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Sechstes Kapitel.
In den Silberminen

Die Wallfahrt nach den Schwazer Bergen. – Der neue Knappe. – Der erste Besuch des Vomperloches. – Im Triefestollen. – Jörgs Kameraden. – Krüppel bei der Arbeit. – Die Reue. – Oben Reichtum, unten Elend. – Im Massenquartier. – Ein Wiedertäuferpaar. – »Die Silberader ist aus.« – »Die Geschwistrigkeit« und ihre aufrührerischen Lehren. – Im »reichen Gang«. – Die »Erzschmecker« mit der Wünschelrute. – Die Verhaftung. – Der Aufruhr im Stollen.

 

Das war ein Lärmen und Getriebe in dem sonst so stillen Inntal, wenn der Wandersmann das düstere Städtchen Rattenberg passiert hatte und nun schon die Zinnen des hohen Schlosses von Tratzberg auf ihn herabwinkten. Schon lange bevor er nach Schwaz kam, merkte er's an der Bewegung, daß er nun Außerordentliches sehen werde. In langen Reihen zogen die schwer beladenen Wagen hin und wieder, oft in Karawanen zu fünfzig oder sechzig, und wenn ein Trupp Reisiger mitzog oder ein Fähnlein Knechte mit Spieß und Schwert, da ahnte er wohl, welch kostbare Fracht an Erz da hinauszog aus der Silberstadt, die eigentlich gar keine Stadt war, sondern nur ein Markt, arm und unbeachtet, nein, ein Dorf, bis im Jahre 1490 am Falkenstein das erste Silber und Kupfer gefunden wurde und nun der Zustrom aus aller Herren Länder begann.

Anno 1510 hatte ein Silberfieber die Welt ergriffen, das den Bauer vom Pflug wegtrieb, den Bräutigam die Braut verlassen hieß, die Eltern ihre Kinder, den Krieger seine Waffen, nur um auch teilzuhaben an dem Silberstrom, der unerschöpflich den Eingeweiden der Schwazer Berge entquoll und nimmer versiegen wollte.

Die Schwazer selbst wußten gar nicht, wie sie ihren Reichtum bergen und sich sichern sollten, und bevor sie das lernten, hatten schon die Fugger zugeschnappt und sich vom Landesherrn, dem sie Geld geliehen hatten, die Berggerechtsame von Schwaz verpfänden lassen. Und da saßen sie nun im prächtigen Schwazer Fuggerhaus als Herren der Berge, sammelten unschätzbaren Reichtum und geboten über 30 000 Bergknappen. Die Fuggers hatten die Bergwerk-Gerechtsame vom Erzherzog Sigismund von Tirol gegen ein Darlehen als Pfand erworben und betrieben den Bergbau in größter Ausdehnung, der bei der höchsten Blüte der Bergwerke über 30 000 Erzknappen Brot verschaffte und sich bald auch auf andere Tiroler Bergwerke erstreckte. Die reichen Silber- und Kupferlager von Schwaz wurden im Jahre 1490 entdeckt und bieten heute noch immer etwas Kupfer.

Zu klein wurde denen der Markt, und weit hinaus in die Berge, auf dem Weerberg und Pillberg, zu Außerknapp und gen Jenbach zu lagerten und hausten sie in Holzhäusern, manchmal nur in Erdlöchern oder gar nur in Zelten mit Weib und Kind, daß es anzusehen war wie ein Feldlager der Landsknechte. Nur ging es da noch zuchtloser zu, als wo die Profosse und Waibel ihren strengen Stab schwangen, und Mord und Totschlag, Trunkenheit und wüste Greuel waren nicht selten vorm Berggericht, das die Pfleger, die Herren vom Freundsberg, mit erschrecklicher Strenge üben mußten, sollte nicht die Arbeit leiden darob.

Als Jörg in diese Welt eintrat, war ihm, als ob er nun nach Friedenszeiten in die Schrecken eines Krieges geraten wäre. Zwar hatte er Glück gehabt, und wohlgebaut und kräftig wie er war, hatte man ihn schon im ersten Stollen angenommen, wo er um Arbeit vorsprach. Man brauchte arbeitende Hände, man konnte deren nicht genug bekommen, denn die bergkundigen Herren im Fuggerhaus hatten sichere Vermutung, daß die eigentlichen Silberadern noch gar nicht erbohrt seien, soviel Gänge auch schon in den steinernen Leib des Kellerjochs getrieben waren, das so mächtig und stolz auf die Menschlein an seinem Fuße herabblickte.

Es war Samstag, und noch frühzeitiger als sonst hatte man Feierabend angesagt, da die Erzknappen verwöhnt waren und sich als Herren fühlten, die selbst ihre Bedingungen stellten im Gefühl ihrer Macht und Bedeutung. Jörg gehörte zu den Ersten, die zu Tag stiegen, denn er hatte Großes vor für die anderhalb freien Tage, die ihm winkten. Zum erstenmal seit seiner Flucht vom Waldhaus wollte er in die Berge steigen, denen all sein Trachten und Sinnen galt, gar seitdem er hier gesehen, welchen Reichtum so eine Silberader bot.

In das Vomperloch zog ihn der Dämon der Habgier, zu den Blenden, von denen der alte Lampadius gesprochen als dem sicheren Silberanzeichen, von dem es dort so viel geben sollte. Gleich am ersten Tage, da er in Schwaz unter Menschen kam, hatte er unauffällig nach dem Vomperloch gefragt und war fast mutlos geworden, als man ihm die himmelhohen, mit furchtbar steilen Wänden emporstarrenden Berge wies, zwischen die es eingeengt sein sollte. »Ein gar böser Ort,« hatte der alte Bergmann davon gesagt, den er darum befragte, »und böses Gewürm, wohl gar noch Lindwürmer hausen drin. Kein Christ kann da hinein zu den schäumenden Wässern und greulichen Felsenschluchten.« – »Ist auch kein Weg und Steg drin,« hatten ihn alle versichert, die er auch später vorsichtig darum befragte, und man wußte nicht Wunder genug zu erzählen von den Schrecken und Gefahren, mit denen das Vomperloch drohte. Das stimmte bedenklich, war aber auch wieder ein gutes Anzeichen. Wenn dem so war, da begriff er, warum die Fugger noch nicht die Hand nach dem Vomperloch ausgestreckt hatten, warum man dort noch Entdeckungen machen konnte. Das war Freiboden, da hatte sicher noch keiner gesucht und geschürft. Und wenn er daran dachte, schnürte ihm die Freude die Kehle zu.

Er war kein Feigling; die Berge und ihre Schrecken ängstigten ihn nicht, im Gegenteil, er empfand es sogar als ein Hochgefühl, an einem freien Punkt zu stehen und in grausige Tiefen zu blicken oder so recht mit dem Einsatz der Kraft ohne Weg sich den Pfad selbst zu finden. Und so zog er denn voll innerer Erregung und freudiger Spannung gegen Abend heimlich, damit ihn niemand bemerke, zur neuen Pfannenschmiede, die man unlängst aufgetan, um sich die wildbrausenden Wasser des Vomperbaches dienstbar zu machen. Auch hier hatte man längst Feierabend gemacht, und idyllisch ruhig lag die Schmiede im engen Kessel, der sich sofort zur Felsenschlucht verdüsterte, aus der schäumend und tosend ein grünes Berggewässer hervorbrach.

Sein Plan war, im Tale so weit vorzudringen, als es der Abend noch erlaubte. Das Übernachten im Freien schreckte ihn nicht, das war er gewohnt aus den Tagen des Elends, selbst im Winter. An einem so schönen Sommerabend war es sogar ein Vergnügen. Und morgen wollte er dann die vom Bache ausgenagten Wände Das Vomperloch ist ein tiefeingeschnittenes, schluchtähnliches, cirka 4 Stunden langes Tal bei Schwaz in den nördlichen Tiroler Kalkalpen, das sich offenbar nach der Eiszeit durch die ungeheuere ausnagende Tätigkeit der von den Gletschern abströmenden Wassermassen so tief in den Kalk eingeschnitten hat. Die hier zu beobachtenden Naturerscheinungen sind typisch für die Kalkalpen überhaupt. absuchen. Sein Meister hatte ihn gelehrt, daß man da am ehesten einen Einblick ins Erdinnere haben könne, denn Bäche und Flüsse sind wie scharfe Messer, die den Leib der Erde aufschneiden und erschließen und zugleich die in ihm verborgenen Schätze zutage spülen. Wenn er also Blenden finden wollte, im Bachbett müßten sich ihre Spuren am ehesten verraten.

So schritt er fürbaß. Ein kleiner, ausgetretener Steig der Schmiede leitete in die Schlucht. Aber da ist er auch schon zu Ende. Prall und senkrecht rücken glatte Felsen wie Mauern zusammen und gestatten auch dem Bächlein nur dann Ausgang, wenn es von Stufe zu Stufe springt und sich in weißem Gischt zerschmettert. Ein solches Hindernis muß man umgehen, am Bergabhang emporklimmen, bevor die Wände beginnen, oberhalb sie queren, dann kann man wieder zum Bache hinab.

Jörg klimmt unermüdet durch den dichten, steilen Bergwald links hinan. Dann versucht er den Quergang. Die Felsen zwingen immer wieder zum Ausweichen nach links. Dann wendet sich das Tal und scheint weniger schroff zu werden. Aber der Wald lichtet sich nicht, und so oft der Wanderer zum Bache, der in der Tiefe tost, absteigen will, kommt er immer wieder zu der Felsenmauer, die das Wasser schützt und so schroff ist, daß sie unerklimmbar darüber hängt.

Die Stunden sind dahingegangen, und im Walde ist es schon tiefe Dämmerung. Da tritt ein Felsabbruch in den Weg, und an seinem Rande öffnet sich ein Blick ins Weite. Ein herrliches Bild ist es, das dem Wanderer unwillkürlich den Fuß hemmt.

Jörgs Erkundungsgang ins Vomperloch

Über Waldeinsamkeit blickt er hinaus in die kristallene Klarheit des Abendfriedens. Im Tal ist es schon blaugrün, und kühle Schatten steigen, aber drüber, wo bleiche, hohe Felstürme aus dem dunklen Waldkleid treten, da liegt noch ein letztes Sonnengold auf den höchsten Zinnen. Sind das noch Sonnenstrahlen? Nein, es ist nur noch ein Nachleuchten in tiefem, violettem Rot. Wie von innen heraus glühend ist der kalte Stein belebt. Unkörperlich schweben diese Zacken und Spitzen im tiefen Blau, jetzt brennt nur noch der oberste Rand der Riesenfackeln, dann erlischt auch der, einige Minuten rieselt es noch wie gelber Schimmer durch die Berge, aber dann werden sie totenblaß. Auf einmal sind sie unfreundlich grau und kalt, und in düsterem Schweigen rauscht der Abendwind heran. Die Wipfel sausen so seltsam, das Wasser rauscht vernehmlich herauf, und auf einmal kommt zitternd ein feiner, silberner Ton durch die Luft geflogen, ein fernes Glöcklein hallt schwach herüber von Schwaz und läutet einer armen Seele hinüber zum Weg in die Ewigkeit.

Hier muß man wohl die Nacht verbringen, denn schon ist es zu dunkel zu weiterem Streifen. Sonst hätte er sich ein behagliches Feuer zurechtgemacht, aber das durfte ihn jetzt nicht verraten. Zu leicht hätte es andere zu seinem Silberschatz gelockt, ehe er ihn noch entdeckt. Und so lag er denn im Moos und sah nichts ringsum als die heilige und tiefe Nacht. Die Bäume rauschten schwermütige Lieder, die Sterne funkelten voll Pracht, das Käuzchen rief seinen bitteren Schrei in die Nacht, und die Wildwasser murmelten ihn in den Schlaf, nachdem er vom Schauen und Sinnen müde geworden war.

Als er erwachte, lag schon Sonnenglanz über dem weiten Raum, die Täler dampften von wallendem Nebelrauch und tausend und abertausend Tautropfen hingen blinkend an jedem Halm und warfen Edelsteinfeuer und Blitze. Eine heitere Ruhe war über die Landschaft gebreitet, der Silberduft des Vormittags, der alle Linien weicher gestaltet und auch dem ernstesten Bilde etwas Freundliches und Harmloses verleiht. Die Berge sahen jetzt gar nicht so schreckhaft aus, da sanftes Blau in ihren Spalten webte und ihre Häupter wie ein zartes, weißes Spitzengewebe schleierhaft fein gegen den Himmel standen. An zahllosen Punkten versuchte Jörg zur Talsohle hinabzugelangen, stieg auch oft so tief hinunter, daß er mit einem Flintenschuß das Wasser hätte erreichen können, und kroch dann mühsam wieder hinauf in den tief eingerissenen Runsen, in denen im Lenz brausende Bäche hinabstürzten und ihre Gerölle zu Tale führten. Der Vormittag wurde heißer und lautloser, kein Lüftchen regte sich, stumm und drückend brannte das Licht auf den weißen Kalkfelsen, daß das Auge schmerzte vom Hinsehen; die Schatten wurden kürzer und wieder länger und gingen still ihren Weg, und noch immer stieg er in dem endlosen Tal an ihm unbekannten Bergen entlang, von denen er nicht einmal den Namen wußte. Und noch immer fand er nichts, was seine Hoffnungen belebt hätte.

