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4.

»Sie verschlimmern Ihre Lage nur, wenn Sie so hartnäckig schweigen, Frau Schlomke«, sagte der Untersuchungsrichter Dr. Aurelius.

»Dann kann ich es nicht ändern«, warf die ehemalige Aufwärterin Beverstorffs hin.

»Ich muß Sie immer und immer wieder zur Vernehmung bestellen«, warnte der Beamte in ruhigem Tone. »Das wird eine Quälerei sowohl für Sie als auch für mich.«

»Ich habe alles gesagt, was ich sagen konnte«, behauptete die Frau halsstarrig.

»Na schön, meine Liebe«, versetzte Dr. Aurelius gemütlich. »Da fangen wir heute nochmals von vorn an.« –

Er spielte mit dem linken Zeigefinger an dem Stückchen rotborstiger Bürste unter seiner Nase – das putzige Haarpinselchen des Schnurrbartes nach neuester Mode. Ueber die gepflegte Hand hinweg beobachtete er heimlich, doch mit gewollt liebenswürdigem Gesichtsausdruck die Frau.

Er fand, Frau Schlomke sei ein recht appetitliches Geschöpf. Sie hatte angenehme Züge, gesunde Gesichtsfarbe, einen roten Mund mit schönen Zähnen, einen molligen Körper. Einem Manne mit etwas Vorliebe für das weibliche Geschlecht mochte sie schon ein recht begehrenswertes Objekt sein. Und dieser Beverstorff ... na, man hatte genügend über den alten Knaben vernommen.

»Ihr Gatte blieb im großen Kriege«, begann Aurelius, als knüpfe er eine rein persönliche Unterhaltung an. »Wenn Sie hierin auch das traurige Los tausender und abertausender Frauen teilen, so ist doch Ihr Los besonders herb. Heute kriegsgetraut – morgen der Mann ins Feld – drei Tage später schon Nachricht, er sei vor dem Feinde gefallen. Was begannen Sie damals?«

»Ich habe bereits erzählt, daß ich Krankenschwester wurde und Verwundete pflegte«, berief sich Frau Schlomke auf die frühere Vernehmung.

»Stimmt, ja – entschuldigen Sie«, erinnerte sich der Untersuchungsrichter. »Sie sind demnach an den Anblick von Wunden, von Blut und – auch von Tod gewöhnt. Sagen Sie, Frau Schlomke, da haben Sie doch auch gewissermaßen ärztliche Kenntnis gesammelt. Wenn Sie genau zeigen sollten, wo das Herz des Menschen sitzt – das könnten Sie ohne weiteres?«

»Aber ja«, lautete die selbstbewußte Auskunft.

»Ohne Suchen, ohne langes Ueberlegen, ohne Zielen?«

»Sicherlich.«

»Also auch dann, wenn Sie mit einer spitzen Waffe mitten ins Herz treffen wollen.«

Diesmal lachte die Schlomke nur, und das Lachen war ein wortloses Verhöhnen.

Da behauptete Dr. Aurelius sehr gewagt: »Und so haben Sie in Ihrer Wut einfach zugestoßen. Lebte Beverstorff darnach noch? Oder fiel er um und war tot? Wenn er noch gelebt hat, kann man Ihnen nicht viel wollen. Daß er ein Schuft war Weibern gegenüber, das wird man Ihnen zugute halten.«

Zu seiner Befriedigung konnte er beobachten, wie ein Schauer den Körper der Frau überlief, und wie ein Grauen ihrem hübschen Gesicht einen vollkommen veränderten Ausdruck verlieh.

»Na?« fügte der Richter freundlich hinzu. »Auf diese Weise hat er doch auch Ihnen das Leben und die Hoffnungen versalzen.«

Zum erstenmal an diesem Tage richtete Frau Schlomke den Blick auf den Beamten. Abgründige Verachtung und doch heiße Angst schillerten in diesen nicht besonders eindrucksvollen Augen, aus deren fadblauer Iris die engen Pupillen hervorstachen. Etwas war in dem Gesicht der Frau, das erinnerte an das ratlose Starren eines in die Enge getriebenen Tieres, dem langsam der Wille zur Verteidigung wach wird.

