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Zehntes Capitel.

Die Nichthumoristin von Uh hatte den zweideutigen Triumph dieser Spazierfahrt unter dem Schutze von Schleier und Parasol, mit krampfhaft geballten Händen und gekniffenen Lippen über sich ergehen lassen; die liebreiche Tante aber war ihm ausgewichen, da der versprochene Besuch im Stadthause ihr am Herzen lag. Sie hatte allerlei Erquickliches aus Keller und Speisekammer mitgebracht, sich in gewohnter Weise theilnehmend gegen die alten Diener gezeigt, um sich darauf durch den Augenschein von der genügenden Behaglichkeit des Dachkämmerchens ihrer Zofe zu überzeugen und deren einzige Klage, den Mangel an Beschäftigung, entgegenzunehmen.

Die Dame versprach, Arbeit von der Burg zu schicken, desgleichen eine Empfehlung an ein ihr be kanntes Weißwaarenmagazin auszustellen. Es sei da das Neueste zu sehen und zu erlernen, meinte sie und ein kleiner Nebenerwerb werde ja wohl auch nicht zu verschmähen sein. Zur Erheiterung wurde auf die Merkwürdigkeiten der großen Stadt und auf die Gesellschaft und Begleitung des lieben Bruders hingewiesen.

Auf diese Weise kam denn Wort um Wort die für beide Theile beängstigende Thatsache zur Sprache, daß der junge Meister an jenem Morgen seinen Contract mit dem Schloßherrn freiwillig gelöst und den Weg nach der Stadt eingeschlagen habe, ohne der Schwester, deren Uebersiedlung man ihm mitgetheilt hatte, bis heute ein Lebenszeichen gegeben zu haben.

»Er ist verunglückt, krank, todt!« rief das arme Mädchen händeringend.

Die Matrone beschwichtigte nach Vermögen, gelobte noch am Abend Erkundigungen einzuziehen und entfernte sich, weil die Stunde nahe war, in welcher ihre Verwandtin unter ihrer Aegide zum ersten Male der großen Welt gezeigt werden sollte; nicht minder aber auch weil m'amie, die Unermüdliche, wo Trost und Hülfe eine Statt fanden, vor hülf- und trostlosen Zuständen gern die Flucht ergriff.

Und wenn draußen der Wehrwolf in eigner Person, wenn die Teufelsbraten bandenweise umhergeschwärmt wären, unsere kleine Heldin würde sich nicht länger in dem stillen Palaste haben halten lassen. Kaum, daß ihre Dame sich entfernt hatte, sehen wir sie zum ersten Male die Straßen der großen Stadt durcheilen. Sie erinnerte sich der Adresse des Meisters, der Gotthold Fromm bis vor Kurzem beschäftigt und beherbergt hatte. Der Abend dämmerte, der Weg war weit, von heimkehrenden, oder Erholung suchenden Arbeitern gefüllt. Schritt für Schritt drohte ein Stoß, eine zweideutige Neckerei, die Gefahr sich kreuzender Wagen. Aber kaum daß sie hörte und sah was sie schrecken, oder verdrießen mußte; nur unbewußt spürte sie das Grauen, in einem Menschendrange zu leben, in welchem keiner den anderen kennt, keiner vom anderen gekannt sein will.

Endlich erreichte sie athemlos ihr Ziel. Arme, liebende Marie! Der alte Meister wußte von Deinem Jungen so wenig als Du selbst; hatte ihn mit keinem Auge gesehen, kein Wort von ihm gehört; die Gehülfen der Werkstatt, Gotthold Fromms alte Freunde, gaben keinen tröstlicheren Bescheid; die Nachbarschaft in weitem Umkreis wurde vergeblich ausgefragt Männig lich schüttelte den Kopf. Verschwunden der fleißige, mäßige Kumpan! Ein jeglicher hatte eine grausige Erfahrung, das Räthsel zu lösen, die haarsträubendsten Exempel wurden vorgebracht; kein Herz aber blieb unergriffen von der armen Schwester Qual; der alte Meister versprach noch am Abend die Polizei aufzubieten und früh am Morgen Bescheid zu bringen.

Halb besinnungslos, die Blicke von Thränen geblendet, wand sich Marie durch die indessen tageshell erleuchteten Straßen nach dem öden, stolzen Herrenhause zurück; händeringend stieg sie in ihre einsame Mansarde die grausamsten Vorstellungen auf- und niederwälzend. Und nichts, gar nichts für ihn thun zu dürfen! Ja, wär's das Schwerste. Wenn er Schaden genommen an Leib oder Seele, ach, was war hienieden dann noch leicht oder schwer? So stillsitzend und wartend glaubte sie die Nacht nicht überstehen zu können.

