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Achtzehntes Kapitel.

Das letzte Buch.
1869–1870.

Das letzte von Dickens unternommene Buch sollte in illustrirten Monatsheften von dem alten Format veröffentlicht werden, aber mit dem zwölften Hefte schließen. Bei der Aufsetzung des Verlags-Contrakts hatte Mr- Ouvry auf Dickens' Wunsch eine Clausel eingeschaltet, welche damals für völlig nutzlos gehalten, aber später als traurig zweckmäßig erfunden wurde. Es war das erstemal, daß eine solche Clausel in einen seiner Contrakte aufgenommen wurde. »Daß, wenn besagter Charles Dickens während der Abfassung besagten Werkes, des Geheimnisses von Edwin Drood, sterben, oder sonstwie unfähig werden sollte, besagtes Werk, wie verabredet, in zwölf Monatsheften zu vollenden, so soll John Forster, oder im Falle seines Todes, seiner Unfähigkeit oder Weigerung, die Sache zu übernehmen, dann eine andere Person, die von dem dermaligen königlichen Generalfiskal dazu ernannt wird, die Summe bestimmen, welche von besagtem Charles Dickens, seinen Exekutoren oder Administratoren, besagtem Frederic Chapman als billige Entschädigung für so viel von besagtem Werke zurückbezahlt werden soll, als nicht für die Veröffentlichung fertig sein wird.« Die sofort für 25,000 Exemplare zu zahlende Summe betrug 7500 Pfd. St.; in den Ertrag aller darüber hinaus verkauften Exemplare sollten Verleger und Autor sich theilen; und während der Autor noch lebte, belief die verkaufte Anzahl sich auf 50,000. Für die nach Amerika geschickten Druckbogen wurde eine Summe von 1000 Pfd. St. bezahlt, und Baron Tauchnitz bezahlte, freigebig wie immer, für seinen Leipziger Nachdruck. »Alle Werke von Dickens,« schreibt mir Baron Tauchnitz, »sind contraktmäßig von mir veröffentlicht worden. Mein Verkehr mit ihm dauerte fast siebenundzwanzig Jahre. Der erste Brief von ihm ist vom Oktober 1843 datirt und der letzte von Ende März 1870. Unsre langen Beziehungen wurden nicht bloß nie durch die geringste Meinungsverschiedenheit getrübt, sondern waren die Veranlassung herzlicher persönlicher Gefühle, und das Andenken an seine gütige, freundliche Natur wird nie in mir erlöschen. Als ich ihn nach den Bedingungen für Edwin Drood fragte, antwortete er: ›Ihre Bedingungen sollen die meinen sein.‹« Es schloß, unbeendet, mit dem sechsten Hefte, an dessen Vollendung auch noch zwei Seiten fehlten.

Sein erster Gedanke zu der Erzählung fand in einem Briefe vom Juli 1869 Ausdruck. »Was meinst Du von einem Roman, der folgendermaßen anfinge? – Zwei Personen, ein Knabe und ein Mädchen, oder doch sehr jung, trennen sich von einander, mit der Bestimmung, sich nach vielen Jahren – am Ende des Buches – zu heirathen. Das Interesse entsteht aus der Darstellung ihrer abgesonderten Lebenswege und der Unmöglichkeit zu sagen, wie jenes über ihnen hängende Schicksal sich erfüllen wird.« Dies wurde bei Seite gelegt, aber das Verhältniß Edwin Drood's und seiner Verlobten ließ eine bemerkenswerthe Spur davon in dem Romane, wie er später angelegt wurde, zurück.

