Friedrich von Gagern
Das Grenzerbuch
Friedrich von Gagern

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IX.
»Eisenarm«

Die Ilias des Westens – Taten und Tänze – Ein Meisterstück – Zweitausend Kilometer Spionage – Ein weitgereister Schlüssel – Elisabeth Zane von Wheeling – McCullochs Harrassprung – Ein Wiedersehen – »Eisenarm« – Boone in Detroit – Ein Regulus der Wildnis – Ein Familienfest im Wigwam – Auferstehung – »Der Habicht kehrt zum Nest« – Ein alter Bekannter – Vergebene Liebesmüh – Hundertundfünfundzwanzig Pfund Blei

Und wieder steigt im verjüngten Ahorn der süße Lebenssaft, am Himmelsbogen herauf das neue Jahr; am Scioto und Muskingum in den Dörfern haben die Weiber Mais auf großen Vorrat gekörnt, Gesichte und Träume, Sagamoren und Zeichendeuter, die Stimmen der Wildnis, der Ahnen, der Gräber und der »Aglaschima«, der Engländer haben gesprochen, der Allkrieg bricht aus.

Zwei wirkliche Forts hat das bedrohte Kentucky, Boones und Harrods Burgen, und ein eben werdendes, Logans Station; in diesen Schanzweilern zusammen 105 waffenfähige Männer, 24 Weiber, 70 Kinder, 19 Sklaven, und vorläufig fünfhundert Pfund, rund hunderttausend Schuß Pulver. Demgegenüber die Horden der Lenapen, der Schawanesen, der Miamis und Piankeshaws, der aufgewiegelten sechs Nationen, der Wyandot, der Cherokesen, und hinter ihnen das unerschöpfliche England. . . .

Mit den Grenzgeschichten jener Jahre ließen sich mühelos drei starke Quartbände füllen. Für unser Geschlecht sind die Helden dieser 288 wirklichen Ilias wesentlicher als des Sängers unsterbliche Menschen- und Rossebeherrscher. Ohne die Grenze und ihre Kämpen kein Amerika; ohne Amerika kein Robespierre, kein Napoleon und ein gänzlich verändertes Weltbild – das Bild einer bedächtig englischen statt unserer roh vergeudenden amerikanischen Welt, einer bescheiden pflegenden, nicht knallig prahlenden Welt. . . .

Und welche Fülle wahrhaft homerischer Kraftgestalten, einprägsamster Charakterköpfe, an denen das inwendige Auge sich genießerisch freut, während die wählende Feder verzagt! . . . Da ist Hugh McGary, der diomedisch Wilde, der Unzähmbare, der blindwütige Draufgänger; da ist Ray, sein junger Neffe oder Vetter, der sturmbeschwingte Läufer, schnell und leicht wie der Strahl, dessen Namen er trägt; Jean Martin, der odysseisch Findige, natternglatt, elsternschlau, grundgutmütig und gefällig, gebrannt und gewaschen mit allen Wassern der Wildnis; Harrod der mächtige Krieger, in Zornmut, Tapferkeit, Gastfreiheit und apriljähem Wetterwechsel das Urbild eines echten Virginiers; Benjamin Logan der Hochsinnige Meister in allen Künsten des Urwaldes wie der Menschenführung, an Sinnen und Sehnen ebenbürtig den Allerbesten, fast allen aber überlegen an Seelengröße, an innerer Freiheit und Würde; und Georg Rogers Clark, der geniale Rotkopf mit dem großen Feldherrnblick, voll der brütenden Glut eines jungen Bonaparte, und doch schon von heimlichem Gift angefressen wie jedes Genie; und Broocks und Bryant und Castleman und McCulloch und die beiden Shelby und die drei McAffee, und Reynolds der hitzige Rufer im Streit, und Doktor Hart der Medikus, und der grauenvolle Ludwig Wetzel, der gespenstige deutsche Skalpjäger, den man nie anders erscheinen sah als im Schmuck triefendfrischer Kopfhäute . . . Und über allen Daniel Boone und Simon Kenton, die Sagenumwölkten, die Schicksalsheroen des Westens, und gegenüber beim Feind der unversöhnliche Simon Girty. . . . Ein Männerkreis, wie er sich zu entscheidender Tat, zu romantischer Weltgeschichte, zu exemplarischem Erleben und Mythus so bald nicht wieder zusammenschließt.

*

Der junge Kenton oder immer noch Butler war es, der den Skalptanz der nächsten Schreckensjahre eröffnete. Zu sechst von Harrodsburg weg auf Jagd ausgeritten stieß man unvermutet auf Indianer, die sogleich in erheblicher Übermacht angriffen. Kenton 289 wird versprengt, erreicht in angestrengter Dauerflucht Boonesborough und kommt gerade zurecht, bei nächtlichem Rohrfackelschein zwei Erschossene ins Tor hineintragen zu sehen. Dieses Nocturno ist die erste unter den ungezählten schaurigen Nachtszenen im Heldendrama der »dunklen blutigen Gründe«.

Die nächste spielt wenige Tage später vor Harrodsburg. Hier werden dem wilden McGary einige Verwandte, darunter sein Schwiegersohn, bei der Arbeit auf den Lichtungen erschossen und geschnappt; nur Ray der Strahlenfüßige entkommt, das Unheil im Fort zu melden. McGary verlangt sofortigen Ausfall; Harrod erklärt solch blindes Wagnis für Torheit und weigert Öffnung des Tores. Feigheit! . . . brüllt McGary; Wahnsinn! . . . donnert Harrod. . . . Aus der Reibung flammt jäh der Blitz; schon schlagen die Kämpen ihre Büchsen aufeinander an, Achill und Agamemnon. Draußen die Skalpierten, Gefangenen, vielleicht verkrochen der Rettung Harrende; drinnen will man einander Löcher durch die Hitzköpfe brennen: Virginien und sein Hinterwald. . . . Die Weiber kreischten gegen Harrod und warfen sich zwischen die drohenden Mündungen; natürlich gaben sie der Vernunft Unrecht; Clark vermittelte. Mit dreißig Freiwilligen stürmte McGary hinaus. Er hatte Glück über Verstand, denn die Roten hatten den ihren verloren, nachdem sie Ahorne angezapft und an ihrem Most sich knallvoll gesoffen. Einer der Vermißten konnte geborgen werden, die anderen waren verloren.

Am Rande webender Frühlingsnacht, aus dem blühenden Dunkel der Wälder unterm früh hinabschreitenden Orion dämmerte Brand der angesteckten Sommerhütten. Wenige Stunden später wurde die Holzburg von einigen hundert bemalten Teufeln eingeschlossen. Aus ihren Deckungen trauten sie sich freilich nicht hervor und an die büchsengespickten Palisaden nicht heran. Am fünften oder sechsten Tage brachen sie die zwecklose Blockade ab, wütend über den Mißerfolg und erlittene Verluste. Aber die frei im Rohr weidenden Herden der Ansiedler trieben sie mit fort, nachdem sie vorher bei gebratenen Rindern und Schweinen üppige Schlachtfeste gefeiert. Der angerichtete Schaden war äußerst empfindlich und konnte unter Umständen verderblich werden; an raschen Ersatz nicht zu denken, wieder sah man sich auf Jagd angewiesen, solche aber entblößte das Fort und führte die Männer weit fort aus der wildarm gewordenen Umgebung in die allgegenwärtige Todesgefahr der ungelichteten 290 Brücher. Noch kannte das Vieh nicht den Geruch des Indianers, vor dem es später, unter Führung der Pferde, immer beizeiten zu seinem weißen Herrn flüchtete.

Wenige Wochen später geht es vor Boones Stokade los. Die Hinterwäldler hatten inzwischen sechs der besten unter ihren ärmeren Leuten von Staats wegen als besoldete Späher ausgestellt, zwei für jede der drei Pfalzburgen. Das war wichtiger als die Wahl von Vertretern in die virginische Repräsentanz. Martin kam bei dieser Gelegenheit zu Logan, und bald erwarb er sich das unbedingte Vertrauen des aufgeklärten Mannes. Kenton blieb unterm Namen Simon Butler bei Boone. An jenem 15. April bestand er seine Feuerprobe. Wie er gerade, die stets fertige Büchse bei Fuß, mit zwei Kameraden vor dem Tor steht, fallen draußen in mittagsflimmernder Feldlichtung verdächtige Schüsse, und gleich darauf kommen zwei Siedler angstgesträubt auf das Fort zugerannt, verfolgt von ein paar Dutzend Roten. Einer der Gehetzten wird eingeholt und in Kentons Kugelbereich mit dem Tomahawk niedergehauen; doch wie jetzt der Sieger, Skalpiermesser zwischen den Zähnen, über das Opfer hinkniet, trifft es ihn aus niemals fehlendem Rohr, und verlöschend rollt er zur Seite. Numero eins. Da stürzt auch schon Boone mit zehn seiner Mannen aus dem Tor, auf die Indianer Jagd zu machen. Die erkennen den gefürchteten Führer und nehmen ihn ihrerseits aufs Korn; aber den ersten, der nach seinem Obersten zu zielen sich anschickt, putzt Kenton aus fliegend wiedergeladener Büchse weg. Nummer zwei. Indessen zu weit hat sich Boone aus der Burg vorgewagt; ein anderer, weit stärkerer Schwarm Bemalter bricht um die Ecke und droht ihn abzuschneiden. Keine Zeit verloren, rechtsum kehrt und Feuer! . . . Allein auch die Indianer hatten geschossen und zwar früher; sieben von den Grenzern werden verwundet, Boone selbst, hart in den Arm getroffen, strauchelt und stürzt. Schon schwebt das Todesbeil über ihm – da ist Kenton zum drittenmal, schnell wie ein Schatten, knallt dem Feind seine Ladung ungezielt auf Armlänge durch den Leib, lädt den Meister mit einem Griff und Hub auf die riesenstarken Schultern und trägt ihn aus nachprasselndem Bleihagel ins sichere Fort. . . . Als dann die Tore endlich verbalkt und der erste Sturm vorüber, läßt Boone den jungen Recken vortreten: »Well, Simon, habt heut Euren Mann gemacht; seid wirklich ein Prachtkerl!« 291 A fine fellow, solch starkes Wort aus solch sparsamem Munde, das galt als Ritterschlag; es war das Eiserne Kreuz Erster der Wildnis. . . .

Auch hier vergebliche Einschließung, auch hier Vernichtung und Raub der Viehherden. Die Ansiedler schäumten; man mag's schließlich begreifen; was wußten sie von der Schuld ihrer Rasse, von ihrer eigenen? . . . Die Horden wenden sich wieder gegen Harrodsburg im Westen, um hier vereinzelte Jäger und Feldarbeiter abzufangen. Damals geschah es, daß der junge Ray stundenlang hinter schützendem Wurzelstumpf im Kreuzfeuer zwischen Fort und Rothäuten lag, bis man ihn durch den fiebrisch gescharrten Stollen hereinholte. . . . In mehrtägiger Umlagerung wird die Feldsaat wiederum vernichtet, von den achtzehn oder zwanzig übrigen der ursprünglichen 34 Pferde lassen die Räuber diesmal ein einziges allerletztes zurück, die älteste, abgetriebenste Mähre.