Die Gegend war wohl noch nie von eines Menschen Fuß betreten worden, denn kein Zeichen verriet, daß hier je einer gegangen wäre oder gar Besitz genommen hätte vom Boden. In unberührter Unschuld grünte der Wald, verblühten die Blumen der reichen Bergwiesen; ihm zu Häupten sprang manches Rudel Gemsen und war nicht so scheu wie im Inntal, wo sie die Jäger hetzten. Kein Pfad querte die Hänge, keine Brücke setzte über die Schluchten, und soweit das Auge blickte, sah es überall dieselbe Unberührtheit und unschuldige Wildnis in den Tälern und auf den Bergen. Ein schwerer Würzduft entströmte diesen Matten, auf denen nun in der Mittagsglut auch die Vögel verstummt waren und nichts zu leben schien als die stahlblauen und grünschillernden, summenden Fliegen, die Falter und manche Hummel, die schläfrig einherläutete, daß es klang wie ferne tiefe Glocken.

Der Zauber dieser großen Natur hatte ihn so umfangen, daß er vor innerem freudigem Hingegebensein an sie gar nicht so die Enttäuschung fühlte über sein vergebliches Mühen, auch als er sich endlich entschloß umzukehren, da eine furchtbar senkrechte, mit steinernen Platten geradezu gepanzerte Wand alles weitere Vordringen unmöglich machte. Er war wohl jetzt im innersten Vompertal, das hier seinen Volksnamen Loch wohl rechtfertigte. Denn wie in einen Trichter sah er hinab in einen von allen Seiten umstellten felsigen Kessel, auf dessen Boden neben dem rinnenden Wasser in ergreifendem Gegensatz zur wilden Umgebung eine kleine, liebliche Buschwiese ihre Blumen wiegte. Aber dort hinabzugelangen, war für ihn ein Ding der Unmöglichkeit, und es hätte auch nichts genützt, denn der Bach, der dort in der Au so frei und sanft dahinfloß, verschwand gleich wieder in der Nacht einer finsteren Klamm und zeigte durch sein Lärmen und Tosen, daß er darin nur mühsam seinen Weg fand. So war also dieses Vomperloch beschaffen. Seine Einöde und Felsenwüste war ja grauenhaft und konnte wohl den Gedanken erwecken, hier hausten Fabelwesen und Untiere. An Bären mochte es wohl auch nicht fehlen, und Schlangen hatte er mehr als einmal auf sonnigem Stein gesehen, zusammengeringelt und das spitze Gabelzünglein unheimlich hervorstreckend auf den einsamen Wanderer, der hier zum erstenmal die Ruhe störte.

Gerade dieses Gefühl der unbedingten Einsamkeit war die beste Frucht dieses ersten Erkundigungsganges. Er würde jetzt oft wiederkommen, sagte er sich, um so mehr, als das Vomperloch bei weitem nicht so gefährlich war, als man fabelte; er würde hier keinen Stein ununtersucht lassen, bis er das Gesuchte gefunden. Er werde es auch finden und dann – ein bunter, froher Traum schöner Zukunft stieg vor seinem Auge auf, als er sich nun im Nachhausewandern ausmalte, daß er dann zum Bergrichter gehen und Mutungsrecht und Berggerechtsame auf freiem Boden verlangen und dann wiederkehren werde mit geworbenen Genossen als Herr dieser Berge, dem als dem Ersten der dritte Teil des Erzes gebühre … Da bog er zwischen zwei hohen Blöcken in einen Engpaß, dessen eine Wand überhing. Und darunter – war ein Feuerplatz.

Es gab ihm einen jähen Ruck, als ob ihn jemand derb gepackt hätte. Hier waren Menschen gewesen, sie hatten bei einem Feuer genächtigt, und zwar diese Nacht, denn die Asche war ganz frisch. Ja, als er mit der Hand hineinfuhr, war sie noch warm. Wer war es, der hier außer ihm im Gebirge weilte? Von den Landstörzern hatte er gelernt, wie man Spuren auskundschaftet. Er untersuchte die Lagerstatt. Der Boden und das Gras waren nur so weit zerdrückt, als einem einzelnen Menschen zuzumuten war. Spuren einer Mahlzeit fanden sich nicht, aus denen man hätte schließen können, daß es ein Wildschütz gewesen, der hier genächtigt. Wenn er aber hier rastete, mußte er auch getrunken haben, also war wohl eine Quelle nicht weit. Und wirklich, ganz in der Nähe gluckste ein Wässerlein, und im weichen Lehm waren Tritte eingeprägt. Es war ein Mann, der hier mit derben Schuhen gegangen, und daß sie nicht genagelt waren, deutete mit Sicherheit darauf, daß es kein Tiroler Bauer oder Jäger gewesen, denn die gingen alle mit Nagelschuhen.

Der Feuerplatz

Eine große Unruhe erfaßte Jörg. Er kehrte zum Feuerplatz zurück, und nun, da er danach forschte, fiel es ihm auch auf, wie geschickt der ausgewählt war zwischen den Felsen, daß man das Feuer am Berg von nirgendsher erspähen konnte. Also war das einer, der seine Anwesenheit verheimlichen wollte – so wie er … Ja, was suchte dann der Unbekannte hier? Suchte er – vielleicht gar nach Erzen? Mit stockendem Herzen sagte er es sich, und ein Haß gegen den Eindringling auf »seinem Berg« befiel ihn.

Aber dann lachte er sich aus, daß er doch nicht gleich daran gedacht: das war eben einer, dem's unten im Tal zu heiß wurde. Es waren ja so viele Spitzbuben unter denen, die sich Erzknappen nannten; da hat sich einfach einer, der was auf dem Kerbholz hatte, heraufgeflüchtet, und darum verbarg er sein Feuer.

Die Sache blieb aber immerhin bedenklich und unlieb. Eine Begegnung mit so einem Verzweifelten war fast so angenehm wie die mit einem Bären. Und wohin hatte sich der Unbekannte gewandt? Über das Vomperloch konnte er nicht. An den Plattenschüssen mußte er Halt machen, den Weg zum Bach versperrte dessen Felswand, hinauf am Berg wäre Tollheit gewesen, denn schon wenige Meter über den Alpenrosen und Latschen, zwischen denen er stand, kamen die Geröllhänge, und über ihnen hing wieder praller, nackter Stein. Der Fremde mußte also dort gehen, wo er seinen Pfad gefunden; und da er ihn bisher nicht getroffen, so war der wohl schon am Morgen umgekehrt. Oder war er in der Nähe? Beobachtete er ihn vielleicht?

Die ganze Unschuld der Bergnatur war mit einem Schlag verschwunden. Ein Gedanke genügt, um der Landschaft ein anderes Antlitz zu geben. Die wohltuende Ruhe erschien nun wie ein boshaftes Lauern, die schweigenden Felsen sahen wie mit Fratzengesichtern auf ihn, und so oft der Wind durch die Zweige des Waldes ging, in den er nun wieder hinabgestiegen war, war es ihm, als huschten Menschen durch den Tann, und er hörte plötzlich Schritte, die aber verstummten, wenn er lauschte.

Die Knappen auf dem Wege zum Stollen

So äffte ihn die Phantasie noch lange, bis er oberhalb der Pfannenschmiede aus dem Walde trat und übermüdet und mißmutig über die nächtlichen Felder heimwärts schlich.

Das war ein übler Gewinn gewesen, diese erste Fahrt nach dem Silberschatz, denn als er im nächsten Morgengrauen zur Arbeit sollte, fühlte er sich noch wie zerschlagen und hatte statt der Hoffnung quälende Gedanken im Kopf.

Er war im Triefestollen in Arbeit und hatte dahin gar weit zu gehen. Mit ihm wanderten Hunderte und wieder Hunderte, und an jedem Seitenweg, von allen Hängen, aus allen Häusern traten neue Knappen herzu und schlossen sich dem Weg zu den Gruben an. Er hatte etwas Imponierendes, dieser gleichmäßige Tritt der Arbeiterschar, wie sie, die meisten in einem verschlafenen Schweigen, da sie den Sonntag über Gebühr ausgenützt, so dahinzogen, gewöhnlich schon in der unkleidsamen Knappentracht von schmutzigem Schwarz mit dem Schutzleder hinten und der niederen, runden Bergmannskappe, an der oft auch schon das kleine Öllämpchen aufgesteckt war, das des Bergmanns unterirdisch Tun beleuchtet.

Von fern schon wiesen die Schmelzöfen Die Verhüttung der Erze in Schwaz beruhte im 16. Jahrhundert durchaus auf den Kenntnissen, die in Agricolas »Erzbergwerk« niedergelegt sind. Man beschränkte sich auf eine Aufbereitung der Erze mit Handbetrieb und ein primitives Ausschmelzen, in dessen Rückständen, den »Schlacken«, so viele wertvolle Substanzen unverarbeitet blieben, daß man in der Neuzeit vielfach die Hüttenabfälle, namentlich die »Ofenbrüche« und »Eisensauen«, mit Erfolg verwerten konnte. den Weg, und in ihnen war trotz des Sonntags Nachtschicht gewesen, denn gewaltige Flammen schlugen aus den qualmenden Essen, und da sie von mächtigen Schlackenhalden umgeben waren, hatte es fast den Anschein, als seien um Schwaz Vulkane ausgebrochen und das Gewimmel der Menschen gelte einem Rettungswerk, nicht aber schätzespeichernder Arbeit.

Nun trat die Rotte, der Jörg zugeteilt war, in das Stollenhaus, einen rohgezimmerten Holzbau, der über der Mündung der Grube errichtet war. Der Schacht war wagerecht in den Falkenstein getrieben und sah mehr einem Tunnel als einem Bergwerkseingang gleich. Nicht an jedem Stollen war das so. Es gab welche, die gleich schräg ins Erdinnere leiteten, daß man sich auf seinen Lederschurz setzen und auf den Brettern hinabrutschen mußte wie auf einer unterirdischen Rodelbahn. Neben solcher Einfahrt auf der Rutsche gab es auch einen Einstieg, der einen schwindelfreien Mann verlangte, da man auf einer Art Strickleiter hinabklettern mußte in die ewige Nacht, auf drei gespannten Seilen, zwischen die hölzerne Querleisten eingeflochten waren.

Im Stollenhaus summte und regte es sich wie in einem Ameisenhaufen. Da wurde das Gezähe ausgeteilt, das Werkzeug des Bergmanns, Schaufeln und eine ungefüge Keilhaue, die in einem primitiven Stock steckte. Den Fäustel, den gewaltigen Bergmannshammer, hatte ohnedies schon jeder im Gürtel stecken. Dort wurde Brennöl ausgegeben für die Lampen, da den Rottmannschaften ihr Tagewerk zugewiesen, und knarrend setzten sich die Balgen und Lotten in Bewegung für den Windfang, der den innersten Gängen, wo fast keine Atemluft mehr war, frischen Wind zuführen sollte. Der alte Bergwerksbetrieb, der heute fast allen Ortes bereits verlassen wurde, begann gewöhnlich damit, daß in den Berg ein kesselartiger »Einbruch« geschaffen wurde, von dem aus mittelst der Handarbeit der Häuer die Gänge getrieben wurden. Zum Auflockern und Brüchigmachen des Gesteins diente das »Feuersetzen«, das heute nicht mehr vorkommt. Während heute die Hauptschächte gewöhnlich vier bis fünf Meter lichte Weite besitzen, waren sie im Mittelalter angesichts der großen Schwierigkeiten bedeutend niedriger; ebenso wie man früher der billigen Wasserabführung und Erzförderung halber den Stollenbau bevorzugte. Unter Stollen, die nur im Gebirge vorkommen, versteht man wagerechte Tunnels, die vom Tale aus in den Berg getrieben werden. Der neuere Bergbau dagegen arbeitet nur mit Schächten, die möglichst abgeteuft, das heißt in die Tiefe getrieben werden. Im alten Bergbau wurde in der Sohle des Stollens für die einsickernden Wasser eine Abflußrinne, die »Wasserseige«, eingehauen, die gewöhnlich mit Brettern überdeckt war, auch senkrecht angebracht wurde. Um die tiefer hinabreichenden Erzadern zu erschließen, trieb man von einem tieferen Taleinschnitt aus unter den Stollen einen zweiten, damit parallel verlaufenden, den sogenannten » Erbstollen«. Dies wiederholte sich öfters, wenn es das Terrain erlaubte, und so entstanden mehrere » Horizonte«, die man nachträglich durch Schächte verband. In diesen Schächten hingen die Verbindungsleitern, die sogenannte »Fahrt«, in ihnen waren die Wasserseigen, hölzerne Röhrenkasten, in denen die Grubenwässer als Wasserfall hinabrauschten, und durch die, wenn sie undicht oder von verbrecherischer Hand geöffnet wurden, sich der untere Horizont mit Wasser füllen, das heißt nach der Bergmannsprache » versaufen« konnte.
Die von Häuern abgesprengten » Erzstufen« wurden gleich am Stollenort von den » Bergen«, das heißt von dem kein Erz enthaltendem Gestein, ausgelesen, und mit den » tauben Bergen« wurden die verlassenen Gänge ausgefüllt, das heißt » versetzt«. Die Füller luden die Ziehwägelchen (Hunde) mit den Erzstufen, worauf sie von Arbeitern oder von Pferden zu einem Schacht geschleppt wurden, wo sie die Zieher auf einer Handhaspel in die Höhe wanden. Bei Stollenbau wurden die Hunde einfach zum Mundloch gezogen und dort auf die » Bergehalde« gestürzt. Von den Halden gelangte das Erz in das Pochwerk und zu den Schmelzöfen (siehe Anmerkung 6). Im modernen Bergwerk dagegen dienen hierzu Fördermaschinen und unterirdische Eisenbahn-Anlagen mit elektrischen Grubenlokomotiven.
Wichtig für den Bergwerksbetrieb war die Durchlüftung und Entwässerung. Während gegenwärtig großartige Ventilatoren und Pumpmaschinen in Betrieb sind, beschränkte man sich im 16. Jahrhundert auf einfache »Scheibenkünste« mit Handbetrieb, im besten Fall auf Schachtpumpen, die mit Mühlenrädern durch Wasserkraft betrieben wurden. Die Ventilation, soweit eine solche überhaupt bestand, erfolgte durch Blasebälge, und es galt als großartige Neuerung, daß Agricola Windmühlen zur Ventilation einführte.
In Schwaz machte man das noch einfach durch der Männer Handarbeit, aber erfahrene Knappen, die der Fugger Bergbau unmodern fanden, erzählten, wie man zu Andreasberg im Harz und im Sächsischen schon seit langem mit Windmühlen die Schächte so durchlüfte, »daß es eitel Erholung wäre, in ihnen frische Luft zu schnaufen«.

