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Der Ruf aus der Nacht – Neue Menschen und Zeiten – Harmar – St. Clair – »Kleine Schildkröte« – »Schwarze Schlange« – Morgenspuk – Mad Anthony – Der Weihnachtsengel – »Vater unser« – Die beiden Miller – Trikolore und Pelzhandel – Kundschaft – Fallen Timber – Bukongahelas Friede – Ziffern – Der ferne Westen – Ein ungekrönter Fürst – Tintengift – Verboten – Metacoms Wiederkunft – »Der springende Berglöwe« – Diktator und Prophet – Roter Faschismus – Logan III – Lederlippe – Harrison – Weatherford – »Tecumseh in Detroit« – Tippecanoe – Das Blutbad von Chicago – River Raisin – Fort Meigs – Heldentod – Der Hickory – Die Hufeisenbiegung – Der Sohn des Hausierers – Abenddämmerung – Daheim
Den mondbeglänzten Ohio hinunter glitt eine Flottille von Einwandererbooten. Milde Frühlingsnacht webte über den Wassern; dann und wann Rauschen und Aufbraus geflügelter Völker, klingender Schrei von den Kiesbänken her, breites Quarren, Klatschen, Schlurfen und Plumpen im Dunkel verschilfter, geheimnisvoll überschatteter Schlammbuchten. Die armen Siedlerfamilien schliefen der neuen Heimat entgegen; Kapitän Marshall, der Führer des kleinen Geschwaders, stand noch auf seinem Posten und spähte wachsam voraus über den silberschauernden Strom. Fort Point Pleasant mit seinen bohlenen Ecktürmen zog still im Schimmer vorbei und blieb zurück; eben hatte man auch die Mündung des Großen Kanawha passiert, da trug die Flut vom indianischen Ufer her einen hohlen starken Ruf 414 heran: Stop! . . . Stop! . . . Important message! . . . Wichtige Nachricht! . . . Der Anruf wiederholte sich; Marshall drehte vorsichtig bei. Ein Kanoe löste sich aus der Dämmerung, die Gestalt eines rudernden Indianers; Mondlicht spielte fahl in der steilen Schopffeder, spiegelte im fettgestrählten Haar. Gespenstisch schwebte der Einbaum über die glitzernden Wellen; jetzt legte er an, Marshall spannte seine Pistolen, der Wilde erhob sich dunkel und stieg an Bord.
»Ihr kennt den Namen Girty?«
Marshall stutzte. »Girty? . . . Und ob wir den kennen! . . . Einer der aller – –.«
Der Indianer unterbrach ihn mit gebieterischer Gebärde.
»Wartet! . . . Ich bin Girty.«
Der Kapitän trat erstaunt zurück.
»Ihr seid Girty? . . . Und da – da wagt Ihr es noch – – da untersteht Ihr Euch – –.«
»Wartet! . . . Ich bin nicht der Girty, den Ihr haßt und verachtet, nicht Simon. Ich bin James Girty, Simons Bruder, der Shawnee.«
»Ah! . . .« Also darum sprach der Kerl so gut Englisch! »Nun, und? . . . Irgendeine Teufelei wohl? . . . Nehmt Euch in acht!«
»Hört erst. Mein Bruder hat mir die Warnung durchkommender Schiffe aufgetragen. Er lebt nicht mehr unter uns Indianern. Er wollte uns Indianer zum Frieden und zur Freundschaft mit euch Langmessern bereden, um euer Blut zu schonen. Das hat die Stämme argwöhnisch gemacht, sie vertrauen ihm nicht mehr, er hat seinen Einfluß ganz verloren und sich aufs Land zurückgezogen, das die Engländer ihm geschenkt haben, droben in Kanada.«
»Und da sollt Ihr uns in seinem Namen warnen? . . . Girty uns warnen durch einen Indianer, der obendrein sein Bruder ist und sich dessen nicht einmal schämt? . . . Verdammt verdächtig das; zusammen mit dirty Girty allein schon Warnung genug. . . .«
Der weiße Rote blieb gleichmütig. »Wie Ihr meint, Sir. Ich spreche die Wahrheit; tut dann, was Euch gut scheint. Merkt auf! Bald hinter der Mündung des Miami werdet Ihr auf dem rechten Ufer weiße Menschen, Frauen, Kinder sehen, die dort auf und nieder rennen, schreien, Euch um Rettung und Hilfe anflehen. Haltet dann in der Mitte des Stromes oder besser noch nach links zu; hört ja nicht darauf, bleibt hart, fahrt schnell vorüber. Es mögen wirklich Gefangene darunter sein, aber laßt Euch das nicht bekümmern; Ihr 415 könnt nichts für sie tun, dahinter liegt ein Hinterhalt von mehreren hundert Indianern, das Ganze ist eine Falle, Ihr wärt mit Euren Leuten verloren. Das ist, was ich Euch zu sagen habe und noch anderen sagen werde; sorgt auch Ihr für die Verbreitung der Nachricht.«
Hier gab es allerdings nichts zu zweifeln. Marshall, sogleich überzeugt und nun selbst beschämt, dankte dem »weißen Häuptling« für die Mitteilung und versprach ihre Weitergabe; jener auf seinem Einbaum verschwand wieder im blauen Halblicht der Mondnacht. Zwei Tage später fand der Kapitän alle Angaben bestätigt, sich und die anvertrauten Wanderfamilien aus schwerster Gefahr errettet. Ohne empfangene Warnung wäre er sicher auf den teuflisch gelegten Köder gegangen. –
Auch in anderem hatte James Girty die reine Wahrheit gesagt. Simon lebte damals, 1785, nicht mehr unter den Indianern, so wenig wie Boone im engen Wehrverband der Grenzer; hüben wie drüben war die alte Beziehung gelöst, die Schlacht an den Blauen Lecken als letzte große Kriegstat zur Wende geworden, eine neue Zeit unter neuen Führern angebrochen. Was die roten Nationen trotz all ihren furchtbaren Verlusten nicht sehen wollten, das verlorene Spiel, das besiegelte Ende, der Überläufer erkannte es längst; was sie nicht hören wollten, hielt er ihnen mit dürren Worten vor, und so galt er bald als unbequemer Pazifist und Miesmacher. Ohnehin hatte er seinen Einfluß schon durch wiederholte Befreiung und listigen Loskauf von Gefangenen erheblich geschwächt; nun wurde er der Kriegspartei der jüngeren Häuptlinge, unter denen gerade Boones Gönner »Blaujacke« einer der hitzigsten Schreier, vollends mißliebig. So führte er denn auf jenem weiten Landgebiet, das die Engländer ihm zur Belohnung seiner Dienste geschenkt, unter fremden friedlichen Stämmen das Leben eines Jägers und Pelzhändlers, bis der letzte große Heldenkampf seiner einstigen Freunde ihn als hochbetagten Greis noch einmal unter Waffen und – zur ewigen Abrüstung rief.
An den Blauen Lecken hatten die Indianer sich Blutes vollgesogen; gestillt war ihr gerechter Rachedurst noch lange nicht. Auch die von Clark erteilte Lehre hielt nicht vor; die Scheinfrieden, die sein Bevollmächtigter mit den Völkerschaften des Ohio-Bundes geschlossen, reichten nicht viel weiter als der Brand eines gestopften Kalumet oder ein europäischer Fetzen Papier. Von einer Vertreibung der »Langmesser« aus dem Grünen Rohr, von Wiedergewinnung der alten 416 Jagdgründe konnte allerdings nicht mehr die Rede sein, das begriff die einfältigste Rothaut; quoll doch schon der Strom soldatischer Siedler vom Osten her über den Muskingum, von Süden über den Ohio unaufhaltsam ins Indianerland vor, während im Westen die Forts am Mississippi und Wabash als Niststätten der weißen Brut mit ähnlicher Vermehrung und Überschwärmung drohten. Um so hartnäckiger setzten die in jenen Räumen aufeinandergestauchten Nationen, Lenapen, Schawanesen, Wyandots, Miamis und Piankeshaws ihre Raubzüge und Kleinangriffe fort; konnten sie die alte Ordnung und Stille auch nicht wiederherstellen, der fremden Übermacht sich nicht erwehren, schrecken und schaden, brennen und beuten wenigstens wollten sie, solange Atem in ihnen war. Zur Zeit, da man in Kentucky, so vor allem in dem durch zahlreiche Dorfburgen geschützten Lexington »anhub, fröhlich und guter Dinge zu sein«, der Buchdrucker Bradford aus Hartriegelholz die Typen zu seiner »Kentucky Gazette« und seinem Kalender schnitzte und die Damenwelt den heroischen »Linsey« gegen die Pracht philadelphischer Modestoffe vertauschte, spielte auf abgelegenen Niederlassungen noch manch ein schauergrelles Nachtstück, zerspritzte noch mancher Kinderschädel am Pfosten flammenumzüngelter, funkenumwirbelter Blockhütte, sah oft noch der neue Ansiedler furchterfüllt nahen Lohschein über die Wälder heraufdämmern, die Pferde in ihrem Pferch verwildert umherrasen, unheimlich Huschen über die Lichtung, dunkel kriechende Gestalten am Bohlenzaun. . . . Gerade in den Jahren von 1783–1790 sind den Kentuckyern nicht weniger als 1520 Menschen durch die rote Hand getötet oder geraubt worden.
Dabei hatte die Abwehr an Schneidigkeit erheblich eingebüßt. Die neuen Ansiedler, gediente Soldaten zumeist und schon darum für den unregelmäßigen Wald- und Raubkrieg gewöhnlich ganz unbrauchbar, ließen sich nichts sagen; von den alten erfahrenen Kämpfern aber waren fast nur mehr Kenton als Führer der fliegenden Reiterschützen und der wilde Whitley ständig auf dem Posten und in Waffen, und sie allein konnten nicht alles schaffen, wiewohl Kenton in ununterbrochenem Wachtdienst mehr als eine hirschlederne Hose auf Pferdesrücken durchgescheuert hat. Innerpolitische Schwierigkeiten aller Art kamen hinzu; was früher einfach und selbstverständlich gewesen, das bereitete jetzt die lächerlichsten Schwierigkeiten. Hatten die Indianer einst Boonesborough oder Harrodsburg belästigt, gut, so raffte man hundert eiserne Grenzer zusammen und kokelte denen 417 drüben ein paar Dörfer an. Dergleichen durfte jetzt beileibe nicht so ohne weiteres geschehen. Kentucky, obwohl werdender Selbststaat, gehörte ja dem Namen nach zu Virginien; Virginien aber hatte gleich den übrigen beteiligten Staaten seine Ansprüche auf das praktisch noch »herrenlose« Indianerland, das Land nördlich des Ohio, an die Regierung, an die »Union« abgetreten. So hatten dort fortan weder Kentuckyer noch Virginier etwas zu suchen, geschweige denn rote Mitmenschen totzuschießen, es sei, daß sie ausdrückliche Erlaubnis dazu vom Kongreß oder vom eingesetzten Militärgouverneur eingeholt hätten; und der gute alte Kongreß hatte seinen Sitz vorderhand noch immer im ziemlich fernen Philadelphia, und in der Quäkerstadt hielt man nach wie vor hundert Kentuckyer für entbehrlicher als einen einzigen Indianer. Die Rothäute aber durchschauten das alles, freuten sich diebisch und wurden immer dreister.
Bis endlich im Jahre 1789 Washington als Präsident die Verwaltung übernahm und andere Saiten aufzog. Oder wenigstens aufziehen wollte: denn die beiden ersten sprangen unter häßlichem Mißklang.
General Harmar, der Militärgouverneur der nordwestlichen Territorien, sollte die Indianer mit dem Bajonett zu endgültiger Ruhe bringen. Washington unterschätzte den schlauen, in den Künsten des Heimatkrieges weit überlegenen Feind und bewilligte dem Feldherrn bloß dreihundertfünfzig Mann regulärer Truppen, die aber durch pennsylvanische und virginische Milizen beliebig verstärkt werden sollten. Dies schon ein schwerer doppelter Mißgriff. Pennsylvanische und virginische Milizen zusammen, das wirkte aufeinander wie Feuer und Wasser; Milizen und Reguläre nebeneinander, das vertrug sich wie Stahl, Stein und Pulver und endete unter schwachen Führern jedesmal mit Meuterei, Schmutz und Schande. Und Harmar war kein starker Geist.
Er brachte sein Heer auf 1435 Mann und rückte von Fort Washington – Cincinnati – aus in schwerfälligen Märschen gegen den gewandten, wachsamen Feind. – Von diesem war außer schwelenden Trümmern seiner angezündeten Dörfer lange nichts zu entdecken; siegesstolz zog Harmar in die Brandstätten ein. Wie er dann aber seine Truppe in einzelne Streifbanden auflöste, die den Indianern in den herbstlichen Auwäldern am Maumee und Au Glaize nachspüren sollten, kam die alte Geschichte mit den Hinterhalten, und das Ende war ein blutiger Verlust von zweihundertdrei Mann. Der 418 große Feldherr erklärte nun mit schöner Geste seine Unternehmung für gelungen und erledigt, denn jene Dörfer habe er besetzt und ein anderes zerstört; aber was an Leuten er zurück nach dem Ohio führte, befand sich in wütender Auflösung, und seiner selbst harrte das blutige Hohngelächter von ganz Alt-Kentucky.
Harmar hatte sich den Kentuckyern besonders dadurch verhaßt gemacht, daß er einmal in ihre Rechte und ihre Sympathien empfindlich eingriff. Die Sache war die: als Stützpunkt seiner glorreichen Unternehmungen und seiner Amtswaltung hatte er auf der rechten Seite der Einmündung des Muskingum in den Ohio ein Fort angelegt – die Ortschaft, Marietta gegenüber, trägt noch heute seinen Namen – und dorthin einige Indianerhäuptlinge zur Friedensverhandlung berufen. Die Sachems kamen; aber wo irgend Rothautwitterung, da auch der »wilde Deutsche«, und nun knallte Wetzel solch einen Delawaren oder Schawanesen auf »Kongreß«- oder »Unions«-Gebiet nieder. Dafür sollte er vors Kriegsgericht gestellt werden, doch der Waldteufel entwischte nach Kentucky, und jetzt beging Harmar die Ungeschicklichkeit, ihn ausgerechnet hier, wo erstens mal die Militärbehörde ihrerseits nichts zu suchen hatte und man zweitens ganz allgemein der Ansicht war, daß der »wilde Deutsche« trotz Blutgeruch und Gemiedenheit denn doch ein weit nützlicheres Mitglied der menschlichen Gesellschaft darstelle als ein Indianer oder gar ein unfähiger Kongreßgeneral, durch einen Lieutenant verhaften zu lassen. Es kam zu wüsten Prügeleien zwischen regulären Soldaten und Ansiedlerwehr, drohend rotteten sich die Grenzer, die rohe Posse stank bedenklich nach Bürgerkrieg, mit Sprengstoff und Spannungen war die politische Luft damals schon ohnehin überladen. So mußte denn der Gouverneur schön klein beigeben und den alten Indianerwürger ansehenshalber irgendwie hintenherum ausbrechen lassen. Das Vernünftigste, was er tun konnte; amerikanische Hinterwaldkrawalle endeten nicht immer wie das Hornberger Schießen.
Das hatte Washington nicht erwartet; das war dem ohnehin aufsässigen, seperatistischen und jetzt natürlich heillos schadenfrohen Kentucky gegenüber verwünscht unangenehm. Von dort hagelten jetzt Eingaben an Kongreß und Präsidenten: der Indianerkrieg dürfte nie mit regulären Truppen geführt, könne wie zu alterszeit immer nur von Grenzerwehr unter erfahrenen Männern siegreich beendet werden. Was gerade Washington von Braddocks furchtbarer Niederlage her noch sehr wohl wissen mußte; allein er ging nicht darauf ein, das hieß 419 das Ansehen der Zentralgewalt und ihrer militärischen Mittel schwächen, das Selbstbewußtsein der Separatisten und Partikularisten über Gebühr stärken. Alles, was er den erregten Kentuckyern zugestand, war sein eigener Kriegsrat unter Shelby, Logan und »Oberst« Charles Scott. Im übrigen hieß es jetzt, ein »Militär von Talent und Erfahrung« werde die Operationen zur Sicherung und Befriedung der nordwestlichen Gebiete fortsetzen. Nun, da durfte man ja gespannt sein.
Der Militär von Talent und Erfahrung war der sechsundfünfzigjährige General St. Clair, in Ehren, wenn auch nicht gerade unter Lorbeeren ergraut, ein braver, nörgelnder Methodiker, verkalkt und vergichtet, daß er sich kaum mehr zu Pferde halten konnte und den Sattel gegen die Sänfte vertauschen mußte. Und dieser grämliche Drillmeister sollte die Indianer in ihren Urwäldern schlagen? Ganz Kentucky grinste. Dazu das Heer, dem Namen und der Zahl nach zweitausend Mann stark, in Wahrheit keine zweihundert wert, ein Hauf von eilends zusammenrekrutierten ungeschulten Burschen, Milchgesichtern, Sträflingen, Galgenbrüdern, Gesindel, durchsetzt mit einigen wenigen gedienten, aber ganz ohnmächtigen Offizieren und Unteroffizieren. Dazu stellten sich noch 1000 Mann kentuckyscher Miliz, die aber vor den langweiligen Exerzierübungen des pedantischen alten Herrn zum größten Teil bald wieder auskniffen. Als St. Clair, schmerzgepeinigt in seiner Sänfte verkrümmt, am 1. Oktober 1791 mit der notdürftig eingedrillten Armee von Fort Washington-Cincinnati nach dem Norden aufbrach, waren von der freiwilligen Bürgerwehr nur noch zweihundertfünfzig Mann da, und auch die verkrümelten sich unterwegs bis auf einen wertlosen Rest.
Da war Mitschikinikwa, »kleine Schildkröte«, der Führer der verbündeten Indianerstämme, ein Mann von ganz anderem Holz: gichtflüssig auch er, aber von durchdringendem Weitblick, scharfer und schneller Auffassung, nicht unbedeutenden strategischen und sogar sehr achtbaren wirtschaftlichen Gaben. Durch den berühmten Weltreisenden Volney, einen der besten Beobachter jener Zeit, der den Häuptling um das Jahr 1797 in Philadelphia sah und mehrmals ausführlich sprach, ist Mitschikinikwa als erster unter den großen indianischen Patrioten europäischen Lesern nahe gebracht worden. In ihm lebte der Geist Metacomets von Mount Hope, Seele und Wille des gewaltigen Pontiac; an Einsicht in die gegebenen Verhältnisse, in die Not, in die einzig mögliche Rettung, in den wahrscheinlichen 420 Untergang seiner Rasse übertraf er jene beiden Vorgänger, wie er dann selbst von einem anderen, vom letzten und erhabensten aller Indianerfürsten, dem mächtigsten Manne des roten Volkstums überhaupt an kühner Spannweite der Entwürfe, Adel der Gesinnung und Hoheit des Schicksals übertroffen worden ist.
Die Unterhaltung zwischen Volney und Mitschikinikwa wurde damals durch einen Freund und Verwandten des Häuptlings, den berühmten Kundschafter William Wells vermittelt. Dieser William Wells ist es wahrscheinlich, dem die Amerikaner ihre schweren Niederlagen von 1790 und 1791 zum großen Teil mit verdankten. Als zwölfjähriger Bub von den Miamis geraubt und durch Adoption in den Stamm aufgenommen, wurde er wie viele andere nach Vorbild der französischen Waldläufer zum überzeugten Indianer und als »schwarze Schlange« zu einem der bedeutendsten Krieger seines Wahlvolkes. Mitschikinikwa hielt ihn der Hand seiner Schwester wert und blieb über Trennung und Wendung hinaus sein Freund. Einer der typischen Kundschafterlebensläufe jener romantischen Zeit.
Der arme alte St. Clair war in mühseligen Marschreisen ins engere Feindesland eingedrungen; an einem Bache in der heutigen Grafschaft Dark des Staates Ohio schlug er sein vorläufiges Lager auf. Massenhafte Fahnenflucht, die Gründung und Bemannung zweier kleiner Stütz- und Rückfallforts, endlich die ganz überflüssige Jagd auf die Deserteure, das alles hatte sein Heer schon zahlenmäßig bedenklich geschwächt; mit Zucht und Begeisterung war es ja ohnehin nicht sehr weit her. Zur Eröffnung ernster Feindseligkeiten sollte die Rückkehr jener, den Drückebergern nachgeschickten Abteilungen abgewartet, das Kamp erst anderen Tags mit Verhack und Erdwerk befestigt werden. Für heute war man froh, sich an warmprasselndem Feuer wieder einmal hinhauen zu können; der steife General in seinem Zelt am allermeisten.
Auf etwas dergleichen hatten die wachsamen Indianer ja nur gelauert. Vor Morgengrauen des 4. November griffen sie, selbst in der Minderzahl, das offene Lager an. Auf Wache stand kentuckysche Bürgerwehr; sie wurde augenblicklich geworfen, floh unter Gebrüll unter die schlaftrunken auftaumelnden Soldaten und mehrte die Verwirrung. Überall in der nebelkühlen Herbstfrühe blitzten die Schüsse, huschten und heulten die bösen Gesichter, den Unerfahrenen entsank die Büchse aus flatternder Hand. St. Clair alle Ehre; in seiner humpelhaftig bestiegenen Sänfte ließ er sich mitten ins heißeste Feuer 421 tragen, befehligte zwei oder drei Stunden lang mit der Kaltblütigkeit und Selbstbeherrschung eines Ziska oder Fridericus. Vergebliches Heldentum: die bemalten Waldteufel, den Musketensalven, den Kanonen und vorgetriebenen Bajonetten weichend, schwärmten gleich wieder in scheinbar unerschöpflicher Überzahl vor. Vom zweiten Regiment waren alle Offiziere bis auf zwei gefallen. Alles wankte. Wer konnte, riß aus. Gegen zehn Uhr vormittags mußte der General den totenüberhäuften Kampfplatz räumen. Der Rückzug verwilderte gleich zur Flucht. Artillerie und Bagage blieben dem Feinde. In heilloser Auflösung erreichte das zertrümmerte Heer nach achtstündigem Laufen trüppelweis jenes neugegründete Fort Jefferson, von hier aus in etwas besserer Haltung das sichere Cincinnati. Die Verluste werden von manchen zu fünfhundert, von anderen zu neunhundert, noch anderen zu fünfzehnhundert Mann angegeben; die genaue Ziffer ist wahrscheinlich nie ermittelt worden. Es war auf jeden Fall einer der furchtbarsten Siege, den je der Tomahawk über das Bajonett, die Wildnis über die Kaserne davongetragen hat: die Teutoburger Schlacht der Indianer.
Schaurig und doch von antiker Großartigkeit, wie sie die Gefallenen verhöhnten: Erde stopften sie den Toten in den schwarzklaffenden, den Sterbenden in den schmachtenden Mund – da, nun freßt euch endlich satt, ihr Unersättlichen, ihr Landverschlinger! . . . Man denkt an Tomyris, die Massagetenkönigin und das Haupt des reichebezwingenden Cyrus. Unsere Ahnen im nordischen Eichendüster, die frommen Amerikaner auf den Schlachtfeldern des späteren fernen Westens trieben es weiter und schlimmer. . . . Auch William Wells, »die schwarze Schlange«, hatte sein Beil mit dem Blute weißer Brüder befleckt, seinen Gürtel mit schottischen, irischen, deutschen Skalpen behängt.
Der grundanständige alte St. Clair legte sogleich sein Kommando nieder und beantragte gegen sich selbst kriegsgerichtliche Untersuchung. Was gab es da schon zu suchen? . . . Clark hielt sich die Seiten: da, das hatten sie davon! Allein, da gab es nichts zu lachen. Ein Schritt weiter, eine andere Jahreszeit, und ihr Siegesschwung trug die Indianer, noch andere unverbrauchte Stämme und kanadische Freischützen mitreißend, mit Feuer und Beil über die Grenze hin. Die Republik unter Washingtons Verwaltung hatte schnell hintereinander zwei schwere, tiefbeschämende Schläge erfahren. Die Mißstimmung war allgemein. Und der Kongreß knickerte und geizte und dachte nicht 422 daran, für ein stärkeres Heer größere Summen zu bewilligen; und in all diesen Fugen und Rissen Gespinst und Genist von allerlei Ränken, allerhand fressender Wurmbrut; und in Pennsylvanien die Steuerkrawalle; und im Schoß der Regierung die Geburtswehen der Hamiltonschen Nationalbank; und dann die leidige Sklavenfrage; und drüber der französische Revolutionsvulkan mit seinen Fernstößen und Schwefelregen; und darob und wegen des ungeklärten Nordwestens neuer Stunk mit England; es war nicht leicht.