Logan in seinem versteckten, schwach besetzten Fort hatte bisher Glück und Ruhe gehabt; jetzt im Mai meldet Martin auch ihm die Vorzeichen indianischer Nähe, und eines schönen Morgens geht der Totentanz mit Schreck, Blut und Witwentränen an: die drei Männer, die ihre Weiber zum Melken der Weidekühe hinausgeleitet, fallen unter heimtückischen Späherkugeln. Damals gab Logan jene leuchtende Probe heroischer Menschlichkeit bei Bergung eines Schwerwunden mitten heraus aus dem vielhundertläufigen feindlichen Rottenfeuer, davor selbst Martin zurückprallte wie Hildebrand vor Hagens glühendem Aug. Aber mit Heimholung des Sterbenden war den Lebenden nicht geholfen. Die Wilden setzten sich zur Belagerung des offenbar schlecht verteidigten Platzes fest. Fünfzehn Mann waren es gewesen, die hier in Frieden gesäet und geerntet; drei davon ausgelöscht, blieben zwölf – zwölf Mann gegen einige Hundert! . . . Und da traf die Bedrohten gleich noch ein anderer lähmender Schlag: fast der gesamte Pulvervorrat, an die siebzig Pfund, war durch Unachtsamkeit eines von Logans alten Negersklaven naß und unbrauchbar geworden! . . . Schreckliche Entdeckung. Das alles binnen wenigen Stunden. Und draußen das unaufhörliche Geschieße und Skalpgeheul der Roten. . . . Diesmal brach selbst der gutmütige kleine Kanadier in blindes Zorngewüt aus: C'est la mort, wir sind verloren, perdu, lost, aus, fertick, fini, mais cette bête noire, dieses schwarze Vieh, dieses liederliche Schwein, diesen Affen ich muß früher noch dreivierteltot peitschen und dann aufhängen, nom d'un nom d'un couteau, schinden man 292 ihn muß, skalpieren man ihn soll, lebendig braten man ihn müßte, diese merde von ein schwarze Hund, der uns alle hat gebracht an den Marterpfahl! . . . Allein sogar jetzt, starr vor furchtbarer Erkenntnis, bewahrte Logan sein königliches Gleichgewicht. Auspeitschen, den armen alten Getreuen, der da ganz mißfarben vor Angst in einer Ecke kauerte und mit seinen großen Affenzähnen schnatterte? . . . Nein. Davon wurde das Pulver auch nicht trocken . . . Aber teuer war guter Rat nun wirklich. Draußen klatschten die wütenden Kugeln gegen die Bohlen, nur mit größter Mühe, unter sorgfältigster Verwendung der vorhandenen Mittel und Kräfte konnte man das Gesindel im Schach halten. Boten nach einem der beiden anderen Forts? . . . Ausgeschlossen. Die wurden wahrscheinlich genau so dicht umlagert. Blieb nur noch eins, und für dies eine entschied sich Logan ohne Bedenken. In unbedingtem Vertrauen übertrug er Martin den »Oberbefehl«, wählte unter den übrigen Zehn seine beiden zähesten Leute und stahl sich mit ihnen in der nächsten wolkendunklen Nacht durch die Linie der indianischen Feuer und Wächter. Es war ein verzweifeltes Heldenstück, und doch noch kühner, noch sagenhafter das nächste. Denn nicht zu Boone oder Harrod oder vielleicht an den Ohio ging die Reise, sondern abseits vom alten Pfade in ganz gerader Richtung nach dem Cumberland und über die öden Berge hinüber nach Powells unversieglichem Tal der letzten Auskunft. Wieder einmal hundertsechzig Kilometer weit; aus solcher Lage heraus ein unerhörtes Unterfangen. Aber was soll man sagen: in der zehnten Nacht schon war Benjamin Logan wieder da, und er brachte die frohe Botschaft von anrückender Verstärkung und ausreichender Munition. Zweimal hundertsechzig, dreihundertzwanzig Kilometer hatte er in zehn Tagen zu Fuße zurückgelegt, und das nicht auf gebahnter, gefahrloser Straße, sondern in starrender Wildnis, wo jeder Schritt fast, jeder Blick und Laut Überlegung kostete. . . . Was will dagegen das bißchen sich spreizenden Sportes bedeuten? . . .

Fünf Tage später vernahm man von den Wäldern her lebhaftes Büchsenfeuer, die Indianer wichen, unter Führung eines gewissen Bowman oder Baumann kam mit dem ersehnten Schießpulver berittener Entsatz. –

Aber auch Boone und Harrod waren wieder belagert oder wenigstens eingeschlossen worden. Am heftigsten ging es bei Harrod zu. Schließlich begann es an Lebensmitteln zu fehlen. Die Frucht auf dem Felde hatte der Feind vernichtet, die Herden abgetrieben oder 293 geschlachtet; die Ernte des vorigen Pflanzjahres war aufgezehrt, die nach frischem Fleisch ausgeschickten Jäger fanden in den Wäldern den Untergang. Nur der junge Ray blieb heil und hell und weidwerkte aller Tage guten Mutes mitten unter den schwärmenden und schweifenden indianischen Horden, ohne jemals auch nur den Fauch einer Kugel zu vernehmen. Er bediente sich dabei jenes uralten Kleppers, den die boshaften Wilden wie zum Hohn den Ansiedlern als allerletztes Pferd gelassen. In dunkler Frühe ritt er ihn leise zum Salt River, dann in spurverwischendem Bachbett hinauf nach den Hirsch- und Büffelgründen, und abends führte er ihn mit ausgeschärften Ziemern, Keulen und Höckern beladen nach der hungernden Burg zurück.

Dafür brachten Logans Leute aus einem der unzähligen Gefechte dieses heißen Sommers einen fahlen Mann auf grüner Bahre getragen, und der schwerwund darauf lag, war Jean Martin, der kleine Kanadier. Auch er hatte erfahren müssen, daß gegen die Zufallstücke gegossenen Bleis der Unfehlbarste nicht gefeit sei. Aber unser guter Dr. Hart verbaderte die durchschossene Hüfte mit allerlei Kraut und bewährtem Pflaster, und das übrige vollbrachte die kernfrische, giftfreie Wildwuchsnatur aus ihren eigenen Heilsäften und Kräften heraus. Nicht lange, so begann der luftgewohnte Waldläufer sich auf dem schwülen Fell ganz gotteslästerlich zu langweilen: da so faul und lahm hinbrüten müssen, nom d'un boeuf, und ohne alle zeitvertreibliche Gesellschaft, nom d'une moustache! . . . Aber statt irgendeiner Yvonne oder Suzette fand sich anderer Krankenbesuch an seinem Lager ein: Clark.

Auch er hatte den munteren, erfindungsreichen Kanadier liebgewonnen. Dieser Mann konnte der großen Sache, der Eroberung und Sicherung des Westens noch unschätzbare Dienste erweisen. Längere Zeit schon ging ein bestimmter Plan in Clarks ehrgeiziger Seele um. Boone, Harrod, Logan, alle bürgten unbedenklich für Martin; gut, so wollte auch er ihm vertrauen.

Clark sprach fließend französisch. Zuerst forschte er den weitgereisten Waldläufer nach Art und Stand der alten französischen, jetzt englischen Festungen und Forts am Wabash und Mississippi aus. Als gedienter Soldat, der im großen Kolonialkrieg so manche Verteidigung und Belagerung mitgefochten, als einstiger Coureur, dem kein einziger Kramladen und keine Schenke zwischen Mackinaw, Fort Pitt und Neu-Orleans fremd geblieben, konnte der Kanadier klaren 294 und erschöpfend genauen Bescheid geben. Ausgezeichnet; und nun, mon cher, eine andere Frage. Würdet Ihr – vorausgesetzt, daß Ihr Euch als einer der Unsrigen betrachtet und nicht als Engländer – –. Als Engländer, moi? Moi, je suis Canadien! England hat uns Kanada genommen, unser Vaterland! . . . Gut, gut; dann ist ja alles in Ordnung. Würdet Ihr da, sobald Ihr genesen und Euch kräftig genug fühlt – würdet Ihr da als unser Vertrauensmann eine Aufgabe übernehmen, von deren Lösung beinahe alles abhängt, für die wir keinen Besseren wüßten, der nur Ihr allein gewachsen, für die Ihr geschaffen seid: die festen Plätze im Westen drüben gründlich auszukundschaften, Detroit, Vincennes, Kaskakia, St. Louis – verstehen wir uns? . . . Ob sie sich verstanden! Wieder einmal als freier Waldläufer in den gemütlichen alten Forts sich herumtreiben, abenteuern, spielen, zechen, scharmieren, schwadronieren – das einstige selige Leben als Maske führen dürfen und sollen, quel plaisir, nom d'un nom d'un canon . . . Die bloße Aussicht auf den kommenden Herbst machte den kleinen Martin zu drei Vierteln gesund. Kaum ausgeleckt und noch steif brach er dann allein nach den Schnellen des Ohio beim heutigen Louisville auf; einsam in schmalem Einbaum wie nur ein Voyageur der guten klassischen Zeit steuerte er den spätsommerlichen Strom hinunter in den riesigen missourigetrübten Mississippi und mühsam gegen das Treibholz hinauf nach St. Louis. Zu Anfang des nächsten Jahres sollte er sich mit seinen Nachrichten wieder in Fort Pitt melden. Alles in allem bedeutete das eine Kundschafterrundreise von einigen achtzehnhundert oder zweitausend Kilometern. Zweitausend Urwald- und Urwasserkilometer in fünf Herbst- und Wintermonaten oder hundertfünfzig schwindenden Tagen, wobei noch die weiträumig übers Indianerland verstreuten Plätze in unverdächtiger Ruhe und Gründlichkeit auszuspionieren – es wollte gewagt und gemacht, marschiert und gerudert sein. . . . Heute beschreit und bebildert man jeden zufälligen Leistungszuwachs von Bruchteilen einer Sekunde. Es ist der Unterschied zwischen heroischer Tat und akademischer Übung, zwischen Ilion und Olympia, zwischen heldischem Genie und wichtigtuerisch tabuliertem Meistergesang. . . .

Schlag Januar, wie er's zugesagt, stellte sich der Kanadier bei Clark ins Pittsburg ein, bis an den Rand geladen mit ausgiebigen Nachrichten. Namentlich um Kaskakia hatte er sich gewissenhaft bemüht; das winzige Nest im Schwemmland des Mississippi, etwa 295 in der Mitte zwischen den Mündungen des Missouri und Ohio, war damals der Schlüssel- und Angelpunkt des ganzen kanadisch-louisianischen Westens. Martin, als gemütlicher, durchaus ungefährlicher Waldläufer sogleich wiedererkannt, freudig begrüßt und gut angeschrieben, wurde vom Gouverneur als Garnisonfleischjäger beschäftigt und unterhielt sich in dieser Verwendung mehrere Wochen hindurch ganz ausgezeichnet, zumal der dortige Wildstand trotz älterer Besiedlung bei weitem nicht so gezehntet war wie der vor wenigen Jahren noch paradiesische von Kentucky. Auch begegnende Indianer ließen den alten französischen Erbfreund überall ungekränkt. Über solchem Idyll vergaß der Kanadier aber nicht seiner Sendung und des gegebenen Treuwortes. Jede Kasematte, jeden Laufgang der Werke hatte er ausgeschnüffelt, und das Allerschönste, vom Schloß im hinteren, lässig bewachten Ausfallstor des Forts brachte er vielhundert Urwaldmeilen weit durch das heutige Tennessee, Kentucky, das Cumberland-Gap, Powells Tal, über die schauerlich einsamen Eiben- und Trug-Berge und den Monongahela hinunter einen wohlerhaltenen, prachtvoll klaren – Wachsabdruck mit. Sogleich ließ Clark nach dem vielgereisten Modell ein eisernes Duplikat zurechtfeilen; noch ehe er sie gesehen, hatte er zu Fort Pitt am obersten Ohio die Schlüssel einer ahnungslosen Feste fern am mittleren Mississippi in der Hand.

