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Der Hauptmann setzte sich gemächlich, stellte die Kanne auf den Boden und betrachtete in unverhohlenem Behagen den Jüngling, welcher mit gekreuzten Armen nachlässig an der Wand lehnte. »Ihr habt einen unserer Bruderschaft gefährlich verwundet, und er wird Euer Blut fordern.«
»Bringt Ihr die Kanne, um es mir abzuholen, Meister Fleischhauer?« fragte Georg zornig.
»Ich kam zu Euch in guter Meinung, und es wäre klug von Euch, wenn Ihr die scharfen Reden unterließet.«
»Ich bin Eurer Hauptmannschaft für die gute Meinung verbunden,« versetzte Georg, »und bin bereit, Euch zu hören, schon deshalb, weil ich verhindert bin, Euch hinauszuschicken. Gefällt es Euch, beantwortet mir nur eine Frage: Seid ihr Landsknechte, die der Hochmeister geworben hat, oder seid ihr Räuber?«
»Darauf will ich Euch Bescheid geben aus guten Gründen, obwohl Ihr unhöflich fragt. Wir sind freie Knechte aus dem Reich und kamen hierher, vom Hochmeister geladen; wir dienten ihm, er aber zahlte uns nur kurze Zeit. Jetzt hausen wir hier und behelfen uns, so gut und übel wir können. Wir stehen unter dem Ordenspfleger der nächsten Burg und tun, wie er gebietet, wenn nämlich sein Gebot unserer Bruderschaft gefällt.«
»Ihr nehmt euch also, wo ihr etwas erhalten könnt, von beiden Teilen?«
Hans zuckte die Achseln. »Auch wir freien Knechte müssen leben und zu unseren Tagen kommen. Heut wollen die Fürsten und Herren sich schlagen und morgen vertragen; wenn sie schlagen wollen, dann locken sie uns mit schönen Worten und hohen Versprechungen, die sie selten halten, und wenn sie sich vertragen wollen, so wünschen sie uns zu allen Teufeln. Wir aber sind's, die den Krieg führen, und hätten sie nicht uns, um ihre Händel auszufechten, so bliebe ihnen nichts übrig, als zu fauchen wie alte Kater, und einander durch heimlichen Mord aus dem Wege zu räumen.«
»Wie mögt ihr, da ihr so gering an Zahl seid, hier an der Grenze euch behaupten gegen die Polen des Königs und die Deutschen der Städte?«
»Gegen das fremde Kriegsvolk hat uns bisher Eisen und Blei gute Dienste getan, und mit den deutschen Knechten, welche sonst im Lande sind, halten wir Kundschaft, wie sich gebührt, denn wir denken: Heut Feind, morgen Freund.«
»Ihr sagt, daß ein Ordensherr euch an Stelle des Hochmeisters gebietet. Wie kann dieser mit solchem Vertrage zufrieden sein?«
»Vielleicht ist dieser Vertrag ihm selbst nützlich. Kommt der Tag, wo der Kriegsherr uns gegen alte Genossen aufruft, so fragen wir zuerst, ob er sich ehrlich gegen uns gehalten hat mit Sold und Zufuhr und ob auch wir ehrlich gegen ihn sein müssen. Und wenn wir befinden, daß er ein Recht an unsere Hälse behaupten kann, so wagen wir uns für seine Sache, und die andern, gegen die wir losschlagen, handeln ebenso. Dann müssen sich alte Kameraden im Herrendienst einmal die Wämser zerstoßen und auf brauner Heide ihr Leben geben und nehmen. Das aber geschieht nach redlichem Handwerksgruß, und keiner darf dem andern wegen Leibesschaden und Tod einen Groll in jenem Leben nachtragen. Dort drüben der polnische Starost unterhält auch deutsche Landsknechte, die in ihrer Not zu den Polen übergetreten sind und die Ihr heut früh gesehen habt. Auf der Heide ist eine Stätte erkoren, welche Frieden hat, an dieser begrüßen wir uns zuweilen, und der eine erfährt im voraus, was ihm von der andern Seite gebraut wird.«
»Wo die Füchse einander gute Nacht sagen, finden die Hasen übles Lager. Verdammt, daß ich jetzt euer Hase bin. Auch der Gesang eurer Kinder hat aufgehört; zürnt nicht, wenn ich Euch bekenne, daß ich ihn lieber höre als Eure Erzählung.« Er schwang sich wieder auf das Fenster und rief hinaus: »Seid ihr da?«
»Ja«, schrien viele Kinderstimmen.