Ich hörte zuerst von dem späteren Plane in einem Briefe vom 6. August 1869, worin er, nach einigen Worten voll des unverkürzten Lobes, das er immer den ausgezeichneten Leistungen Andrer zu Theil werden ließ, über eine für seine Wochenschrift erhaltene Erzählung, »Ich habe eine äußerst bemerkenswerthe Geschichte für Dich zu lesen. Sie besteht nur aus zwei Kapiteln. Aber es ist etwas, was sich in der Erinnerung nie mit andern Geschichten vermischen kann, sondern immer eine Stelle für sich einnehmen wird.« Die Erzählung wurde veröffentlicht im 37. Heft der neuen Serie von All the Year Round, unter dem Titel: Ein Erlebniß. Die ›neue Serie‹ war angefangen worden, um die zu große Länge einander folgender Bände zu unterbrechen und die einzige Aenderung, welche sie ankündigte, war das Aufhören der Weihnachtshefte. Dickens selbst war derselben müde geworden und da er bemerkte, in welchem Umfange sie jetzt (wie auch bei andern von ihm gegebenen Beispielen gewöhnlich der Fall war) auf allen Seiten nachgeahmt wurden, meinte er, auch das Publikum würde ihrer vermuthlich müde werden. von den Veränderungen sprach, die ihm für seinen eigenen Roman eingefallen waren. »Ich habe den Einfall, von dem ich Dir erzählte, bei Seite gelegt und habe eine sehr eigenthümliche und neue Idee für einen neuen Roman. Keine mittheilbare Idee (oder das Interesse des Buches würde dahin sein), aber eine sehr starke, wenn schon schwer auszuarbeitende.« Der Roman sollte, wie ich unmittelbar darauf erfuhr, den Mord eines Neffen durch seinen Onkel zum Gegenstande haben und das Eigenthümliche dabei sollte die Erzählung der Laufbahn des Mörders von ihm selbst am Schlusse sein, wo die Versuchungen derselben dargestellt werden sollten, als wäre der Versuchte nicht der Schuldige selbst, sondern ein Andrer. Die letzten Kapitel sollten geschrieben werden in der Zelle der verurtheilten Verbrecher, wohin seine ihm mühsam entlockte, wie von einem Andern berichtete Sündhaftigkeit ihn gebracht hatte. Die Entdeckung der völligen Nutzlosigkeit des Mordes für den beabsichtigten Zweck durch den Mörder sollte der Begehung der That unmittelbar folgen; aber das Suchen nach dem Mörder sollte bis gegen den Schluß erfolglos bleiben, wo mittelst eines goldnen Ringes, welcher der ätzenden Wirkung des Kalkes, in den er den Leichnam hineingeworfen, widerstanden hatte, nicht nur die ermordete Person identificirt werden sollte, sondern auch der Ort des Verbrechens und der Mann, der es begangen. So viel wurde mir mitgetheilt, noch ehe etwas von dem Buche geschrieben war, und man wird sich erinnern, daß der von Drood genommene Ring, den seine Verlobte nur dann erhalten sollte, wenn ihr Verlöbniß fortdauerte, bei ihrer letzten Zusammenkunft von ihm mit fortgenommen wurde. Rosa sollte sich mit Tartar verheirathen und Crisparkle mit der Schwester von Landleß, der, soweit ich mich erinnere, selbst umkommen sollte, indem er Tartar bei der schließlichen Entlarvung und Verhaftung des Mörders Hülfe leistet.