Allein Washington hielt und griff durch und erzwang sich ein stehendes Grenzschutzheer von 5000 Mann; vorläufig freilich nur erst auf dem Papier, denn anwerben ließ sich so schnell niemand mehr, derartige Überschüsse an beschäftigungs- und brotloser Menschheit waren in den rund 1 020 000 Quadratkilometern damaligen Amerikas schließlich denn doch noch nicht jederzeit greifbar. Alles horchte nach Frankreich hinüber, auf den weiteren Gang der blutig zersprengten Welt, auf größere Dinge und lohnendere Gelegenheit; selbst die höheren Offiziersstellen blieben aus Mangel an Angebot unbesetzt; man mußte zu Zwangsaushebungen schreiten. In Kentucky, dem freiesten aller Freistaaten – es hatte sich 1790 von Virginien gelöst und trat erst 1792 in die Union ein – erhob sich Wutgeheul: entweder wir Grenzermilizen oder Soldaten, beides zusammen nimmermehr! . . . Doch die Wahl des Führers war diesmal eine glückliche gewesen. Sie fiel auf »mad Anthony«, auf den »tollen« Anthony Wayne, den Wiedereroberer von Stony Point, just den Mann, die ganze alte Indianerkalamität mit ein paar scharfen Schlägen zu beenden und den heldenverehrenden Kentuckyern wie Clark einst unbedingt zu imponieren, unter ihnen volkstümlich zu werden. Ohne Volkstümlichkeit, ohne Stimmung, Dunst und Gerücht kein Glaube und kein Sieg; und Wayne liefen manche herzhafte Geschichten vertrauenerweckend voran.
Es war aber nun auch an der Zeit, daß etwas Durchschlagendes geschah. Ein dunkles Ereignis des Winters 1792 hatte die entzündlichen kentuckyschen Gemüter von neuem furchtbar erregt, Vertrauen und Reichsfreude des Westens schwer erschüttert. Es ist wenigstens keine unedle Schuld, welche die Regierung traf: immer noch hoffte sie, die indianische Frage vielleicht doch wohlfeil und unblutig durch bloße Friedensverhandlungen lösen zu können. Man gewann damit hauptsächlich eine Deckung gegen die Knicker und Idealisten, gegen die Indianerfreunde, zu denen außer den Söhnen Penns auch 423 der große Virginier Thomas Jefferson, der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung und nachmalige Präsident gehörte. Mißlang der Versuch, schön, dann hatte man eben alles getan. Aber nun beging die Regierung den unglaublichen Mißgriff, statt einiger Quäker ausgerechnet zwei Kentuckyer zu den Roten zu entbieten, zwei angesehene Bürger eben des Staates, in dem aus guten Gründen der Erfahrung am allerwenigsten an solchen Frieden geglaubt, rücksichtslose Ausrottung des lästigen Feindes am entschiedensten verlangt wurde. Wahrscheinlich spielten hier Intrigen hinein. Den Zwischenbefehl bis zu Waynes Ankunft führte ein »General« Wilkinson, gleichfalls gefeierter Held des Unabhängigkeitskrieges, ein hochbefähigter aber ränkesüchtiger, politisch unlauterer Mensch, und er war es, der über Wunsch der Regierung jene zwei Kentuckyer, »Oberst« Hardin – vielleicht einer von Boones ältesten Waffengefährten – und Major Trueman herausgriff und mitten im Christwinter hinauf zu den Indianern entsandte. In tiefer Verstimmung sahen die Grenzer ihre Leute ziehen, und wieder einmal bewährte sich ihre Erfahrung.
Die Friedensboten mit ihren Dolmetschern trafen bei den Indianern ein, wurden gut aufgenommen, aufmerksam angehört, gastfrei bewirtet – und von den Anhängern der Kriegspartei, von den radikalen Patrioten gleich am nächsten Morgen weiter nach den ewigen Jagdgründen befördert, umgebracht. Die älteren Häuptlinge, der hochsinnige Mitschikinikwa vor allen und der stolze finstre Bukongahelas, der Sachem der Delawaren, mißbilligten wohl die verräterische Tat, schon um ihrer Feigheit und vornehmlich ihrer Folgen willen; allein die sagamorische Macht reichte ja nur selten sehr weit, die Eiferer, von Boones Freund »Blaujacke« geführt, waren in der Überzahl, auch die roten Staats- und Volkshäupter auf ihren ohnedies sehr lockeren Thronen mußten mit der Mehrheit regieren. Bukongahelas konnte einen der Dolmetscher, einen jungen Menschen, der wie Wells unter den Roten aufgewachsen, vor den gierigen Skalpiermessern retten; das war alles, und das andere nicht mehr ungeschehen zu machen.
In Kentucky ein gallenbitteres Lachen. Ja, ja, die liebe hochwohlweise Regierung! . . . Aber von den salbadernden Friedensaposteln des Ostens hatte man keinen um die Kastanien ins Feuer schicken wollen, was? . . . Es war wirklich, um mit »Bürger Genet« und »Bürger Depeau« gutbezahlter Jakobiner und Großherr im künftigen Louisiana zu werden, noch einmal Revolution zu machen oder gar zum alten verratenen England zurückzukehren, wirklich! 2. 2. 2. 424 Dazu die ungeklärte Mississippifrage, dazu allerhand düstere Gerüchte über Vater Washington, über John Jay, den verbissenen Feind des Westens, über unterirdische Mannschaften . . . Da erschien Wayne.
Im Jahre 1793 kam er endlich mit seinen mühsam zusammenrekrutierten Fünftausend nach Fort Washington-Cincinnati. Die Kentuckyer sollten tausend Mann Miliz stellen; kein Fuß, keine Hand rührte sich. Das Griffekloppen unterm alten St. Clair nebst verschiedenem anderen lag allen tief in den Knochen. So kam es denn zum Einschnitt in die vielgeliebte, auch in den freiesten Gemeinwesen immer nur kurzer Traum bleibende »Freiheit«: zur Zwangsaushebung. Aber sieh, das nicht ganz unbedenkliche Experiment verlief wider Erwarten gut. Freiwillig mochten die Grenzer sich nicht melden, das war gegen das Prinzip; dem Drucke gehorchten sie jetzt auf einmal gar nicht so ungern, denn der General eroberte, wie einst das stark verschanzte Stony Point in seinem Morast, die starren Männerherzen im Sturm, und seine umsichtigerweise schon vorgedrillte Legion in ihrer tadellosen Ausrüstung machte einen guten, ermutigenden Eindruck. So gelang ihm nun auch jene schwere Aufgabe, an der schon so mancher allzu stolze britische, mancher allzu demokratische amerikanische Führer gescheitert, die Disziplinierung der verrufen störrischen launischen »Bürger«wehr des Westens. Unterm Zauber seiner starken gewinnenden Persönlichkeit verschmolzen Miliz und Truppe zum ersten Male zur brauchbaren Einheit. Den Herbst dieses Jahres verwendete Wayne übrigens nur auf Manöver und gegenseitige Angewöhnung; auf späte, unnötig beschwerliche Feldzüge ließ er sich gar nicht erst ein. Bei Anbruch des Winters wurden die Milizen nach ihrer Heimat entlassen; als der General sie im nächsten Frühling – 1794 – wieder aufbot, stellten sich statt der einberufenen tausend nicht weniger als sechzehnhundert Mann. In entscheidenden Dingen ist Persönlichkeit alles.
Droben aber im Miami-Dorfe saß ein Tapferer finster brütend am Feuer seines Wigwams. Menochkaming, der Frühling, war gekommen mit grünen Sprossen und belebten Wassern, er achtete seiner nicht; Mokwa, der Bär, aus dem Winterschlafe erwacht, trollte wieder drauß durch die Wälder, erloschen hing die Büchse am Pfosten; Flammenschein spielte über die roten Skalpe auf den Reifen im Rauch, ihr Erbeuter wandte sich schaudernd ab. Erinnerungen, Gestalten, Bilder stiegen aus tiefer Grabdämmerung herauf: der Vater, die Mutter, Geschwister, eine Blockhütte friedlich in waldumdunkeltem 425 Maisgefild, die Heimat. Eine Nacht voll Brand und Blut, ein langer Weg durch fremde Wildnisse, eine neue Welt, ein anderes Volk, seither das seine . . . Die Skalpe dort, nein, er mochte sie nicht wieder ansehen; wie, wenn er der Schwester den Mann, den Sohn, sich selbst den eigenen Bruder erschlagen? . . . Manchen Tag grübelte er verdüstert so vor sich hin; vergebens bot Tipewalangua, der schöne Stern, Mitschikinikwas Schwester, ihm vom dampfenden Maisbrei, von der gerösteten Damkeule, von der fetten Elchmuffel; er starrte, ein alter Spruch zog ihm wieder und wieder durch den Sinn: »Unser Vater, der Du im Himmel bist, Dein Name werde geheiligt . . .« Hieß es nicht so, hatten sie das nicht immer vor der Mahlzeit gesagt, stand das nicht geschrieben in dem dicken schwarzen Buche, daraus die Mutter an manchem Winterabend bei Kaminbrand und knisternder Hirschtalgkerze vorgelesen? . . . Und wie, wenn er einem von denen, die mit ihm aus der Heimatschüssel gegessen, mit ihm aus dem alten Heimatbuche die frohe Botschaft gehört, mit dem Beil den Kopf gespalten, mit Messer und Zahn den Schädel geschunden? . . . »Schwarze Schlange« stand auf, nahm die Büchse, das Pulverhorn, den Kugelbeutel vom hürnenen Haken, legte den Gürtel an und ein paar neue starke Mokassins zu weiter Wanderung durch die Wildnis; so ging er zu Mitschikinikwa dem Sagamore und führte ihn mit sich hinaus vor das Dorf unter die Sterne der Frühlingsnacht. »Ich gehe; lange waren wir Brüder; ich danke dir. Noch sind wir Freunde, bis morgen die Sonne an der Stelle jenes Sternes dort steht; von da an sind wir feind und können einander töten.« Der Häuptling blieb trauernd zurück; »Schwarze Schlange« entschwand im Dunkel der brausenden Wälder, untrüglich geführt von seinen roten Sinnen und seiner erwachten weißen Sehnsucht. Wayne aber nahm den Heimgekehrten mit Freuden auf, ernannte ihn zum Feldhauptmann seines Kundschafterstabes und schenkte ihm unbedenklich sein ganzes Vertrauen, das der wiedergeborene William Wells niemals gebrochen hat. –
Der General ließ sich Zeit. Vorbereitet hatte er seinen Feldzug gründlichst und in allen Punkten. Zwei im verflossenen Herbst angelegte Forts, Greenville an einem der Quellbäche des großen Miami und Recovery auf verrufener Stätte am Wabash, wo noch die abgenagten Gebeine der Gefallenen von St. Clairs vernichteter Armee da und dort im Augebüsch verschleppt morschten, sicherten den Aufmarsch und stützten die weiteren Operationen. Schritt für Schritt, 426 gehorsam den empfangenen, etwas ängstlichen Instruktionen des wackeren Kriegsministers General Knox, rückte der jetzt ganz und gar nicht »tolle« Anthony gegen den grimmig lauernden, unsichtbar, ungreifbar zurückweichenden Feind vor, während die Kundschafter – darunter sogar einige kanadische Waldläufer – auf täglichen Ausflügen das Gelände beobachteten und aufklärten.
Zu diesen Spähern gehörten mit Wells seine Schicksalsgenossen William Miller und May und der später in der Savanne und den Felsengebirgen des fernen Westens zu hohem Wildheldenruhme gelangte Robert M'Clellan. Miller war mit seinem Bruder Christoph als geraubter Knabe zu einem Indianerstamme gekommen, wie gewöhnlich adoptiert und in rotem Geiste auferzogen worden, später aber wieder zu seiner Rasse zurückgekehrt, während Christoph im liebgewordenen ungebundenen Wigwamleben verharrte; May, als erwachsener Gefangener zur Aufnahme begnadigt, hatte ebenfalls mehrere Jahre als Halb- und Mußindianer verbracht, bis dann auch ihm das Herz die Stunde schlug und er die nächste Gelegenheit zur Flucht ergriff.
Wells, Miller und M'Clellan erhalten eines Tages vom General den bestimmten Auftrag, unter allen Umständen irgendwie einen lebenden Indianer heranzuschaffen; vermutlich wollte Wayne über die Stimmung in den Dörfern und über die englischen Drahtzieher hinter den Kulissen Gewisses erfragen. Gut also: einen lebenden Indianer. In den lichten Parkwäldern am Au Glaize-River, wahrscheinlich in der Umgebung von Wapakoneta, wo einst Kentons Todesmarter hätte gefeiert werden sollen, stoßen die Kundschafter richtig auf drei rote Brüder, die da auf einer Blöße gerade recht gemütlich ihren Räuberbraten am Feuer rösten. Hinter Windbruch birschen die Späher bis auf neunzig Schritte heran; Wells nimmt den einen, Miller den zweiten aufs Korn, den letzten soll der schnellfüßige M'Clellan fangen. Die Schüsse knallen, die armen Opfer fallen; M'Clellan mit dem Tomahawk wie Wetter hinterm waffenlos davonwirbelnden Dritten her. Der Au Glaize mit steiler Uferwand sperrt die Flucht; ohne Besinnen schießt der bedrängte Wilde über die Kante hinaus und die sieben oder acht Meter plötzlicher Tiefe in den Fluß hinab. Aber die Wucht des Aufsprungs treibt ihn bis über die Knie in den Grundschlamm ein, und wie er noch mit dem zähen Schlick ringt, setzt ihm von oben der Verfolger wie ein Luchs ins Genick und ringt ihn unter Wasser, daß ihm die Sinne vergehen. 427 Jetzt kommen auch die anderen zum geglückten Fang heran, und wo ist der erbeutete Rote? Christoph Miller, der verstockte Indianer. Anfangs sträubte er sich gegen die zugemutete Rückkehr in die angeborene Haut, aber im kleinen Garnisonsarrest von Greenville erweichte sich sein Gemüt, die Kruste fiel ab, und wenn auch nicht gerade ein Engel, so wurde er doch einer von Waynes nützlichsten und verläßlichsten Kundschaftern. Eine andere Gruppierung der drei am Feuer, eine andere Seite des Angriffs, und William Miller hätte seinen eigenen Bruder totgeschossen.
Ein andermal überrumpelte Wells mit seinen Leuten eine kleine Indianerfamilie, wie sie gerade mit ihren Netzen und Fanggerät aus dem Kanoe an Land steigt. Gleich knackten alle Hähne; nichts was irgend braun oder bemalt, wurde von diesen mehr als halbwilden Kundschaftern verschont, weniger noch als vordem das weiße Fell, und Wells selbst schmückte jetzt seinen Gürtel ebenso unbedenklich mit wohlbezahlten Miami- und Schawanesenskalpen wie früher mit den Kopfhäuten seiner Rassebrüder. Diesmal aber kam es anders. Ein scharfer Blick nach den arglosen Indianern – da sprang er plötzlich vor die feuerbereiten Mündungen und schwur jedem, der da schießen sollte, seine eigene Kugel durch die Stirn. Jene waren seine Wahleltern und -geschwister, die Sippe, die ihn seinerzeit in den Stamm aufgenommen. So gab es nun statt kalten Mordes eine herzliche Begrüßung, auch die anderen Späher schüttelten den Miamis die Hand, und nach kurzer Unterhaltung gingen die Feinde, einander verstehend und achtend, friedlich auseinander.
Unter solch kleinen Abenteuern schob sich die Armee langsam, ihrerseits von Indianern beobachtet, nach Norden, quer über die ungeahnte riesige Petroleumader und die ungeheuren Naturgasfelder der Zukunft gegen die noch ungeklärte englische Grenze vor. An der Mündung des Au Glaize in den Großen Maumee legte der umsichtige General eine dritte Wildfeste an, Fort Defiance. So kam der August, in den verlassenen Dorffluren reifte einsam der Mais. Wayne selbst war entzückt von der Lieblichkeit dieses Gottesgartenlandes, voll Jammer über die fleißig und sauber bestellte Frucht, die mit sichtlicher Liebe gepflegten Obstgärten, die er um des vermeintlichen Friedens einer Rasse und um der hohen und niederen Politik willen notgedrungen vernichten mußte. Vom Feinde selbst fast nichts zu sehen, nichts zu hören; da und dort ein paar Gefangene, aber von irgendeinem bedeutenden Schlag keine Rede. Lange konnte das nicht 428 mehr währen; bis in die Seen würden sich die Indianer denn doch nicht drängen lassen. Einmal schon war er beinahe in Fühlung mit der roten Hauptmacht; da machte sich ein kanadischer Waldläufer aus seinem Quartier davon, ging hin und verriet dem Gegner alles. So konnte man denn von neuem anfangen mit Vortrab und Nachschub und schrittweiser Aufklärung; hier, so nahe den englischen Forts, bedeutete jede Übereilung höchste Gefahr, wollte jede Bewegung vorausgetastet, konnte jedes Gehölz eine tödliche Falle sein.
England fühlte sich eben damals am Vorabend eines neuen Krieges, der Abrechnung mit dem unversöhnlich gehaßten Amerika. Den Anlaß gaben die grauenvollen französischen Farcen und ihre überseeische Auswirkung. Die Kokardenrepublik hatte England, Holland und Spanien den Krieg erklärt und bedurfte zu dessen Führung amerikanischer Hilfe, auf die sie schon im glorreichen Namen Lafayette bestimmt rechnen zu können meinte. So wurde denn jener »Bürger Genet« nach den Vereinigten Staaten abgeschickt, und der ihm bereitete, lächerlich pompöse Empfang reichte allerdings dazu hin, nicht nur England, sondern das ganze, nur halbwegs anständige Europa aufs Blut zu reizen.
Aber der Citoyen, von solchen Anfängen ermutigt, von den angesehensten Männern der neuen Welt verwöhnt und verhätschelt, Citoyen Genet, ging jakobinisch frech gleich aufs Ganze: setzte sich hin und stellte über Washingtons kühlen Kopf hinweg, ohne sich um dessen öffentliche Bekanntmachungen im geringsten zu bekümmern, Kaperbriefe auf englische, holländische und spanische Schiffe aus. Mit anderen Worten: amerikanische Kapitäne durften und sollten mit gütiger Erlaubnis einiger größenwahnsinniger, bluttriefender Advokatenbestien und Seiner Majestät des Wohlfahrtsausschusses schwimmend Gut und Eigen von Bürgern jener Mächte als gute Prise aufbringen, das heißt unterm Schutz eines französischen sogenannten Admiralitätsgerichtes Seeraub treiben. Daß dergleichen nun auch wirklich geschah, ging denn doch über allen Spaß, und man mag es begreifen, wenn England gerade jetzt nicht die geringste Lust zu irgendwelchen Zugeständnissen und Räumungen im Nordwesten – wie solche im Friedensvertrag von 1783 vorgesehen – empfand. Überhaupt sah England im amerikanischen Rebellenstaat vorläufig keine legitime Macht, der gegenüber papierene Fetzen zu irgend etwas verpflichteten; vor dem Pariser Bolschewismus war die Union das Sowjetrußland des 18. Jahrhunderts. Seine unschätzbaren Plätze 429 an und zwischen den großen Seen abzutreten, das kam Albion, der City voran, gar nicht in den Sinn. Dazu war der Pelzhandel viel zu einträglich; wie denn überhaupt all die jahrhundertlangen Kämpfe um die laurentische Landschaft letzten Grundes um Biber und Bisam, das damalige Gediegengold des Nordens, geführt worden sind. So verharrten die britischen Besatzungen nicht nur seelenruhig auf ihren einst Frankreich entrissenen, jetzt Amerika zugesprochenen Posten, die Fortslinie wurde sogar gegen Süden hin vorgeschoben, ja erst im Frühling dieses Jahres hatte der Kommandant von Detroit am Maumee, in der Nähe der heutigen Ortschaft dieses Namens unfern der Großstadt Toledo, einen neuen Waffenplatz zur Sammlung und Deckung der indianischen Streitkräfte angelegt. – Wayne sah sich also zu äußerster Behutsamkeit gezwungen.
Noch eins erschwerte ihm das Vorgehen. John Jay, einer der klarsten Köpfe der Union, war vor einigen Monaten vom tiefbesorgten Washington nach London geschickt worden, um hier als außerordentlicher Gesandter für friedliche Schlichtung aller offenen Fragen zu wirken und das wahre Verhältnis der eigentlichen amerikanischen Regierung zum revolutionären Frankreich ins rechte Licht zu setzen. Höflich aufgenommen, entledigt er sich seiner Mission mit Geschick und leidlichem Erfolg; aber der Ausgleichsvertrag kam erst im November zustande, vorderhand hing alles an spinnwebdünnen Fäden. Ein Stoß, ein Schritt zu weit, und Jays mühsames Werk brach im halben Entstehen zusammen, Washingtons Absicht, von der Wayne doch jedenfalls Kenntnis hatte, war vereitelt, der Krieg mit all seinen furchtbaren inneren Folgen unvermeidlich. So sollte der General geradezu auf Messers Schneide die Indianer stellen und schlagen, eine ungeheure heikle Aufgabe. Da tat er nun aus reiflichster Überlegung etwas Unerwartetes: nachdem er den Feind vom Wabash herauf und hinab bis hart vor den Erie gedrängt, bot er ihm durch Unterhändler einen ehrenvollen, nicht ungünstigen Frieden.
Gern hörte Mitschikinikwa die Botschaft; er war des Kampfes müde, lieber hätte er die gichtsteifen Glieder auf lindem Bärenfell in behaglichem Wigwam gestreckt; er sah den Ausgang, ihm ahnte das Ende. Die Stimme der Vernunft verhallte. Ihm wie dem gleichgesinnten Bukongahelas, dem Lenapen, stand die immer noch starke Partei der völkischen Eiferer, standen die lockenden Versprechungen, Geschenke und Jagdgelder der Engländer entgegen. »Zweimal unter verschiedenen Anführern haben wir die langen Messer geschlagen«, 430 soll Mitschikinikwa im Rat der Sagamoren gesprochen haben; »wir dürfen nicht erwarten, daß das Glück auf unserer Seite bleibt. Jetzt werden die Langmesser von einem Häuptling geführt, der niemals schläft. Tag und Nacht sind ihm eins. Keine einzige Gelegenheit bot er uns zum Überfall, trotz der Wachsamkeit unserer jungen Leute; wie sollen wir da siegen?« Gegen ihn erhob sich Blaujacke, der Führer der Völkischen. »Kleine Schildkröte redet nicht wie ein Mann, kleine Schildkröte kriecht auf dem Bauche im Staub.« Damit war die Sache entschieden; tiefverletzt verstummte der alte Held. Wayne erhielt eine zweideutige Antwort; nun durfte er nicht länger zögern.
Er brach von Fort Defiance auf, zog am Maumee hinunter, errichtete an den Schnellen des Flusses in aller Eile das kleine Fort Deposit zur Aufnahme aller hinderlichen Bagage und marschierte dann geradeswegs gegen die Stellung der Indianer los. Von seiner Armee hatte er nach reichlicher Bemannung aller angelegten Plätze noch zweitausend Reguläre und tausend Kentuckyer, beide jetzt vollkommen aufeinander eingearbeitet und ausgesöhnt.
