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Burg Freundsberg. – Donna Isabel und der Pfleger von Schwaz. – Verhandlung vor dem Berggericht. – Die Widersacher. – Eine Anklage gegen die Wiedertäufer. – Der Spion. – Das pflichtvergessene Schreiberlein. – Der Warner.
Es war ein behäbiges und gar stattliches Gebäude, die alte Burg zu Schwaz, von dem nicht weniger alten Geschlecht der Freundsberger erbaut, deren berühmtester erst vor wenigen Jahren hier als gebrochener Mann rastete, als er vom Schlage getroffen einige Monate vor seinem Tode auf der mühsamen Reise von Italien nach seiner schwäbischen Heimat durchkam. Georg von Frundsberg, auf den hier angespielt wird, war der bekannteste deutsche Landsknechtsführer (1473 bis 1528), der sich an zwanzig Feldschlachten beteiligte und sich vor allem in der Schlacht bei Vicenza und dann in der Schlacht bei Pavia hervortat, wo König Franz I. von Frankreich gefangen genommen wurde. Im deutschen Bauernkrieg betätigte er sich persönlich als strenger Wahrer des Rechtes und der Ritterlichkeit. Als wegen unregelmäßiger Soldzahlung eine Meuterei seiner Landsknechte ausbrach, wurde er in der Aufregung darüber vom Schlage getroffen und verbrachte einige Zeit in krankem Zustand in seiner Burg zu Schwaz. Von dort ließ er sich nach Mindelheim, seinem Geburtsort, bringen, wo er auch einige Monate später starb. Trotzig und wehrhaft, wie ein alter Landsknechtführer, stand der alte Turm hoch über der Stadt, und er war aufgerichtet wie ein mahnender Finger der Gerechtigkeit, vorgeschriebene Ordnung und Zucht zu befolgen im weiten Revier der Bergstadt, deren niedere und hohe Gerichtsbarkeit dem Pfleger von Freundsberg anvertraut war.
In den festen Mauern und gewaltigen Steinsälen hauste aber ein zierlich und feines Geschlecht, denn seit des markigen Freundsbergers Tod war die Pflege dem wohledlen Herrn Chrysant von Spaur anvertraut, einem im Welschland nach der neuen Mode wohlgebildeten, feinen Mann, den es recht verdroß, mit solchen Waldteufeln und Wildlingen zu hausen, wie es die Knappschaft der Bergstadt war. Hätte er nicht noch einige Männer gleicher Gesinnungsart an sich ziehen können, vor allem den ihm am nächsten stehenden Herrn Sigmund Capeller, den Landrichter seines Bezirkes, wäre nicht durch die Fuggers und ihre Beamten oft Leben in das stille Inntal gekommen, und hätte er nicht seine italischen Freunde gehabt, die die Gastfreundschaft der Burg nicht verschmähten, er hätte trotz der reichen Einkünfte das Leben zu Schwaz nur als Verbannungsort empfunden, um so mehr, als er diese unwirtlichen Wälder ringsum, diese grausam öden Felsenberge verabscheute. Wie anders zu Vicenza, wo er sein Leben vordem genossen, wo so anmutig heiter alles dahinging, die weite lachende Landschaft mit den Reben- und Obstbaumhügeln, darauf die luftigen Landhäuser lagen, die Stadt selbst mit den Palazzi der Herren zu Venezia, in der sich so viele Freunde der Kunst regten, die jetzt an neuen und großen Änderungen sich den Kopf erhitzten, da man die wiederentdeckte römische Welt auch neu zum Leben bringen wollte.
Etwas von dieser Heiterkeit und Sinnenfreude an der Schönheit der Welt wollte auch er zu gern einfangen in seinen düsteren Steinkäfig zu Freundsberg, und so ließ er ihn wenigstens durch italienische Maler schmücken nach jener neuen Malart, die sie in der ihm so viellieben lautvollen Sprache al fresco nannten; auch legte er wenigstens venezianisch Tuch auf sein gotisch Gestühl und suchte der edlen Frau Musika Freunde zu werben. Am vielstimmigen Cantus der »Meistersinger von Schwaz«, die in ganz Tirol zu Ruf kamen, erfreute er sich und ließ auch ihre Zunftstube auf eigene Kosten mit bunten und vielbewunderten Wandmalereien schmücken, deren Meister nun oft durchs Inntal zogen, gen Augsburg, wo die neue Lebensart an den Fuggers mächtige Gönner gefunden hatte. Die Renaissance-Wandmalereien auf dem Schlosse Freundsberg sind noch gegenwärtig erhalten. Ebenso im Gerichtsgebäude zu Schwaz die höchst originellen Fresken des Saales, in dem die Schwazer Meistersinger tagten.