Plötzlich erhob sie sich von der Bank an der Wand des Zimmers. Dicht trat sie an den Schreibtisch des Untersuchungsrichters vor.

Wie eine gereizte Katze fauchte sie: »Sie wollen durchaus aus mir herausholen, ich hätte den Beverstorff umgebracht. Das bringen Sie nicht zuwege, und wenn Sie mich mit glühenden Zangen zwicken lassen. Auch durch noch so spitzfindig gestellte Fragen können Sie mich nicht zu Antworten treiben, in denen ich mich als Täterin verraten würde. Nicht etwa, weil ich dazu zu klug wäre, sondern ganz einfach deshalb, weil ich nicht die Täterin bin.«

Dr. Aurelius hob beschwichtigend die Hand: »Sehen Sie mal, Sie gaben dem Kommissar Weinreich damals zu, Sie seien in der Nacht der Tat oder wenigstens zu später Stunde in der Wohnung gewesen. Nun sagen Sie doch ehrlich, was Sie da zu suchen hatten!«

»Ja, das will ich endlich sagen«, stieß die Schlomke hervor. »Ich hatte Gründe, mich zu überzeugen, ob Herr Beverstorff Damenbesuch empfing. Das heißt, Damenbesuch noch außer seiner Frau. Die kam ja hier und da, um ihren Mann zur Scheidung zu bewegen. Eifersucht war bei mir nicht im Spiel, obwohl Herr Beverstorff mir ganz regelrecht die Kur schnitt.«

»Schon immer in den fünf Jahren Ihres Dienstes?« warf Dr. Aurelius ein.

»Nein, erst seit neuem. Ich hatte aber in den Jahren meines Dienstes gelernt, wie wenig ernst man ihn in dieser Beziehung zu nehmen hatte. Er schäkerte gern ein bißchen. Weiter nichts.«

»Wenn es also nicht Eifersucht war, was hatten Sie dann für einen Grund, sich die Gewißheit zu holen, ob ein weibliches Wesen in der Wohnung war?«

»Wäre es die Person gewesen, die ich vermutete, so hätte ich dem Beverstorff sofort ein Licht angezündet, daß er beschwindelt wurde.«

»Das wußten Sie schon länger?« wollte der Richter wissen. »Dann hätten Sie es als ehrliche Frau schon immer Ihrem Herrn sagen müssen.«

»Ich habe es versucht«, sagte die Schlomke. »Er wies mich ab.«

»Nennen Sie die Person! Sie könnte ja die Täterin sein. Die Puderquaste, die Haarspange, die Frauenhaare zwischen den Fingern des Toten ... also?«

»Ich werde niemanden nennen, denn ich will niemanden in vielleicht unverdientes Unglück bringen.«

»Aber dann bleibt einstweilen doch der Verdacht der Täterschaft auf Ihnen haften«, warnte Aurelius.

Die Aufwärterin behauptete: »Ach, das ist immer wieder die nichtsbedeutende Drohung, mit der Sie mich einschüchtern wollen. Sie wissen ganz genau, daß ich's nicht getan habe. Wenn ich auch blond bin – ein einziger Blick auf meine Haarfarbe zum Vergleich mit den völlig hellblonden Haaren belehrt ja, daß die Haare in der Hand des Toten nicht auf meinem Kopf gewachsen sind.«

»Die Person jedoch, die Sie nicht nennen wollen, hat hellblonde Haare?«

»Ja«, gab Frau Schlomke zu.

