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Ida.
Ida (aus der Seitenthür links). Ruhelos geh' ich umher! Laß mich hier ausweinen! (Weint an Adelheids Halse.)
Adelheid (zärtlich). Armes Kind! Die bösen Männer haben schlimm an dir gehandelt. Traure, mein Liebling, aber sei nicht so stumm und ergeben.
Ida. Ich habe nur den einen Gedanken, er ist für mich verloren, für immer verloren!
Adelheid. Du bist mein braves Mädchen. Aber sei ruhig! Du hast ihn gar nicht verloren! Im Gegentheil, wir wollen machen, daß du ihn weit schöner zurückerhältst. Mit gerötheten Wangen und verklärten Augen soll er wieder vor dich treten, der edle Mann, dein erwählter Halbgott, und um Verzeihung soll dich der Halbgott auch bitten, daß er dir Schmerzen bereitet hat.
Ida (zu ihr aufsehend). Was sagst du?
Adelheid. Höre, heut Nacht hab' ich in den Sternen gelesen, daß du Frau Abgeordnete werden sollst. Ein großer Stern fiel vom Himmel und darauf war mit leserlichen Buchstaben geschrieben: »Ohne Widerrede, sie soll ihn haben!« – Die Erfüllung ist nur an eine Bedingung geknüpft.
Ida. Welche Bedingung? sag' mir's.
Adelheid. Ich habe dir neulich von einem gewissen Fräulein und einem unbekannten Herrn erzählt. Weißt du?
Ida. Ich habe unaufhörlich daran gedacht.
Adelheid. Gut. An demselben Tage, wo diese Dame ihren Ritter wiederfindet, wirst auch du mit deinem Professor versöhnt werden. Nicht eher, nicht später, so steht's geschrieben.
Ida. Ich glaube dir so gern. Und wann wird der Tag kommen?
Adelheid. Ja, mein Schatz, das weiß ich so genau nicht. Aber im Vertrauen, weil wir Mädchen allein sind, die bewußte Dame hat das lange Hoffen und Harren herzlich satt, und ich fürchte, daß sie einen verzweifelten Schritt thut.
Ida (sie umarmend). Mache nur, daß es nicht zu lange dauert.
Adelheid (sie haltend). Still, daß uns kein Mann hört!
Korb.
Was bringen Sie, alter Freund?
Korb. Fräulein, draußen ist Herr Bellmaus, der Freund –
Adelheid. Schon gut; und er will mich sprechen.
Korb. Ja, ich selbst habe ihm zugeredet, sich an Sie zu wenden, er hat Ihnen etwas zu erzählen.
Adelheid. Führen Sie ihn herein! (Korb ab.)
Ida. Laß mich fort, ich habe verweinte Augen.
Adelheid. So geh, mein Herz, in wenigen Minuten bin ich wieder bei dir. (Ida ab.) Auch der noch! Die ganze Union, einer nach dem andern!
Bellmaus.
Bellmaus (schüchtern, mit vielen Verbeugungen). Sie haben mir erlaubt, gnädiges Fräulein! –
Adelheid (freundlich). Ich freue mich, Sie bei mir zu sehen, und bin neugierig auf die interessanten Entdeckungen, die Sie mir machen wollen.
Bellmaus. Ich möchte Niemandem lieber, als Ihnen, mein gnädiges Fräulein, anvertrauen, was ich gehört habe. Da ich von Herrn Korb erfahren, daß Sie eine Abonnentin unserer Zeitung sind, so habe ich das Vertrauen –
Adelheid. Daß ich auch verdiene, eine Freundin der Redacteure zu sein. Ich danke Ihnen für die gute Meinung.
Bellmaus. Da ist dieser Schmock! Er ist ein armer Mensch, der wenig in guter Gesellschaft gelebt hat, und war bis jetzt Mitarbeiter am Coriolan.
Adelheid. Ich erinnere mich, ihn gesehen zu haben.
Bellmaus. Ich gab ihm auf den Wunsch von Bolz einige Gläser Punsch. Darauf wurde er lustig und erzählte mir von einem großen Complot, welches zwischen Senden und dem Redacteur des Coriolan besteht. Diese beiden Herren haben nach seiner Versicherung den Plan, unsern Professor Oldendorf beim Herrn Obersten in Mißcredit zu bringen, und deshalb haben sie den Herrn Oberst angetrieben, Artikel in den Coriolan zu schreiben.
Adelheid. Ist denn der junge Mann, welcher Ihnen diese Entdeckungen gemacht hat, irgendwie zuverlässig?
