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Ein großer Monarchen-Empfang stand bevor, und Zenobi fühlte das Bedürfnis, wieder einmal die Luft der großen Welt zu atmen. Die Zeitungen waren bereits voll von Ankündigungen der Festlichkeiten und Zeremonien, die zu Ehren des hohen Gastes vorbereitet wurden. Es war das Stimmen der Instrumente, das dem großen Begrüßungskonzert voranging. Äußerungen und Charakterzüge des mächtigen fremden Fürsten füllten die Spalten. Alle Welt schien den König plötzlich genau zu kennen und nannte ihn vertraut beim Vornamen. Tribünen wurden in den Hauptstraßen des Durchzuges gebaut, Illuminationskörper vorbereitet, und die Geschäfte machten das Publikum mit Farben und Flaggen des großen fremden Reiches bekannt, damit es sich rechtzeitig mit den nötigen Stoffen zur Ausschmückung versehe.
Die Angelegenheit des verurteilten Bauunternehmers war indessen nicht weitergekommen. Es hatte sich wohl ein Anwalt gefunden, der die Revision des Prozesses betreiben wollte, aber man hörte nichts von dem Fortgang. Zenobi erbat und erhielt die Erlaubnis, den Verurteilten zu besuchen; er wollte den Unglücklichen trösten und ihm Mut zusprechen. Er fand aber weder einen verzweifelten noch einen gebrochenen Mann, sondern einen stillen Besessenen, der im Gefängnis an nichts als an die Führung seines künftigen Prozesses nach Wiedererlangung der Freiheit zu denken schien. Zenobi erkannte ihn kaum. Die untersetzte Gestalt, um welche die zu weiten Sträflingskleider schlotterten, den bärtigen Kopf unter einer runden grauen Mütze, hing mit beiden Fäusten affenartig am Gitter des Besuchsraums und lächelte ihm, der freundlich nach seinen Bedürfnissen fragte, listig zu. Er habe es gar nicht so schlecht. Die Beamten seien wohlwollend, und so viel Zeit wie hier hätte er wohl nirgends, um mit der nötigen Ruhe an seine Sache zu denken. Zum Beispiel habe er erst jetzt entdeckt, welchen Fehler er beging, daß er auf die Gegenüberstellung des Zeugen Grünberg verzichtet hatte; welche Einwände zu erheben gewesen wären, statt deren, die sein Anwalt vorzubringen für richtig hielt. Oh, ihm sei gar nicht bange. Er werde es schon durchsetzen. Manchmal freilich fühle er sich etwas schwach, und das Atmen werde ihm schwer ...
Zenobi war mit einem Gefühl des Schreckens geflohen. Die Sinnlosigkeit dieses von Menschen dem Menschen zugefügten Leids, von dem niemand außerhalb dieser Mauern etwas zu wissen schien, und daß sogar der Betroffene unempfindlich dagegen wurde, quälte ihn ... Er atmete mit doppelter Lust die freie Luft ein.
Er saß eine Stunde etwa vor dem anberaumten Empfang des Königs noch auf der Terrasse eines Kaffeehauses in der Stadt, mit Gleichmut die schon lange zu den Einfahrtsstraßen drängenden Menschen betrachtend. Er, der das Geheimnis der großen Schaustellungen kannte, war auch mit allen Anordnungen vertraut, durch welche sie zustande kamen. Er hatte genaue Kenntnis von der Aufstellung der Wagen, der Verteilung der Schutzmannkordons, des Spaliers und der verschiedenen Kennzeichen für die Überwachung. So wußte er, daß die Kutscher der zum Empfang zugelassenen öffentlichen Fuhrwerke ein besonderes Abzeichen trugen und daß sie diesmal, wenn sie einen Eingeladenen fuhren, eine mit blauem Rand versehene Karte im Ärmelaufschlag stecken hatten. Er hatte sorgfältig seine Vorbereitungen getroffen. Als er die Zeit für gekommen hielt, stieg er hinab, fand einen eleganten Zweispänner mit dem Abzeichen, gab dem Kutscher genau an, welche Auffahrt er wählen und vor welchem Eingang er halten solle und fuhr zum Bahnhof.