Indessen die Nacht sollte nicht vergehen, sie sollte nicht einmal hereinbrechen ohne Trost. Die gütige Chanoinesse brachte ihn in einer der Pausen der Zwischenakte. Der junge Meister lebte! Er saß im Theater, wohl und munter aussehend, – das war eine von m'amie's kleinen Lügen, – und, – das war keine Lüge, – nicht in den hohen Regionen, die sonsthin junge Arbeiter aufzusuchen pflegen, sondern im vornehmen Parquet, stattlich angethan gleich einem Herrn.

Die tödtliche Angst war gescheucht, aber das Räthsel nur dunkler geworden und ein stechender Schmerz im Herzen zurückgeblieben: er lebte, lebte als ein Herr, aber die vertraute Schwester hatte er vergessen. Marie schloß kein Auge in der Nacht und klopfte bei frühem Morgen schon wieder an des alten Meisters Thür.

Post auf Post drängte sich jetzt heran; übertrieben, will's Gott! wie das Unverständliche aufgetragen zu werden pflegt. Ja, er lebte als ein Herr; ohne Beschäftigung; er wich den alten Kameraden aus, spazierte geschniegelt, mit Stutzermanieren, zu den Stunden der vornehmen Müßiggänger in den eleganten Stadttheilen, oder im Park; verweilte unter dem Zelt des vornehmsten Kaffeehauses und vor den glänzendsten Läden, streute wie ein Prinz das Geld mit vollen Händen aus, besuchte Abends das Opernhaus, verbrachte dann die Nächte außerhalb seiner Wohnung und kehrte erst am Morgen in dieselbe zurück.

Die Seele also war es, welche Schaden genom men; der Schnakenburg'sche Dämon hatte den fleißigen, bescheidenen Arbeiter gepackt. Trauriger Trost, wenn es ein Trost war, für das Schwesterherz! Das Haus, in welches er sich einquartiert hatte, sollte das letzte der Straße sein, die nach der Schnakenburg führte; in einer Stunde kaum zu erreichen. Marie machte den Weg nicht zu Fuße, sie fuhr; dennoch dünkte er ihr eine Ewigkeit.

Endlich hielt die Droschke vor dem bezeichneten Hause, das durch wüste Baustellen von dem letzten der Vorstadt getrennt, noch mit einem ländlichen Anstrich frei im Felde lag. Der Miether, so hieß es, war erst gegen Morgen zurückgekehrt und hatte noch nichts von sich spüren lassen. Er frühstückte und aß nicht zu Mittag im Hause, sprach nur das Nöthigste, verkehrte mit keinem Menschen; man wußte nicht, was er trieb; man hielt ihn für einen brodlosen Schauspieler; er nannte sich Herr Fromm.

Marie wurde die Stiege hinan in den Giebel gewiesen; mit zitternder Hand öffnete sie leise die Thür eines Kämmerchens, das jeder gemächlichen Einrichtung baar und doch wirr den unheimischsten Einblick bot. Der alte, wohlbekannte Seehundskoffer, ein wackliger Stuhl und Tisch, als Gegenstück ein großer Toilettenspiegel, augenscheinlich der Einrichtung zugemiethet; auf dem Tische Waschgeräth, Bürsten, Büchsen, Kämme kraus durcheinander; auf dem Stuhle ein feiner Gesellschafts-Anzug sorgfältig ausgebreitet; am Spiegel hängend ein modischer Hut, daneben an goldener Kette eine Taschenuhr, ein Opernglas, ein Siegelring, – das war Alles!

Nein nicht alles. Im Hintergrund, da stand ein armes, elendes, hartes Bett und auf dem Bette lag ihr »liebster Mensch«, sich unruhig im Schlummer wälzend und so blaß, selber im Schlafe so verstört, die Augen tiefdunkel umringelt wie ein – nachtschwärmender Herr würde Marie Willig gesagt haben, hätte Marie Willig je nachtschwärmende Herrn gekannt, – wie ein armes krankes Kind, sagte sie und ihre Augen füllten sich mit Thränen.

Sie trat an das Bett, – und wäre Gotthold Fromm unser Held, da doch seine Schwester unsere Heldin ist und von dieser Stunde an je mehr und mehr eine Heldin werden wird, – wir würden den geckischen Anblick, der ihr eine Schamröthe in die Wangen trieb, mit unserem Schweigen decken. Der Schläfer trug ein wunderfeines, kunstvolles Hemd und – Handschuh. Handschuh im Bett! Hatte er sie aus zuziehen vergessen? Ach, nein doch. Ein sauberes, buttergelbes Paar lag in dem Hut am Spiegel, die an seiner Hand waren befleckt und zerrissen. Und nicht die Hände allein, auch der modisch gestutzte Bart war mit einer Salbe eingeschmiert und das dicke braune Haar über der Stirn in weiße Papierschnitzel eingewickelt. Fürwahr eine starke Zumuthung an Goldmiekchens Heldenthum!