Und oft, wenn der volle Mond sein bleiches Flimmern über den rauschenden Strom warf und die Berge fahl und körperlos im Silberrauch standen, hörte man vom Turm über der Stadt die fernen Töne der Lauten und Violen wie fallende, verhallende Tropfen, und eine schöne Männerstimme sang schwärmerische Madrigale hinaus in die schweigende Nacht und ihr Waldesrauschen.
Heute war der Herr zu Freundsberg in rosigster Laune, denn das Angenehmste war ihm zugestoßen: Gäste waren da aus dem geliebten Vicenza auf dem Weg nach Augsburg, und dazu hatte er alle bitten lassen aus der Stadt, die ihm lieb, und sogar jene, die ihm nicht lieb, wenn sie nur repräsentabel waren.
Die Mittagstunde war vorbei, und man war am hohen luftigen Söller gelagert nach italienischer Art, und die ungeschlachten Tiroler Moideln, die besser im Stall als im Herrensaal zu Hause waren, suchten nach seiner Anweisung die stummen Sklaven Venedigs zu imitieren, die geräuschlos umherschleichen und Sorbet anbieten sollten nach neuer türkischer Mode.
»Donna Isabel,« sagte der Hausherr zu der noch sehr jungen und für den Besuch reich geputzten Nichte seines Gastfreundes, des Herrn von Castelbianco, »wie war doch das köstliche Gedicht, das Ihr gestern abend uns so fein vorgetragen habt? Die ganze Nacht ging es mir im Kopfe herum, und ich konnt' den Reim nicht wiederfinden.«
»Ihr meint wohl das Sonnett des Bembo:
Mit lächelnder Wehmut denk' ich ans Schwinden der Zeiten,
Da so viel süßes Genießen noch nicht geschlürft habe ich,«
erwiderte lächelnd seine Partnerin.
»Ja, das ist's,« rief er lebhaft. »Wie zart empfunden und von der feinen Melancholie eines Mannes, der den Schmerz, der auch im Genuß steckt, noch auszukosten weiß in der Vollendung eines schönen Lebens.«
»Seh' ich den Reichtum Eurer Stadt, Don Chrysanth, so braucht Ihr doch auch nicht allzuviel zu entbehren,« sagte nicht ohne Absicht Donna Isabel.
»Oh, Ihr denkt nur an den gemeinen Bedarf des Lebens, wenn Ihr mich nicht bedauert,« wehrte ihr nicht verständnisloser Kavalier. »Was uns hier fehlt, sind alle Feinheiten und Würzen, die Ihr so reichlich mit jedem Atemzug einsaugt, Monna Isabel, die an den Höfen zu Florenz und Rom jeder Tag in den göttlichen Dichtern und Archäologen verschwenderisch umherstreut. Wir sehen hier nichts vom Zug der Zeit. Wo ist hier ein Neues, das die Geister beschäftigen und erwecken würde? Wir lauschen angestrengt hinüber nach den Stätten der Roma antica, aber was erhaschen wir? Ein undeutlich Echo nur! Womit vergeht mein Leben? Einen Dieb aburteilen, einen Weg ausbessern lassen, einen törichten Hetzer zur Vernunft bringen, das ist alles, was ich mache. Die Seele verdorrt bei solchem Tun, hier sieht sie nie etwas von den großen Leiden der Menschheit, von ihrem Sehnen nach Befreiung und Menschenwürde durch die Versenkung in die Pergamente der großen Alten!«
»Herr Pfleger, Ihr sprecht von Dieben,« mischte sich nun trocken der gegenüber sitzende Syndikus der Fuggers ins Gespräch. »Habt Ihr nicht vergessen auf drei Uhr die Gerichtsstunde anzusagen? Habe leider wieder was vorzubringen.«
»Seht, Monna Bella,« scherzte der Pfleger, »da habt Ihr Ideal und Wirklichkeit! Man hat den Kopf und das Herz voll mit Plänen und Idealen von Humanität und Weltverbesserung und muß die schönste Stunde – ein affektiert bedeutungsvoller Blick traf die Italienerin – unterbrechen, um mit ein paar gegen die Arbeitsordnung sich auflehnenden Burschen den Glauben an den Fortschritt zu verlieren.«
»Ich möchte eigentlich ganz gerne einer solchen Sitzung beiwohnen,« sagte sensationslüstern das Fräulein von Castelbianco.
