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»Das ganze Leben ist ein verunglückter Versuch des Individuums, Form zu erlangen.»
Tagebuch vom 19. August 1843.
Christian Friedrich Hebbel wurde am 18. März 1813 in Wesselburen in Norderdithmarschen geboren. Sein Vater war Maurer; fleißig und verläßlich, aber nicht besonders geschickt, daher im Winter bisweilen ohne Verdienst. Er war ein finsterer und wortkarger Mann, der es nicht gern hatte, wenn die Kinder lachten oder überhaupt sich hören ließen. Die Mutter entstammte einer Wesselburener Bürgerfamilie, sie war eine leicht aufbrausende, aber ebenso versöhnliche Frau, dabei nicht ohne ein gewisses ahnungsvolles Verständnis für Höheres; ihr allein hatte es Hebbel zu verdanken, daß er von Anfang an eine ordentliche Schulerziehung genießen durfte und nicht nach dem Wunsche seines Vaters ein Bauernjunge wurde. An Streitigkeiten und Reibereien, wie sie die Sorge um den täglichen Lebensunterhalt hervorzubringen pflegt, hat es in Hebbels Elternhaus niemals gefehlt; aber man schlug sich doch zur Not durch, ohne gerade zu hungern, denn das kleine Häuschen, in dem Hebbel geboren wurde, gehörte den Eltern und half ihnen über den Winter hinweg.
Zunächst kam Hebbel in die sogenannte ›Klippschule‹, wo ihm die Jungfer Susanne das Lesen und Schreiben beibrachte, und von da in die Elementarschule des Ortes zum Lehrer Dethlefsen, an den er immer eine freundliche Erinnerung bewahrt hat. In diese Zeit fällt das erste traurige Ereignis seines Lebens: die Eltern mußten ihr Häuschen verkaufen, und jetzt erst begann eine Zeit der wirklichen Not. »Ich war, ohne es selbst zu wissen, bis dahin ein kleiner Aristokrat gewesen und hatte nun aufgehört, es zu sein.« In der Schule machte er jedoch weiter gute Fortschritte, daneben las er alles, was er nur irgend bekommen konnte, und an dem Leben im Hause und im Dorfe entwickelte er bald jene Frühreife der Lebenskenntnis, die ja bei Proletarierkindern überhaupt nichts Seltenes ist.
Hebbel war wenig über vierzehn Jahre alt, als sein Vater starb. Nun begann die Not erst recht, aber Dethlefsen half seinem Lieblingsschüler weiter und brachte ihn zum Kirchspielvogt Mohr, dem angesehensten Manne des Ortes. Bei diesem hat Hebbel acht Jahre verbracht, zunächst als eine Art Laufbursche, später als Kanzlist. An diese Jahre denkt Hebbel mit der größten Bitterkeit, und es waren auch wahrscheinlich seine schwersten. Die ökonomische Not war in seiner späteren Zeit vielleicht bisweilen noch größer, aber in einer so abhängigen Stellung hat er sich nie wieder befunden. Eine große Annehmlichkeit bot jedoch Mohrs große Bibliothek, der Hebbel die Grundlage seiner ganzen Bildung verdankte. Es fehlte auch nicht an einer gewissen Geselligkeit, es gab Zusammenkünfte bei den Familien des Ortes, und Hebbel erlebte seine ersten kleinen Abenteuer mit Frauen.
In Friedrichstadt erschien damals ein kleines Wochenblatt, der ›Dithmarscher und Eiderstedter Bote‹, und hier sind die ersten literarischen Arbeiten Hebbels in den Jahren 1829-1832 erschienen. Es sind Gedichte in Schillerscher Manier und Epigramme in der Art Lessings, beides unselbständig, aber in der Form überraschend vollkommen. Besonders der Einfluß Schillers ist sehr deutlich: die Gedichte sind voll ›Sprachschaum‹ (wie Hebbel selbst sich später ausgedrückt hat), der Gedanke tritt überall vor die Anschauung. Allmählich wird jedoch Schiller vollständig von Uhland verdrängt, an dem Hebbel zweifellos seinen stärksten literarischen Jugendeindruck gehabt hat, obgleich er ihn, als eine Art AntidotGegengift gegen die Schillersche Reflexionslyrik, ein wenig überschätzt hat. Er schreibt darüber in seinem Tagebuch: »Was ich zuerst zu bemerken habe, ist der Tag, an welchem mir Uhland zuerst entgegentrat. Ich las von ihm in einem ›Odeum‹ ein Gedicht: des Sängers Fluch, und war jemals ein Gedicht ein Alp gewesen, der mich erdrückte, so war es dieses. Er führte mich auf einen Gipfel, dessen Höhe ich im ersten Augenblick nur dadurch erkannte, daß mir die Luft zum freien Atmen fehlte. Ich hatte mich bei meinem Nachleiern Schillers – über diesen Lyriker spricht der Umstand das Urteil, daß er dem Menschen in der Jugend nahe steht und bei vorgerückten Jahren ferne, wogegen bei anderen Dichtern das umgekehrte Verhältnis stattfindet – sehr wohl befunden und dem Philosophen manchen Zweifel, dem Ästhetiker manche Schönheitsregel abgelauscht, um Seitenstücke zum ›Ideal und Leben‹ und zu anderen Treibhauspflanzen, die es bei erkünstelter Farbe doch nie zu Geruch und Geschmack bringen, zu liefern; von Goethe war mir nur wenig zu Gesicht gekommen, und ich hatte ihn um so mehr etwas geringschätzig behandelt, weil sein Feuer gewissermaßen ein unterirdisches ist, und weil ich überhaupt glaubte, daß zwischen ihm und Schiller ein Verhältnis, wie etwa zwischen Mohammed und