Sie mochte ihn nicht wecken; er schien der Ruhe so bedürftig; sie konnte ihn nicht verlassen, er brauchte eine ordnende Hand. Einen Sitzplatz außer dem bedeckten Stuhle gab es nicht; so hauchte sie sich denn harsch am Bettrande nieder und schaute mit liebender Sorge auf das seit Kurzem so veränderte Gesicht.

Er athmete schwer, murmelte im Traume ein paar Sylben, die sie nach der Bewegung der Lippen für »Regine« nahm und jählings schrie er wie in Todesangst: »Verlassen Sie mich, ich liebe Sie nicht.«

Sie faßte leise seine Hand; ihre heißen Thränen tropften darauf nieder; und als ob er die liebreiche Nähe spüre, stillte sich der Athem, eine wohlthätige Ruhe löste die Spannung der Züge und breitete einen Hauch der Gesundheit über die fahlen Wangen.

Wie aber so Hand in Hand, gleichsam an electrischer Kette, der Frieden eines unantastbaren Gemüths des Aufgeregten Träume zu sänftigen schien, so entschleierte sich auch vor dem herzlichen Blick der Wächterin Zug um Zug Ursache und Wirkung dieser verlorenen Ruhe. »Regina!« lautete die Lösung des Räthsels, die sie gesucht hatte. Um Reginens willen floh er das eine Haus, mied er das andere, das Eigenthum derer, die ihn aus dem Herzen der Geliebten verdrängt hatten. Sie verschmähte den Armen, verachtete den Niedrigen, dem sie heimlich angehangen hatte, als sie selbst noch arm und niedrig war; sie stieß ihn von sich um der Hohen und Reichen willen, die sie zu ihres Gleichen erheben wollten.

Und der Niedere, der Arme, er konnte sie nicht lassen; er trachtete danach, reich und herrlich zu werden wie Jene, die ihn beraubt. Der Taumel hatte ihn ergriffen; er stand inmitten der Narrethei, am Abgrund des Verderbens; es schwand ihm Alles, was er außer der Einen hoch und werth gehalten hatte, auch die Brudertreue: aber Marie Willig spottete des Thoren nicht, sie schalt den Sinnlosen, zürnte dem Treulosen nicht, denn die Liebe, die in die Irre führt, vermag den Irrenden auch wieder heim zu führen.

»Marie!« rief er, die Augen aufschlagend, kaum verwundert, aber erfreut, das gute Gesicht an seiner Seite zu sehen. »Marie, Du?«

»Bist Du krank, Gotthold?« fragte sie.«

»Krank? nein. Es ist lange her, daß ich nicht so gut geschlafen-habe.«

Sie ging nach der Thür, ihm das Frühstück zu holen. »Er frühstücke nicht im Hause,« meinte er.

»Wo denn sonst, Gotthold?«

»Da und dort. Nein,« – er schämte sich der Lüge vor diesen ehrlichen Augen, – »ich frühstücke gar nicht; ich habe keinen Hunger, Marie.«

»Aber Du sollst, Du mußt etwas genießen,« rief sie und rannte aus der Kammer.

Als sie mit Speise und Trank, in der Nachbarschaft zusammengestoppelt, zurückkehrte, fand sie ihn angekleidet, und ohne die geckischen Anhängsel, zwar ein wenig blässer und viel geputzter, aber doch wieder den Gotthold von ehedem. Sie schenkte ihm ein und bediente ihn; die warme Nahrung, die warme Nähe thaten ihm wohl.

Bald aber kehrte seine Unruhe zurück. »Fast Mittag!« rief er aufspringend nach einem Blick auf seine kostbare Uhr.

»Laß uns gehen,« sagte Marie und sie gingen.

Er nahm den Weg nach dem vornehmen Stadttheil, in welchem um diese Zeit die schöne Welt, um zu schauen und geschaut zu werden, auf- und niederwogt. Er lugte in die modischsten Läden, fragte nach Gegenständen, deren Werth und Zweck seine einfache Begleiterin nicht verstand; er studirte die Manieren der flanirenden Stutzer, rückte ängstlich Hut und Binde nach ihrem Muster, klemmte ein Glas, – natürlich Fensterglas, – in's Auge, schlug mit der Reitgerte an die Waden und ließ die Sporen klingen, die er als Ornament an seine Lackstiefeln befestigt hatte. Zwischen diesen Marotten aber lugte er mit gespannter Scheu nach der Richtung des Thores und lauschte mit sichtbar klopfendem Herzen auf jeden rollenden Wagen. Die arme Schwester wußte wohl, wer darin sitzen sollte.