Nichts war indeß von den Haupttheilen des Planes aufgeschrieben worden, außer dem, was man in den veröffentlichten Heften findet; kein Wink und keine Vorbereitung für den weitern Verlauf der Erzählung war in Notizen für spätere Kapitel vorhanden und es blieb nicht einmal das, wovon er selbst über das Buch Thackeray's, bei welchem dieser durch den Tod unterbrochen wurde, so traurig geschrieben hatte. Die Zeugnisse für gereifte Pläne, die nie ausgeführt, für entworfene Absichten, die nie erfüllt, für abgesteckte Gedankenbahnen, die nie betreten, für in der Ferne glänzende Ziele, die nie erreicht werden sollten, fehlten hier. Es war eine vollständige Leere. Nichtsdestoweniger wurde genug vollendet, um die Verheißung eines viel größeren Werkes zu geben, als seines unmittelbaren Vorgängers. »Ich hoffe, sein Buch ist vollendet,« schrieb Longfellow, als die Kunde von seinem Tode nach Amerika hinüberblitzte. »Es ist jedenfalls eins seiner schönsten Werke, wenn nicht das schönste von allen. Es würde zu traurig sein, denken zu müssen, daß die Feder seiner Hand entfallen wäre und es unvollendet gelassen hätte.« Einige seiner Charaktere waren fein gezeichnet und in den Schilderungen zeigte seine Phantasie sich in vollem Glanze. Keine Linie fehlte an der Wirklichkeit in dem kleinsten lokalen Detail der verschiedenartigsten Orte und wir sahen mit gleicher Lebendigkeit die träge Kathedralstadt und die düstre Höhle der Opiumesser. Ich füge hinzu, was ein amerikanischer Correspondent mir mitgetheilt hat. »Ich besuchte neulich mit demselben Inspektor, der Dickens begleitete, das Lokal der Opiumraucher, die alte Eliza und ihren Freund, den Lascar oder Bengalesen. Dort kam mir der Einfall, die Bettstelle zu kaufen, welche, in Erzählung und Bild, so genau in Edwin Drood beschrieben ist. Ich gab der alten Frau ein Pfund St. dafür und sie ist jetzt eingepackt und zur Ueberfahrt nach New-York bereit. Ein andrer Amerikaner kaufte eine Pfeife. So sehen Sie, daß wir dem Novellisten seine Scherze auf unsere Kosten von Herzen vergeben haben. Viele Militärs, die von Amerika nach England kommen, weigern sich, ihre Titel zu registriren: besonders wenn sie Obersten sind – lediglich wegen der Hiebe, die uns, in Bezug auf diesen Punkt, in Martin Chuzzlewit versetzt wurden.« Etwas von der alten Leichtigkeit und Lebenslust gab dem Humor eine neue Frische; die Scenen zwischen der kindlichen Heldin und ihrem unglücklichen Verlobten boten sowohl Neuheit als Feinheit in der Charakterschilderung; und Mr. Grewgious in der Miethwohnung mit seinem Schreiber und den beiden Kellnern, der eingebildete Narr Sapsea und der polternde Philanthrop Honeythunder waren komische Gestalten ersten Ranges. Miß Twinkleton gehörte zu der Familie von Miß La Creevy; und wenn die Wohnungsvermietherin Miß Billickin nur einen traurigen Bericht über ihr Blut an Miß Twinkleton erstattete, so floß doch das Blut Mrs. Todgers in ihren Adern. »Ich wurde zu meiner Zeit in eine sehr gentile Pension geschickt; die Vorsteherin war nicht weniger eine Lady als Sie selbst, ungefähr von Ihrem eignen Alter, oder vielleicht einige Jahre jünger, und es floß ein armes Blut von ihrem Tische, das durch mein ganzes Leben hingeströmt ist.« Wurde je etwas Besseres gesagt über eine Pensionskost der am Hungertuch nagenden Gentilität?