Mitschikinikwa im Sagamorenrat machte einen letzten Vorschlag: dem Feinde auszuweichen, ihn durch das verschleiernde Gefecht mit ein paar zurückgelassenen Plänklern hindurch ins Leere stoßen zu lassen, derweilen aber in weitem Bogen an ihm vorüber und zurückzugehen und das neue Fort samt den Vorräten in seinem Rücken zu vernichten – dies ein gewisser Erfolg, der andere unsicher. Der Plan war ausgezeichnet, eines großen Feldherrn würdig; Wayne selbst gestand, er wäre auf dergleichen nicht gefaßt, im Falle der Ausführung wahrscheinlich verloren gewesen. Zu spät; die roten Krieger bestanden stürmisch auf ihrem Kampf, dessen sie sich nun schon so lange enthalten. Die Bundesgenossen, Chippeways und Pottowatomies aus dem Westen, irokesische Banden aus dem Osten, wünschten nach genommener Skalpernte bald wieder heimzuziehen. Überdies vertraute man der erprobten Tapferkeit und Schießkunst der kanadischen Waldläufer, deren nicht weniger als fünfhundert sich über Weisung der britischen Agenten und Kommandanten im roten Hauptquartier eingefunden hatten. Endlich deckte ja jenes neue englische Fort, um das sie sich zum Entscheidungskampfe gesammelt, mit seinen Geschützen und offenen Toren den Indianern auf alle Fälle den Rücken. Befehlshaber und Offiziere rieten dringend zur Annahme der Schlacht; unterm Bereich ihrer Kanonen gäbe es gar keine Gefahr, die Amerikaner würden in den Kartätschenhagel hineinrennen und zerschmettert 431 werden. Mitschikinikwa sah sich vereinzelt und tausendfach überstimmt; aus der Hand des Großen Geistes fiel das schwarze Wampum. –
Am Vorabend des Zusammenstoßes schickte Wayne noch einmal vier Späher, Wells, M'Clellan, Mahaffy und May auf Indianerfang und Erkundung der feindlichen Stellungen aus. Für gewöhnlich trugen die Spione indianische Kleidung und Kriegsbemalung; so machten sie sich auch diesmal auf den Weg. Zwei arme braune Schelme, ein Mann und ein Weib, die dann vor dem General aussagen sollten, waren bald aufgebracht, gefesselt und abgelegt; nun sollte ein richtiger wilder Kundschafterstreich Tagwerk und Krieg beschließen. Die vier kühnen Männer saßen wieder auf und ritten bei fallender Dämmerung mitten unter die zahlreich lodernden Feuer und das vielstimmige bunte Treiben eines der getrennten Stammeslager hinein. Niemand achtete der vermeintlichen Brüder, alles ging um die kommenden Stunden und die erwarteten Skalpe. Da knallten vier Schüsse, vier echte Indianer fielen, die Fremden rissen ihre Gäule herum, brachen durch und stoben aus aufwütendem Geheul und blindem Kugelhagel, tief auf die Pferdehälse niedergebeugt, in die verfinsterte Buschprärie hinaus. Mahaffy blieb heil, Wells und M'Clellan wurden leicht verwundet, aber sie alle drei entkamen und brachten die Gefangenen noch in derselben Nacht ein; doch Mays Tier stolperte, der Reiter wurde abgeschleudert und ergriffen, und nun erkannten die Indianer in ihm den einstigen Gefangenen, der sie zum Dank für seine Begnadigung und Aufnahme in den Stamm verlassen und verraten. Da gab es keine Milde; am anderen Morgen zeichneten sie ihm eine Zielscheibe auf die nackte Brust, und ein wildes Kundschafterleben endete in der Gefahr, die es immer gesucht.
Um diese Stunde war Wayne schon im Anmarsch. Er fand den Feind in ausgezeichneter Stellung zwischen dem steilen Felsufer des Maumee und undurchdringlichem Holz, hinterm Naturverhau eines breiten Windwurfes, von dem die berühmte Schlacht den Namen »Fallen Timber« trägt. Die Kentuckyer sollten dem linken Flügel in Flanke oder Rücken zu kommen trachten, wegen der ungangbar schroffen Uferwände eine sehr schwere Aufgabe, während den Regulären der eigentliche, äußerst gefährliche Angriff mit dem Bajonett zufiel. Der Kampf war kurz, aber sehr blutig. Zu ihrem Unglück stießen die vorrückenden Bataillone zuerst auf die versteckten Kanadier, die wie gewöhnlich in der vordersten Linie lagen. Noch brütete der 432 große Windwurf mit übereinandergebrochenen Stämmen und Astgewirr lautlos unterm Spätsommerhimmel; im nächsten Augenblick blitzte und knallte es über die ganze Breite hin aus aberhundert Schützennestern auf, und in wenigen Sekunden waren 107 von Waynes Leuten gefallen. Aber gleich war die Lücke geschlossen, der eisern stumme Angriff ging weiter, einige Dutzend Kanadier und Indianer in ihren engen Schlupfen wurden während des Wiederladens mit der Klinge abgefedert, andere sprangen entsetzt auf und stolperten über die Trümmer davon, auf einmal war der ganze Windbruch wimmelnd lebendig von befiederten Gestalten, die Panik zündete, und jetzt erst hinter den sichtbar Weichenden her eröffneten die Truppen das Feuer. Schon war die Flucht allgemein und unaufhaltsam; das Beispiel der bestürzten Kanadier riß die ganze indianische Masse mit; die Verfolgung begann, nun brachen auch noch die berittenen Kentuckyer von der Flanke her über den geworfenen Feind herein. Viele Indianer stürzten im Nahkampfgedränge oder aus blinder Verzweiflung turmtief hinab in den Fluß. Heldenhaft wehrten sich wie immer die hochsinnigen Wyandots; sie verloren alle ihre Häuptlinge.
Auf das nahe Fort zu ging die Jagd; Leichen ohne Zahl blieben zurück. Schon erblickten die Gehetzten die rettenden Werke, deren eherne Donnerschlünde bald ihre Wetter unter die Langmesser schmettern, die Tore, die sich ihnen bald auftun würden, die Garnison auf den Wällen, den Kommandanten mit dem gläsernen Zauberrohr! . . . Aber wie, sie öffneten sich ja nicht, die Tore . . . Vergebens alles Rufen, Heulen, Pochen, Trommeln, sie blieben geschlossen. Und oben stand der Engländer und sah mit verschränkten Armen auf die Bedrängnis seiner Bundesgenossen herab; und im Rücken nahten die Kentuckyer mit wirbelnden Beilen und wolfswilden Herzen, die Kentuckyer, die keine Gefangenen, nur Tote machten; und die Tore blieben starr verriegelt, kein Geschütz donnerte, droben der verräterische Aglashima verzog keine Miene . . . Wayne selbst hielt sich jetzt zurück, aber die Kentuckyer, einmal im Schuß, kannten keine Besinnung und keine Grenze. Unter den Augen des englischen Offiziers metzelten sie von den an den Wällen, zwischen Feind und Verräter eingepreßten Indianern nieder, was immer ihre Äxte und Kugeln erreichen konnten. Erst jenseits des Forts ließ das zur grausigen Schinderei entartete Kampfgewüt nach . . . Die Schlacht war geschlagen, der große Indianerkrieg um den vorläufigen Nordwesten beendet. – – – 433
Die schweigenden Kanonen, die geschlossenen Tore des Bluttages von »Fallen Timber«, das haben die roten Männer den Engländern nie verziehen. Wenig bekümmerte es sie, daß Wayne, der »Große Sturm«, wie sie ihn jetzt nannten, dem Kommandanten für den Fall »völkerrechtswidriger« Einmischung mit dem Hanf gedroht; sofern bei Vertreibung und Ausrottung urheimatsberechtigter Nationen überhaupt etwas von »Völkerrecht« zu finden und zu behaupten. Von der veränderten Gesinnung der Bundesgenossen bekam der Brite gleich am nächsten Tage eine derbe Probe zu kosten. Bukongahelas in stillem Kanoe kam den Fluß heraufgerudert, um gleich als Erster für sein Volk mit dem »Großen Sturm« Frieden zu machen. Ein Posten des Forts hielt ihn an: der Häuptling möge sich zum Kommandanten begeben. Kalt maß der finstere Wilde den bunten Soldaten: wenn er etwas begehre, könne der Kommandant ebensogut zu ihm, dem Sagamore kommen. Im Fortsbereich habe sich jedermann zu fügen, drohte der Posten. Und womit will man Bukongahelas zwingen? höhnte der Indianer; mit den Kanonen vielleicht, die gestern so mutig für uns geschwiegen haben? Waren die Tore gestern geschlossen, so sind sie es heute auch! . . . Der Sagamore griff wieder ins Ruder, und bald darauf hatte er seinen Waffenstillstand mit dem »Großen Sturm« geschlossen.
Er blieb nicht der einzige. Der ganze Bund löste sich auf. Ein Häuptling nach dem anderen tat den schweren Gang, die harten Bedingungen des Siegers anzuhören, todbitteren Herzens anzunehmen. Endgültiger Verzicht auf alles Land am Muskingum, am Scioto, an den beiden Miamis, keine Jagd mehr in diesen Gründen, kein Wigwam, keinen Einbaum auf dem alten heimatlichen Ohio. Den düsteren Sagamoren quoll es heiß aus der Seele. »Der Große Vater und der Große Sturm können unser Unglück nicht wollen! . . . Wir sollten niemals wieder die Freude unserer Augen, den schönen Strom erblicken? . . . Wir sollen unseren teuersten Besitz verlassen, die Gebeine unserer Väter?« . . . Wayne schwieg, darauf hatte er nichts zu sagen; aber ein kentuckyscher Offizier brach roh und unverblümt gegen den Sprecher los: »Euer Land wollen wir! . . . Euer Aas brauchen wir nicht, das könnt ihr mitschleppen, wohin ihr wollt! . . .«
Euer Land wollen wir! . . . In diesen vier Worten lag alles. Euer Land wollen wir, eure Gefühle sind uns sehr gleichgültig! . . . Go ahead! . . . 434
Wayne selbst hielt dann durch Christoph Miller eine etwas längere Rede, verlogen wie die ganze Zivilisation, wie unsere ganze weiße Rasse. »Euer Gefühl, so achtbar es ist, können wir nicht berücksichtigen. Ihr selbst habt die Ereignisse herbeigeführt, ihr müßt die Folgen tragen. Noch bleibt euch Land genug, um durch ehrliche Arbeit selbständig als Nation zu bestehen. Meine Regierung gibt euch eine Entschädigung, wie ihr sie kaum erwarten könnt und die, gut angewendet, euer Glück und euer Behagen sichern wird. Euer Räuberleben hat aufgehört. Benutzt das Dargebotene und lebt in Freundschaft mit den Langmessern. Wir bieten euch die Hand.«
Selbst die Ereignisse herbeigeführt? . . . Durch ehrliche Arbeit selbständig als Nation bestehen? . . . Räuberleben? . . . Freundschaft? . . . Wir wollen euer Land, packt euch! . . .
Nur Mitschikinikwa kam diesmal nicht zu Wayne. Statt seiner schickte er »Blaujacke«, der sich in entscheidender Stunde zum Führer indianischer Politik aufgeworfen: eine feine und boshafte Rache.
Der förmliche Friede mit Pfeife, Wampum, Urkunde und Totem wurde übrigens erst im nächsten Jahre, am 3. August 1795 zu Fort Greenville geschlossen. Von seinen Forderungen ließ Wayne keinen Strich nach; damals sollen die Indianer auch ihm den Namen »Schwarze Schlange« beigelegt haben. Die ungeheure Gebietsabtretung von rund 60 000 Quadratkilometern wird etwa durch die heutigen Punkte Cleveland – Canton – Lima – Louisville bezeichnet. Hier hatten die roten Nationen fortan nichts mehr zu suchen, nicht mehr zu jagen. Außerdem mußten sie noch für die Anlage von Sicherungsforts innerhalb der ihnen verbliebenen Landstriche 17 besondere Distrikte von durchschnittlich je 9 englischen Quadratmeilen, das ist insgesamt rund 400 Quadratkilometern zur Verfügung stellen. Für all das zusammen erhielten sie 20 000 Dollar und Jahrgelder von 9000 Dollar. Zwanzigtausend und die Zinsen von einer Viertelmillion amerikanischer Taler für sechzigtausend und einige Quadratkilometer, für die Billionenzukünfte von Cleveland und Cincinnati, Columbus und Dayton, für die Zentrale der weltbeherrschenden Standard Oil, für Abermillionen von Barrels Erdöl, Millionen Tonnen Kohle, Millionen Hektoliter Naturgas, für fossile Schätze, deren Wert allein schon jene schäbige Abfindung ums hundertfache übersteigt, für ein Paradies erst der Jagd und schweifender Freiheit, dann des Ackerbaus und der Viehzucht, endlich der Industrie: – an ein Volk von vielleicht 10 000 Köpfen 20 000 Dollar und 435 9000 jährlichen Bettels für eine verlorene Heimat! . . . Dazu als Dreingabe die Gewißheit baldiger Weiterverdrängung, weiterer Zwangsablösungen, neuer Vorwände zu Krieg, Vergewaltigung, Vertragsbruch und Trug. Vom Susquehannah bis zum Muskingum, vom Muskingum bis zum Wabash, vom Wabash bis über den Mississippi, vom fernsten Abend der Savannen bis in die ewigen Jagdgründe . . . Ruhe vor all den weißen Würgern, Franzosen, Amerikanern, Engländern, war erst dort, beim Herrn des Lebens, beim Großen Geist, im unverlierbaren All. –
Der »Große Sturm«, der die indianische Gefahr hinweggefegt, überlebte nicht lange seinen Sieg. Pünktlich im Sommer 1796 räumten die Engländer die noch von ihnen behaupteten Forts, darunter endlich auch das alte Detroit; Wayne besichtigte und übernahm noch die Plätze, aber auf seiner Heimreise nach dem Osten erkrankte er zu Ft. Erie, und hier in altkanadischer Schicksalslandschaft starb er, wie er die letzten Jahre gelebt, in den Palisaden.
»Schwarze Schlange« kehrte nicht mehr zu seinem roten Adoptivvolke zurück. Aber seiner braunen Wigwamehre blieb er treu über Krieg und Trennung hinaus. Gleich nach Friedensschluß ließ er sie samt all seiner halbblütigen Nachkommenschaft zu sich in die neuen Hinterwälder kommen, Söhne und Töchter wuchsen heran, heirateten unter die Grenzer, und heute noch rühmen sich viele angesehene Familien mit Stolz der Abstammung aus dieser gemischten Ehe. Auch mit Mitschikinikwa, dem Freund und Schwager, erneuerte Wells den alten Bund. Als dann der kränkliche Sagamore eine Art Studienreise nach den Städten des fernen Ostens unternahm, um einiges fürs wirtschaftliche Gedeihen seines unglücklichen Volkes zu lernen und die Hilfe der Quäker zu erbitten, begleitete ihn der Kundschafter als Führer und Dolmetsch, und dort in Philadelphia, in der Second Street war es, wo der berühmte Volney die beiden Helden der Wildnis kennen lernte: Mitschikinikwa freilich nicht in Büffelmantel und Federschmuck, sondern im blauen Schoßrock und breiten Rundhut der Söhne Penns.
Aber sein Herz war indianisch geblieben. »Sehe ich eure Städte«, sagte er zum gelehrten Franzosen, »so sind es jedesmal dieselben beiden Dinge, die mich am meisten in Erstaunen setzen: die Verschiedenheit eurer Gesichter und eure ungeheure Zahl. Es ist dessen kaum zwei Greisenalter, daß die Weißen in unser Land gekommen, und jetzt bedecken sie es wie Mückenschwärme, während wir Geborenen des 436 Bodens seit Urgedenken noch immer so zerstreut leben wie die Hirsche im Wald. Ihr Bleichgesichter habt es eben gelernt, auf kleinem Raume auskömmliche Nahrung zu gewinnen. Von einem Stück Land, zwanzigmal so groß wie dies Zimmer, sammelt einer von euch den Lebensbedarf eines ganzen Jahres; der Hirsch, von dessen Fleisch die Sippe des roten Jägers sich nur zwei Tage lang sättigt, braucht zu seinem Wachstum ein Gebiet, vielmal so groß wie diese ganze Stadt. Da ist es kein Wunder, wenn die Bleichgesichter uns vom Salzwasser bis an den Kitschi Kame und den Mitschi Sipi zurückgetrieben haben. Ihr breitet euch aus wie Öl auf dem Wasser, wir schmelzen hinweg wie der Schnee unter der Frühlingssonne. Lernen wir nicht eure Künste, so ist das Volk der roten Männer verloren, sind seine Tage gezählt.« – – –
So der arme Mitschikinikwa. Dazu einige wenige blumige Ziffern. Im Jahre 1790 lebten auf dem Gebiete des heutigen Staates Ohio knapp 3000 Weiße, im Jahre 1810 schon 230 670. Kentucky zählte im Jahre 1770 keinen einzigen weißen Ansiedler. Im Jahre 1777 befanden sich auf dem »dunklen blutigen Grunde« erst rund 200 »Christenseelen«. Fünf Jahre später, 1782, betrug die weiße Bevölkerung schon rund 20 000 Köpfe. 1790, zur Zeit der Lostrennung von Virginien: 73 677. Um das Jahr 1803: rund 400 000 . . . Noch ums Jahr 1780 hatte ein Scheffel Mehl ein kleines Vermögen gekostet. Zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts führte Kentucky neben bedeutenden Mengen Pökelfleisch, Roheisen und fertiger Eisenware, Holz und Holzware, Hanf, Flachs und Tabak nicht weniger als 40 000 damaliger Tonnen Mehl aus. – Ja, die Tage der »Metogtheniake«, der »Geborenen des Bodens« waren gezählt. Go ahead! . . .
*
Fern im Abend der Savannen, am Missouri und Kansas lebte noch frei und unbeschränkt das Siouxvolk der Osagen, die sich selbst Wasaji nennen. Der Osage-River trägt ihren Namen, unverfälschter aber die wilde Wahsatch-Kette im Innersten der Felsgebirgswüsten; gleich dem der Leni-Lenape und sehr vieler anderer Naturvölker bedeutet er nichts anderes als schlechthin »Menschen«. Ihre Stärke wird von verschiedenen alten Gewährsmännern von sechs- bis zu fünfzehntausend Köpfen angegeben.
Von der weißen Überflutung des Landes jenseits des alten Meschecabé, wie der Mississippi von seinen südlicheren Anwohnern 437 genannt wurde, spürte dies glückliche Prärievolk noch wenig; zu wenig, als daß es sich der Einwanderung schon hätte feindselig erwehren müssen. Früher hatten die Osagen das Bleichgesicht im Franzosen, dann im Spanier kennen gelernt: beide, Jesuit und Waldläufer, Padre und Caballero taten ihnen nichts zuleide, den Wildbeständen ihrer unermeßlichen Reviere keinen Abbruch. Dunkle Bisonherden sonder Zahl weideten friedlich in den weiten stillen Räumen zwischen den Zeltdörfern und sparsam verstreuten Forts; in den Auen rudelte massenhaft das Rotwild, in Holz und Rohr barg sich der Bär, in ruhigen Wassern baute der Biber, über die offene Prärie hin donnerte dumpf die bunte Stampede der Mustangs. Hier schien der Wildanger für Rot und Weiß bestellt in alle Ewigkeit.
So ließen die Osagen ungekränkt auch den uralten Jäger, der bisweilen auf geheimnisvoller Wanderung in ihrem Gebiet auftauchte, da und dort seinen Büffel oder Hirsch schoß, seinen Höcker, Lecker oder Ziemer über einsamem Feuer briet, um dann bald wieder im Abgrund der Wälder, im Graudunst endloser Savanne zu verschwinden. Einst sollte er ein mächtiger Krieger gewesen sein, ein Häuptling unter den Weißen; niemals irrte die Kugel seiner »Mazakan«, seiner Büchse, Skalpe zu hunderten dörrten im Rauch seines »Tipi«, keiner konnte sich ihm vergleichen an Kraft und Kühnheit, Lauf und List und stolzem Schmuck aus selbsterbeutetem Bärengewaff. Bis dann das Schicksal aller Häuptlinge sich an ihm erfüllte, Jüngere im Rat seine Weisheit überstimmten, Undank seines eigenen Volkes ihn vertrieb aus den Jagdgründen, die er ihm erobert, daß er aufbrach und grauen Hauptes über den Mini-shoshe zog, nicht als lahmer Greis unter Kindern und Weibern, sondern als Held und Wildtöter seine hohen Tage zu beschließen und teilhaft zu werden der Freuden, die des Kämpen in Wahkondas ewiger Büffelflur harren . . .
Es hatte Boone in der Nähe von Neu-Madrid wieder einmal nicht lange gelitten. An seiner herben, kargen Sinnesart glitten all die gutgemeinten Aufmerksamkeiten des ritterlichen Kommandanten wirkungslos ab. Und von neuem auch erfüllte sich an ihm der unentrinnbare Fluch des unfreiwilligen Führers, des Vorboten; die Menschheit, der er »als Werkzeug der Vorsehung« die Wege gebahnt, wurde er nimmer los, von Insel zu Insel verfolgte und trieb ihn der entfesselte Strom, nirgends blieb er lange allein, überall holte ihn das ein, wo er sich zeigte, jedesmal war sein Erscheinen das untrügliche Anzeichen nahender Pöbelpest. Die Kunde von seinem 438 heimlichen Übergang hatte in Kentucky eingeschlagen wie ein erleuchtender, lohzündender Blitz: Boone in Louisiana! . . . Ihm nach! . . . Kaum, daß er in frischer Wildnis jenseits der Stromgrenze Fuß gefaßt, sammelte sich's auch schon gierend drüben am Ufer, drängten Landräuberschwärme mit Gewalt nach, und Spanien, das zur Belebung seines dumpf dahinfaulenden louisianischen Besitzes germanischer oder wenigstens keltischer Tatkräfte ohnehin bedurfte, wehrte dem Einbruch um lieben Friedens willen nicht. Was für Boone gegolten, mußte auch anderen gebilligt werden; man war Nachbar eines demokratischen Staates, eines rauhen Volkes, das den Haß gegen alle Hoheit und Ausnahme, auch die des Verdienstes, auf seine Fahne geschrieben. So sammelte denn der Alte seine Häupter und Herden, warf die Büchse über und wanderte aus dem brauenden Fieberbrodem der Bayoux weiter nach Abend in die Steppe hinaus, über den Maramee, über den Bourbonnais, über den Gasconade und die verstreichende Hügelschwelle des Ozark-Landes, an den Osage, an den trüben wilden Missouri. Wie der Mond die Flutwelle rings um die Erde, so schleppte er das neue Amerika magnetisch hinter sich her von den alleghanischen Bergen bis in den fernen Westen, nach dem Kanaan der kommenden Geschlechter, in die Prärie. Durch drei Schichten amerikanischen Wachstums hindurch ragt sein großartiges einfaches Heldenleben: aus der östlichen, schmal beschränkten Kolonialzeit durch seine eigenen Kämpfe für Freiheit und Frucht, Raum und Reich, und hoch über diese hinaus in die Zukunft der unbegrenzten Möglichkeiten, in diese Vordämmerung einer neuen kommenden Welt. Und das unterscheidet ihn auch von allen seinen Mitstreitern und Mitbegründern: daß er nicht wie sie in schwülem, erbitterndem Kleinkrieg mit der einengenden Weiterentwicklung selbstgeschaffener Zustände sich verzehrte, verspießerte und verdarb, sondern mit überlegenem Verzicht auf all das Verleidete kühn und getrost in immer freiere Horizonte hinausschritt, in die heroische Entrückung, in die Erlösung, in die Unsterblichkeit hinein.
Eines Tages im Jahre 1799, als Boone, unbekümmert um die großen und kleinen Geschehnisse der Welt, im Gebiet des Osageflusses siedelte und schweifte, empfing er den Besuch des Kommandanten von Neu-Madrid und mit ihm die Nachricht, daß Seine Exzellenz der Gouverneur von Louisiana, Baron Carondelet, ihm demnächst die Ehre seiner persönlichen Anwesenheit schenken werde. Den furchtlosen alten Jäger ließ diese Meldung sehr kühl; als aber dann 439 der Baron, ein vollendeter Edelmann, mit seinem Gefolge wirklich bei ihm eintraf, bequemte er sich doch zur Audienz, und er hatte es nicht zu bereuen. Wie einst Graf Dunmore und später Oberst Hamilton zu Detroit, fand nun der spanische Gouverneur herzliches Gefallen an dem ehrwürdigen aufrechten Waidmann, der so gar keine Spur von falscher Unterwürfigkeit zeigte, alle Fragen so klar und rechtschaffen beantwortete und jetzt schon, nach nur vierjährigem Aufenthalt, in allen Verhältnissen, in all den unerschlossenen Wildnissen der Kolonie besser Bescheid wußte, vom Wert der einzelnen Landstriche, ihren natürlichen Schätzen und Hilfsmitteln mehr verstand als irgendeiner unter den Offizieren und Beamten und selbst eingeborenen Kreolen. Die Unterredung währte mehrere Stunden. Da der Baron nach höfisch steifer Zwangssitte jenem keinen Platz anbieten durfte, blieb er selbst die ganze Zeit über stehen, eine unerhörte, hier in den Tiefen der Wildnis mehr als seltsame Auszeichnung. Boone mußte berichten, beschreiben, beraten, erzählen; als dann zum Schluß die Sprache auf Kentucky kam und der graue Hinterwäldler mit bescheidenem Freimut die Geschichte seiner Enteignung vortrug, lächelte der großzügige Kavalier über die bösartige Kleinlichkeit der Republikaner: schön, da werde nun er dafür sorgen, daß dergleichen nicht wieder vorkomme. Nicht mehr für heute; ein huldvolles Nicken, ein gnädiger Wink: Boone war entlassen.