»Dann werde ich Sie zur Namensnennung zwingen.«

»Versuchen Sie es doch!« höhnte sie. »Aber bedenken Sie vorher, daß man schließlich auch von Frau Beverstorff sagen kann, sie sei blond – rötlich blond.«

»Na, gehen wir mal weiter«, schlug der Richter vor. »Weshalb Sie die Beverstorffsche Wohnung außer zu gewohnter Stunde betraten, das haben Sie ja nun wenigstens gesagt. Um welche Zeit waren Sie da?«

»Es mag nach neun Uhr abends gewesen sein.«

»Bekamen Sie Beverstorff – oder vielmehr: bekam er Sie zu Gesicht?«

»Nein. Ich hatte wie immer mit meinen Schlüsseln geöffnet. Genau wie morgens tat ich das sehr leise. Ich blieb an der Flurtür stehen und horchte. Alles war still. Erst dachte ich, Herr Beverstorff sei überhaupt nicht daheim. Dann plötzlich hörte ich seine Stimme; sie kam aus dem Schlafzimmer. Er sprach ziemlich laut zu jemandem. Dieser Jemand antwortete auch. Es war ein Mann. Und im gleichen Augenblick dachte ich: Was bist du doch dumm, dich in Beverstorffs Angelegenheiten zu mischen – es ist gar keine Frauensperson da! So leise, wie ich gekommen war, entfernte ich mich eilig.«

»Haben Sie vielleicht ein paar der gehörten Worte behalten?« forschte Dr. Aurelius.

»Keine bestimmten. Von Geld war aber die Rede. Ich meine auch, die fremde Männerstimme habe so etwas Aehnliches gesagt wie: Schande, die mit Feuer an den Himmel geschrieben werden müßte.«

Es wurde an die Tür gepocht. Ein junger Mann trat ein: »Ein Sachverständigenbericht, Herr Doktor.«

Dr. Aurelius überflog den Inhalt eines Papierbogens, der mit Schreibmaschinenschrift bedeckt war.

Da stand: »Das Resultat der mikroskopischen Untersuchung ergibt folgenden Sachbestand: Die hellblonde, etwas rötliche Farbe der Haare ist als natürlich anzusprechen, wenn auch wahrscheinlich die zum Haarwaschen benutzten Mittel einen harmlosen Bestandteil enthielten, der nach dem Eintrocknen der Flüssigkeit das natürliche Blond ein wenig kräftiger zum Vorschein brachte. Dieser Bestandteil war vermutlich eine geringfügige Beimischung von Wasserstoffsuperoxyd. Ob bewußt oder ohne Kenntnis der Wirkung angewandt, ist nicht zu entscheiden. Es fehlt an den Haaren das untere, kolbig geformte Ende, die Haarzwiebel, gemeinhin Haarwurzel genannt. Ebenso fehlt die Marksubstanz, die bei frischen Haaren die hornige Röhre ausfüllt und erst sehr spät vertrocknet. Es kann sich daher nicht um Haare handeln, die, um es so auszudrücken, kürzlich noch am Leben gewesen sind und die der Ermordete aus der Kopfhaut eines Gegners ausgerissen haben könnte. Es handelt sich offensichtlich um Haare, die vor langer Zeit beim Durchstreifen mit dem Kamm unfreiwillig entfernt wurden. Nach der Gewohnheit vieler Frauen werden solche ausgekämmten Haare aufbewahrt zwecks einer Verwertung durch Verkauf. Vorsichtige Schätzung läßt die Schlußfolgerung zu, daß die als alt zu bezeichnenden Haare entsprechend ihrem Zustande schon vor Monaten, nicht erst vor wenigen Tagen aus der Kopfhaut entfernt wurden, ohne daß von gewaltsamer Beseitigung die Rede sein könnte.«

Dr. Aurelius staunte: »Das ist ja höchst merkwürdig.« Dann wandte er sich an Frau Schlomke: »Halten Sie es für möglich, daß im Schlafzimmer Beverstorffs eine rotblonde Frauensperson sich die Haare kämmte?«

»Ich kann das nicht beurteilen«, sagte die Schlomke.