»Kann es Euch nicht raten, den Geruch erträgt Ihr nicht. Mit den Menschen haben wir nichts gemein. Ach seht, Euer Schoßhündchen ist in Gefahr, vom Schemel zu fallen,« sprang der Pfleger rasch über. Und in der Sorge um das geliebte Tier vergaß die Donna den Wunsch.
»Ich danke Euch, Ritter,« sagte sie ganz aufgeregt über das glücklich abgewendete Unheil, »ich glaub', ich könnt' es nicht überleben, wenn meine süße Bianchetta ein Beinchen bräche.« Und sie streichelte empfindsam den überfütterten Köter.
Der Bergpfleger aber war froh, dem Gespräch diese zwar gewaltsame Wendung gegeben zu haben, denn er wollte nicht gerade vor Donna Isabel den Zwiespalt enthüllen, der zwischen ihm und dem Syndikus klaffte, und den jener bei jedem Zusammenstoß durch die offene und versteckte Drohung mit der Fugger Macht, die er hinter sich hatte, ohne Rücksicht auf die Umgebung neu aufklaffen ließ.
Zu dritt mußten sie sich verabschieden von der heiteren Gesellschaft: der Pfleger, dazu der Landrichter und der Syndikus, der als Vertreter der Grubenherren ein Recht hatte, bei Knappenurteilen zugegen zu sein, und der heute auch Leute vorgeladen hatte.
Noch erfüllt von den witzigfröhlichen Gesprächen des Mahles trat Herr Chrysanth in das Berggericht ein. Sie kamen zu spät, schon lange warteten ihrer der Bergschreiber und der gewöhnliche Protokollführer, ein Magisterlein ärmster Sorte.
Gelangweilt setzte er sich in den Richterstuhl. Die Sitzung begann.
»Wie ist's mit der Urgicht Urgicht = Geständnis, heißt ursprünglich Vergicht und ist abgeleitet von verjähen = gestehen. des Koflers?« begann er, nachdem er in die Akten gesehen.
Und der Bergschreiber begann, den Fall zu verlesen.
Andreas Kofler, gewesener Erzknappe im Erbstollen, war bezichtigt, der langgesuchte Prinzipaltaufer zu sein, der im Auftrage des Tuchmachers unter der Knappschaft Auswanderer für die mährischen Wiedertäufer warb. Seit 1530 zogen aus allen Teilen Deutschlands und namentlich auch Tirols die Wiedertäufer zu Hunderten nach Mähren (aus Tirol wohl über 1000 Erwachsene), wo ihnen verschiedene Gutsherrschaften, namentlich zu Auspitz, Gastfreundschaft gewährten. Die mährischen Gemeinden wurden nach ihrem Anführer Jakob Huter sehr bald Hutersche Brüder (hieraus Herrenhuter), nach ihrem Zufluchtsland auch » mährische Brüder« genannt und entwickelten sich sehr günstig, da die mährische Geschwistrigkeit als überaus fleißig und tüchtig, außerdem still und friedfertig von ihren Gutsherren hochgeschätzt wurde. Diese Lage änderte sich infolge der Vorgänge zu Münster, und auf dem Landtag zu Znaim im Jahre 1535 setzte König Ferdinand I. ihre Austreibung aus Mähren durch. Sie wurden angewiesen, mit ihrer ganzen Habe baldigst abzuziehen. Die Geschichtsschreiber der Wiedertäufer sagen hierüber: »Als es nun letztlich nit anders sein konnte und keine weitere Frist zu erlangen war, da mußten die Frommen hinaus ins Elend. Jakob Huter als ihr Diener im Wort nahm sein Bündel auf den Rücken, desgleichen taten alle Brüder und Schwestern samt ihren Kindern und zogen paarweise miteinander hinaus. Wurden also wie eine Herde Schafe ins Feld getrieben. Gleichwohl wollte man sie an keinem Orte lagern lassen, da legten sie sich auf die weite Heide unter den lichten Himmel mit vielen elenden Witwen und Waisen, Kranken und unerzogenen Kindlein. So zogen sie von einem Ort in den anderen und wußten nicht, wo hinaus.« Als man ihnen endlich allen Proviant, auch das Wasser verbot, flohen sie einzeln in alle Himmelsrichtungen, viele sammelten sich später in den Niederlanden, in Sachsen und an andern Orten, wo langsam aus ihnen die Herrenhuter-Gemeinden und die Mennoniten erwuchsen. Alles stimmte: auch der Steckbrief, nach dem »bemeldter Kofler zu erkennen sey am schwarzen Bart, blassen Gesicht, der langen jungen Person. Auch tragt er rote Flaggen auf bramten Hut oder Piret, dunkelblauen Wappenrock, nennt sich etwa auch Balbierer und hat sein Weib und einjährig Kind mit sich.« Auch war eine direkte Anzeige eingelaufen von einem Laboranten in der Schmelzhütte am Erbstollen, namens Giuseppe de Volta, genannt der Einaug, der aber geheim zu bleiben wünschte, um nicht in Ungelegenheiten zu kommen, und der Anspruch mache auf die ausgesetzte »Anzeigetaglia« von 40 Florins für die Anzeige dieses langgesuchten »Vorstehers«.