Er fuhr ungehindert durch alle Absperrungen, reihte sich in den langen Zug der Equipagen ein, die im Schritt dem für die Eingeladenen reservierten Pavillon zustrebten. Aus der dichtgedrängten Menge hinter dem Spalier winkte ihm jemand zu. Er sah Meerengel, der mit dem hohen Hut ihn ehrerbietig grüßte. Er wartete ruhig, bis sein Wagen das mit Flaggen und Tannenreisig geschmückte Portal erreichte, obgleich er sah, wie manche Würdenträger erregt und hastig schon vorher ihre in der Reihe nur stockend vorankommenden Wagen verließen, und stieg die mit Teppichen belegten Stufen zu den Empfangsräumen hinauf. Den hohen, seidenglänzenden Hut ein klein wenig nach hinten geschoben, den Rock mit den langen Seidenreversen bequem geöffnet, in dessen Knopfloch zwei schmale Bändchen, ein rotes und ein grünes sich mehr bescheiden verbargen als zur Schau getragen wurden, den hellen Paletot nachlässig über den linken Arm geworfen, betrat er den Vorraum und durchschritt den Saal, ohne einen Blick nach rechts oder nach links zu werfen.
Nur sehr unerfahrene Polizeibeamte oder solche, die mit den Allüren hoher Standespersonen nicht vertraut sind, hätten es gewagt, einen Mann von seiner Erscheinung einen Augenblick aufzuhalten oder ihm unerbeten eine Weisung zu geben. Doch die Sicherheitsorgane, die hier ihres Dienstes walteten, waren eine siebenfach gesiebte Elite, die wußte, daß auf einer gewissen Stufe unnötige Formalitäten peinlich bemerkt werden und selbst die taktvollste Anrede üble Laune hervorrufen kann; was man besser vermeidet. Man mußte sich da auf seinen sicheren Blick verlassen.
Vor dem weiten Türbogen, der sich auf den Bahnsteig öffnete und in dem ein höherer Polizeioffizier stand, hob Zenobi zwei Finger der rechten Hand nicht ganz bis an den Rand des Hutes und sagte, den Beamten mit einem flüchtigen Blick streifend, nur: »Englische Botschaft.« Worauf dieser im dienstlichen Ton: »Dritter Bogen rechts!« erwiderte, grüßend zurücktrat und mit einer Verbeugung, gleichsam außerdienstlich, hinzufügte:
»Seine Exzellenz sind bereits eingetroffen!«
Er bemerkte mit Genugtuung, daß der gravitätische Herr nach einem freundlichen »Danke« seinen Schritt in der angegebenen Richtung beschleunigte.
Zenobi kam gerade in dem Augenblick, als aus dem weiter links gelegenen Fürstenzimmer die prunkvolle Gruppe des Hofes, den Thronfolger an der Spitze, wie ein Pfauenschweif sich ausbreitend, auf den Bahnsteig heraustrat und unter schrillem Kommando die Griffe der Ehrenkompagnie erklirrten. Ordonnanzen und Beamte in Gala liefen hochrot vor Eifer in scheinbarer Unordnung der Gruppe voraus und ihr entgegen, während die eben noch schwirrende Unterhaltung der hier Versammelten im raschen Abnehmen verhallte und bald verstummte. Die Wartenden rückten enger aneinander und nahmen Haltung an ... Zenobi wußte, daß die vielgerühmte Pünktlichkeit der Hofzüge eine ausgemachte Fabel war, wie vieles andere, das über solche Dinge in der Zeitung stand. Hier waren auch nur Menschen am Werk. Sie mußten bei so gefährlicher Verantwortung vor allem auf die allergrößte Sicherheit bedacht sein, zugleich aber peinlich darauf achten, daß der königliche Wagen an einer genau vorher bestimmten Stelle der Halle zum Stehen komme. Sie konnten beides nur dadurch erreichen, daß sie die Geschwindigkeit so frühzeitig herabsetzten, daß eine gewisse Verzögerung entstand, die man aber deshalb nicht in Rechnung setzen konnte, weil sonst die andere Gefahr heraufbeschworen worden wäre, daß der Zug in die Halle einlief, bevor der Hof, dem man keine Eile zumuten durfte, rechtzeitig und bequem zur Stelle war. Das Halten des Wagens genau an dieser Stelle gelang meistens nicht einmal, so viele Proben oft auch vorangingen. Wer Zenobis Leben ergründen könnte, würde es vielleicht verstehen, warum er sich auch dafür interessierte ... Jedenfalls benützte er die für alle so peinigende, unendlich sich dehnende Zeitspanne des Wartens im letzten Augenblick, um den Reihen entlang ungehindert bis fast an den Rand des freigelassenen Raumes ohne Hast vorzudringen.
