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Georg saß am Herde, hielt sein Kind in den Händen und sah unverwandt auf das kleine Gesicht. »Das erste Lachen soll die Mutter sehen«, rief er freudig und legte den Knaben schnell in Annas Arme.
»Wie soll es mit der Taufe werden, lieber Herr?«
»Sobald die Frau Fähnrich Gäste vertragen kann.«
»Ich denke, wir laden die Gevattern«, riet Anna. »Zuerst den Vater, dann die Hauptmännin –«
»Der dritte muß Henner sein,« fiel Georg ein, »denn als er neulich heranritt, dich zu grüßen, forderte er dies Amt als sein Recht, weil wir doch von den Vätern her Landsleute wären und er, wenn es mit rechten Dingen zuginge, der Oberherr unseres Knaben; dabei kam er wieder mit seinem alten Unsinn.«
Anna nickte. »Die größte Sorge ist in dieser Wildnis der geistliche Herr. Doch die Taufe wird heilkräftig durch jeden Geweihten.«
»Dann also fahre ich mit dem Schlitten aus und suche einen Priester«, beschloß Georg.
Durch Henner selbst wurden die Gatten dieser Verlegenheit enthoben. An einem der nächsten Tage schalt die Stimme Henners im Hofe. Er hielt zu Pferde neben einem Bauernschlitten, auf welchem unter Stroh und Decken ein hilfloser Kranker lag. »Dies Ungeheuer fand ich beim nächsten Dorfe geduckt in einer alten Weide und auf dem Wege, zu erfrieren. Da gerade die Kirchglocke läutete und heut Sonntag ist, tat ich ein übriges und warf es einem vorüberfahrenden Bauern auf den Schlitten. Wollt ihr es wieder lebendig machen, so steht das bei euch. Jedenfalls schneide ich ihm ein Ohr ab, das habe ich allen Brüdern seiner Art zugeschworen, denn es ist ein Mönch.«
Georg beugte sich über den Korb und erkannte erstaunt die entstellten Züge des Bruder Pankratius aus Thorn. Der Arme wurde in die Turmstube getragen und dort mit Mühe wieder zu Sinnen gebracht, so daß er seine Glieder regen und den Trank, welchen Anna ihm bot, einnehmen konnte. Unterdes saß Henner dem Kranken, welcher die frühere Wohlhäbigkeit gänzlich verloren hatte, feindselig gegenüber und enthielt sich nicht, ihn zu höhnen: »Ich kenne diesen Gesellen, er trug seine Kutte so stolz wie ein Freiherr und am Handgelenk einen Rosenkranz von roten Korallen, den ihm sicher ein frommes Beichtkind geschenkt hatte, und er spielte mit dem Kreuze, das daran hing. Er hatte auch einen Bisamapfel von Silber in der Tasche, aus dem ein Wohlgeruch kam, und wenn der Apfel duftete und der Mönch die Augen verdrehte, dann fielen die Weiblein nur so vor seine Füße. Wo blieb der Wohlgeruch, Bösewicht? Du riechst mir jetzt sehr nach armen Leuten; und wo blieb der silberne Ohrlöffel, den du vordem in der Hand schwenktest?«
»Ich war in den Händen Eurer Gesellen«, seufzte der Mönch.
»Haben diese dir den Sack ausgefegt, so haben sie ein gutes Werk getan, hoffe deshalb bei mir nicht auf Erbarmen.«
»Schweigt mit den wilden Worten, Junker, und schont den Unglücklichen«, mahnte Anna unwillig.
»Ihr mögt gut reden. Ich aber habe eine alte Rechnung mit seinesgleichen. Denn sie sind schuld, daß ich als armer Reiter im Stegreif traben muß, was mir bei meiner Wiege nicht gesungen wurde. Wißt, junge Frau, ich wuchs auf als Erbe eines alten Oheims, der guten Anteil an Burgen und Mühlen hatte. Da dieser kränklich wurde, riet ihm der Böse, nach Thorn zu ziehen. Dort schlichen die Brüder dieses Gesellen an sein Lager und erboten sich zu allem Guten unter dem Vorwande, daß ihre Regel ihnen die Pflicht auflege, Bedrängte aufzusuchen. So nisteten sie sich in seinem Hause ein. Dazwischen klagten sie viel über das Elend der Welt, über die große Not ihrer Brüder, und sie beschrieben ihre Armut, die sie täglich ertrugen, und ihre strenge Regel mit vielem Fasten und langem Chorsingen. Dann lobten sie ihm die Privilegien und hohen Freiheiten ihres Ordens, die zahllosen Messen, welche jedem im Himmel gutgeschrieben werden, welcher dem Orden Gutes tut, auch zählten sie die frommen Bruderschaften auf, an denen sie nach dem Gebot des Papstes Anteil haben, und sie rühmten sich vieler frommer Kinder und Brüder, die so streng gegen sich selbst leben, daß sie gar wenig essen und trinken, und daß ihre Frömmigkeit im Himmel jedem andern zugute kommt, der in die Bruderschaft tritt. So verlockten sie den kranken Mann, daß er ihrem Orden sein Hab und Gut übermachte, und ich ging nach seinem Tode leer aus. Ich hatte eine Jungfer von Herzen lieb; dem Erben hätte der stolze Vater sie bewilligt, den armen Kalmäuser wies er zum Tor hinaus. Dadurch bin ich geworden, was ich jetzt bin, ein Heimatloser, der von heute auf morgen lebt.« Er stützte sich finster auf den Tisch.