»Vielleicht Frau Beverstorff?«

»Im Schlafzimmer? Eine Frau, die seit langem getrennt von ihrem Manne lebt? Dagewesen ist sie oft genug, und gezankt haben sich dann die beiden. Ohne die Zwiste, die ich nicht mitangehört habe. Daß sich die Frau dabei im Schlafzimmer die Haare kämmte, das kann man wohl nicht annehmen.«

»Sie haben beim Aufräumen gewiß doch hier und da in die Schubladen geguckt«, meinte der Richter. »Sahen Sie jemals ausgekämmte und absichtlich aufbewahrte Haare?«

»Wenn Sie Frauenhaare meinen, bestimmt nicht.«

»Glauben Sie, Beverstorff könne solche Haare als eine Erinnerung an jemanden aufbewahrt haben?«

»So poesievoll war er nicht. Er ekelte sich sogar vor Haaren und machte mir mal Krach, weil er auf dem Schreibtisch ein einzelnes Haar gefunden hatte, das mir wahrscheinlich ausgefallen war.«

»Ah, Sie verlieren also Haare, Frau Schlomke?« warf Aurelius scharf hin. »Das wird man sich merken müssen.«

Er griff nochmals nach dem Bogen und las aufmerksam die wichtigsten Sätze des Gutachtens.

Die Schlomke sah ihn grimmig an, die Lippen fest aufeinander gepreßt. Das sah ganz so aus, als ärgere sie sich im geheimen über die Bemerkung, die ihr soeben entschlüpft war.

»Ich bin für heute mit Ihnen fertig«, verkündete der Richter, indem er das Sachverständigenurteil beiseite legte. »Sie müssen sich auch fernerhin bereit halten, hier zu erscheinen. Sie haben längst nicht alles Wichtige gesagt.«

»Ich kann nichts Wichtigeres als das Gesagte angeben«, verwahrte sich die Frau erregt.

Dr. Aurelius winkte ab: »Schon gut. Ich will Sie vorläufig nicht in Haft nehmen. Seien Sie also so gescheit, keinen Fluchtversuch zu machen! Sie kämen nicht weit. Wir wollen hoffen, es bewahrheitet sich, daß Sie in der Mordnacht eine fremde Männerstimme im Schlafzimmer Ihres Herrn von feuriger Himmelsschrift reden hörten. Wenn sich das als Erfindung herausstellt, dann – nun, Sie werden ja wissen, daß Lügen kurze Beine haben und wie sehr der Lügner vor Gericht seinen Richter erbittert.«

»Ich habe nichts erfunden«, rief die Schlomke mit blitzenden Augen.

»Und wenn Sie einen anderen Dienst antreten, so sorgen Sie dafür, daß Sie nicht gleich büschelweise ausgefallenes Haar zurücklassen«, meinte Aurelius nicht ohne einigen Spott.

*

Das über dem Beverstorffschen Mord lastende Dunkel hatte sich noch vertieft, da der Sachverständige bei seiner Behauptung blieb, die ihm zur mikroskopischen Untersuchung übergebenen Haare seien Bestandteile eines monatealten Auskämmsels. Man wandte sich vorsichtshalber an einen anderen Gelehrten.

Aber auch er bestätigte, es handle sich um längst abgestorbene Haare. Er machte jedoch aufmerksam, die Haare könnten einem künstlichen Ersatzteil, einer Einlage, einem Anhängsel, einem falschen Zopf entstammen.

Behördlicherseits machte man sich dies letzte Urteil zu eigen.

Da man nun einmal an der Auffassung festhielt, in einer Frau den Täter suchen zu müssen, so forschte man den weiblichen Bekanntschaften Beverstorffs nach. Dabei stellte sich heraus, wie äußerst vorsichtig und versteckt der Mann hinsichtlich seines Umgangs mit Frauen gehandelt hatte. Von dem Gerede, Beverstorff sei ein Schürzenjäger gewesen, wußte jedermann zu sagen; niemand aber vermochte auch nur ein einziges weibliches Wesen als nähere Bekanntschaft des Ermordeten zu bezeichnen.