Christus, bestehe; daß sie fast gar nicht miteinander verwandt seien, konnte mir nicht einfallen. Nun führte Uhland mich in die Tiefe einer Menschenbrust und dadurch in die Tiefen der Natur hinein; ich sah, wie er nichts verschmähte – nur das, was ich bisher für das höchste angesehen hatte, die Reflexion! – wie er ein geistiges Band zwischen sich und allen Dingen aufzufinden wußte, wie er, entfernt von aller Willkür und aller Voraussetzung – alles, selbst das Wunderbare und Mystische, auf das einfach Menschliche zurückzuführen verstand, wie jedes seiner Gedichte einen eigentümlichen Lebenspunkt hatte, und dennoch nur durch den Rückblick auf die Totalität des Dichters vollkommen zu verstehen und aufzunehmen war. Dieses reine, harmonische Glockenspiel erfreute mich solange, bis ich es zu seinem Ursprung zu verfolgen und mir über den Eindruck, den es auf mich hervorgebracht, Rechenschaft zu geben suchte; und nicht ohne der Verzweiflung, ja dem Wahnsinn nahe gewesen zu sein, gewann ich das erste Resultat, daß der Dichter nicht in die Natur hinein, sondern aus ihr heraus dichten müsse.«
Im Winter 1831 dichtete er sein erstes Theaterstück ›Der Vatermord‹, ein ›dramatisches Nachtgemälde‹ in der Art der Schicksalstragödien, aber ohne deren spiritistischen Apparat. Das Theater begann ihn überhaupt stark anzuziehen; er begründete eine Liebhaberbühne und hatte den Plan, Schauspieler zu werden. Er scheiterte jedoch mit beiden: das Liebhabertheater brachte es nicht über einen Winter, und als er sich von Lebrun, dem Direktor des Hamburger Stadttheaters, prüfen ließ, sprach ihm dieser jede Aussicht auf eine schauspielerische Karriere ab. Inzwischen hatte jedoch die Schriftstellerin Amalia Schoppe, die in Hamburg die ›Neuen Pariser Modeblätter‹ herausgab, ihre Aufmerksamkeit auf den jungen Hebbel gerichtet, und es war ihr gelungen, durch eine Art Kollekte den Betrag von 150 Talern für ihn zusammenzubringen, ihm außerdem Freitische bei wohlhabenden Bürgern zu erwirken und so einen längeren Aufenthalt in Hamburg für Hebbel notdürftig zu sichern. So kam Hebbel Anfang 1835 nach Hamburg, um zunächst das Allernötigste an philologischen Studien nachzuholen und dann sogleich die Universität zu beziehen, denn seine Gönner hatten ihn der juristischen Laufbahn bestimmt.
Das Hamburger Jahr steht unter dem Einfluß zweier Frauen: Amalia Schoppe und Elise Lensing. Die ›Doktorin‹ Schoppe stand damals auf der Höhe ihrer schriftstellerischen und journalistischen Wirksamkeit, die sie mit großer Agilität und nicht ohne Geschicklichkeit betrieb; sie war gutmütig und intelligent, dabei aber sehr herrschsüchtig und nicht gewohnt, fremde Individualitäten zu achten; vor allem scheint es ihr jedoch an jedem feineren Takt gefehlt zu haben. Elise Lensing wurde Hebbels Geliebte, aber sie war neun Jahre älter als er, also einunddreißig, als er sie kennenlernte, und überhaupt niemals schön gewesen. Sie war jedoch aus gutbürgerlichem Hause, wohlerzogen, nicht ungebildet und von anschmiegsamem weiblichem Verständnis, das freilich niemals zu einer wirklichen geistigen Gemeinschaft mit Hebbel ausgereicht hat. In Elise fand Hebbel zum erstenmal einen Menschen, der den Willen und die Fähigkeit hatte, sich in ihn zu versenken, und es ist nicht zu verwundern, daß dies einen tiefen und belebenden Eindruck auf ihn gemacht hat. Die nächsten zehn Jahre hat Elise Hebbels Leben geteilt oder doch aus der Ferne begleitet, oft als eine schwerempfundene Last, aber immer liebend und aufopfernd.
Einen Lehrer konnte sich Hebbel nicht bezahlen, und so mußte er sich mit einem Schüler des Joanneums, F. W. Gravenhorst, zufriedengeben, der ihn unentgeltlich im Lateinischen unterrichtete. Indes stellte es sich heraus, daß dieser späte Versuch, die Jugendversäumnisse nachzuholen, mehr Hemmungen als geistigen Gewinn brachte, und es ging in der Philologie nur langsam vorwärts. Um so reicher und selbständiger entwickelte sich Hebbels Gedankenleben, von dem die freien Vorträge, die er im ›Wissenschaftlichen Verein von 1817‹ hielt, ein schönes Zeugnis abgeben. Es sind höchst wohldurchdachte und ideenreiche Untersuchungen über allerlei ästhetische, philosophische und psychologische Probleme, und auch hier wie im Lyrischen überrascht die außerordentliche Reife und Vollendung des sprachlichen Ausdrucks. Es ist überhaupt merkwürdig, daß Hebbels Jugendarbeiten fast gar nichts Unfertiges an sich haben, selbst in seinen Tagebüchern können wir einen bestimmten Entwicklungsgang vom jugendlich Unvollkommenen zum männlich Ausgereiften nicht verfolgen, zumal im Stil tritt uns eine souveräne Ausdrucksfähigkeit von vornherein entgegen. Auch seine Gedankenwelt zeigt sich von allem Anfang an in ihrer scharf ausgeprägten Originalität, so daß sich bestimmte deutlich abgegrenzte Kapitel in seiner Geistesgeschichte nicht unterscheiden lassen.