Facsimile einer der letzten Seiten von Edwin Drood

Facsimile einer der letzten Seiten von Edwin Drood, geschrieben am 8. Juni 1870

Facsimile einer Seite von Oliver Twist

Facsimile einer Seite von Oliver Twist, geschrieben 1837

Die letzte Seite von Edwin Drood schrieb Dickens am Nachmittage seines letzten mit Bewußtsein verlebten Tages in dem Schweizerhäuschen und ich dachte, ein Facsimile des größeren Theils dieser letzten, von seiner Hand geschriebenen Seite, an der er ungewöhnlich spät gearbeitet hatte, um das Kapitel zu vollenden, würde von Interesse sein. Sie erinnert in ihrer ausnehmenden Sorgfalt der Correktur und der Einschaltungen an alle seine späteren Manuscripte, und um eine Vergleichung mit seiner früheren leichteren Methode zu bieten, stelle ich daneben einen Theil einer Seite des Originals von Oliver Twist. Es mag hier erwähnt werden, daß die größere Mühe und Ausarbeitung seines Schaffens zuerst in den letzten Theilen von Martin Chuzzlewit sichtbar wird; aber die nicht am wenigsten bemerkenswerthe Eigenthümlichkeit aller seiner Manuscripte ist die Genauigkeit, womit die Theile, von denen jeder ein Monatsheft repräsentirt, dem Raume angepaßt sind, den der Drucker auszufüllen hatte. Es mochte nichts ausgestrichen, oder es mochte so viel dazwischen geschrieben sein, daß sie unleserlich waren, – immer enthielten sie grade genug, so daß nichts fehlte und nichts zu viel war. Diese Gewohnheit stand bei ihm so fest, daß er über einen Ausnahmefall, bei Unsrem gegenseitigen Freunde, selbst bemerkte, derselbe sei ihm seit dreißig Jahren nicht vorgekommen. Vgl. oben S. 336. Aber Edwin Drood zeigte ihm auf noch auffallendere Weise, wie unsicher die Gewohnheit, die er am höchsten schätzte, durch den Zusammenstoß alter und neuer Berufsarbeiten geworden war. »Als ich,« schrieb er mir am 22. December 1869, »meiner Meinung nach mit den beiden ersten Heften meines Romans fertig war, benachrichtigte mich der Drucker zu meinem Entsetzen, daß sie zusammen zwölf Druckseiten zu kurz seien!!! Ich mußte daher ein Kapitel aus dem zweiten in das erste Heft übertragen und das zweite Heft ganz umformen. Dies war um so unangenehmer als es grade in die Zeit fiel, als ich das Buch unterbrechen mußte, um die Vorlesungen (die zwölf von Sir Thomas Watson erlaubten Vgl. oben S. 416.) in Gang zu bringen, die ich ganz vergessen hatte, seit ich damit aufhörte. Ich machte mich jedoch an die Arbeit und kam damit zu Stande und beide Hefte sind jetzt im Druck. Charles Collins hat ein vortreffliches Titelblatt entworfen.« Es war sein Wunsch, daß sein Schwiegersohn den Roman illustrirte, aber da dies in Folge einer von Millais ausgesprochenen und durch den Erfolg vollständig gerechtfertigten Ansicht, nicht thunlich war, wurde statt dessen S. L. Fildes gewählt.