Der enttäuschte Kommissar Weinreich sagte schließlich: »Offenbar war der Mann besser als sein Ruf.«

Friedrich Schulze jedoch meinte: »Wenn es nun einmal nicht ausgerissene Haare sind, so muß dennoch in der Stunde der Tat ein weibliches Wesen zugegen gewesen sein. Wie hätten sonst die blonden Frauenhaare zwischen die Finger des Toten geraten können? Wir wollen die blonde Frau Beverstorff nicht vergessen, Herr Kommissar.«

»Ich kann mir nicht denken, eine solche Dame sei dieser Tat fähig gewesen«, äußerte Weinreich.

»Muß sie selbst denn die Tat verübt haben?« berichtigte Schulze. »Sie kann ja nur Zeugin der Tat gewesen sein, Anstifterin. War eine Frau zugegen, wie die Haare ja über allen Zweifel hinaus bezeugen, warum nicht Frau Beverstorff? Festgestellt wurde, wie sehr die Frau bestrebt blieb, die Ehe gerichtlich zu lösen, und wie der Gatte sich unerschütterlich weigerte. Eine zur Ratlosigkeit verdammte Frau und eine Tat der Verzweiflung – sei es auch nur die Anstiftung zur Tat und das Zugegensein bei der Ausführung nach dem letzten Versuch einer gütlichen Ueberredung ... ich finde, Herr Kommissar, die Möglichkeit solch eines Zusammenhanges wird von höherer kriminalistischer Seite viel zu wenig gewürdigt.«

Schulze hatte überaus eindringlich gesprochen. Der Kommissar verschloß sich keineswegs der Richtigkeit der Erwägungen seines Unterbeamten, aber er ärgerte sich, daß ihm selbst nicht derlei Gedankengänge gekommen waren. So sagte er denn: »Besten Dank für diesen Rüffel, mein lieber Schulze. Ich glaube nicht daran, eine so kühle und besonnene Persönlichkeit wie Frau Beverstorff ließe sich trotz äußerster Erbitterung hinreißen zu dem, was Sie sich da ausgedacht haben. Ein Gelegenheitsmord geschah der ganzen Sachlage nach nicht. Nur ein vorbedachter Mord kann in Frage kommen. Aber trotz meiner guten Meinung über die Frau habe ich nicht außer acht gelassen, daß die Dame im Gegensatz zur Bubenkopfmode Flechten trägt.«

»Die Zöpfe sind es, die mir die Frau verdächtig machen«, warf Schulze ein.

»Auf Grund der Haaruntersuchungen beider Sachverständiger halten Sie die Zöpfe für unecht«, spottete Weinreich. »Nun, auch ich tat das. Vorsichtige Erkundigungen beim Friseur der Dame haben mich eines besseren belehrt. In dem Geschäft, wo Frau Beverstorff sich die Haare waschen läßt, ist sie gefürchtet sozusagen und als Kundin gar nicht so sehr willkommen. Die Haarbehandlung ist wegen der wahrhaften Haarmassen – wie der Friseur es ausdrückt – äußerst schwierig, und die Dame ist sehr anspruchsvoll. Von falschen Zöpfen kann gar nicht die Rede sein.«

Schulze sah grübelnd vor sich nieder. In seinen Mienen zuckte und arbeitete der Wille, sich durch die Einwendungen seines Vorgesetzten nicht aus dem Felde schlagen zu lassen.

»Ich halte an meinem Verdacht fest«, sagte er trotzig.