Als in der Mittagsstunde der großen Welt die Wandelstraße sich leerte, schlug auch er den Weg nach dem Grafenhause ein. Marie wußte, daß er nicht regelmäßig aß und schauderte vor dem Mittel, das ihm Kraft gewährte für die schlummerlosen Nächte und die aufreibende Unruhe des Tages. Dennoch wagte sie nur mit einem schüchternen Wort ihn auf die Gastfreundschaft ihrer alten Hausgenossen einzuladen.

Eine stolze Blutwelle über dem Gesicht sagte er ihr rasch Lebewohl:

»Darf ich nicht wissen, Lieber, wohin Du gehst?« fragte Marie besorgt. Seine mit jedem Glockenschlag sich steigernde Unruhe hatte ihr verrathen, daß er etwas Heimliches erwarte, oder etwas Besonderes vorhabe.

Er zögerte einen Augenblick; dann aber belehrte er sie mit flüsternder Wichtigkeit, daß die Lotterieziehung heute begonnen habe.

»Spielst Du denn, Gotthold?« forschte die Schwester.

Er nickte, lächelnd wie Einer, der den Treffer sicher in der Tasche hat und rannte voran.

Marie blickte ihm traurig nach, bis er in die Seitengasse eingebogen war; ging darauf in das Haus und zwang sich, den alten Leuten zu Gefallen, das warm gehaltene Mittagsbrod zu sich zu nehmen; dann eilte sie wieder in's Freie, den Unglücklichen aufzusuchen, den sie vor dem Siechbett oder Tollhaus zu schützen hatte.

Sie war schon ein paar Mal die stolze Flucht, in der er seine Studien zu betreiben pflegte auf- und niedergegangen, als sie ihn vor einem Putzmagazin im Anschauen einer großen Modelpuppe in Ballstaat versunken fand.

»So, so,« rief er ihr entgegen. »so sah sie aus gestern Abend, so schön. Ich meine ihr Kleid. Eine gewirkte Wolke, Marie, und in der Wolke, – pfui über die läppische Fratze!« – er schlug nach dem unschuldigen Model, »in der Wolke ein Götterbild. So schön, so schön! Keine so schön im ganzen Haus. Alle, alle starrten sie an. Und der Hals, die Arme! Marie, ihr Handgelenk hätte sie sonst verbergen mögen vor Dir und mir, und für diese Fremden nackt und bloß! Aber für mich auch. Ich habe sie auch gesehen, alles gesehen, haha!«

Er lachte wild auf und starrte wie verzückt. Die unschuldige Marie überrieselte es heiß und kalt.

»Alles gesehen!« wiederholte er murmelnd. »Ich sehe sie noch, ewig, ewig! Und ich will, ich muß sie wiedersehen!«

Er stand eine Weile unbeweglich; dann erschreckte er jach vor seinem langgestreckten Abendschatten und stürmte, ohne Lebewohl, dem Thore zu.

Woher schlich er bei jedem Morgengrauen, und wohin floh er nach jedem Sonnenuntergang? Nach dem Lusthause am Seeufer, auf dessen Stufen er jenseits den Burgthurm ragen sah, das Licht im Brautgemach verlöschen, einen weißen Schatten vom Söller verschwinden sah. Nur aus der Ferne sie gewahren, sie gewahren wähnen, die ihm von der Wiege ab vor Augen gestanden, die ihn von sich gestoßen und gesagt hatte: »Ich liebe Sie nicht!«

»Und sie liebt mich doch!« rief er aus. »Sie hat mich geliebt und sie soll, sie wird mich wieder lieben. Der, den sie liebt, und der, den sie gehen hieß, das sind Zwei. Weil meine Hände rauh sind, weil ich rede aus dem Herzen heraus, weil mir die Arbeit anklebt, darum verachtet sie mich. Aber meine Hände sollen weich werden wie die ihren; ich werde aus dem Kopfe reden lernen wie die Anderen; ich will ein Herr werden, ja ich will! Und dann – – Du schüttelst den Kopf, Marie? Du hältst es für eine Kunst, Marie? Bah! Nichtsthun und Geld haben ist ihre Kunst! Goldlack, Goldlack, – das ist ihre Kunst!«

»Kein Firniß verbirgt das Geäder des Holzes, Du solltest das wissen, Meister Gotthold,« widersprach die Schwester mit erzwungenem Lächeln.