Indes der eigentliche Zweck des Hamburger Aufenthalts, die philologische Vorbereitung für die Universität, blieb unerreicht, und nur widerstrebend willigten die Gönner in die Übersiedlung nach Heidelberg. Mit dem Rest des gespendeten Geldes, etwa achtzig Talern, begab sich Hebbel nun im Frühjahr 1836 dorthin, um zunächst als außerordentlicher Hörer juristische Kollegien zu hören. Vor allem aber lag ihm die Vervollständigung seiner allgemeinen Bildung am Herzen, er trieb literarische und kunstwissenschaftliche Studien und beschäftigte sich daneben, mehr dilettierend, mit Physik, Physiologie und Sprachwissenschaft. Trotz größter Sparsamkeit wäre er aber bald wieder in Not gekommen, wenn Elise ihm nicht mit fünfzig Talern ausgeholfen hätte. In dieser Zeit brachte er die Erzählung ›Anna‹ zu Ende, die erste künstlerisch vollkommen selbständige Arbeit, die er darum auch selbst als seinen ›dichterischen Erstling‹ bezeichnet hat. Als der Sommer zu Ende ging, verließ er die Stadt, die ihm, besonders wegen ihrer Naturschönheiten, stets in der angenehmsten Erinnerung geblieben ist, und wanderte zu Fuß nach Tübingen, wo er Uhland persönlich kennenlernte; er wurde jedoch von der etwas philiströsen Erscheinung des Dichters enttäuscht. Von da ging er weiter nach München, wo er sein Winterquartier bezog, »jetzt nicht mehr stud. jur., sondern Literat«. Hier versuchte er sich zunächst in allerlei journalistischen Arbeiten, mußte jedoch bald erkennen, daß rein aktuelle Schriftstellerei nicht seine Sache war. Wieder war er vor allem darauf bedacht, die Lücken in seinem allgemeinen Wissen auszufüllen, diesmal in erster Linie die philosophischen; er hörte Schelling und Görres, die damals auf dem Höhepunkt ihrer Wirksamkeit standen, und las zum erstenmal Hegel. Die Stadt gefiel ihm ganz ausnehmend, er wohnte bei angenehmen Leuten, und bald fand er auch in der Tischlerstochter Josepha Schwarz, genannt ›Beppy‹, eine liebenswürdige Freundin. Von größeren Arbeiten entstanden in der Münchener Zeit das ›niederländische Gemälde‹, ›Schnock‹ und zwanzig Kapitel eines großen Romans ›Der deutsche Philister‹, den er aber im Manuskript vernichtete. Mit einigen Vertretern des ›jungen Deutschland‹, besonders mit Laube und Gutzkow, knüpfte er Beziehungen an; er war sich aber von vornherein seines tiefen Gegensatzes zu dieser ganzen Richtung vollkommen bewußt. Die Not war in dieser Zeit am größten: er aß niemals etwas Warmes und besaß nur einen einzigen, schadhaften Anzug, und selbst diesen dürftigsten Unterhalt ermöglichten ihm nur Elisens neuerliche Unterstützungen. Dazu kam eine quälende Krankheit und allerlei Zweifel am eigenen Können. »Das ist der Fluch meines Daseins, daß mein Talent zu groß ist, um unterdrückt, und klein, um zum Mittelpunkt meiner Existenz gemacht werden zu können. Ich erkenne das Vortreffliche, ich erreiche es zuweilen, aber was hilft es mir, wenn ich doch nur besuchen darf, wo ich wohnen sollte.« Eine tief pessimistische Stimmung ergriff ihn, und er dachte allen Ernstes an Selbstmord. »Du fragst, an welcher Todeskrankheit ich darnieder gelegen wäre?« schreibt er an Elise. »Liebes Kind, es gibt nur einen Tod und nur eine Todeskrankheit, und sie lassen sich nicht nennen; aber es ist die, derentwegen sich Goethes Faust dem Teufel verschrieb, die Goethe befähigte und begeisterte, seinen Faust zu schreiben; es ist die, die den Humor erzeugt und die Menschheit (d. h. die wenigen Menschen, in denen etwas Weniges vom Menschen ausschlägt und in Blüte tritt) erwürgt; es ist die, die das Blut zugleich erhitzt und erstarrt; es ist das Gefühl des vollkommenen Widerspruchs in allen Dingen, es ist mit einem Wort die Krankheit, die du nie begreifen wirst, weil – du danach fragen konntest. Ob es für diese Krankheit ein Heilmittel gibt, weiß ich nicht; aber das weiß ich, der Doktor (sei er nun über den Sternen oder im Mittelpunkte meines Ichs), der mich kurieren will, muß zuvor die ganze Welt kurieren, und dann bin ich gleich kuriert. Es ist das Zusammenfließen alles höchsten Elends in einer einzigen Brust; es ist die Empfindung, daß die Menschen so viel von Schmerzen und doch so wenig von Schmerz wissen; es ist Erlösungsdrang ohne Hoffnung und darum Qual ohne Ende.«
Anfang 1838 hob sich die Stimmung ein wenig, ältere dramatische Pläne wurden wieder vorgenommen und eine Doktorsdissertation vorbereitet. Aber im Herbst des Jahres trafen ihn fast gleichzeitig zwei tiefe Verluste: der Tod seiner Mutter und seines einzigen Freundes Emil Rousseau. Ganz verdüstert und vereinsamt verbrachte er den Winter noch in München, weil die schlechte Witterung ihn an einer Fußreise nach Hamburg hinderte. Im Frühjahr 1839 kehrte er nach dreijähriger Abwesenheit unter den größten Entbehrungen und Beschwerden wieder dahin zurück.