»So singt mir noch eins zum Angehör. Kennt ihr das: Ducke dich, Hansel, ducke dich, das Wetter wird vorübergehn.«
Kräftig schrie der Chor draußen die Weise.
»Und was denkt Ihr jetzt mit mir zu beginnen?« fragte Georg, zu dem Landsknecht zurückkehrend.
»Die Bruderschaft hat ein Recht auf Euch gewonnen, und sie wird sich's einfordern, so oder so.«
»Und was will sie mir antun?«
»Entweder wird sie Euch hinstellen vor den Verwundeten und seine Freunde, damit ihre Waffe Euch den Arm abhaue, den Ihr einem Knechte geschädigt habt.«
»Teufel, Hauptmann, Ihr übt groben Brauch, daran ist mir nichts gelegen. Und welches andere Recht könnten sie noch gegen mich behaupten?«
»Daß Ihr selbst in die Bruderschaft tretet.«
Georg lachte: »Und daß ich ein Mausekopf werde wie ihr andern. Auch dies steht mir nicht an, findet bessere Hilfe. Was sagt Ihr zu einigen Batzen Lösegeld? Laßt uns versuchen, ob gute Leute in meiner Vaterstadt das für mich aufbringen.«
Hans schüttelte den Kopf. »Ich sorge, daß die Knechte sich damit nicht zufriedengeben, zumal sie nicht alles erhalten würden; denn wenn Geld gezahlt wird, so nimmt sich einen Teil der deutsche Ordensherr.«
Georg stellte sich vor den Landsknecht und begann in verändertem Ton: »Ihr seid zu mir gekommen, wie Ihr sagt, in guter Gesinnung, und wahrlich, an Eurem breiten Gesicht erkenne ich, daß Ihr es nicht übel mit mir meint. Sprecht, ob Ihr mir und der Jungfrau von hier forthelfen könnt; denn obwohl ich jetzt so arm bin wie eine Kirchmaus, glaube ich doch, daß ich Euch einen Zehrpfennig für Eure alten Tage schaffen kann, der Euch aller späteren Sorge entheben wird, wenn heute oder morgen diese wilde Wirtschaft aufhört.«
Hans hob die Kanne. »Das war ein verständiges Wort, und ich will Euch meine Meinung sagen, wenn Ihr mir erst willig Bescheid getan habt.«
Georg nickte. »Trinkt mir zu auf gutes Geschäft, ich folge Euch.« Sie tranken und schüttelten einander die Hände; darauf sagte Hans: »Ich kann Euch nicht von hier lösen, wie Ihr meint, und ich würde es auch nicht tun, selbst wenn ich's vermöchte. Denn ich will gegen meine Gesellen nicht unehrlich sein, und ich würde schwerlich lange am Leben bleiben, um das Geld zu genießen. Darum wiederhole ich mein Angebot. Ich will nicht, daß Ihr ein gemeiner Landsknecht werdet, sondern daß Ihr den Brüdern die Fahne tragt. Uns ist der Fähnrich gestorben, und Wuz, der jetzt an seiner Stelle das Tuch schwenken muß, taugt ganz und gar nicht dazu und begehrt sich selbst die Ehre nicht. Und um Euch alles zu sagen, Ihr habt mir gefallen, und ich möchte Euch darum retten und für den Haufen bewahren.«
Wieder lachte Georg. »Ich bin dankbar für die zugedachte Ehre. Doch ist mir noch undeutlich, für wen ich nach Eurem Willen die Fahne schwenken soll. Ist's der Hochmeister oder der Ordenspfleger oder Herr Omnes, der Hauf Eurer Knechte?«
»Das Fahnentuch weist die schwarzen und weißen Rauten und an der Ecke das Ordenskreuz«, antwortete der Hauptmann.
»Und wenn es den Knechten gefällt, ihren Herrn zu wechseln?«
»Der Fähnrich gelobt sich der Fahne; nur solange Ihr des Hochmeisters Farben tragt, seid Ihr gebunden.«
»Der Krieg ist beendet, ein Stillstand geschlossen. Wie lange denkt Ihr hier noch zu dienen?« fragte Georg.