»Ihr aber, Bruder,« fragte Georg, »was scheuchte Euch in dieser Jahreszeit aus dem Kloster?«
»Seit dem Scheiterhaufen, der Euch schädlich wurde, ist von St. Nikolaus der Friede gewichen«, klagte der Mönch. »Die Bürger mögen uns nicht mehr leiden, und kaum trauen wir uns auf die Straße; einige von uns sind ganz ausgelaufen, und wir übrigen leben in Furcht. Mich sandte der Prior nach Elbing; auf dem Wege wurden wir von Reitern überfallen, aus dem Schlitten geworfen und geplündert, die Räuber ließen mich nach harten Stößen frei, doch in dem Schnee schwand mir die Kraft, und ich war meiner letzten Stunde gewärtig.« Henner lachte verächtlich.
Zu diesem trat Anna, das schlummernde Kind in den Armen haltend, verneigte sich und begann herzlich: »Gestrenger Junker, für meinen Hausherrn und für mich erbitte ich als werte Gunst, daß Ihr es nicht verschmäht, das Amt eines Gevatters bei unserm Knaben zu übernehmen. Denn ich hoffe, der Priester ist gefunden.« Das umwölkte Gesicht Henners wurde freundlicher, er erhob sich und nahm die Stelle mit geziemenden Worten an.
Anna aber blieb stehen und sah flehend zu ihm auf. »Da wir wünschen, daß Bruder Pankratius den Kleinen zum Christen weiht, so bitte ich, daß Ihr der Gevatterschaft zu Ehren den Bruder mit Eurer Rache verschont.«
»Ihr wollt mich fangen, junge Frau«, versetzte Henner zwischen Unwillen und Lachen. »Ich sehe wohl, ich bin Euch einen Gevatterdienst schuldig; aber wenigstens ein Ohrläppchen muß er hergeben.«
Doch auch dies wurde dem rauhen Gesellen in den nächsten Tagen abgehandelt. Auf die Einladung seiner Kinder kam der Magister unter sicherem Geleit, er segnete gerührt den Enkel und nannte ihn einen Romulus, der, obgleich von Geburt ein Königssohn, unter die Wölfe ausgesetzt sei. Und der Bruder, welcher sich in guter Pflege wieder erholt hatte, vollzog die Taufe. Als dieser am nächsten Tage mit neuem Lebensmut unter dem Schutze eines sicheren Knechtes wegziehen sollte, nahm er von Anna wehmütigen Abschied. »Ich habe dem Bruder Gregorius vor dem Scheiterhaufen die Büchlein zugereicht, und jetzt danke ich Euch Leben und Gesundheit! Vielleicht schaffen die Heiligen, daß ich Euch wieder einen Dienst erweise.« Draußen aber winkte er Georg zur Seite und begann mit hohem Ernst: »Nehmt als Dank für Eure Gutherzigkeit eine Warnung: Euer Feind, der bisher krank im Kloster lag, ist endlich genesen und ist nach dieser Gegend zu dem polnischen Kastellan Pan Stibor aufgebrochen, um an Euch seine Rache zu nehmen, denn damit hat er Euch oft bedroht. Wisset, es ist ein Anschlag gemacht, entweder gegen Euch allein oder auch gegen Eure ganze Gesellschaft. Denn da ich um die Pflege des Kranken zu sorgen hatte, hörte ich etwas weniges von den Reden des Polen mit Herrn Hutfeld Bürgermeister, welcher jetzt Burggraf werden soll, weil den alten Herrn Friedewald der Schlag getroffen hat. Die beiden waren in Unruhe wegen Eures Fähnleins und überlegten, ob es von den Unzufriedenen einmal in unsere Landschaft geladen werden könnte. Darum traut dem Stillstande nicht und wahret Euch selbst, Euer liebes Weib und Kind vor Eurem Todfeinde.«
Aufgeschreckt durch die Nachricht, wollte Georg mehr erfahren, aber der Mönch verweigerte weitere Rede. »Das andere ist Geheimnis des Ordens, die Heiligen mögen mir verzeihen, wenn ich Euch schon zuviel gesagt habe.«
Diese Warnung des Mönches erhielt noch an demselben Tag von anderer Seite Bestätigung.