Nun folgte ein vierjähriger Aufenthalt in Hamburg an der Seite Elisens, die ihm Ende 1840 seinen ersten Sohn Max gebar. In dieser Zeit sind seine ersten großen Dichtungen entstanden. Den Anfang machte die Tragödie ›Judith‹, die im Herbst 1839 begonnen und in wenigen Monaten vollendet wurde. Er schickte sie sogleich an die berühmte Tragödin Stich-Crelinger, die aber allerlei zensorische Bedenken hatte und eine Menge von Strichen verlangte; indes brachte der berühmte Ästhetiker Lotze eine günstige Besprechung, und Gutzkow sandte einen schmeichelhaften Brief. Endlich wurde, nach mancherlei Verhandlungen, das Stück für Berlin definitiv angenommen. Dazwischen fällt der höchst peinliche Bruch mit Amalia Schoppe, hervorgerufen durch einen Brief an Hebbel, den dieser als »moralischen Mordversuch« bezeichnet. Die Abrechnung mit Frau Schoppe findet sich in dem umfangreichen ›Memorial‹, das Hebbel an sie sandte, und das in der ›Nachlese‹ zu seinen Briefen veröffentlicht wurde.
Im Juli 1840 erlebte die ›Judith‹ ihre Uraufführung in Berlin und fand Beifall, im Dezember desselben Jahres kam das Stück nach Hamburg, beidemal in einer für die Bühne adaptierten Fassung. Im Frühjahr 1841 vollendete Hebbel die ›Genoveva‹, die aber selbst bei Freunden eine sehr geteilte Aufnahme fand, und nach dem damaligen Geschmack vielleicht mit Recht; dennoch steckt in keiner Dichtung so viel vom innersten Hebbel und seinen Kämpfen. In dasselbe Jahr fällt auch noch das Lustspiel ›Der Diamant‹. Im Frühjahr 1842 erschien die erste Sammlung seiner Gedichte, vornehmlich Balladen und Romanzen. Als Hebbel im November 1842 Hamburg verließ, konnte er schon auf eine reiche und eigenartige Produktivität zurückblicken.
Mit wenig Geld und sehr unsicheren Aussichten begab er sich nun auf den Rat seiner Freunde nach Kopenhagen, um zunächst vom König Christian VIII. eine Kieler Professur zu erbitten. Die erbetene Audienz wurde sogleich bewilligt, der König war offen und freundlich und zeigte Interesse für Hebbels dichterische Arbeiten, von der ›Judith‹ fand er aber doch, daß »greuliche Sachen darin ständen«. Bestimmte Hoffnungen auf die Professur konnte er ihm nicht machen, dagegen ermunterte er ihn zu einem Stipendiumsgesuch an die Hofkanzlei. Die literarischen Kreise Kopenhagens kamen Hebbel, der ihnen kein Fremder war, mit großer Anerkennung entgegen. Adam Oehlenschläger, der führende Dichter Dänemarks, lud ihn zu Tische und blieb mit ihm in lebhaftem Verkehr; auch Andersen und ThorvaldsenBertel Thorvaldsen (1768-1844), dänischer Bildhauer, berühmter Vertreter des Klassizismus. lernte er kennen. Der große Kopenhagener Studentenverein machte ihn zum Mitglied, was für Hebbel vor allem den Vorteil hatte, daß er, zum erstenmal, ein reiches Material an Büchern und Journalen zur Verfügung bekam. Er lernte denn auch in dieser Zeit viel Wichtiges kennen, was ihm bisher entgangen war: Spinoza, Aristophanes, Hegels Ästhetik und die neueren religionsphilosophischen Arbeiten der Hegelschule, lauter Werke, die ihn stark und nachhaltig beeinflußt haben. Daneben machte Thorvaldsens Atelier, das er öfters besuchen durfte, auf ihn einen tiefen Eindruck, und die Gespräche mit dem Künstler eröffneten ihm neue Blicke in das Wesen des künstlerischen Schöpfungsaktes. – Im Januar 1843 hatte er die zweite Audienz beim König, diesmal mit einem warmen Empfehlungsbrief Oehlenschlägers, der mit folgenden Worten begann: »Allergnädigster König! Der deutsche Dichter Friedrich Hebbel, welcher sich diesen Winter hier aufhält und Euere Majestät um ein Reisestipendium ersucht, hat mich gebeten, dieses Gesuch mit einer alleruntertänigsten Empfehlung zu begleiten, welche ich ihm mit Freuden und von ganzem Herzen gebe. Herr Hebbel ist gewiß ein Dichter von seltenen Talenten und echtem Genie. Dieses Zeugnis haben ihm auch bereits viele Kunstrichter erteilt, sowohl für seine Tragödien Judith und Genoveva, wie für seine lyrischen Gedichte. Sollte er in den angeführten Dramen noch allzustark zu dem Gewaltsamen hingerissen sein, so beurkunden doch diese Werke zugleich den gesunden kräftigen Keim zur reifen Schönheit und Meisterschaft in künftigen Arbeiten. Es würde daher jammerschade sein, wenn dieses schöne Talent nicht gedeihen und bei seinem Fürsten Hilfe und Unterstützung finden sollte.« Nun stellte sich denn auch endlich der gewünschte Erfolg ein, denn zwei Monate später konnte Oehlenschläger Hebbel die Nachricht überbringen, daß der König ein Reisestipendium von jährlich sechshundert Reichstalern für zwei Jahre bewilligt habe. Die unbeschreibliche Freude, in die Hebbel über diese verhältnismäßig kleine Unterstützung geriet, läßt uns erkennen, in wie großer Not er sich auch damals befunden haben muß. Er fuhr zunächst wieder nach Hamburg, wo er den Sommer verbrachte, und von da im Herbst nach Paris.