Um dieselbe Zeit traf, vom Gouverneur Patrick Henry entsendet, ein vorzüglich geschulter, hochgebildeter Artilleriehauptmann bei »Major« Clark in Pittsburg ein. Zur Eroberung des Westens sollte er die halbwilde Grenzermiliz in der schwarzen Kunst der Arkeley abrichten und womöglich selbst am geplanten Feldzuge teilnehmen. Es gab ein großes Wiedersehen und Freudenfest; Monsieur le Capitain war nämlich kein anderer als Freund d'Aubigny, der kreolische Edelmann aus der Terre aux boeufs, den Martin und die Brüder Boone einst mit seinem schwarzen Cupido übergeholt und vom Hungertode gerettet. Auch von ihm setzte man als selbstverständlich voraus, daß er mit den Rebellen gegen den englischen Erbfeind marschieren werde und wolle. Der Kolonialkrieg von 1755–63 war der Erreger des Freiheitsbazillus der amerikanischen, der französischen Revolution und aller ihrer Folgen. –

Kentucky war mit dem Hochsommer zur Ruhe gekommen. Die lebenswichtige Maisernte blieb für das Jahr verloren, aber man konnte wenigstens noch einige Rüben bauen. Der Indianerkrieg 296 wütete jetzt nach Westvirginien, in die schon dichter bevölkerte Landschaft zwischen Kanawha und Monongahela hinüber, als Rache für den zu Point Pleasant feig gelynchten Cornstalk. Während im Osten sich die große, die öffentliche Weltgeschichte immer dichter um Saratoga zur Katastrophe ballte, im Süden Lafayette, der närrische Held zweier Welten, und Pulaski, der edle Pole, Schulter an Schulter gegen die »Tyrannen« fochten, erhob sich hier am Tauben- und Elkfluß, am Wyandot und in den Lorbeer-Bergen allnächtlich düsterer Mordbrandschein aus dem sommerschwülen Abgrund der Wälder. Die Opfer und Schrecken dieser Guerilla nennt und erschöpft keine Chronik. Viele Ansiedlungen gingen bis auf den letzten Span und Skalp zugrunde. Die Befürchtungen Clarks und der führenden Grenzmänner erfüllten sich mit entsetzlicher Wucht. Ganze Borde von Romanen und Novellen ließen sich darüber schreiben. Hier harrt des Bildners noch mancher eherne Stoff.
 

Nur die Geschichte von Wheeling, dem alten Fincastle, eben damals Fort Patrick Henry genannt, muß unbedingt erzählt werden.
 

Wheeling, heute der Hauptort des sogenannten »Pfannenstiels«, des schmalen westvirginischen Landstreifens zwischen Pennsylvanien, dem Strome und dem jenseitigen Staate Ohio, Wheeling hatte in jenem Jahre 1777 fünfundzwanzig Blockhütten, in deren Mitte das übliche viereckige Bohlenfort, darin mehrere Milizbaracken, zwei Magazine, einen Brunnen, 42 Mann Besatzung, zwei »Kapitäne« namens Mason und Ogle, einen »Oberst« Shepherd, ziemlich viele Musketen und Büchsen und sehr wenig Pulver.

Auf diesen Platz nun hatten es die vereinigten Indianer, Schawanesen, Lenapen, Wyandots, Miamis und so weiter besonders abgesehen. Seele und Kopf ihrer Unternehmung war diesmal – Simon Girty. Man erkennt den weiten Blick: der Plan verrät Umsicht. An Kentucky war vorderhand wenig oder gar nichts gelegen, Kentucky war lediglich rote Prestigefrage. Wer aber Wheeling nahm, hielt den Ohio, Pittsburg, Westvirginien und Pennsylvanien. Es war der Brückenkopf Kanadas gegen den rebellischen Osten.

Ahnungslos lebte die Besatzung in den Herbst hinein. Da bringt am Morgen des 28. September ein Nigger zähneklappernde Meldung: Indians! . . . Vielviele! . . . Großviele! . . . Bösviele! . . . Der arme Teufel hatte seinen Herrn, einen der Weißen aus der 297 Ortschaft auf Jagd oder Arbeit begleitet; plötzlich gerieten sie unter die Roten, das Bleichgesicht fiel, der Schwarze türmte. Sogleich schickte »Oberst« Shepherd den »Kapitän« Mason mit vierzehn Mann auf Erkundung. Man sah und fand nichts vom Feinde, bis er auf einmal mit vielhundertmündigem Feuer im Rücken angriff und fast die ganze Abteilung auf der Stelle aufrieb. Mason schlug sich heroisch durch, erlegte schwerverwundet noch einen dichtauf verfolgenden Indianer mit dem Kolben, konnte aber in seiner Erschöpfung das Fort nicht mehr erlaufen und verkroch sich gleich zwei anderen, den letzten Überlebenden seiner Leute, doch von diesen getrennt, unter wirr übereinandergefälltem Holz einer neuen Klärung.

Seine Lage wurde von den Wachttürmen aus erkannt, und Shepherd bot nun Kapitän Ogle mit zwölf Freiwilligen zur Bergung des gefährdeten Kameraden auf. Aber auch dieses Häuflein ließ Haar und Häute. Zwei Drittel wurden sogleich erledigt, ein blessierter Sergeant und zwei Soldaten flüchteten in die Wälder, Ogle selbst entkam und fand gleich Mason Unterschlupf unter gefälltem Holz. Jetzt waren von der ganzen Besatzung nur mehr zwölf oder vierzehn Mann übrig, und Girty mit siebenhundert Indianern rückte vor die Palisaden.

Gleichwohl dachte der Oberst nicht an Ergebung. Girty trat als Parlamentär vor, verlas einen Aufruf des Gouverneurs von Detroit, Oberst Hamilton, in dem allen Unterwürfigen Schutz und Schonung zugesagt wurde, forderte Übergabe des Platzes im Namen Seiner Majestät des Königs von Großbritannien und Irland und ermahnte den Gegner, die unbeherrschbaren roten Krieger nicht durch nutzlosen Widerstand zu reizen. Shepherd erteilte ihm eine verletzende Antwort, und als Girty noch einmal seine Vorschläge vortrug, fauchte eine Kugel dicht an seinem Ohr vorbei. Das genügte. Die Beschießung nahm ihren Anfang.

Sechs Stunden lang währte der erste Feuerwechsel, und für die Belagerten ging trotz jämmerlicher Minderzahl alles soweit ganz gut. Was an roter Haut sich ohne Deckung zeigte, wurde prompt durchlöchert. Ein energischer Massensturm mehrerer geschlossener Hundertschaften hätte ja das von höchstens vierzehn Rohren verteidigte Fort ohne Frage binnen einer Viertelstunde zu Fall gebracht; aber gegen derlei Manöver hatte der rote Mann nun einmal eine unheilbare Abneigung. Die »Mitschi-Malsa«, die »Langen Messer« da drinnen schossen gar zu sicher, da wollte keiner der erste in den 298 ewigen Jagdgründen sein. Gegen Mittag endlich flaute das Gefecht etwas ab, und das just zu rechter Zeit; denn den Eingeschlossenen war das Pulver fast bis aufs letzte Gran ausgegangen.

Zwar gab es noch ein Fäßlein des kostbaren Krautes, aber dieses in unerreichbarer Nähe: draußen lag es in einem der Blockhäuser, die bei Meldung des indianischen Anmarsches überstürzt geräumt worden waren. Nun hatte der Feind, wie durch die Scharten leicht zu beobachten, eben dieses Gehöft noch nicht besetzt, während er sich in mehreren anderen gleich anfangs niedergelassen; doch bedeutete die Bergung des Pulverschatzes höchste Gefahr für mindestens ein Leben, und mit diesem Material mußte man nach den bitteren Verlusten dieses Morgens sehr sparsam umgehen. Was tun?

Die Amerikaner waren damals noch vernünftiger als heute, ihre Ladies noch keine Puppen und Dirnen, und man verschmähte nicht die durchaus gesunde Auffassung, daß in der Not die überzähligen Frauenzimmer zur Rettung ihres Daseins und des Ganzen auch etwas beitragen dürften. So diesmal. Während ein paar hitzige junge Leute sich um die Ehre des Heldenstückes stritten, trat Miß Elizabeth Zane, ganz kürzlich erst aus dem Pensionat im sicheren quäkergemütlichen Philadelphia zu ihrem Bruder nach der wilden Grenze gekommen, vor und meldete sich zum aufregenden Wagnis. Jeder Mann sei unersetzlich, an ihr liege fürs Ganze nichts; außerdem kannte gerade sie das Versteck des Fäßchens, denn eben bei ihrem Bruder lag es verwahrt. Nach langem Zögern und allseitigem Widerspruch willigte der Oberst ein. Miß Zane ging, die letzten Ladungen von zwölf Büchsen wachten aus den Luken hervor über ihren freilich nur fünfzig Schritte weiten Weg. Und wirklich, das Wunder geschah. Kein Indianer achtete des Mädchens, das ganz ruhig in das wohlvertraute Haus trat und mit einer wahrscheinlich wertlosen Sache auf dem Kopfe wieder nach dem Fort wanderte. Jetzt erst, die feindlichen Augen im Rücken, wurde die tapfere Miß nervös. Sie begann zu laufen, die betrogenen Roten errieten und hagelten ihr eine Garbe von Fehlschüssen nach. Pulver und Heldin waren gerettet.

Nachmittags begann der Tanz von frischem. Ein paar hundert Indianer umschwärmten auffällig die Südflanke der Feste; gleichzeitig brachten andere Abteilungen Rammbäume nach dem Nordzaun angeschleppt und versuchten das Tor mittelalterlich einzurennen. Der Versuch mißlang. Die Stürmer wurden von den wachsamen Schützen blutig gezehntet und ließen ihr Gerät unter Geheul im Stich. 299

Gegen Abend gab der Feind seine letzte und stärkste Kraftprobe: er baute eine Kanone. Diese Kanone bestand aus einem gehöhlten Stammklotz, mit starken Ketten umwunden und mit Pulver, Eisenstücken und Steinen bis an die Mündung vollgekeilt. Von dieser faulen Grete erhofften die Indianer etwa denselben Erfolg wie weiland Kaiser Max vor Kufstein von seiner gewaltigen Arckeley; freilich mit weniger Recht. Die also Bedrohten schauten seelenruhig aus den Scharten zu, wie der urwäldliche Hundertpfünder eingebaut und aus zehn Schritt Entfernung gegen ihr Tor gerichtet ward. Die roten Männer standen erwartungsvoll drum herum, blinzelten heimlich vor dem furchtbaren Knall und hielten sich bereit, in die geschossene Bresche sogleich mit Bränden und Beilen einzudringen. Zitternd abgewandt streckte einer mit möglichst langem Arm die Pechfackel ans Zündloch. Der Sprengschuß brach, Kettenstücke, Eisenscherben, Steine und Splitter flogen, aber nicht gegen das Ziel, sondern den Kanonieren an und in die Köpfe. Die Ergänzung besorgten die bissigen Bremsen aus den Fluglöchern in Pfahlzaun und Turm. Bös zugerichtet, beschämt und betroffen zogen die Kinder des Großen Geistes in die Wälder ab. Herbstdunkel fiel, im dürren Maisschilf klagte der Wind, draußen auf der neuen Klärung unterm Timber lagen noch immer die verkrochenen Männer und im kühlen Mondtau der Felder die skalpierten Toten . . .