»Bis der Hochmeister uns ablohnt«, versetzte Hans. »Zahlt er dem Fähnlein morgen aus, so seid Ihr morgen frei. Doch«, fügte er schlau hinzu, »es kann auch länger dauern.«
»Jedenfalls lange genug,« sagte Georg ernsthaft, »um Eurem Fähnrich Ehre und Gewissen in Bedrängnis zu bringen. Denn, Hauptmann, nach allem, was Ihr erzählt und was ich gesehen, haust ihr in einer Weise, die mir nicht gefällt.«
»Auch dabei hat der Fähnrich mitzureden«, antwortete Hans; »Euch steht es zu, die Ehre der Fahne gegen die Knechte zu vertreten, und dem ganzen Haufen liegt daran, daß Ihr selbst an unehrlichem Werke keinen Anteil habt. Wenn Ihr Euch weigert, die Fahne fliegen zu lassen, weil Unehre geübt ist durch einen oder viele, so muß der Haufe den Schaden bessern oder in Schimpf dahinleben. Ist vielleicht in dieser Zeit, wo uns ein sicherer Fähnrich fehlte, allerlei geschehen, was besser unterblieben wäre, so könnt Ihr helfen, daß es künftig vermieden wird. Laßt Euch sagen, daß Ihr mir gerade darum wohl ansteht, weil ich Euch als einen stolzen Gesellen erkenne. – Ich weiß jetzt auch durch die Gefangene, wer Ihr seid und daß Ihr von Eurer Vaterstadt nur wenig zu hoffen habt, denn Ihr seid dort strengem Recht verfallen, und das Polenreich ist Euch zugesperrt.«
Zum erstenmal merkte Georg, daß er im Elend war, und sah schweigend vor sich hin, während der Hauptmann schloß: »Darum denke ich, daß Euch mein Angebot genehm sein könnte. Wollt Ihr nicht, auch gut. Dann bleibt mir nichts, als über Euch, wenn Ihr auf dem Boden liegt, das Kreuz zu machen.«
»Droht mir nicht, wenn Ihr mich haben wollt,« rief der Jüngling unwillig, »denn durch Schrecken gewinnt mich niemand.«
»Dann rate ich, daß Ihr an andere denkt, die Euch vielleicht am Herzen liegen. Denn diesen vermögt Ihr jetzt nur beizustehen, wenn Ihr meinen Vorschlag willig annehmt.«
Georg überlegte. »Ich habe Euch gehört, jetzt merkt auch auf mich. Ihr seid dem Ordenspfleger dieses Amtes unterstellt, laßt mich vorerst mit ihm verhandeln; es soll Euer Schade nicht sein.«
Hans vernahm mit Mißvergnügen diesen Vorschlag. »Ihr setzt Euch aus dem Regen in die Traufe. Dennoch mögt Ihr erkennen, daß ich Euch gern gefällig bin. Wir haben nicht nötig, deshalb Reisestiefel anzuziehen, denn er kommt sicher noch heut, um die Beute zu besehen.«
Vom Tore her tönte dumpfer Trommelschlag. Hans erhob sich ärgerlich. »Ich wußte, daß er gute Nachbarschaft halten würde; folgt mir und harret, bis ich Euch zur Unterredung führe.« Der Hauptmann trat mit seinem Gefangenen in den Hof, die Knechte in der Nähe des Tores liefen mit ihren Spießen und Rohren herzu und stellten sich auf. Durch die Stadt sprengte ein Trupp Reiter nach der Höhe, an ihrer Spitze der Pfleger der nächsten Ordensburg. Er trug wie mehrere seiner Begleiter, welche die Gelübde abgelegt hatten, auf dem weißen Mantel das schwarze Kreuz; neben ihm ritt seine Traute, ein prächtiges Weib im roten Samtpelze, mit wallenden Straußfedern auf dem Hute. Sie bändigte ihr mutiges Roß wie ein Mann und sah, an Bewunderung gewöhnt, herausfordernd in die Reihen der Knechte. Als die Schar im Hofe anhielt, rief der Pfleger mit nachlässiger Vertraulichkeit dem Hauptmann zu, indem er auf die Wagen wies: »Meine Bären kommen voll vom Honigbaum, und der Seim trieft ihnen vom Fell.«
»Herr Reinecke trabt auch herzu«, brummte der Landsknecht und zog seinen Hut ab. »Was wir gebeutet haben, ist fast nur Brotkorn; den Mäulern meiner Kinder tat es not, Euch wird es wenig frommen.«
»Mir ist von Kaufmannsgut berichtet,« versetzte der Ordensmann eifrig, »weist meinem Schreiber die Ware.« Als er vom Pferde stieg, fiel sein Blick auf Georg, und, unwillig über den fremden Zeugen, rief er: »Welchen unberufenen Gast habt Ihr hier? Seit wann ladet Ihr Gefangene zu den Geschäften mit meinem Amt?«
»Der Junker begehrte dringend, Euch selbst zu sprechen, und ich wollte nicht verhindern, was Euch lieb sein konnte.«
»Ihr also seid der Bürgersohn aus Thorn?« fragte der Pfleger mit finsterer Miene.