Aber vier Monate später kam wieder ein Offizier von Neu-Madrid zu ihm an den Osage, und was dieser Bote überbrachte, war die unanfechtbar durchgeführte Urkunde über eine der grandiosesten Landschenkungen, die jemals gemacht worden, über ein Gebiet von nicht weniger als 30 000 englischen Quadratmeilen, 78 000 Quadratkilometern, sieben Millionen und achtmalhunderttausend Hektaren, mit jungfräulichem Prärieboden und unergründlichen Urwaldungen, mit unabsehbaren atemfreien Räumen, unabschätzbaren Wildtierherden und unschätzbar wenig mitmenschlichen Bewohnern: mehr als ein Herzogtum, für einen Mann von Boones kernigem Einsiedlergeschmack ein wahres Königreich, gegen kein Imperium des Erdkreises zu vertauschen, und seinen Erben eine fürstliche Versorgung. So war aus dem unstet schweifenden Kundschafter, aus dem Pfadfinder und greisen Lederstrumpf über Nacht einer der reichsten Großgrundherren der Welt geworden; nach heutigem Maß wertete solch riesige Domäne als Land allein drei bis vier Milliarden Mark, mindestens eine halbe Million Dollar hätte der Eigentümer wahrscheinlich 440 schon nach vier oder fünf Jahren herausmünzen und damit in einer der Städte des Ostens oder auf einer schönen, bequemen Farm sich breit zur Ruhe setzen können. Er dachte nicht daran, der plötzliche Wandel seiner Verhältnisse ging spurlos über ihn hinweg, er blieb derselbe: wie damals nach der Diebstat der beiden Hessen, wie bald darauf nach Verlust der selbsterkämpften Heimstatt. Sein Reich war die ganze weite Wildnis ohnehin; verbriefter Besitz, unsicher wie alle menschliche Gründung und Bildung, machte für ihn, den wahrhaft Freien, keinen Unterschied mehr; Büffel und Biber, Hirsch und Holz, Wälder und Wasser, dieses ganze, noch weit größere Geschenk der Schöpfung kam ja doch aus dem Willen eines anderen, vom Vater Himmels und der Erden, vom tausendnamigen All-Manitou . . . Ein schlichter Dankesgruß an den Gouverneur, später einmal eine Ladung ausgesuchtesten Pelzwerks für die Frau Baronin, das war alles, was Boone an Erkenntlichkeit aufbrachte; Überschwänglichkeit lag ihm einmal nicht.
Auch in seiner Lebensweise änderte er nicht das geringste. Nach wie vor schweifte der Siebzigjährige wochen- und monatelang durch sein neues Wildparadies; wo es ihm gefiel, wohl auch über dessen Grenzen hinaus. Tags Jagd und nachdenkliches Wandern, abends das Feuer unterm Braten am Ladstockspieß, nachts der halbwache Schlaf unterm Murmeln der Wipfel, dem Weinen der Winde, unter Sturm und kreisenden Sternen: anders hatte er's nie gekannt, nie geliebt, anders konnte er nicht leben, so wollte er sterben.
Noch einmal beschlich ihn tückisch sein Schicksal. Im Jahre 1802 hatte der Gouverneur den Hafen von New Orleans der Union gesperrt; darob den ganzen Mississippi, Tennessee und Ohio hinauf allgemeine Empörung und Kriegsgeschrei. Da stellte sich heraus, daß Louisiana durch Geheimvertrag schon an das bonapartische Frankreich abgetreten war, und aus Haß gegen England, das uneinnehmbare, verkaufte jetzt Napoleon das ganze ungeheure Gebiet mit seinen 125 000 Einwohnern und allen anhangenden Ansprüchen auf westfernes Nebelland für den Bettel von 15 Millionen Dollar an die Vereinigten Staaten. »So, nun habe ich England den Nebenbuhler geschaffen, der es früher oder später tief demütigen wird«, sagte nach geschlossenem Handel zufrieden der großschauende Imperator.
So würfelte damals schon der Dollar auf österreichischen und deutschen Schlachtfeldern, bei Austerlitz und Jena, wofern des armen De la Salle stets stiefmütterlich behandelte patriotische Schöpfung 441 nicht bloß die Kaiserkrönung des größten und – verzeihlichsten aller Raubkriegsfürsten hatte bestreiten wollen.
Louisiana, das angefangene Weltreich westlich des Mississippi, ging nun nach hundertzwanzig Jahren auch an seinen natürlichen Herrn über. Damit begannen die Schikanen. Die »Landhaie« stürzten sich auf die fette Beute; in hellen Haufen kamen die Squatter, die Freisiedler; der widerwärtige Krieg gegen grünen Tisch, totes Gesetz, Papier und Schema hub von neuem an. Wohl war Boone vom abziehenden spanischen Intendanten den amerikanischen Kommissären besonders empfohlen, gleichsam zu treuen Händen übergeben worden: – gewiß, gewiß, aouh certainly ye-es, recht schön, wollen sehen, we'll try'nd do our best, aber der Besitztitel, Schenkung oder nicht, der müsse natürlich vorgewiesen werden, und zwar persönlich, und zwar zu New Orleans, denn dort hatte der Amtsschimmel seinen Stall. Boone, und mit fünfundsiebzig Jahren einem Abenteuer zulieb Monate lang einsam durch finsterste Urwildnis reisen, jederzeit; Boone, und eines schäbigen Wisches wegen aus seinen schönen Revieren heraus achtzehnhundert Kilometer weit hinunter nach der Halbmondstadt zu den Behörden schwimmen, nimmermehr. Er kam einfach nicht. Jahrelang arbeiteten die Kommissare an Zuteilungen, Buchungen, Schlichtungen, Bestätigungen, und zwischendurch an den Brechkrämpfen des Vomito, des gelben Fiebers; Papa Coquet hatte jeden Abend sein volles Haus, Boone aber kam und kam nicht. Fiel ihm gar nicht ein. Er hatte Besseres zu tun, Büffel und Hirsche zu schießen, durch Ödnisse zu schweifen, seine alten Tage zu genießen, mit sich, Schöpfer und Schöpfung allein zu sein. Mochten doch die lästigen Federfuchser sich gefälligst herauf zu ihm bemühen, wenn es schon durchaus sein mußte; Seine Exzellenz der Baron-Gouverneur hatte es ja auch getan. Und den Herren am grünen Tisch ließ er einfach sagen: er sei zu bejahrt, er brauche Ruhe, fertig. Derweil unternahm er fortwährend Ausflüge, die ihn weit hinaus über die Grenzen des einigermaßen bekannten Hinterlandes in neue Westwildnisse führten: vielleicht in vorsorgender Ahnung nahen Abbruchs, bevorstehender Wanderung, unerbittlicher Wiederholung bis ans letzte Ende. Jetzt war die Kommission nahe daran, ihre Akten zu schließen; damit wäre Boones unbestätigter Besitztitel auf immer verloschen und verloren gewesen. Und schon auch hatten die Landhaie, des Alten tiefe, geradezu furchtsame Abneigung gegen alle Advokaterei wohl kennend, den Biß gründlich vorbereitet. Ein paar gedungene Squatter, die sich unbeachtet und 442 ungestört auf Boones riesiger Domäne einnisteten: ihnen kauften die Spekulanten ihre angeblichen Ansprüche ab, und fertig war das Netz.
Das Gift wirkte augenblicklich. Gleich hatte Boone gute Lust, den ganzen beschwerlichen Krempel hinzuschmeißen, daß Wölfe und Aasgeier sich daran sattfraßen, und seinen Stab in Gottes Namen denn weiter in den schattenden Abend zu setzen. Irgendwo auf der Welt würde ja wohl noch ein Winkel zu finden sein, wo man seinen Frieden hatte vor dem verhaßten Papier! . . . Aber die Geschichte machte denn doch allzuviel Lärm und Rauch. In Kentucky drüben war man sich seiner tiefen Schmach nachgerade bewußt geworden; Schande genug, daß Boone, der Altpionier, hatte wie ein ausgewiesener Schuldner von Haus und Hof, von seiner blutig erkämpften Heimatstatt und dann aus dem Lande gehen müssen; sollte er nun, da ein anderer Staat zu Amerikas Scham ihm den Schaden ersetzt, wieder bestohlen werden? Das gab es einfach nicht. Gerade im louisianischen Missouriwinkel hatten sich viele jungkentuckysche Landsucher eingefunden, Bärenkerle voll mörderischer Rauflust, denen es auf ein paar mitmenschliche Augen und Schädel nicht ankam. Was die Väter gesündigt, das rächten die Söhne. Einige Spekulanten wurden von den Gewaltburschen saftig verdroschen; für den Fall weiterer Tätigkeit aber sollte ihnen der Angstschweiß nicht mehr mit dem »eichenen«, sondern mit dem hänfenen Handtuch getrocknet werden. Weiß Gott, ob nicht Boones eigene Jungmannschaft bei dem Haberfeldtreiben ein wenig mitgetan; Krach schlug sie jedenfalls, so ohne weiteres wollten Söhne und Neffen sich nicht aus ihrem Erbe hinausekeln lassen. Es war ein Anfang der später im Westen so beliebten und unentbehrlichen »Regulatoren«justiz. Das Mittel half. Fletschend, mit gesträubtem Kamm verzog sich die Meute. Aber auch die Behörden machten unterm Druck der öffentlichen Meinung eine vernünftige Ausnahme. Da der Berg nicht zu ihnen gekommen, kamen eben sie zum Berge, Boone brauchte nur seinen altzittrigen Namen auf den Amtswisch hinzukritzeln, und die Sache war erledigt. Der greise Jägerheld hatte seine Ruhe und sein letztes irdisches Reich.
Ja, nun begann der »Eisenarm« unter der Last eines ehernen Dreivierteljahrhunderts zu zittern. Auch die äußerlichen Geisteskräfte ließen nach. In einem an »Richter John Cobrea« gerichteten Briefe Boones ist fast kein Wort mehr richtig geschrieben. Sechsundzwanzig Jahre früher hatte derselbe Mann ein Buch diktiert, das selbst im modesüchtigen, damals gerade Natur à la Rousseau 443 spielenden Europa Aufsehen erregte. Sechsundzwanzig Jahre Jagd, Wildnis, Waldeinsamkeit! Das löscht manches Überflüssige aus. Aber die Büchse hielt der Eisenarm immer noch stät im Anschlag, blank blickte das Aug, unermüdet wanderte der Fuß durch die menschenleeren Räume voll allgegenwärtiger Gefahr.
Und das war gerade damals nicht so unbedenklich. Geheimnisvolle Erregung hatte die Dörfer am Missouri und Kansas ergriffen; Trommeln rasselten, fremdes Gauklervolk trieb sich zwischen den Tipis umher; sinnend zu Rat saßen die Häuptlinge, um den büffelfettgetränkten Pfahl kreiste der Geistertanz. Solche Zeichen konnten der gewohnten Wachsamkeit des erfahrenen Altmeisters nicht entgehen; vielleicht auch hat er selbst den merkwürdigen Mann gesehen, der da als Metacoms letzte Verkörperung mit blutschwarzem Wampum unter den Osagen erschien. Diesmal hieß er Tecumseh.
*
Tecumseh, der »zum Sprung geduckte Berglöwe«.
Die Geschichte dieses Indianers ist zu groß für eine schlichte Heldenhistorie der Grenze. Sie gehört der Kunst, der Dichtung, dem Roman, dem Epos.
Tecumseh der Schawanese, um 1770 geboren, war der Sohn eines unter Cornstalk am Großen Kanawha gefallenen Häuptlings und einer Cherokesin. Sein Zwillingsbruder Elskwatawa, »das offene Tor«, auch Elskawatha und Tenskwatawa geschrieben, verließ als fünfzehnjähriger Bursch den Stamm und galt für verloren, während er sich in den Hafenstädten des Ostens, in Quebec und selbst Halifax herumtrieb, als Bootsknecht und Pilot diente, vollkommen Englisch und nebenher noch manch andre Dinge lernte. Tecumseh machte all die schweren Kämpfe gegen Harmar, St. Clair und Wayne mit. Er gehörte zu »Blaujackes« kriegswütigem Anhang und blieb auch nach der niederschmetternden Unglücksschlacht bei Fallen Timber dem rotvölkischen Vergeltungsgedanken treu. Unnotwendige Grausamkeiten verdammte er als gerechter Streiter unwürdig; er hat später eigenen Kriegern überm ertappten Skalpieren den Schädel gespalten. In seiner Jugend dem Feuerwasser hörig, ein Trunkenbold und Vergeuder wie alle seine im Verkehr mit den Weißen angefaulten Brüder, ward er an der Wende zum eigentlichen Mannesalter plötzlich durch irgendein Erlebnis erleuchtet und bekehrt; fortan kam kein Tropfen 444 des verräterischen Freudengiftes mehr über seine Lippen, und aus dieser Erkenntnis und Überwindung heraus erwuchs der bewußte Held.
Ansehen besaß Tecumseh zunächst nicht. Zu öffentlich anerkannter Häuptlingswürde hat er es überhaupt nie gebracht. Allein der Funke in ihm glomm; bald entfachte er sich zur stillen Flamme. Eines war ihm jetzt gewiß: vor einem letzten entscheidenden Kampf um Recht, Freiheit und Heimat mußten alle indianischen Völker vom Rotfuß des Nordens bis zum Okee-cho-bee im Süden geeinigt, in fester Faust zusammengefaßt und von allem eingesogenen Fremdgifte entseucht werden. Ein ungeheurer Plan, ein übermenschliches Werk: und doch der einzige Weg zur Rettung. Die Jahre vergingen, Tecumseh in seinem Wigwam sann und reifte und spann.
Da kehrte Elskwatawa der Zwillingsbruder aus dem Osten heim, zerlumpt, verkommen, versoffen, aber unterrichtet in vielen Dingen, die hohem Zwecke als geheiligte Mittel dienen konnten. Seiner bemächtigte sich Tecumsehs Genie. In jähem Schlaglicht sah er mit einmal die Lösung.
Vorerst machte er eine Kraftprobe. Elskwatawa mußte dem Branntwein abschwören. Der Versuch gelang. Der Sünder gehorchte. Mehr noch, er hielt wirklich sein Wort. Er zitterte vor der drohenden Überlegenheit des Bruders. Gut: so konnte dann auch der ganze Stamm, konnten ganze Nationen, konnte mit der Zeit die gesamte Indianerschaft ersittlicht, zur Selbstzucht herangemeistert, zur einigen Tat erzogen werden. Und gerade Elskwatawa, der erste Jünger, sollte das Werkzeug sein. Tecumseh begann.
Alles war in diesem gewaltigen Indianer: der glühende Patriotismus eines Hannibal, der große Staatsblick eines Theoderich, die Menschenkenntnis eines abgeklärten Kirchenfürsten. Er kannte sein Volk; keine Stimmung, keine Erhebung, keine Überzeugung ohne Betrug, kein Glaube ohne Aberglaube, das alte Geheimnis. Er selbst war darüber hinaus, die Masse brauchte den Zauber, der Held den Heiligen. Elskwatawa sollte sein Prophet sein.
Im Osten hatte »offenes Tor« allerhand Taschenspielerkünste gelernt, die sich von den gewohnten Pauwau-Gaukeleien wenigstens durch Neuheit unterschieden. Auch auf Wind und Wetter verstand sich Elskwatawa als halber Seemann wohl noch etwas besser als die Schamanen des Binnenlandes. Das genügte. Tecumseh weihte ihn vertraulich in seine riesenhaften Geheimpläne ein; der andere verstand 445 und versprach unbedingte Gefolgschaft. Die Rollen waren verteilt, das Trauerspiel konnte beginnen. –
Ohio war 1801 als Staat in die Union getreten; zwei Jahre später wurden die westlicheren, seinerzeit von Clark eroberten oder wenigstens gesicherten Landstrecken als »Territorium Indiana« unter Gouverneur Harrison konstituiert. Hauptstadt des Gebietes war vorerst das altfranzösische Vincennes am Wabash. Die Besiedlung vollzog sich sehr schnell, fast einbruchartig, besonders nachdem Harrison eine wesentliche Verkleinerung der Gütereinheiten und Staffelung vom Vollgut (sechshundertvierzig Tagwerk) bis zum Sechzehntelgut (vierzig Tagwerk) gesetzlich erwirkt hatte. Die Verhältnisse lagen also von vornherein ganz anders als in Kentucky. Nirgends fand die weiße Flut Widerstand; von Kämpfen war seit der Schlacht bei Fallen Timber nicht mehr die Rede. Sorglos durfte der Einwanderer zwischen seinen vier neuaufgerichteten Heimatspfählen schlafen; ein kleiner Diebstahl an Feldfrucht oder Weidevieh, schlimmeres konnte nicht geschehen. Die Indianer waren froh, wenn sie ihr Leben, dann und wann ihr geliebtes Feuerwasser, für ein paar Stunden die elende Seligkeit eines Rausches hatten. So lernte nun das jüngste Geschlecht von Ansiedlern, das sich unerfahren und unerprobt, großmäulig und bequem auf den Eroberungen der älteren, in schweren, schrittweisen Kämpfen abgenutzten Pioniergeneration niedergelassen, das verprügelte, geschwächte rote Volk nur noch von seiner verächtlichsten Seite kennen. Was, dieses bettelhafte schmutzige Zigeunergesindel da, das für eine Neige Fuselgiftes all seine Habe, seinen Verstand, sein Land hingab, dieses verkommene kriechende Schmarotzerpack sollte jemals gefährlich gewesen, das sollten die berühmten Indianer sein? Veteranenprahlerei, weiter nichts! Solch lungernden Straßenkötern, wenn sie lästig wurden, schlug man einfach den Knüppel über die Schnauze, fertig! . . . Das also waren die sagenhaft schrecklichen Indianer? Die hatte man sich denn doch ein bißchen anders vorgestellt.
Wie Niederlage und Entrechtung ein – vielleicht schon von seinen Wurzeln her untermorschtes – Volk entsittlichen und entseelen, wir wissen es. Den kleinen Naturen der großen Masse bleibt aus solchem Zusammenbruch nichts übrig als das selbstische, nackte Leben, der abstumpfende Genuß, die Betäubung, der Taumel, der Sumpf, der Totentanz ins ohnehin gewisse Grab. Seuche, Handel und Schnaps, diese drei hatten den Indianer schon zur Zeit des großen Kolonialkrieges tief angefressen; nun, nach dem Hauptschlag von Fallen 446 Timber, gab es überhaupt keine Rettung mehr vor der weißen Pest, vor Ansteckung, Ausschlürfung, Ausbeutung und gänzlichem Verfall. Die alten Heimatgründe im Osten, die Reviere vom Miami bis zum Muskingum waren unterm Druck des Greenviller Friedens abgetreten und für immer verloren; im Westen, von Illinois her, drohten die Fortstädte Kaskakia und Cahokia als Brutstätten weiterer, umfassender Entfremdung; im Süden überm Ohio saßen, jetzt in furchtbarer Übermacht, schußbereit die Kentuckyer; im Norden schied die Wasserwüste der großen Seen das wohnbare Ohioland von den düsterkalten Wolfswäldern und Sümpfen der Chippeways und Crees, Mississagua und Nipissing. So waren alle die alten schicksalsverbrüderten Nachbarn, Lenapen, Schawanesen, Miamis und Piankeshaws, Weas und Wyandots zusammengesperrt in das für rote Begriffe und Bedürfnisse schon sehr enge Gebiet des Wabash, und selbst hier keineswegs verschont mit weißer Durchsetzung, mit den Giften des Kramladens und der Kantine. Pferchung, Stauchung, Beschränkung allein schon verderbt jedes freigeborene Jagdkriegervolk; das Übrige besorgte der Händler mit seiner Habsucht, mit seiner Nachfrage nach Pelzen, seinem Gegengebot in Branntwein und minderwertigem Trödel.
Ihren Bettel von 20 000 Dollar »Entschädigung« hatten die Indianer natürlich längst auf den Kopf gehauen. Zwei, allerhöchstens drei Dollar auf den einzelnen, was wollten sie damit groß anfangen? Auch die stolz klingenden Jahrgelder von 9000 Dollar halfen ihnen nicht weit. Die Gewissen der Herren im Kongreß mochten sich dabei beruhigen, ihre hungrigen Mägen nicht. Ihre schönen Maisfelder und Obstgärten hatte man ihnen zerstört und genommen. Und das Wild wurde immer seltener und scheuer, der alte Pfeil reichte da nicht mehr hin, das eingetauschte Pulver war oft verfälscht, an Waffen drehte man ihnen so schon vom Schlechtesten den Ausschuß an, soviel verstanden sie selbst. Blieb denn nichts als die Pelzjagd mit der Falle, das Trappen, der Tauschhandel und der Zwangsweg zum Versucher, zum Feuerwasser, ins Elend. Der erste vom Krämer angebotene Willkommtrunk entflammte, der zweite umnebelte, beim dritten schon gab man für den vierten die ganze Ausbeute eines Jagdjahres unbedenklich hin, und war dann die Gier erst recht erwacht, so verpfändete man seinen armseligen Schmuck, seine Ehre, seine Töchter, seine Jahrgelder, sein Land. Und die Händler nahmen das alles bereitwilligst, zu möglichst geringen Sätzen und möglichst hohen Zinsen an; was wußte das Gesindel von Schuld und Rechnung? Einen Becher 447 Branntwein für einen Stapel ausgesuchter Bisamfelle, für einen Jahrgeldanteil von ein paar hundert Dollar, für eine Strecke von zwanzigtausend Tagwerk Urland, warum nicht? Es war ein rundes Geschäft. Die Roten gerieten tief, immer tiefer in Not und Verfall. Ihre Pensionen bekamen sie gar nicht mehr zu sehen. Die waren immer schon im voraus versetzt und gesperrt. Wovon leben, wovon sich kleiden? Zu beschwerlicher Jagd hatte man keine rechte Lust mehr. In den Forts und Dorfstädten nach Schnaps herumlauern, das war viel schöner. Eine wollene Decke, ein buntes Hemd vom Krämer, das tat's ja auch und war viel bequemer zu haben. Das Gift lag dumpf in allen Gliedern, lähmte jeden gesunden Trieb, nur das eine nicht, das Verlangen nach neuer Vergiftung. So verkaufte man eben Land. Land, immer wieder Land, Stück für Stück von den kläglichen Resten der Heimat. Gegen Feuerwasser, gegen das bißchen Pulver, das man noch brauchte, gegen kindischen Tand und würdelosen Krämerschund. Es war ja doch alles gleichgültig. Die Bleichgesichter würden ja doch eines Tages auch diese letzten Gründe verlangen und unter irgendeinem Vorwand wegnehmen. So hatte man dafür wenigstens noch seine Betäubung und seinen Schlaf. . . . Man höre den verläßlichen Volney:
»Vom frühen Morgen an lungern Männer und Weiber in den Straßen von Vincennes herum, in der einzigen Absicht, sich Brandy zu verschaffen. Ihre Felle, ihre Kostbarkeiten, ihre Kleider vom Leibe geben sie hin, um Schnaps zu erbetteln, den sie so lange durch die Gurgel jagen, bis sie die Besinnung vollkommen verlieren. Lärmend geht das köstliche Glas von Hand zu Hand, einer nötigt den anderen und blökt ihm zu; dort nimmt einer seine Frau beim Kopfe und stößt ihr unter täppischen Liebkosungen das köstliche Lebenswasser ein. . . . Nun folgen aber auch bald die traurigen Auftritte, wo alles sich viehisch im Kote wälzt; ein Dutzend solcher Opfer kann man jederzeit in den Gassen und an den Wegen um den Ort grunzend herumliegen sehen. Glücklich dabei, und selten der Tag, da es nicht zu Messerstecherei und Schädelspalten kommt; man rechnet auf das Jahr zehn Tote. Am 9. August, abends vier Uhr, erdolchte zwanzig Schritte von mir entfernt ein Indianer sein Weib mit vier Stichen; zwei Wochen vorher war dasselbe geschehen, das Jahr vorher gab es fünf Ehemassacres. . . .«
Das also sollten die gefürchteten Rothäute sein? . . . Gut, daß sie so waren; etwas Geeigneteres zum Betrügen, Ausbeuten und Beseitigen gab es ja überhaupt nicht. – 448
Aber so vom Jahre 1805 an merkten erfahrene Grenzer etwas wie eine Schwüle. Und bald merkten es die Krämer und reisenden Händler auch.
