, glitt ihr Auge noch einmal über die auf den Stühlen ausgebreiteten Sachen hin. Es war ersichtlich, daß sie Lust hatte, Besitzrechte daran geltend zu machen. Berndt sah den Blick und empfand jetzt, daß Lewin doch recht habe.

»Geh!«, wiederholte er, »alles bleibt hier und wird nach Frankfurt abgeliefert. Vielleicht du auch noch!«

Sie nahm das letzte Wort als einen Scherz und grinste wieder.

Eine Minute später schritt sie, mit ihrem Stock salutierend, über den Hof hin, in einem Tempo, als ob nichts vorgefallen sei oder eine ganz alltägliche Streitszene hinter ihr läge.


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