Sogleich stellten sich neue unerwartete finanzielle Schwierigkeiten ein. Die Teuerung der Großstadt hatte Hebbel nicht in Rechnung gezogen, zudem mußte er jetzt auch für die mittellose Elise und das Kind sorgen. Die Stadt selbst machte auf ihn einen überwältigenden Eindruck, denn es war die erste wirkliche Weltstadt, die er zu sehen bekam. Heinrich Heine empfing ihn mit der größten Liebenswürdigkeit; in dem Musikschriftsteller Felix Bamberg fand er einen ergebenen und verständnisvollen Freund. Aber wenige Wochen nach seiner Ankunft traf ihn eine Trauernachricht, die ihn aufs tiefste erschütterte: sein kleiner Sohn Max war an den Folgen eines unglücklichen Sturzes gestorben. In der ersten Trauer und einer Art Treuegefühl dachte er daran, Elise nach Paris kommen zu lassen und zu heiraten. Aber die ruhigere Erwägung ließ ihn die ökonomische Unmöglichkeit dieses Planes einsehen. Elise hatte nicht das richtige Verständnis für die Situation, sie hielt für Egoismus, was nur Einsicht in die Notwendigkeit der Verhältnisse war, und von da datiert der erste Riß zwischen Hebbel und Elise.
Das Jahr hatte indes doch ein wertvolles Resultat gebracht: das bürgerliche Trauerspiel ›Maria Magdalena‹. Anfang 1844 sandte es Hebbel an Madame Crelinger, die aber wegen der Schwangerschaft der Heldin wieder ihre moralischen Bedenken hatte. Im Herbst erschien das Werk bei Campe in Druck, eingeleitet durch ein Widmungsgedicht an Christian VIII. und eine lange theoretische Vorrede, in der in stark hegelianisch gefärbter Sprache die Absichten des Dramas dargelegt waren. Diese Vorrede und eine Abhandlung ›Mein Wort über das Drama‹ hat Hebbel dann ineinandergearbeitet und zu einer Dissertation ausgestaltet, mit der er durch die Universität Erlangen den philosophischen Doktorgrad erwarb.
Nach einjährigem Aufenthalt verließ er Paris und begab sich über Marseille nach Rom. Der Aufenthalt in Italien war ihm jedoch wiederum durch Geldsorgen und dazu noch durch ein hartnäckiges Fieber stark beeinträchtigt. Die Eindrücke in Rom waren andere als in Paris, aber nicht minder anregend. »Paris ist ein Ozean, Rom das Bett eines Ozeans.« Auch fand er angenehmen Verkehr; am besten verstand er sich mit dem Landschafter Louis Gurlitt, der ihm als Freund nahetrat und zweimal aus großen Geldnöten geholfen hat. Inzwischen war das dänische Stipendium abgelaufen; es wurde nicht erneuert, und nur zweihundert Reichstaler zur Heimreise bewilligt. Den Sommer verbrachte Hebbel noch in Italien, aber wegen der großen Hitze nicht in Rom, sondern in Neapel, wo er mit Mommsen und Hermann Hettner(1821-1882) Deutscher Literatur- u. Kunsthistoriker. in Verkehr trat, und im Spätherbst machte er sich auf die Rückreise nach Hamburg. Sein Weg ging über Wien, wo er nur kurze Zeit zu bleiben gedachte.
Deinhardstein, damals in Wien eine tonangebende Persönlichkeit,(1794-1859) Ehemals Vizedirektor des Burgtheaters. Grillparzer und Halm kamen ihm freundlich entgegen, und in den beiden Grafen Zerboni fand er zwei ebenso leidenschaftliche wie rührige Parteigänger; die Zeitungen beschäftigten sich mit ihm, und seine Dramen hatten Aussicht, im Burgtheater gespielt zu werden. Das wichtigste Ereignis aber war für ihn die Bekanntschaft mit der Burgschauspielerin Christine Enghaus, die im Frühjahr 1846 seine Frau wurde. Hier fand er endlich, was ihm gefehlt und was er in Elise vergebens gesucht hatte: das volle Verständnis einer wirklichen Künstlernatur und eine Gefährtin, in der er auch das Weib lieben konnte. Zudem war durch diese Ehe seine ökonomische Lage um vieles gebessert und auf die Dauer sichergestellt. Das erste Kind der Ehe war ein Sohn, der aber schon mit zwei Monaten starb, das zweite Kind war eine Tochter, Christine. Das Bild des überaus glücklichen Familienlebens, das Hebbel mit seiner Frau und seinem Kinde bis zu seinem Tode geführt hat, zeigt sich uns am schönsten in Briefen an Christine, die uns in einer vollständigen Ausgabe vorliegen. Auch die schwergekränkte Elise versöhnte sich nach heftigen Kämpfen und hat sogar über ein Jahr in dem Hause des Ehepaares gelebt.
In den nächsten Jahren entstand das ›Trauerspiel in Sizilien‹ das Hebbel später richtiger als ›Tragikomödie‹ bezeichnet hat, das Trauerspiel ›Julia‹ und die Tragödie ›Herodes und Mariamne‹. Das Burgtheater brachte zunächst ›Maria Magdalena‹ mit Christine, Anschütz, Fichtner und Löwe in den Hauptrollen; der Erfolg war sehr bedeutend. Ebenso stark wirkte die ›Judith‹, die bald nachfolgte; ›Herodes und Mariamne‹ dagegen fiel vollständig durch und erlebte keine zweite Aufführung. Auch das phantastische Märchenlustspiel ›Der Rubin‹, das Hebbel Anfang 1849 vollendete, fand bei seiner Burgtheateraufführung nicht das richtige Verständnis, weil man dahinter allerlei politische Anspielungen witterte; statt belacht zu werden, wurde es ausgelacht. Im nächsten Jahr schrieb er das kleine Drama ›Michel Angelo‹ und zwei Akte der großartig konzipierten religionsphilosophischen Tragödie ›Moloch‹, die aber ein Torso geblieben ist. Im Burgtheater war jedoch inzwischen ein Direktionswechsel eingetreten, der für Hebbel nicht günstig war: an die Stelle Holbeins war Laube getreten, der sich von vornherein gegen Hebbel stellte. Seine Dramen kamen nicht mehr zur Aufführung und waren auf das Ausland und den Vorlesetisch beschränkt. Teilweise Entschädigung für diese Zurücksetzung fand er in einem Kreis jugendlicher Verehrer, die sich schriftstellerisch, wo sie nur konnten, für ihn einsetzten; besonders der einundzwanzigjährige Emil Kuh zeigte eine rührende Anhänglichkeit.