Alle noch stehenden Schulden, wie hoch sie auch aufgezinst, wurden bis zum letzten Cent sauber getilgt. Von Verpfändung der Pensionen, von Landverkäufen keine Rede mehr. Branntwein wurde erst schwankend und vereinzelt, dann kühl, endlich ganz allgemein schroff abgelehnt. Für ihre Felle forderten die Indianer hartes Bargeld und überraschend starke Preise; Pulver und Waffen im Eintausch wurden vor Übernahme sorgfältig geprüft und beim geringsten Mangel oder auch nur Verdacht unerbittlich zurückgewiesen, ertappte oder von früher her bekannte Fälscher streng boykottiert. Schmucktand, Spiegel, Kattune, Hemden und Wolldecken, bisher die lohnendsten Handelsartikel der Grenze, hüteten unbegehrt, bei Angebot hochmütig verschmäht, den Laden. Weiber und Kinder wurden kaum mehr gesehen. Finster und stolz in ihrer alten kühnen Tracht, Lederhemd, Lederstrümpfen, Bärenkrallen und zottigdunklem Büffelmantel zogen die Häuptlinge zum Orte ein, die Jahrgelder zu beheben und nach erledigten Geschäften ohne weiteren Aufenthalt wieder zu verschwinden. Das alles hatte etwas zu bedeuten. Es bedeutete auch etwas, ein Großes: Selbstbesinnung, Sammlung und Läuterung, wie ein geschlagenes Volk sie nötig hat. Es war Tecumsehs Werk.
Zeitgenossen bezeugen die zwingende Würde seiner Erscheinung, seine echt heldische Sittenstrenge, die unbeschreibliche, tiefinnerlich grollende unheimliche Gottesgewalt seiner Rede. »Er besaß mehr als die gemeine Kraft, besaß alle Gewandtheit und Ausdauer des Indianers«, schreibt der Engländer James, der den roten Fürsten oft gesehen und gesprochen; »seine Haltung war edel, ernst und düster sein Antlitz, das selbst in der Todesstarre noch das Zeichen eines erhabenen Geistes trug. Mit dem Beispiel straffster Selbstzucht beherrschte er die Launen und Leidenschaften seiner Krieger. Zum Unterschied von allen anderen, meist so farben- und schmuckfrohen Wilden trug Tecumseh nie andere Gewandung als seinen schlichten Mantel und seine hirschledernen Beinkleider. Von Beute und Kriegsgeldern behielt er niemals das geringste für sich. Ruhm, nicht Reichtum war sein Ziel.« Dazu die unbefangene Schilderung eines halbverwilderten Weißen, John Dunn Hunter, der viele Jahre unter den Osagen gelebt: »Nichts vermag einen schwachen Begriff von der Kraft und dem Bilderreichtum seiner Rede zu geben. Sein Ausdruck, seine Gebärden, 449 sein Vortrag übten solch zauberische Gewalt, daß mehrere in unserem Häuptlingsrat schon entschiedene Fragen von neuem aufgenommen wurden.« Endlich der Amerikaner Brown in seiner Geschichte von Illinois: »Bei Anschlag seines Lieblingsgegenstandes, Zusammenschluß aller Indianervölker wurde er geradezu ein anderer Mensch. Die notwendige Verstellung des Staatsmanns, das natürliche Mißtrauen der anderen Rassen, die starre Würde des Kriegers, all das fiel ab von ihm wie ein fortgeworfener Mantel. Sein schönes Antlitz leuchtete von feurigem und hohem Stolz, seine Brust weitete sich vor Erregung, in tiefbrausendem, unaufhaltsamem Strom brach die gesteigerte Sprache aus seiner Seele. . . .« Das war Tecumseh, ohne Frage der größte rote Mann, den Amerika überhaupt hervorgebracht.
So schnell indes gewann er die Herzen seiner tiefgesunkenen Brüder nicht. Hart und überraschend waren die Forderungen, mit denen er aus der Stille seiner Reifejahre hervortrat: kein Branntwein; keine Krämerware; keine fremde Tracht; kein Verkehr mit den Weißen. Der Entwurf eines hochfliegenden, herben Patrioten; aber es war viel verlangt und erweckte in niedrigeren, haltlos verseuchten, entraßten Naturen Widerstand und Haß. Den weißen Todfeind aber traf Tecumseh auf den ersten Schuß mitten in sein innerstes Herz hinein: in den Handel.
Elskwatawa soll es gewesen sein, der mit Verkündigung eines wohldurchdachten Traumgesichtes die Bewegung auslöste, indem er über Befehl des »Großen Geistes« auf den Bruder als den gottgewollten Führer und Befreier hinwies. Mancherlei Proben seiner Geschicklichkeit brachten dem Stamm die nötige Ehrfurcht vor seinen Visionen und seinen Beziehungen zur Geisterwelt bei. Von diesem Einschlag aus zog der Zauber weiter und weiter seine Kreise, spannen die Brüder ihr kluges riesiges Netz.
Über ihre ersten Fortschritte sind wir nur dürftig unterrichtet. In den Jahren von 1805 bis zum Ausbruch des sogenannten Unabhängigkeitskrieges war Tecumseh rastlos unterwegs. »Es ist mein Wille, alle roten Nationen zum gleichen Entschlusse zu vereinen, und nicht eher gönne ich meinen Füßen Ruhe«, sagte er selbst einmal dem Gouverneur Harrison ins Gesicht. Kein Neger, kein Mongole hat jemals so groß gedacht; Europa selbst ist beschämend arm an ebenbürtigen Beispielen.
Unter den Schawanesen und ihren altverbündeten Nachbarn war sein Ansehen wahrscheinlich schon gefestigt, als er die Chippeways 450 an den tausend Seen des heutigen Minnesota zu bearbeiten unternahm. Keine leichte Aufgabe; gerade diese große Nation galt als die kundigste der nördlichen Wildnis. Auch hatten die Chippeways noch keine Ursache, sich über das Vordringen der Amerikaner aufzuregen. Bei ihnen traf Tecumseh einen Emissär der Union, den später als blutjunger General gefallenen, gutmütigen Zebulon Pike, wie auch einen Sendling der englischen Nordwest-Compagnie an. Jener sollte zwischen den Chippeways und ihren alten mächtigen Feindnachbarn, den »sieben Ratsfeuern« der Sioux, die mehr als hundertfünfzigjährige Fehde beilegen; dieser mit Geschenken und Liebeserklärungen für König Georg oder vielmehr die City und seine Handelsgesellschaft werben und gegen die betrügerischen »falschen Weißen« wühlen. Der Schawanese in der gebietenden Würde seines Auftretens, mit der inbrünstigen Gewalt seiner Rede, mit der Klugheit seiner Gleichnisse und Gegengründe vereitelte beiden Konkurrenten das Spiel. Den Engländer ließ er noch als das geringere Übel gelten; gegen den amerikanischen Friedensengel aber erregte er tiefes Mißtrauen durch eine geschickte Anspielung auf die nahen Metallschätze der obermichiganischen Halbinsel, wo das Kupfer gediegen zutage lag: wie einst die mexikanischen Indianer in den Gruben der Spanier, so würden dann die Brüder Tschippewäer in den Bergwerken der noch grausameren und habsüchtigeren »Langen Messer« verschmachten. Das wirkte. Als dann am nächsten Tage gar der wetterkundige Elskwatawa unter allerhand Hokuspokus, Gesängen und Krämpfen über die seit langen dürren Wochen lechzenden Maisfelder ein so furchtbares Gewitter heraufbeschwor, daß selbst die beherztesten Häuptlinge vor Angst in ihren Mänteln schlotterten, war der Sieg der Brüder, war Tecumsehs Sache entschieden. Und der geschleuderte Funke brannte sich gleich tief in die tschippewäischen Herzen ein. In gutem Glauben an seinen Erfolg hatte der brave, aber etwas eitle Pike die Nation verlassen; als er im folgenden Jahre von den Sioux heimkehrend den Mississippi hinabreiste, wurde er um ein Haar umgebracht; nur der Warnung eines wohlwollenden Häuptlings dankte er seine Rettung.
Einmal durchgedrungen, entwickelte Tecumseh auch gleich sein großes völkisches Programm. Kein Feuerwasser; keinen fremden Kleiderkram; möglichst wenig Verkehr mit den Weißen. Und jeder der Bewegung gewonnene Stamm sollte eine Abordnung junger Leute zu den Schawanesen schicken, damit sie dort zur Weiterverbreitung des Gedankens ausgebildet würden. So zog und züchtete sich dieser 451 rote Faschist eine Leibgarde und einen Stab von Mitarbeitern heran. Mehr kann man von einem Indianer wirklich nicht verlangen.
Gleich nach Pike trat Tecumseh an den »sieben Ratsfeuern« der Sioux auf. Diese klassisch verrufensten aller Horden waren damals noch nicht die »Wölfe von Weibern geboren«, als die spätere Schreckensberichte sie schildern. Dazu hat erst die Zivilisation mit allen ihren von Tecumseh vorausgesagten verheerenden Wirkungen sie gemacht. Sicher wie in Gottes Schoß verkehrten zu jener Zeit englische wie amerikanische Händler unter den Nadowessiern, den »Halsabschneidern« der Prärie. Aber der menschen- und völkerkundige Schawanese packte die Nation griffsicher bei ihrer Schwäche für äußere Formen und bei ihrer kriegerischen Eitelkeit. Ihnen, den Siegern, hatte der Friedensstifter später seine Aufwartung gemacht als den unterlegenen Chippeways; ein grober Verstoß, auf den Tecumseh seine Keile trieb. Das genügte für den Anfang, die Mißstimmung war erregt, sie führte zu Spannung, Gereiztheiten und Gewalttat und bereitete der von ferne herandräuenden amerikanischen Ausbreitung den heißesten Boden, den sie irgendwo gefunden.
Die Bewegung griff um sich. Überall hatte Tecumseh reißenden Erfolg. Meteorisch leuchtend stieg sein Stern über das dumpfe Dunkel der todgeweihten Indianervölker empor. Wie weit er auf jener seiner Missionsreise nach dem Nordwesten vordrang, wissen wir allerdings nicht: vielleicht bis zu den Satsekai, den Schwarzfüßen in der Saskatchewan-Prärie, deren algonkinische Herkunft ihm wahrscheinlich genau bekannt war. Er befuhr die Umgebung der Großen Seen, er erschien sogar in den unwirtlichen, finsteren Pelzjägerwäldern am oberen Ottawa, er verkündete die Botschaft der roten Erhebung und Auferstehung am Nipissing und Temagami, am Simcoe-See und an der Nottawasaga-Bai, am Muskegon und Shiawassee auf der großen michiganischen Halbinsel, und wo er selbst nicht auftrat, dahin überbrachten vertraute Sendlinge seinen Hirtenbrief und seinen Tagesbefehl. Sein und seines Bruders, des »Propheten« Name waren auf allen roten Lippen, in allen roten Seelen; von nichts anderem sprach man an den Beratungsfeuern vom Teufels- und Regen-See im Nordwesten bis zu den donnernden Wassern des Niagara: Tecumseh – Elskwatawa – Tecumseh! . . . Und schon hielt General Hull, Gouverneur des Territorium Michigan, durch französische Pelzjäger gewarnt, es für geraten, die neuen Vororte seines Sitzes Detroit mit Palisaden und Schanzen als Vorwerke zu befestigen. 452
Es waren gerade die Osagen, bei denen Tecumseh sich die erste Schlappe holte. Ihn selbst empfing, hörte und entließ der Häuptlingsrat voll Achtung, allein Elskwatawa mit seinen Zauberkünsten fiel glatt durch und bekam es deutlich zu schmecken. Auch gefiel den Osagen Tecumsehs schroffe Politik nicht; ihnen hatten die Amerikaner bisher kein Leids getan, sie hatten keine Ursache, sich einer so gefährlichen, folgenschweren Bewegung anzuschließen, das alte Lied. Erbittert, vielleicht schon unter sich verstimmt, kehrten die Brüder nach ihrem Hauptquartier zurück.
Als Mittelpunkt seines Feldzuges und Sitz seiner Diktatur hatte Tecumseh eine liebliche wildreiche Aue am Oberlauf des Tippecanoe, eines Nebenflusses des Wabash, ausersehen. Hier lag er mit seiner Leibwache von ergebenen Eiferern gleich weit oder nahe den beiden Gubernien Detroit und Vincennes; hier konnten die bandenweise aus aller Mundarten und Totems Ländern zusammenströmenden Patrioten sich leicht mit Wildbret und anderen Lebensmitteln versorgen. Aus Lederbahnen, Borke und Pfählen entstand bald ein buntwimmelndes, vielsprachiges Indianer-Feldlager, die »uneinnehmbare Lieblingsstadt des Großen Geistes«, wie die Brüder in ihren fast täglich gehaltenen Vorträgen sie nannten. Auf einem Uferhügel vor den Hütten und Zeltgassen verrichtete der »Prophet« regelmäßig seinen schamanischen Gottesdienst mit Klapperschlangenbeschwörung, Verzückung, Anfällen und Botschaften von oben, und bisweilen ließ auch der ernste Tecumseh sich zu einer Weihehandlung herbei, indem er vorher angelegten Glasperlen- und Armbandschmuck vor versammelter Gemeinde abstreifte und in den Fluß warf, eine wohlstudierte Geste, die ihre Wirkung nie verfehlte. Aber während der Andrang nach dieser Hochburg des Faschismus sich immerfort, von den Hunderten in die Tausende steigerte und die großangelegte Bewegung immer weitere Wellenkreise über den Westen zog, keimte schon Zwietracht zwischen ihren beiden Leitern, dem weltlichen und dem geistigen, Meister und Kreatur. Elskwatawa, durch seine Niederlage bei den Osagen gereizt, vielleicht auch von Tecumseh darob hart getadelt, wurde eifersüchtig. Er gab sich die Mühe, er spielte täglich Krämpfe und Gesichte, da er doch viel lieber statt Messern ein nicht zu kleines Maß Rum verschluckt hätte – und sein Bruder heimste dafür Ruhm, Ehre und Macht ein. In ihm reifte der indianischen Erhebung der innere Verderber.
Auch sonst blieb Tecumseh nicht ohne Feinde, nicht ohne den Zwang und Fluch blutiger Gewalt. Das Gelände, auf dem er sein 453 Hauptquartier, die »Pilgerstadt« Tippecanoe aufgeschlagen, gehörte keineswegs seinem eigenen Stamme, den Schawanesen, sondern zum Teil den Miamis, zum anderen den Wyandots, denen beiden diese unberufene Niederlassung mit ihrem starken Verbrauch an natürlichen Lebensmitteln bei allen alten Waffenbruderschaftsgefühlen keineswegs willkommen war. Ein paar gelegentliche Abordnungen jener fremdfernen Völker hätten sie ja schon um der guten großen Sache willen gerne bewirtet, aber Tecumsehs Banden streiften gleich jahrein, jahraus in ihren Jagdgründen umher und schossen und fraßen ihnen die letzten Büffel und Hirsche weg, wo doch von den anderen Seiten her schon die Bleichgesichter verderblich unter den Herden des roten Mannes hausten. Auf Bitten und Vorstellungen der Häuptlinge antworteten die Brüder ausweichend; später hörten sie sogar nicht mehr darauf hin. Umsichtig und volkswirtschaftlich veranlagt wie er war hatte Tecumseh für die Verpflegung seiner Anhänger wohl Vorsorge getroffen, für fleißig in eine Verbandskasse eingesparte Pelzerlöse und Jahrgelder Zufuhr von englischen Handelsplätzen her kommen lassen. Aber das alles reichte bei der stets wachsenden Zahl von Schwärmern ja nicht entfernt aus, ohne Jagd konnten Indianer überhaupt nicht leben, ein Verbot hätte sein Ansehen schon durch die unvermeidlichen Übertretungen geschwächt; außerdem war er selbst immer einmal wieder viele Monate hindurch auf Werbereisen abwesend. So sahen Miamis und Wyandots in ohnmächtigem Groll ihre Wildbestände dahinschmelzen, ihr Dasein um eines hohen, aber noch sehr fernen und unwahrscheinlichen Zieles willen bedroht. Alles Durchhalten, aller Opfermut hat ja schließlich irgendwo eine naturvernünftige Grenze. Der Konflikt war da.
In einer Hütte nahe Fort Wayne am Maumee lebte immer noch still und friedlich der gescheite alte Mitschikinikwa. Einst schon hatten ihn, den Besieger zweier amerikanischer Armeen, solch junge Draufgänger niedergeschrien; vor Tecumsehs unaufhaltsam wachsender Allmacht hatte er sich bescheiden und vorwissend zu den Bleichgesichtern zurückgezogen, und niemand tat dem in Ehren ergrauten Krieger ein Leids. Jetzt suchten seine aufs Blut gereizten Miamis ihn wieder auf und baten um Hilfe und Rat. Gefährlicher wurde Tecumseh ein anderer erfahrener Veteran all der vergangenen Freiheits- und Heimatskämpfe, der narbenbedeckte Häuptling »Lederlippe« von den hochsinnigen Wyandots. Klaren Blicks erkannte er die tödliche Gefahr, in deren Rachen hinein der feurige Schawanese die roten 454 Nationen führte. Ein neuer Krieg zwischen den »Langen Messern« und den »Saganash« oder »Aglashima«, den Engländern, stand nahe bevor; das wußten alle Indianer und alle Grenzer. »Die Langmesser und die Saganash gegeneinander sind für uns wie das Doppelmesser, das die Weißen Schere nennen«, sagte Lederlippe mit treffsicherem Bilde; »die beiden Klingen stumpfen sich aneinander nicht ab, sie zerschneiden alles Dazwischengeklemmte; Engländer und Amerikaner sind die Klingen, wir Sawash« – Savage: Wilde, Indianer – »werden von ihnen zerschnitten«. Und selbst unter der Jugend, selbst im eigenen Blute fand Tecumseh einen kühnen, weitschauenden Gegner, der es sogar wagte, ihm wie dem »Propheten« in öffentlicher Ratsversammlung die Stirn zu bieten. Es war »Guter Schütze«, sein Schwestersohn, den der großmütige Benjamin Logan einst als hilfloses Kind aus einem zerstörten Schawanesendorfe mit sich genommen und in weißem Geiste erzogen. Dieser junge Häuptling und Parteiführer, nach seinem Gönner auch einfach »Logan« genannt, trat jetzt tapfer für die Amerikaner und deren besseren Rechte ein: hätten die Schawanesen nicht immer nur gestohlen und gemordet, so empfingen sie trotz Luftigkeit ihrer Ansprüche Jahrgelder für das Land des Grünen Rohres, wer aber ihnen dessen Wiedereroberung oder gar den Sieg über die Amerikaner verheiße, der sei entweder ein Narr oder ein wissentlicher Lügner und Betrüger; sie, die Schawanesen, diese paar Handvoll elender Schützen wollten etwas ausrichten gegen die ungezählten Weißen in ihren neuen uneinnehmbaren, steinernen Häusern? . . . Lug, Betrug und Verrat! . . . Der Prophet, mitten ins eitle Herz getroffen, tobte vor Wut; fast alle anwesenden Schawanesen verlangten sofortigen Tod des Abtrünnigen, der sie in ihrem Ruhme gekränkt; Tecumseh allein, die krumme Zornader an der Schläfe, vermochte sich zu beherrschen und rettete mit gebietendem Wort dem verwegenen Neffen das Leben. Logan III. mit zwanzig anderen Schawanesen seines Anhanges verließ die schwüle Pilgerstadt und ließ sich nahe der Grenze nieder.
Aber den Miamis und Wyandots stieg die Not nachgerade bis übers Kinn. Wovon leben, nachdem ihre Reviere ausgeräubert waren? Sollten sie dem großen Tecumseh zuliebe verhungern? So beschlossen sie den Verkauf eines Landstriches am Wabash, eines Gebietes, auf das die Schawanesen nicht das geringste Anrecht hatten. General Harrison willigte ein, die Häuptlinge quittierten das Handgeld mit ihren Totems, aber wohl war ihnen nicht dabei. Was 455 würde Tecumseh sagen? Denn so weit war es schon gekommen, daß ohne seine besondere Genehmigung überhaupt kein Landverkauf vorgenommen werden durfte. Eigenmächtigkeit galt als Hochverrat, der Handel als null und nichtig. Der Diktator.
Zur Diktatur der Terror. Tecumseh eilte auf empfangene Verständigung von seiner Inspektionsreise zurück, erklärte die Miamis und Wyandots für Volks- und Vaterlandsfeinde und rückte mit seinen fanatisierten Jungtruppen richtend und rächend in die Dörfer der Nachbarn ein. Obenan in der Liste der Verurteilten stand »Lederlippe«. Der betagte Häuptling hatte sich in die Wälder zurückgezogen, und Tecumseh war grausam genug, den eigenen Bruder des Verfemten und einen anderen ihm verdächtigen Häuptling »Kranich« zur Prüfung ihrer Gesinnung als Häscher und Henker abzukommandieren. Weiße Grenzer hatten von dem ausgebrochenen Schreckensregimente vernommen und suchten den ihnen wohlbekannten alten Mann zu warnen, zu retten; vergeblich. »Kranich« und seine Helfershelfer kannten schon um der eigenen Hälse willen kein Erbarmen, und »Lederlippe« als Nachfahr der Huronen war viel zu stolz, sein Leben einem Fremden, einem Bleichgesichte danken zu wollen. Gelassen vor seinem Zelte sitzend, empfing er die längst erwarteten Todesboten; gelassen sah er das Vollstreckungsurteil, das sein Bruder ihm vorwies, das stumme Bild des Tomahawk auf einem Stück Birkenrinde. Gut; lange würde es mit ihm ja doch nicht mehr währen. So begann er denn langsam seinen Schmuck anzulegen, derweilen ein paar von der Henkersrotte im Hintergrunde sein Grab ausschachteten. Einer der Grenzer trat bewegt an ihn heran und bot ihm sein Pferd zur Flucht; der Magua – »Häuptling« bei den Wyandot-Huronen und Irokesen – antwortete nur mit stillem Kopfschütteln. Als die Totengräber mit ihrer Verrichtung noch immer nicht fertig waren, setzte er sich zu einem Stück Wildbret, davon er in aller Gemütsruhe aß. Jetzt kamen die Indianer und meldeten, alles sei bereit; »Lederlippe« erhob sich, nahm von jedem Einzelnen Abschied und schüttelte dem Weißen besonders die Hand: »Sein Gott werde den guten Willen lohnen.« »Kranich« nahm den Alten bei der Hand und führte ihn feierlich zur offenen Grube; »Lederlippe« hockte indianisch am Rande hin, das Kinn in die Hand, den Arm aufs Knie gestützt, und empfing ohne Wimperzucken den Todesstreich mit dem Hammerkopfe des Tomahawk. »So würde es jedem Verräter ergehen«, riefen die Roten den erschauernden Grenzern zu. Wildnis. 456
Der Widerstand war gebrochen, jeder Gegenwille erstickt, Tecumseh unbestrittener Alleinherr im roten Lager. Aber der Schatten des hingerichteten Greises fiel über seinen Weg, hohl sauste Schicksalswind in den Adlerfedern seines Zeltgiebels, ihm zur Seite schritt dunkel die unzertrennliche Gefährtin aller Großen, aller Gründer und Gestalter, die Schuld. –
Dem Gouverneur Harrison zu Vincennes konnten diese bedrohlichen Entwicklungen unmöglich gleichgültig bleiben. Den Propheten hatte er einmal schon empfangen, als dieser mit dreihundert zerlumpten »Pilgern« vor der Stadt lagerte, und an der üblen Halbbildung dieses schwatzhaften Indianerproleten nicht den geringsten Gefallen gefunden. Einen ganz anderen Eindruck machte der düsterschöne, stolzschweigsame Tecumseh, wie er nun mit wenigen gut bewaffneten Adjutanten vor ihm erschien. Harrison als feingebildeter Virginier besaß ein zu tiefes Gefühl für alle Ritterlichkeit, um den Reiz dieser mächtigen Persönlichkeit nicht bewundernd zu empfinden. Schade, daß es da kein Verständnis gab, keine Brücke, nimmermehr Friede und Freundschaft; denn nicht mehr und nicht weniger verlangte der Diktator als den Rücktritt von jenem Kaufvertrage, und das mit so ausgezeichneten, juristisch klaren Gründen, daß er den Gouverneur in arge Verlegenheit brachte. Die Unterredung verlief ergebnislos, wie sie denn gleich mit einer Verstimmung begonnen. Harrison ließ dem großen Schawanesen einen Stuhl an seiner Seite anbieten, und der Dolmetscher übersetzte seine Einladung ungeschickt in die Worte: »Euer Vater erlaubt Euch, daß Ihr Euch niederlaßt.« Eine finstere Wetterwolke über die Züge des Häuptlings, ein Schwarzglutblitz in seinem Aug, ein tiefes fernes Donnergrollen in seiner Stimme: »Vater? . . . Mein Vater ist die Sonne, die Erde meine Mutter; an ihrer Brust will ich ruhen.« In indianischer Weise kauerte er sich dem Gouverneur gegenüber hin; nicht einmal vom Hausgerät des weißen Feindvolkes wollte er etwas wissen.