*

Diese Bemerkungen über das letzte Werk des Dickens'schen Genius waren so weit geschrieben, als der Verfasser eine interessante Entdeckung machte. Zwischen den Blättern eines andern Manuscripts von Dickens fanden sich mehrere lose von ihm beschriebene Papierstücke, deren Format nur halb so groß war als das für den Roman gebrauchte, so eng zusammen geschrieben, so durchcorrigirt und durchstrichen, daß sie beinah unleserlich waren, die sich, bei näherer Untersuchung, als eine Scene herausstellten, worin Sapsea, der Auktionator, als die Hauptperson unter einer Gruppe bisher noch nicht vorgekommener neuer Charaktere vorgeführt wird. Die Erklärung dafür ist vielleicht, daß er in Bezug auf den weiteren Verlauf der Erzählung etwas besorgt geworden war, weil er fürchtete, sich zu bald in die die Katastrophe herbeiführenden Begebenheiten hineingestürzt zu haben, und daß ihm der Gedanke kam, einige, wenn schon nicht unmittelbar zu dem Hauptinteresse gehörige, so doch damit verknüpfte frische Charakteradern zu eröffnen und dieselben in Verbindung mit Sapsea so auszubeuten, daß die Schlußentwicklung dadurch zugleich etwas verzögert und eindrucksvoller gemacht wurde. Ehe er ein Heft eines heftweise erscheinenden Romans anfing, pflegte er, wie wir an früheren Beispielen gesehen haben, einen kurzen Plan von dem zu entwerfen, was in jedem Kapitel vorkommen sollte, und der Plan zu seinem ersten Heft von Edwin Drood enthielt Folgendes: »Mr. Sapsea. Alter Tory-Esel. Jasper mit ihm in Zusammenhang zu bringen. (Er wird bald eines feierlichen Esels bedürfen)« – was geschah, indem Durdles und Jasper, zum Zwecke der Verbindung mit Sapsea, bei Gelegenheit der Inschrift auf Mrs. Sapsea's Grabe, zusammengeführt wurden. Die jetzt entdeckte Scene mag von diesem Gesichtspunkte aus bezweckt haben, jenes Element der Erzählung zu stärken und zu entwickeln; aber auch sonst erklärt sie sich selbst vollkommen. Sie würde denen, welche behaupten, daß Dickens' hoffnungsloser Verfall als Schriftsteller schon vor seinem Tode begonnen habe, zur Antwort dienen, wenn eine solche nöthig wäre. Unter den zuletzt von ihm geschriebenen Zeilen sind dies die allerletzten, die wir je hoffen dürfen zu empfangen, und sie scheinen mir eine köstliche Probe der Kraft, die er auf der Höhe seines Lebens besaß, der seltensten, welche ein Novellist überhaupt besitzen kann: einen Charakter durch einen Strich zu zeichnen. Hier sind ein Paar uns bis dahin unbekannter Leute, Kimber und Peartree, die wir in einem Dutzend Worten vollständig erkennen; und was Sapsea, den Auktionator und Bürgermeister von Cloisterham selbst betrifft, so sehen wir hier von Angesicht, was wir vorher nur dunkel ahnten: den feierlichen Esel auf seiner Geschäftskanzel, der sich das Ansehn des Herrn Dekans auf seiner Domkanzel gibt, während Cloisterham über den Betrüger lacht.

» Wie Mr. Sapsea aufhörte, ein Mitglied des Acht-Clubs zu sein.

»Von ihm selbst erzählt.

»Da ich etwas frische Luft schöpfen wollte, wählte ich einen Umweg nach dem Club, der an diesem Tage seine Wochenversammlung hielt. Ich fand, daß wir uns vollzählig zusammengefunden hatten. Wir hatten uns vereinigt unter dem Namen des Acht-Clubs. Wir waren acht an Zahl; wir versammelten uns um acht Uhr während acht Monaten des Jahres; wir spielten zu je vieren acht Spiele Cribbage, für acht Pence das Spiel; unser frugales Abendessen bestand aus acht Brötchen, acht Hammelcoteletten, acht gebratenen Würsten, acht gebackenen Kartoffeln, acht Markknochen mit acht Stücken Toast, und acht Flaschen Ale. In der Grundidee dieser (um eine Phrase unsrer lebhaften Nachbarn zu gebrauchen) Reunion mag eine gewisse Harmonie der Farbe herrschen, oder nicht. Es war eine von meinen kleinen Ideen.

»Ein ziemlich populäres Mitglied des Acht-Clubs war ein Mitglied Namens Kimber. Von Profession ein Tanzmeister. Eine hausbackene, hoffnungsvolle Art von Mensch, jeder Würde und Weltkenntniß vollkommen bar.

»Als ich in das Clubzimmer trat, machte Kimber die Bemerkung: ›Und er glaubt noch halb und halb, daß er eine hohe Stellung in der Kirche einnimmt.‹

»In dem Augenblick, als ich eben meinen Hut an den achten Haken an der Thür aufhängte, begegnete Kimber's Blick dem meinigen. Er schlug ihn nieder und machte eine Bemerkung über den nächsten Mondwechsel. Ich nahm hiervon weiter keine Notiz, weil es der Welt oft gefiel, in meiner Gegenwart in Bezug auf geistliche Gegenstände etwas scheu zu sein. Denn ich fühlte, daß ich (obgleich vielleicht nur durch einen Zufall) auserwählt war, in gewisser Weise das zu repräsentiren, was ich unsre glorreiche Constitution in Kirche und Staat nenne. Tadelsüchtige Gemüther mögen gegen diesen Ausdruck Einwendungen erheben; aber ich erkenne ihn als mir zugehörend an. Ich erfand ihn vor einiger Zeit im Laufe eines Gesprächs. Ich sagte: › Unsre glorreiche Constitution in Kirche und Staat.