Im Sommer 1851 ging Hebbel nach Berlin; die ›Judith‹ mit Christine als Gast hatte am Schauspielhaus einen glänzenden Erfolg, und Ludwig Tieck sagte: »Ich habe Goethe gekannt und bin seitdem nicht vielen so bedeutenden Menschen begegnet, wie Hebbel einer ist.« Zurückgekehrt begann er ein neues Trauerspiel ›Agnes Bernauer‹, das er noch vor Ende des Jahres abschloß. Er sandte es nach München an Dingelstedt,Seit 1851 dort Intendant der es den »Juwel in Hebbels Krone« nannte und sogleich für das Hoftheater erwarb. Anfang 1852 begab sich Hebbel zur Première nach München; nicht nur die Gelehrten und Künstler, sondern auch die Hofkreise, König Max an der Spitze, empfingen ihn aufs ehrenvollste. Das Stück blieb nicht ohne Wirkung, hatte aber, wie seinerzeit der ›Rubin‹, das Unglück, politisch genommen zu werden, besonders wegen der Ähnlichkeit mit der Montez-Affäre, die nicht gar zu weit zurücklag. Die Aufnahme war geteilt, eine Wiederholung unterblieb. Dagegen hatte die ›Genoveva‹, die Anfang 1854 unter dem Titel ›Magellona‹ aufs Burgtheater kam, einen starken Erfolg, wurde jedoch nach der sechsten Aufführung auf Betreiben der klerikalen Partei abgesetzt. In demselben Jahre vollendete Hebbel eine neue Tragödie ›Gyges und sein Ring‹, die er aber zunächst unveröffentlicht ließ. Im Sommer des nächsten Jahres besuchte er Gmunden in Oberösterreich, wo er sich ein kleines Häuschen kaufte, das er von nun an jeden Sommer aufsuchte. Dieser kleine Besitz war vielleicht die größte Freude seiner letzten Jahre. »Ich habe Shakespeare immer für unerreichbar gehalten und mir nie eingebildet, ihm in irgendetwas nachzukommen. Dennoch hätte ich in früheren Jahren immer noch eher gehofft, einmal irgendeinen Charakter zu zeichnen, wie er, oder irgendeine Situation zu malen, als mir wie er ein Grundstück zu kaufen. Nichtsdestoweniger habe ich heute (am 14. August) Mittag 10 Uhr einen Kontrakt unterzeichnet, durch den ich Besitzer eines Hauses am Gmundener See geworden bin.«
»Es gibt eine Tür, aus der ich nicht hinausgeworfen werden kann, und einen Garten, über dessen Planke ich nach Belieben klettern oder springen darf, ohne daß mir irgendein Mensch etwas darein zu reden hat; ich könnte mir selbst die Fenster einwerfen, um zu erproben, ob ich wirklich Eigentümer sei.«
Die nächsten fünf Jahre verliefen still; die wichtigsten Ereignisse waren: die Gesamtausgabe der Gedichte bei Cotta, »dem ersten Dichter der Gegenwart, Ludwig Uhland« gewidmet; eine längere Reise durch Deutschland, die ihn in Frankfurt mit Schopenhauer und in Stuttgart mit Mörike in Berührung brachte; die Festvorstellung der ›Genoveva‹ in Weimar zum Geburtstag des Großherzogs, für die er den Falkenorden erhielt, und schließlich der Bruch mit seinem langjährigen Freunde Emil Kuh. In diesen fünf Jahren erschien nur ein größeres Werk, das epische Gedicht ›Mutter und Kind‹, das von der Tiedgestiftung preisgekrönt wurde. Daneben schrieb er eine ganze Reihe von kritischen und kunstphilosophischen Aufsätzen für Journale, vor allem für die ›Wiener Zeitung‹, deren Literaturbeilage er redigierte. Das Hauptergebnis dieser fünfjährigen Arbeitszeit war die Nibelungentrilogie, die im Frühjahr 1860 als ein »Monstrum von elf Akten« ihren Abschluß erreichte. Der erste, der es mit dem Werk versuchte, war Dingelstedt, der inzwischen die Leitung des Weimarer Hoftheaters übernommen hatte: er brachte zunächst die beiden ersten Teile heraus, die einen glänzenden Erfolg hatten, und einige Monate später die ganze Trilogie, mit Christine als Gast. Auch die Buchausgabe, die erst ein Jahr später erschien, erregte allgemeines Aufsehen. Laube verhielt sich, wie immer, passiv, aber schließlich mußte auch er sich entschließen, die ›Nibelungen‹ aufs Burgtheater zu bringen. Die Erstaufführung fand Anfang 1863 statt und brachte einen großen Erfolg, der von Abend zu Abend stieg.
Die Festlichkeiten, mit denen man seinen fünfzigsten Geburtstag feierte, konnte Hebbel nicht mitmachen, denn das alte rheumatische Leiden, das ihn so oft geplagt hatte, stellte sich wieder ein und zwang ihn nach längerem Krankenlager zu einer Solbäderkur in Gmunden und einer Schwefelbäderkur in Baden bei Wien; aber beides blieb erfolglos, und so kehrte er wieder nach Wien zurück. Trotz seines Leidens arbeitete er mit ungeminderter, ja sogar gesteigerter Produktivität an seinem letzten großen Drama, dem ›Demetrius‹, den er aber nur auf fünfthalb Akte brachte. Die letzten Freuden, die er erlebte, waren die Verleihung des Schillerpreises, den er als erster erhielt, und die Versöhnung mit Emil Kuh. Er starb am 13. Dezember 1863. Als unmittelbare Todesursache wird Lungenentzündung angegeben.