»Ist der Kofler bereit, Urfehde zu schwören?« fragte gelangweilt Herr Chrysanth den Landrichter.
»Ist ein hartnäckiger Gesell, wollt' nicht absagen, erst auf die Vernehmung, daß sein Kind sonst in Pfleg' kommt nach Axams zur Mutter Gottes in der Fensterscheiben. Ist dann aber wieder umgefallen.«
Das war ein verdrießlicher Fall. Und Herr Chrysanth war heute gar nicht in der Laune, sich mit solchen läppischen, harten Bauernschädeln herumzuschlagen.
»Was werdet Ihr tun, Herr Capeller?« fragte er unwirsch den Landrichter. Der Fuggersche Syndikus zog die Brauen hoch und rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her.
Der Landrichter zuckte die Achseln und schielte auf den auch ihm unbequemen Syndikus hinüber. Wäre der nicht dagewesen, hätte man den Fall kurzerhand erledigt: der Kofler wäre ein paar Wochen im Turm vergessen worden und dann mit einer scharfen Verwarnung davongekommen. Denn auch Herr Sigmund Capeller war vom neuen Humanismus angesteckt und auch sonst ein redlich denkender Mann, der diese ewigen Ketzerdenunziationen und Verfolgungen haßte.
»Werde den Kofler und sein Weib selbst noch mal verhören und scharf ins Gebet nehmen. Er wird nicht so dumm sein,« sagte er dann.
Der Pfleger nickte befriedigt. Aber den Syndikus litt es nicht länger still. »Entschuldigt, ihr Herren,« rief er, »'s ist zwar kein Erzknappe jetzt, der Kochler, oder wie er heißt, sollt' mich also nicht einmischen. Soll auch keine Einmischung sein, nur ein freundschaftlicher Rat. Die hochlöbliche Regierung in Innsbruck – er betonte das mit besonderer Hochachtung – wird nicht zufrieden sein mit solcher Milde. Ich hab' es aus bester Quelle: die Zeiten der Langmut mit diesem verderblichen Gesindel, das auf die Verachtung der Obrigkeit ausgeht, sind aus. Wie ich mich erinnere, sagen die Mandata unseres glorreichen Landesherrn – wieder ein ehrfurchtsvolles Senken der Stimme – ganz genau, was mit Sektierern zu geschehen hat, die des Widerrufs und der Buße widerwillig sind. Lest doch das Mandat vor!« wandte er sich zum Bergschreiber.
Der Pfleger saß auf Nadeln. Diese ewigen Einmischungen ertrug er schon kaum mehr, aber jener galt bei den Fuggers alles, und die waren ob der Wiedertäuferbewegung, in der sie nur eine Lockerung der Arbeitszucht in den Bergwerken und eine Rebellion gegen die Lohnverhältnisse erblickten, aufs äußerste besorgt. Also bezwang er sich noch einmal, um sich nicht Scherereien auszusetzen, und sagte: »Ich meine auch, Herr Landrichter, man soll nach den Mandata vorgehen, wenn er nicht widerruft.«
Der Herr Capeller blickte zu Boden. »Wie Ihr wollt,« sagte er dann mit Betonung, denn er wollte vor seinem Gewissen die Schuld auf den Pfleger überwälzen. Und er ließ durch den Bergschreiber das Erkenntnis ausfertigen, wonach dem Andreas Kofler und seinem Eheweib der Tod durch das Schwert in sichere Aussicht gestellt werde, wenn er nicht bereit sei, alle seine Ansichten öffentlich am Friedhof und für immer zu widerrufen und sich der vorgeschriebenen Buße zu unterwerfen.
