Gustav Freytag
Die Journalisten
Gustav Freytag

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Dritter Act.

Scene:

Gartensaal des Obersten.

Der Oberst im Vordergrunde mit starken Schritten auf- und abgehend. Im Hintergrunde Adelheid und Ida Arm in Arm, letztere in lebhafter Bewegung. Kurze Pause. Darauf:

Senden.

Senden (eilig zur Mittelthüre hereinrufend). Es geht gut! 37 Stimmen gegen 29.

Oberst. Wer hat 37 Stimmen?

Senden. Natürlich Sie, Herr Oberst!

Oberst. Natürlich! (Senden ab.) – Der Wahltag ist unerträglich! In keiner Affaire meines Lebens habe ich dieses Gefühl von Angst gehabt! Es ist ein nichtswürdiges Kanonenfieber, das sich für keinen Fähnrich schickt! Und es ist lange her, daß ich Fähnrich war. (Aufstampfend) Verdammt! (Geht nach dem Hintergrunde.)

Ida (mit Adelheid in den Vordergrund tretend.) Diese Ungewißheit ist schrecklich! Nur eines weiß ich sicher, ich werde unglücklich, wie diese Wahl auch ausfällt. (lehnt sich an Adelheid.)

Adelheid. Muth! Muth! mein kleines Mädchen; es kann noch Alles gut werden. Verbirg deine Angst dem Vater, er ist ohnedies in einer Stimmung, die mir nicht gefällt.

Blumenberg.

Blumenberg (eilig an der Thür, der Oberst ihm entgegen).

Oberst. Nun, mein Herr, wie steht's?

Blumenberg. 41 Stimmen für Sie, 34 Stimmen für unsern Gegner, drei Stimmen sind auf Andere gefallen. Die Stimmen werden jetzt sehr einzeln zu Protokoll gegeben, aber die Differenz zu Ihren Gunsten bleibt so ziemlich dieselbe. Noch 8 Stimmen für Sie, Herr Oberst, und der Sieg ist erfochten. Es ist jetzt die höchste Wahrscheinlichkeit, daß wir siegen. Ich eile zurück, die Entscheidung naht. Ich empfehle mich den Damen. (Ab.)

Oberst. Ida!

Ida (eilt zu ihm).

Oberst. Bist du meine gute Tochter?

Ida. Mein lieber Vater!

Oberst. Ich weiß, was dich ängstigt, mein Kind. Du bist am schlimmsten dran. Tröste dich, Ida: wenn, wie es den Anschein hat, der junge Herr von der Feder dem alten Soldaten das Feld räumen muß, dann wollen wir weiter reden. Oldendorf hat es nicht um mich verdient, es ist Vieles an ihm, was mich ärgert. Aber du bist mein einziges Kind, ich werde nur daran denken. – Jetzt gilt es zuerst den Trotz des Jungen zu brechen! (Läßt Ida los, geht wieder auf und ab.)

Adelheid (im Vordergrunde für sich). Der Barometer ist gestiegen, die Sonne der Gnade bricht durch die Wolken. Wenn nur Alles vorbei wäre, solche Aufregung ist ansteckend. (zu Ida) Du siehst, es ist noch nicht nöthig, daß du ins Kloster gehst.

Ida. Wenn aber Oldendorf unterliegt, wie wird er das tragen?

Adelheid (die Achseln zuckend). Er verliert einen Sitz in einer ungemüthlichen Gesellschaft, und gewinnt dafür eine kleine amusante Frau. Ich dächte, er könnte zufrieden sein. In jedem Falle wird er Gelegenheit haben, seine Reden zu halten. Ob er sie nun in der oder in der Kammer hält! Ich glaube, du wirst ihm andächtiger zuhören, als jeder andere Abgeordnete.

Ida (schüchtern). Aber, Adelheid, wenn es nun besser für das Land wäre, daß Oldendorf gewählt wird?

Adelheid. Ja, mein Schatz, da ist dem Lande nicht zu helfen. Unser Staat und die übrigen Länder in Europa müssen zusehen, wie sie ohne den Professor zurecht kommen; du bist dir selbst die Nächste, du willst ihn heiraten, du gehst vor!

Karl.

Was bringen Sie, Karl?

Karl. Herr von Senden läßt sich empfehlen und melden: 47 zu 42, der Wahlcommissar habe ihm bereits gratulirt.

Oberst. Gratulirt? – Halt' meine Uniform bereit, laß dir den Schlüssel zum Weinkeller geben und richte vor, es ist möglich, daß wir heut Abend Besuch erhalten.

Karl. Zu Befehl, Herr Oberst. (Ab.)