»Du kennst sie nicht, diese Großen, Marie,« unterbrach er sie heftig. »Was schiert sie das Geäder, was schiert sie der Kern? Laß den Wurm drin sitzen, aber das Gestell von Außen gleißen und Du bist ihr Mann. Goldlack, Goldlack, Marie! Die haben Freiheit, Marie, die, die! Wenn ich ein Junker hieße, wenn ich Geld hätte, ich, Marie, so schlecht und recht wie ich bin, mit weit Geringerem noch im Kopf und im Herzen, im Herzen, – nichts: wenn ich Geld hätte, ich wäre dennoch ein Herr. Wer ist so wenig ein Herr, ein Herr wie er im Buche steht, als unser Graf mit seinem Sparren und seinem Buckel und mit dem braven Herzen, das dem Geringsten seine Ehre widerfahren läßt? Ziehe einem Bürgersmann, einem armen Teufel, ziehe mir seine Possenjacke an, Marie: Hundsloten trieben sie mit mir, in's Tollhaus sperrten sie mich. Ihm lassen sie's gelten; ihm schmeicheln sie, vor ihm bücken sie sich, ihn beschmarotzen sie, ihn beuteln sie aus. Selber die Majestät nennt ihn: guter Freund; denn er trägt eine Grafenkrone unter seiner Schellenkappe und die Schellen sind von Gold. Und die Anderen, die sind wie er nicht ist, der unschuldige Kauz, die trinken und spielen und machen Schulden und – ich wills vor Deinen Ohren nicht sagen was noch sonst, Marie. Trieben, wir, wir, ich und meines Gleichen es wie sie: Nichtsnutze hießen wir, Tagediebe, Wichte, Schurken, Hallunken hießen wir; ausweichen thäten sie uns wie einem räudigen Hund; in die Correction steckten sie uns. Sie stolziren unter den Ersten und Besten, denn sie sind Cavaliere und reich. Für voll gilt jeder, der einen Namen hat und Geld. Sieh die Chanoinesse an, Marie, so simpel wie sie ist, könnte sie nicht jede Stunde eine Nätherin sein wie Du?«

»Aber ich schwerlich eine Dame wie die Frau Chanoinesse,« versetzte Marie.

»Regine könnte es, Marie.«

»Regine ist es von Natur, lieber Gotthold. Es liegt ihr im Blut.«

»Und ich kann es auch, ich auch. Ich kann auch ein Herr sein, Marie. Nur Geld, Geld! Gentleman heißt es heut zu Tag, nicht mehr Edelmann wie sonst. Nicht mehr das Blut, das Gut macht den Mann. Gentleman! Ein voller Beutel in mäßiger Hand und mir läßt was ihnen läßt, und mir schmeckt was ihnen schmeckt, und ich bin fein und frei und edel, und ich bin ein Herr wie sie.«

An derlei halb wilde, halb läppische Auslassungen hatte der arme Liebesnarr sich gewöhnt in den wenigen Tagen, daß er das gute Mädchen allmorgendlich beim Erwachen in seiner Kammer fand, das Frühstück bereitend und Ordnung schaffend um ihn herum. Sie war seine Vertraute geworden; ein Trost für sie selbst, und vielleicht eine Rettung für ihn. Im Uebrigen schwärmte er die Nächte, lungerte die Tage hindurch, studirte den Gecken und zerrieb sich in heimlicher Noth und Angst, daß Einer der Glücklichen, in deren Kreis sein Götzenbild gestellt worden war, ihm dasselbe entreißen könne, bevor er selber die goldlakirte Hand danach habe ausstrecken dürfen.

So zornig ihn an jenem ersten Morgen eine Mißdeutung des von Reginen eingegangenen Verhältnisses gestimmt hatte, an den Grafen als einen ernstlichen Nebenbuhler dachte er nicht; ja er lachte hellauf, als seine treue Pflegerin ihn auf die Möglichkeit dieser Heirath vorzubereiten suchte.

» Die und der!« rief er belustigt. » Die und der; male es Dir doch aus, Marie, die und der Arm in Arm, hahaha! Weißt Du noch das Bild im Märchenbuche, das mein Vater hatte? Die Schöne und das – – nein, nein, sei still, ich spreche es nicht aus. Der brave Herr, Gott erhalt' ihn! Aber die und der, das Märchenbild, haha!«

Nach einer Pause fuhr er indessen ernsthafter fort: »Nein, den liebt sie nicht, Marie, den nimmer. Was ist denn lieben, Marie, was, was?«

»Mit Worten weiß ich's nicht zu sagen,« antwortete sie leise mit gesenktem Blick.