Damit war der Fall Kofler vorläufig erledigt.
Der Syndikus hatte inzwischen mit großer Aufmerksamkeit eine Brummfliege beobachtet, die auf dem Fenster spazierte und sich von Zeit zu Zeit den Kopf anrannte – so wie die Wiedertäufer.
Nun, da ihn der Pfleger fragte, welche Angelegenheit er vorzubringen habe, setzte er sich mit großer Wichtigkeit aufrecht, nahm seine Hornbrille und suchte aus seinen Papieren einen beschriebenen Zettel, aus dem er vorzulesen begann. Denn der Herr Syndikus war ein eitler Mann, der Wert darauf legte, sich gewählt und gelehrtenhaft auszudrücken.
»Mir liegt vor,« begann er, »eine Klage unserer gnädigen und glorreichen Herrschaft über zunehmende Verwilderung und Ungehorsam der Schwazer Knappschaft, namentlich in den äußeren Stollen, wo offene Rebellion, Verachtung Gottes und der Herrschaft sowie aller andern Obrigkeiten ungescheut ihr Haupt erhoben haben. In verlassenen Stollen werden durch den Prädikanten Peter Schilling Konventikel abgehalten, überall stecken aufrührerische, taufgesinnte Knappen die Köpfe zusammen, aber bei den Bekehrungspredigten des Barfüßermönches Reinhardt, den die Grubenherrschaft extra deswegen hat kommen lassen, wird fast keiner gesehen; in den Hölzern und im Gebirge, namentlich im Vompertal, ziehen flüchtige und entkommene Rottierer und Hetzer herum, die mit der Knappschaft heimlich Verbindung haben. Und die Folge? Sie wird schon offenbar als Böswilligkeit in der Arbeit, Verderben, Blutvergießen und alles Übel, so man leider seit mehr denn hundert Jahren nicht so viel wie jetzt gesehen. Im besonderen haben aufrührerische Knappen unter der Anführung eines schon lange verdächtigen Prinzipaltauffers, genannt Hans der Schwab, im Triefestollen ganz vor kurzem den ihnen vorgesetzten Aufseher, als er sie bei ihrem bösen Tun überraschte, niedergeschlagen und wollten ihm ans Leben gehen, wenn sie nicht rechtzeitig verjagt worden wären. Bemeldter Aufseher ist, wenn er auch blutig daniedergelegen, mit Mühe hergekommen und ist bereit auszusagen. Er wartet in der vorderen Stube. Dies ist das, was ich sagen wollte, pro primo.«
Der Pfleger wippte nervös mit dem Fuße. Für fünf Uhr hatte er Donna Isabel versprochen, mit ihr auszureiten nach Fiecht, wo die Klosterherren heute am Vorabend des Festes des Bergpatrons ein großes Fischessen richteten. Sie ließen dazu Renken vom Achensee kommen; die wußten sie in Malvasier zu schmoren, daß ihm schon in der Erinnerung das Wasser im Munde zusammenlief. Er aß Renken für sein Leben gern – und nun kam dieser widerliche Advokat mit solchen künstlich aufgebauschten Querelen und wollte ihn stundenlang festhalten. Eine ganz gewöhnliche Grubenschlägerei, wie sie zu Dutzenden jede Woche vorkam, wurde ihm da als Haupt- und Staatsaktion serviert. Er wußte schon, warum jetzt auf einmal von den Fuggers jeder böse Blick der Knappen vermerkt wurde. Die Leute wollten eben Lohnerhöhung, und dem wollten die Grubenherren vorbeugen mit ein paar exemplarischen Strafen gegen die ersten, die aufzumucken wagten. Und dazu sollte er das Werkzeug sein! Nun, da hatten sie sich verrechnet. Er sah auf seine umfangreiche Uhr, ein neues Meisterwerk der Nürnberger, das er als Mann des Fortschrittes nicht entbehren wollte. Schon vier Uhr vorbei! In knapp einer halben Stunde mußte diese Sache geschlichtet werden, sollte er noch zu richtiger Zeit nach dem Freundsberg kommen.
Also ging er gleich scharf ins Zeug. Der klageführende Aufseher sollte hereinkommen! Der katzbuckelte und wand sich vor Demut und war recht auffällig verbunden, damit man ihm die erlittene Unbill auch schon von ferne ansehen konnte.