Schon die Nacht und die nächste Frühe brachten dem Fort Verstärkung und Entsatz, insgesamt vierundfünfzig berittene Grenzjäger aus benachbarten Niederlassungen der Grafschaft. Nur der Führer dieser Abteilung, McCulloch, wurde vorläufig vermißt. Angreifende Indianer hatten ihn von seinen Leuten abgeschnitten, heftig gehetzt und fast eingekreist. Plötzlich sieht McCulloch vor dem Galopp seines Pferdes das Steilufer eines jener tief eingeklüfteten Schluchtbäche – eben das Wheeling – vor sich aus der Morgendämmerung hinabklaffen; spornt noch den wild dahinschrammenden Gaul, setzt ins Leere hinaus, landet glücklich und heil auf einer Schutthalde, rutscht dachjäh in das Wasser hinab und ist samt dem unverletzten treuen Tiere gerettet. – Es ist der dritte berühmte Sprung der westlichen Grenzersaga.

Das abgeschlagene Indianerheer verteilte sich in Einzelbanden über das Land. Blut floß in Bächen, unterm stillen Herbstbogen des Tierkreises brach dumpfer Glutschein aus dem Ruhen der erfüllten Wälder. Mischabozho hielt reiche Ernte. Aber nicht überall hatten 300 die Roten Erfolg. Fort Rice, ein winziges Schanzgehöft in der Grafschaft Brook wurde von sechs Deutschen gegen mehr als dreihundert bemalte Teufel siegreich gehalten. Clark sah die Not und erkannte den Urheber im fernen Westen, am Mississippi, am Wabash, an den kanadischen Seen. Hier mußte etwas getan werden. Ohne Rückenfreiheit keine wirkliche Unabhängigkeit und kein entscheidender Sieg.

Er gewann Patrick Henry und durch ihn die Regierung für seinen gewagten Plan, den Löwen fünfzehnhundert Meilen weit in seiner Höhle überfallen zu wollen, brachte die lamentierenden Quäker zum Schweigen und hob unter mancherlei Schwierigkeiten ein paar Grenzerkompagnien aus. Wer seinem Degen folgte, erhielt dreihundert Tagwerk freien Landes zum Lohn. So stand wenigstens auf allerhand Papier. Als Kriegskasse wurden ihm – zwölfhundert Pfund Sterling in damals stark entwerteten Noten zugewiesen. Davon sollte gerüstet, alles angeschafft, besoldet, damit sollte durch einen halben Erdteil marschiert, erobert und gesiegt werden. Aber Clark war glühenden Mutes und voll eiserner Zuversicht. In der freigebigen Wildnis, in der Führung bescheidener abgehärteter Männer bedeuteten auch viertausend Taler einen schweren Schatz. Und nun kam Martin und überbrachte ihm schon wie zum Vorzeichen den Schlüssel jener fernen Festung in Wachs. –

*

In Rotrauch und Frost war das heiße Jahr verdämmert; mit neuen Schicksalen kreiste das nächste aus den Tiefen herauf. Wieder stieg im Ahorn der süße Lebenssaft, wieder brausten die blauen Wolken der Wandertauben über das ahnende Land: da steuerte Clark mit Martin, d'Aubigny und ansehnlichem Waffengefolg unter pflügendem Nordflug der Schwanengans den Ohio hinab in die Zukunft.

Er ließ Point Pleasant links liegen und legte erst an der Mündung des Kentucky zu sammelnder Rast an. Harrodsburg war die nächste der festen Niederlassungen. Die Boten, die dorthin seine Ankunft gemeldet, kehrten mit trauriger Nachricht zu ihm zurück. Schweres Unglück hatte die neue Grafschaft getroffen. –

Der Krieg steigerte alle Binnenpreise; geradezu unerschwinglich wurde das schon früher und immer schandteure Salz. So verfiel man in Westvirginien auf den sehr vernünftigen Gedanken, die zahlreichen Solen der kentuckyschen Landschaft auszunützen; die Hinterwäldler hatten ja bei Wahl und Anlage ihrer Sitze seit jeher die wildreiche Nähe der Lecken gesucht. Unklugerweise arbeiteten beide 301 Gruppen nicht gemeinschaftlich. Die Pittsburger mit ihren Siedepfannen bauten sich am Salt River drunten bei Bullits Lick ein, die Grenzer holten sich das Gewürz aus den Quellen ihrer eigenen Reviere.

Am Neujahrstage war Daniel Boone mit dreißig Männern seiner und Nachbar Harrods Dorfburg nach den verrufenen »Blauen Lecken« am Licking River aufgebrochen. Gerät und Vorrat wurden nach alter Art des »Horse travois« auf Stangen mitgeschleift; von Wegen und Wagen war noch keine Rede. Im Kreise eines leichten Schanzwerks aus Lehm, Steinen und Pfählen brannten eingetieft die Grabenfeuer unter den Sudkesseln.

Boone selbst beteiligte sich nicht an der Arbeit. Seine Aufgabe war Versorgung des Kamps mit frischem Wildbret und Überwachung der Gegend. Den jeweils gewonnenen Salzvorrat ließ er umsichtig abseits schaffen und zusammen mit den Pferden von drei Leuten gesondert hüten. Hier hatte er damals die entführten Kinder nach heißer Hetze den indianischen Räubern abgejagt. Der Sud ging ungestört vonstatten; in dumpfem Staunen äugten Elk und Bison nach dem Schein in der Senke, wo sie sich sonst am stärkenden Gesundquell zur Frühlingshaarung gelabt.

Aber am Morgen des 7. Februar fand Boone unverkennbare Spuren feindlicher Anwesenheit. Sogleich schlug er den Rückweg zum bedrohten Salzkamp ein. Da sprangen schon die roten Teufel vor, neben, hinter ihm, überall aus ihren Verstecken im grünen Rohre auf, und er sah sich verloren. Gut; aber wenigstens teuer verkaufen wollte er sein Leben. Er schlug auf einen zielenden Indianer an; im selben Augenblick ließ jener sein Rohr sinken, begann zu rufen und zu winken – es war Freund Schwarzfisch, der alkoholisch begaunerte Schawanesenhäuptling Pittsburger Angedenkens.

»Boone ergeben. Nein gefangen, mein Gast. Nein töten, no kill. Schwarzfisch unterhandeln.« Ein Harrod, ein McGary hätte sich da bis zum letzten Lebenshauch zwecklos verteidigt; der Meister sah den Wahnsinn weiteren Widerstandes ein und streckte vor dem herankommenden Sagamore die Waffen.

Schwarzfisch ergriff ihn an der Hand, führte ihn auf Schleichpfaden zum Lick und zeigte ihm dessen laut- und lückenlose, meisterliche Umzingelung. Nun bewährte sich, was er damals beim Pittsburger Katerfrühstück von sich gesagt: »Hier nein schwarzer Fisch, schlecht schwarzer Fisch; in Wald, in Prärie ja schwarzer Fisch, groß 302 gut schwarzer Fisch . . .« Schon um ihrer selbst und ihrer Angehörigen willen mußte der Führer den Genossen vernünftige Ergebung ins Schicksal empfehlen: – er sei ja auch mitgefangen. Das wirkte, denn es bedeutete Hoffnung. Nur die gesondert lagernden Pferdewächter entkamen mit dem Salzvorrat und mit der unglaublich klingenden Schreckenskunde, Boone, der beinahe schon übervorsichtige Daniel Boone mit siebenundzwanzig Gefährten sei in Gewalt der Indianer. Die Nachricht wirkte geradezu betäubend. Selbst Harrod und Logan wußten keinen Rat. An Verfolgung dachte man überhaupt nicht. Hier fehlte wieder einmal Martin. Der wäre dem schawanesischen Geruch ganz allein nachgezogen, hätte die Roten irgendwie blindgeseift und den alten Freund und Gönner todsicher herausgeholt.

Doch ging es den Gefangenen anfangs gar nicht so schlecht. Nicht einmal die Hände hatte man ihnen gefesselt. Der Marsch eilte nordwärts nach dem Ohio, nach der alten Indianerfährte beim jetzigen Maysville. Schwarzfisch ließ sich in längere Gespräche mit Boone ein, rieb ihm gelegentlich die indianische Überlegenheit in Künsten des Waldkrieges unter die Nase, lobte dann aber auch die Leistungen einiger weißer Jäger, so vor allem Harrods Sprung und des jungen Ray unbegreifliche Geschwindigkeit. Aber nicht alle Schawanesen teilten die Gesinnung ihres Häuptlings. Es geschah am dritten Tage, als Schwarzfisch sich gerade nicht in Boones Nähe befand, daß zwei Krieger tückisch an ihn herantraten und ihn mit Faustschlägen antrieben. Jetzt war ihm alles gleich. Hatte er selbst seine Leute ernstlich vor jedem verderblichen Unbedacht gewarnt, mißhandeln und dann mißachten ließ er sich nicht. Mit jedem Arm umgriff er einen der Indianer, hob sie vor sich in die Luft und krachte sie mit ihren Rücken und Hinterschädeln gegeneinander, daß es dröhnte. Als er sie wieder zu Boden ließ, konnten sie kaum noch stehen und atmen. Schwarzfisch hatte den Auftritt staunend beobachtet, eilte herzu und entschied: »Gut. Tapferer Mann nein niemals schlagen lassen. Gut.« Von nun an hatte Boone oder »Eisenarm« – wie die Schawanesen ihn fortab nannten – seine Ruhe.

Der Ohio wurde auf bereitgehaltenen Kanoes übersetzt. Jenseits des Grenzflusses, einmal auf eigenem Gebiet, ließ die Wachsamkeit der Roten merklich nach. Doch ermahnte und bat Boone seine Schicksalsgenossen wiederholt, ja keine Dummheit zu wagen: ihrer aller Heil 303 und Leben hänge von der Zufriedenheit und dem ungetrübten Ansehen des Häuptlings in der Nation ab.

Die Reviere der kopfzahlreichen, dicht siedelnden Schawanesen waren nicht mehr so wildgesegnet wie die weiten, menschenarmen Jagdgründe ihrer westlichen Nachbarn. Durch seine Weiber trieb das Volk Ackerbau und Viehzucht, vor den kriegerischen Bewegungen der letzten Jahre waren Wapiti und Bison gegen die sinkende Sonne abgewandert. Einmal unterm Marsche trat empfindlicher Mangel ein. Für hundertzweiunddreißig hungrige Mägen gab es nichts als einige wenige ranzige Enten. In Boone regte sich das Jägerblut. Er bat, für die ganze Gesellschaft schießen zu dürfen, erhielt wirklich seine Büchse und erlegte vor den Augen der begleitenden Indianer über eine für rote Begriffe unfaßbare Entfernung einen – noch dazu bis zu den Lauschern gedeckt im Ried stehenden – Elkhirsch. Die Schawanesen tauschten giftige Neidblicke, selbst Schwarzfisch murmelte etwas Finsteres wie »Gut schießen – bös für roten Mann«. Allein Boone wußte die Drohung mit höflichem Geschick abzuwenden, indem er erklärte, nicht seine Fertigkeit so sehr als der Scharfsinn der behenden indianischen Gefährten habe zur Beute verholfen. Die düster gekränkten Mienen erhellten sich, der rote Stolz war beruhigt – und, die Hauptsache, der Tisch für wenigstens eine Mahlzeit auskömmlich gedeckt. Solch gut jagdbarer Wapiti hat aufgebrochen seine vierhundert Pfund.