»Aber Menschenskind!« wetterte Weinreich empört. »Zwei Gutachter haben festgestellt, es handle sich auf keinen Fall um aus der Kopfhaut ausgerissene Haare.«

»Verzeihung, Herr Kommissar«, unterbrach Schulze. »Warum sollten sich nicht in einer Haarflut wie der der Frau Beverstorff, warum nicht auch in so schweren Zöpfen zwar abgestorbene, dennoch mit eingeflochtene Haare vorfinden? Und was bliebe bei dem verzweifelten Griff eines sich zur Wehr setzenden Menschen leichter in dessen Fingern als gerade die abgestorbenen, losen Haare, wenn er in seiner Angst nach dem Kopf des Gegners faßt?«

Weinreich schritt mit verbissenem Gesicht auf und ab. Es wurmte ihn: ein Unterbeamter brachte allerhand Einwendungen vor, an denen nicht viel Zurückweisbares zu entdecken war. Der Kommissar betrachtete heimlich den Mann: hm, er sah spießbürgerlich aus in seiner behäbigen Fülle – ein zu Hause gut verpflegter Ehemann – das Gesicht war keineswegs der Fürsprecher einer überragenden Intelligenz. Und dieser ausgesprochene Typ eines gewiß biederen und auch nicht gerade dummen Unterbeamten sollte dem Vorgesetzten geistig überlegen sein?

»Sagen Sie mal, Schulze«, begann der Kommissar, »haben Sie Ihre Ueberlegungen aus Eigenem geschöpft? Hat hier nicht Ihre Frau die Hand im Spiel?«

Schulze lächelte trübselig und gestand: »Ich will nicht leugnen, daß meine Frau den Anstoß gab zu solchen Ueberlegungen. Wir haben das gemeinsam erwogen bei unseren Unterhaltungen. Aber Sie kennen ja die Behauptung meiner Frau, nur ein Mann komme als Täter in Betracht.«

Widerwillig gab Weinreich zu: »Man kann ihr nichts in den Weg legen, wenn sie auf eigene Faust, ohne die Maßnahmen der Behörden zu stören, nach dem Täter sucht. Freilich, Sie als Gatte und zugleich als Kriminalbeamter sollten die Frau doch von ihrem Unterfangen abzubringen suchen.«

»Das ist selbstverständlich geschehen«, versicherte Schulze. »Aber sie hat nun mal Interesse für das Fach, läßt sich einfach nicht beirren, läßt sich nichts sagen.«

»So, so. Und was tut sie jetzt?«

»Sie fahndet nach dem Mann mit dem hellen Ulster.«

»Der sich in der Schurichschen Weinstube die Blutflecke vom Mantel waschen ließ«, erinnerte sich der Kommissar. »Ist ja eigentümlich. Wir haben eine genaue Beschreibung dieses Kerls, den die Kellnerin Sylvia Rickstetten schildert als einen untersetzten Menschen von bleicher Gesichtsfarbe, mit einer Narbe am Kinn, fadblond-weißlichen Haaren und schwarzen Augen. Schwarze Augen, fadblonde Haare, das ist so wenig alltäglich. Eine auffällige Narbe dazu. Dennoch hat in der ganzen Stadt keiner von unseren Leuten bis jetzt solch einen doch förmlich gezeichneten Menschen gesehen.«

»Er muß ja nicht mehr in der Stadt sein«, meinte Schulze.

»Gewiß nicht. Doch das hervorstechende, ungewöhnliche Signalement wurde sofort telegrafisch verbreitet. Der Kerl ist wie vom Erdboden verschwunden.«

»Vielleicht hat meine Frau mehr Glück«, glaubte Schulze vertrösten zu dürfen.

Der Kommissar beantwortete den für einen Kriminalisten wenig begehrenswerten Trost mit einem abfälligen Knurren. Er erteilte seinem Unterbeamten Aufträge, mit denen er ihn eben fortschicken wollte, als ein Polizeiwachtmeister eintrat.