Auch die Verhandlungen des nächsten Jahres – 1810 – zerschlugen sich an der starren Forderung Tecumsehs, alle nicht von ihm selbst als dem Oberhaupt und Zwangsverwalter des Indianertums genehmigten Kaufverträge müßten rückgängig gemacht werden, ein Begehr, auf das Harrison natürlich nie eingehen konnte. Im Verlauf einer dieser Aussprachen entwickelte Tecumseh in prachtvoller kurzer Rede vor den dreihundert mitgebrachten Kriegern ein kommunistisches System, um das ihn ein Owen, Saint Simon oder Fourier hätte 457 beneiden können: alles den Indianern noch verbliebene Land sei gemeinsames Eigentum, das Verbot von Sonderverkäufen das einzige Mittel indianischer Selbsterhaltung. Als aber dann Harrison in seiner Erwiderung etwas taktlos daran erinnerte, daß gerade die unruhigen und anspruchsvollen Schawanesen überhaupt nie eigenes Land besessen, immer nur bei anderen Völkern genistet und schließlich deren Überdruß erregt hätten, kam es fast zu Mord und Blut. In Flammen sprang Tecumseh auf: »Lüge! . . . Die siebzehn Ratsfeuer haben den roten Mann belogen und betrogen!« Die Tomahawks wirbelten, der Beratungsanger erhallte von Wildgeheul, Bajonette blitzten, auf den Wällen überm hagelgeladenen Geschütz spielten die Lunten; es war ein kritischer Augenblick. Harrison wahrte kaltes Blut, verwies dem Schawanesen seinen Ausfall und ging unbehelligt nach der Stadt zurück, wo er sogleich gründliche Anstalten zur Verteidigung wie überhaupt zum wahrscheinlich unmittelbar bevorstehenden Kriege traf. Aber am anderen Morgen nach ruhiger Nacht erschien Tecumseh mit der Friedenspfeife und glaubhafter Entschuldigung; nur jener Verkauf müsse unter allen Umständen rückgängig gemacht werden, die Vermessung würde er hindern, neue Grenzen keinesfalls achten, und die Häuptlinge seiner Begleitung traten ihm bei. Nun wünschte Harrison nichts sehnlicher als diesen hohen starken Charakter für eine friedliche Verständigung und überhaupt für ein besseres Einvernehmen mit den Amerikanern zu gewinnen; so begab er sich am dritten Tage ganz allein mit seinem Dolmetsch ins Lager des Diktators und wurde von Tecumseh mit größter Höflichkeit und Auszeichnung empfangen. Der Meinungsaustausch steigerte sich beinahe schon zur Wärme und Herzlichkeit, doch die Hauptfrage des Landverkaufs vereitelte jedes Einvernehmen. Harrison durfte nicht nachgeben, Tecumseh wollte es nicht. Er betrachtete die Landkaufpolitik der »siebzehn Ratsfeuer« – der 17 vereinigten Staaten – »als eine mächtige Flutwelle, die sein Volk hinwegschwemmen werde; die von ihm ins Werk gesetzte Maßnahme des Verbots von Sonderkaufschlüssen sei der letzte Damm gegen die Brandung und vertrage schon darum keine Durchbrechung«. Tecumseh, ein ganz gerissener Politiker, spielte dann noch auf den schon dunkel drohenden Krieg zwischen England und der Union an und bot dieser seine Hilfe, wofern »der große Vater« jenen widerrechtlichen wie allen ferneren Landkäufen feierlich entsage. Schön, er wolle es dem Präsidenten melden, erwiderte Harrison; annehmen dürfe er solche Bedingungen aber wohl kaum. »Hoffen wir, daß der Große Geist 458 ihm den Verstand dazu gibt«, versetzte Tecumseh; »freilich, er hat es gut, er leidet keinen Schaden, er kann in seinem Stadthause sitzen und seinen Wein trinken, während der Gouverneur Harrison und Tecumseh gegeneinander Krieg führen müssen.« Müsse er denn durchaus sein, dieser Krieg? »Unbedingt«, erklärt der Diktator in kalter Offenheit; »dazu habe ich alle roten Männer zum Bunde vereinigt.« Dagegen gab er das Versprechen, daß die alten Greuel fortan vermieden werden sollten, und dieses Gelöbnis, das er mit bisweilen furchtbarer Strenge hielt, kam ihm wirklich aus eigenem Herzenstrieb. – Die Unterredung war beendet, die Feinde standen einander gespannt und gerüstet gegenüber.
Doch Tecumseh führte seinen Schlag noch nicht. In seiner Kette fehlte ein letztes Glied, die Gruppe der südlichen Indianervölker, der Creek, Chickasaws, Choctaws und Seminolen, zu denen er eben erst Elskwatawa als Stimmungsmacher und Aufklärer geschickt. Kurz vor seiner eigenen Abreise nach jenen fernen Fieberlandschaften, in einer mondhellen Sommernacht des berühmten Jahres 1811 stattete er Vincennes und dem Gouverneur Harrison einen allerletzten Besuch ab, diesmal mit einer Leibgarde von vierhundert wohlberittenen, prachtvoll befiederten Sioux, wie man sie im Ohiolande noch nicht gesehen. Diese nächtliche Heerschau hatte ihren guten Grund. Einige Rotten von Tecumsehs gemischten Pilgerbanden, die er bisher von allen voreiligen Gewalttätigkeiten gegen Weiße klug und untadelig straff zurückgehalten, waren ausgebrochen, ein paar Ansiedlerhütten in Illinois drüben gingen in Flammen auf, einige Einwanderer verloren ihre Skalpe. Gleich widerhallte der ganze, solcher Schrecken nun schon entwöhnte Westen von Wut- und Rachegebrüll, Harrison drohte mit strengster Ahndung und hielt alle Büchsen des Landes bereit, Tecumseh aber fiel ihm in den schon erhobenen Arm und brachte nun selbst an der Spitze einer imposanten Schar seine förmliche und stolze Entschuldigung vor: die Indianer hätten den Bleichgesichtern stets das gute Beispiel der Verzeihung gegeben, nun möge man auch ihm und den Seinen den unliebsamen Zwischenfall nachsehen. Im Herbst, erwähnte er nebenher, würden viele neue Freunde aus dem Süden in Tippecanoe eintreffen und das bewußte Gebiet als Jagdgrund brauchen, er wünsche daher unbedingt Aufschub der Vermessung, bis er selbst mit dem Präsidenten gesprochen. Harrison aber wies nach dem Mond: eher würde jener dort vom Himmel fallen, als daß er ungestraften Mordbrand und Einspruch in wohlerworbene Rechte dulde. Tecumseh 459 hatte weiter nichts zu sagen: nur das bemerkte er noch vieldeutig, daß er in der Gründung seines allindianischen Schutz- und Trutzbundes ja bloß das Beispiel der Vereinigten Staaten selbst befolgt habe; das könne man ihm weder argen noch wehren. Dann brach er sogleich auf; die fahlen wehenden Federhauben der Sioux verschwanden im mondenen Zwielicht, der dumpfe Hufschlag verhallte über die fruchtbestandene Aue hin nach dem dunkelewigen Wald; der Spuk war vorüber. Tecumseh aber verließ in den nächsten Tagen das Land. Elskwatawa war zurückgekommen und hatte einen mächtig geschwellten Prahlkamm, aber auch ausgezeichnete Kunde aus dem Süden gebracht. – – –
Auf breitem Strommeere zwischen graubärtigen Sumpfurwäldern hin glitt das Kanoe des roten Mahdi, tausend englische Meilen weit gen Mittag; nachts überm schwülen Schlummer der Wildnis, überm schauerlichen Gebrüll der Alligatoren, dem Röhren der Stierfrösche, dem staunenden Ruf des Rosenreihers leuchtete riesig der gespenstige Nebelstern, der den Völkern der Erde Not, Wandlung und Blut, dem fernen Moskau den Brand, dem Imperator den Niedergang, dem Deutschen die ferndämmernde Befreiung, England und Amerika den Krieg, den Indianern die Erhebung, allen Rebhügeln aber von der Garonne bis an die Donau ihren unvergeßlichsten Jahrgang ankündigte. Kein Wunder, wenn der Wanderhäuptling auf seinen Fahrten bei solchem Zeichen vom Himmel fester denn je an seine Sendung glaubte.
Eine ganz andere Welt, in der Tecumseh jetzt wirken, sein ungeheures Werk zu vollenden hatte. Jene südlichen Nationen, weit volkreicher, lebhafter, üppiger als die kargen Brüder im Nord, dabei nicht minder tapfer und aus manchen inneren Gründen noch grausamer, waren von den Wechselströmen europäischer Einflüsse schon ganz anders zersetzt, entsittet und überkrustet worden als der stille chippewäische Bilderchronist am tannenumdüsterten Namekagon-See oder gar der freie rossetummelnde Sioux in seiner Prärie. Ein mildes freigebiges Klima enthob sie aller Sorgen; Kleidung aus Baumwollzeug hatte die altheroische Felltracht verdrängt; getrenntes Eigentum steigerte den Fleiß, Fremdblut die Anlagen, aber auch den Hang zu allen Lastern des Mestizen- und Mulattentums. Mischlinge der verschiedensten Grade bekleideten die Häuptlingswürde; einer der berühmtesten früheren Creek-Chefs war jener McGillivray, der sich selbst nicht mehr Häuptling, sondern mit deutlichem schwarzen Beigeschmack gleich »König der Könige« nannte. Auch »Weatherford«, mit dem 460 Tecumseh jetzt Freundschaft und Bündnis schloß, war ein Mestize: Sohn eines Hausierers und einer Seminolin, ein schöner Mann, hochbegabt, scharfsinnig, feurig, aber befleckt von niedrigsten Neigungen, tyrannisch und ausschweifend, ein Wüstling und Schlemmer; nicht nur Negersklaven hielt dieser seltsame Häuptling, sondern auch einen Hofstaat von schönen Mulattinnen und Tschinas, mit denen er nicht etwa unter seinem Volke, sondern als reicher Pascha auf seinem Gute lebte und Orgien feierte.
Tecumseh, dessen Ruhm schon früher nach dem Süden gedrungen, fand alles zu seinem Empfange vorbereitet. Der »Prophet« hatte wirklich ganze Arbeit gemacht. Schon hatten die Creeks nach dem Muster von Tippecanoe eine »heilige Stadt« – Echanabaska in der Nähe des heutigen Selma am Alabama – gegründet, wo mehrere Gaukler, darunter ein hundertjähriger Greis, mit Ansprachen, Beschwörungen und Kunststücken für Fanatisierung des zusammenströmenden Volkes sorgten. Der Komet am Nachthimmel dieses Sommers tat das übrige. Weatherford nahm den großen unbekannten Freund mit offenen Armen auf. Gerade als verachteter Mischling haßte er die hochmütigen Weißen womöglich noch glühender als irgendein reinblütiger Indianer. Von seinem gewohnten Luxus ließ er den spartanischen Schawanesen allerdings nicht viel sehen. Statt Kaffee und Zucker, an deren Genuß die Südstämme sich längst gewöhnt, statt Rum und Arrak würzten ernste taktische und strategische, politische und diplomatische Gespräche das Mahl. Überhaupt ergriff ein Taumel von Läuterung und Entäußerung die ganze Nation. Ackergerät, die zum Teil höchst kostbar nach spanischem Geschmack gearbeiteten Reitsättel der braunen Damen, ihre schönen weißen Baumwollkleider, Strohhüte und Zigarren, Kaffee und Süßstoff wurden zu Ehren der Rückkehr ins alte Indianertum feierlich den Flammen geopfert; ja selbst ihre von weißen Zimmerleuten errichteten Holzhäuser wollten die aufgehitzten Menschen niederbrennen, und die beiden Führer hatten ihre Mühe, die eifernden Massen vor übereilten Gewalttätigkeiten gegen die Lauen und Zögernden zurückzuhalten. Denn Warner und Spötter gab es natürlich auch hier; vor allem der »Hohe Rat« der Creek-Nationen in ihrer Regierungshauptstadt Tukhabatchee zeigte sich keineswegs einverstanden mit Weatherfords selbständigen Umtrieben und lud ihn zur Verantwortung vor, und besonders herausfordernd zeigte sich ein anderer junger Creekhäuptling namens McIntosh, gleichfalls ein Mischling, der wie Logan im Norden die ganze 461 Bewegung als Wahnsinn und Posse verhöhnte und Tecumseh verachtungsvoll den Rücken wies.
Allein das konnte den Sturm nicht aufhalten. Tecumseh zog predigend und werbend im ganzen Südlande umher. Es waren die Wochen seiner zündendsten Erfolge, seiner Höhe. Er wanderte ins fiebrische Florida hinab und sprach im Schatten ungeheurer Zypressen zu den Seminolen; hier im dumpfen Dunkel dieser kaimanstarrenden Waldsümpfe sollte zwei Jahrzehnte später noch einmal die Frucht seiner Aussaat aufgehen, einer der unheimlichsten und grausesten aller indianischen Freiheitskämpfe ausgefochten werden. Er weilte in Pensacola und verhandelte mit dem britischen Agenten; er besichtigte mit Weatherford dessen wohldurchdachte Anlage eines Waffenplatzes auf einer Halbinsel des Tallapoosa in der sogenannten, nachmals blutberühmt gewordenen »Hufeisenbiegung« des Flusses; er bereiste alle die Musgogee und Hitschitih redenden Unterstämme am Chattahotchee und Choctawhatchee, Suwannee und Chickasawha; er drang endlich in die Höhle des Löwen ein und trug seine Botschaft dem Hohen Rate zu Tukhabatchee selbst vor. »Großer Krieger«, der Vorsitzende des roten Synedriums, ließ ihn ruhig aussprechen und das Zeichen des faschistischen Bündnisses, ein Bündel von Stöcken mit eingeschnürtem Tomahawk – merkwürdig genug – niederlegen, er nahm auch die dargereichten Wampumschnüre an, aber in seinem starren Antlitz las Tecumseh den abwendigen Sinn. Durchbohrend sah er jenem in die Augen. »Euer Blut ist weiß. Ihr habt mein Wort vernommen, Beil und Gürtel von mir empfangen, doch kämpfen wollt Ihr nicht. Ich weiß, Ihr glaubt nicht an meine Sendung vom Großen Geist. Ihr sollt sie erkennen. Ich verlasse Euch jetzt und gehe nach Detroit. Dort will ich zum Zeichen aufstampfen, und Eure Häuser sollen bis in den Grund erschüttert werden.« Die Häuptlinge staunten; Tecumseh brach auf und reiste heim nach dem Norden.
Zu Tukhabatchee zählte man die Tage. Jetzt mußte der fremde Häuptling an den Seen eingetroffen sein. Da, eines Morgens grollten unterirdische Donner, der Boden erbebte, die Häuser krachten und stürzten ein. »Tecumseh ist in Detroit!« . . . Es war der Hauptstoß der schweren Beben, die im Jahre von 1811–12 vom Herde des Lagunenlandes am St. Francis-River aus die ganze Mississippiniederung und die südappalachische Landschaft heimsuchten. Was aber wußten die Indianer von jenen fernen Bodensenkungen und ihren Ursachen? Für sie war es der aufstampfende Tecumseh, nach dem 462 Vorzeichen des großen Kometen ein überzeugendes Wunder. Die ganze Nation fieberte in schwärmerischer Erregung. Das Wort war erfüllt, die Zeit gekommen; in der Bundeslade erdröhnten die heiligen Orakelplatten; der triumphierende Weatherford und seine Hofgaukler hetzten und schürten, die Ratshäuptlinge wurden schließlich mitgerissen und mitgezwungen und ergriffen bangen Herzens das Schicksalsbeil. – – –
Aber Tecumseh droben im Norden hatte wirklich aufgestampft, und vermöchte Gestein die Stöße eines starken Herzens weiterzuleiten, am Tallapoosa drunten wäre kein Balken auf dem anderen geblieben.
Auf seiner Rückreise versuchte Tecumseh es noch einmal mit den Osagen, wieder vergeblich; das zähe Volk wollte sich auf keine gewagten Schwarmgeistereien einlassen. Schon ein übles Vorzeichen, und je näher dem Ohio, desto finsterer der Himmel, desto besorglicher die entgegenkommenden Gerüchte – bis endlich das unheimliche Nebeldunkel sich lichtete und das Bild vollkommener Zerstörung vor den Augen des Heimkehrenden lag. Tecumsehs Lebenswerk, in das er eben erst den letzten Schlußstein gefügt, war vernichtet. –
Und das durch die Hand seines eigenen Bruders. Elskwatawa war eifersüchtig geworden; häufige Zurücksetzung durch den herrischen Meister verwandelte den Neid in stillen Haß. Immer noch hielt er treu zur allindianischen Sache, aber der Führer zum Siege und zur Wiedereroberung der verlorenen Heimat, kurz der Held wollte er selber sein. Die vorbereitenden Erfolge bei den südlichen Brüdern vermehrten noch seine Eitelkeit und machten ihm den Kopf vollends heiß. Tecumseh hatte kaum den Rücken gewendet, da ging er ans Werk. Und nun gerade, nachdem jener ihn kurz zuvor angesichts einer Schar von vielen hundert fremden Zuhörern empfindlich gekränkt.
Eben in diesem Kometensommer beherbergte Tippecanoe eine ungeheure Zahl von Pilgergästen aller Stämme und Nationen. Jene vier- oder fünfhundert Sioux waren gekommen, Chippeways und Pottowatomies, Winnebagos und Menomonies, Pawnees aus den nebraskischen Prärien, Creeks und Cherokesen aus dem Süden, ja selbst einige Osagen schwärmten buntsprachig in den Zelt- und Hüttenstraßen der »heiligen Stadt«. Andächtig lauschte man den Brandreden des Propheten; hatte doch jene wundersame Himmelserscheinung seine Weissagungen und seine Sendung vom Großen Geiste bestätigt. Aber Elskwatawa überbot jetzt alles bisher Dagewesene. Unverwundbar würden alle Anhänger von nun an sein, und zum Zeichen dessen werde 463 der »Große Geist«, der Uakán tanka der Sioux, der »Tirawa« der Pawnees, der »Alte, der nie schläft«, der »Herr des Lebens« höchstselbst in Flammen und Donnern zu seinen roten Söhnen herniedersteigen. Das tat der »Große Geist« denn auch pünktlich, sobald er nämlich in Gestalt eines ausgiebigen Feuerwerksatzes von Schlangen, Sonnen, Leuchtkugeln, Fontänen und bengalischen Lichtern, durch englische Händler besorgt, aus Quebec eingetroffen war. Der Erfolg bedarf keiner Beschreibung. Keiner unter den anderthalbtausend Indianern, der sich nach solchen Offenbarungen und Gesichten nicht für geweiht und gefeit, für kugel- und stichfest hielt. Und da im heiligen Lager ohnehin der Hunger nagte, ließ nun der Prophet seine betörten Gläubigen auf die Weißen los.
Es begann mit Raub und Mordbrand alten beliebten Stils. Die Herden wurden fortgetrieben, mehrere Ansiedler getötet, eines der Opfer starb gleich am heißersehnten Marterpfahl. Harrison ließ durch Boten ernsthaft warnen; gleißnerisch entschuldigte sich der Prophet: hier wie dort gäbe es eben ungezügelte böse Menschen. Unmittelbar darauf ereignete sich wieder ein Überfall. Jetzt aber riß dem Gouverneur die Geduld. Bereit war er längst, die Grenzer drängten; so rückte er mit 900 Mann, darunter 130 freiwilligen Kentuckyern unter Major Davis, vor die heilige Stadt, in deren Sicht er lagerte.
Es war am 5. November 1811, zwanzig Jahre und einen Tag nach St. Clairs furchtbarer Niederlage. Dem Kampfe auszuweichen, daran dachte Elskwatawa nicht entfernt; seine Horden lechzten nach Skalpen, er selbst träumte von einer zweiten Wabash-Schlacht und dem erhöhten Siegesruhme eines Mitschikinikwa. Aber hinhalten wollte er den Gegner, denn des Indianers Freundin ist die Nacht, die fahle schaudernde Vorfrühe. Es gelang. Harrison gewährte eine Unterredung für den nächsten Tag, der Prophet traf seine Vorbereitungen.
Die Amerikaner schliefen gefechtsbereit im kalten Tau der offenen Prärie, die geladenen Büchsen mit aufgepflanztem Bajonett und behutsam eingeknüpftem Schloß unterm Kopfe; rings um die Schlummernden standen in dichter Linie die Posten. Der Mond zog gespenstisch durch vielgestaltetes Gewölk, dünner Nebelregen fiel, drüben in der Indianerstadt flammten Brände, schnarrten die Rasseln, schollen hohle Gesänge bis tief in die Nacht hinein. Dann wurde es still, der Sprühduft schauerte, hoch im Herbstgedünst rauschten mit rauhem 464 Ruf die Völker der Wandergänse; abertausendgliedrig mit glühenden Augen und wolfsgrimmen Herzen wand sich's durchs hohe Gras heran. Um vier Uhr morgens wirbelten die Trommeln arglos zur Reveille; gleich darauf fiel in der Postenlinie ein Schuß; gleich darauf blitzten und knatterten ganze Ketten von Schüssen auf; gleich darauf war die heulende Hölle los. Unhörbar im düsteren Halblicht der Prärie waren die Indianer angeschlichen; schon horchten sie auf das Zeichen zum allgemeinen Angriff, da bemerkte einer der wachsamen Kentuckyer ein verdächtiges Weichen und Wanken in den Halmen und feuerte. Eine Minute später war die Schlacht in vollem Gange.
Seine straffe Zucht rettete Harrisons kleines Heer vor dem Untergang. Die ganze Prärie war lebendig von heulenden, pfeifenden, schrillenden, schießenden Teufeln; ein unheimliches, knöchernes Geklapper von hirschhufenen Rasseln feuerte sie zum Kampf an. Aber die Amerikaner waren binnen Augenblicken in Ordnung und Bereitschaft. Harrison zu Pferde befehligte im dichtesten Getümmel. Trunken vor wahnwitziger Begeisterung rannten die betrogenen Roten in die entgegenprasselnden Salven, in die vorgehaltenen Bajonette hinein. Ihr Blut floß in Strömen, ihre Krieger fielen in Schwaden; umsonst, immer und immer wieder sammelten sich die Abgeschlagenen unterm aufreizenden Geklapper jener Hirschgeäfter zu neuem Ansturm, wieder und wieder zerfleischten sie sich am entgegenschmetternden Bleihagel und der stahlstarren Hürde von aufgesteckten Fangmessern. So wütete das Ringen bis in den aufhellenden Herbstmorgen hinein. Gegen Sonnenaufgang setzte Harrison die stürmischen Kentuckyer zum Durchbruch an. Major Davis fiel, aber die indianischen Reihen wurden jetzt entscheidend in der Flanke gefaßt, aufgerollt und nach mehreren Richtungen hin auseinandergeschlagen. Von den unerbittlichen Kentuckyern gejagt, kamen viele Krieger in einem Sumpfe ums Leben; die anderen flüchteten in voller Auflösung nach der »uneinnehmbaren« heiligen Stadt.