Georg las in dem harten Gesicht, aus welchem zwei scharfe Augen auf ihn stachen, nicht viel Gutes für sich, und sein Stolz bäumte sich auf: »Ich bin Georg König, einer von den Brüdern des Hofes zu Thorn; bei friedlicher Fahrt auf dem Strome wurde ich durch diese Knechte gefangen herbeigeführt, obgleich ein Stillstand geschlossen und die Stromfahrt freigegeben ist.«
»Uns ist darüber keine Nachricht zugegangen,« erwiderte der Ordensherr abweisend, »und Ihr seid nach Kriegsbrauch gefangen.«
»Ob ich mit Recht oder Unrecht angehalten wurde, das mag verhandelt werden zwischen dem Hochmeister, Eurem Gebieter, und meinem Geschlecht. Unterdes bitte ich Euch geziemend, daß Ihr es übernehmt, Seiner fürstlichen Gnaden, welcher ich von Angesicht wohlbekannt bin, ein Schreiben von mir zugehen zu lassen und bis zu der Antwort Eures Gebieters die Entscheidung über mein Lösegeld und über das meiner Mitgefangenen hinauszuschieben.«
»Ich bin kein Bote für Eure Briefe«, beschied der Pfleger geringschätzig. »Hat Euch der Hochmeister in Wahrheit je gesehen, so hat er Euch längst vergessen.«
»Herr Albrecht hat, da er als Gast in meines Vaters Hause weilte, mir wiederholt in Hulden sein Schloß zu Königsberg als meine Gastwohnung angeboten, wenn ich einmal das Ordensland beträte. Darum, meine ich, hat er ein Recht zu erfahren, daß ich hier mit Gewalt zurückgehalten werde.«
Ein Weißmantel aus dem Gefolge ritt zum Pfleger und sprach ihm in das Ohr, das Gesicht des Ritters erhielt einen entschlossenen und bösartigen Ausdruck. »Es ist weit von hier bis nach Königsberg«, antwortete er endlich; »und ich versage Eurer Rede den Glauben.«
Da rief Georg zornig: »Ihr seid Pfleger dieses Amtes, damit Ihr im Namen Seiner fürstlichen Gnaden Recht und Gesetz handhabt; verweigert Ihr mir in meiner Bedrängnis, was mein Recht und Eure Pflicht ist, so mögt Ihr die Folgen auf Euer Gut und Leben nehmen; denn ich sage Euch, Herr, Ihr werdet es entgelten, entweder mir oder anderen, welche das Unrecht an Euch rächen.«
»Ihr kräht zu laut, junger Hahn aus dem Bürgerhofe«, entgegnete der Ordensherr mit unheilverkündendem Blick und wandte sich kurz ab. Aber Georg, dem das Blut wallte, fuhr heftig fort: »Außer mir ist eine ehrbare Jungfrau hergeführt worden; haben die Herren vom schwarzen Kreuz vergessen, daß Frauen frei ausgehen beim Streite der Männer? Wir in Thorn vernahmen, daß es einst Ritterpflicht war, Frauen und Jungfrauen zu beschützen.« – Er hörte hinter sich die leise Warnung: »Schweig, du Tor«, und erkannte die Stimme seines Feindes Henner, aber unbekümmert um die Folgen fuhr er fort: »Ist ein Adliger von Ehre in der Nähe, so fordere ich ihn auf, daß er an seine Ehre und an seinen Eid gedenke.«
Der Pfleger lächelte. »Ist sie vom Adel?« fragte er, sich zum Hauptmann wendend.
»Es ist die Tochter eines lateinischen Lehrers«, erklärte dieser.
»Wenn sie jung und hübsch ist, so wollen wir dem frechen Gesellen den Gefallen tun und selbst den Schutz übernehmen. Führt sie herbei.«
Hans eilte nach der Kammer und brachte die erschrockene Anna in den Kreis. Der Ordensherr sah sie sorgfältig an und nickte seinen Begleitern zu. »Seid guten Muts, Jungfer, Ihr sollt nicht lange in der Hut dieser bärbeißigen Knechte verweilen.« Er winkte dem Hauptmann, daß er die Gefangene zurückführe, und stieg, ohne Georg noch einmal anzusehen, auf sein Pferd. Die Frau im roten Samtpelz aber rief: »Wir danken für die Gesellschaft der bleichwangigen Dirne; wollt Ihr jemand von hier in das Schloß laden, so fordere ich diesen mit dem krausen Haare zu meinem Dienst«, und sie trieb ihr Pferd mit einer Wendung an Georg vorüber und schlug ihn mit ihrem Handschuh an die heiße Wange. Das Gefolge des Pflegers lachte, er aber warf ihr einen finstern Blick zu und ritt schweigend nach dem Tore. Dort sprach er längere Zeit mit dem Hauptmann, dann winkte er mit der Hand, und der Reiterzug sprengte abwärts durch die Gassen der Stadt.