Der Wächter verkündete Gäste aus der Umgegend des Polenlagers. In den Schloßhof traten drei ausgewetterte Gesellen, über den geschlitzten Landsknechtshosen, deren bunte Farbe durch Wetter und Lager unscheinbar geworden war, trugen sie kurze Pelze, an den Beinen hohe Stiefel, und jeder von ihnen führte eine der Landsknechtwaffen: Spieß, Hellebarde oder Feuerrohr, woraus Hans schon von weitem erkannte, daß sie sich nicht zufällig zusammengefunden hatten, sondern als Erwählte ihres Haufens gekommen waren. Er richtete sich deshalb hoch auf und begrüßte sie am Tore mit größerer Förmlichkeit als sonst Brauch war. »Seid willkommen, Hauptmann und gute Gesellen. Ob ihr einen Auftrag auszurichten habt oder nur als gute Nachbarn kommt, des letzten Zwistes soll nicht gedacht werden.«
Da Hauptmann Heinzelmann, ein hagerer Alter mit schlauem Gesicht, vorsichtig erklärte, daß sie im Auftrage kämen, so ließ Hans den Trommler anschlagen und die Führer und Doppelsöldner zum Rate laden. Als der Kreis geschlossen war, begann der fremde Führer: »Nehmt unsere Botschaft, ihr Landsleute, im guten auf, wie wir sie bringen. Wir haben lange einander gegenüber gelegen ohne scharfen Gruß und haben uns als Nachbarn vertragen. Beide sitzen wir geldlos mit Vertröstung und dürfen fragen, wieweit wir den Herren, die uns geworben haben und nicht bezahlen, zu Dienste sein wollen, und wir haben gefunden, daß wir ihnen geringen Dienst schuldig sind, um geringen Lohn.« Er hielt an, die Knechte nickten ihre Beistimmung, und Hans bestätigte: »Es ist so, wie Ihr sagt. Ich hoffe, ihr habt uns treu gefunden, und auch wir wollen heut nicht Ursache suchen, über euch zu klagen.«
Der fremde Redner billigte die Worte mit höflichem Lächeln und fuhr fort: »Dieselbe Treue denken wir euch jetzt zu erweisen, wo der Mond wechselt und das Wetter sich ändern will. Nämlich, uns ist die Kunde zugegangen, daß Pan Stibor und seine Edelleute einen Wagen mit Geld heranfahren, und um gutes Geld eine Verschärfung unseres Gelübdes und unserer Arbeit fordern werden. Ihr Plan geht, wie wir meinen, gegen euch und den Garten, den ihr besetzt haltet. Da wir uns nun lieber mit euch vertragen, als gegen euch schlagen, so fragen wir euch im guten und in treuer Gesinnung, ob ihr von dieser Burg weichen wollt und uns das Land räumen, damit wir es ohne Blutvergießen behaupten. Ihr wißt, wir sind im Vorteil, dennoch bieten wir euch mit eurer Habe, mit Weib und Kind, mit Karren und Pferden freien Abzug.«
Ein Gesumm und Gemurr erhob sich im Kreise, und Hans antwortete: »Wir haben vernommen, was Ihr gesprochen; Ihr wißt, daß Brauch der Knechte ist, allein untereinander zu beraten, wenn nicht einmal, dann zweimal. Ich ersuche Euch also, daß Ihr so lange aus der Runde weicht.« Er winkte einem der Rottenführer, welcher die Fremden zur Seite wies. Nach kurzer Beratung wurden sie wieder in den Ring geleitet und Hans sprach: »Günstige Gesellen, wir bedanken uns für eure Erinnerung und bitten, daß ihr euch nicht beschwert haltet, wenn wir euren Vorschlag nicht annehmen. Wir haben an unsern Brotherrn eine Forderung von Sold und Reisekosten, welche groß ist, wir können unser sauer verdientes Geld nicht im Stiche lassen; und ihr würdet ebenso handeln.«
Hauptmann Heinzelmann, der auf diese Antwort vorbereitet war, versetzte: »Wir verstehen wohl, daß ihr eures Beutels gedenkt, obwohl euer Brotherr schwerlich imstande sein wird, jemals nur einen Teil eures Soldes zu zahlen. Dennoch wollen wir euch noch weitere Kameradschaft erweisen und wollen den Pan Stibor drängen, daß er euch ein Drittel eurer Forderung zahlt und freie Zehrung auswirkt bis an die Grenze der polnischen Herrschaft, wenn ihr auf dem kürzesten Wege ohne Rasttage hindurchziehen wollt. Ihr aber bedenkt, daß der Sperling in der Hand auch etwas wert ist, zumal wenn man ihn ohne eigene Gefahr erfassen kann.« Er trat zum zweiten Male aus dem Kreise. Diesmal dauerte die Beratung länger und mehrere Stimmen mahnten ernsthaft, daß man das Drittel nehme.