Der Mann meldete: »Frau Alma Schulze läßt den Herrn Kommissar um eine Unterredung bitten.«

»Schicken Sie sie zum Teufel!« rief Schulze dem Wachtmeister grimmig zu.

Bedacht auf seine Würde als Vorgesetzter, schnauzte Weinreich: »Hier bestimme ich, wen ich zu empfangen wünsche oder nicht. Die Dame mag eintreten. Entfernen Sie sich, Schulze!«

Mißmutig schritt der behäbige Mann der Haupttür zu.

»Nicht dort hinaus!« gebot Weinreich. »Gehen Sie durch das Nebenzimmer! Ihre Frau soll unbeeinflußt von Ihnen mit mir sprechen.«

Nur zögernd ging Schulze. Sein fahl gewordenes Gesicht verriet den Kampf zwischen Gehorsamsgewohnheit und innerer Auflehnung.

Der Wachtmeister sagte entschuldigend: »Herr Kommissar müssen ihm das nicht ankreiden. Er ist maßlos eifersüchtig auf seine Frau. Man darf sie nicht mal richtig angucken, da wird er schon bösartig. Obendrein ist er jetzt wütend, daß sie uns ins Handwerk pfuscht.«

Die hübsche zierliche Blondine trat mit zuversichtlicher Miene ein.

Kommissar Weinreich verbeugte sich liebenswürdig: »Ah, die mir willkommene, sonst aber unerbetene Assistentin der Kriminalbehörde! Hoffentlich haben Sie mir mittlerweile die Ihnen unlängst bereiteten Unannehmlichkeiten verziehen.«

»Ich bin nicht nachtragend«, erklärte Frau Alma mit einem liebreizenden Lächeln. »Begreiflich, daß Sie mir nicht glauben wollten, ich sei die Frau meines Mannes. – Ich komme heute mit einer Bitte bezüglich des Falles Beverstorff.«

Kopfschüttelnd erkundigte sich der Kommissar: »Was bewegt Sie eigentlich, in dieser dunklen, vorläufig rätselhaften Sache freiwillig den Detektiv zu machen?«

»Vielleicht nur Eigennutz«, belehrte die junge Frau in scherzhaftem Ton. »Ich bin auf Geld sehr erpicht. Demnächst wird ja wohl eine Belohnung ausgesetzt werden. Wäre es nicht schön, wenn ich sie mir verdienen könnte?«

»Ah so – das ist der Grund?« staunte Weinreich, eigentlich ein bißchen enttäuscht. »Und um was wollen Sie mich heute bitten?«

Frau Alma eröffnete: »Es stand in den Zeitungen – und ich weiß es ja auch von meinem Mann –, es seien bei dem Toten Gegenstände gefunden worden, die einer weiblichen Person gehört haben müssen. Ich wollte bitten, diese Dinge einmal sehen zu dürfen.«

»Obwohl Sie auf einen Mann als den Täter fahnden?« spöttelte der Kommissar. »Das ist also weibliche Logik!«

Die blonde Frau erwiderte bedeutsam den Spott: »Sollte es nicht auch Männer geben, die eine Puderquaste besitzen, weil sie sich schminken und pudern?«

»Verdammt!« entfuhr es dem vor eine ganz neue Offenbarung gestellten Beamten in völligem Bestürztsein. Doch dann besann er sich rasch: »Beinahe hätte ich geglaubt, Sie spielten einen großartigen Trumpf aus. Indessen, die Haarspange und die Frauenhaare – mit denen kann ich Ihren Trumpf übertrumpfen.«

Dann ersuchte er die kleine Frau, ihm zu folgen. Er führte sie durch verschiedene Wandelgänge des weitläufigen Gebäudes nach einer Kanzlei, wo die bei Ermordeten gefundenen Gegenstände und sonstige Dinge aus hervorragenden Kriminalprozessen aufbewahrt wurden.

Auf Befehl des Kommissars brachte der in diesem Raum die Aufsicht führende Beamte ein kleines Blechbehältnis herbei.