Auch ferner wußte Boone den Häuptling mit kleinen billigen Mitteln bei Laune zu erhalten, indem er manche Kenntnis verleugnete, um die Überlegenheit der roten Jägerkrieger immer wieder leuchten zu lassen. Die Freude erreichte ihren Höhepunkt, als er eines Tages dergleichen tat, die Fährte eines Hundes von der des Wolfes nicht unterscheiden zu können. Es war das gutmütig herablassende Spiel eines Erwachsenen mit eitlen Kindern. In solch günstiger Stimmung erreichte man Old-Chillicothe, das alte schawanesische Hauptdorf.

Die bejahrten Männer, Weiber und Pappusen kamen den Siegern entgegen. Keine Miene verzog sich, keine Falte zuckte in den dunklen oder geschminkten Gesichtern, obwohl solch ein Fang seit Greisengedenken unblutig nicht gemacht worden. Boone wurde von Schwarzfisch in seiner eigenen Borkenhütte aufgenommen. Der Sachem reichte ihm die Pfeife des Willkommens, teilte später mit ihm das einfache Mahl und begrüßte ihn mit blumiger indianischer Rede: »Ich ziehe die Dornen aus deinen Sohlen und Schenkeln, ich salbe deine steifen 304 Glieder mit dem Öl des Friedens, ich wasche den Schweiß der Angst von deinem Leibe. Sei ohne Furcht; du stehst im Schatten meiner Schultern.« Bald darauf begab er sich in den Häuptlingsrat, der das nächste Schicksal der Gefangenen entscheiden sollte. Boone wartete, die Hunde kläfften, aus ihrem abgeteilten Gelaß betrachteten ihn neugierig die Weiber. Nach kurzer Frist schon kehrte der schwarze Fisch zurück, ohne andere Mitteilung, als daß die Bleichgesichter vorläufig unter die einzelnen Familien verteilt würden, wie ja bereits geschehen.

Schlaflos lag Boone auf dem zugewiesenen Bärenfell in der fettrauchigen Schwüle. Die Köter bellten, die Sorgen quälten. Hätte er doch nicht zur Ergebung zugeredet! . . . Daheim Frau und Kinder, nicht die seinen nur, auch die der Gefährten – und die ganze Besatzung der stets gefährdeten Burgen gleich um achtundzwanzig Männer und Büchsen geschwächt! . . . Ob wenigstens die drei Salzwächter sich durchgeschlagen? . . . Ob Harrod und Logan sich auf die Verfolgung gemacht? . . . Der Morgen kam, und Boone bat den Häuptling, mit seinen Leuten zusammen irgendwie für den Stamm arbeiten zu dürfen, fällen, roden, Blockhütten bauen, was immer. Schwarzfisch nahm an, die Gefangenen erhielten gewöhnliche Tomahawks, und bald konnten die braunen Kinder der Wildnis staunend zusehen, wie die Grenzer gleich ganze Morgen Landes »in Reihen« klärten, nach jenem vor kurzem und vereinzelt selbst heut noch üblichen Verfahren, wobei der letztgefällte Stamm mit seinem sausenden Wuchtsturz den nächsten und damit die ganze Zeile zwei Drittel eingehackter Bäume niederwirft. Ja, auf solche Weise konnten die klugen Bleichgesichter freilich so rasch vordringen, sich ausbreiten, Mais und Herden ziehen, wo noch im Jahre zuvor finsterer Urwald gestockt! . . . Nun wundere er sich allerdings über gar nichts mehr, bemerkte Schwarzfisch zwischen Bewunderung und Kummer; so müsse der weiße Mann immer reicher werden und der rote immer ärmer. Boone tröstete ihn und versprach, dem Stamme einige Musterblockhütten zu errichten, Leder zu gerben, Salz zu sieden. . . . Es kam nicht dazu.

In den ersten Märztagen erschienen mehrere fremde Häuptlinge im Dorf; Schwarzfisch war schon etliche Zeit zuvor schweigsam in dunklen Sorgen umhergegangen. Es gab eine sehr lange, erregte Ratssitzung. Die unheimlichen Sagamoren reisten ab, Schwarzfisch eröffnete Boone, daß er mit ihm, seinen Gefährten und vierzig 305 verläßlichen Kriegern am anderen Morgen schon nach Detroit zum Gouverneur Hamilton aufbrechen werde, die Amerikaner in englischen Gewahrsam auszuliefern. Der erfahrene Jäger verstand sogleich und war dankbar. Mit diesem geschickten Zug hatte der bedrängte Sachem sie alle vor dem unerbittlich blutigen Rachgelüst der benachbarten und verbündeten Häuptlinge und vor dem Marterpfahl errettet. Hinter den Indianern stand jetzt England als Schirm- und Kriegsherr: das hatte Schwarzfisch gegen jene erfolgreich ausgespielt.

Die Reise führte in kälteres sturmoffenes Land, tageweit baumleere, schwarzgebrannte Prärien, wie Boone sie noch nie geschaut, an den unermeßlichen Eisspiegel des Erie, grau unter grauschleppendem Schneegewölk. Am 30. März, nach dreiwöchentlichem Nordmarsch von etwa dreihundertzwanzig Kilometern erreichte man die berühmte Feste, deren einst starke Werke seit Pontiacs Kriege verfielen, während die Stadt mit zahlreichen Branntweinhöhlen und Spielhöllen, von eifrigem Tauschhandel belebt, sich stattlich ausbreitete.

Oberst Hamilton, ein feingebildeter, gemäßigter Mann, der gerade wegen seiner Lauheit als lästiger Miesmacher nach dem fernen oberkanadischen Westen strafversetzt worden, empfing den berühmten Gefangenen, von dem er schon durch Lord Dunmore so viel gehört, mit Freude und herzlichem Wohlwollen. Gerade saß man in der Kommandantur bei Tisch, als Schwarzfisch mit seinem Transport gemeldet wurde. Der Gouverneur bot Boone einen Platz an der Tafel an und ließ ihm reichlich vorsetzen; nachdem die Ladies sich zurückgezogen und die Herren nach altenglischer Sitte ihre »bottle or two of old Port« diskutierten, steuerte das Gespräch gleich in die Tagesfragen: Politik und Krieg. Oberst Hamilton fragte nach Clark und dessen Unternehmungen, darüber er schon mancherlei dunkle Gerüchte vernommen; Boone konnte keine Auskunft geben, aber der ungewohnte heiße Südwein hatte ihn beseligt, und in seinem Schwips meinte er: Clark und die Kentuckyer würden es sich zur Ehre anrechnen, dem gefangenen Kommandanten von Detroit seine Gastfreundschaft nach ihren bescheidenen Mitteln erwidern zu dürfen. Es gab eine tödliche Stille; einer der Offiziere erinnerte den Hinterwäldler daran, daß er sich unter Gentlemen einen gewissen Zwang auferlegen müsse; der arme Boone ward sehr verwirrt und rot, aber 306 der gutmütige, weitherzige Hamilton stellte das Gleichgewicht mit einem Scherzwort wieder her.

Für alle Gefangenen hatte Schwarzfisch sich bereitwillig Abstand zahlen lassen; mit Boone machte er eine Ausnahme, und so dringlich der Gouverneur bot und drohte, »Eisenarm« war ihm nun einmal nicht verkäuflich, ihn gab er den »Agalaschima«, den Engländern nur in einstweilige Verwahrung. Die Indianer als Bundesgenossen der Krone, die sie so sehr benötigte, durfte man von Regierungs wegen nicht vor den Kopf stoßen; man hoffte auf Umschwung und veränderte Gesinnung und ließ den unbestechlichen Sachem seiner Wege ziehen.

Die Wochen, die er in gebildeter, heiterer Gesellschaft zu Detroit verbracht, zählte der alte Boone später zu den schönsten seines wahrlich bewegten und bunten Lebens. Die Offiziere befreundeten sich mit seiner schlichten, nüchtern bedächtigen Art und gewährten ihm unbegrenzte Freiheit. Er aber, Aristokrat der Einsamkeit, der er einmal war, empfand doch auch den tiefen Unterschied zwischen der gestählten Herrennatur des Briten und dem kläffenden Plebejertum des Amerikaners, und das Schicksal lehrte ihn noch deutlicher sehen, fühlen und erfahren.

Eines Tages erschien ein indianischer Kundschafter mit der Meldung, er habe den Stand – den »Yard«, Hof der kanadischen Jägersprache – einer starken Caribou-Herde entdeckt. Die schriftliche Überlieferung könnte hier irren; gewisse Züge des Berichtes weisen eher auf den Moose, den amerikanischen Elch. – Aber Caribou oder Moose, gleichgültig: die Offiziere, leidenschaftliche Jäger schon aus Langeweile, rüsteten sogleich zur willkommenen Abwechslung, und der berühmte Boone mußte da natürlich mittun. Nur Oberst Hamilton war nicht von der Partie; er gönnte das Vergnügen seiner Jugend.

Die Führung des Indianers ging nordwärts ins Innere der großen michiganischen Halbinsel, wo die Schneeschmelze kaum erst begonnen und die Stürme unwirtlich über traurige Moore fegten. Boone lernte den kanadischen Rahmenschuh, den treuen Träger des Voyageurs kennen und bestaunte die düstere Hochpracht des nordischen Schwarzwaldes, von dem ihm Martin schon so viel erzählt. Am Abend des zweiten Tages lagerte man unter Dach eines offenen Schuppens, den die jagenden Offiziere schon früher zu ihrer Unterkunft hier hatten errichten lassen; angehäufte Schneewälle schützten die kleine Gesellschaft und ihr Feuer vor dem schneidenden Nachtwind. 307

Das Wild hielt noch seinen »Yard«, wurde am dritten Morgen gefährdet, gesichtet, unter Deckung angebirscht und im Halbkreis gegen den Wind umstellt. Einen überragend starken Hauptschaufler bekam gerade Lieutenant Howard, ein wählerischer, waschechter Sportsmann, der sich mit Boone besonders angefreundet, am nächsten vor die Büchse. Die ersten Schüsse brachen in die goldene Frühsonnenstille; bevor das menschenfremde Wild sich von seiner Betäubung gesammelt, konnte jeder verspätete Schütze sein Ziel fassen. Allein Howards doch wohl nicht ganz fieberfreie Kugel hatte schlecht getroffen; der angeschweißte Bulle eräugte den Feind und nahm ihn gesträubten Kammes, mit funkelnden Lichtern an – was eben auf den Moose weist. Boone hatte seinen Schuß im Rohr behalten und wollte nachhelfen; der Steinblitz spritzte ab, das Pulver auf der Pfanne war feucht geworden. Der Schaufler rannte Howard nieder und begann ihn mit trommelnden Schalen zu bearbeiten – da hatte der Grenzer sein langes Weidmesser blank gezogen und fing das wütende Tier mit der Geschicklichkeit eines gefeierten spanischen Espada ab, daß es vor schwarzem Herzschreck erstarrte, schwankte, zusammendröhnte und nach kurzem Kampf die steif verzitternden Läufe streckte. – Howard war schlimm zugerichtet, aber noch nicht ernstlich verletzt; ohne Boones gewandten Beisprung hätte er den faulen Schuß gewiß mit dem Leben bezahlt.