Wie hatte Jörg gestaunt, als er, der noch nie in einem Bergwerk gewesen, zum erstenmal alle diese wunderbaren Zurichtungen sah, und es war ihm wirklich bänglich zumute, als sich zuerst die schwere Holztür des Stollens hinter ihm schloß und von nun an die »Funzel«, das armselige Öllämpchen, allein ihm am Tage leuchtete, und wie sie hinschritten in der engen Strecke mit ihrer Schrotzimmerung, Nur an wenig Stellen der Bergwerke kann eine Auskleidung der Stollen und Schächte unterbleiben, da die ausgehauenen Grubenräume einem ungeheuren Gebirgsdruck, unter Umständen auch einem Wasserdruck, widerstehen müssen. Durch diesen Gebirgsdruck werden alle Stollen in absehbarer Zeit zerstört; diese müssen demnach stets nachgerichtet werden. Aus dieser Ursache verfallen auch aufgelassene Bergwerke. Während gegenwärtig die Förderstrecken meist eisernen Ausbau erhalten, hatte das mittelalterliche Bergwerk nur Schrotzimmerung, die im wesentlichen aus langen, starken Hölzern, die in ein- oder mehrfacher Lage senkrecht dicht nebeneinander in die Wand getrieben und durch Querstützhölzer verbunden wurden, bestand. von der das Wasser troff und lange, weiße Pilzgespinste wie die Bärte von Gnomen herabhingen. Er sah da noch gar nicht die kunstvolle Arbeit, die in diesem Holzausbau des ausgegrabenen Ganges steckte und den Berg hinderte, den Schacht mit seinen Menschlein zu zerdrücken, so gleichmütig und leicht, wie man ein Buch zuklappt. Viele hunderttausend schöner, alter Fichtenstämme waren dazu hineingeschleppt worden in den Berg und waren hier aufgerichtet Stamm neben Stamm, wie ein unterirdischer Wald, als Stützsäulen und sie verbindende Stege, oft in zweifacher Reihe, und kunstvoll waren die Wasserseigen eingebaut, in denen erdinnere Quellen abgeleitet wurden, so daß es darin rauschte und gluckste, wie wenn gefangene Kobolde tobten nach Befreiung zum Unheil der Menschen.

Trotzdem tropfte und rieselte es oft genug von der Decke, und am Boden des Schachtganges floß ein Bächlein dahin, daß man oft nur mühsam im Schlamm waten konnte. Nur selten waren hier offene Strecken im festen Gebirge Unter Schiefergebirge versteht man die ältesten Meeresablagerungen, deren Schlamm durch den ungeheuren Gebirgsdruck und teilweise durch den Einfluß von emporgedrungenem glühendem Erdinneren verändert wurde. Der Phyllit oder Urtonschiefer, in dem sich die Schwazer Bergwerke befanden, steht dem Glimmerschiefer sehr nahe und besteht vorwiegend aus feinen, seidenglänzenden Glimmerschüppchen und aus Quarz. Demgemäß ist er auch von weißglänzenden Quarzadern durchzogen, von deren Kristallen anzunehmen ist, daß sie sich aus Dämpfen oder Sickerwässern niedergeschlagen haben, die in Spalten eingedrungen und dort langsam erkaltet und ausgetrocknet sind.
Entsprechend seinem Meeresursprung enthält der Glimmerschiefer auch mehrfach eingelagerte »Linsen« von feinkörnigem und locker gebliebenem Meeressand. Diese heißen in der Bergmannssprache » schwimmende Gebirge« und bildeten für die Bergwerke eine stete Gefahr, da sie keinen Halt boten und die Stollen mit stetem Einsturz bedrohten.
, die man wagen konnte ohne Zimmerung zu lassen, und dann glitzerte in ihnen das Licht und brach sich tausendfältig mit Glanz und Pracht in den Quarzadern, die da in den Berg eingesprengt waren, daß es ein herrlich, ein feenhaft berückend Schauspiel war und man sich wirklich in den Kristallpalast des Geisterkönigs versetzt fühlte.

Aber nicht immer war es so prächtig, denn nun verzweigte sich der Stollen und teilte sich in enge und so niedrige Gänge, daß man bald auch nicht mehr gebückt einhergehen konnte, sondern stellenweise einfach kriechen mußte wie eine Schlange auf dem Bauch. Auch stieg nun der Gang empor. In rauhen Absätzen und hohen Stufen war er seiner Zeit dem willkürlichen Verlauf der Erzader gefolgt, und darum war er nicht nach den Gesetzen der Bequemlichkeit errichtet und hielt den, der in ihm emporklomm, gar stark in Atem. Auch war hier nicht mehr die kühle, frische Luft wie unten in den wagerechten Gängen, sondern schwül und stickend lagerte sich eine von Ausdünstungen, wenn auch hier im Erzbergwerk nicht von Gasen, geschwängerte Atmosphäre in dem engen Loch, in dem sich Jörg mühsam Schritt für Schritt vorwärts schob, um an seinen Arbeitsplatz zu gelangen. Von dem ganzen Trupp waren sie nur noch fünf geblieben: zwei Zimmerleute, die die Verschalungen dieses Teiles nachzuprüfen hatten, und die zwei Häuer, denen Jörg als Gehilfe zugeteilt war. Das waren zwei Riesen der Arbeit, mit Armen wie von Stahl und einem ernsten und gewalttätigen Sinn, wie ihn so schwere Arbeit gern heranzieht. Hans der Schwab nannte sich der eine, ein finsterer, schwarzbärtiger Mann, der, von den hallischen Siedern in Schwaben nach Schwaz gekommen, es kaum ertragen konnte, seine fröhliche Arbeit im Tageslicht nun mit diesem Maulwurfswühlen in solcher Stickluft eingetauscht zu haben. Sie war ihm auch übel bekommen, denn soeben befiel ihn wieder einer seiner entsetzlichen Hustenanfälle, daß er totenblaß und nach Luft ringend auf die Kniee fiel, um sich zu erholen.

»Heut hat's di' wieder,« meinte mit gutmütiger Teilnahme ein behäbiger, alter Tiroler, einst wohl ein Freibauer in einem stattlichen Hof am Bergeshang, der aus unbekannter Ursache nun in die Frohn der Fuggers gekommen. »Hast wacker zecht gestern im Knappenhaus, gelt?« setzte er mit schelmischem Vorwurf hinzu, indem er dem fast erstickenden Hans kräftig auf den Rücken klopfte.

»Ah, laß mi' aus,« stöhnte der, »hab' grad' zum Zechen was. Immer, wann i in das verfluchte Loch reinkriech, packt mi' der Gugezer.«

»Ertragst halt d'Luft net. 's is a net für jeden, da muß oaner schon g'stellt sein, bal's ihn da herent net umbringt.«

Der Anfall ging vorüber, und sie traten nun in eine geweitete Halle, in die an verschiedenen Stellen neue, höhere Gänge mündeten. Auch zu einer Art Kammer führte eine Türe, und durch ihr Loch drang ein Geräusch von Stimmen den Ankömmlingen entgegen. Da drinnen war ein Stall. Mit vier Pferden war er sonst besetzt, die in geräumigeren Stollen die Erzhunde, nämlich die schweren Karren, zu ziehen hatten, in denen die Gangstufen, wie die Bergleute das Roherz nannten, zu Tag gebracht wurden. Aber jetzt war der Stall leer, die Pferde hatten schon ihr Tagwerk begonnen. Nur die zwei Wärter waren anwesend und verzehrten in der Finsternis ihr einfaches Mahl von Schwarzbrot und Speck. »Ös freßt's allaweil, ös Tagdieb,« bewillkommnete sie der gemütliche Tiroler und schloß gleich eine kleine Morgenunterhaltung an den freundlichen Gruß. Das tägliche Erscheinen dieser Knappen bedeutete gewissermaßen die Morgenröte in dieser ewigen Finsternis, deren Bewohner schon seit langem nicht mehr ans Tageslicht gestiegen waren. Man sah es ihnen auch an an der faltigen, fahlen und durchsichtigen Haut, an dem blutlosen und doch aufgetriebenen Körper. Es war ein alter Mann, den sie Blaurock nannten, und der selbst nicht mehr wußte, wie er sonst geheißen, und ein noch junger Mensch in armseligen Lumpen, der bei jedem Wort lachte und sich gebärdete wie einer jener Idioten, an denen Tirol damals noch sehr reich war.

Blaurock und Trottelbartel

Die beiden hatten in der Finsternis gesessen und taten auch jetzt nicht geblendet, als ihnen die fünf Grubenlichter ins Antlitz leuchteten. Eigentümlich starr sahen die Augen des Kretins in die Flamme, denn er war blind. Ob er schon ohne Augenlicht in diese Unterwelt gekommen, oder ob er es, gleich den Pferden, die er betreute, erst in der Tiefe verloren hatte, er vermochte es nicht zu sagen. Und das Gesicht des Blaurocks, ein gutmütiges, ergebenes Greisenantlitz, war auf das fürchterlichste entstellt durch die leeren Augenhöhlen, denen sogar die Lider fehlten, und ein schreckliches Brandmal auf der Backe, beides die Spuren einer Pulverexplosion, als er einst vor vielen Jahren als Feuersetzer in diesen Gruben verunglückte. Aus Barmherzigkeit hatte man ihn dann als Pferdewärter angestellt, und da er doch nichts mehr von den Schönheiten der Welt erblicken konnte, blieb er ein für allemal in seinem Stall und erwartete da den Tod. Den Trottel Bartele hatte er nur aus Mitleid, und um einen Menschen für sein vieles Reden zu haben, zu sich genommen. Der war nur geduldet in der Grube, besorgte, seit der Blaurock nicht mehr so recht konnte, die Pferde, hörte seinen Erzählungen zu und lachte zu allem, was in der Finsternis oft recht wahnwitzig und unheimlich klang. Mit bewundernswerter Geschicklichkeit kannten die zwei Blinden jeden Winkel ihrer Höhle und gingen in ihrer Nacht ebenso sicher wie die andern im frohen Sonnenlicht. Und ein Gehör hatten sie, daß sie in der unermeßlichen Stille ganz sicher wußten, wann der erste Knappe am stundenweiten Eingang den Schacht betrat.

Der Blaurock erläuterte den Zimmerleuten weitschweifig, daß ihnen der Sonntag weidlich Arbeit gebracht habe, denn im Lorenzengang, wo das schwimmende Gebirge ist, habe er es gegen Abend krachen hören; es habe wohl an ein Dutzend Schüsse getan, und ein Stöhnen war, daß die Pferde unruhig scharrten die ganze Nacht.

Jörg, der nicht wußte, was ein schwimmendes Gebirge sei, erbat sich von den Häuern die Erlaubnis, für den Augenblick mitgehen zu dürfen, um die Einbruchstelle sehen zu können. Sie war nicht weit, und es gab eigentlich nicht viel zu sehen. Schwimmendes Gebirge sei eine Einlagerung von Sand, dessen Körner sich immer verschieben und der Bergeslast über ihnen keinen Halt gewähren, belehrte ihn der eine Zimmermann. An solchen Stellen senke sich der Schacht immer wieder, so oft er auch abgeteuft werde, jeden Tag um ein paar Linien oder auch Zoll. Die stärksten Säulen würden da abgeknickt und gebrochen wie ein Zweiglein vom ungeheueren Gebirgsdruck, und wenn man schon sonst immer wieder die Zimmerung nachsehen und aufrichten müsse wegen ihrer Zerfaulung, so sei an solchen Stellen nur zu leicht ein völliger Einbruch möglich, von Zeit zu Zeit sogar unvermeidbar.

Sie waren mit solchen Gesprächen im Lorenzengang angekommen, und da erwies sich, daß die Schüsse der brechenden Säulen und das Stöhnen des zerquetschten Holzes nicht an der Schwimmsandstelle waren, sondern dahinter, wo es aus dem wasserdurchlässigen Sand tropfte und rann und ins Gebirge, den grauglänzenden, sich blätternden Schiefer, in den das ganze Bergwerk getrieben war, einsickerte; da wurde der harte Stein weich wie Kitt, daß man mit den Fingern hineinfahren konnte. Hier war die Pölzung bedenklich geneigt, und an vielen Stellen waren die schenkeldicken, starken Bohlen in der Mitte durchgebrochen, und die oberen Donhölzer der Decke hatten sich so gesenkt, daß man kaum mehr darunter durchkriechen konnte.

Hier mußte also rasch gehandelt werden, und die Zimmerleute begannen auch ihr Werk. Jörg aber sputete sich, um die verlorene Zeit einzubringen.