Georg stand allein im Sturm seiner Gedanken, da trat der Hauptmann zu ihm und begann in guter Laune: »Ihr habt den Ordensleuten den Trunk vergällt. Sonst mußten wir ihnen jedesmal auftragen, wenn sie uns die Ehre ihres Besuches erwiesen. Wenn diese Weißmäntel untereinander sitzen, so reden sie verächtlich von uns Knechten, als von treulosen Buben und Strauchdieben; wie sie selbst aber sind, habt Ihr wohl gemerkt. Und ich sage Euch, der ganze Haufen meiner Knechte ist ausbündig erfreut, daß Ihr dem Pfleger aufgetrumpft habt.«
»Was hat er mit der Jungfrau vor?« fragte Georg wild.
Hans zuckte die Achseln und erklärte, das nicht zu wissen.
»Gestattet, daß ich mit ihr rede«, bat Georg.
Der Hauptmann, welcher mißtrauisch die Folgen dieses Gesprächs erwog, schüttelte den Kopf. »Bedenkt, was ich einem Gefangenen gestatte, könnte ich den freien Knechten nicht verweigern. Die Magd bleibt heut im Verschluß meiner Alten. Wir aber kommen auf unsern Handel zurück. Auch die Knechte meinen jetzt, daß Ihr unser Fähnrich werden müßt. Ihr versteht die Worte zu setzen wie ein Schreiber, und das Feuer sprüht Euch aus den Augen. Ihr wart behende dabei, Euch den Pfleger zum Feind zu machen, und im Vertrauen, er riet uns, dem verwundeten Peter sein Recht an Eurem Leibe zu gewähren.«
»Um den Verwundeten sorge ich nicht schwer,« sagte der Jüngling, mit seinen Gedanken ringend, »gegen ein gutes Stück Geld verträgt er sich mit mir.«
»Vielleicht tut er das,« antwortete Hans, »vielleicht auch nicht; ich widerrate, daß Ihr Euer Schicksal in die Faust des wüsten Gesellen legt.«
»Hauptmann,« rief Georg, die Hand des Landsknechts ergreifend, »mein Roß stutzt und bäumt vor dem Graben, laßt mich kurze Zeit unter freiem Himmel allein, dann will ich Euch Bescheid sagen.« Der Landsknecht nickte und trat zurück, Georg schritt im Hofe auf und ab, endlich setzte er sich auf einen Stein unweit der Kammer, in welcher Anna verschlossen war. Es war still um ihn, am Abendhimmel trieben dunkle Wolken schnell dahin, darüber hellere in rötlichem Glanz; die Knechte standen mit untergeschlagenen Armen vor dem Tore, nur die Kinder des Haufens hockten nahebei auf den Balken, sie beobachteten den Gefangenen in Erinnerung an die gemeinsame Kunstleistung wie ein Flug Saatkrähen den Ackersmann. Jetzt benutzten sie die Stille, um zu seiner Unterhaltung das Lied: »O Schiffsmann« anzuheben, und sie sangen von der Jungfrau, welche aus dem Schiff in die Tiefe versenkt werden soll und der Reihe nach ihre Lieben zu Hilfe ruft; der Bruder kommt nicht, der Vater kommt nicht, aber der Geliebte hört und löst sie aus der Todesnot. Und als die Kinder schrien: »O Liebste mein, Leib und Seel' verkaufe ich, dein junges Leben rette ich, ich will dich nicht verlassen«, da sprang Georg auf und den Arm hebend, rief er: »Ich höre die Mahnung meiner Kantorei und sie hat das Richtige getroffen.« Und während die Bande noch über dem Liede sang, trat er zu dem Hauptmann und begann fröhlich: »Ich will Euer Fähnrich werden, und ich will mich Eurer Bruderschaft geloben für Leben und Tod, wenn Ihr mir die Rechte abtretet, die Euer Haufe an die Jungfrau als Eure Gefangene beansprucht. Ihr mögt sie schätzen und das Lösegeld von mir nehmen, aber sie wird, soweit Ihr ein Recht an ihr habt, mein eigen von der Stunde, wo ich mich Euch angelobe.«
»Sie soll Euer werden,« antwortete der Landsknecht, die Worte erwägend, »soweit der Haufe ein Recht an sie hat.« Und Georgs Hand schüttelnd, rief er: »Nichts Besseres konnte dem Fähnlein geschehen. Laß den Trommler anschlagen, Wuz, und die Alten zum Rate laden, denn ein wackerer Fähnrich ist gefunden.«