Nach ihm stand es freilich schlimm um den Triefestollen. Der sei ein wahres Brutnest der Aufrührer, von denen, wenn man nicht sofort einschreite, ein neuer Bauernkrieg zu erwarten sei, ganz abgesehen von aller Widersetzlichkeit gegen die Gebote der Religion. Namentlich einer, der Schwabenhans, treibe es schon über alle Maßen. Die Obrigkeit und die Herrschaft seien für ihn nur Menschenschinder, denen er Krieg und Untergang geschworen habe. Er verfüge bereits eigenmächtig über das Bergwerk, in dessen Besitz er sich schon fühle. So habe er widersetzlich der Verordnung des Bergamtes einen blinden Sektierer zum Aufseher bestellt und sich laut gerühmt, er brauche nur zu winken, so sei die Knappschaft fertig zum Sturm aufs Berggericht. Auf das solle es zuvörderst losgehen. Das sei heute morgen gewesen. Wenn man zuwarte, werde das ganze Nest entkommen, besonders genannter Schwab und ein Tiroler sowie ein ausherrischer Erzführer, den sie Jost nennen, und der sich ebenfalls tätlich an ihm vergriffen, als er sie alle heute zur Ruhe mahnte im Dienst der Herrschaft.
Der Syndikus blickte triumphierend nach dem Pfleger, dessen heimliche Opposition er sehr wohl fühlte. Dem war die Sache unbehaglich. Wohl merkte er das Geflissentliche und Übertriebene im Bericht des Aufsehers, aber wenn er das auch abzog, so blieb noch immer genug, was ein ernstes Einschreiten notwendig machte. Er hatte heute keinen guten Tag, der Fuggersche hatte seine Mühlen wahrlich gut gestellt.
Der Aufseher wurde entlassen und ihm eingeschärft, fein ruhig zu sein, weil man die Rädelsführer in aller Stille ausheben wolle.
Dabei kam es wieder zu einer kleinen Reibung mit dem Syndikus, der offenbar besser Bescheid wußte um die Vorgänge am Berg als der Landrichter, denn er bemängelte es, daß bei der Aufhebung der Frau des Koflers weidlich ungeschickt vorgegangen worden sei. Die Hauswirtin habe den ganzen Berg vollgelärmt, und so seien noch einige des Tauffergesindels rechtzeitig in die Wälder geflüchtet, die man bei der Gelegenheit auch dingfest hätte machen können. Es wäre gut, wenn diesmal die Verhaftung geschickteren Händen übertragen würde.
Dann schritt er zum zweiten Punkt seines Vorbringens, über den er eifrig in seinen Briefschaften schnüffelte, während der Landrichter mit den Schreibern die nötigen Ausfertigungen an die Schergen ausarbeitete.
Seine kleinen Äuglein blickten höhnisch nach dem Pfleger, der immer öfter und unruhiger nach der Uhr sah, als der Advokat sehr gewunden und vorsichtig wieder von den Verordnungen und Sendschreiben einer hochlöblichen Regierung sprach, in die ihm im Fuggerhaus aus Gnaden seiner durchlauchtigsten Herrschaft, des Herrn Grafen Anton, Einsicht zu nehmen gestattet gewesen sei, – hier am Berggericht habe er sie ja leider nicht gesehen, – wonach die Regierung Klage führte, ebenso seine bischöfliche Gnaden, der Herr Bischof zu Brixen, über die Saumseligkeit und Milde, mit der die Pfleger und Rechtsprecher im Land gegen die verruchten neuen Sektierer vorgingen, von denen aus den Gefängnissen so viele entwichen, daß es auffällig sei, während den Kontroverspredigten, so namentlich der illustrissimus doctor Galen Müller allenthalben veranstalte, von Amts wegen nicht genug Vorschub getan werde.