Beim Stall war inzwischen neue Gesellschaft angekommen. Zwei Feuersetzer luden Holz auf ihre Schubkarren, da ein neuer Erzgang eröffnet werden sollte und sie nun am Stollenort vorarbeiten mußten mit ihrer Glut. Einen mächtigen Scheiterhaufen hatten sie zusammenzutragen, um ein gewaltiges Feuer zu schüren, damit das Gestein durch die Hitze mürbe werde und leichter zugänglich der Keilhaue. Sonst hätte er gerne dem anziehenden Tun beigewohnt, aber heute war er ohnedies verspätet, und es war jeden Augenblick zu erwarten, daß die Aufseherrunde, die des Tags zweimal die Knappschaft aufschrieb, durchkommen würde.

Er sputete sich also und klomm in einem überaus engen Seitengang wacker empor. Er war von großem Wuchs und schon darum zum Bergmann nicht sonderlich geeignet, denn nur mit Mühe konnte er sich durch die letzten Ausläufer der Schächte durchzwängen. Auch hier gab es mehr als eine Stelle, wo sein Körper buchstäblich den ganzen Gang ausfüllte. Das Lämpchen hielt er in der Hand und streckte diese vor, um zu sehen, dann schob er sich, platt auf dem Boden liegend, ruckweise nach. Unendlich mühsam war das, und der Schweiß rann ihm übers Gesicht. Hier an dieser Stelle bekam er immer Herzklopfen, und Übelkeiten wandelten ihn an ob der verdorbenen Luft. Aber es mußte sein, es war sein Brot. Hier führte der Schacht durch taubes Gestein, und die Bergwerksherren erlaubten keine Verwüstung der teueren Arbeitskräfte: darum wurde nur so viel Gestein ausgehauen, daß man gerade durchkonnte.

Jörg und Linhard im engen Gang

Aber was war das? Vor ihm regte es sich. War das nicht ein Tier, das schnaufend dahinkroch? Doch nein, es hatte ja auch ein Grubenlicht, und klappernd schob es eine Art Holzschemel nach. Aber dieser Mensch, den er nun mit dem Namen Linhard anrief, war so sonderbar mißgestaltet, daß man nur mit Grauen an diesem unheimlichen Ort auf ihn blicken konnte. Es fehlten ihm beide Beine; der Rumpf endete mit einem in Fetzen gewickelten Stumpf, an den eine Art hölzerne, breite Schlittenkufe angeschnallt war. Auf ihr rutschte der Unglückliche über die rauhen Steine. Er wälzte sich am Boden und hatte zum Schutz des einen Armes einen Schemel umgeschnallt, auf den er sich stützte. Um den Leib gebunden aber hatte er einen Strick, und an dem hing ein kleiner Förderwagen mit vier plumpen Holzrädern.

Dieser menschliche Zughund, der so qualvoll zu seiner Arbeitsstätte kroch, war ein Kamerad Jörgs, ebenfalls ein Berginvalide, dem einmal das Kammrad der Schachtpumpe beide Beine abgerissen hatte, und der hier nun um billigsten Lohn an Stelle eines Tieres Erz schleppte. Was ihm Verdienst verschaffte trotz seiner langsamen Arbeitsleistung, war der Umstand, daß er als ein zum Skelett abgemagerter halber Mensch auch durch den engsten Durchschlupf kam und dort noch verwendbar war, wo auch die Zughunde versagten.

Sie schoben und zwängten sich gemeinsam durch den Höllenschacht. Endlich dämmerten zwei Lichter in der unergründlichen Finsternis vor ihnen, und man hörte den festen, metallisch klingenden Rhythmus der Häuer. Sie waren »vor Ort«.

Der Schwabe und der Plattner-Virgl, wie sich der Tiroler nannte, wenn man ihn amtlich um sein Wesen befragte, während er sonst merkwürdigerweise auf den Namen Batzentoni hörte, lagen ausgestreckt seitwärts am Boden und hieben mit kräftigem Arm ins Gestein. Hier hörte der Gang auf, und sein Ende war so niedrig, daß man nicht einmal mehr sitzen konnte. Nur zu beiden Seiten war er breit wie eine rechtschaffene Kammer, und dort häuften die beiden Häuer das Trümmerwerk an, das sie von der Decke losbrachen.

Überall starrte von den Wänden der grauschwarze, gleißende Schiefer, nur an einer Stelle lief ein etwa zwei Hände breites, helles Band durchs Gestein, und wo der Strahl der Lampen darauf fiel, schimmerte es bleifarben, auch wieder goldgelb darin, und zentnerschwer donnerte und polterte es in der Grube, wenn ein Stück davon losbrach und von der Decke fiel. Das war der Erzgang, die kostbare Ader, die Silber und Kupfer in sich barg als »Rotgülterz«, dem zuliebe alle diese Mühsal und aller menschlicher Jammer aufgeboten wurde. Die Bildung der Erzgänge ist vielfach durch Verwerfung zu erklären. Über Verwerfung siehe Anmerkung 26. Die durch Verwerfungen entstandenen Spalten und Klüfte der Erdrinde blieben nämlich nicht dauernd leere Höhlungen; in sie drang Sickerwasser ein, das sich auf seinem Wege durch den Leib des Berges mit den verschiedenen mineralischen Stoffen belud. Wenn es durch Kalkmassen drang, schied es den aufgenommenen Kalk als weißen Kalkspat ab, im Urgebirge löste es aus den Gesteinen Kieselsäure, und diese schlug sich in den Klüften als milchweißer Quarz nieder. In andern Fällen löste das kohlensäurereiche Sickerwasser von den Metallen, namentlich von Blei, Zink und Silber, die in sehr vielen Gesteinen in ganz geringen Spuren enthalten sind, ansehnliche Mengen auf und speicherte diese in den leeren Klüften. Auf diese Weise entstanden die Erzgänge, die solche Klüfte ausfüllen, daher gewöhnlich das Erdinnere nur als unregelmäßige, vielverzweigte und schmale Bänder durchsetzen. Mit ihnen zusammen ist aber gewöhnlich auch Quarz oder Kalkspat aus gleicher Ursache ausgeschieden. Da sehr häufig auch Schwefelwasserstoff und schwefelige Säure aus den Erdtiefen aufsteigt, entstehen besonders leicht Schwefelverbindungen der Metalle, und deshalb findet sich Silber sehr häufig in Schwefelverbindungen, Kupfer und Eisen als messinggelbes Schwefelkupfer (Kupferkies), Zink als braune, glänzende Zinkblende (Schwefelzink), Blei als grauer Bleiglanz (Schwefelblei) usw., die meist alle mitsammen vermengt sind.
In Schwaz kam das Silber gewöhnlich mit Kupfer vergesellschaftet als Fahlerz vor, das im wesentlichen ein Schwefelantimonsalz des Kupfers ist, bei dem jedoch häufig ein Teil des Kupfers durch Zink oder Silber ersetzt wird. Als bestes Silbererz wurde das Rotgilterz (auch Rotgülden genannt) geschätzt, das aus Silber, Schwefel, Antimon oder Arsen besteht und seinen Namen von seiner roten Farbe hat. Diese Rotgilterze werden in Schwaz gegenwärtig kaum mehr gefunden, dagegen noch Fahlerze.

Was er einst im glänzenden, vornehm ruhigen Hause am Weinmarkt mit solcher Liebe bewacht und geputzt, als Kupfergeschirr und edle silberne Becher und Prunkstück der Fugger, das sah nun Jörg hier im Geburtsschoß der Erde roh und ungefüg, fast noch feucht von dem Schweiß der Armen und Elenden, die sich da im härtesten Tagewerk quälten.

Die Arbeit setzte ein. Aus dem Haufen des tauben Gesteins und der Erzstufen hatten er und der Krüppel Linhard das Brauchbare auszulesen. Die Gangstufen beförderte der Krüppel an den Stapelplatz, von wo sie die Pferde durch den großen Stollen an den Tag führten zu den Schmelzöfen. Den Abraum, den unbrauchbaren Schiefer, dagegen hatte er hinwegzuräumen, und er führte ihn in einem Karren in verlassene Gänge, wo die Erzader völlig ausgebeutet war, und »versetzte« dort »das Gebirge«, das heißt, er schichtete die Schieferstücke auf und füllte so langsam den toten Gang wieder zu.

Stunden kamen und gingen in dieser einförmigen Arbeit, aber man merkte nicht ihr Fortschreiten. Hier gab es keinen Morgen, keinen Mittag, keine Nacht, wie auch die Jahreszeiten, alle Freude und Schönheit der Erde ausgetilgt waren. Nur nach dem verbrannten Öl wurden die Stunden gemessen, und sie zogen trübselig langsam dahin.

Jörg saß in seinem einsamen Gang, schichtete seine Steine auf, und als er von der Arbeit abließ, war es so grauenhaft still um ihn, als läge er lebendig begraben da. So war ihm auch zumute. Der Mißerfolg des gestrigen Tages ließ ihn auf einmal die schreckliche Änderung seiner Lebenslage fühlen. Erinnerungsbilder tauchten auf, Erinnerung an die schöne Welt auf der Bergeshöhe, von der er auf so viele zackige, sonnenbeglänzte Gipfel gesehen. Von ihnen mußte man wohl die grünen Wälder erkennen, vielleicht sogar das kleine Waldhaus, das er so voreilig und undankbar verlassen. Jawohl, er konnte es sich nicht verhehlen, wie er so dasaß in Nacht und Grauen, verlassen von allen Menschen bei seinem trübselig flackernden Lämpchen: es war schlecht gewesen von ihm, sich des Nachts dort von den einzigen Menschen fortzustehlen, die es je gut gemeint hatten mit ihm. Peppo war nicht sein wahrer Freund gewesen, als er ihm solches geraten. Aber von welchem Geist der Habgier war er denn auch verblendet! Den alten Gelehrten, der stets so väterlich an ihm gehandelt, der ihn erzogen, belehrt hatte, der ihm den Sitz in der Herrenstube gestattete und ihn wie einen Sohn hielt, ihn, den sie in Augsburg als Dieb verfolgten, und der doch eigentlich nichts war als ein richtiger Landstörzer, – den guten alten Mann hatte er für seinen Feind gehalten. Und wie mochte sie denn von ihm denken, Sibylle, deren Bild nun in der Erinnerung engelhaft schön und verklärt vor seinen Augen stand? Wie fein, wie herrisch und doch wieder so gütig, wie unschuldig lieb war doch dieses Mädchen und wie vertrauensvoll zu ihm! Er fühlte ihre großen Augen auf sich ruhen. Sie sah ihn an so gut, so vielsagend, so voll hingebenden Gefühls … Heiß stieg es in ihm auf und ihm schwindelte. Auf einmal wurde es ihm klar, wie er sie liebte, wie er sich nach ihr sehnte.

Jörg am einsamen Arbeitsplatz

Und bittere Tränen rollten über seine Wangen, Tränen der Reue und der Selbstanklage über das, was er getan. Sie mußte ja schlecht über ihn denken und Lampadius nicht minder. Früher, in den Tagen der Verblendung, hatte er sich öfters ausgemalt, wie er als Junker und reicher Mann mit Dienerschaft und reichen Waffen einst vor ihr Haus gesprengt käme, um zu zeigen, was er geworden sei in der Welt, – dies fiel ihm jetzt ein, und mit bitterer Verachtung lachte er auf. Es klang so unheimlich und gespenstisch hier in dem engen Loch, viele hundert Ellen tief unter der Erde, wo er saß, ein elender, armer Grubenarbeiter, dem sie wöchentlich zehn Batzen zahlten, damit er Steine in einem Schubkarren führe.

Im Waldhaus war er ein Herr und sorgenlos, und der Wald ermüdete mit dem Echo, wenn er fröhlich pfeifend und singend nach Tegernsee zog und sie ihn freundlich grüßten als Liebling und Schüler des reichen Alten.

Hier als Erzknappe aber war er ein armer Schlucker, den jeder Aufseher anfahren konnte wie einen Hund, ein Unzufriedener unter zehntausend Unzufriedenen, denen die Bergherren die Kraft und Lebensfreude auspreßten. Und die Hoffnung, sein Glück zu finden im Vomperloch, was für ein törichtes Hirngespinst war doch das, dem er da nachgelaufen! In seiner Dummheit hatte er sich vorgestellt, der Erstbeste, der in dieses Tal kam, müsse das Silbererz nur so auflesen vom Boden, – aber wie schwer war doch das, was er sich in törichter Unkenntnis so leicht gedacht! Sein wahres Glück hatte er aus den Händen gegeben, freiwillig und unbedacht in jener Nacht, da er heimlich aus dem Waldhause entwich, – das Gold hatte er eingetauscht gegen das armselige Pech seines jetzigen Lebens.

Und immer widerwilliger zog er an dem Karren seiner täglichen Arbeit, immer verschlossener und düsterer wurde sein Sinn. Er schloß sich von der Bruderschaft der Knappen ab, er mied die allgemeinen Trinkstuben, und mit fast krankhafter Beharrlichkeit kehrte er immer wieder zu seiner einzigen Hoffnung, zum Vomperloch, zurück, in dem er jede freie Stunde zubrachte. Jeden Felsblock, jede Rinne und Runse kannte er da schon, er war vorgedrungen schon weit über die grüne Au, durch die furchtbar öden Klammen der Bäche, bis er einen Ausweg aus der mit Felswänden verstellten Welt gefunden hatte, einen wunderschönen grünen Hang, der wieder in ein anderes felsenstarrendes Tal leitete, von dessen Vorhandensein, wie es schien, hier niemand wußte. Um das zu erforschen, mußte er aber auf einen der Doppelfeiertage warten, da er in einem Tage sonst nicht mehr hätte zurückfinden können. Bis zum Morgen des Montag jedoch mußte er stets zurück sein, sonst wäre er noch an dem Tag brotlos gewesen. Die Aufseher und ihre Vorgesetzten waren darin furchtbar streng, und sie wurden immer schärfer, seit sich das allgemeine Murren immer mehr bemerkbar machte und die Fälle von Widersetzlichkeit sich mehrten.