Oberst (für sich, im Vordergrunde). Nun, junger Herr Professor? Mein Stil gefällt Ihnen nicht! Es mag sein, – ich gebe zu, daß Sie ein besserer Journalist sind; hier aber, wo es Ernst gilt, sollen Sie doch einmal nicht Recht behalten! – (Pause.) Vielleicht wird es nöthig, daß ich heut Abend einige Worte rede. Vor meinem Regiment hatte ich doch den Ruf, daß ich immer treffend zu sprechen wußte, aber bei diesen Manövern im Civilrock fühle ich mich unsicher. Ueberlegen wir! Es wird schicklich sein, daß ich in meiner Rede auch Oldendorf erwähne, natürlich mit Achtung und Anerkennung. Ja wohl, das muß ich thun. Er ist ein redlicher Mann von vortrefflichem Herzen, und ein Gelehrter von gutem Urtheil. Und er kann sehr liebenswürdig sein, wenn man von seinen politischen Theorien absieht. Wir haben glückliche Abende mit einander verlebt. Und wenn wir so zusammen saßen bei meinem dicken Theekessel, und der ehrliche Junge anfing seine Geschichten zu erzählen, da hingen Ida's Augen an seinem Gesicht und glänzten vor Vergnügen, und ich glaube, meine alten Augen auch. Es waren prächtige Abende! Warum sind sie nicht mehr? Bah, sie werden wiederkommen. Er wird seine Niederlage still ertragen, wie es seine Art ist, eine gute, wohlthuende Art! Keine Empfindlichkeit in ihm! Er ist doch im Grunde ein vortrefflicher Mensch, und Ida und ich wir würden glücklich mit ihm sein. – Und deshalb, meine Herren Wähler – Aber Donnerwetter! Das alles kann ich doch nicht den Wählern sagen. – Ich werde sagen –

Senden.

Senden (aufgeregt eintretend). Schändlich! schändlich! Alles ist verloren!

Oberst. Ha! (Steht sogleich in militärischer Fassung.)

Ida. Meine Ahnung! – Mein Vater! (eilt zu ihm.)

Adelheid (zugleich). O weh!

Senden. Es stand vortrefflich. Wir hatten 47, die Gegner 42 Stimmen, 8 Stimmen waren noch nicht abgegeben, nur zwei davon für uns, und der Tag war unser. Die Stunde war gekommen, wo nach dem Gesetz das Protokoll geschlossen werden muß. Alles sah nach der Uhr und rief nach den säumigen Wahlmännern. Da polterte es auf dem Vorsaal; ein Haufe von acht Personen drang geräuschvoll in den Saal, an ihrer Spitze der grobe Weinhändler Piepenbrink, derselbe, welcher neulich bei dem Fest –

Adelheid. Wir wissen, erzählen Sie weiter –

Senden. Einer nach dem andern aus der Gesellschaft trat vor, gab seine Stimme, und »Professor Eduard Oldendorf« kam aus jedem Munde. – Der letzte war dieser Piepenbrink. Bevor er die Stimme abgab, frug er seinen Nachbar: Hat's der Professor sicher? – Ja, war die Antwort. Und ich wähle als letzter Wahlmann zum Deputirten – (hält inne)

Adelheid. Den Professor?

Senden. Nein. Einen sehr gescheidten und pfiffigen Politikus, wie er sagte: den Doctor Konrad Bolz – und damit drehte er kurz um, und ihm folgten seine Spießgesellen.

Adelheid (bei Seite, lächelnd). Ah!

Senden. Oldendorf ist Abgeordneter durch ein Mehr von zwei Stimmen.

Oberst. Ei!

Senden. Es ist schändlich! Niemand ist an diesem Ausfall schuld, als diese Journalisten von der Union. Das war ein Laufen, ein Intriguiren, ein Händeschütteln mit allen Wahlmännern, ein Lobpreisen dieses Oldendorf und ein Achselzucken über uns und über Sie, verehrter Herr!

Oberst. So?

Ida. Das Letzte ist nicht wahr!

Adelheid (zu Senden). Nehmen Sie Rücksicht und schonen Sie hier.

Oberst. Du zitterst, meine Tochter. – Du bist ein Weib und läßt dich von solchen Kleinigkeiten zu sehr angreifen. – Ich will nicht, daß du diese Nachrichten länger anhörst. Geh, mein Kind! – Dein Freund hat ja gesiegt, für dich ist kein Grund zu weinen. Helfen Sie, Fräulein!

Ida (wird von Adelheid bis zur Seitenthür links geführt, bittend:) Laß mich, bleibe dem Vater!