Wenn, wie man soeben gehört habe, hier in Schwaz ganz offen gepredigt werde, man müsse den Fuggers das Bergwerk nehmen, so sei es vielleicht doch hoch an der Zeit, in der Verteidigung der göttlichen und weltlichen Ordnung (wieder traf ein scharfer Blick den Pfleger) die Grubenherrschaft mit mehr Nachdruck zu unterstützen als bisher. Es bedarf – er sage es direkt heraus – gerade hier in Schwaz größeren Eifers und vor allem abschreckender Urteile. Das In-den-Turm-legen, da und dort einen Stäupen oder Köpfen schrecke nicht. Da müsse schon die Strafe durch den Brand her, wie sie die Mandata vorschreiben. Dies sei seine Meinung. Item die des hochedlen Vorsitzers der Regierung, des Hofrates Philipp von Lichtenstein, wenn er in seiner Relatio klaget, in Schwaz seien nicht nur heimliche Wiedertäufer, sondern auch fünf bis sechs Vorsteher. Mit bloßem Streifen werde da wenig ausgerichtet werden, sondern man müsse Vertraute in Sold nehmen, die sich taufen ließen und so leicht alles erfahren könnten; freilich müsse man ihnen in der Stille ein ansehnlich Geschenk, etwa fünfzig oder sechzig Gulden, verabreichen. Es bestand eine besondere Späherordnung, wonach jeder, »so einen Vorsteher lebend einbringt,« hundert Gulden, wer ihn tot einliefert, fünfzig Gulden erhielt. Auf einen gewöhnlichen Wiedertäufer waren zehn Gulden gesetzt. Originalakten im Innsbrucker Statthaltereiarchiv (vom 1. Jan. 1540).
Er bitte nun den Pfleger und den Herrn Landrichter, ihm zu sagen, was er nach Augsburg melden könne, wie die Obrigkeit zu Schwaz gesonnen sei, ihn beim schweren Amt, in der Knappschaft Ruhe zu halten, zu unterstützen.
Die Herren Capeller und Spaur tauschten einen Blick, wer antworten solle. Der Pfleger zuckte die Achseln. Darauf sagte der Landrichter: Er sei gewiß eifrig in Befolgung der Regierungsverordnungen. Beweis dessen sei, daß hier in der Stadt und auf dem Gew in etlich Jahren an sechshundert Taufgesinnte allein gerichtet worden wären. Da sei so viel, daß sich die Rechtsprecher auf dem Lande weigerten, Bluturteile zu fällen, weil sie ein Entsetzen vor dem vielen Brennen und Blutvergießen hätten. Historisch. Hofrat J. v. Beck zitiert eine Wiener Verordnung vom 7. April 1561 ( conf. Loserth, 1893, S. 205), wonach die Geschworenen nicht nach ihrem Gutachten, sondern nach den Mandata zu urteilen haben. Dieser Verordnung widersetzten sich die Rechtsprecher, da sie ein Entsetzen vor dem vielen vergossenen Blut hatten. Wenn aus den Türmen immer wieder etliche auf seltsame Weise entkämen – der Pfleger mußte heimlich lächeln – so läge dies nicht an mangelnder Wachsamkeit des Berggerichts, sondern daran, daß die Gefängnisse einfach schon zu klein seien für die Masse der Inhaftierten.
Späher aufzunehmen, widerstrebe ihm, auch wisse er keine geeigneten Männer, dafür werde er die Streifungen im Gebirge verschärfen.
Dem Pfleger gefiel die männliche Rede. Dieser Capeller war wirklich ein wackerer Mann.
»Es wird also alles nach Wunsch geschehen,« mischte er sich nun ein und erhob sich zum Zeichen, daß er die Sitzung aufzuheben wünsche. Es war auch an der Zeit, Donna Isabel wartete gewiß schon.
Doch der Syndikus ließ noch nicht locker. »Geruht, Herr Pfleger,« quäkte er gereizt, »noch ein wenig zu verziehen. Kann mich leider mit solch ausweichender Antwort nicht bescheiden. Da wird wohl unser gnädigster Herr Graf, der bald wieder kaiserlichen Besuch erwartet, selbst ein Wort einlegen müssen, damit in Schwaz der Antichrist und Aufruhr nicht so einreißt.«
Die Drohung mit der Denunziation beim Kaiser war also auch diesmal nicht ausgeblieben. Erregt drehte der Pfleger seinen nach modisch welscher Art verschnittenen Bart und wollte schon entgegnen, doch der Syndikus fuhr fort:
»Wenn es an geeigneten Männern als Späher fehlt, so hat man mir aus Augsburg schon seit langem einen sehr vertrauenswürdigen Diener empfohlen, der alle Schliche der Tauffer kennt. War lange Jahr Leibdiener bei der hochseligen Schwester des Herrn Grafen. Er wartet im Vorraum, um sich vorstellen zu können. Werd' ihn rufen.«
Und der Syndikus war seines Sieges über die Widerstrebenden so sicher, daß er gar keine Zustimmung abwartete.
Sehr freundlich, mit zuckersüßer Miene trat sein Schützling in die Stube und verbeugte sich tief vor den Herren, die, namentlich der Schreiber, ihn scharf anblickten.
»Wie nennt Ihr Euch?« fragte ihn voll Widerwillen der Landrichter. Es war ihm zumute, als müsse er eine giftige Kröte berühren.