Im Wiener Burgtheater steht seine Büste; seine Geburtsstadt Wesselburen hat ihm ein Denkmal gesetzt. Sein Ansehen als Dramatiker und Schriftsteller hat in den letzten Dezennien außerordentlich zugenommen, alle ernsten deutschen Bühnen bringen immer wieder Neuinszenierungen seiner Dramen, und die zahlreichen Gesamtausgaben seiner Werke sind heute in allen Händen.
Ein großes Berliner Theater, das in diesem Jahre eröffnet wurde, trägt seinen Namen.Dieser Essay erschien 1909 als Einleitung zu einer Auswahl aus Hebbels Tagebüchern.
Hebbels äußere Erscheinung hat Felix Bamberg geschildert: »Hebbel war schlank und ziemlich hoch von Gestalt; sein Gliederbau schien auf Unkosten des Kopfes zu zart ausgefallen und nur dazu da, diesen Kopf zu tragen; unter der hohen, wie in durchsichtigem Marmor gemeißelten Stirn leuchteten die blauen Augen, mild bei ruhigem Gespräche, bei erregtem feuchteten sie sich dunkel glänzend an; Nase und Mund deuteten auf Sinnlichkeit; die etwas bleichen, zart geröteten Wangen gaben dem durch ein starkes Kinn männlich abgeschlossenen Gesichte eine gewisse Breite, und wenn man ihn ansah, hatte man stets den Eindruck, ins Helle zu schauen. Er hatte eine adelige Künstlerhand und eine seelenvolle Stimme, die sich, je nach dem Gehalt seiner Rede, vom Gefälligen bis zum Gewaltigen steigern konnte . . . Eine natürliche, stets den Kern der Dinge erfassende Beredsamkeit und ein heiliger Ernst waren ihm eigen.« Ähnlich äußert sich auch der Dichter Friedrich von Uechtritz, der während eines Aufenthalts in Marienbad viel mit ihm verkehrt hat: »Es äußerte sich bei Hebbel eine Kraft und Fülle und dabei geniale Gewandtheit des Wortes, die ihm ebensosehr den prägnantesten Ausdruck für seine Gedanken und Bemerkungen zuführte, als sie seiner Rede eine freie anmutende Strömung gab und ihr noch in der Entladung von Unmut und Entrüstung über ihm Ungefälliges und Widerwärtiges die Würde eines eigentümlichen Stils erhielt. Es war ein eigentümlicher Gegensatz zwischen der nachdrücklichen volltönenden Kraft, die sich in seinem Worte vernehmen ließ, und seinem blonden Haare, der Weiche und Weiße seiner Haut und der Zartheit seiner Gesichtsfärbung; ein Gegensatz, der sich durch das geistige Feuer, das in den blauen Augen leuchtete, harmonisch vermittelte. Weder etwas Vornehmes, noch weniger aber aufgetragen Geniehaftes war in seiner Erscheinung, aber bei aller bürgerlichen Schlichtheit etwas in Haltung und Bewegung edel Unbeengtes und ruhig Sicheres.«
Unter einem gewissen Mangel an äußerer Liebenswürdigkeit scheint er sein ganzes Leben lang gelitten zu haben; trotzdem muß seine Persönlichkeit etwas Suggestives und Anziehendes besessen haben, was die große Zahl von persönlichen Verehrern beweist, an denen es ihm in fast keiner Periode seines Lebens gefehlt hat; auch hatte er offenbar Glück bei Frauen. Etwas Tyrannisches und Eigenwilliges lag sicher in seiner Natur; daher die erbitterten Konflikte, die er gerade mit seinen intimsten Freunden gehabt hat. Eine Eigenschaft, die ihm allem Anschein nach gefehlt hat, ist der Humor; er selbst hat die Bedeutung, die der Humor im Leben und in der Kunst einnimmt, oft und aufs tiefste erfaßt und gewürdigt, aber es scheint dennoch, daß diese vielleicht schönste Seite des menschlichen Wesens bei ihm so gut wie gar nicht entwickelt war. Wir können dies nicht bloß mit widrigen Lebensschicksalen erklären, sondern müssen darin wohl ein bestimmtes Merkmal der psychischen und physischen Organisation Hebbels erblicken, denn der Humor gehört sicher zum »intelligibeln Charakter«.
Hebbel war durch und durch ein Mann der Reflexion; was wir auch zur Hand nehmen: seine Dramen, seine Gedichte, seine Briefe, überall stoßen wir auf den Denker. Seine philosophische Hauptarbeit jedoch ist in zwei umfangreichen Sammlungen enthalten: den ›Vermischten Schriften‹ und den ›Tagebüchern‹.
Die sogenannten ›Vermischten Schriften‹ enthalten im wesentlichen die Aufsätze und Kritiken, die Hebbel im Laufe seines Lebens für Zeitschriften und Tageszeitungen verfaßt hat. Es sind ästhetisch-kritische Untersuchungen jeden Genres, von der kurzen Buchanzeige bis zum weitausgreifenden Essay, das die höchsten psychologischen und kunstwissenschaftlichen Probleme behandelt. Überraschend sind sie vor allem durch zweierlei: durch den für einen Ästhetiker der Hebbelzeit durchaus nicht selbstverständlichen Reichtum an Kenntnissen auf allen Gebieten des Wissens und durch die außerordentliche Objektivität des Urteils sowohl Freunden wie Feinden gegenüber. In einer gewissen Periode seines Lebens ist Hebbels Ausdrucksweise stark unter dem Einfluß Hegels gestanden, später hat sie sich aber zu vollkommener Klarheit und Natürlichkeit gereinigt.
Die ›Tagebücher‹ sind überaus reichhaltige Aufzeichnungen, die Hebbel vom Frühjahr 1835 bis zu seinem Tode mit großer Regelmäßigkeit, aber mit absichtlicher Planlosigkeit, ganz nach Laune und Stimmung und nur für sich selbst gemacht hat. Es sind, wie er selbst es bezeichnet, »Reflexionen über Welt, Leben und Bücher, hauptsächlich aber über mich selbst«. Sie sind vielleicht das Beste, was Hebbel geschrieben hat: von unerschöpflichem Gedankenreichtum, höchster Universalität des Urteils und der Beobachtung und voll von überraschenden Antizipationen der modernsten Gedankengänge.