Sein Brot aber durfte er nicht verlieren. An das klammerte er sich mit Angst, denn zu viel Elend und bitterste Armut sah er ringsum. Der alte Reichtum der Schwazer Erzknappen war wohl nicht mehr derselbe, oder es hatte, wie so oft, die Fama übertrieben, und der Glanz sah in der Nähe so aus, daß man ihn mit Not verwechseln konnte.

Freilich gab es Reichtum in der Stadt, und Schlösser reihten sich an das Fuggerhaus und um die prächtige Pfarrkirche, deren Dach mit seinen 15 000 Kupferplatten sprichwörtlich geworden war für den Reichtum der Stadt. Und als Kaiser Karl V. im Jahre 1531 auf dem Wege nach Deutschland durchzog, da konnte man sich zu Schwaz nicht genug überbieten an Glanz und Reichtum. Noch immer erzählten die Knappen, wie damals die ganze Straße zwischen beiden Toren mit Teppichen belegt gewesen sei und man dessen nicht achtete, daß sie die Pferde der Ritterschaft zertraten. Sieben Tage dauerte der Jubel mit Festen, Gelagen, Trinken und Tanzen, und die Bruderschaft der Knappen ließ es sich nicht nehmen, dem Fürsten eine große Erinnerungsmünze zu überreichen, aus Schwazer Silber natürlich, darauf in überaus künstlicher Arbeit der Stammbaum der Habsburger geprägt war.

Das war jedoch nur ein Glanz nach außen hin, und wenn die Fuggers und der kaiserliche Pfleger auf Freundsberg hin und wieder ritten mit großem Gepränge der Dienerschaft, die Edelfräulein in Samt und Seide, und sogar die Pferdewärter in scharlachener Livree und die edlen Tiere selbst prangend von schweren Edelsteinen auf Zaum und Sattel, so waren die Zuschauer bei dem Aufzug dafür um so erbärmlicher anzusehen in ihren Lumpen und ihrer Not.

»Am Berg« verunglückten bei den fieberhaft betriebenen Arbeiten jahraus jahrein viele Knappen, und ihre Witwen und Waisen vermehrten das Heer der Bettler, die stets um die Kirchen, das Kloster der Franziskaner und sogar um die Stolleneingänge lungerten.

Wenn Jörg des Abends oder am Löhnungstag das Stollenhaus verließ, durchwanderte er ein ganzes Spalier von bettelnden Witwen früherer Knappen und von ehemaligen Kameraden, denen im Berg etwas zugestoßen war, oder die schon zu alt waren zu der schweren Arbeit und nun unbarmherzig ihr Brot verloren. Wohl verteilte die Fuggersche Rentei Brot und auch manchen schönen Gulden aus Gnade, doch was wollte das besagen für die vielen hundert hungrigen Mäuler, die ihre Hoffnung darauf setzten! Wenn der Graf Anton oder auch nur der Pfleger oder der Bettelvogt aufs Amthaus ritt, liefen ihm ein paar Dutzend oft auch im Winter nackter Kinder voraus und kreischten bettelnd um einen Pfennig; alte Weiber rannten mit den Pferden im Schritt, deuteten winselnd auf ihre Lumpen und heulten, als seien sie am Verhungern. Aber auch alte Bergleute hoben bittend die Hände, und man sah ihren abgezehrten Mienen und bleichen Wangen an, daß sie nicht übertrieben. Wenn dann der Vorreiter mit der klatschenden Peitsche in den Haufen fuhr, weil das Gellen, Schreien und das Gewühl zu arg wurde, dann stob der wohl auseinander, aber in der sicheren Ferne hoben sich dann die Fäuste, und aus den Verwünschungen sprach langgenährter Haß.

Die bettelnden Knappen und Volk

In Zinnberg und namentlich zu Außerknapp, wo die Herbergen der Ärmeren waren und auch Jörg seinen Unterschlupf fand, waren Massenquartiere, wo oft in einem Raum zehn und zwanzig Menschen, Greise, Weiber, Männer und Kinder, beisammen hausten in einem unbeschreiblichen Schmutz, in dem eigentlich nur das Siechtum und ab und zu der Würgengel der Pest, die nie ganz erlosch, aufräumte.

Die Urschl Ochsentreiberin, bei der Jörg wohnte, war die Wittib eines Obersteigers, der sie mit fünf Kindern allein gelassen, als er in einer Wirtshausmesserschlacht das Zeitliche gesegnet. Sie war eine wackere und mutige Frau, die den Kopf nicht verlor, sich zuerst durchhalf, indem sie mit den älteren Kindern in den Gruben mit Getränk hausierte, und dann, als sie ein wenig festen Fuß gefaßt, in einem verfallenen Haus eine Knappenherberge errichtete, der sie mit dem nötigen scharfen Regiment vorstand. Jörg hatte einen Schragen zur Miete und teilte den Raum nur mit sechs Leuten. Er war also fast reich, denn es gab ärgere Herbergen.

Der Bettlerkeller zu Augsburg dünkte ihn noch glänzend ausgestattet gegen seinen jetzigen Unterschlupf, und trotzdem mußte er fast den dritten Teil seines Lohnes dafür bezahlen, so groß war die Teuerung in der Silberstadt. Nie hätte er auch gewagt, die wenigen Batzen, die er sich vom Munde abkargte, als Ersparnis hier zu verwahren. Da wußte er ein besseres Versteck für sie in seinem Stollen, wo er in einer seiner Steinmauern geschickt ein Gewölbe für sie ausgespart hatte, von dem niemand etwas ahnen konnte. In seinem Unterschlupf hätte man es ihm gestohlen, denn nur zu oft wechselten die Gäste der Ochsentreiberin, und es waren wüste Gesellen darunter, die auch vielleicht vor Totschlag nicht scheuten, sicher aber nicht vor einem so kleinen, einfachen Diebstahl. Vornehmlich des Samstags nachts und Sonntags, wenn sie den Wochenerlös vertranken und bezecht heimkamen, ging es lärmend zu, und die dicke Hauswirtin kam dann nicht zur Ruhe, nachdem sie schon den ganzen Abend die Stollen abgelaufen war, um die Miete von ihren Kunden einzuholen, bevor sie in Branntwein umgetauscht wurde.

Wenn dann Jörg von seinen geheimnisvollen Bergwanderungen, wegen deren schon manches gemunkelt wurde, spät nach Mitternacht den Berg erklomm, wo die Baracke stand, schimmerte ihm fast immer noch Licht entgegen, und lautes Schelten und Fluchen waren der Willkomm. Die arme Frau, die mit ihrem Kinde und kränkelnden Mann den Schragen neben ihm bewohnte, bat in solchen Nächten händeringend um Ruhe für den Mann und ihr einjährig Büble, das, immer aus dem Schlaf geschreckt, mit lautem Weinen der Mutter Bitten unterstützte. Sie war ein stilles, blasses Wesen, die Koflerin, die vielleicht einmal bessere Tage gesehen und ein feineres Wesen an sich hatte. Ihre großen, braunen Augen blickten stets ängstlich, so sehr hatten sie die Zustände in dieser Hölle verschüchtert, und auch ihr Mann, ein verständiger, überaus ruhiger, schlecht aussehender, baumlanger Mensch, wußte sich vom allgemeinen Treiben abzusondern; ja als Jörg einst an einem verregneten Sonntag, da es nichts war mit dem Vompertal, in seinem Bette den Tag verschlief, belauschte er den Kofler, wie er mit seiner Frau, da sie sonst allein waren in der Stube, in einem gedruckten Traktätchen las. Und ihr Lippengemurmel klang wie Beten und Psalmodieren, als er aber eine Bewegung machte, als ob er wach sei, da verbargen die zwei hastig ihr Heft und waren sichtlich erschrocken, wie wenn sie Unrechtes getan hätten.

Die Koflerleute

»Die werden wohl auch der Wiedertauf anhangen,« dachte er da bei sich. Von der hatte er schon am Berg des öfteren reden und flüstern hören, ohne Bestimmtes zu wissen, was darunter zu verstehen sei. Die Wiedertäuferbewegung begann vermutlich unmittelbar nach dem Auftreten der Reformatoren und entlieh ihren Namen der Lehre, daß durch die Taufe der ihr Beitretende in eine sündlose Gemeinschaft von Heiligen ausgenommen werde, die sich von den weltlichen Vergnügungen, vom Waffentragen und jedem Einfügen in den irdischen Staat loslöst. Sehr bald verbanden sich mit ihr Bestrebungen nach Einführung der Gütergemeinschaft in der » Geschwistrigkeit« (wie sie sich in Tirol nannten). Sehr schadete den Wiedertäufern die auftauchende Lehre, wonach die »Obrigkeiten gottlose Menschen« seien, die bald zu den Bauernaufständen in Sachsen, Franken und Thüringen (1525) führte. Die Wiedertäuferbewegung war weitverbreitet und saß namentlich in Westfalen, den Niederlanden, in Bayern (Augsburg), Tirol, Mähren und in der Schweiz fest. Die Behörden, in denen sich immer mehr die Überzeugung festsetzte, es hier mit staatsgefährlichen Umstürzlern zu tun zu haben, gingen, namentlich seit 1528 mit grausamen Edikten gegen sie vor, und es gelang auch, die Bewegung, die sich durch Angebereien selbst schwächte, zu unterdrücken. Nur in den Niederlanden und in Deutschland erhielten sich die Wiedertäufer als Sekte der Mennoniten (heute etwa 250 000 Menschen) bis heute, ebenso sind die noch blühenden Herrnhuter Gemeinden Abkömmlinge der Wiedertäufer. In Nordamerika haben sie als »Huttersche Brüder« sogar ihre kommunistischen Prinzipien mit Erfolg durchgeführt und sich überall bis zur Jetztzeit als stille, friedliche und arbeitssame Kulturmenschen bewährt. Näheres siehe auch Anmerk. 27, 29, 30, 37-39, 44. Es interessierte ihn auch gar nicht weiter, zu sehr war sein Kopf erfüllt von dem immer glühender werdenden Wunsche, dem elenden Leben in Schwaz zu entfliehen. Ein Funken Hoffnung war ja neu aufgeglommen in ihm und hatte sein der Sucht nach Reichtum schon langsam entsagendes Gemüt wieder auflodern lassen in Gier und sich abmattenden Träumen: er hatte nämlich im Bachbett jenseits des grünen Rückens ob dem Vomperloch ein Stückchen Galmei gefunden, ein winziges Bruchstück nur, offenbar von seinem ursprünglichen Fundort durch den Bach verschleppt, aber immerhin ein Pfand, daß Lampadius die Wahrheit gesprochen, und daß das Silber nicht mehr weit sein könne dort, wo er die Blende fand.

Er ging seitdem umher in ständiger innerer Aufregung, geschüttelt vom Silberfieber, geradezu blind für das, was um ihn herum vorging. Er hatte sich schon einmal für den Montag ausgebeten, um tiefer einzudringen in das neue Tal, das er bei sich schon das Silbertal benannte. Aber er hatte die Freiheit nur so schwer erhalten, daß er die Bitte nicht wiederholen durfte. Er hätte ja ohne weiteres seiner verhaßten Arbeit entlaufen können, das hatte jedoch sein Bedenkliches. Jeder Erzknappe mußte sich verpflichten »auf wenigstens ein Jahr nach Einstand« und konnte durch den Einspännigen, den Schergen des Berggerichts, zurückgeholt werden, wenn er der schrecklichen Grubenarbeit früher entwich. Und würde man ihm nicht auch die Berggerechtsame verweigern, wenn er davonlaufen würde? Zweifelsohne, und darum hieß es ausharren bis zum kommenden Frühling. Das hätte sich auch ertragen lassen, wenn er nur schon eine richtige Galmeihalde gefunden hätte.

Was scherte ihn bei solchen Gedanken die Wiedertaufe und die Lohnerhöhung, von der alle seine Kameraden schwärmten! Das waren ein paar Tropfen Wasser, während ihm ein ganzer Fluß winkte.

Aber so sehr er auch solchen Gesprächen und geheimen Konventikeln, von denen er ringsum manches Anzeichen sah, aus dem Wege ging, einmal kam er doch mitten hinein und mußte Farbe bekennen. Das war an dem Tag, an dem das Unglück von Schwaz begann.

Vor der Mittagsrast war es gewesen, und der Tag war wie jeder andere. Er kroch ahnungslos mit seinem Karren voll Schiefer durch den engen Gang und kehrte zurück, um eine neue Ladung zu holen, da sagte der Schwab mit eigentümlich erregter Stimme zu ihm: »Mach' Feierabend, Jörg, die Erzader is aus!«

Und wirklich, nachdem es schon einige Tage kaum handbreit gewesen, das weißschimmernde Band in der dunklen Wand, so war es jetzt aufgelöst in dünne, unregelmäßige Strähne, die sich ganz verloren im grauschimmernden Gestein. An dieser Stelle war das Bergwerk erschöpft. Das kam oft vor und war nur natürlich. Es wurden dann nach den Anordnungen der Bergkundigen neue Gänge abgeteuft, und bald stieß man in diesen silbernen Bergen wieder auf Erzgänge. So unerschöpflich reich durchzogen sie das Innere des Gebirges, daß, wie eine Knappensage meinte, Gottvater am Tage des jüngsten Gerichtes selbst die Gruben schließen müßte.

Was den Häuer erregt machte, war wohl nur der Umstand, daß er sich gerade erst vor wenigen Tagen bei einem Streit gebrüstet hatte, seine Ader gehe nie zu Ende. Und nun war er beschämt.