»Ein andres Mitglied des Acht-Clubs war Peartree, auch Mitglied des Königlichen Collegiums der Wundärzte. Mr. Peartree ist mir für seine Ansichten nicht verantwortlich und ich sage hier über dieselben weiter nichts, als daß er die Armen gratis behandelt, so oft sie seiner bedürfen, und daß er nicht der Arzt des Kirchspiels ist. Mr. Peartree mag es vor seinem eignen Verstande rechtfertigen, daß er so sein republikanisches Aeußerste thut, einen Beamten in Verruf zu bringen. Es genügt zu sagen, daß Mr. Peartree es vor meinem Verstande nie rechtfertigen kann.

»Zwischen Peartree und Kimber bestand eine Art von kränklichem, schwachsinnigem Bündniß. Dasselbe drängte sich meiner Beachtung besonders auf, als ich Kimber meistbietend versteigerte. (Man hatte ihn ausgepfändet.) Er war ein Wittwer, in einer weißen Unterjacke und dünnen Schuhen mit Schleifen, und hatte zwei Töchter, die nicht schlecht aussahen. In der That das Gegentheil. Beide Töchter lehrten Tanzen, in Schulen für junge Damen – sie hatten dies bei Mrs. Sapsea gethan, ja, bei Twinkleton – und Beide boten, wenn sie Stunden gaben, das unweibliche Schauspiel dar, daß sie kleine Violinen unter das Kinn steckten. Trotzdem hätte die jüngere, wenn ich gut berichtet bin, – ich will den Schleier so weit heben, daß ich sage, ich weiß, sie hätte – aus dieser entehrenden Schmach emporsteigen können, wäre ihr nicht ein Geist gegeben worden, den ich als den Geist der großen Heerde bezeichnen will und wäre sie nicht des Gefühls der Verehrung so unglaublich bar gewesen, daß sie dadurch auf peinliche Art lächerlich wurde.

»Als ich Kimber ohne Rückhalt versteigerte, wurden Peartree (der so arm ist als irgend möglich) einige der besten Meubeln zugeschlagen. Ich lasse mich nicht hinter's Licht führen; und ich wußte natürlich ganz genau, was er damit thun wollte; denn er war so ein braunes nichtsnutziges, revolutionäres Subjekt, das mit den Soldaten in Indien gewesen war und dem (um der Gesellschaft willen) der Hals umgedreht werden sollte. Ich sah die Meubeln bald nachher in Kimber's Wohnung – durch das Fenster – und ich entdeckte leicht, daß er sie unter dem gemeinen Vorwand bekommen hatte, daß sie ihm bis auf bessere Zeiten geliehen werden sollten. Ein Mensch von geringerer Weltkenntniß als ich hätte den Verdacht schöpfen können, Kimber hätte seinen Gläubigern Geld vorenthalten und die Meubeln betrügerischerweise gekauft. Aber abgesehen davon, daß ich ganz gewiß wußte, daß er kein Geld hatte, wußte ich, daß dies eine Art von Vorbedacht bedingen würde, die unverträglich ist mit dem Leichtsinn eines Springers, der seinen Lebensunterhalt damit verdient, daß er andern Leuten das Springen beibringt.