»Hans Schlaffer, zu dienen Euer Herrlichkeit,« sagte unterwürfig und doch frech zugleich der Verräter. »War Leibdiener der Frau Gräfin Regina Fugger …«
»Weiß schon,« unterbrach ihn unfreundlich der Richter. »Ihr seid also bekannt am Berg, kennt wohl gar Leute von der G'schwistrigkeit, he?«
Der Syndikus trat vor und überreichte eine lange Liste. »Der Schlaffer, dem sie so vertrauen, daß sie ihn unter sich den Tauffer-Hans nennen, hat schon in meinem Sold gearbeitet. Da sind die ersten, die als die gefährlichsten Rottierer einzuziehen sind.«
Der Landrichter nahm mit sichtbarem Ekel das Papier zur Hand und warf einen Blick darauf. Dann wandte er sich an den Bergschreiber mit der leisen Frage: »Wie heißt der Italiener, der die Koflerleut' angezeigt hat?«
»Giuseppe de Volta, alias Peppo,« beeilte sich dieser zu erwidern. Der Landrichter nickte befriedigt.
»Eure Kunst ist nicht weit her,« begann er, »da les' ich einen, von dem wir ganz bestimmt wissen, daß er gut gesinnt ist.«
»Ach, nicht möglich,« wehrte erschrocken der Späher. »Alle, die da stehen, waren bei heimlichen Versammlungen, alle haben es mir selber, nachdem wir geschworen, es treu und redlich zu meinen, anvertraut, daß sie zu den ›Frommen im Land‹ halten.«
Der Syndikus und der Pfleger mischten sich ein. In leisem Gespräch erkundigten sie sich. »Erlaubt,« sagte der Syndikus, »das sagt gar nichts! Hat denn nicht letztlich auch der Bort Schranz andere angeben und war doch ein richtiger Tauffer, wie wir nachher gesehen haben?«
Der Pfleger war in großer Aufregung. Es war fünf Uhr vorbei. Es mußte ein Ende gemacht werden. »Nehmt den Mann in Gottesnamen auf, Landrichter,« sagte er. »Man wird ja sehen.«
Und so war Hans Schlaffer wohlbestallter Späher des Berggerichts und erhielt den Bescheid, sich zuerst im Triefestollen umzusehen, wer denn dort taufferisch und rebellisch gesinnt sei. Die Herren aber wandten sich zum Gehen. Zum letztenmal blieb der Syndikus stehen; sein Sieg war heute noch nicht vollkommen.
»Ihr habt eine Streifung versprochen, Herr Capeller,« sagte er. »Macht rasch, der Schlaffer sagte mir, morgen halten sie im Vomperloch eine Hauptversammlung, dort sollen Abgesandte des Onoferus dabei sein.« Und noch im Gehen gab der Landrichter dem zweiten Schreiber, da der Bergschreiber noch mit dem Angelöbnis des Spähers beschäftigt war, Anordnung, daß morgen in der Nacht eine Streifrotte von vierzig Mann gegen das Vomperloch alle Brücken und Fußwege besetzen und sperren möge. Dann klirrten sie die enge Stiege hinunter, laut sprengte der Pfleger durch die Gasse in größter Hast auf seinem Rößlein gegen Freundsberg, dann war Stille im gewölbten Gemach, die Fliegen summten am Fenster, die Nachmittagssonne spielte herein so lieblich und hell, und jubelnde Vogelstimmen klangen vom Garten herüber wie ein Freudenschrei über die Schönheit der Welt. Der Schreiber als der Letzte horchte, ob alle weg wären. Dann nahm er in fliegender Hast eine Abschrift von den Beschlüssen und der Namensliste des Verräters und eilte die Treppe hinunter. Nicht weit war seine armselige Wohnung. Ein junges Mädchen, seine Tochter, war daheim. »Flieg, Gertraud,« sagte ihr der Vater in atemloser Eile, »flieg zum Federspiel Adam und gib ihm das. Soll Botschaft senden. Die alle sollen einzogen werden, und morgen wird gestreift. Soll keiner 'naus. Und dann lauf zur Prezin, noch früher … den Hans sollen's heut holen. Bei dem alten Oswald findt er Unterschleif in der G'schwistrigkeit. Sei g'scheit, daß dich niemand merkt.« Und dann schlich er zurück in die Amtsstube und fertigte gemächlich die Verhaftungsbefehle aus nach vorgeschriebener Ordnung.