Bellmaus. Er kann nicht viel Punsch vertragen, und als er drei Gläser getrunken hatte, erzählte er mir das alles freiwillig; sonst halte ich ihn freilich nicht für sehr anständig. Ich glaube, er ist ein guter Kerl, aber anständig? Nein, das ist er doch nicht.
Adelheid (gleichgültig). Würde dieser Herr – welcher die drei Gläser Punsch getrunken hat, wohl bereit sein, seine Enthüllungen vor andern Personen zu wiederholen?
Bellmaus. Er sagte mir, daß er das thun wollte, und sprach auch von Beweisen.
Adelheid (bei Seite). Ah so! – (laut) Ich fürchte, die Beweise werden nicht genügend sein. – Und Sie haben dem Professor oder Herrn Bolz keine Mittheilung darüber gemacht?
Bellmaus. Unser Professor ist jetzt sehr beschäftigt, und Bolz ist der beste und lustigste Mensch von der Welt; aber weil er ohnedies mit Herrn von Senden gespannt ist, so glaube ich –
Adelheid (schnell). Und Sie hatten ganz Recht, lieber Herr Bellmaus. – Also sonst sind Sie mit Herrn Bolz zufrieden?
Bellmaus. Er ist ein verträglicher und ausgezeichneter Mensch, und ich stehe mit ihm sehr gut, wir alle stehen gut mit ihm.
Adelheid. Das freut mich.
Bellmaus. Er ist manchmal etwas übermüthig, aber er hat das beste Herz von der Welt.
Adelheid (bei Seite). Aus dem Munde der Kinder und Unmündigen werden ihr die Wahrheit hören.
Bellmaus. Freilich ist er eine rein prosaische Natur, für Poesie hat er keinen Sinn.
Adelheid. Glauben Sie?
Bellmaus. Ja, in der Beziehung wird er oft ausfällig.
Adelheid (aufbrechend). Ich danke Ihnen für Ihre Mittheilungen, auch wenn ich kein Gewicht darauf legen kann, ich freue mich, in Ihnen einen Theil der Redaction kennen zu lernen. Die Herren Journalisten sind, wie ich merke, gefährliche Leute, und es ist gut, ihr Wohlwollen zu erhalten, obgleich ich als unbedeutende Person mich bemühen will, nie Stoff zu einem Zeigungsartikel zu geben. – (Da Bellmaus zögert zu gehen:) Kann ich Ihnen noch in irgend etwas dienen?
Bellmaus (mit Wärme). Ja, gnädiges Fräulein, wenn Sie die Güte haben wollen, dieses Exemplar meiner Gedichte anzunehmen. Es sind zwar Jugendgedichte, meine ersten Versuche, aber ich rechne auf Ihre freundliche Nachsicht. (Zieht ein Buch mit Goldschnitt aus der Tasche, übergibt es.)
Adelheid. Ich danke Ihnen herzlich, Herr Bellmaus. Noch niemals hat mir ein Dichter seine Werke geschenkt, ich werde das schöne Buch auf dem Lande durchlesen und mich unter meinen Bäumen darüber freuen, daß ich in der Stadt Freunde habe, welche auch an mich denken, wenn sie für Andere das Schöne darstellen.
Bellmaus (mit Feuer). Sein Sie überzeugt, gnädiges Fräulein, daß kein Dichter Sie vergessen wird, welcher das Glück gehabt hat, Sie kennen zu lernen. (Ab mit einer tiefen Verbeugung.)
Adelheid (allein). Dieser Herr Schmock mit den drei Gläsern Punsch ist doch wohl einer Bekanntschaft werth. Korb soll ihn gleich aufsuchen. – Kaum bin ich in der Stadt angekommen, und mein Zimmer ist wie ein Geschäftsbureau, in welchem Redacteure und Schriftsteller ihr Wesen treiben. – Ich fürchte, das ist eine Vorbedeutung. (Ab nach links.)
Es wird dunkel. Der Oberst aus dem Garten.
Oberst (langsam nach vorn). Es ist mir lieb, daß es aus ist zwischen uns. – (aufstampfend) Sehr lieb ist es mir! – (gedrückt) Ich fühle mich frei und leicht, wie seit lange nicht, ich glaube, ich könnte singen. – In diesem Augenblick bin ich Gegenstand der Unterhaltung bei allen Theetassen, auf allen Bierbänken. Ueberall Raisonniren und Lachen: Dem geschieht recht, dem alten Narren! Verdammt!