Das Leben in Detroit bot noch manche andere Abwechslung. Sturmmatte, schneestöberblinde Wandergänse fielen zu Tausenden in der Stadt selbst, auf dem Paradeplatz vor der Kommandantur, in den Gärten, auf der umliegenden Flur ein und wurden massenweise niedergeknallt, daß keine Seele ohne warmes Daunenbett blieb; in rauher Frühlingsnacht glitten Dutzende von Booten auf feuerspiegelnder Seenenge, aus deren Tiefe die widerhakige Stechgabel den angststumm glotzenden Fisch heraufholte. . . . Züge des Fortstadtlebens, wie sie deutlich in Coopers prachtvoll echten, tragisch-lieblichen »Pionieren« wiederzuerkennen sind. – Der kanadische Lenz brach an, und er brachte nicht nur den Lachs, sondern auch einen weniger schmackhaften Fisch, den »Schwarzfisch« der Schawanesen.

Wozu er gekommen, war nicht mißzuverstehen: Boone auszuheben und wieder mit sich nach seinem Old-Chillicothe zu führen. Die Offiziere erhoben allgemeinen Widerspruch. Hamilton bot dem Schawanesen die für einen einzelnen Indianer unerhörte Summe 308 von 100 Pfund Sterling, 2000 Mark: – umsonst. Die anderen Herren vom Stab legten noch 100 Pfund dazu: – vergeblich. Der schwerreiche Howard setzte sein ganzes großes Vermögen, Millionen unserer Rechnung, ein: – Schwarzfisch blieb ungerührt. . . . Alle taten sich zusammen und hielten dem liebgewonnenen Feinde ihre vollen goldsovereignstrotzenden Börsen hin: – auch das erfolglos, was hätte Boone mit dem Geschenke beginnen sollen, das der Indianer ihm doch wieder abnahm, ohne ihm dafür die Freiheit zu geben. Nun erklärte sich Hamilton kurzweg für das letzte Mittel, gerade gesunde Gewalt: er werde den weißen Mitmenschen, seinen Freund, dem farbigen Schuft einfach nicht ausliefern, nie und nimmer und das vor Gott und Regierung doch wohl noch verantworten können, fertig, Schluß. – Aber da mißkannte er Boones altrömische Seelengröße und herbe hohe Art. Einem Treu- und Rechtsbruch wolle er sein Leben nicht verdanken, noch weniger den edelsinnigen Feinden, die ihn so trefflich bewirtet und ausgezeichnet, zum Gegendienst den gefährlichen Haß der Eingeborenen auf den Hals laden. Tatsächlich war Boone damals in der Lage, die Parteistellung wenigstens einiger indianischer Nationen zugunsten Amerikas zu verändern; er verzichtete darauf, erinnerte sich dankbar der Vergünstigung, die Schwarzfisch ihm und seinen Leuten erwiesen, und kehrte wie einst Regulus der Konsul unter die grausamen Karthager treu und kalt zu den Schawanesen zurück. Hamilton und seine Offiziere konnten nichts tun, als ihm bewundernd sein Gewissen und seinen Weg lassen; ihre herzlichsten Wünsche begleiteten ihn nach dem Süden. – Auch dieser wahrhaft heldische Zug aus Boones Leben ist in Coopers »Lederstrumpf«-Pentalogie, in den »Hirschtöter«, dichterisch verklärt, mit zarter Liebesromantik umwoben, eingegangen. –

Schwarzfisch, ein ganz gerissener Kunde und verschlagener roter Lokalpatriot, hatte bei seiner Standhaftigkeit allerdings mehr als einen triftigen Grund und Zweck. Zunächst galt es der Erhaltung seines Ansehens in der Nation. Verkauf des wertvollen Gefangenen hätte seine Würde gefährdet, der unerhört hohe Abstand ihm doch nur Neider und Wühler auf den Hals gezogen. Sodann sollte Boone gegebenem Versprechen gemäß dem von Schwarzfisch geleiteten Dorfstamme einige der weißen Hexenkünste beibringen, vor allem die Gerbung des Leders auf englische Art und den Salzsud; man sieht, daß die Indianer von der berühmten Ledertechnik ihrer Weiber nicht allzuhoch dachten. Boone sagte von Herzen gerne und heiter 309 zu; in seiner Ehrlichkeit hatte er stets das dringende Bedürfnis, Dankbarkeit nicht nur mit billigen Worten zu äußern, sondern auch mit der Tat zu beweisen. Die schwerste Sorge, Rettung und dauernde Sicherung seiner Gefährten, war er ja jetzt los. Über verschiedene andere Dinge freilich schwieg Schwarzfisch sich weislich aus; einige davon würde »Eisenarm« bald genug erfahren, die anderen hoffentlich nicht vor der Zeit.

Wieder im guten alten Old-Chillicothe machte der Sagamore dem Jäger die auferbauliche Eröffnung, daß er ihn fortan nicht mehr als eigentlichen Gefangenen betrachte, dafür aber durch Adoption einer Familie in die Nation aufnehme, eine Ehre, die er hoffentlich zu würdigen wisse. . . . Ein kanadischer Waldläufer, ein keltischer Ire hätte sich nicht das geringste daraus gemacht; dem germanischen Grenzer verschlug es den Atem. Lieber Gott ja, das durfte nicht kommen! . . . Aber da war vorläufig nichts zu wollen. Boone fügte sich mit leisem Grauen und sträubte sich nur gegen die Bemalung, mit der Schwarzfisch ihn zur Erhöhung der Festesfreude zu verzieren drohte: ein Verstoß, der ihm die erste leichte Rüge seines nunmehrigen Vorgesetzten zuzog. – Sodann wurden ihm seine Frau Gemahlin und seine Herren Söhne, Vettern und Schwäger vorgestellt, jene eine ältliche gutmütige Dame, deren Herr und Ernährer vorm Jahr vor einem der kentuckyschen Kastelle geblieben. Die Sippe begrüßte und umringte ihren neuen Gebieter und ermunterte ihn, doch lieber froh und mit ihnen glücklich zu sein; sie alle würden ihr Bestes dazu tun, ihm den Tausch leicht, ihn Weib, Kind und Vaterland verschmerzen und vergessen zu machen. Im Grunde meinten es diese braunen Kinder alle ja wirklich gut mit dem Fremden, der da entgeistert in ihrer Mitte stand und sich nicht einmal ein bißchen Miene zu ihrem Spiel abgewann. – Schwarzfisch erstattete »Eisenarm« seine alte Ausrüstung zurück mit der Ermahnung, sich ihrer stets zu Ruhm und Nutz des Stammes zu bedienen. . . . Ein üppiges Gastmahl beschloß die gemütliche Familienfeier, Masthund und Büffelhöcker dampften beim Maisbrei, emsig kreiste das Feuerwasser, und endlich lag alles knallsatt, stockbesoffen, rülpsend und dunstend um geleerte Kessel und verlöschenden Brand . . .

Nur der neueste Schawanese saß wach auf seiner Matte, sann und spann und kam zum Ergebnis, daß hier nichts anderes helfen könne als die Flucht. . . . Flucht, ja, die war beschlossen; aber ausgeführt, wann? . . . Warum nicht jetzt gleich? . . . Alles schlief in 310 tiefer Betäubung; wann wieder bot sich solche Gelegenheit? . . . Dort lehnte seine gute Büchse, bei Weidmesser und Kugelbeutel hing das volle Pulverhorn. . . . Aber nein, erst wollte er Schwarzfisch den geleisteten Liebesdienst erstatten, erst seine Dankbarkeit zeigen und dem Stamme gefällig sein. . . . Dann, in Gottes Namen! . . .

Allein jenes war nicht so leicht. Boones erste Missionsversuche schlugen fehl. Die ältlichneue Frau Gemahlin wußte es ihm Dank, daß er sie nicht wie ihr Seliger mit allerschwerster Arbeit belaste, und seine Herren Söhne erwiesen ihm als ihrem Lehrmeister sogar Verehrung und Anhänglichkeit. . . . Aber schon kam Schwarzfisch im Auftrag des schawanesischen Magistrats und Hausväterbundes und erklärte solche Verwöhnung des schwachen Geschlechtes für unstatthaft, ärgerniserregend und überhaupt ein böses Beispiel. . . .

Auch mit seiner gerühmten Treffsicherheit, die dem Stamme doch nützen konnte und sollte, erwarb Boone sich keine Freunde. So scheel streifte es ihn manchmal aus dem Gelb des indianischen Auges, daß er sich bisweilen zu einem Fehlschuß hergab, um die rote Gnietschigkeit nicht allzusehr zu reizen. Doch selbst mit diesem Mittel mußte er vorsichtig umgehen, sonst war es um Achtung und Abstand geschehen; Kinder sind grausam von Natur und unbarmherzig gegen erkannte Schwäche. Eine gewisse Ausnahme machte ein junger fremder Oberhäuptling der Schawanesen, »Blue Jacket«, Blaujacke – wohl zu unterscheiden vom berühmten »Red Jacket« oder eigentlich Segoyewatha, dem letzten großen Führer der Seneca-Irokesen. – »Blue Jacket« genoß höchstes Ansehen und entscheidendes Gewicht unter allen Stämmen seiner Nation; er hatte einst zugesehen, wie »Eisenarm« einen angeschweißten Bären mit dem bloßen Messer anging und abfertigte, und weil Boone die große Klugheit besaß, der Macht und Eitelkeit seiner Jugend mit Geschenken zu schmeicheln, gewann er ihn lieb und wirkte ihm manche Freiheiten aus.

Mit dem Salzsud vollends fiel es ganz übel aus, da erlebte Boone nur Enttäuschungen. Die Quellen der Landschaft waren ja noch weit ergiebiger als die drüben in der neuen kentuckyschen Heimat, aber die Hauptsache fehlte, der Fleiß, der gute Wille. Die Indianer, die doch hätten zu ihrem Frommen lernen sollen, gaben sich einfach zu keiner Arbeit her. Ein Krieger, den Boone einmal aufforderte, 311 ihm beim Ausstechen des Feuerungsgrabens behilflich zu sein., warf ihm seine ganze Verachtung an den Kopf. »Edle Tiere schweifen im Walde, Präriehunde und Bisamratte wühlen. Mögen Weiber und Weiße wie du sich selbst mit Schlamm besudeln, ein Schawanese ist vornehm.« So blieb eigentlich nichts übrig als Jagd und wieder Jagd. Den Roten gerade nur den allgemeinen Hausknecht, den Tagelöhner abzugeben, das fiel Boone gar nicht ein. Und überhaupt hielt er seine Pflicht für erfüllt; solch unverbesserlichen Faulpelzen konnte er keine Lehrdienste leisten, da war der gute Schwarzfisch stark im Irrtum.