Das Kästchen enthielt eine Haarspange, deren Zelluloid Schildpatt vortäuschte; an der Vorderseite war die Spange mit einer aus Silber hergestellten schlangenartigen Verzierung geschmückt. Der andere Gegenstand war eine zierliche Puderquaste mit einem Rücken aus türkisfarbener Seide; an ihren Zotteln konnte man Reste eines gelblichen Puders, vermischt mit etwas künstlichem Wangenrot, noch gut erkennen.

Frau Alma betrachtete mit unbeweglichen Mienen die stummen Zeugen einer in tiefes Dunkel gehüllten Tat. Sie untersuchte die Puderquaste genau und beroch sie zuletzt eingehend.

»Die frühere Eigentümerin ist eine Dame, die sich sehr gut kleidet«, sagte sie endlich. »Sie gibt gern Geld aus. Nun ja, zu sparen braucht sie nicht.«

»Woher wissen Sie denn das?« staunte Weinreich.

»Das kleine Ding da duftet nach einem Parfüm, dessen Geruch ich zufällig kenne. Es ist ein sehr teures französisches Parfüm. Wer sich das leisten kann, muß wohl über Geld verfügen. Und wer über Geld verfügt, der wird sich gut kleiden.«

»Das ist ja riesig interessant«, meinte der Kommissar erheitert. »Bitte, fahren Sie doch fort!«

»Ich will Ihnen ein paar Merkmale des Aeußeren der Dame nennen«, versprach Frau Alma. »Sie hat dunkle Wimpern und ebensolche Augenbrauen.«

»Das zu erraten, wäre keine Kunst«, glaubte Weinreich feststellen zu können. »Vermutlich haben Sie kleine Härchen an der Quaste gefunden.«

»Keineswegs. Ich sehe es an etwas ganz anderem.«

»Aber meine Beste!«

»An den Zotteln der Quaste lassen sich zarte schwarze Striche erkennen. Diese Striche entstanden, wenn die Dame mit der Quaste über ihr Gesicht fuhr. Dann blieb etwas haften von dem Farbstift, mit dem sie die Augenbrauen nachzeichnete. Da der Stift von dunkler Farbe war, kann die Dame nicht helle Brauen haben, und dunkle Brauen finden sich selbstverständlich mit dunklen Wimpern zusammen.«

»Ah, so erklärt sich das«, sagte Weinreich verblüfft. »Können Sie noch mehr sagen?«

»Gewiß. Es ist eine Dame, die sehr viel Wert auf die Pflege ihrer Hände legt.«

»Woraus schließen Sie das?«

»Weil sie übertrieben lange und spitze Fingernägel besitzt.«

»Erklären Sie, bitte!«

Frau Alma zeigte auf den Seidenrücken der Quaste: »Man sieht hier, wie zerschlissen der dünne Bekleidungsstoff ist. Wenn die Dame beim Pudern das Knöpfchen der Quaste anfaßte, dann gruben sich die Fingernägel in die Seide ein.«

»Großartige Schlußfolgerungen«, gab der Kommissar zu. »Aber wenn uns erfahrenen Kriminalisten die Gegenstände nichts verrieten, was könnten sie Ihnen mehr sagen als das, was Sie da soeben alles vermuteten.«

Die junge Frau erhob den ernsten Blick zu dem Beamten und sagte mit einem leisen Beben in der Stimme: »Die Unglückliche, der diese Gegenstände gehört haben, ist unschuldig an dem Verbrechen. Das ist allerdings eine Behauptung, die ich viel später erst begründen werde. Zugleich behaupte ich: der Täter war ein Mann!«

Kommissar Weinreich lächelte und bemerkte: »Wir wissen es besser!«

Er dachte dabei an Frau Harthilt Beverstorff. Die Schlußfolgerungen der listigen kleinen Person da paßten ausgezeichnet auf diese Dame.


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