Georg stand im Ringe, die fliegende Fahne in der Rechten. Als die Knechte über den Abzug verhandelten, schlug er schweigend das Fahnentuch zusammen und steckte die Fahne verkehrt in den Boden. Da erhob sich lautes Geschrei und Hans begann erschrocken: »Was tut Ihr, Fähnrich, daß Ihr die Fahne bergt wie vor Missetätern?«
Georg antwortete: »Liebe Gesellen, ihr fragt, was eurem Säckel frommt; mich aber habt ihr dazu gesetzt, daß ich die Ehre der Bruderschaft wahre, und da ich Worte höre, welche zu Meineid und Verrat an unserm Kriegsherrn führen, so behüte ich die Fahne und berge das Tuch, denn ihr wißt, daß es nicht über eure Schande wehen darf.« Wieder erhob sich lautes Geschrei und einzelne griffen zornig nach den Waffen, aber Hans entschied mit starker Stimme: »Er übt sein Recht und wir dürfen es ihm nicht wehren. Dennoch mahne ich Euch, Fähnrich, daß Ihr den Sinn der Brüder nicht mehr beschwert, denn noch ist nichts abgemacht.«
»Beschließt, euch als fromme Knechte zu halten,« rief Georg, »dann werfe ich das Tuch in den Wind über ehrliche Leute.«
Darauf sprach Benz Streitenberg: »Vernehmet den Rat eines Alten. Daß der Stibor uns einiges Geld hinlegt, das können wir bewirken, wenn wir die Stadt preisgeben; aber wir können nicht hoffen, daß wir es in das Reich bringen. Denn sobald wir das Geld des Polen nehmen, verlieren wir die Fahne und den Schutz des Hochmeisters, und ohne Fahne sind wir ein armer Schwarm von Flüchtigen, welche des Befehls und der Ordnung entbehren. Wie wollen die einzelnen mit dem Troß unversehrt aus diesem Lande sich retten? Der gerade Weg hinaus führt drei Tagereisen durch ödes Heideland. Wer soll dort die hungrigen Mäuler verpflegen? Und das Geld in den Taschen wird uns Wegemüden von den polnischen Strauchdieben bald abgejagt werden.«
Dieser Meinung waren auch andere, es erhob sich lautes Geschrei und Getümmel und dazwischen der Ruf: »Stellt die Frage und hebt die Hände, damit wir nicht weiter beraten in Schande.« Als nun Hans fragte, erhob eine große Mehrzahl die Hand für Ablehnen, und Georg lachte und rief, das Tuch entfaltend: »Ich bedanke mich bei euch, Hauptmann und Gesellen.«
Als die Fremden wieder in den Kreis geführt wurden, sprach Hans feierlich: »Mein Volk muß ablehnen, was ihr geboten, um der Fahne und des Eides willen; wir aber sagen euch Dank und bitten, daß ihr nicht für ungut nehmt, was wir nicht mit leichtem Herzen beschlossen haben.«
Die fremden Landsknechte vernahmen den Entscheid ohne Verwunderung, und der Sprecher sagte nur: »Bestätigt auch ihr, daß wir euch, soweit wir vermochten, gute Nachbarschaft gehalten haben.«
»Das tun wir«, riefen die Knechte, und Hans gebot: »Geschlossen ist der Rat und geöffnet der Ring, euch aber bitte ich, daß ihr als unsere Nachbarn einen Trunk nicht verschmäht.«
Die Boten waren der Einladung nicht abgeneigt, und der Haufen geleitete sie in die Halle; ein Faß wurde herangeschleift und starkes Zechen begann. In heller Fröhlichkeit und mit hochroten Wangen tranken die Parteien einander zu auf gutes Glück und treue Nachbarschaft, am lautesten die Heimischen, weil sie eine Sorge im Herzen bargen. Der fremde Hauptmann lobte die feste Mauer und das Schloß, und begann scherzend: »Wenn ja das Schicksal wollte, daß wir noch einmal gegeneinander schlagen müßten, so wird euch der Vorteil der Mauern und des Grabens nötig sein, damit ihr die starken Fäuste meiner Knechte abwehrt. Denn obwohl wir an Zahl ziemlich gleich sind, so meinen unsere Gesellen doch, daß ihr im freien Felde euch niemals gegen uns wagen werdet.«
Da erwiderte Hans, gehoben vom Trunke: »Wir begehren gegen euch keinerlei Vorteil der Mauer und des Grabens; auch in gleichem Kampfe trauen wir euch obzusiegen nach unseres Ordens Brauch auf offener Heide, im gevierten Haufen, wann und wie ihr den Kampf begehrt.« Und seine Genossen riefen stürmisch die Bestätigung. Der Fremde aber sprach mit lauter Stimme: »Wenn sein müßte, was wir nicht begehren, soll alsdann das Wort gelten, ihr frommen Knechte?« Alle schrien: »Ja«, Hans schlug ein, daß es schallte, und setzte lachend hinzu: »Wenn es sein muß.« Auch der andere lachte.
Erst gegen Abend brachen die Gäste auf.
Hans, der die Fremden bis zum Kreuz geleitet hatte, kehrte nachdenkend ins Lager zurück; am Tore erwartete ihn Georg: »Sie werden den Kampf fordern, Hauptmann.«
»Ich denke nicht«, versetzte Hans unsicher. »Sie werden sich ungern Schläge holen; sie wissen auch, daß wir kahl sind und daß sie bei uns nur geringe Beute finden.«
Als Georg am Abend in seine Behausung zurückkehrte, betrat er vorsichtiger als sonst die Frauenstube. Es war still darin, kein Gruß empfing ihn, er vernahm nur leise Atemzüge. Mutter und Kind lagen in friedlichem Schlaf, der Kleine näher der Wand, durch Betten gegen den kalten Zug aus den Steinen geschützt, die Mutter vor ihm, noch im Schlaf mit ihrem Leibe seine Schützerin. Der Vater stand lange versunken in den Anblick des liebsten Lebens, welches in zwiefacher Gestalt vor ihm lag, und sein Auge wurde feucht. »Mein alter Feind gedenkt die Rache an einem zu nehmen, noch weiß er nicht, daß er mit einem Schlage drei Leben trifft. Ob er den Fähnrich allein sucht oder auch die Fahne, in jedem Fall hat er dafür gesorgt, daß er im Vorteil ist. Ich sah den hündischen Blick des fremden Landsknechts, als unser Hauptmann den Kampf auf der Heide versprach. Ich fürchte, er hat damit auch euch, ihr beiden süßen Schläfer, den Dritten abgesprochen, der zu euch gehört. Wenn das Fähnlein auszieht und der Fähnrich den Rückweg nicht findet, was wird alsdann aus diesen? Vater im Himmel, tu' mit mir was du willst, aber rette mein Weib und Kind.« Er kniete am Lager nieder und hob in bittrer Angst die Arme nach der Höhe, bis der kleine Sohn die geballten Händchen öffnete und schrie. Da erwachte die Mutter, sie lächelte glücklich, als sie das Antlitz des Gatten dicht neben dem ihren sah, und sie fand noch Zeit, den Arm um seinen Hals zu legen und ihn herzlich zu küssen, bevor sie sich zu dem Schreier wandte. Da lachte Georg wieder und sagte ihr noch halblaut Lustiges von der Gesellschaft, aus welcher er kam, bis er sich auf sein Lager an der Tür warf und das Gesicht der Fahne zuwandte, um die wilde Neuigkeit weiter zu erwägen.