»Aber ich, ich! Ich weiß es zu sagen, Marie, lieben ist, schön sein für einander; lieben ist, wohl sein beieinander; lieben ist, seine Arme ausstrecken nach einander; das ist lieben, Marie.«

Sie schüttelte unbefriedigt den Kopf; er aber rief, heftig im Zimmer auf- und niederschreitend: »Ja, ja, das ist's! Und nun denk' es Dir aus, Marie: Der soll ihr schön sein, Marie? Bei dem soll ihr wohl sein? Nach dem soll sie verlangen? Nimmer, nimmermehr!«

»Aber er nach ihr, armer Gotthold,« entgegnete Marie.

Er stand still und sann ein paar Augenblicke.

»Nein, nein!« sagte er dann halb zu sich selbst. »Nein, nein! zum Lieben gehören Zwei. Einer allein, das ist – Schrulle. Wüßte ich, daß sie mich wirklich nicht liebt, wüßte ich nicht, daß sie mich dennoch liebt – – ja, ja, Einer allein, das ist Schrulle.«

»Aber Schrullen hat ja eben der Graf, wie Du sagst, lieber Gotthold.«

»Schrullen ja freilich; aber Schrullen im Kopfe, nicht im Herzen, Marie. Der liebt keine, der weiß nicht was lieben heißt.«

»Frevle nicht, Gotthold, lästere nicht«

»Freveln, lästern? Just das Gegentheil, Marie. Ist lieben denn Tugend, Marie? Gut sein, wohl meinen, ei freilich, das ist seine Sache; liebhaben, ja wohl jeden Bettler und jedes Kind, Steinbilder und Farbenbilder und sich selbst zu allererst, – aber lieben, was lieben heißt, hier, hier,« – er schlug mit beiden Fäusten gegen seine Brust, – »lieben wie Mann und Weib: nein: der nicht, der nicht! Der will zu Vieles, um nach einer Einzigen zu begehren. Der nicht«

»Mancher heirathet wohl auch ohne das, was Du lieben nennst, Gotthold. Und Regine? bedenke doch, Gotthold, er stellt sie so hoch durch seine Wahl; sie ist so anders als wir Anderen und Dankbarkeit, Mitleid –«

Ein Hohngelächter unterbrach sie. »Mitleid, Dankbarkeit, Regine? hahaha!«

»Sie hat doch ein Herz, Bruder.«

»Ein Herz, solch ein Herz? Bah! Nicht so viel!« Er schnippte mit den Fingern durch die Luft und äffte: »Verlassen Sie mich, ich liebe Sie nicht.«

»Und doch liebt er sie und kann sie nicht lassen,« murmelte das junge Mädchen, seine Hände ringend.

Er hatte ihre Worte gehört und versetzte trotzig: »Nein ich kann sie nicht lassen, und wenn ich's könnte, ich wollt' es nicht. Mein Recht, mein Recht! Kein Mann läßt von seinem Liebesrecht, Marie. So lange sie mich liebt, ist sie mein. Und sie hat mich geliebt. Sie liebte mich in dem Augenblicke, wo sie mir die Hand drückte und schwieg; und in dem andern Augenblicke, wo sie mich von sich stieß und sprach: ›Ich liebe Sie nicht,‹ da liebte sie mich erst recht. Sie hat mich geliebt und sie soll mich wieder lieben. Sie wird mich wieder lieben, wenn ich der geworden bin, der ich werden kann und will. O, nur Geld, nur Geld!«

Geld, Geld! So schrie der arme Monomane. Die Ersparnisse seiner fleißigen Jahre waren binnen wenigen Tagen in Speculationen und eitlen Anschaffungen vergeudet; er darbte an seinem Leibe, nicht weil er keinen Hunger, aber weil er kein Geld mehr hatte, den Hunger zu stillen und gewöhnte sich immer mehr, die schwindenden Kräfte durch zerstörende Reizmittel zu ersetzen. Die bloßen Worte: arbeiten oder verdienen brachten ihn in Wuth, mit allem Eigensinn der Narrethei klammerte er sich an den Treffer, der ihn im Handumdrehen zum Herrn; zu »ihrem« Herren machen sollte. Die goldtreue Freundin sah seine Unrast von Tage zu Tage wachsen und baute im Stillen den Plan, der ihn vor dem Aeußersten bewahren sollte, bis der Kampf der Naturen sich in ihm entschieden haben würde.