»Da es das erstemal war, daß ich jene Beiden seit der Versteigerung sah, hielt ich mich in einer gewissen Entfernung. Als ich ihn ausverkaufte, hatte ich einige Bemerkungen – soll ich sagen, eine kleine Kanzelrede? – in Bezug auf Kimber vorgetragen, welche die Welt für mehr als gewöhnlich bemerkenswerth hielt. Ich war, so sagte man, auf meine Kanzel gekommen, ganz wie – und ein Murmeln des Erkennens hatte seinen (ich will nicht sagen wessen) Titel wiederholt, ehe ich zu sprechen anfing. Ich hatte dann bemerkt, daß alle Anwesenden auf der ersten Seite des vor ihnen liegenden Katalogs, in dem letzten Paragraphen vor dem ersten Posten, die folgenden Worte finden würden: ›Verkauft in Folge eines von einem Gläubiger erlassenen Auspfändungsbefehls‹. Ich hatte sodann meine Freunde daran erinnert, daß, so frivol, um nicht zu sagen verächtlich, das Geschäft, wodurch Jemand seinen Besitz zusammenbringe, auch sein möge, doch sein Besitz für ihn ebenso theuer und für die Gesellschaft (wenn er ohne Rückhalt verkauft werde) ebenso billig sei, als ob sein Beruf der Art gewesen, daß er vor einer ernsten Betrachtung Stand halte. Ich hatte dann meinen Text (wenn ich es so nennen darf) in drei Abschnitte getheilt: erstens, Verkauft; zweitens, in Folge eines Auspfändungsbefehls; drittens, erlassen von einem Gläubiger, mit einigen moralischen Betrachtungen über jeden Punkt, woran endlich die Worte ›Nun zum ersten Posten!‹ sich auf eine Weise anschlossen, über die mir Complimente gemacht wurden, als ich mich später unter meine Zuhörer mischte.

»Da ich also nicht sicher war, wie ich und Kimber zu einander ständen, war ich ernst, war ich kalt. Da Kimber sich jedoch auf mich zu bewegte, so bewegte ich mich auf Kimber zu. (Ich war der Gläubiger, der den Auspfändungsbefehl hatte ergehen lassen. Nicht als ob daran etwas läge.)

»›Ich sprach grade, Mr. Sapsea,‹ sagte Kimber, ›von einem Fremden, mit dem ich auf der Straße in Unterhaltung gerieth, als ich nach dem Club ging. Er hatte, wie es schien, eben bei dem Kirchhof mit Ihnen gesprochen, und obgleich Sie ihm gesagt hatten, wer Sie wären, konnte ich ihn kaum überreden, daß Sie kein hohes Amt in der Kirche bekleideten.‹

»›Der Narr!‹ sagte Peartree.

»›Der Esel!‹ sagte Kimber.

»›Der Narr und Esel!‹ sagten fünf andere Mitglieder.

»›Narr und Esel: meine Herren,‹ bemerkte ich, indem ich mich umsah, ›sind starke Ausdrücke gegen einen jungen Mann von gutem Aeußern und guten Manieren.‹ Meine Großmuth war erregt, ich bekenne es.

»›Sie werden zugeben, daß er ein Narr sein muß‹, sagte Peartree.

»›Sie können nicht läugnen, daß er ein Dummkopf sein muß,‹ sagte Kimber.

»Ihr angeekelter Ton verstieg sich bis zur Beleidigung. Warum sollte man den jungen Mann so verläumden? Was hatte er gethan? Er hatte nur ein unschuldiges und natürliches Versehen gemacht. Ich beherrschte meinen hochherzigen Unmuth und sagte dies.

»›Natürlich?‹ wiederholte Kimber; ›Er ist ein Natürlicher!‹

»Die übrigen sechs Mitglieder des Acht-Clubs lachten einstimmig. Es traf mich. Es war ein höhnisches Lachen. Mein Zorn regte sich zu Gunsten eines abwesenden freundlosen Fremden. Ich erhob mich (denn ich hatte mich gesetzt).