Am andern Morgen rief er den Magister in die Turmstube und berichtete seinem Weibe in Gegenwart des Vaters einiges von seinen Sorgen. »Es ist ein Anschlag im Werke, sich dieses Schlosses zu bemächtigen. Obgleich der Krieg durch Stillstand geendigt ist, so hoffen die Polen doch, bei einem künftigen Frieden zu behalten, was sie jetzt in Besitz nehmen, und es ist wohl möglich, daß diesem Schlosse eine Belagerung droht. Denn wir haben die Pflicht, die Stadt und das Amt dem Hochmeister zu bewahren. Da ist mir der Gedanke unerträglich, daß euch die Unruhe umfassen könnte. Wuz zieht morgen mit einigen Knechten nach der Seite hin, wo Elbing liegt. Vermagst du mit dem Kinde bei günstigem Wetter die Schlittenfahrt zu wagen, so will ich, daß du mit dem Vater dorthin aufbrichst und in den nächsten Tagen nicht zurückkehrst, sondern dort oder wo es dem Vater am sichersten erscheint, verweilst, bis über dieses Amt und das Fähnlein entschieden ist. Denn, wie man vernimmt, ist auch im Werke, das Fähnlein zu entlassen.« Als er so sprach, suchten zwei große Augen angstvoll seine ganze Meinung zu verstehen, der Magister aber fiel ihm eifrig bei. Anna sprach nicht ja, nicht nein, sie beugte sich über das Kind und ihre Tränen fielen auf den Kleinen herab. Georg selbst mühte sich, die Bewegung, welche ihn fast übermannte, in der Geschäftigkeit zu verbergen, womit er den Aufbruch betrieb. Anna saß unterdes bleich und schweigend, das Kind im Arme, aber sie regte sich nicht, um für die Reise zu rüsten, wie Frauen pflegen. Nur des Kindes Bedarf, über dem sie im Herbste genäht, rollte sie in ein Bündel. Erst als Georg heraufkam, ihr zu sagen, daß der Schlitten seiner Ladung harre, erhob sie sich und trug ihm das Kind entgegen: »Vater, segne deinen Sohn.« Da verließ ihn die Fassung, die er bisher mühsam bewahrt. Er hielt den Knaben unter Tränen in den Armen und sie sprach leise zu ihm: »Das Jahr ist zu Ende.« Und als er das Kind in die Hände des Großvaters legte, umschlang sie ihn mit heißer Leidenschaft und hing an seinem Halse, er aber hob sie in wildem Schmerze und trug sie nach dem Schlitten. Sie hielt die Augen starr auf ihn geheftet, bis die Pferde anzogen und der Weg ihr seinen Anblick entzog. Beide vernahmen nichts von den Grüßen und Abschiedsrufen der Männer und Weiber, welche sich um den Schlitten gesammelt hatten, denn in unsäglichem Weh und schwerer Ahnung schwanden ihnen die Gedanken.