Er sandte Jörg mit der Meldung ins Grubenhaus, während er zum Abzug rüsten wollte. Der sagte unterwegs die Neuigkeit weiter, die ihn persönlich gar nicht so unangenehm berührte, da sie ihn aus den schrecklich niedrigen Gängen befreite. Aber auch die andern Knappen waren nicht betrübt darüber, ja es schien ihm, als flöge über manches Gesicht ein Lachen der Schadenfreude. Anders der Rottmeister im Grubenhaus. Der nannte ihn einen Lümmel und wollte es nicht glauben, daß die Ader zu Ende sei; sie sei eben nur verworfen, man werde die Fortsetzung schon finden. Unter Verwerfung versteht man in der Erdkunde die auftretenden Bruchstellen bei der Faltung von Gesteinen. An diesen gleiten dann die Schollen aneinander entlang. Da aber durch den Gebirgsdruck die entstandene Kluft sehr häufig alsbald geschlossen wird, erkennt man die meisten Verwerfungen an nichts anderem, als daß die Fortsetzung bestimmter Schichtengruppen plötzlich aufhört. Die eine Schicht oder ein Erzgang hat dann als Fortsetzung andere Schichten, die früher unter oder über ihnen lagen. Es läßt sich also dann die Fortsetzung des Erzganges finden, wenn man neue Stollen tiefer oder niedriger als der, in dem sich die Ader verlor, eröffnet.

Und eine ganze Kommission begab sich mit ihm zurück an den Stollenort, und man ließ da und dort hacken und prüfen. Doch es war vergeblich, und in das große Buch des Triefestollens wurde geschrieben, daß »nach Gottes Willen die gestorzte Rothgültader zu St. Apollonia aufgehört habe am Montag vor Apostelteilung.«

»Wißt's, warum der krumme Schreiber so hergebrüllt hat?« meinte mit breitem Lachen der Batzentoni, als sie dann zur letzten Rast im Stall saßen. »Ich will's euch sagen. Seit drei Tagen ist's die sechste Ader, die wo man 's Kreuz drüber macht. 's ist aus mit dem Triefestollen. Der füllt den Herren zu Augsburg die Tasch'n nimmer.«

Sie saßen zu sieben im Empfangssaal des alten Blaurocks, und es war beim Schein der fünf Grubenlichter gar nicht einmal so unbehaglich in dem warmen, nie gelüfteten Raum, der wenigstens hoch genug war, daß man gerade darin gehen konnte. Auf der Holzbank saßen sie nebeneinander, der Schwabe und sein Tiroler Freund, der blinde Pferdewärter und der Trottel-Barthele, Jörg und der beinlose Erzführer, sowie ein Feuersetzer aus ihrer Grube, der auch gute Kameradschaft hielt mit ihnen. Die flackernden Lichter warfen groteske Riesenschatten hinter sie an die Wand, und die Pferde, von denen heute nur noch die Hälfte Erz zu führen hatte, stampften und scharrten im Verschlag neben der Bank, wo ein eifriges Gespräch begann.

Der Krüppel Linhard war ängstlich und besorgt für seine Zukunft. Was Jörg freute, war wieder ihm ein Gegenstand der Sorge. Wenn der neue Stollen, in den sie nun alle mitsammen kamen, weite Gänge habe, da sei er vielleicht nicht mehr vonnöten, meinte er. Und dann hieß es betteln gehen, um nicht zu verhungern.

Im Stall

Aber der Hans, der heute mehr hustete denn je, offenbar vor Aufregung, überschrie ihn mit seiner scharfen Stimme.

»Sollen nur alle versaufen, die Stollen,« sagte er grimmig, »und die Fugger und ihre Vögte dazu. Hab's satt, den Bettel. Denen bersten dort die Mauern im Geldturm in Augsburg, und wir krepieren hier … Ach, ach, ach!« hustete er. »Nach Gottesrecht, wem gehört der Berg? Ist 's Silber nicht auch so frei gewachsen wie das Wild im Wald und der Fisch im Wasser? Wo steht in Gottes Wort was, daß die Adamssöhne Herren und Knechte sein sollen? Ist Christus, der eingeborene Sohn, denn nur für die Herren gestorben?«

Der Blaurock schüttelte den Kopf bei solchen verwegenen Reden, »'s ist Lästerung, Schwab,« sagte er, »führt nit ein so groß Maul,« und er dämpfte ängstlich die Stimme, »sie haben Späher überall und scharfen Befehl. Nehmt Euch in acht vor falschen Brüdern.«

»Da ist kein Späher unter uns,« sagte der Schwabe etwas betreten.

»Söll moan i a,« nickte der Batzentoni und sah mißtrauisch auf Jörg.

»Jörg, hast nie Red' und Antwort gestanden, bist du ein Zeichenmensch oder nit?« wandte sich nun der Hüne an ihn.

Der Angeredete erschrak; er hatte nie etwas von Zeichenmenschen gehört und kannte die ganze Geheimsprache der Wiedertäufer nicht. Aber sein ehrliches Gesicht und sein offenes Auge zeugten für ihn, und es bedurfte gar nicht seines Handschlages und seiner Versicherung, es ehrlich zu meinen mit seinen Kameraden, um das Vertrauen zu ihm herzustellen.

Sie nahmen jetzt noch weniger ein Blatt vor den Mund; sie waren offenbar längst alle einig und wußten Tausende von Erzknappen in der »Geschwistrigkeit«, wie sie sich nannten.

»'s ist Gottes Straf', wenn er ihnen die Gruben verdirbt,« bekräftigte auch der Feuersetzer, »denn gerade die, die so eifrig beten zu Gott: ›Geheiliget werde dein Name,‹ sind die ersten, die seinen Namen verunehren.«

»Was tun denn wir, daß überall rennen die Postboten mit des Kaisers Edikte und Mandata in alle Winkel? Nur weil wir die Schrift heiligen und darin suchen das Wort von dem großen Recht der Herren und dem Unrecht der Armen und der Beschützung der Gottlosen, sind wir das verführerische Ding und die aufrührerische Lehr'. Darum laufen die Schergen, da kommt der Richter, dort der Pfleger, da ein Onplatzer, dort ein Haufen Reiter, dazu in jedem Haus ein Verräter. 's ist Gottes Straf', weil sie die Brüder Christi so verjagen und töten!«

In das Gesicht des Batzentoni war eine tiefe Röte gestiegen bei diesen Erinnerungen. »'s hat jeden noch die Straf' Gottes getroffen, der die Frommen im Land gepeinigt,« sagte er mit tiefer, erregter Stimme. »Mich haben sie vom Hof gejagt und mei Bärbl ist im Turm gelegen, weil's mich nit erwischt haben, und mein Hof haben's abbrennt auf des Regenten Geheiß, weil in ein' Erzketzerhaus nit Stein auf Stein bleiben soll« – das Gefühl überwältigte ihn, und mächtig hob sich seine breite Brust – »aber der Richter in Kitzbühl, der wo so viele verurteilen und töten hat lassen, den hat man selber als Ketzer erfunden, aber nit um des Glaubens willen in großer Ehr' vor den Brüdern, sondern daß er hier vor der Welt mußt' zu Schmach und Unehr kommen. Die Rache Gottes kommt noch für jeden« Die Wiedertäuferbewegung in Tirol fand ihren besonderen Hort in der freiheitsliebenden Knappenschaft der Bergwerkstädte Schwaz und Hall, nur nahm sie dort unter dem Einfluß der Verhältnisse besonders rasch ein soziales und politisches Gepräge an, und die Wiedertäufer erschienen hier als Aufrührer und Rebellen. Hierzu kam, daß tatsächlich von den vielen zweifelhaften Elementen, den Vaganten, brotlosen Söldnern und sonstigen Abenteurern, die namentlich zu Schwaz aus aller Herren Ländern, vom Silberfieber ergriffen, zusammenströmten, auch die Wiedertäufer bald unerwünschten Zuwachs erhielten, der das Neue der Lehre zu unlauteren Zwecken benützte, der Tiroler Landesregierung also begründeten Anlaß zum Einschreiten bot.
Gegen diese »Unruhestifter« wurde am 12. Mai 1532 ein Hauptmandat erlassen, als dessen Folgen J. Kirchmair ( Fontes rer. Austr. I. 487) schreiben konnte: »Es wartt in diesem Jahr die Sach im Reich und auch hie in diesem Land mit den Ketzern sonnderlich mit den Widertauffern ye lenger ye erger, und ich glaub', daß allain im Lannd der graveschaft Tyrol und Görtz tausent Menschen wol darum verbrannt, gekopfft und vertrenngt worden sein. Dann die Widertauffer understuenden sich einer großen Hartnäckigkeit.«
Nach dem gemeinen »Embieten- und Befehlsbuch« von 1531 zu Innsbruck wurde am 18. August 1531 ein Mandat von Ferdinand I. erlassen, in dem alle Amtsleute, Landrichter und Pfleger angewiesen wurden, gegen die mit der Wiedertaufe befleckten Personen allen Ernstes mit Gefängnis und Strafen vorzugehen, Hab und Gut der Gefangenen oder Flüchtigen mit Beschlag zu belegen und zur Kammer einzuführen, die zurückgelassenen Kinder aus diesem Vermögen zu erhalten und erziehen zu lassen und bei den Pfarrern und Prädikanten allen Ernstes darob zu sein, daß die ausgegangenen Mandate wenigstens viermal im Jahre von den Kanzeln herab verkündigt werden.
Die Innsbrucker Regierung hatte jedoch die Überzeugung, daß hiermit nicht viel erreicht werde, und wandte sich 1532 mit der Bitte an den König, andere Wege bei der Verfolgung einschlagen zu dürfen; namentlich riet sie zur Aufstellung einer Rotte von 40 Mann zu Fuß mit einem Hauptmann an der Spitze. Dies wurde bewilligt und ein neues Mandat erlassen, daß »niemand die Wiedertäufer behausen, noch ihnen einen Unterschlupf gewähren dürfe, dieweil diese Leute schädlicher seien als Mörder und Landesfeinde, die ein jeder niederzuwerfen und gefangen zu nehmen willig sein soll.« Dem Bergrichter von Freundsberg stießen hierauf Bedenken auf, wie er es zu halten habe; er erhielt am 11. Juli 1532 die Weisung, »alle wiedergetauften Personen, die weder selbst getauft haben, noch Vorsteher oder Rückfällige und zum Feuertod verurteilt seien, dürfen, sofern sie dies begehren, mit dem Schwerte gerichtet werden. Aber auch bei den also Gerichteten sollst du nach Vollziehung des Urteils den Körper zu einem viehischen Begräbnisse wegtun, wie denn bisher in unserer Herrschaft Rattenberg und Kuefstein auch gebräuchlich gewesen ist.«
Im Schwazer Gerichte hielten die Wiedertäufer laut Bericht vom 22. Februar 1532 in den verlassenen Stollen und in den Bergen um Vomp, dann in einem Hause auf dem Calzein ihre Versammlungen. In den Bergwerken war Peter Schilling ihr Prädikant. Die Angaben hier und in der Erzählung über die Wiedertäuferbewegung in Tirol sind entnommen aus J. von Beck, Geschichtsbücher der Wiedertäufer, und namentlich aus J. Loserth, Der Anabaptismus in Tirol von seinen Anfängen bis zu seinem Erlöschen, im Archiv für österreichische Geschichte, herausgegeben von der zur Pflege vaterländischer Geschichte aufgestellten Kommission der k. Akademie der Wissenschaften zu Wien, 78. und 79. Band.
– – ein Schluchzen der Aufregung erstickte seine Stimme.