Der Tag, auf den er mit Leidenschaft gehofft, brach an. Er hatte, seitdem er von seiner nächtlichen Streiferei zurückgekehrt war, kein Auge geschlossen; das Bett nicht berührt. Marie fand ihn bereits angekleidet, in wilder Hast die Kammer auf- und niederrennend und mit unverwendetem Auge dem Zeiger an der Uhr bis zum verhängnißvollen Glockenschlage folgend. Dem Glockenschlag zur letzten Ziehung! Der höchste Gewinn lag noch in der Urne; nicht für ein Loos, für so und so viel im Schweiße des Angesichts erarbeitete Loose hing der Treffer noch in der Schwebe. Es sollte und mußte ein Treffer sein; er wollte nicht zweifeln, malte sich nur immer von Neuem die Scene aus, wo er mit seinem geckischen Herrenstaat, mit der Herrensprache des Kopfes und dem Herrenrechte eines vollen Seckels mitten unter die Bewerber der stolzen Schönen treten, sie alle zu Boden schmettern und von ihren Lippen vernehmen werde: »Ich liebe Dich doch!«

Ohne einen Tropfen, noch Bissen genossen zu haben, ohne Lebewohl stürmte er fort. Marie begleitete ihn nicht wie andere Tage; sie trat an's Fenster und blickte ihm nach. Unsicheren Schrittes, bleich wie ein Gespenst wankt er aus dem Hause und in den Hökerladen gegenüber; keck und trotzig, eine Fieberröthe auf der Stirn, kehrt er nach wenig Minuten zurück, schiebt den Hut auf's Ohr zwängt das Glas in's Auge, läßt die Sporen klirren und schreitet glückessicher voran.

Marie Willig sank auf die Kniee. Seit acht Tagen und Nächten waren alle ihre Gedanken eine einzige stumme Fürbitte für den bedrohten Freund. Jetzt flehte sie mit lauten Worten um sein wahres Gut. Ob dieses Gut das Weib war, das er also liebte, nur so, wie sie es nicht begriff? Sie hoffte und fürchtete es zu gleicher Zeit. Sie scheute seinen Kampf, nicht den ihren, bis zu der Stunde, wo er einsehen würde, daß sein Glück nicht das Weib war, das er also geliebt und also erstrebt hatte. »Gieb was ihm gut ist, lieber Vater im Himmel, was ihm gut ist,« flehte Marie.

Mit diesen Worten erhob sie sich, prüfte noch einmal und traf die Einrichtungen für die Zukunft, wenn sein Glück nicht der Treffer war. Aber wie bleiern rückten die Stunden, wie endlos dehnte dieser Sommertag sich hin! Es dunkelte bereits: die Ziehung mochte längst geschlossen sein, und er war noch immer nicht zurück.

Endlich, endlich, – Marie hörte ihr Herz in jedem Aderschlag, – endlich ein Schritt auf der Stiege: schwankend, schlotternd, nicht der Tritt eines Glücklichen; eine Hand tastete an der Klinke, Marie gab von Innen den Druck und mit einem dumpfen Schrei stürzte der Enttäuschte sinnlos zu Boden.

Die Schwester hatte, welcher Art die Entscheidung auch sein mochte, seine Erschöpfung vorausgesehen und eine nahrhafte Mahlzeit bereit gehalten. Zwei tolle Wochen entnerven eine kräftige Jugend« nicht bis in's Mark; schon ein paar eingeflößte Löffel Brühe gaben ihm seine Sinne zurück; kaum erholt, verschlang er mit Wehrwolfshunger Alles was Marie ihm bot, fühlte sich so rüstig wie in den Tagen der Arbeit, sprang in die Höhe, als hätte er's versäumt und wollte fort.«

»Einen Augenblick, Lieber!« sagte Marie, indem sie ihn lächelnd an der Hand zurückführte, »Du sollst etwas für mich thun, das mir sauer fallen würde, und Dir, gelerntes Schulmeisterchen, ein Kleines ist. Nur einen Brief schreiben,« gab sie darauf seinen ungeduldig drängenden Blicken zur Antwort, »einen Brief an die Frau Chanoinesse. Für mich, in meinem Namen, Gotthold,« setzte sie hastig hinzu, da sie sein unwilliges Kopfschütteln bemerkte.

Sie hatte während dieser Worte den Tisch abgeräumt; nun drängte sie den Unruhigen auf den Stuhl zurück, kramte zwischen Bürsten und Büchsen das Schreibgeräth hervor, daß dem armen Weibesknecht bei seinen Uebungen im Herrenstil gedient hatte, und neben ihm stehend, die Hand auf seiner Schulter, enthüllte sie das Folgende von ihrem festgestellten Plan.