In dem stillen Kontor des Marcus König fanden sich jetzt zahlreiche Besucher ein, doch kamen sie schwerlich als Kunden des Geschäftes. Es waren meist Zunftgenossen aus der Neustadt, sie traten vorsichtig von der Hintergasse in den Hof, und während sie in der Kammer mit dem Kaufherrn und dem Gehilfen verhandelten, hielt Dobise, über einem Frachtstück beschäftigt, an der Vordertür Wache und pochte, sooft ein störender Gast nahte. Als Marcus sich gegen Abend von seinem Sitz erhob, sagte er mit stolzem Lächeln zu seinem Vertrauten: »Die Flut steigt schnell, die Galeone von Thorn fühlt Wasser unter dem Kiel, es wird Zeit, daß wir alle Hände zuhauf rufen.«
Da meldete Dobise mit schlauem Augenzwinkern einen Fremden, der in dringendem Geschäft den Herrn allein sprechen müsse. Marcus trat eilig in den Flur, fand einen kleinen verhüllten Mann, der seinen Hut tief in die Augen gedrückt hatte, und winkte mit der Hand in die Wohnstube. Dort erst nahm der Gast den Hut ab, der Magister stand dem Kaufherrn gegenüber. Die Gestalt des Marcus hob sich wie zum Kampfe, und ohne dem andern einen gastlichen Sitz zu bieten, begann er: »Was führt den Herrn Magister in die Stadt, welche ihn gebannt hat, und was führt ihn zu dem Vater, welcher durch ihn seines Erben beraubt ist?«
Das Gesicht des Gelehrten war gerötet und seine Stimme zitterte, als er zur Antwort gab: »Die Sorge eines Vaters zwingt mich zu Euch; auch ich habe ein Kind, welches durch Euren Sohn der Herrschaft des Vaters entzogen wurde, wahrlich ohne meinen Willen und in furchtbarer Notzeit. Als es sich für Euren Sohn und meine Tochter um Ehre und Leben handelte, haben die Armen sich vermählt. Sie mußten den Segen der Eltern entbehren, aber Gott hat ihre Ehe gesegnet, ein Enkel ist Euch und mir geboren, und ich bin in die Stadt gedrungen, um Euch, hochansehnlicher Kaufherr, als dem Vater und Großvater, dies anzuzeigen und Euch zu bitten, daß Ihr durch Eure Beistimmung und durch Euren Segen die Ehe bekräftigt.«
Marcus trat zurück und ein düsteres Licht glomm in seinen Augen. »Sendet Euch der Fähnrich Georg König?«
»Er weiß nichts von dieser Reise.«
»Weilt Eure Tochter bei ihm?«
»Ich habe sie und das Kind mit seinem Willen zu besserer Sicherheit und Pflege nach Elbing geführt.«
»Dort mögt Ihr sie von jetzt an bewahren,« versetzte Marcus, »und redlicher als Ihr seither getan.«
Den Magister ergriff unsägliche Angst bei der abweisenden Haltung des strengen Mannes und mit heiserer Stimme fragte er: »Wie soll ich Eure Rede deuten, Herr?«
»Daß ich als Vater dem wilden Zusammenleben feindlich bin und daß ich einer Ehe meines Sohnes mit Eurer Tochter, von der Ihr redet, Einwilligung und Segen verweigere.«
Dem Magister bewegten sich krampfhaft die Hände. »So war meine Ahnung«, murmelte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Erst nach einer Weile fand er die Worte: »Obgleich ich kein großer Mann auf Erden bin, so wird mir doch schwer, mich zu demütigen; aber heut tue ich es, nicht für mich, sondern für mein armes unglückliches Kind, und ich flehe Euch herzlich und in Todesangst an, erweist uns Geschlagenen eine mildere Gesinnung, laßt meine Tochter nicht in Schimpf und Unehre vergehen, denn ich sage Euch, Herr, sie ist ein gutes Kind und sie war der Stolz meines Lebens.«
»Auch Georg König war lange die Freude seines Vaters und dem einsamen Hause die einzige Hoffnung«, antwortete Marcus. »Wer trägt die Schuld, daß er von seinem Vater und aus der Heimat hinausgeworfen wurde in ein elendes Leben? Ihr, Herr Magister und Euer Kind. Jahrelang habt Ihr Besuche meines Sohnes und heimliche Liebschaft in Eurem Hause geduldet; Ihr selbst habt in seine Seele Irrlehren und Unglauben gesäet, Euch zuliebe geschah es, daß er sich offen gegen die heilige Kirche empörte und der Blutrache des polnischen Königs verfiel. Und Ihr und Euer Kind habt bewirkt, daß er in wüstem Leben bei fremden Landsknechten festgehalten wurde. Durch Euch ist der Sohn dem Vater entfremdet. Mit Bitterkeit und Gram habt Ihr mein Leben erfüllt, und jetzt wagt Ihr vor mich zu treten und von mir zu fordern: Gib deinen Segen, alter Mann, zu unserm Werke.«
Der Magister stand wie überwältigt durch die Vorwürfe des Gegners. »Unser Vater im Himmel weiß, daß ich von der Neigung Eures Sohnes nichts geahnt habe, solange ich mit ihm zusammen war, und unser Vater im Himmel weiß auch, daß meine liebe Tochter züchtig und ehrbar in Worten und Werken gelebt hat. Was ich Eurem Sohne beigebracht habe von Lehre und Gedanken, das ist wahrhaftig in guter Gesinnung geschehen; keiner vermag anderes zu geben, als er hat, und ich habe ihm in Latein und in Lehrmeinungen überliefert, was für den Magister Fabricius der Stolz seines Lebens war. Wenn Euch das nicht gefällt, Herr, so ist dies nicht die Schuld des Lehrers, denn Ihr habt mich geworben. Wenn Ihr mir sagt, daß wir Euch den Sohn entfremdet haben, so sage ich dagegen Euch, Euer Sohn hat auch mir mein Kind entzogen. Und ich weiß, wie wehe es einem Vater tut, wenn er sein Kind einem andern überlassen soll. Dies aber ist von dem Allmächtigen selbst so geordnet, daß die Kinder Vater und Mutter verlassen um der Gatten willen, und weder Ihr noch ich haben ein Recht, darüber zu zürnen, wie wehe es auch tun mag. Darum, Herr, unternehme ich, was ich noch niemals in meinem Leben getan habe, ich flehe zum zweitenmal da, wo ich