Karl mit Lichtern und der Zeitung.
Wer hat dir erlaubt, Licht zu bringen?
Karl. Herr Oberst, es ist die Stunde, wo Sie die Zeitung lesen. Hier ist sie. (Legt sie auf den Tisch).
Oberst. Unwürdiges Volk, diese Herren von der Feder! Feig, boshaft, hinterlistig in ihrer Anonymität. Wie diese Bande jetzt triumphiren wird, und über mich! Wie sie ihren Redacteur bis in die Wolken erheben! Da liegt das nichtswürdige Blatt! Darin steht meine Niederlage, ausposaunt mit vollen Backen, mit spöttischem Achselzucken – - weg damit! (geht auf und ab, sieht die Zeitung auf der Erde an, sie aufhebend) Ich will's doch auskosten! (setzt sich) Hier gleich im Anfange: (lesend) Professor Oldendorf – Majorität von zwei Stimmen. »Dies Blatt ist verpflichtet, sich über das Resultat zu freuen.« – Das glaub' ich. – »Aber nicht weniger erfreulich war der Wahlkampf, welcher voranging.« – Natürlich. – »Es ist vielleicht noch nicht dagewesen, daß, wie hier, zwei Männer einander gegenüberstanden, so eng durch jahrelange Freundschaft verbunden, beide in gleicher Weise durch das Wohlwollen ihrer Mitbürger ausgezeichnet. Es war ein ritterlicher Kampf zwischen zwei Freunden, voll Hochherzigkeit, ohne Groll, ohne Eifersucht, ja vielleicht verbarg sich in der Seele eines jeden von beiden der Wunsch, daß der befreundete Gegner, und nicht er, Sieger werde.« (Legt das Blatt weg, trocknet sich die Stirn ab.) Was ist das für eine Sprache? – (liest) »Und abgesehen von einzelnen Parteiansichten hat nie ein Mann größere Ansprüche auf den Sieg gehabt, als unser verehrter Gegner. Was er durch seine biedere, edle Persönlichkeit dem großen Kreise seiner Freunde und Bekannten gilt, das zu rühmen ist hier nicht der Ort; wie er aber durch seine rege Theilnahme für alle gemeinnützigen Unternehmungen der Stadt mit Rath und That gewirkt, das ist allgemein bekannt und wird gerade heut von unsern Mitbürgern mit lebhaftem Dank empfunden.« – (legt das Blatt weg) Das ist ein niederträchtiger Stil! – (liest weiter) »Durch eine sehr geringe Majorität der Stimmen hat unsere Stadt beschlossen, die politischen Ansichten des jüngern Freundes in den Kammern geltend zu machen, aber von allen Parteien werden heut, wie verlautet, Adressen und Deputationen vorbereitet, nicht, um den Sieger im Wahlkampf zu feiern, sondern um seinem Gegner, seinem edlen Freunde die allgemeine Achtung und Verehrung auszudrücken, deren nie ein Mann würdiger war als er.« – Das ist offenbarer Meuchelmord! Das ist eine furchtbare Indiscretion Oldendorf's, das ist eine Journalistenrache, so fein und zugespitzt. – O das sieht ihm ähnlich! Nein, das sieht ihm nicht ähnlich! Es ist empörend, es ist unmenschlich.! – Was soll ich thun? Deputationen und Adressen an mich? an Oldendorf's Freund? – Bah, das ist alles nur Geschwätz, Zeitungsgeschrei, das kostet nichts, als ein paar schöne Worte! Die Stadt weiß nichts von diesen Empfindungen. Es ist eine Gaunerei!
Karl.
Karl. Briefe von der Stadtpost. (Legt sie auf den Tisch, ab.)
Oberst. Darin steckt wieder etwas! Es ist mir unheimlich, sie aufzumachen. – (erbricht den ersten) Was Teufel! ein Gedicht? und an mich? »Unserm edlen Gegner in der Politik, dem besten Manne der Stadt« – unterschrieben? – wie ist die Unterschrift? Baus! Baus? kenne ich nicht, das muß ein Pseudonym sein! (liest) Es scheint ganz ausgezeichnete Poesie! – Und was ist hier? (öffnet den zweiten Brief) »Dem Wohlthäter der Armen, dem Vater der Verwaisten«, eine Adresse – (liest) Verehrung und Herzensgüte – Unterschrift: »Viele Frauen und Mädchen«, das Siegel ein P. P.? Mein Gott, was soll das alles? bin ich behext? – Sind das in Wahrheit Stimmen aus der Stadt, und wird der heutige Tag von den Menschen so aufgefaßt, so muß ich gestehen, daß die Leute besser von mir denken, – als ich selbst. –
Karl.