»›Meine Herren,‹ sagte ich mit Würde, ›ich will kein Mitglied dieses Clubs bleiben, der es zugibt, daß eine harmlose Person während ihrer Abwesenheit mit Schmähungen überhäuft wird. Ich will nicht auf solche Weise das verletzen, was ich die heiligen Rechte der Gastfreiheit nenne. Meine Herren, bis Sie es lernen, sich besser zu benehmen, verlasse ich Sie. Meine Herren, bis dahin entziehe ich diesem Versammlungslokal alle die persönlichen Qualifikationen, die ich hineingebracht habe. Meine Herren, bis dahin hören Sie auf der Acht-Club zu sein und müssen sich so gut behelfen als Sie können, indem Sie der Sieben-Club werden.‹«

»Ich setzte den Hut auf und entfernte mich. Als ich die Treppe hinunter ging, hörte ich ganz deutlich ein unterdrücktes Beifallsrufen. So groß ist die Macht des Benehmens und der Kenntniß der Menschen. Ich hatte es ihnen abgezwungen.

»II.

»Wen sollte ich, nur wenige Schritte von der Thüre des Gasthofs, wo der Club seine Sitzungen hielt, in der Straße treffen, als eben jenen jungen Mann, dessen Sache so warm – und ich will hinzufügen, so uneigennützig – zu vertreten, ich als meine Pflicht empfunden hatte.

»›Ist es Mr. Sapsea,‹ sagte er zweifelnd, ›oder ist es‹ –

»›Es ist Mr. Sapsea,‹ erwiederte ich.

»›Verzeihen Sie mir, Mr. Sapsea; Sie scheinen erhitzt, Sir.‹

»›Ich habe mich erhitzt,‹ sagte ich, ›und zwar Ihretwegen.‹ Ich erzählte ihm das Vorgegangene ziemlich ausführlich (mein Edelmuth überwältigte ihn fast) und fragte dann nach seinem Namen.

»›Mr. Sapsea,‹ antwortete er, indem er zu Boden sah, ›Ihr Scharfblick ist so groß, Ihre Einsicht in die Seelen Ihrer Mitmenschen ist so durchdringend, daß es mir nichts helfen würde, wäre ich auch verwegen genug, es zu läugnen, daß mein Name Poker ist.‹

»Ich weiß nicht, ob ich ganz genau erkannt hatte, daß sein Name Poker war, aber ich glaube, ich war nahe daran gewesen.

»›Ganz recht,‹ sagte ich, und versuchte ihn zu beruhigen, indem ich wohlwollend mit dem Kopfe nickte. ›Ihr Name ist Poker, und es schadet nichts, wenn man Poker heißt.‹

»›O, Mr. Sapsea,‹ rief der junge Mann, auf sehr wohlanständige Weise, ›ich danke Ihnen von ganzem Herzen für diese Worte.‹ Dann, als schäme er sich, daß er sich von seinen Gefühlen habe fortreißen lassen, blickte er wieder zu Boden.

»›Nun, Poker,‹ sagte ich, ›lassen Sie mich mehr über Sie hören. Sagen Sie mir, wohin gehen Sie, Poker? und woher kommen Sie?‹

»›Ah, Mr. Sapsea,‹ rief der junge Mann aus. ›Verstellung ist vor Ihnen unmöglich. Sie wissen schon, daß ich irgendwoher komme und daß ich irgendwo anders hin gehe. Wollte ich es läugnen, was würde es mir nützen?‹

»›Dann läugnen Sie es nicht,‹ bemerkte ich.

»›Oder,‹ fuhr Poker in einer Art von verzweifelnder Entzückung fort, ›oder wollte ich läugnen, daß ich in diese Stadt gekommen bin, um Sie, Sir, zu sehen und zu hören, was würde es mir nützen? Oder wollte ich läugnen –‹«

Hier endet das Fragment und die Hand, die es allein hätte vollenden können, ruht auf immer.

*

Einige persönliche Charakterzüge müssen noch hervorgehoben werden, ehe das Ende kurz erzählt wird.

 

*

 


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