Unterdes saß Anna zwischen den Heubündeln ihrer Kammer; nach schlafloser Nacht und einem Tage unsäglicher Angst waren ihre Kräfte erschöpft, ihr Haupt auf ein Bund herabgeglitten und das Bewußtsein ihres Elends auf kurze Zeit geschwunden. Im Schlummer kam ihr vor, als ob Georg mit der Laute vor ihr stehe, und sie lachte ihn freundlich an. Da unterbrach Trommelschlag den friedlichen Traum, die Tür öffnete sich und die Frau des Hauptmanns trat ein, Anna fuhr in die Höhe. »Ihr habt nicht nötig, zu erschrecken, Jungfer,« begann die Alte freundlicher, als bisher, »Euer Schicksal wendet sich zum Bessern; das Fähnlein ist dabei, sich einen neuen Fähnrich zu wählen; hat er sich erst der Fahne gelobt, so will er die Sorge für Euch übernehmen, und von morgen gehört Ihr ihm an. Entsetzt Euch nicht, Jungfer, der neue Herr ist Euer guter Freund, der Junker, welcher mit Euch gefangen wurde.«
Da stieß Anna einen gellenden Schrei aus, warf sich auf die Knie und verhüllte das Haupt, und die Alte, welche sich über sie beugte, vermochte ihr keine Rede abzugewinnen.
Am nächsten Tage wurde das ganze Fähnlein aus der Stadt und den nächsten Dörfern zusammengeboten, und lange mit den einzelnen Haufen verhandelt. Endlich am Nachmittag war durch den Einfluß der Führer und Doppelsöldner die Einigkeit gewonnen, Georg trat in den Ring und legte das Gelöbnis ab, die Fahne wurde ihm angebunden, wie Brauch war, daß er sie in der Rechten trage und nach Verlust der Rechten in der Linken, daß er sie im Lager bewahre bei Tag und Nacht gleich einer Braut und beim Kampf sein Leben für sie lasse. Und als Georg die Fahne in der Luft schwenkte, so sicher wie ein alter Kriegsmann, freuten sich die Knechte. Er hatte bisher nicht gedacht, daß das Spiel des Artushofes bitterer Ernst seines Lebens werden sollte. War seine Wange auch fahler als sonst, er trug sein Haupt aufrecht und das Herz wurde ihm nicht schwer. Als alles nach Gebühr vollendet war und er die Knechte mit einer Ansprache begrüßt hatte, die dem Haufen wohlgefiel, löste der Hauptmann den Kreis und Georg begann: »Ich habe unsern Vertrag erfüllt, jetzt tut Ihr mir desgleichen und führt mich zu der Jungfrau.« Der Hauptmann nickte. Aber in demselben Augenblick rief die Wache vom Tor, daß ein Reiter herantrabe, und das Gesicht des tapfern Hans verzog sich in Unruhe und Verlegenheit. »Der Pfleger hat's eilig«, brummte er. »Gedenkt, Fähnrich, was ich Euch verheißen habe; das Anrecht, welches das Fähnlein an der Gefangenen behaupten kann, will ich Euch übergeben, mehr nicht; vielleicht ist es noch ein anderer, der ein Recht auf die Jungfrau für sich fordert.« Da faßte die Hand des Jünglings wie eine Eisenklammer in seinen Arm, daß er zuckte, und dem herantretenden Henner rief Georg entgegen: »Kommt Ihr, die Jungfrau nach dem Ordenshause zu holen, so steigt vorher ab und zieht Eure Waffe, denn ich weigere Euch das Weib.«
Aber Henner blieb sitzen und sah verwundert auf seinen Gegner, der die Fahne im Arm hielt und nicht als Gefangener, sondern in Waffen vor ihm stand. »Die Pest auf alle Weibernarren,« fluchte er; »meinetwegen behaltet Euer Liebchen, bis Ihr und sie mit Urenkeln gesegnet seid. Ihr habt heut nicht nötig, mich anzuschnarren, auch ich will Euch nicht auslachen, wie ich wohl könnte, daß Ihr ein Fähnrich dieser Klotzköpfe geworden seid; denn ich habe in meinen Tagen selber erfahren, wozu Not und Elend verleiten. Ich kam nur im Vorüberreiten herauf, um Euch zu winken, daß Ihr Euch mit der Jungfer fortmacht, was es den reichen Vater auch koste. Denn Ihr seid hier nicht gut daran, aber in dem Hause, aus dem ich komme, wäret Ihr oder eine andere, an der Euch liegt, völlig verloren. Doch ich sehe, Ihr habt Euch festgehakt und dem Teufel ein Recht über Euch gegeben«, und sich vom Rosse niederbeugend, sagte er leiser: »Die Jungfer wird dem Fähnlein abgefordert werden und die Knechte werden sie Euch zuliebe schwerlich verweigern.«
»Ich aber«, rief Georg.