»Auf die wart' ich net,« nahm mit düsterem Trotz der Schwabe das Wort auf. »Wenn wir einig sind hier in der Erzbruderschaft, sind wir die Hand Gottes selbst. Haben wir nicht Wien errettet vor dem Türken, sind nur wenig Jahre her? Die Erzknappen von Schwaz wurden im Jahre 1529 ob ihrer Geschicklichkeit tatsächlich in Wien bei der Herstellung der Minen verwendet, durch welche die Errettung der Stadt bei der Türkenbelagerung ermöglicht wurde. Da waren wir gut für die Herren, aber jetzt ist's Übermut und Aufruhr, wenn wir einen Teil verlangen von unserer Hände Arbeit. Was verschlägt's den Fuggern, wenn sie zu halbem Teil mit uns Brüderschaft machen, so wie die Brüder zu Münster, Die Wiedertäuferbewegung erreichte im Jahre 1533 zu Münster in Westfalen, wo holländische Anabaptisten, an der Spitze die Bürger Knipperdolling und Krechting sowie Johann von Leyden die Führung an sich rissen, einen vorübergehenden Erfolg, indem sich die Stadt und ihr Gebiet zu einem Wiedertäuferstaat umbildete, der einen »Zionskönig« wählte und die kommunistischen Ideen der entarteten Bewegung in Wirklichkeit umsetzte durch Einführung der Gütergemeinschaft usw. Auf Betreiben des Bischofs von Münster wurde diesem Staatswesen jedoch nach hartnäckiger Belagerung in den Jahren 1535-36 ein Ende bereitet und der Anabaptismus in Münster auf das grausamste unterdrückt.
Die Folgen dieses Abenteuers waren für das gesamte Wiedertäufertum entsetzlich. Loserth sagt hierüber: »Der münstersche Aufstand gab allen der Wiedertaufe feindlich gesinnten Mächten die schneidigste Waffe in die Land. An allen Orten erklärte man, es werde nun deutlich gesehen, wie das fromme, heilige Wesen der Täufer nichts sei als Scheinheiligkeit, ihre Furcht vor dem Schwert nur eitle Spiegelfechterei. Auch jene Regierungen, die dem Täufertum mit weniger Schärfe entgegengetreten waren, wandten sich entsetzt von dem Bilde ab, welches das himmlische Reich in Münster darbot.«
wo so wunderherrlich an der Wiedertauff sich Gottes Gnadenlicht erweiset …«

»Red nit von Münster, Schwab, 's is die rechte Lehr' nit,« fiel ihm der Warner Blaurock ins Wort, »bin ein alter Mann, bin mitgezogen im armen Konrad.« Mit dem Namen » armer Konrad« bezeichnete die Bauernschaft vornehmlich den großen Bauernaufstand in Württemberg im Jahre 1514, dem Bundschuhbewegungen im Jahre 1502 und im Jahre 1525 der große Bauernkrieg vor- und nachgingen. Die damals verbreiteten »12 Artikel der Bauern« verlangten auf Grund der Bibel Abschaffung der Zehnten und Frondienste, Aufhebung des Jagdrechtes, Herabsetzung des Zinsfußes und ähnliche Erleichterung der Lage der Bauern und Bürger. Die Bewegung, der sich zahlreiche Städte anschlossen, die vor allem von der Geistlichkeit Verzicht der geistlichen Steuern und Gerichtsprivilegien forderten, und die namentlich in den Reichsstädten (in Heilbronn, Dinkelsbühl, Rothenburg, Mainz, Trier usw.) eine Stütze fanden, entartete bald zu einer allgemeinen Plünderung der Klöster und Burgen, die zu entsprechenden Gegenmaßregeln führen mußte. Nach Niederwerfung der Bauernheere wurde die Bewegung durch beispiellose Grausamkeit, namentlich durch Blenden vieler Teilnehmer, erstickt. Hab' noch den Schrockn in den Gliedern, als 's dann ans Vergelten ging mit Stäupen und Blenden, Brennen, Henken und Ertränken. Das hat Gott auch zulassen, und unsere Sach' war die gerechte Sach'! Die Fugger werden nie gutwillig teilen mit euch, und kein Herrenmensch wird's je zugeben, daß wir alle Brüder in Christo und Kinder Adams sind. Wenn ihr eure Zung' so unvorsichtig wahrt, werdet ihr auch bald im Turm liegen zu Freundsberg. War schon drin, ist anderthalb Klafter unter der Erden, und kein Mond scheint rein.«

Aber die erregten Gemüter waren nicht zu besänftigen. Als sich auch Jörg, aufgefordert zu sprechen, meldete, ob denn nicht die Einigkeit zwischen Herrn und Knecht am besten zum Wohle beider ausschlagen möchte, da flammte das kaum besänftigte Mißtrauen gegen ihn wieder auf, und es hätte bald Händel gesetzt mit den gewalttätigen Häuern.

Seit diesem Tag blieb auch ein Stachel in den Herzen seiner Kameraden gegen ihn sitzen, die bedauerten, vor ihm, der offenbar nicht in allem ihrer Meinung war, so offen geredet zu haben.

Aber sein unzweideutiges und offenes Verhalten beschwichtigte sie wieder, nur hüteten sie sich, ihn neuerdings ins Vertrauen zu ziehen. Sie hatten etwas verabredet, das merkte er wohl, aber nicht, was es war. Nur Gutes war es nicht, denn ihre Arbeit hatte sonderbare Zufälle und Störungen, die er bald durchschaute, aber nicht hindern konnte.

Neben der Apolloniaader war der »reiche Gang«, der schon viele Jahre gleichmäßig so viel Erz lieferte, Kupfer und Silber zusammen als Fahlerz, daß er allein schon das Offenhalten des Triefestollens lohnte. Nur rechtfertigte der gerade hier seinen Namen, denn das »Deckgebirge« war da besonders mit Wasser durchtränkt, der ganze Gang schwamm, und in zahllosen Wasserseigen stürzten Rauschebäche an den Wänden hinab, wenn man an der Zimmerung horchte. Wenn anderweitig ein Pfahl etwa ein bis zwei Monate hielt, bevor ihn das Holzgift erfaßte: der tränende Hausschwamm und die weißen Watteflocken der Fäulnispilze, Unter dem Einfluß der steten Feuchtigkeit und der relativ hohen Temperatur in Bergwerken entwickelt sich in solchen auf allem Holz eine reiche Pilzflora, namentlich aus Hausschwamm und anderen holzzerstörenden Pilzen sowie aus Schimmelpilzen bestehend. Die dadurch hervorgerufene hochgradige und rasche Fäulnis der Stollenzimmerung bedingt deren ununterbrochenes Auswechseln. so mußte im »reichen Gang« das Holz alle paar Wochen erneuert werden, so rasch war es durchgefault im ewigen Wasserrieseln.

Jörg half gerade den Zimmerleuten Holz zutragen, da man ihn inzwischen mit kleinen Hilfsarbeiten beschäftigte, bis wieder ein neuer Gang erschlossen war, da merkte er, wie die Bretter, auf denen man gehen mußte, weil der Boden des Stollens ständig von Wasser überronnen wurde, heftig schwankten. Wie kam das, daß das Wasser stieg? Er horchte in die Finsternis, aus der ihm auch ein merkwürdig frischer Luftzug entgegenquoll. Ein tiefes Brausen kam von ferne, ja er hörte ein freies Plätschern, als ob ein Bach sich in die Grube ergösse. Sofort eilte er zu den Zimmerleuten und meldete die drohende Gefahr: Irgendwo müsse die Zimmerung durchgebrochen sein, und der »reiche Gang«, der gerade einer der tieferen Horizonte des ganzen Bergwerks war, sei im Begriff zu ersaufen, wenn nicht rasch eingegriffen werde. Aber die Leute, statt zu erschrecken, sagten gleichmütig, das könne nicht sein, die Schwarten der Wasserseigen seien im ganzen Gang aus neuem Eichenholz.

Wie konnten sie doch nur so ungläubig sein! Er begriff es gar nicht, warum sie ihm nicht folgen wollten zur Einbruchstelle der Wasser, waren doch auch die noch tiefer arbeitenden Knappen in höchster Lebensgefahr. Während sie noch verhandelten, mischte sich die Natur selber ein: ein gewaltiger Wasserschwall brach auf einmal hervor, daß sie bis zu den Knöcheln in der trüben, reißenden Flut standen. »Seht ihr, ich habe recht,« rief Jörg. Aber statt ihre Pflicht zu tun, liefen die Zimmerleute eilig zur »Fahrt«, zur Verbindungsleiter nach dem höher gelegenen Horizont. Sie ließen ihr Holz, ihr Werkzeug in Stich, und was wollte Jörg in dem engen Gang allein beginnen? Er mußte ihnen folgen.

Die Bedrohung

Er war auf das maßloseste erstaunt über solche Feigheit, denn man hatte doch gut eine Stunde Zeit gehabt, bis sich der Gang mit Wasser füllte, und hätte dem Unheil Einhalt gebieten können. Als er aber eine solche Bemerkung machte, trat einer der Zimmerleute auf ihn zu, packte ihn kurzerhand bei der Kehle und sagte rauh: »Bursche, wennst nicht gleich und für immer still bist, hau' ich dir mit dem Fäustel den Schädel ein. Treff' ich dich net, trifft dich ein anderer!«

Da verstummte er, denn er verstand. Den andern Tag war großes Jammern am Berg und ungeheure Aufregung im Grubenamt und Fuggerhaus: der »reiche Gang« war ersoffen. Die Zimmerleute gaben zu Protokoll, die Wasserseigen seien eben alt gewesen und durchfault; nur so könne das Unglück entstanden sein.

Zum Glück waren keine Menschenleben zu beklagen; alle Knappen konnten sich infolge eines überaus glücklichen Zufalles rechtzeitig flüchten.

»Hast du ein Glück,« sagte später mit listigem Augenzwinkern der Schwabe zu Jörg, »daß d' nit ersoffen bist, als 's Wasser so schnell kommen ist im reichen Gang. Na, von dem wird auch keiner mehr reich.«

Und der Trottel-Barthele, der dabeihockte, kicherte und lachte wie ein richtiger Idiot.

»Hast schon die Erzschmecker g'sehn?« fragte ihn einige Tage darauf sein Freund, der Blaurock. »Es sind gleich drei kommen, der Graf geht scharf ins Zeug. Freilich mit Schwaz muß er sich noch 's Kaisertum kaufen können.« Und Jörg eilte, die Männer mit der Wünschelrute zu sehen, von denen er schon so viel gehört hatte.

Sie gingen mit großem Gefolge den langen Stollen hinab. Der Syndikus des Herrn Grafen und der Bergrichter waren selbst mitgekommen und dazu viel Schreibervolk. Eine große Menge Knappen drängte sich um sie, um das merkwürdige Schauspiel der mit Zauberkräften begabten Männer zu genießen, denen die Wurzel in der Hand mit unfehlbarer Sicherheit jede verborgene Erzader anzeige. Es waren ein sehr alter, weißbärtiger und zwei jüngere Männer, alle höchst würdig anzuschauen in ihren wallenden schwarzen Mänteln, die trotz der Hitze im Stollen reichlich mit Pelz besetzt waren. Sie kamen soeben von der Messe, denn die strenggläubigen Männer wollten kein Teufelswerk tun und versicherten sich erst der geistlichen Stärkung, ehe sie an die Zaubermacht der Erzdämonen rührten. In der Hand trug jeder einen Zweig von der Form, wie ihn die Knaben mit Vorliebe zu ihrer Schleuder verwenden. Sie hielten ihn zwischen zwei Fingern frei aufgehängt gegen die Wand, je einer rechts und links, der dritte aber in der Mitte des Ganges bald dem Hangenden, bald dem Liegenden zu. So schritten sie dahin, langsam und feierlich, man hörte ihr leises Murmeln in der andächtigen Stille der Zuschauer.

Die Rutengänger

Doch sie schritten vergeblich dahin. Die Rute zuckte nicht in ihrer Hand. Der Syndikus, ein maßlos dicker Mann mit einem hochroten Gesicht, aus dem die kleinen Schweinsäuglein pfiffig und berechnend hervorblinzelten, fühlte sich unbehaglich angesichts dieses Ergebnisses, auf das er große Hoffnungen gesetzt hatte, da der Ausfall des »reichen Ganges« im Bergwerkserträgnis wohl zu merken war; er fühlte sich doppelt unbehaglich angesichts dieser Zuschauermenge, aus der ihn viele stumme, feindselige Blicke trafen, und in der nun eine Bewegung der Schadenfreude merkbar wurde. Da entstand ein Gedränge. Alles versuchte vorzutreten, um besser sehen zu können. Denn die Rutengänger waren stehen geblieben. Der eine der Jüngeren hielt seine Rute hoch empor an der Wand, und wahrhaftig, sie schlug merklich gegen das Gestein zu aus. Er wiederholte den Versuch. Wieder zuckte der Stab in seiner Hand, wenn auch schwächer. Nun trat der andere heran. Aber seine Wünschelrute bewegte sich nicht. Auch die des dritten Rutengängers versagte. Manche meinten wohl, sie habe gezuckt, aber es ließ sich streiten darüber. Dagegen schlug die des ersten der Magister kräftig und unzweideutig, als er nochmals vortrat. Die neue Erzader war entdeckt. Der Syndikus erglänzte fettig und rot vor Hitze und Vergnügen; triumphierend blickte er umher auf »dieses halsstarrige Gesindel«, wie er seine Zuschauer leise zum Bergrichter gewendet nannte, die, statt in Jubel auszubrechen, kalt und wie enttäuscht dastanden.

Sofort wurde alles eingeleitet, um den neuen Gang zu eröffnen. Auch Jörg wurde als momentan Überzähliger dabei verwendet und kam oft zehn Stunden lang nicht aus dem Berg, mit solchem Eifer drängte es die Grubenherren, den Schaden wett zu machen und den Reichtum der neuen Ader zu erkennen. Man bohrte, lockerte das Gestein mit mächtigen Feuern, die stärksten Männer der Belegschaft trieben ihre Spitzhauen in den Berg, daß unter ihren gewaltigen Lieben die Funken sprühten von der quarzdurchsetzten Grauwacke, Unter Grauwacke versteht man die ältesten, meist grau gefärbten Sandsteine. Der Ausdruck Wacke ist bergmännisch und soll die klotzige Beschaffenheit des Gesteins bezeichnen. Die Grauwacke ist ein Schichtgestein und als solches eine Meeresablagerung. In dem Urgebirge, in das die Bergwerke von Schwaz getrieben sind, wechselt die Grauwacke vielfach mit Phyllit. die sich hier den Arbeiten entgegenstellte. Rasch waren zehn, es wurden zwanzig Meter abgeteuft – aber kein Erz, nicht einmal ein Stückchen Blende, viel weniger das gewöhnliche Fahlerz, am allerwenigsten die erhoffte silberhaltige Rotgültader zeigte sich. Auf einmal drang die Spitze der Hacke tief in das Gestein, ein Brausen und Zischen erhob sich, und ein mächtiger Wasserstrahl sprang den Häuern ins Gesicht, daß sie flüchten mußten und die Zimmerleute schwere Arbeit hatten, bis der befreite »Grubennix« wieder eingefangen war. Nichts hatte man erbohrt als nur eine unterirdische Quelle. Der alte Streit über Wert oder Unwert der Rutengänger fand neue Nahrung. Die Wünschelrute spielte im Bergwerksbetrieb des 16. und 17. Jahrhunderts eine große Rolle. Besondere » Erzschmecker« und » Rutengänger« waren berufen, an Stelle der mangelhaften geologischen Kenntnisse das Vorhandensein von Erzgängen ausfindig zu machen. Sie hielten hierbei einen in der Johannisnacht unter besonderen Zeremonien geschnittenen Gabelzweig aus Haselnußholz mit beiden Händen fest umschlossen vor der Brust, so daß der Stiel der Gabel in die Höhe stand. Und man behauptete, daß der Stiel nach abwärts schlug an den Orten, wo sich die gesuchten Erze befanden. Der Glaube an die Wünschelrute geriet mit dem Fortschreiten der Naturwissenschaften allmählich in Verfall, und man neigte der Ansicht zu, daß es sich hierbei um » idiomotorische Bewegungen«, das heißt Muskelzuckungen infolge der Aufregung des Rutengängers, handelte. Diese Ansicht wird jedoch neuerer Zeit wieder bestritten und von einigen Seiten so lebhaft für die Wiedereinführung der Wünschelrute eingetreten, daß einige hervorragende Mitglieder der preuß. geologischen Landesanstalt genötigt zu sein glaubten, hiergegen öffentlich Protest einzulegen.