Dort herrschten Wut und Verwirrung. Elskwatawa hatte das bessere Teil der Tapferkeit gewählt und auf dem Prophetenhügel für seine Völker »gebetet«, während Sioux und Pawnees, Chippeways und Pottowatomies, Winnebagos und Kickapoos zu Hunderten unter den Kugeln und Klingen der Amerikaner hinsanken. »Walk-in-the-water« (englisch: »geh ins Wasser«; wahrscheinlich verderbt aus einem auf whata endigenden indianischen Namen) von den Wyandots und Winnemak von den Pottowatomies waren die Leiter des Treffens. 465 Als sie solch schreckliche Proben der verheißenen Unverwundbarkeit sahen, schickten sie Boten auf Boten an den Gottesmann: ihre Leute fielen und wankten, die Sache stehe verzweifelt schlecht. Der Prophet mochte sich bei solcher Nachricht nicht allzuwohl in seiner Haut und unterm schellenbehangenen Medizinmantel fühlen, aber so lang er irgend konnte, trug er die Maske weiter: man möge nur weiter kämpfen, bald werde sich alles erfüllen. Und lauter und wilder stimmte er zum Beschwörungstanze seinen Kriegsgesang an.
Freilich erfüllte sich alles. Die Indianer liefen um ihr Leben, der entlarvte Prophet womöglich schneller noch als die Gäule der Sioux und die ob ihrer ausdauernden Geschwindigkeit hochberühmten Pawnees. Tippecanoe wurde in Überstürzung geräumt; Harrison rückte behutsam ein, fand die armseligen Pilgerhütten bis auf einigen zurückgelassenen Zauberkram leer und ließ das gefährliche Nest an allen vier Ecken anzünden. Weiter reichten seine Instruktionen nicht; am 9. November trat er, selbst leicht verwundet, den Heimweg an. Nicht ohne beißende Verluste hatte er den wichtigen Sieg erkämpft: sechzig Tote mußten bestattet, hundertdreißig Verwundete gepflegt und teils auf Bahren nach Vincennes geschafft werden. In unsere Großkampfbegriffe übersetzt 6000 Tote und 13 000 Verletzte von eingesetzten 90 000 Mann. Damit war aber auch ein großes Ziel erreicht, Tecumsehs drohender Rotvölkerbund gesprengt, die Luft rein für die nahe Auseinandersetzung mit England.
Über und um den Propheten entluden sich schreckliche Gewitter. Ein paar Meilen westlich hatten die atemlosen Flüchtlinge angehalten und sich zu einer Art Lager gesammelt; nach und nach trafen andere versprengte Banden ein. Elskwatawa hockte auf den Fersen, starrte schweigend vor sich und spielte Schicksalsschlag; unheilschwül umgab ihn ein Kreis haßerfüllter Ankläger. Man hatte es gesehen, wie der große Magier vor der ersten matten Kugel, die verirrt neben ihm einschlug, Hals über Kopf ausgerissen war; und für diesen feigen Betrüger hatte man sich guten Glaubens verblutet! . . . Als der Prophet Miene machte, sich aus der dumpfen Spannung davonzustehlen, vertrat ihm ein fremder Häuptling mit vorgehaltenem Tomahawk den Weg. Die Wolke barst. Es hagelte Schmähungen, Schläge, Tritte, und wie die Schawanesen solche Züchtigung ihres Angehörigen nicht dulden wollten, fielen die jämmerlich zusammengeschlossenen Indianer nun noch einander mit Zahn und Kralle an. Die Schawanesen 466 und die ihnen behilflichen Twightwees mußten das Feld räumen. Nun ging es erst recht über den Liebling des Großen Geistes her mit Spießruten, Knüffen, Stäupung; zum Schlusse schnürten die erbitterten Peiniger den Gottesmann an den wohlbekannten Pfahl, und die unzweideutigen Zurüstungen zum eigentlichen Rachefest begannen. Da kehrten die Schawanesen mit ausgiebiger Verstärkung zurück. In zweiter Balgerei wurden die erst mühsam herbeigeworbenen vielgeliebten »Pilger« geworfen; schnaubend und schäumend traten sie den Abzug an, den Brüdern daheim vom sauberen Zwillingspaar am Tippecanoe und ihrem eigenen blutigen Hereinfall umständlichst zu erzählen. Der halbtote Elskwatawa aber durfte sich irgendwo verkriechen und einstweilen auf seinem Ruhme ruhen. –
Das war es, was der heimkehrende Tecumseh vorfand: seinen mühsamen Riesenbau zerstört, sein Ansehen unheilbar erschüttert, alle Hoffnung dahin. Dem Wabash nahe, begegnete er jenen Banden zornig abreitender Sioux, die ihn vor wenigen Monaten noch als stolze Leibgarde nach Vincennes begleitet; statt ruhigen Gehörs gaben sie ihm Schimpf und Drohung und die deutliche Zusicherung, daß sie von nun an nicht gegen die Amerikaner, sondern an deren Seite, und zwar gegen ihn Krieg führen würden. Dies also die Ernte; von einer allindianischen Erhebung konnte da nicht wieder die Rede sein.
Auch die Miamis legten jetzt ihre Abrechnung wegen der ausgeplünderten Jagdgründe, die Wyandots wegen des hingerichteten »Lederlippe« vor. Der junge Logan erschien und erinnerte die Stämme in die Stirn des Gewaltigen an seine Warnung. Alles ertrug Tecumseh in stolzer Härte; wie aber nun der elende Prophet, der sich bisher sorgfältig vor ihm versteckt gehalten, mit prahlerischen Entschuldigungen im Häuptlingsrate auftrat, verließ ihn die gewohnte Beherrschung. Mit einem Skalpiergriff ins Haar riß er den Gaukler herum, ein paarmal zerrte und schwang er ihn im Kreis – dann stieß er den aufheulenden Wurm mit verächtlichem Fußtritt zur Versammlung hinaus.
Elskwatawa versinkt im Dunkel. Er hat den großen Bruder lange überlebt, alle ferneren Wanderschicksale des Stammes geteilt und vor amerikanischen Besuchern immer gerne den letzten bedeutenden Zeugen aus großer Zeit, die Berühmtheit gespielt; so vor dem hochverdienten Indianermaler Georg Catlin, dem warmherzigen, mitunter freilich allzu leichtgläubigen Anwalt der roten Rasse. Komödiant bis zum unrühmlichen Strohtod ist er schon ganz der verkommene, von 467 den Giften fremder Berührung durchseuchte, proletarisierte Indianer des neunzehnten Jahrhunderts, der schmutzige verlogene Vagabund, dessen abstoßende Wirklichkeit von der geheimnisvollen Romantik Cooperscher Gestalten tief enttäuschend absticht. Mit ihren angeborenen Schwächen verbindet und vertritt er all die neuen, erworbenen, eingeimpften Fehler und Laster: Tecumseh auf hartem, abendverklärtem Höhenweg noch einmal, in geläutert leuchtender, großartiger Erscheinung, all die alten herben Heldentugenden der Rasse.
Für ihn gab es hier nicht mehr viel zu tun. Zuerst wollte er den Präsidenten – es war damals James Madison – aufsuchen und ihm seine ganze Angelegenheit ruhig vortragen; aber Harrison ließ ihn verstehen, daß er mit einem Gefolge von ein paar hundert Indianern nicht so ohne weiteres nach dem Osten reisen könne und dürfe, und so ließ er den Gedanken fallen; Tecumseh, wenn auch geschlagen, kam als König oder gar nicht. Unverdrossen bearbeitete er die Stämme an den Großen Seen, und bei ihnen, so vor allen bei den einsichtigen Chippeways, stellte er seinen Einfluß wenigstens so weit wieder her, daß er bei günstiger Gelegenheit auf ihren Beistand gegen die todverhaßten Amerikaner rechnen konnte. Die Stromgewalt seiner Rede, die Wucht, der düstere Glanz seiner Persönlichkeit rissen doch immer wieder hin, bezwangen und blendeten stets von neuem; nicht allein die Indianer an ihren Ratsfeuern im Urwald, sondern auch die scheinbar kühlen englischen Herren. Zu ihnen ging Tecumseh nach getroffenen Vorbereitungen ganz offen über; unter den weißen Übeln schien ihm dieses mit seiner weit geringeren Vermehrung noch das erträglichere. Konnte er den Langen Messern nicht aus eigener Macht die Klingen zerscharten, so wollte er seinen Tomahawk und seine Gaben wenigstens ihrem gefährlichsten Feinde leihen. Der Gouverneur von Oberkanada, Generalmajor Sir Isaac Brock, nahm den berühmten roten Patrioten mit offenen Armen auf und erwirkte ihm auf der Stelle die Ernennung zum Brigadier-General. –
Im Sommer 1812 erklärte Amerika den längst erwarteten Krieg. Ursachen: Fortgesetztes Pressen amerikanischer Matrosen – Beleidigung der amerikanischen Flagge – Beunruhigung amerikanischer Häfen – Umtriebe und Wühlereien unter den Staaten der Union – Aufhetzung der Indianer – mehrfacher Mord an amerikanischen Bürgern, und zwar auf amerikanischem Gebiet –: einiges davon übertrieben, vieles wahr, und all dem zum Grunde der Handel, diesmal der verbotene Handel mit dem blockierten Napoleon, den die 468 Amerikaner nach und nach mit nicht weniger als 900 weggenommenen Kauffahrern büßten. Das war für ihre Nerven zu viel. Gegen eine starke und bösartige Friedenspartei mußte Madison seine Wiederwahl mit dem Appell an die Waffen erkaufen.
Sir Isaac Brock, jung, ritterlich und feurig, eröffnete die Feindseligkeiten sofort, ohne erst lange die Weisungen des General-Gouverneurs abzuwarten. Er sammelte seine Streitkräfte bei Fort Malden, in der Gegend des jetzigen Dorfes Amherstburg am Detroit-River, dem Ausfluß des St. Clair in den Erie. Detroit selbst, Mackinaw im Norden, Chicago im Westen, das waren die nächsten Ziele und Aufgaben; mit ihnen eroberte man die sichere Hilfe der Indianer. Detroit zumal galt unter allen roten Nationen bis in den Süden hinunter als »die« Festung, die Hochburg der Macht, als Schlüssel amerikanischer Herrschaft. Von Pontiac her umwob den Ort ein Dunstkreis von Sage und Ruhm.
In Brocks Stab befand sich General Tecumseh. Ihn fragte Sir Isaac nach dem Gelände im Feindesgebiet und der indianische Brigadier gab sogleich einen erschöpfenden Beweis seiner Fähigkeiten. Er ließ sich von seinen Indianern eine Rolle Ulmenbasts zubereiten, spreitete sie auf den Boden, beschwerte ihre Ecken mit Steinen und zeichnete darauf mit der Spitze seines Skalpiermessers eine vollkommen richtige, genaue Kartenskzizze des künftigen Kriegsschauplatzes mit allen seinen Höhen, stehenden und fließenden Gewässern, Sümpfen, Wäldern und Prärien, Wegen und Ortschaften. Schon Volney erzählt von Mitschikinikwa, daß dieser sich in den ihm vorgelegten Karten im Augenblick zurechtfand.
Mackinaw galt der erste Streich. Kapitän Roberts vom kleinen Fort St. Joseph erhielt den Befehl zur Unternehmung. Die Besatzung des hochwichtigen, seenbeherrschenden Inselpostens, 57 Mann stark, ergibt sich dem fünfzehnfach überlegenen Feinde – darunter 600 Indianer – ohne Schuß; der Nordwesthandel mit den Chippeways und benachbarten Stämmen ist von vornherein gesichert, damit ihre Stimmung und Waffenfreundschaft. Gleich darauf erleiden die Amerikaner am Huronenflusse eine leichte Schlappe. Der Befehlshaber von Detroit, General Hull, brav und pedantisch, verliert Kopf und Mut. Vergebens, daß sein Oberstlieutenant Miller die erlittene Scharte auswetzt, Briten und Rote in erbittertem Verhaugefechte zurückschlägt: der alte Herr in seiner Heidenangst vor den Stichen des »nördlichen Bienenstocks« – wie er in seiner 469 umständlichen Rechtfertigungsschrift mit nicht üblem Vergleich die Indianer nennt – glaubt nun einmal nicht an durchschlagenden Erfolg, lamentiert um Hilfstruppen und gar eine Kriegsflotte auf dem Erie-See, zieht alle Fühler ein und verschneckt sich in seiner Festung. Am 14. August nimmt Brock mit seiner Armee auf dem britischen Ufer gegenüber Stellung; seine artige Aufforderung zur Übergabe lehnt Hull zwar förmlich steif ab, aber dann läßt er doch seinen Bedarf an Pflichterfüllung mit einer kleinen unschädlichen Kanonade gedeckt sein. Die Nacht fällt, am anderen sommerdunstglitzernden Morgen landen in ihren Kanoeflotten die Indianer unter Brigadier Tecumseh; ihnen folgen die Briten, beide ordnen sich zum Angriff. Nichts leichter, als diesen abzuschlagen; die Amerikaner waren in der Überzahl, die von Milizen gehaltenen Vorwerke schützten die Wälle, das kartätschengeschlagene Geschütz zielte dem vorrückenden Feinde gerade in die Flanke; der Untergang von Brocks Armee schien so gut wie besiegelt. Die Kanoniere warteten mit brennenden Lunten, die Scharfschützen in den Luken mit dem Finger am Abzug auf den ersehnten Befehl zum Feuern nach dem todgewissen Ziel. Statt dessen plötzlich das Kommando: Gewehre zusammenstellen! . . . Und gleich darauf ging die weiße Flagge hoch. Die Engländer staunten; die Besatzung wußte sich gar nicht zu fassen; die Offiziere wüteten; die Frauen sogar schämten sich der Waffen ihres Landes. Alles umsonst; die Kapitulation war erklärt, Detroit, das berühmte, vielumstrittene, kampflos gefallen, wieder einmal in britischem Besitz, und das ganze Michigan obendrein dazu. 33 Kanonen, 2000 Büchsen, 100 000 fertig kartuschierte Patronen, 400 Kartuschen für die Vierundzwanzigpfünder, dazu Pulver und Proviant, für ein Sedan oder Metz der Westwildnis eine ganz ansehnliche Beute. Die Indianer unter Tecumsehs eherner Faust benahmen sich musterhaft. Sir Isaac Brock ehrte den roten Kameraden, indem er ihm seine eigene Generalsschärpe anlegte; Tecumseh nahm den bunten Tand höflich an, gab ihn aber sogleich an den alten Häuptling »Rundkopf« von den Wyandots weiter: »Er wolle sich mit solcher Auszeichnung nicht schmücken, solange ältere und fähigere Krieger zugegen seien.« Der Wyandot fühlte sich tief geschmeichelt, der etwas beleidigte General war ausgesöhnt und der König der Wälder den verächtlichen europäischen Kinderspielkram mit guter Art los.
Und nun Chicago. Fort Dearborn am Südende des riesigen Michigan, die Urzelle der fünftgrößten Stadt der Erde, 1804 als 470 Handelsposten auf dem Gebiet der Pottowatomies begründet, zählte damals nur einige wenige Ansiedlerfamilien und eine Garnison von ein paar Dutzend Mann unter Hauptmann Heald, einem Schwager von William Wells, der »Schwarzen Schlange«. Dieser selbst, vom Indianerhäuptling zum Kundschafter, vom Kundschafter zum fahrenden Grenzkaufmann geworden, sprach schon des Tauschhandels wegen häufig vor; mit den umwohnenden Eingeborenen – Pottowatomies – bestand, wie immer an solchen Orten, regelmäßiger und freundschaftlicher, unter den Frauen beider Farben sogar vertrauter Verkehr. Eine Verbindung mit den übrigen festen Plätzen der Nordwestgrenze hatte dieser entlegenste Posten nicht; einsam und preisgegeben, glutumwabert im Sommer, starr eingefroren im Winter, lag er in sturmgefegter Wildnis zwischen Urwald, wehender Prärie, Sanddünen und dem ungeheuren See.
Einige Monate zuvor waren in der Umgebung ein paar Raubmorde an reisenden Kaufleuten verübt worden; allein diese Übergriffe kamen auf Rechnung schweifender Winnebago-Banden, deren zur Dakotafamilie gehöriger Stamm ohnehin auch mit den meisten anderen Nationen in Unfrieden lebte. Aber eines Augusttages erhielt Heald durch den vom Tippecanoe her bekannten Pottowatomie-Häuptling Winnemak brieflichen Befehl seines Vorgesetzten zu Detroit, das Fort zu räumen, die Vorräte unter die Indianer zu verteilen und mit der Besatzung nach dem Osten abzumarschieren. Leicht gesagt: nach Fort Wayne am Maumee waren es zweihundert Kilometer gering. Da erlaubte sich der indianische Überbringer seine Meinung zu äußern, und er warnte mit sehr vernünftigen Gründen. Ruhiges Ausharren sei das beste, die vorgeschriebene »Verteilung« aber das allerdümmste, der helle Wahnsinn; Pulver in den Taschen, Rum im Blut würden die bisher friedlichen Stammesgenossen von einem für die Bleichgesichter gefährlichen Gefühlsausbruch unter keinen Umständen zurückzuhalten sein. Wenn überhaupt, so möge der »Vater Kapitän« alles liegen und stehen lassen und sogleich aufbrechen; die Indianer würden plündern, sich wahrscheinlich betrinken und den weißen Männern einen uneinbringlichen Vorsprung geben. Zu seinem und der Seinen Unglück hörte Heald, genau so beschränkt wie der alte Hull, nicht auf die Worte des wohlwollenden Sagamore, und er tat es auch dann noch nicht, als seine beiden Offiziere, Lieutenant Helm und Fähnrich Ronans, seinem subalternen Schwachsinn scharf entgegentraten. Der Vorgesetzte hatte befohlen, die verschiedenen Pottowatomie-Stämme 471 wurden zur angewiesenen Verteilung eingeladen, der Abzug war beschlossen, fertig.
Darüber kam es beinahe zur offenen Meuterei. Solch einem geradezu gefährlichen Hohlkopf wollte man nicht gehorchen. Obendrein gingen gerade in diesen Tagen Tecumsehs Boten in den Wäldern um, die Pottowatomies gegen das Fort und überhaupt gegen die Amerikaner aufzubieten: Mackinaw sei gewonnen, Detroit stehe vor dem Fall. Die Häuptlinge mit ihren Kriegern erschienen zur Verteilung, allein sie kamen schon mit dem Tomahawk und dem Skalpiermesser im Herzen, zeigten trotzige Gesichter und traten unverschämt auf. Im kleinen Palisadendorf ging das Grauen um: draußen vor den Schanzpfählen die nächtlichen Feuer, die hohlheulenden Blutgesänge von ein paar hundert Wolfsmenschen, die der Pinsel von Hauptmann noch eigens zusammengerufen hatte; bei jedem mutwillig abgeknallten Schuß, bei jedem Ruf der Ronden stockten die Herzen. Und nun hatte Heald gar noch den glänzenden Einfall, die Pottowatomie-Häuptlinge in einer feierlichen Begrüßungsansprache um sicheres Geleit nach Fort Wayne zu bitten; grinsend sagten sie es ihm zu. Eigentlich hatten sie ihn schon bei dieser Zusammenkunft umbringen wollen; der Anschlag unterblieb, weil die beiden Offiziere, statt nach ihres Vorgesetzten törichtem Wunsch an der Versammlung teilzunehmen, den Gehorsam weigernd hübsch in der Festung blieben, dafür aber von den Wällen herab die roten Haufen unter den Mündungen der beiden Kanonen und in Respekt vor den dazugehörigen brennenden Lunten hielten.
Nun wurde die Geschichte den übrigen Dorfbürgern denn doch zu bunt und brenzlich. Sie gingen zu Heald und brachten ihn mit genauer Not zur Einsicht, daß es vielleicht wirklich nicht ganz ratsam sei, die zum Geleit angeworbenen Rothäute vorher noch extra mit Pulver und Branntwein zu traktieren. Am nächsten Tage sollte die berühmte Verteilung nun endlich stattfinden. Die Indianer wußten natürlich genau um die schönen Dinge, die der gute Onkel ihnen bescheren würde, johlten in ihrer Begeisterung noch wilder und freuten sich wie die Kinder auf den heiligen Christ. Desto längere Gesichter, als sie statt Feuerstaub und Feuerwasser nur Stoffe, Decken, Hemden, Tand, Tabak und Korn bekamen, und desto finsterer, als sie des Abends dann in der Dunkelheit beobachten konnten, wie der mißgünstige Langmesser Pulver und Kartuschen in einen Brunnen vor dem Tore versenkte, gewissen wohlbekannten Gefäßen aber den Boden ausschlug, daß ihr Inhalt sich in den vorbeiströmenden Bach entleerte; ein 472 Anblick, der auch ein starkes Häuptlingsherz brechen konnte. Die ganze Sommernachtlandschaft duftete nach der Blume von Jamaica und anderen köstlichen Aromen; was eine Gurgel hatte, legte sich ans Ufer oder watete lieber gleich ins veredelte Wasser hinein – je höher hinauf desto besser – und soff wie ein Ochs. »Der Fluß schmeckte wie starker Grog«, sagte einer der Häuptlinge selbst; an Tecumseh und sein lästiges Alkoholverbot kehrte sich längst kein Pappus mehr.
Tags darauf traf Wells mit fünfzehn altbefreundeten Indianern von seinem eigenen einstigen Miami-Stamme ein. Die Einwohner atmeten auf; endlich ein erfahrener Kopf, ein Mann! Was der alte Kundschafter da zu sehen und zu hören bekam, gefiel ihm allerdings sehr wenig; aber zu ändern war an all den begangenen Dummheiten nun doch nichts mehr. Am 15. August, fast auf die Stunde gleichzeitig mit dem schmachvollen Fall von Detroit, ordnete man sich zum geschlossenen Abzug; die heimliche Warnung des wohlgesinnten Pottowatomie-Häuptlings »Schwarzes Rebhuhn«, seine Leute führten nichts Gutes im Sinn, war schwerlich geeignet, die allgemeine Stimmung zu heben.
Wells als Anführer hatte sich nach altindianischem Kriegsbrauch das Gesicht mit Pulverschleim geschwärzt; die Miamis unter seinem Befehl bildeten die Vorhut. Dieser folgte die Garnison mit Trommeln und Pfeifen und nur fünfundzwanzig Ladungen je Gewehr; ihr die Packpferde und -wagen mit Fahrnis, Weibern, Kindern und Kranken. Den Beschluß machten die 500 Pottowatomies als »sicheres Geleit«. So bewegte sich die Karawane in Gottes Namen, kalte Schauer im Nacken, zwischen den Sandhügeln am See hin. Man war noch gar nicht weit gekommen, als andere indianische Abteilungen von vorne und von den Seiten her, durch Dünenkämme gedeckt, mörderisch angriffen. Die Miamis rissen sogleich wie auf Verabredung aus; Wells sah sich mit seiner unglücklichen Herde allein. Hier half alles Heldentum nichts. Die Soldaten stürmten, wurden aber zum größten Teil gleich niedergemacht. Heald erhielt zwei, seine Frau, Wells' Schwester, die ein besonders schönes Pferd ritt, sieben schwere Kugeln. Fähnrich Ronans kämpfte bis zum letzten Atemzuge wie ein Berserker. Der Garnisonswundarzt wurde niedergehauen und skalpiert. Die Frau des Lieutenants Helm erhielt einen Hieb in die Schulter, wurde in betäubtem Zusammensinken plötzlich mit fortgerissen und nach dem See geschleift. Sie fühlte sich getaucht, kreisendes Todesdunkel schlug über ihr zusammen, allein sie 473 blieb bei Atem und als sie aufsah, erkannte sie durch die Pulverschwärzung hindurch den Häuptling »Schwarzes Rebhuhn«, der sie schwimmend unter sich im Arme hielt und nach einiger Zeit an geschützter Stelle auf den Strand hinaus trug.