Senden. Der schlechte Geist und der Uebermuth, mit welchem diese Zeitung redigirt wird, ist auf Ehre nicht länger zu ertragen. – Herr Oberst, da wir allein sind – denn Fräulein Adelheid wird mir erlauben, sie zu den Unsrigen zu rechnen, – wir haben die Möglichkeit, uns glänzend zu rächen; sie haben ihr Wesen am längsten getrieben. Ich habe bereits vor längerer Zeit den Eigenthümer der Union sondiren lassen. Er ist nicht abgeneigt die Zeitung zu verkaufen, und hat nur noch sein Bedenken über die sogenannte Partei, welche das Blatt gegenwärtig in Händen hat. An dem Ressourcenabend habe ich selbst mit ihm gesprochen.

Adelheid. Was hör' ich?

Senden. Dieser Ausfall der Wahl wird bei allen unsern Freunden die größte Erbitterung hervorrufen, und ich zweifle nicht, daß wir in wenigen Tagen durch Actienzeichnung die Kaufsumme zusammenbringen. Das wäre ein tötlicher Schlag für unsere Gegner, ein Triumph der guten Sache. Das gelesenste Blatt der Provinz in unserer Hand, redigirt durch ein Comité –

Adelheid. Dem Herr von Senden seine Hilfe nicht versagen würde.

Senden. Es wäre meine Pflicht, mich dabei zu betheiligen. – Herr Oberst, wenn Sie mit unterzeichnen wollten, Ihr Beispiel würde den Kauf im Augenblick sichern.

Oberst. Mein Herr, was Sie zum Besten Ihrer politischen Tendenzen thun, das mögen Sie thun. Der Professor Oldendorf ist aber in meinem Hause ein gern gesehener Gast gewesen, ich werde nie hinter seinem Rücken gegen ihn arbeiten. – Sie hätten mir diese Stunde erspart, wenn Sie mich nicht früher durch Ihre Versicherungen über die Stimmung der Majorität getäuscht hätten. Indeß zürne ich Ihnen nicht, Sie haben in bester Meinung gehandelt, ich bin davon überzeugt. – Ich bitte die Anwesenden um Entschuldigung, wenn ich mich für heut zurückziehe, ich hoffe Sie morgen wiederzusehen, lieber Senden.

Senden. Unterdeß werde ich die Subscription für Ankauf der Zeitung vorbereiten. Ich empfehle mich Ihnen. (Ab.)

Oberst. Verzeihen Sie, Adelheid, daß ich Sie allein lasse, ich wünsche einige Briefe zu schreiben, und (mit gezwungenem Lachen) – meine Zeitungen zu lesen.

Adelheid (theilnehmend). Darf ich Ihnen nicht gerade jetzt Gesellschaft leisten?

Oberst (mit Anstrengung). Mir ist jetzt besser allein. (Ab durch die Mittelthür.)

Adelheid (allein). Mein armer Oberst! Die gekränkte Eitelkeit arbeitet heftig in seiner getreuen Seele! – Und Ida? (öffnet leise die Thür links, bleibt stehen.) Sie schreibt! Es ist nicht schwer zu rathen, an wen. (schließt die Thür.) – Und all das Unheil hat der böse Geist Journalismus angerichtet. Alle Welt klagt über ihn und Jedermann möchte ihn für sich benutzen. Mein Oberst hat so lange die Zeitungsschreiber verachtet, bis er selbst einer geworden ist, und Senden läßt keine Gelegenheit vorüber, auf meine guten Freunde von der Feder zu schelten, nur um selbst an ihre Stelle zu treten. Ich sehe kommen, daß Piepenbrink und ich noch Journalisten werden und zusammen ein kleines Blatt unter dem Titel: »Der unartige Bolz« herausgeben. – Also die Union ist in Gefahr heimlich verkauft zu werden? Dem Konrad wäre das recht heilsam, er müßte dann auch an andere Dinge denken, als an die Zeitung. Ach, der Schelm würde sogleich eine neue anfangen. –

Oldendorf, Karl, dann Ida.

Oldendorf (noch außerhalb des Saales). Und der Herr Oberst ist nicht zu sprechen?

Karl. Für Niemand, Herr Professor.

Adelheid (Oldendorf entgegen). Lieber Professor, es ist nicht gut, daß Sie gerade jetzt kommen. Wir sind sehr gekränkt und unzufrieden mit der Welt, ganz besonders aber mit Ihnen.

Oldendorf. Ich fürchte das, aber ich muß ihn sprechen.

Ida (aus der Thür links ihm entgegen). Eduard! ich wußte, daß Sie kommen würden.

Oldendorf. Meine liebe Ida! (Umarmt sie.)

Ida (an seinem Halse). Und was soll jetzt aus uns werden?


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