Karl. Eine Anzahl Herren wünscht den Herrn Oberst zu sprechen.
Oberst. Was für Herren?
Karl. Sie sagen: eine Deputation der Wahlmänner.
Oberst. Führe sie herein. Diese verdammte Zeitung hat doch Recht gehabt.
Piepenbrink, Kleinmichel, noch drei andere Herren (sie verbeugen sich, der Oberst gleichfalls).
Piepenbrink (feierlich). Mein Herr Oberst! – Eine Anzahl Wahlmänner hat uns als eine Deputation zu Ihnen gesandt, um Ihnen gerade heut zu sagen, daß die ganze Stadt Sie für einen höchst respectabeln und braven Mann hält.
Oberst (steif). Ich bin für die gute Meinung verbunden.
Piepenbrink. Da ist nichts Verbindliches bei. Es ist die Wahrheit. Sie sind ein Ehrenmann durch und durch, und es macht Freude, Ihnen das zu sagen; es kann Ihnen nicht unangenehm sein, dies von Ihren Mitbürgern zu hören.
Oberst. Ich habe mich selbst immer für einen Mann von Ehre gehalten, meine Herren.
Piepenbrink. Da haben Sie ganz Recht gehabt. Und Sie haben Ihre brave Gesinnung auch bewiesen. Bei jeder Gelegenheit. Bei Armuth, bei Theuerung, in Vormundschaften, auch bei unserm Schützenfest, überall, wo uns Bürgern ein wohlwollender und guter Mann Freude machte oder nützlich war, da sind Sie voran gewesen. Immer schlicht und treuherzig, ohne schnurrbärtiges Wesen und Hochmuth. Daher kommt es denn, daß wir Sie allgemein lieben und verehren.
Oberst (fährt sich über die Augen).
Piepenbrink. Heut haben viele von uns ihre Stimmen dem Professor gegeben. Manche wegen der Politik, manche, weil sie wissen, daß er Ihr genauer Freund ist und vielleicht gar Ihr Schwiegersohn wird.
Oberst (ohne Härte). Mein Herr –
Piepenbrink. Auch ich selbst habe Ihnen meine Stimme nicht gegeben.
Oberst (etwas eifriger). Mein Herr –
Piepenbrink. Aber eben deswegen komme ich mit den Anden zu Ihnen, und deswegen sagen wir Ihnen, wie man in der Bürgerschaft von Ihnen denkt. Und wir wünschen alle, daß Sie noch lange Ihre männliche Gesinnung und Ihr freundschaftliches Herz uns erhalten mögen, als ein verehrter, äußerst respectabler Herr und Mitbürger.
Oberst (ohne Härte). Warum sagen Sie das nicht dem Professor, auf den Ihre Wahl gefallen ist?
Piepenbrink. Er ist noch jung. Er soll sich's erst in den Kammern verdienen, daß die Stadt ihm dankt. Sie aber haben's um uns verdient und deshalb kommen wir zu Ihnen.
Oberst (aufrichtig). Ich danke Ihnen, meine Herren, für Ihre freundlichen Worte. Sie thun mir gerade jetzt sehr wohl. Ich bitte Sie um Ihren Namen.
Piepenbrink. Ich heiße Piepenbrink.
Oberst (erkältet, aber nicht unhöflich). Ah so, das ist der Name. – (mit Haltung) Ich danke Ihnen, meine Herren, für die wohlwollende Ansicht, welche Sie ausgesprochen haben, gleichviel, ob Sie die wahre Meinung der Stadt wiedergeben, oder nach den Wünschen Einzelner reden. Ich danke Ihnen, und ich werde fortfahren, das zu thun, was ich für Recht halte. (Verbeugt sich, die Deputation ebenfalls, letztere ab.)
Also das ist dieser Piepenbrink, der warme Freund seines Freundes! – Aber die Worte dieses Mannes waren verständig und sein ganzes Aussehen ehrenwerth, es ist unmöglich, daß das alles Spitzbüberei sein kann. – Wer weiß! Es sind gewandte Intriganten. Senden mir Zeitungsartikel, Briefe und diese gutmüthigen Leute ins Haus, um mich weichherzig zu machen, geberden sich vor aller Welt als meine Freunde, um mich zu zwingen, ihrer Falschheit wieder zu trauen! Ja, so ist's. Alles ist abgekartet! Sie sollen sich getäuscht haben!