Nicht so sehr als »Eisenarm« meinte; warum er diesen mit Weibern und unbrauchbaren Gehilfen nach den »Licks« geschickt oder vielmehr entfernt, wußte er sehr wohl. Als Boone am 16. Juni dieses Sommers mit seinem Troß und ein paar armseligen Sack Salz in Old-Chillicothe eintraf, fand er vor dem Dorfe ein Lager von einigen vierhundert fremden, kriegerisch schwarzbemalten Indianern. Niemand bekümmerte sich um ihn; seine Schawanesen mischten sich sogleich neugierig unter die Gäste und mitgekommenen Waldläufer. Es waren Chippeways aus dem fernen kanadischen Westen, vom oberen See und aus den unermeßlichen wisconsischen Wäldern. Wie nun Boone unbeachtet und ungekannt durch das Treiben und Rüsten schritt, schlug aus dem fremden Sprachgewirr plötzlich ein Wort an sein aufhörendes Ohr, noch einmal und noch einmal, immer das nämliche eindeutige allbesagende Wort: Boonesborough. – Boonesborough! – –

Die Geschichte verhielt sich so:

Der tiefverschlagene, alles eher als uneigennützige Schwarzfisch hatte die Zeit von Boones Detroiter Ferien ausgiebig benutzt. Nicht nach der Heimat war er gereist, sondern zu den Nationen an den Seen, den Ottawas, den Chippeways und Pottowatomies, den »Folles Avoines« oder Menomonies, den Winnebagos von der großen Völkerfamilie der Sioux. Schawanesen und Lenapen hatten unter den meist erfolglosen aber verlustreichen Unternehmungen der letzten Jahre empfindlich gelitten. Zur Überwindung der kentuckyschen Hinterwäldler war fremder Beistand erforderlich, zur Eroberung ihrer Kastelle die Mithilfe weißer Truppen unter einem kriegskundigen Offizier. So hatte Schwarzfisch sich mit der kanadischen Regierung ins Benehmen gesetzt, und seine Wünsche kamen denen Englands dreiviertelwegs entgegen. Auch die britischen 312 Agenten arbeiteten gerade eifrig unter den unverbrauchten Völkerschaften des Westens, um sie gegen das rebellische Amerika mobil zu machen. Allein die gewöhnlichen Mittel: Feuerwasser, Fahnen, Gelder und Schaumünzen verfingen nicht, und da verfiel die Regierung auf einen recht seltsamen, wenig »fairen« diplomatischen Kniff oder vielmehr Trick: irgendein früherer, französisch-kanadischer Offizier, jenen Indianern aus Montcalms und Pontiacs Tagen her noch bekannt, sollte das geliebte, das unvergeßliche Lilienbanner unter ihnen entfalten und eine Auferstehung des »Onontio«, des Königs von Frankreich und seiner Herrschaft in Szene setzen: »Der große Vater Ludwig sei vom Todesschlafe wieder erwacht und sende ihnen Krieger, sie gegen die Weißen ins Feld zu führen.« Dies ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, da Frankreich mit den Vereinigten Staaten das Kriegsbündnis gegen England abschloß! . . . Tatsächlich wollte sich zu dem unglaublich plumpen Lügenspiel kein einziger altkanadischer Offizier hergeben; eben durch das neue Amerika rächte sich ja Frankreich für Quebec und Versailles! . . . Endlich aber fanden die britischen Agenten doch einen Menschen, der sich zum Werkzeug erniedrigte und überdies an Stelle der unentbehrlichen englischen Offiziere die angeworbenen Stämme von den Seen mit denen vom Miami, Scioto und Muskingum zu ihren erträumten Siegen über die Grenzer nach den dunklen blutigen Gründen führen wollte. Noch war er im Lager vor Chillicothe nicht eingetroffen, allein Schwarzfisch erwartete ihn mit jeder Stunde. Wir kennen ihn bereits aus üblen Zusammenhängen; bald werden wir ihn auf dem Schauplatz sehen. –

Alle diese Dinge ahnte Boone zwar nicht, indes der erlauschte Name seiner eigenen Ansiedlung sagte ihm genug. Darum also hatte Schwarzfisch ihn nicht an Hamilton abtreten wollen, darum ihn im Stamme behalten und ausgenutzt! . . . Desto besser; so stand er mit ihm auf Gleich und blieb nichts schuldig; sein Entschluß war gefaßt; nur um Himmelswillen nichts anmerken lassen! . . .

Schwarzfisch kam zu ihm in die Hütte, wo er scheinbar gleichmütig und zufrieden im Kreise seiner lieben Verwandten saß, tastete vorsichtig das Gelände ab und kündigte ihm seinen eigenen nahen Aufbruch nach »Point Pleasant und Wheeling« an, eine aufgelegte Lüge. Aber Boone spielte seine Rolle womöglich noch besser als der glatte Häuptling; dieser wurde vollkommen getäuscht und ging 313 beruhigt seiner Wege. Nein, »Eisenarm« argwöhnte offenbar nicht das geringste . . .

Am Abend nahm der mäßige Boone auf Vorrat eine starke Mahlzeit zu sich. Es würde die letzte für mehrere Tage sein. Vom Lager her erschollen dumpf die Ta-wa-e-gun-Trommeln und hohlen Weihgesänge der tschippewäischen Zaubertänzer. . . .

Wa be no
Mit tig o.
      Der Zauberbaum
Er tanzt, er braust.
Pa bau nin
Wa wa sin
Nin bau gi e gun! . . .
Wie laut
Dröhut rings
Der Schlägel! . . .
Ke gau tai
Be tau an
Nin i tai wai gun! . . .
Verstehen sollt ihr
Die Sprache
Meiner Trommel! . . .
Kau gau we gau
In wai a-un
Wai nie gwun a-un . . .
Dem Raben singe ich,
Denn er hat vor allen
Edles Gefieder . . .
Ke wi tau ge dschig
Noan da-u wa
Mon e do . . .
Rings um den ganzen
Hochkreis des Himmels
Hör ich des Geistes Stimme.
Ne kaik-wi tai on
Tan be taib wai me tum . . .
Mein Falkenhemd
Flattert zur Schlacht . . .
Ne mai tau
On ne go
Ne ka-un! . . .
Ich werde dir
Deinen Anteil geben,
Mein Freund! . . .

Die Hunde heulten, als ahnten sie das nahe Siegesfest und ihr gebratenes Ende . . . Dann ward es allgemach ruhig, ein anderer Geist, der des Feuerwassers, begann zu kreisen und zu wirken, und bald lag alles da draußen in vergiftetem Schlaf . . .

Boone horcht, wartet, tritt still vor die Hütte, liest aus dem Stand der Gestirne die Zeit . . . Wie oft zu dieser Stunde, unter 314 diesem Licht hat er vom Wächterturm seines Boonesborough oder von vergrastem Grabhügel über das schlummernde Wildland, sein Schicksalsland gespäht: – wer tut es nun für ihn? . . . In seiner Seele rauscht der Kentucky, flüstert das Grüne Rohr, schrillt der schreckliche Whoo-whoop um die gefährdeten Palisaden . . . Er behorcht nochmals den Atem seiner Wohngenossen, legt behutsam und sorgfältig seine Ausrüstung, Messer, Kugelbeutel, Pulverhorn und Tomahawk an, und geht leise in die warme Sommernacht hinaus. –

Im Nord über den Wäldern schwimmt zart die Blässe zwischen den Dämmerungen. Der Whip-poor-Will klagt und spinnt; die jungen Nebelkäuze kreischen, in den Auen am Fluß ruft aufträumend der Regenkuckuck, drüben im Tau der bebuschten Wiesen flöten gespenstische Mondvögel . . .

Mit Sonnenaufgang hat Boone schon weite Wege hinter sich. Binnen der nächsten zwei Stunden würde man seine Abwesenheit entdecken und die Verfolgung aufnehmen. . . . Das ist Vorsprung genug. Den ganzen Tag, einen langen Tag eilt der Flüchtling unbeirrt vorwärts durch Wald, Bruch, Ried, Prärie; kaum, daß er da und dort zu hastigem Trunk aus kühler Quelle verweilt. Die folgende Nacht verdämmert er stehend, nach Indianerart gegen einen Baum gelehnt, in wachsamem Drittelschlaf, die Waffen bereit im Griff. Schon mit erstem bleichem Frühschauder geht es weiter. Zu Mittag findet er die Gelege gesellig brütender Pfuhlschnepfen und schlürft sich, von den klagenden Alten umschwärmt, an den genießbaren Eiern satt. Gegen Abend wachsen die Uferhügel des Ohio blau aus flimmernder Ferne herauf; mit Sonnenuntergang fällt die zum Einbaum ausersehene Pappel; mit Einbruch der Nacht gleitet das ausgehöhlte Boot den rettenden reinigenden Strom hinunter gen West ins dumpf verglimmende Rot . . .

Die Enten quarren, rauh rufen Reiher; in verschilften Buchten schmatzt es und gurgelt unter Wühlwucht suhlender Bisonten. Quer vor dem Kahn kreuzen rinnende Elkhirsche silbern die Strömung. Noch ist der Ohio der schöne Fluß, göttliches Schöpfungswasser des Paradieses; in dreißig Jahren wird er entweiht und verödet, in hundert die Kloake der Großstädte, ihrer verseuchten verseuchenden Menschbestie sein. –

Boone legte sich im Boot auf den Rücken und versank in leisen schwimmenden Schlaf. Es war eine windstille Nacht; ein 315 halbwacher Ruderschlag dann und wann steuerte den Einbaum sicher durch das Dämmern der waldumdunkelten Flut.

*

Es war am Nachmittag des 20. Juni, da glaubten die Boonesburger einen Toten auferstanden zu sehen.

Die auf den Feldern arbeiteten, wurden durch Lärmzeichen zusammengerufen. Weiß Gott, er war es, er war es wirklich, ihr verschleppter, gemarterter, verstorbener Daniel Boone. Hohl, müd, hungrig wie ein Wolf, aber in Waffen vom Kinn bis zum Knie, heil, und immer noch frisch genug, sie alle miteinander gleich zum Gruß ganz furchtbar anzuranzen. Was, weil sie meinten, die Indianer hätten genug und würden nicht wiederkommen, deshalb hatten sie die Werke so unverantwortlich verfallen lassen, so? . . . Na, da konnte er ihnen nur das eine erzählen, daß eben diese entmutigten Indianer wahrscheinlich in ein paar Tagen schon fünf- oder sechshundert Kopf hoch hier sein würden – die gute Botschaft, die er ihnen bringe . . . Meinten, »meinten« – ach was, Leute, denen der Kopf dazu nicht gegeben ist, haben nicht zu »meinen«! . . . So, und Mrs. Boone hat ihn auch tot geglaubt? Ist über alle Berge nach Nord-Carolina in die alte Heimat verzogen? . . . Na ja, natürlich: worauf man sich am meisten gefreut, wonach man sich am stärksten gesehnt . . . Na gut, auch schön, wenn schon! Dann eben nicht und eben so, und jetzt irgendwas zu essen und damit gute Nacht und Amen für heute! . . . Auch der gute Squire hatte es mächtig abgekriegt. Die Grenzer zogen schuldbewußt die Köpfe ein und schärften schleunigst die Beile zur Arbeit.

Boone ruhte zwei Nächte und dazwischen den ersten Tag. Die Erholung war ihm nötig. In etwa dreiunddreiviertel Tagen, neunzig Stunden, hatte er auf vorsichtigem Umweg etwa dreihundertdreißig Kilometer bewältigt, und das, nachdem er eben zuvor von den Salzquellen nach Chillicothe zurückgekehrt.

In den wachen Stunden trieb er die Besatzung immer wieder zu fleißiger Eile an; am dritten Tage griff er selbst zur Axt. Während die Arbeit rüstig förderte, traf ein flüchtiger junger Virginier ein, der fast ein volles Jahr bei einem anderen schawanesischen Dorfstamme gefangen gewesen und sich die ob Boones Verschwinden ausbrechende Verwirrung glücklich zunutze gemacht. Er konnte erzählen: 316 als die Verfolger sehr niedergeschlagen ohne »Eisenarm« heimkehrten, wollten die Indianer, Shawnees wie Verbündete, überhaupt gleich die ganze Unternehmung aufstecken. Da erschien jener erwartete französische Offizier mit dem Lilienbanner, versprach Zuzug weiterer Hilfshorden von den Chippeways und sogar Sioux und fachte die verglimmende Stimmung von neuem an. So standen im Augenblick die Dinge; immer noch drohend genug.