Sehr langsam näherte sich der Hofzug. Man hörte das schwere Schnaufen der Maschine, dann schob sie sich und mit ihr die lange blaue Wagenreihe in die plötzlich verdunkelte und dadurch einen ganz anderen Anblick als vorher darbietende Halle. Zenobi sah die offenbar mißglückte Begrüßung der hohen Herren am Fuße der kleinen Treppe. Die traditionelle Umarmung war dadurch arg behindert, daß der Thronfolger überschlank war und der fremde Herrscher in seinem beträchtlichen Leibesumfang ihm kaum bis zur Schulter reichte. Der erste suchte in seinem Eifer oder aus Zuvorkommenheit es damit auszugleichen, daß er den Gast auf den Stufen festhalten, während der König erst sicheren Boden unter den Füßen gewinnen wollte. Dabei stieß der Schnabel seines Tschakos, den er im Begriff war abzunehmen, gegen den Arm des Prinzen und wäre ihm fast vom Kopf gefallen. Als er endlich unten stand, machte er eine Bewegung, um die Begrüßung auszuführen, doch der Prinz, verlegen, wagte es wohl nicht mehr – so legte denn der alte Herr den Arm um jenes Taille, der andere seinen um den Hals des Königs, standen einen Augenblick so und drückten sich dann verlegen die Hände. Nach den üblichen kurzen Vorstellungen, unter den noch betäubend forthallenden Blechklängen der fremden Nationalhymne, denen man nicht nur die gewaltige Lungenkraft der Ausführenden, sondern auch ihre hochrot aufgeblasenen Backen und hervorquellenden Augen anzuhören meinte, begannen die hohen Herren, während nun die Trommeln wirbelten, die Ehrenkompagnie abzuschreiten ...
Dann näherte sich eine Abordnung, deren Führer den König begrüßte. Als sie zurücktrat, befand sich der Herrscher gerade dem Platz gegenüber, wo Zenobi stand. Der König war einen Augenblick lang seiner Begleitung etwas voraus und machte eine unschlüssige Bewegung. Er wußte offenbar nicht sicher, ob er eine neue Abordnung zu erwarten hatte. In der Tat stand diese an einer etwas entfernten Stelle, und eine Ordonnanz eilte schon, sie herbeizuholen. Diesen Moment benützte Zenobi. Fand er ihn schon bei der Begrüßung ein wenig komisch und rührend, so tat ihm der etwas hilflose alte Herr jetzt geradezu leid ... Er sah in der Nähe wie ein wohlhabender, guter Onkel aus, der aber auch einmal böse werden konnte. Seine Laune schien nicht die beste. Einen Augenblick lang traf der matte Bück des Königs den seinen. Der Raum zwischen ihnen war leer. Da konnte Zenobi nicht widerstehen. Er trat mit einer anmutigen Verbeugung näher und sagte:
»Ich bin glücklich, Sire, Sie nach Ihrer schweren Krankheit im vorigen Jahre wiederhergestellt und bei bester Gesundheit ehrerbietigst wieder begrüßen zu dürfen. Offenbar die Wirkung der Marienbader Kur!«
Der König suchte in seiner Erinnerung, dachte an jemand, der während jenes Kuraufenthaltes in seiner Umgebung gewesen sein mochte – ein Arzt vielleicht ... Der Mann sah sympathisch aus.