einmal abgewiesen bin, nicht für mich, sondern für mein Kind. Herr, Ihr bedenkt nicht, um was es sich hier für meine Tochter Anna handelt«, rief er mit stärkerer Stimme. »Die Frage ist, ob sie vor den Leuten ein redliches Weib sein soll, oder eine Dirne. Ihr habt oft Gut und Geld gewagt, Herr, aber niemalen wart Ihr in der Lage, daß der böse Wille eines andern Euch so elend und verworfen machen konnte, wie Euer böser Wille mein liebes Kind elend und verworfen machen kann; ein gutes Kind, Herr, und wie ich Euch sagte, die Freude meines Alters. Und wahrlich, Herr, für Euer stolzes Haus wäre es ein Segen und ein Glück, wenn mein Kind als Eure Schwiegertochter darin hauste. Und ich versichere Euch, Herr, hätte ich eine Ahnung gehabt, daß Euer Sohn heimlich meine Tochter im Herzen trug, ich hätte ihn, wie wert er mir auch als Schüler geworden war, aus dem Hause gejagt auf Nimmerwiedersehn. Denn nichts ist mir in meinen Tagen nächst den Lügen der Pfaffen so verhaßt gewesen, als der Dünkel der Reichen, und niemals, Herr, habe ich die Gesellschaft Euresgleichen geliebt und gesucht, denn ich weiß wohl, wie selten Nächstenliebe und ein freundliches Herz unter den Geldsäcken gedeiht. Und darum, Herr, mahne ich Euch noch einmal und zum letzten Male, nicht mehr um meines Kindes willen, sondern um Eures Sohnes willen, damit er nicht als Schelm und Bösewicht gegen meine Tochter fortlebe, und ich mahne Euch noch einmal um Euer selbst willen, damit Euch das Unglück, das Ihr über mein Kind bringen wollt, nicht in Eurer letzten Stunde das Scheiden schwer mache.«
Marcus, dem die steigende Heftigkeit des andern seine Ruhe zurückgab, antwortete ohne Härte: »Ich bin alt und denke zuweilen an meine letzte Rechnung. Der Sorge dafür enthebe ich Euch. Hat mein Sohn in dem Übermut der Jugend ein Unrecht an Eurer Tochter geübt, was ich nicht weiß, so muß er das Unrecht auf sein Leben nehmen und bei den Heiligen um Vergebung seiner Schuld werben. War es auch für Euch ein Unglück, was für mich leidvoll geworden ist, daß mein Sohn in Euer Haus kam, so bin ich bereit, Euch die Entfernung aus diesem Lande möglich zu machen, welche Ihr selbst wünschen müßt. Sagt mir, wo Ihr Euch hier verborgen aufhaltet, damit ich deshalb meinen Gehilfen zu Euch sende.«
Das gerötete Gesicht des Magisters erblich während der Rede des andern wie das eines Sterbenden. Er drückte seinen Hut in das Gesicht, rief mit heiserer Stimme: »Pfui! Sendet Euren Gehilfen in die Weichsel!« und stürzte aus dem Hause.
Unterdes ging Lips Eske, bei welchem der Magister den Versteck gefunden hatte, unruhig in seiner Kammer auf und ab und erwartete die Rückkehr des Lehrers. Als der Alte entstellt in Antlitz und Gebärde hereinwankte, erkannte der treue Knabe, daß alles gekommen war, wie er gefürchtet. Er rückte schnell dem Magister einen Sessel, der Alte hielt sich daran. »Schaffe mich fort, mein Sohn, denn der Boden dieser Stadt brennt mir unter den Füßen.«
»Ich leide nicht, daß Ihr so von mir geht,« bat Lips, und drückte den Gelehrten in den Stuhl, »hier sitzt nieder und nehmt diese Stärkung.« Er goß Wein in ein Glas und zwang den Alten, die Lippen zu befeuchten. »Und wenn Euch lästig ist, mir die Reden des harten Mannes zu wiederholen, so sollt Ihr stillsitzen; aber bleibt bei mir, Herr Vater, bis Ihr Euch erholt habt, hier seid Ihr sicherer als anderswo. Ich weiche nicht mehr von Eurer Seite, bis ich Euch wohlbehalten außerhalb des Stadtgrundes sehe.« Er setzte sich zu ihm, umfaßte die Hand des stöhnenden Alten, hielt sie fest und strich sie zuweilen mit seinen knochigen Fingern, wie ein Kind die Hand seiner lieben Mutter streichelt. Der Magister ließ sich das gefallen und die beiden beharrten lange, ohne ein Wort zu sprechen. Endlich ermannte sich der Magister. »Du hast das Verzeichnis meiner Bücher, die ich in Verwahrung des Lischke zurückließ.«
»Ja, Herr Vater. Ich selbst bewahre den Schlüssel.«
»Gib das Verzeichnis an Hannus, er soll aus alter Gunst die Bücher hier oder in Danzig verkaufen, sich einen gebührlichen Vorteil nehmen und den übrigen Ertrag dir einhändigen.«
»Aber, Herr Vater, Eure ganze Liberei? Sie war für Euch ein Schatz.«
Der Gelehrte bestätigte durch ein Kopfnicken. »Sie ist mühsam zusammengebracht und manches Geschenk ehrenwerter Gönner steht darunter. Aber sie muß fort, mein Sohn, und so schnell als möglich. Empfängst du das Geld, so trägst du es zu dem reichen Manne, von dem ich komme, und sagst ihm: dies sei die Summe, welche der junge König dem weiland Magister Fabricius damals auszahlte, als er sein Weib Anna, geborene Fabricius, und seinen Sohn Romulus König dem erwähnten Magister zu fernerer Behütung übergab. Ob das Geld im Betrage stimmt, wird unwichtig, da es alles ist, was ich besitze.«
»Das Geld will ich übergeben; aber was bedeutet weiland, Herr Vater?«
Finster antwortete der Alte: »Der lateinische Ehrenname Fabricius ist von heute ab verloren; der Mann, welcher unrühmlich und verborgen zu leben hat, heißt fortan mit gemeinem deutschem Namen Schmieder.«
Mit Betrübnis hörte Lips den verzweifelten Beschluß. »Vertraut mir, lieber Herr Vater, was wollt Ihr jetzt tun?«
Der Magister richtete sich auf und saß stolz vor ihm wie in der Schule: »Erinnerst du dich noch an den Römer Virginius, welcher seine Tochter vor Unehre zu bewahren hatte?«
»Herr Vater«, rief Lips, erschrocken aufspringend.