»Gotthold, ich verlasse den Dienst; Du hast Dich selbst verbannt, ich bin verwiesen worden. Ich seh' es jetzt klar; die gute Dame hatte nur nicht das Herz, es so auf der Stelle auszusprechen. Ich erzeige ihr eine Wohlthat, wenn ich ihr das Wort aus dem Munde nehme. Das sollst Du ihr schreiben, kurz und bündig, die Wahrheit unverhehlt; sollst ihr noch einmal danken für ihr menschenfreundliches Gemüth und daß ich den Vorauslohn, den ich nicht verdient habe, bei den alten Leuten zurück lasse, und die Uhr zum Andenken bewahren will so lange ich lebe und, – und – und –« ein Schluchzen hemmte sie, – »und, Gotthold, – weiter nichts« –

Er hatte keine Rast zur Verwunderung oder Prüfung, denn es drängte ihn fort; auch lag eine vornehme Ablehnung in seiner angenommenen Rolle, nur daß er, ohne der Schwester ausdrückliches Verlangen, den Dank fortgelassen und das Geschenk mit dem Lohne zurückgeschickt haben würde. So schrieb er denn schweigend im Fluge das Blatt, wies mit dem Finger auf die Stelle, an welche sie ihren Namen setzen sollte und zog eine Freimarke hervor, die er für seinen Werbebrief bereit gehalten hatte.

»O, nicht nöthig das, Gotthold!« meinte die Schwester lächelnd. »Ich bin es ja, die schreibt und bis zur Antwort stehe ich im Dienst.«

Aber er that es doch, siegelte mit seinem neuen Ring und steckte den Brief ein, um ihn bei Wege in den Kasten zu werfen. Bereits unter der Thür, fiel es ihm ein, zu fragen: »Du willst nach Hause zurückkehren, Marie?« Es war das erste Wort, das er sprach und ohne einen Klang des Bedauerns.

»Nein,« antwortete Marie, ihre Thränen tapfer hinunterkämpfend. »Nein, Gotthold, vor der Hand nicht. Mit der Zeit mag sich ein anderer Dienst aufthun. Einstweilen finde ich Beschäftigung in dem Magazin, an welches die gute Dame mich empfohlen hat. Der andere Giebel hier im Hause ist frei, da richte ich mich ein. Du siehst mich doch dann und wann einmal gern, lieber Gotthold, nicht wahr? Ich koche und wasche für Dich mit, – Du giebst mir Kostgeld, versteht sich. Ein Jeder geht seinem Wesen nach. Wir essen zusammen und leben mit einander wie Bruder und Schwester, die wir ja eben sind, vor Gott und Menschen sind.«

So unruhig und eilig es ihn trieb, so breit sich Leidenschaft und Narrethei in ihm gemacht hatten, er war zu lange ein vernünftiger, herzlicher Gesell gewesen, als daß er den mahnenden Ernst nicht hätte spüren sollen, der sich hinter dieser bescheidenen Rede barg: »Marie«, Goldmarie!« flüsterte er und zog sie an seine Brust; seine Augen standen voll Thränen. Sie hätte jauchzen mögen in ihrem Glück; die Gute wähnte sich bereits am Ziel. Sie hing sich an seinen Arm und ließ sich von ihm nach dem Herrenhause zurückführen, in welchem sie die letzte Nacht zu schlafen gedachte.

Anderen Tages empfing sie brieflich ihre Entlassung; in den gütigsten Worten, ja mit einem Dankesschluß abgefaßt; und ward der zurückgewiesene Lohn so dringend als Reisepfennig dargeboten, daß das bescheidene Kind, nicht länger Bedenken trug, ihn anzunehmen. Doch hatte sie wohlbedacht in ihrem Schreiben, wie im Gespräch mit dem Kastellanenpaar weder ihres gegenwärtigen Zufluchtsortes, noch ihrer Zukunftspläne erwähnt und ließ die Anfragen nach beiden unbeantwortet. Gotthold sollte durch etwaige Botschaften und Besuche nicht an die Burgbewohner erinnert, er mußte diesen Eindrücken mit Gewalt entrissen werden. Noch am nämlichen Tage siedelte sie nach dem Vorstadtshause über, froh ihres niederen Standes, der ihr ohne Aergerniß diese Freiheit gestattete. Ihre Bahn um Lohn und Brod war zu Ende und über dem drängenden Wechsel der Scenen auf der Schnakenburg ward die willige Eintagsdienerin bald so gut wie vergessen.

*


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