»Bah, wie vermögt Ihr das, sie ist ja nicht Euer Eheweib. Und ich sage Euch, die Ordensdiener wären bereits hier, wenn der Pfleger nicht in ein Hindernis gefallen wäre. Er geriet gestern beim Trunke mit einem Adligen in Streit, vielleicht war es Euretwegen und wegen des blassen Magisterkindes. Das Eisen fuhr zu schnell aus der Scheide und er liegt jetzt mit einem Ritz im Leibe, der andere aber hat sein Pferd gesattelt und ist dem Hause entwichen, sich irgendwoanders Unterschlupf zu suchen. Benutzt die Frist, die Euch durch den Schnitt geworden ist, denn ich denke, allzuviel Zeit wird Euch nicht bleiben.«
»Der andere wart Ihr, Henner«, sagte Georg und streckte die Hand nach ihm aus. Henner ergriff sie: »Der Krug ist bezahlt, die zerschlagene Armbrust habe ich bei Euch gut.« Er wandte sein Pferd, um wegzureiten. »Verweilt noch, Henner«, rief ihm Georg zu. »Ich gedenke Euch als meinen Zeugen zu laden, wenn ich mir ein Eheweib gewinne.«
»Ich bin ein schlechter Hochzeitsgast,« versetzte Henner, »und ich will heut nicht mit den Knechten beim Trinkkrug niedersitzen, nachdem ich mich gestern mit den Herren gerauft habe. Fahrt wohl, Ihr stolze Distel von Thorn,« rief er lachend, »niemand weiß, was auf Erden noch aus ihm werden kann.« Er grüßte mit der Hand und sprengte aus dem Tor.
Georg trat zu dem Hauptmann. »Wird der Haufe das Eheweib seines Fähnrichs gegen die Begier eines Fremden schützen?«
»Wenn Ihr ein Eheweib gewinnt in Eurem Amte, so gehört das Weib zur Bruderschaft und die Knechte müssen es schützen. Wollt Ihr mit der Jungfrau in den Ring treten, so steht das bei Euch, wir werden uns nicht versagen. Und darf ich Euch raten, so tut zur Stelle, was Euch am Herzen liegt.«
»Öffnet mir die Kammer der Jungfrau«, forderte Georg.
Er trat schnell ein, in dem dämmerigen Raum sah er eine helle Gestalt, welche scheu zurückwich und den Arm ihm abwehrend entgegenhielt, er sah das verstörte Gesicht der Geliebten und zwei Augen, welche ihn angstvoll anstarrten. Da hemmte sich sein Schritt und er begann traurig: »Liebe Jungfer Anna, laßt Euch gefallen was geschehen ist, bei schlechtem Wetter ist jedes Obdach eine Hilfe.«
»Armer Georg,« klagte sie, »Seele und Seligkeit habt Ihr in Gefahr gesetzt.«
»Nicht also, liebe Jungfer, Seele und Leben hoffe ich zu bewahren, wenn Ihr mich nicht verlaßt, und ich komme Euch anzuflehen, daß Ihr bei mir aushaltet.« Er faßte ihre Hand, sie zuckte bei der Berührung, aber im nächsten Augenblick warf sie sich an seine Brust und weinte. Als sie sich aufrichtete, sah sie ihn zärtlich an wie eine Mutter ihr Kind und strich ihm mit der Hand über Haar und Stirn: »Armer wilder Knabe, was habt Ihr gewagt, warum habt Ihr Euch dazu gedrängt, das Opfer zu sein?«
»Nicht ich, Anna, das Größte müßt Ihr selbst wagen, denn Ihr könnt Euch nur retten, wenn Ihr Euch mir vermählt.«
Sie löste sich von ihm, und wieder sah er den scheuen Blick. »Der Ordenspfleger wird Boten senden, um Euch auf sein Schloß zu holen.«
»Habt Ihr kein Messer, das Ihr mir geben könnt?« rief sie mit rauher Stimme.