»Ich danke Ihnen«, erwiderte er freundlich. »In der Tat, die Kur hat mir sehr gut getan.«
»Eure Majestät sollten sich noch schonen«, setzte Zenobi ungezwungen fort, »um der großen Segelwoche durch Ihre Teilnahme den alten Glanz wiederzugeben.«
Jetzt dachte der König an einen der Jachtherren, die er in Cowes oder in Nizza traf ... Ein sehr liebenswürdiger Mann, in der Tat! ... Sicher, eine Segelfahrt im Kanal wäre komfortabler als diese militärische Strapaze. Nein, Paraden und Uniformen waren nicht nach seinem Geschmack ... Heute gar mußte er sich in diese knallrote, zu enge Jacke und in die prallen Hosen einzwängen lassen, die einem Tierbändiger angestanden hätten, nur weil er der Inhaber irgendeines Reiterregiments war, das er nie gesehen hatte. Es war sehr heiß unter dem Glasdach, und der steife Tschako drückte auf Kopf und Stirn, die weiche Filzhüte gewohnt war.
Mit einer leichten Handbewegung wehrte er den sich zu seiner Linken vorbeugenden Erzengel im goldenen Helm ab, der über die programmwidrige Unterbrechung konsterniert auf die wartende Abordnung aufmerksam machen wollte. Es war auch eine kleine Bosheit dabei, wie sie verwöhnte alte Leute zuweilen anwandelt, wenn man sie stört, auch ein Protest gegen das steifleinene Zeremoniell, wie er es bei sich nannte. Warum sollte er sich nicht einen Augenblick mit diesem netten Mann da unterhalten, den er offenbar kennen mußte ... Er trat näher an Zenobi heran und sagte mit einem Anflug von Humor:
»Da Sie, wie ich annehme, kein General sind, darf ich wohl, ohne jemand zu kränken, diese prächtige Kopfbedeckung abnehmen ...«
Er nahm den Tschako in die Hand, tupfte sich die Stirn.
»Ja, man hat mir versprochen, das neue Boot bis dahin fertig zu machen. Ich bin begierig auf seine Leistung.«
»Es wird schwer sein, die Alexandra zu übertreffen!« bemerkte Zenobi.
»Schöner Sport hierzulande?« fragte der König und machte ein paar gemächliche Schritte, wie um den gewohnten Gebrauch seiner Beine zu fühlen, Zenobi in gemessenem Abstand ihm zur Seite. Die ganze Suite folgte zögernd.
»Wenig, außer Pferden«, erwiderte Zenobi. »Dabei welch herrlicher Strom! ... Eure Majestät sollten sich die Fahrt hinunter bis Ensberg nicht entgehen lassen ... Vielleicht die schönste Flußlandschaft der Welt!«
»Die Vergnügen, die mir hier vorbehalten sind, werden von anderer Art sein ... leider!« sagte der König.
Zenobi suchte nach einer Überleitung.
»Ja«, begann er zögernd, »das Land hat politisch allerhand Schwierigkeiten ...« In ihm formte sich plötzlich klar eine Rede über die Bürden des Herrscherberufes, die auch den Erwartungen Ausdruck verliehen hätte, welche sich an den hohen Besuch knüpften ...
Vielseitiger Mann, dachte der König und blieb stehen. Wenn auch seine Neugier geweckt war, so ging es doch nicht an, sich hier in eine politische Privatunterhaltung einzulassen. Leider. Er bedauerte es fast.
»Nun wollen wir uns aber vom Herrn Hofmarschall nicht ausschimpfen lassen«, meinte er gutgelaunt, »daß wir uns eine kleine Erholung gegönnt haben. Es war sehr freundlich von Ihnen, herzukommen«, er reichte ihm die Hand, »und ich hoffe, Sie wiederzusehen.«
Zenobi trat in die Suite zurück, die ihm ehrerbietig Platz machte, und schloß sich ihr an. Während des folgenden Cercles tauschten die Diplomaten ihre Vermutungen über den unbekannten Freund des Königs aus, der hier plötzlich aufgetaucht war und sich im übrigen sehr reserviert verhielt. Zenobi aber, wenngleich vom Glanz benommen, dachte jetzt daran, die Lage zu nützen, und kritzelte eilig auf ein Blatt, das er aus seinem Taschenbuch herausgerissen hatte.