Trotzdem war der Berg nicht tot. Ganz deutlich hatte es Jörg gesehen, wie der Batzentoni, neben dem er arbeitete, einmal beim Durchbrechen eines Verbindungsstollens, der nur der besseren Luftzufuhr halber angelegt werden sollte, ein schweres Stück voll Erz abschlug. Das polterte schon viel schwerer zu Boden als der gewöhnliche Schiefer. Aber man ließ ihn nicht zu, es zu besichtigen; unter einem Vorwand wurde er weggeschickt, und als er wiederkam, war der Gang fertig und sogar schon verschalt, was sonst viel länger dauerte, namentlich in diesen Wochen, wo man nur dann eifrig arbeitete, wenn der Aufseher herumschlich, was von Gang zu Gang gemeldet wurde, sonst aber fortwährend die Köpfe zusammensteckte zu geheimen Zischeleien. Auch wurde nichts von dem Erzfund gemeldet, wie es wohl sonst die Pflicht gewesen wäre. Jörg wurde irre; vielleicht hatte er sich getäuscht, diese Unglücklichen würden sich nicht selbst ums Brot bringen wollen, wenn die Grube minder ergiebig würde. Auch waren auf solche Verheimlichungen und Untreuen furchtbare Strafen gesetzt; man hatte erst vor etlichen Wochen diese Strafordnung verschärft und der Knappschaft durch den Bergschreiber neu verlesen lassen. Zu fragen hütete er sich jedoch wohl, die Lektion der Zimmerleute wirkte nach, und er war schon klug und eingeschüchtert genug. Und schließlich: was ging es ihn an? Sein Dasein hier zählte nach Wochen. Im August fiel das Fest des Bergpatrons auf den Samstag, da waren zwei freie Tage. Er fühlte es im Herzen: an dem Tag werde die neue Rotgültader im Silbertal entdeckt, und wußte er erst einmal, wo sie lag, dann war alles andere leicht.

Am vorletzten Julitag aber kam der lange Bergschreiber mit dem Aufseher zur Runde und las aus einem langen Zettel vor: Übermorgen, am ersten August, werde der Betrieb im oberen Triefestollen wegen mangelnder Erzausbeute eingestellt, und es sei mit den Ausräum- und Abbrucharbeiten zu beginnen. Die Häuer, Wasserheber, Zimmerleute, Kärrner und Feuersetzer kämen in den unteren Triefestollen, der Stall werde aufgelassen, die Fuhrleute und der Wartknecht sollen sich im Berggericht melden.

Das war keine angenehme Neuigkeit, denn es bedeutete vermehrte Arbeit, da man im unteren Triefestollen immer und immer pumpen mußte und mit einem recht gefährlichen Boden zu tun hatte, seit der unterste Horizont ersoffen war. Da waren viele weiche und sinkende Stellen, und den Ausgang bedrohte Schwimmsand, daß immer und ewig daran gebastelt und gerichtet werden mußte. »Gebt acht, da drückt's uns noch einmal platt wie die Frösch,« hatte der alte Schichtmeister gesagt, als sie den neuen Arbeitsort besichtigen gingen, und der galt als unfehlbare Autorität, fuhr er doch schon seit vierzig Jahren »zu Berg«.

Als Jörg mit der fatalen Zeitung heimkam, traf er das ganze Haus in Aufregung und einem wunderlichen Rumor. Die alte Ochsentreiberin lief aufgeregt in der Küche umher, fortwährend schluckend und nach Luft schnappend. Des Mittags waren Häscher dagewesen, erzählte sie, sie hätten das Haus umstellt, daß keiner ein noch aus mehr durfte, und hatten alle Insassen in ein scharfes Gebet genommen. Der Besuch galt dem kranken Kofler, der aber gerade an dem Tag wieder in den Berg gegangen war, angeblich um Arbeit zu suchen. Alle seine Sachen hätten sie durchgewühlt, ob er nicht tauferische Sendschreiben hätte von dem Prinzipaltaufer Onoferus, der in den Bergen gegen Kufstein jetzt sein Quartier hat. Der Kosler soll auch so einer sein von dem neuen Laster. Und händeringend beteuerte sie ihre eigene Rechtgläubigkeit, und wie sie so einen nie geduldet hätte in ihrem Haus. Und sie stöhnte mit ihren Töchtern und weinte vor Angst, daß man jetzt vielleicht ihr das Häusel nehmen würde, weil sie solchen Sektierern Unterschlupf gewähre.

Um dem Lamento zu entgehen, trat Jörg in seine Stube. Kaum hatte er jedoch die Türe geöffnet, packte ihn eine derbe Männerfaust beim Kragen. Ein Söldner war hinter dem Kasten versteckt gestanden und führte ihn nun in die Nebenstube, wo der Rottmeister saß mit einem Schreiber, die ihn sofort zu inquirieren anfingen, wer und was er sei, und welchen Umgang er mit bemeldeten Koflerleuten gehabt.

Dann mußte er seine Sachen vorweisen, und als sich nichts Verdächtiges fand, wurde ihm bedeutet, er möge in seinem Schragen bleiben und, wenn die Koflerin heimkäme, ihr beileibe nichts sagen oder zuwinken. Sonst käme auch er in den Turm. Eine solche Komödie wollte er aber vor der unglücklichen Frau nicht spielen, deren Schicksal er voraussah, wenn er sich an jenen Sonntag nachmittag erinnerte, da die beiden im Traktat gelesen. Und so bat er, ob er nicht in Begleitung in die Trinkstube gehen dürfe, da er noch nichts genossen am Tage. Aber während sie noch verhandelten, ertönte ein markerschütterndes Geschrei nebenan: »Wo ist mein Kind, wo ist mein Anderl?«

Die Söldner stürzten hinein und vergewisserten sich der armen Frau, die, einer ersten Regung folgend, sofort flüchten wollte, als sie die Häscher sah. Sie schrie und heulte wie wahnsinnig, und man mußte sie gebunden wegtragen, ihrem Manne nach ins Gefängnis, wo er schon seit Morgen fest lag. Eine ungeheure Menschenmenge war auf den Lärm hin zusammengelaufen und bildete Spalier. Verwünschungen wurden ausgestoßen gegen die Ketzer, aber man sah auch vor Erregung bleiche Gesichter und funkelnde Augen genug, und es war viel stiller als sonst, wenn man einen Dieb gefangen hatte.

Verhaftung der Koflerin

»Ja, wo hat sie denn ihr Kind?« fragte Jörg seine Wirtin, als das unerquickliche, auch ihn erregende Schauspiel zu Ende war. »Wo ist es denn, daß sie so danach schreit?«

»Sie hat's halt g'mirkt, daß die Kleider net da san,« meinte diese. »Ja mei, wer kann denn so an unschuldigen Wurm so einem Gezücht lassen? Dö verschreibeten ihn ja beim lebendigen Leib dem Teufel. Und den Zins san's ma no schuldig, Jessas, Jessas, – aber alles was' ham, g'hört mein.« Und voll Sorge um ihren Mietzins eilte sie zur Nachbarin.

Am nächsten Morgen, als sie zum letztenmal in den Stollen kamen, saß der alte Blaurock nicht wie gewöhnlich im Stall. Er war am Berggericht, um seine neue Stelle zu erfahren. Das war ein harter Schlag für ihn, daß er auf seine letzten Tage nicht mehr im Frieden bleiben sollte, im Stall, an den er so gewöhnt war, in dem er jede Ecke kannte und sich wohl fühlte wie ein Maulwurf in seinem Bau.

Sie halfen alle zusammen den Zimmerleuten beim Abbrechen der Hölzer, da zupfte etwas den Jörg leise beim Ärmel. Er drehte sich herum: es war der blinde Pferdewärter. Mit einem Blick war ihm anzusehen, daß seine Sache schief stand. Er schluckte von Zeit zu Zeit heftig, und seine schlaffen, faltigen Mundwinkel zuckten unruhig. »Bringt Ihr gute Zeitung?« drang man auf ihn ein.

»Fort soll i,« sagte tonlos der alte Mann. »Morgen schon, die Pferd' kommen ins Schwadner Eisenwerk. Die Fuhrknecht gehn a hin – i bleib' ohne Brot.«

Das war nicht möglich! Man konnte doch den bald achtzigjährigen, gebrechlichen und blinden Mann nicht so ohne weiteres auf die Straße setzen. Aber man hatte es doch getan, und der Aufseher, der dem Alten ohnedies nie grün war, bestätigte es mit einer spöttischen Bemerkung.

Die sieben Männer der Belegschaft standen da, stumm, mit starrer Miene. Jörg sah nach dem heftig atmenden Hans. Der ballte die Hände und warf Jörg einen finsteren Blick zu.

»Blaurock,« sagte er dann verhalten, »du bleibst da; vor Feierabend gehen wir alle mit dir zum Bergpfleger und legen ein Wort ein. Das darf net sein, einen von der Bruderschaft wegjagen nach dreißig Jahren …«

»Zweiunddreißig sind's!« sagte betrübt der Blinde.

»Da sind wir wie ein Mann, gel'?« wandte sich der Schwabe an seine Kameraden. »Jörg, geh nüber in d'rinneten Gang, sag's der Knappschaft, solln's weitergeben. Alle müssens vor 's Berggericht heut' kommen.« Und die Zornesader schwoll dem mächtigen Mann auf der Stirn.

»Jörg, du bleibst,« herrschte nun aber mit scharfer Stimme der Aufseher. »Kein Mann geht von der Arbeit auch nur eine Viertelstunde früher.«

»Geh, Jörg,« feuerte Hans den einen Augenblick Zaudernden an. Wie der sich aber in Bewegung setzte, fuhr der Aufseher auf ihn zu und packte ihn an der Schulter. Doch er hatte nicht die Zeit, die Hand zu heben, da sprang auch schon der schwergereizte Schwabe auf ihn los, und ein furchtbarer Hieb sauste auf den schwächlichen Menschen nieder, daß er in die Ecke flog und der Länge nach zu Boden stürzte. »Fallot, verräterischer,« brüllte sein Angreifer außer sich vor Wut. »Glaubst, wir wissen's in der G'schwistrigkeit net, wer 'rumschleicht und 'n Anzeiger machen möcht?«

»Hansl, ruhig sein,« schrieen ihm die Zimmerleute und der Batzentoni gleichzeitig zu, voll Schrecken über den Unbedachten, der sich im sinnlosen Zorn so verriet. Aber der war nicht mehr zu bändigen. »I nehm's auf mich,« heulte er in rasender Wut, »soll'n mit mir machen, was woll'n, aber der Angeber muß hin sein! Wer is der Herr am Berg, die Knappen oder die Menschenschinder, die Blutsauger am G'richt?«

Er hätte noch mehr Unsinniges geschwatzt, hätten sich nicht seine Kameraden auf ihn geworfen und ihn mit Gewalt am Schreien verhindert. Der Aufseher aber erhob sich bleich, mit blutüberströmtem Gesicht, da er sich beim Fall einen Riß zugezogen hatte. Er atmete nur langsam und zwang sich zu einem Lächeln, das aber nur als greuliches Grinsen gelang. »Dank' schön,« sagte er vor Wut zitternd, »jetzt weiß ich's ja gewiß. Pfüat Gott, G'schwistrigkeit, beim Bergrichter seh'n wir uns wieder.«

Und bevor man ihm nacheilen konnte, lief er, gepeitscht von Furcht und Rachegier, von dannen.

Die Bergknappen aber standen in gedrückter Stimmung, und keiner sprach ein Wort. Endlich unterbrach der Blinde die Stille: »Schön Dank, Hans,« sagte er mit vor Aufregung umschlagender Stimme und bot die Hand zum Drucke, »dös bin i ja net wert, daß Ihr Euch ins Unglück bringt meinetwegen.«

»Ach was Unglück,« sagte trotzig der Schwab, »das ist noch kein Unglück. Was hab' ich denn g'sagt? Gar nichts hab' ich verraten. Und wenns mich auf der Pein befragen,« brach er in neu aufschwellendem Zorn aus, »ich sag's ihnen nochmal am Berggericht, wer der Gerechte und wer der Gottlose ist! Ich fürcht' mich net, und wenn's vorn Meister Hansen gehen sollt!«

Die andern aber ließen die Köpfe hangen. »Jörg,« flüsterte dann bei der Arbeit der Batzentoni dem jungen Manne zu, den er liebgewonnen hatte, »i sag' der, druck di', mi' sixt nimmer! Die kommen heut' no' um uns alle.«

Portal der Stadtkirche in Schwaz

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