Boone hatte seit Beginn dieses bewegten Jahres – 1778 – gerade genug geleistet und ausgestanden: Fußreise von Boonesborough nach den blauen Lecken, 72 Kilometer; Gefangennahme, Transportmarsch nach Old Chillicothe, 170 Kilometer; Marsch nach Detroit 380–400 Kilometer; Jagdausflug in die Michigan-Halbinsel; Rückmarsch nach Chillicothe, 380–400 Kilometer; Reise nach den indianischen Salzquellen und unzählige kleinere Jagdgänge; Flucht nach Boonesborough, ungefähr 330 Kilometer . . . Und jetzt, möchte man's glauben, rüstete er schon wieder, zu blitzschnellem Straf-, Schreck- und Züchtigungszug gegen die kleineren Indianerdörfer am Scioto, deren Lage und Verbindungen er ja nun genau kannte. Kaum geplant und beschlossen, brach er beritten mit neunzehn auserlesenen Schützen – darunter Kenton, oder vielmehr immer noch Butler – mitten in die herannahende Gefahr hinein auf. Unfaßbar.

Es war gerade in den heißen Julitagen, da in Pennsylvanien drüben unter dem Oberbefehl eines anderen, eines Obersten Butler die furchtbaren Irokesenhaufen des Mohawkhäuptlings Joseph Brant (Thayendanega) und des noch schrecklicheren Seneca Gien-gwa-tha (»der im Rauche geht«) das herrliche Susquehannah-Tal hinunter als Englands Würg- und Beil-Engel sengten, schunden und schlachteten, buchstäblich nach ihres Führers Namen in Rauch, Flammen und Blut gingen . . . Schaurigfahl erdämmerte die paradiesische kleine Landschaft von Wyoming, in brandigflackernder Höllennacht vergurgelten Sterbeschreie, was dem Eisen und den Teufeln entrann, verkam auf der Flucht durch die öden Hügel zum Delaware, »Schatten des Todes« seit alters genannt, und selbst heute inmitten tosender, kochender, dröhnender Industrie eine verrufene, unbesiedelte Insel . . . Genau wie siebzig Jahre später in derselben kohlenschwarzen Gegend unter dem entsetzlichen Terror der Molly-McGuires, des irischen Femebundes der Anthrazitnester von Mauch Chunk bis Wilkesbarre. 317

Große Erfolge brachte der verwegene Vor-Gegenstoß nicht, aber von einem verwundeten Roten, den er vor den Fangmessern seiner harten Gefährten rettete, empfing Boone wichtige Mitteilung. Der weidwunde Indianer sah den wiedererkannten »Eisenarm« dunkel an und sagte gebrochen: »Habicht kehrt zum Nest; Nest zerstört.« Die rauhe Szene erinnert an Natty Bumppo's Feuertaufe im »Hirschtöter«.

Was immer des armen Wilden durchbrechendes Gefühl gewesen, Dankbarkeit oder rachsüchtiger Triumph – der »Habicht« verstand und beflügelte den Heimweg. Nicht einmal die Rückkehr des auf Beutung versprengten Kenton und seines Kameraden Montgomery konnte abgewartet werden. Boone fand südlich des Ohio die Spur des wilden Heeres, führte seine Leute durch Tag und Nacht am Feinde vorüber und über ihn hinaus und erreichte am siebenten Tage sein Kastell, gerade noch zurecht, die Besatzung auf die nahe Ankunft der roten Streitmacht vorzubereiten.

Die Hitze brütete über den hochsommerstillen Wäldern, in flimmerndem Glast kochte der Mais, in den Turmstuben unterm Flug der Wandertauben, nächtlich unterm Fall der Sternschnuppen harrten die Wächter . . .

Am 8. August war der Gegner fünfhundert Mann hoch da. Die Schützen an den Luken der Palisaden erschauten eine unglaubliche Posse. Gleichzeitig unter französischen und englischen Fahnen, unter Lilien und St. Georgskreuzen umzingelten die ahnungslosen, schamlos betrogenen Indianer das Fort. England, das sportliebende, greift in Kriegsnot bisweilen zu recht merkwürdigen Mitteln . . . In der Burg herrschte minutenlang furchtbare Erregung. Frankreich hatte im Februar doch mit den Freistaaten sein Schutz- und Trutzbündnis geschlossen, nicht mit dem britischen Erbfeind! . . . Das wußte man nachgerade auch hier. Was sollte das nun heißen, doppeltes Spiel? . . . Der französische Offizier ritt unter weißer Flagge vor und forderte Übergabe auf Gnade oder Ungnade, verbürgte Schonung oder ebenso verbürgten Tod. Wäre Boone nicht gewesen, die wütenden Grenzer, siedeblütige Virginier zumeist, hätten den Menschen unter seinem weißen Fetzen vom Pferde geknallt. Verdient hätte er es jetzt schon redlich.

Es war nämlich kein anderer als Cpt. Duquesne – andere nennen ihn Daigniau de Quindre – jener schuftige Seigneur, der einst über 318 Martins Familie soviel Leids gebracht, den Sohn ausgehoben und die Tochter entehrt, und der jetzt von seinen uferlosen Schulden in das schmutzige Abenteuer, den Engländern in die Klauen getrieben worden. Der anständige Hamilton auf seinem Detroiter Strafposten hatte gegen all diese unsauberen Politiken der Regierung und noch schmierigeren Praktiken ihrer Agenten nicht das geringste tun können.

Boone erbat sich zweitägige Bedenkfrist; sie wurde ihm gnädigst bewilligt, von der Besatzung aber keineswegs zum Bedenken sondern zu stillem Handeln und Rüsten genutzt. Als Duquesne nach Ablauf der Zeit und Empfang der Absage nochmals weiß parlamentierte und neun der »angesehensten Bürger« der Festung unter Gewähr der Sicherheit zu sich herausbat, um mit ihnen Aug in Aug und freundschaftlich zu »unterhandeln«, wurde die Mehrzahl drinnen doch neugierig und drang in den höchst mißtrauischen Boone auf Annahme dieses wie man meinte, ehrenhaften Vorschlags. Nach einigem Zögern gab der Meister in Gottes Namen nach und fand sich mit acht nicht so sehr der »angesehensten« als stärksten und gewandtesten Boonesburger draußen vor dem verräterischen Kanadier im Kreise von einigen hundert Indianern ein.

Duquesne hielt eine lange salbungsvolle Rede, schwelgte in »humanité« und »bienfaisance« und sprach zum Schlusse den sehr merkwürdigen Wunsch aus, es möge zu friedlichem Vertragsschluß nach altindianischem Brauch jeder der Messieurs mit je zwei Roten die »Kette bilden«. In stolzem Bewußtsein der Überlegenheit ging Boone mit seinen Gefährten auf die unheimliche Komödie ein. Gierig ergriffen die Wilden wie zum Gruß die dargereichten nervigen Hände ihrer »Brüder«; allein den Blick hatten sie nicht in der Gewalt, und kaum funkelte im Gelb ihrer Augen der erste falsche Strahl, da flogen sie getreten und geboxt zur Seite, daß sie sobald nicht wieder aufstanden. Ein harmloser Hagel überhasteter Schüsse prasselte den Enteilenden nach. Das bohlene Tor hinter ihnen schwang in die Riegel, die Belagerung begann.

Neun Tage währte sie. Abermals erlitten die verführten Indianer bittere Verluste. Aber auch die Besatzung blieb diesmal nicht ganz ungehechelt. Im Gefolge Duquesnes befand sich so ein Dutzend kanadischer Waldläufer, und diese gebrannten Kerls schossen mit verruchter Vorliebe und tödlicher Treffsicherheit nach den Luken, dahinter die Grenzerköpfe an den Kolben ruhten. Zu einem richtigen Sturm 319 mit Leitern und Bränden vermochte der Hauptmann seine Streiter indes nicht zu entflammen; sobald man übertriebene Gefährdung, unbegründete Beschleunigung seines Hintritts vor den Großen Geist oder Arbeit von ihm verlangte, versagte der rote Mann stumpf und stolz den Gehorsam. Auch die Waldläufer hatten keine Lust zu derart ausgesetzten Unternehmungen und heißen Kastanien. Und Artillerie gab es nicht.

Aber eines Tages erkannte Boone an erdiger Trübung des Baches, daß dort drunten etwas Außergewöhnliches vorgehe. Er horchte den Boden ab, und richtig vernahm er durch das Feuern hindurch dumpfes Innenpochen und -scharren jenseits der Palisaden nach dem geböschten Ufer zu. Es war die Arbeit an einer Mine, dazu Duquesne die einzig brauchbaren Kanadier angestellt. Sogleich nahm Boone eine gut berechnete Gegenmine in Angriff. Der Feind sah oder vielmehr hörte sich seinerseits erraten und ließ den begonnenen Schurf stehen.

Überhaupt machten sich täglich deutlichere Zeichen des Überdrusses angenehm fühlbar; die Kampflust flaute ab und erlosch. Ein besonderes Ereignis hatte wesentlich dazu beigetragen und den Verfall reißend beschleunigt.

Auch Harrod und zumal Logan in ihren Burgen waren gleichzeitig von anderen Hunderten belagert worden; nur daß sie nicht so viel Umstände machten wie der bedächtige Boone. Vor Logans Kastell führten die Indianer und ein als französischer Offizier maskierter englischer Agent die nämliche Affenkomödie mit Lilienbanner und Georgskreuz auf. Logan auf dem Turme durchschaute das Spiel, nannte den Parlamentär einen Lügner und räudigen Hund und schoß ihm ohne Federlesen eine Kugel durch den Kopf. Das rote Kriegsvolk erhob ein Wutgebrüll, allein gerade die Chippeways vom Oberen See verstanden Englisch genug, um Logans Worte ganz richtig zu deuten. Auch sie hatten sich schon darüber gewundert, daß der angeblich wiedererstandene »Onontio« Ludwig ihnen nicht wie einst die »guten Väter mit den Kreuzen« – Jesuiten – schicke, und so entsandten sie Läufer mit Warnung und Wampum zu den Verbündeten vor Boonesborough. Ihr folgerichtiger Argwohn steckte sofort an. Duquesne wurde mit peinlichen Fragen bedrängt, konnte nicht klar und befriedigend antworten, eine Horde nach der anderen zog finster verstimmt ab, und das Ende war allgemeine Auflösung. So schloß die Belagerung vom 8.–20. August 1778. Der jährliche Sommerspuk war wieder einmal vorüber. – 320

Durch die letzten davonwandernden Schwärme hindurch kam Kenton aus den Scioto-Dörfern mit schönen Beutepferden an. Er fand Boone wieder einmal im Aufbruch, nach Nord-Carolina diesmal zur Einholung seiner Ausreißer, und die Grenzer emsig beschäftigt mit dem Herausschärfen der im Palisadenwerk verbohrten Kugeln. Stattlich genug war die Ausbeute: sie betrug hundertfünfundzwanzig Pfund. Hier in den einsamen Hinterwäldern hieß es sparsam sein; noch gab es Jahre und noch Indianer. 321

 


 


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