»Ich selbst und die draußen vermögen Euch zu schützen, wenn Ihr nach dem Brauch des Fähnleins mit mir in den Ring tretet und Euch mir zur Ehe angelobt.«
Sie sah ihn lange unsicher an, wie jemand, der den anderen nicht versteht, bis sie heftig ausrief: »Wo ist der Brautkranz? Kommt!« Aber sie wankte, und er hielt sie in seinen Armen fest.
Im Hofe klang wieder die Trommel und die Knechte traten zusammen, der Ring öffnete sich, als Georg das zitternde Weib in seinen Armen herausführte. Georg legte die Jungfrau seinem Gesellen Wuz an die Schulter, ergriff die Fahne und trat mit seinem Zeugen gegenüber; der Hauptmann stand in der Mitte, tat die Fragen und fügte die Hände zusammen. Wieder schlug die Trommel mit dumpfem Ton, Georg reichte die Fahne dem Hauptmann und dieser schwenkte das Fahnentuch über den Vermählten, damit die Ehe ehrlich werde und in den Schutz der Bruderschaft aufgenommen.
Georg rief: »Seid bedankt, Hauptmann und gute Gesellen.« Er raunte der Bewußtlosen zu: »Mein Weib«, hob sie mit starkem Arme und trug sie in den Turm. Hier setzte er sich mit seiner süßen Last auf die Bank, bedeckte ihr bleiches Angesicht mit heißen Küssen und vermochte nichts anderes zu sprechen als: »Mein liebes Weib.« Sie hing hilflos in seinen Armen und widerstrebte nicht, wenn er sie küßte. Aber als er sie mit heißen Augen zu sich emporhob, glitt sie an seiner Seite nieder auf den Boden und lag, die gerungenen Hände flehend ausgestreckt: »Um meinetwillen seid Ihr aus der Heimat geworfen, um meinetwillen in Not und Elend geraten, um mich zu retten, habt Ihr Euer Leben den furchtbaren Leuten angelobt; hier liege ich vor Euch, Leib und Seele sind Euch verfallen, Ihr mögt mit mir machen, was Euch gefällt.«
Er fuhr erschrocken zurück vor dem jammervollen Blick und hob ihr leise das Haupt: »Anna, ich hoffte, daß Ihr mich lieb hättet.« Sie seufzte fast unhörbar: »Wollt Ihr mich nicht ganz zerbrechen, so schont mich.«
Da wandte er sein Antlitz ab, um den Schmerz darüber zu verbergen, daß sein Weib sich ihm versagte, aber er vermochte nicht die Herrschaft über sich zu behaupten, der Sturm in seinem Innern hob ihm die Brust und er stöhnte laut. Sie lag regungslos vor ihm auf der Erde und heiße Tropfen fielen aus seinen Augen auf sie. So blieben sie lange.
Georg ermannte sich zuerst. Er berührte ihr leise den Arm: »Erhebt Euch, liebe Jungfer Anna, ich kann solchen Schmerz nicht ansehen. Dort über uns im Oberstock ist Euer Gemach, ward es auch nur notdürftig hergerichtet, es ist sicher. Zieht Ihr die Leiter hinauf, so vermag niemand zu Euch zu dringen. Gestattet mir, daß ich mit der Fahne hier unten hause, ich will Euch ein treuer Wächter sein.«
Sie erhob sich ohne seine Hilfe und wankte nach der Leiter, dort hielt sie sich fest, er aber stand abgewandt und starrte durch das Gitterfenster auf den grauen Wolkenhimmel; als er sich umwandte, war sie verschwunden. Da ergriff er seinen Hut und stürzte aus dem Turme.
Draußen empfing ihn der lärmende Zuruf seiner neuen Genossen, er sagte ihnen, daß sein Weib erkrankt sei, vernahm mit halbem Ohr ihre rauhen Scherze und ließ sich durch sie fortziehen zu dem Gelage, das der Hauptmann dem neuen Fähnrich zu Ehren für die Würdenträger des Haufens veranstaltet hatte. Erst in später Nacht kehrte er zum Turm zurück, er wankte in das Gemach, stieß hart gegen die Wand und sank mit einem unterdrückten Fluch auf sein Lager. Dort verlor er in bleiernem Schlaf die Empfindung seines Unglücks.
Es war still im Turme und man vernahm nur die schweren Atemzüge des Schlafenden; da fiel ein Lichtstrahl aus der Luke hernieder. Mit der Leuchte stieg ein angstvolles Weib herab, sie setzte sich an das Lager, rückte dem Schlafenden sorglich das Haupt zurecht und breitete eine warme Decke über ihn; lange saß sie auf dem Boden, lautlos mit gesenktem Haupte.
Das war für die armen Kinder der Tag ihrer Vermählung.