Hebbel hatte kein philosophisches System, sondern war ein einfacher Denker in der Art Montaignes, Lichtenbergs oder Emersons. Er selbst sah darin einen Fehler: »Ich will gehen und kann bloß springen . . . ich kann nur stückweise den Schleier zerreißen, der das Wahre verhüllt«; aber die Leser von heute werden vielleicht in diesem durchaus aphoristischen, problematischen Charakter seines Denkens eher einen Vorzug erblicken.
Es hat vielleicht wenige Denker gegeben, die von einer solchen leidenschaftlichen Lust am Denken erfüllt waren wie Hebbel, aber vielleicht auch wenige, die wiederum so sehr unter ihrem eigenen Denken gelitten haben, unter diesem wühlenden, grabenden, sich selbst von allen Seiten anbohrenden Denken.
Es gibt dramatische Denker, wie es dramatische Dichter gibt, und Hebbel hat unter beide gehört. Noch mehr: er war ein tragischer Denker. Wenn man versuchen wollte, diesen Begriff auf eine einfachste Formel zu bringen, so könnte man vielleicht sagen: tragisch ist eine Weltanschauung, die von der Erkenntnis ausgeht: Einzelexistenz ist Sünde, jede Individuation ist ein Sündenfall, ein Abfall vom Ureinen, und da die Welt in ihrer Mannigfaltigkeit nur durch Individuation besteht, so ist die ganze Welt ein einziger großer Sündenfall. Tragische Denker in diesem Sinne waren die Inder, die Vorsokratiker, die Urchristen und eine ganze Anzahl moderner Philosophen. Besonders scharf finden wir dieses Weltbild in dem einzigen Fragment fixiert, das uns von Anaximander überliefert ist: »Woher die Dinge gekommen sind, dahin müssen sie auch wieder zurück zu ihrem Untergang: so will es das Gesetz; denn sie müssen Buße tun für das Unrecht, daß sie vorhanden waren.« Auch Hebbel hat als Dichter und Denker diese Weltansicht verkörpert: der Mensch ist schon durch seine Existenz ein tragisches Geschöpf; jedes Individuum bedeutet eine Trennung von der Idee; es muß zerstört werden, um wieder in die Idee aufzugehen. Dieses düstere Thema hat Hebbel unermüdlich variiert, theoretisch in seinen Abhandlungen, praktisch in seinen Dramen.
Im übrigen läßt sich der Dichter Hebbel von dem Denker Hebbel schon deshalb nicht scharf trennen, weil Dichten und Denken zwei Tätigkeiten sind, die bei wahrhaft genialen Naturen immer ineinanderlaufen. So wenig es jemals einen großen Poeten gegeben hat, der nur mit dem Temperament und nicht zugleich auch mit dem Gehirn gearbeitet hätte, so wenig hat jemals ein großer Denker gelebt, der seine Philosophie bloß aus dem Kopf und nicht zugleich auch aus dem Herzen geschöpft hätte. Aber die Schöpfungen der Philosophie zeigen uns den reinen Menschen im Künstler bisweilen klarer und vollkommener als die Schöpfungen der Dichtkunst. Im Dichter schafft vor allem das Individuum, jenes auf diese ganz besondere Weise sehende und empfindende Individuum, und das soll auch so sein. Im Denker dagegen schafft die Gattung: das Sehen des großen Denkers ist das objektivste Sehen; er sieht die Dinge so, wie alle Menschen sie sehen sollten, und gerade das macht seine Genialität. Dem Dichter liegt vor allem die Gestaltung der individuellen Wirklichkeit am Herzen, die er doch immer nur aus der unmittelbaren Gegenwart schöpfen kann, und darum ist er immer eine Funktion seines Zeitalters, was der große Denker niemals oder doch in ganz anderer Weise ist. Gute Gedanken sind aus der Welt geschöpft, die, im Grunde genommen, keine Geschichte hat, denn ihre Werke »sind herrlich wie am ersten Tag«; gute Gestalten sind aus der Zeit geschöpft, und müssen es sein.
Darum können wir in der Geschichte des menschlichen Geistes einen sonderbaren Gegensatz zwischen den Schicksalen der Dichtwerke und der Gedankenwerke beobachten. Es zeigt sich auch hier jene ›Auszeichnung‹, in der Emerson das oberste Weltgesetz erblickt hat. Der Dichter wirkt schneller und lebhafter, aber nicht so dauerhaft; der Denker wirkt langsamer und nicht so zündend, aber dafür umso länger und nachhaltiger. Lessings philosophische Streitschriften zum Beispiel sind heute noch moderne Bücher, aber seine Dramen haben schon eine dicke Staubschicht; Racine, Corneille und Molière sind für uns Aktenstücke, aber Descartes und Pascal sind noch lebendig; ja selbst die Werke der großen griechischen Tragiker haben heute ihren Patinaüberzug, der vielleicht ihren Kunstwert erhöht, aber ihren Lebenswert vermindert, während die Dialoge des Plato gestern geschrieben sein könnten.
Und so ist es vielleicht nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß Hebbels Gedanken: seine bohrenden, wühlenden, seltsam aufreizenden Lebensanalysen, seine merkwürdig aufflammenden Ideenblitze, die durch das sofort wieder einbrechende Dunkel noch an mysteriöser Wirkung gewinnen, seine nach allen Seiten ausgreifenden Kunstbeobachtungen noch zu einer Zeit ins Leben wirken werden, in der seine gewaltigen Dramen nur noch den historischen Reiz von Cyklopenbauten besitzen werden.