Nach der Abfahrt des Hofes näherte er sich dem Ministerpräsidenten, der auf seinen Wagen wartete, und sagte:
»Exzellenz, darf ich Sie in diesem ungeeigneten Moment stören, um Ihre Aufmerksamkeit auf einen Fall zu lenken, der mich lebhaft interessiert ...«
»Zu Ihren Diensten«, erwiderte zuvorkommend der geschmeidige Mann, neugierig auf die Eröffnung des aufsehenerregenden Fremden.
»Es handelt sich um einen Unschuldigen«, sagte Zenobi rasch.
»Um einen Unschuldigen«, wiederholte die Exzellenz, schon merklich herabgestimmt. »Wollen Sie mich gelegentlich unterrichten?«
Der Wagen war vorgefahren.
»Gewiß.« Zenobi verbeugte sich lächelnd. »Indessen nehmen Sie gütigst diese kurzen Daten zur Kenntnis.«
Der Minister nahm den ihm hingehaltenen Zettel und las, während der Wagen sich in Bewegung setzte:
Adalbert Steinwurz, unschuldig verurteilt – das Datum war daneben verzeichnet –, drunter stand noch: sitzt in Döbersdorf.
Wahrlich, im ungeeigneten Moment, dachte er verstimmt und steckte den Zettel in die Westentasche. Sonderbare Manieren, echt englisch ... Im Augenblick war Wichtigeres zu bedenken.
Zenobi hatte auf diesen kühnen Zug große Hoffnungen gesetzt und war, als er sich einige Zeit darnach im Ministerium erkundigte, verwundert, keinen Bescheid zu erhalten. Dem Zettel nämlich war es recht bewegt ergangen, nachdem er in jenem glanzvollen Moment in den Strom der hohen Politik hineingeraten war.
Nach Wochen, als es einmal wieder eine Ministerkrise gab, kam der Ministerpräsident, der eben dem Kaiser über die Lage Vortrag gehalten hatte, in der gleichen Galauniform in die stürmische Parlamentssitzung. Während er etwas nervös, mit dem Daumen in der Westentasche, einem Redner zuhörte, dem er erwidern sollte, geriet ihm der Zettel unter die Finger. Er überflog ihn stirnrunzelnd, erinnerte sich undeutlich und legte ihn mit einer kurzen Notiz vor sich hin. Nachdem er seine Rede gehalten, überreichte er ihn dem Justizminister, der ihn nach Schluß der Sitzung mit anderen Papieren in seine Mappe steckte. Das Kabinett mußte zurücktreten. Am meisten persönlich von dem Sturz betroffen fühlte sich der ehrgeizige Justizminister, der im mühsamen Aufstieg die Würde des hohen Amtes erklommen hatte und sie schon nach einigen Wochen verlieren mußte. Er am meisten grollte bitter dem Ministerpräsidenten, welcher wußte, daß er bei einer der nächsten Kabinettsbildungen an die Leitung wieder berufen werden würde, und leichten Herzens das Opfer des Rücktritts in diesem Moment bringen konnte, während nach Lage der Dinge eine so günstige Konstellation für ihn selbst aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mehr wiederkehren würde. Als er in seinem Arbeitszimmer die Mappe leerte und sich zum letzten Male an seine Akten setzte, fand er den Zettel. »Adalbert Steinwurz, unschuldig verurteilt, ... sitzt in Döbersdorf«, las er stirnrunzelnd. Hinter »verurteilt« war mit blauem Stift des Ministerpräsidenten ein großes Fragezeichen und auf der Rückseite die Notiz: Englischer Lord interessiert sich für den Fall; dahinter wieder ein Fragezeichen. Dieser Zettel brachte die ganze angesammelte Wut des Ministers plötzlich zum Ausbruch. Er war in seiner Jugend Lehrer gewesen und dafür gefürchtet, daß er keine noch so einleuchtende Entschuldigung gelten ließ. Und auch jetzt schien es ihm, als wollte ihn ein fauler Schüler mit Ausreden anführen. »Ach was, unschuldig«, schrie er, wie um sich Luft zu machen, »niemand ist unschuldig! Bin ich etwa schuldig? ...« Er zerriß den Zettel und warf die Fetzen auf den Teppich.