»Still,« gebot der Magister, »wir sind Christen und es war nur ein Beispiel.«
Tag auf Tag verrann und Georg erhielt von Anna und seinem Kinde keine Nachricht. Der Tauwind erhob sich und schüttete Regenwolken über das Stromeis und die Schneehügel der Heide. Auf die starre Ruhe des Winters folgte wilde Bewegung, in zahllosen Rinnen lief das Wasser, es tilgte den Schnee, hob die Eisdecke der Bäche und wälzte die Trümmer dem Meere zu. Georg sandte Boten über Boten nach der Stadt Elbing, aber keiner brachte Kunde von seinen Lieben. Wortkarg saß er unter seinen Gesellen, täglich ging er hinaus auf die Stellen, wo im vorigen Jahre Anna gern geweilt hatte; wenn er des Abends in dem öden Turm saß, hörte er die Stimme der Gattin und den Schrei des Kleinen, aber was von den Mauern widerklang, waren nur die Seufzer seiner eigenen Brust. Unterdes kam langsam die Gefahr heran, welche er vorausgesehen. Das gute Einvernehmen mit den polnischen Landsknechten hörte plötzlich auf. In den Grenzdörfern gab es täglich Zusammenstöße, Pferde wurden gestohlen, Knechte erschlagen, entlaufene Dirnen nicht zurückgeliefert, und auf die Beschwerden, welche Hans den Nachbarn zugehen ließ, kamen abweisende Antworten und höhnende Reden. So geschah es, daß die Knechte in kurzer Zeit zornig wurden und beim Hauptmann Rache forderten und daß dieser Mühe hatte, den Ingrimm der Seinen zu bändigen. Jeden Tag erwartete Georg, daß die Feindschaft zu heller Flamme aufschlagen werde. Als er einst draußen am Walle stand, unweit des wilden Rosenbusches, und an die Stunde dachte, wo er Anna in den Schlitten hob und an den Unheil ahnenden Blick, mit dem sie von ihm schied, da kam Henner durch die Pforte auf ihn zu; unsicher war der Schritt des rastlosen Gesellen und in Falten zusammengezogen sein Antlitz. »Habt Ihr Botschaft von Eurem Weibe?« fragte er mit heiserer Stimme.
»Ihr bringt die Botschaft«, schrie Georg.
»Ich ritt nach Elbing, obwohl es dort für unsereinen nicht geheuer ist, und fragte in den Herbergen des Hafens. Die Leute erzählten als Schiffernachricht, daß ein Weichselkahn umgeschlagen sei und die Fahrenden im Strome ertrunken: ein kleiner Alter, ein junges Weib und ein Kind. Ich lief zu dem Wirt, bei dem der Magister gewohnt hatte, er hielt mir den Brief eines Danziger Buchführers entgegen, den er eben erhalten, der Brief meldete dasselbe, mit dem Auftrage, Euch davon Nachricht zu geben.«
Georg stieß einen gellenden Schrei aus, daß Henner zurückfuhr, und stürzte wie ein gefällter Stamm zu Boden; er lag stöhnend und wandte das Antlitz vom Himmel ab der Erde zu. Henner beugte sich an ihm nieder und versuchte unbehilflich Tröstendes zu sagen, aber der Liegende verstand ihn nicht und entzog ihm wild die Hand. Da setzte sich Henner schweigend neben den Geschlagenen, und während diesem der starke Leib zuckte und schauerte, schrieb er mit der Schwertscheide Totenkreuze in den Sand. Der Regen rieselte herab, er nahm seinen Mantel von den Schultern, warf ihn über den Fähnrich, setzte sich wieder auf den Stein und zeichnete von neuem viele Kreuze um sich und den andern, soweit sein Arm reichte. Als endlich ein Bube vorüberlief, ließ er den Hauptmann benachrichtigen und rief dem erschrockenen Hans zu: »Hier liegt, was von Eurem Fähnrich übrig ist; helft ihn nach dem Turm schaffen.« Sie hoben den Armen, der sie zuerst rauh abwehrte und sich dann schwerfällig wie im Traume zum Turm bewegte. Dort warf er sich auf sein Lager, das Gesicht der Wand zugekehrt, und Henner blieb neben ihm sitzen und mühte sich, den Fußboden aufs neue mit den Zeichen des Todes zu bedecken.