Als der größte Teil seiner Leute gefallen, gab der schwerverwundete Heald auf Wells' Rat allen weiteren Widerstand auf, warf ein weißes Tuch über die Spitze seines Degens und kapitulierte mit der Bedingung persönlicher Sicherheit für die Gefangenen, Weiber und Kinder. Die Häuptlinge sagten alles zu und hielten nichts. Eine Soldatenfrau wollte sich aus Furcht vor dem Marterpfahl durchaus nicht festnehmen lassen; in kreischendem Nahkampf tötete sie mit einem Fangmesser zwei Indianer, schließlich wurde sie von den erbitterten Wilden in rohe Stücke zerhackt. . . . Gleichzeitig massakrierte ein beutender Pottowatomie zwölf kleine Kinder, die er beim Stöbern in einem der Bagagewagen entdeckt. Die Weißen schauderten; aber den alten Wells, der bisher unverwundet geblieben, brachte das so furchtbar auf, daß er alle Besinnung verlor. Er entriß dem nächstbesten den Tomahawk, um sich schmetternd brach er blitzschnell aus, mit Panthersatz auf irgendein Pferd, und schon wetterte er in gestrecktem Galopp durch Dünensand und Prärie zurück nach dem Indianerlager beim verlassenen Fort, um dort wenigstens ein paar Dutzend Weibern und Pappusen die Schädel einzuschlagen und abzuschinden. Es war des tollkühnen Kundschafters letzter Streich. Gleich jagte heulend und feuernd eine Handvoll Wilder hinter ihm her. »Schwarze Schlange« war nicht der Mann, sich so ohne weiteres aus dem Sattel knallen zu lassen; wie damals am Vorabend von Fallen Timber legte er sich nach Comanchen- oder überhaupt Savannenart seinem Gaul flach an die Seite, daß er nur noch mit einer Ferse an der Kruppe, mit einer Hand am Widerrist hing. Aber eine Kugel traf das Tier, es stürzte und überwuchtete den Reiter, zwei befreundete Pottowatomies ereilten Wells und zerrten ihn in guter Rettungsabsicht unter der Last hervor, ein dritter kam herzu und stieß ihm feig das Messer in den Rücken. So endete eines der bewegtesten Abenteurerleben des alten Westens.
Und das war noch immer nicht der Abschluß des Gemetzels. In seiner Kapitulation hatte der unselige Heald die Verwundeten besonders zu nennen vergessen; an ihnen stillten die losgelassenen Rotwölfe ihren Blutdurst. Ein armer Soldat, der wehrlos in der prallen Augustsonne lag, wurde von einer wütenden Indianermegäre mit einer Mistgabel totgeforkelt. . . . Der furchtbar zugerichteten Frau 474 Heald riß einer der geschwärzten Teufel den breiten Hut vom Kopfe, sie lebendig zu skalpieren; ein anderer kaufte sie ihm für ein Maultier und eine Flasche Brandy ab, doch der Skalpmann war so vorsichtig, sich den Preis verbürgen zu lassen auch für den Fall, daß die Gefangene in den nächsten Augenblicken stürbe. Dies geschah nicht; der junge Indianer schaffte die Halbtote samt ihren weinenden Kindern nach dem See, bettete sie zart in ein Kanoe und bedeckte die ganze bange Menschenfracht über und über mit Büffelhäuten, unter deren Dach sie sich nicht rühren, keinen Laut von sich geben durften. So ruderte er sie über die Südbucht des ungeheuren Wassers achtzig Meilen weit nach St. Joseph, wo ein englischer Agent sie aus seinen Händen übernahm.
Überhaupt gab es unter diesen wolfswilden Massakerbanden immer noch einzelne, die sich der entsetzlichen Schlächterei schämten und insgeheim alles nur irgend mögliche für ihre Opfer taten. Frau Helm, die der Häuptling »Schwarzes Rebhuhn« ritterlich gerettet, wurde von einer gutherzigen Indianerin mit Ahornzuckerwasser gelabt und gepflegt; sie gelangte später wohlbehalten nach Detroit, während ihr leichtverwundeter Mann, von ihr getrennt, sich nach dem Westen durchschlug und mit einigen anderen über den Mississippi ins neue Land ging, wo er vielleicht bei den Boones ein Unterkommen fand. Wie gewöhnlich sorgten die kanadischen Kaufleute nach Kräften für Linderung von Not und Schmerzen, und besonders verdient machte sich ein angesehener halbblütiger Häuptling, Sohn eines englischen Offiziers und einer Wyandot, genannt Saganash oder »der Engländer«. Als einige zu spät gekommene Banden nachträglich ihren Anteil an der Beute und hauptsächlich an Skalpen und Mordgenuß forderten, speiste er sie geschickt mit ein paar wertlosen Geschenken ab, und die neue Gefahr ging an den Zitternden vorüber. Auch der Indianer, der Heald persönlich gefangen genommen hatte, gab ihn auf die Nachricht vom Schicksal der schwerverwundeten Frau sofort frei, und ein anderer Pottowatomie-Häuptling mit seinem verschwiegenen Weibe ruderte das unglückliche wiedervereinte Paar von St. Joseph den ganzen fast fünfhundert Kilometer langen Seeweg heimlich hinauf nach Mackinaw, wo die neue englische Besatzung sich der tieferschütterten Kranken menschlich annahm.
Die Kunde von Chicago fand grollenden Widerhall von Empörung im ganzen Westen. Was man selbst in Gnadenhütten, bei Ermordung der Familie Logans, bei manch anderer Gelegenheit geleistet, das wurde 475 verschwiegen und vergessen. Schließlich waren die Indianer immer noch und nicht ganz unbegründet des Glaubens, daß Amerika einst ihnen allein gehört, daß der eingedrungene weiße Mann ihr Heimatsrecht verletzt, seit zwei Jahrhunderten fortgesetzten Raub und Betrug an ihnen begangen habe. Unter Tecumsehs Führung wären jene federsträubenden Scheußlichkeiten ohnehin nicht vorgekommen; die schönen Taten einzelner Häuptlinge sind wahrscheinlich auf Rechnung seiner nachwirkenden Lehren zu setzen. –
Er selbst, der große rote Mann, ging einsam seinen steilen Weg zum Ende. Sir Isaac Brock, der Weiße, der ihn am aufrichtigsten liebte und am besten verstand, fiel vor seinen Augen, auf den Höhen von Queenstown bei der heldenmütigen Verteidigung des Überganges über den Niagara, am 13. Oktober 1812. Ein hübsches Standbild ehrt das Andenken des hochsinnigen jungen Generals; sein schönstes Denkmal ist das Verhältnis zum indianischen Brigadier. Nachfolger im westlichen Kommando wurde der üble Oberst Proctor, mit dem Tecumseh in keiner Weise zusammenstimmte. Seit Brocks Tod reifte ihm dunkel die Erkenntnis, daß er für eine verlorene Sache, ein verlorenes Volk, ein verlorenes und verjährtes Recht gekämpft, daß es für seine Rasse keine Freiheit, für ihn selbst und sein Werk keine Erfüllung gebe. Brock hatte ihn als Freund und Kameraden behandelt, er war auf seine Pläne eingegangen, er hatte mit ihm über die Begründung eines selbständigen Indianerreiches im Nordwesten beraten – ein Gedanke, der später bei den Friedensverhandlungen zu Gotenburg und Gent flüchtig wieder auftauchte; Proctor dagegen benutzte ihn gerade nur als farbigen Bluthund, und dieses war schließlich doch Englands wahres Gesicht, mag es sich an den rotgeborenen Untertanen seines kanadischen Dominiums nachmals auch weit weniger schwer versündigt haben als die Union an ihren »Mündeln«.
Der fortgesetzte Krieg brachte neue Greuel. Bei jeder Verwendung indianischer Hilfstruppen konnte Tecumseh mit seinem Einfluß nicht zugegen sein. Der ganze Westen glühte fiebrisch in Kreuzzugsstimmung; der Fall von Detroit, der Verlust von Michigan, das Blutbad von Chicago, diese Schläge mußten gerächt werden. Allein Kentucky brachte fünftausend bewaffnete Freiwillige auf, Ohio und Westvirginien standen kaum zurück; Vincennes als Hauptquartier starrte von Büchsen und Beilen. Aber auch Amerika verschmähte keineswegs die Dienste der als Späher und Plänkler so brauchbaren 476 Indianer. Im Osten ließ man später die Irokesen als Bundesgenossen zu, im Westen stieß Logan III., der Schawanese, als Führer einer aus Miamis und Wyandots gebildeten Freischar zur Armee Harrisons, den die Regierung zum Oberbefehlshaber ernannt. Wie kein anderer genoß er seit dem düsteren Novembermorgen von Tippecanoe das Vertrauen der Grenzer; gewissenhaft, pflichttreu und bescheiden wie wenige, hat er es in hohem Maße verdient und treu gerechtfertigt. Nur der ihm unterstellte, aber wesentlich dienstältere General Winchester, ein galliger Veteran aus dem ersten Unabhängigkeitskrieg, hatte auf den gutmütigen Harrison einen heimlichen Zorn, und daraus erwuchs den Amerikanern das nächste schwere Unglück.
Die Herbstmonate verwendete Harrison auf die übliche Zerstörung von Indianerdörfern und Vernichtung der vorgefundenen Wintervorräte. Seinem menschenfreundlichen Herzen widerstrebte solche Härte, indes geschehen mußte es, Säuberung des Kriegsschauplatzes von bissigem Kleinungeziefer war die erste Vorbedingung zu siegreichem Fortschritt gegen Norden. Die Indianer, wieder einmal bitterer Not preisgegeben, schlossen sich natürlich noch enger an die Engländer und deren Suppenkessel an, wurden noch gehässiger und gieriger nach mörderischer Vergeltung. Die Gelegenheit dazu bot sich sehr bald.
Auf einer dieser Unternehmungen starb Tecumsehs ebenbürtiger Neffe, Benjamin Logans Pflegesohn, einen echten Heldentod der Wildnis. Harrison hatte ihn auf Kundschaft geschickt; an den Schnellen des Maumee, unweit Waynes berühmter Walstatt, stieß er mit seinen Spähern auf so starke Abteilungen feindlicher Indianer, daß er schleunigst umkehren und in Fort Defiance bei General Winchester Zuflucht suchen mußte. Nun waren ein paar Grenzeroffiziere taktlos genug, den roten Verbündeten mit der weißen Erziehung ganz offen des Verrats und englischer Dienste zu verdächtigen; als einer ihresgleichen hätte Logan vom Leder gezogen oder kriegsgerichtliche Untersuchung gefordert; als armer Nur-Indianer blieb er brütend-stumm, aber in seiner Seele brannte um so heißer die Kränkung. So ritt er anderen Tages mit zweien seiner Späher wieder gegen den Feind; entweder wollte er Gefangene oder Skalpe einbringen oder zugrunde gehen. Beides erfüllte sich ihm. Die drei tollverwegenen roten Kundschafter begegneten einer Rotte von Ottawas und Pottowatomies unter Führung eines englischen Hauptmanns, griffen an, erschossen den Kapitän und zwei Häuptlinge, erbeuteten unter einem 477 Hagel von Kugeln noch ein paar Pferde und jagten die zweiunddreißig Kilometer zurück nach Fort Defiance, einer schwerverwundet, Logan mit dem Tod im Leibe. Zwei Tage darauf verschied er; die letzte Sorge des braven jungen Häuptlings galt seiner Frau, der doch ja der rückständige Sold ausgezahlt und die Gunst Harrisons nicht entzogen werden solle. Unter den Zeichen tiefster Reue, mit höchsten militärischen Ehren wurde die Leiche des roten Helden in die Heimaterde versenkt.
Der Herbst hatte noch einige Schwierigkeiten gebracht. Unter den massenhaften zusammengeströmten westlichen Milizen brach Mangel und in dessen Folge die übliche Verdrossenheit aus: Fahnenflucht riß ansteckend ein, mehrere Verbände lösten sich in Verwilderung auf, das erste Strohfeuer erlosch. Im Januar 1813 erhielt General Winchester, damals in einem Fort an den Schnellen des Maumee, die Nachricht: das befestigte Dorf Frenchtown am Raisin-Fluß, mittwegs zwischen dem Maumee und Detroit, werde von Engländern und Indianern bedroht. Der General hatte noch neunhundertneunzig Kentuckyer und fünfhundert »Reguläre« bei sich. Eigentlich sollte er die Ankunft Harrisons und seiner Verstärkungen abwarten; aber in ihm bohrte die Eifersucht, und die gelangweilten Kentuckyer drängten ungestüm. So schickte er sie zum Entsatz des Ortes voran; er selbst folgte mit den regelmäßigen Truppen. Die Kentuckyer fanden Frenchtown bereits genommen und besetzt, warfen aber den Feind mit unerhörtem Schneid wieder hinaus, zersprengten ihn und ließen sich im verschanzten Dorfe nieder. Winchester kam, sah zufrieden die verrichtete Arbeit und träumte vielleicht schon von einem erfolgreichen Handstreich auf Detroit und Unsterblichkeit; zunächst aber beging er den schweren Fehler und die sinnlose Grausamkeit, seine Soldaten in der glitzerkalten Hochwinternacht draußen vor den Palisaden statt drinnen bei den Kentuckyern kampieren zu lassen, denn »im Freien sei der Posten der Ehre«. Den er übrigens für seine eigene Person keineswegs beanspruchte; er verließ seine kleine Armee und kehrte jenseits des Raisin im warmen Hause eines französischen Ansiedlers ein.
Im Sternendämmer aber kam es von Fort Malden leise heran über den steinbeingefrorenen Erie-See: Oberst Proctor mit 2000 Mann, sechs Geschützen und einer Unzahl wolfsgrimmer Indianer. Bei Morgengrauen begann die mörderische Beschießung. Die Regulären draußen von der Stockade, ungeschützt und ungedeckt, waren gleich umfaßt und erledigt; was nicht fiel, flüchtete, zerstob, hinterdrein 478 metzelnd französische Waldläufer, Mischlinge, Indianer. Drinnen die Kentuckyer, die sich des Angriffs mit sauberem Standschützenfeuer bisher leidlich erwehrt, unternahmen zugunsten ihrer bedrängten Kameraden zwei Kompagnien stark einen Ausfall; ihr Blut floß in Strömen, zu Hunderten blieben sie liegen, der Rest wurde gefangen, kein einziger kehrte hinter die Palisaden zurück. General Winchester aus behaglichem Nachtquartier traf jetzt in zähneschnatternder Bestürzung ein: gerade noch zurecht, alles in fahlem Graus, seine wirren Befehle wirkungslos, sich selbst gestellt und in Feindeshand zu sehen. Blieb nur noch das Nest verbissener Kentuckyer im Dorfe selbst; unter der Drohung seiner Geschütze forderte Proctor vom Milizmajor Maddison herrisch die Übergabe. »Ja, unter Beding der Sicherheit und des Schutzes gegen marodierende Indianer.« »Herr, glauben Sie mir Vorschriften machen zu können?« »Das nicht, Sir; aber lieber kämpfen wir bis zum letzten Schuß und Mann, als daß wir uns entwaffnet von Ihren Roten abgurgeln lassen.« Proctor willigte ein; am nächsten Tage sollten Schlitten aus Fort Malden über den gefrorenen See kommen und die Verwundeten einholen. Das klang menschlich; aber den Kapitulierenden war flau und hohl zumut.
Und nun das Scheußlichste. Tecumseh war nicht zugegen. Gleich gingen die roten Hyänen und Schakale an ihr Werk. Erst kamen die stummen Köpfe der Toten dran, dann auch die der hilflos Verwundeten. Proctor ließ ruhig marodieren; den Amerikanern ballten sich die Fäuste und die Herzen. Sie sollten noch ganz andre Dinge erleben. Der siegreiche Engländer brach auf. Vorneweg marschierte er selbst mit den unverletzten, in der Nachhut zogen die Indianer als Wächter mit den leichtblessierten Gefangenen. Eine Anordnung, die kaum etwas anderes bedeutete als einen stillschweigenden Hinrichtungsbefehl. Nicht lange währte es, so begann auch schon das Würgen und Schlachten. Die meisten in der Eskorte waren Kentuckyer; das genügte. Wer vor Blutverlust und Schmerzen nicht mehr Schritt halten konnte, wurde niedergehauen. Dann ging es noch über die anderen her. Einige Opfer wurden von den Indianern einfach abseits nach den Stammeslagern zur festlichen Marterung verschleppt. Der Weg zum Erie und weiter über die graue Eisöde war gezeichnet mit schaurig verstümmelten Leichen. Nach Fort Malden gelangten von den mehreren hundert Mann nur noch sehr wenige. Hinterdrein schwärmten die Raben. 479
Und doch noch schlimmer ging es in Frenchtown selbst zu. Hier warteten sechzig Schwerverwundete unter der Obhut zweier amerikanischer Wundärzte und eines einzigen englischen Offiziers auf die versprochenen Schlitten oder den Tod. Dieser war es, der da kam, und er erschien in Gestalt von zweihundert Indianern mit geschwärztem Gesicht. Das Dorf wurde ausgeplündert und dann den Kranken überm Kopf angezündet, ein grauenvoller Massenmarterpfahl. Was sich aus Stickqualm und sausenden Flammen zu retten versuchte, verzweifelt aus den Fenstern sprang, lahm über die kohlenden Schwellen kroch, empfingen draußen die kalten Tomahawks. Den harmlosen französischen Dorfbewohnern erging es nicht viel besser. Mitten im steifsten Winter mußten sie sich in ein paar elenden, eilends zusammengeschlagenen Notbaracken drücken, ihre Vorräte waren geraubt, draußen an den hartgefrorenen Leichen hackten und wanderten tags die Aasvögel, knurrten und knackten in langen bangen Geisternächten die Wölfe. . . . Denn nicht einmal bestatten durften sie die Opfer der Schlacht und des Brandmassakers, oder es drohte ihnen das gleiche Los. So war der Haß.
Und noch größer der Gegenhaß. »Remember Tiver Raisin! . . . Denk an den Raisin!« wurde zum stehenden Schlachtruf. Der ganze Westen loderte vor ungeduldiger Rachbegier; Kentucky bebte vor Weh und Wut; die bittersten Verwünschungen folgten Winchester in die Gefangenschaft. Aber für die erste Glut gab es zunächst keine Kühlung. Im Westen wenigstens hatte England einstweilen die Oberhand; Harrisons Pläne waren zunichte gemacht, er mußte von neuem anfangen. Wieder stellte Kentucky opfermutig eine große Zahl von Freiwilligen, deren Kommando der alte immer noch frische Shelby übernahm; ein Teil der neuen Brigade marschierte gleich im Frühling zu Harrison nach dessen eben erst gegründetem Fort »Meigs« am Maumee ab.
Fort Meigs, so genannt zu Ehren des Gouverneurs von Ohio, lag am rechten Ufer des Maumee, gerade gegenüber Waynes klassischem Schlachtfeld, unweit der Schnellen. Von hier aus wollte Harrison gegen Detroit und das britische Hauptquartier Fort Malden vorgehen. Proctor fiel ihm in den Arm. Zu Ende April erschien seine Flottille in der Mündung des Flusses, am 1. April eröffnete er mit starken Kräften, einem ganz achtbaren Geschützpark und 1500 Indianern die Belagerung, wobei das Steilfeuer einer nur hundertfünfzig weit »eingebauten« Mörserbatterie zunächst den meisten Schaden 480 anrichtete. Die barsche Aufforderung zur Übergabe beantwortete der stets sehr gemäßigte Harrison artig ablehnend, aber mit dem scharfen Stich, daß er einen britischen General, der farbige Hilfstruppen benutze, überhaupt nicht als verhandlungsfähig ansehe. Ganz ungeheuchelt und ehrlich war das allerdings nicht; vor einem halben Jahr erst hatten die Amerikaner den braunen Logan begraben, und im Osten hatten die Irokesen mit ihnen »ein und denselben Tomahawk erfaßt.«
Die Beschießung ging eintönig und ziemlich erfolglos fort. Da, am 4. oder 5. Mai, erhält Harrison heimliche Nachricht vom Anmarsch jener Kentuckyer unter »General« Glay und erteilt ihnen den Befehl, zu seinem Entsatz die gegenüberliegenden Batterien Proctors zu nehmen und zu vernageln. Das unglaublich kühne Wagestück gelingt vollständig. Mit nur achthundert Mann, freilich unter erheblichem Verlust, stürmt Oberst Dudley die Stellung im ersten Anlauf; die Kanoniere werden teils bei ihren Stücken zusammengehauen, die anderen nehmen Reißaus; allein die Kentuckyer in vergeltungswütigem Ungestüm schießen über das Ziel hinaus, prellen den Fliehenden nach in ein Gehölz und pfeilgrad hinein in einen übermächtigen indianischen Hinterhalt.
Die Falle schließt sich knatternd, furchtbarer Kampf beginnt. Wieder muß das jähe kentuckysche Wildblut in tödlichem Aderlaß für seine Hitze büßen. Zu den dreifach überlegenen Indianern kommen noch britische Truppen unter Proctor selbst. Dudley fällt; anderthalbhundert nur von der kleinen Berserkerschar können sich zerfetzt durchschlagen. Unter Verwundeten und Gefangenen wütet erbarmungslos der Tomahawk; gelassen wie damals am River Raisin sieht Proctor zu. Und nun geschah etwas Unglaubliches:
Eine tiefgrollende Wetterstimme erdonnerte über das allgemeine Getös, Heulen der Sieger, Keuchen und Knirschen Ringender, Ächzen der Wunden und Sterbenden, das Verprasseln der letzten Schüsse. Ein Reiter kam herangesprengt, sein Beil schmetterte rechts und links auf die Schädel skalpierender Krieger: Tecumseh zu Roß hielt plötzlich mitten im Gemetzel. Hier erwehrte sich ein ermatteter Kentuckyer mit letzten Kräften zweier würgender Indianerbestien; der Schawane herunter vom Pferd, den einen um die Kehle gekrallt, dem anderen einen Fausthieb in die Herzgrube, so schleuderte er die beiden von ihrem Opfer ab. Mit Skalpiermesser und Tomahawk, bewaffnet mit dem Blitz seines Auges, der zwingenden Gewalt seiner Herrenseele, stand er schützend vor dem Amerikaner, allein gegen fast ein Tausend 481 reißender, bluthechelnder, scheel bleckender Wölfe. »Untersteht euch, noch einen einzigen Wehrlosen zu töten! . . . Wo ist Proctor?« Sein suchender Blick fand den Oberst; finster trat er an ihn heran. »Warum duldet Ihr das? . . . Warum schreitet Ihr nicht ein?« . . . Der Engländer zuckte die Achseln. »Eure Indianer gehorchen ja doch keinem Befehl.« . . . Da brach die dunkle Wolke los, lichterloh flammte Tecumseh den britischen Offizier an: »Packt Euch weg! . . . Unfähig seid Ihr zum Befehlen, das ist's! . . . Geh und zieh Weiberröcke an!«
Unerhört. So etwas sagte ein Farbiger einem Oberst Seiner Majestät des Königs von Großbritannien und Irland vor seinen Soldaten, vor seinem ganzen Stabe mitten ins Gesicht! Und doch war die Wirkung zunächst keine andere, als daß der größte Teil der indianischen Hilfstruppen in den nächsten Tagen den Tomahawk niederlegte und verärgert nach den Heimatdörfern abzog. In ihren alten Kriegsbräuchen, an der gewohnten Befriedigung ihrer natürlichen Rachsucht wollten sie sich nicht hindern lassen; Menschenjagd ohne Skalp hatte für sie keinen Sinn und Reiz. Aber gegen Tecumseh aufzutreten wagte kein einziger unter all den abfälligen Häuptlingen.
Das wagte nicht einmal der tödlich beleidigte Proctor. Von wirksamer Belagerung konnte nach solcher Schwächung der eigenen Stärkung der feindlichen Kräfte allerdings kaum mehr die Rede sein. Vollends entschied ein siegreicher Ausfall Harrisons; die letzten Batterien wurden nun auch noch genommen, die Geschütze vernagelt, die Werke zerstört. Am 9. Mai zog der abgekämpfte Engländer mit dem Rest seiner indianischen Heerhaufen davon, nachdem Tecumseh die von seinen Kriegern gefangenen, von ihm geretteten Kentuckyer gegen ein paar Dutzend Wyandots ausgetauscht. Das Fort im mild ergrünenden michiganischen Frühling hatte wieder seinen Frieden.
Die Kämpfe um Fort Meigs bezeichnen einen Wendepunkt in der Geschichte des zweiten »Unabhängigkeitskrieges«. Von nun an stiegen die siebzehn Sterne, das Vertrauen erstarkte, an den unteren Seen hallten rüstig Axt und Hammer des Schiffszimmermanns. Tecumseh aber verdüsterte. Die Nachricht vom Fall seines tapferen Schwestersohnes hatte ihn mit stolzer Trauer erfüllt, nun noch die deutliche Abkehr so vieler Stämme des Volkes, für dessen Freiheit und Rechte er sein ganzes Leben eingesetzt, und der offene Bruch mit Proctor. Wie für den großen Karthager, wie für den verratenen 482 Armin gab es für ihn, der allen roten Brüdern eine ihrer Natur gemäße Heimat hatte gründen und erhalten wollen, nirgendwo eine Heimat mehr. Sein ungeheures Völkerwerk vom heimtückisch eitlen Bruder zerstört, sein mühsam wiedergewonnener Einfluß unter den näher verwandten Nationen nun auch im Schwinden, der Glaube an ihn im Verlöschen; die Engländer haßte er, gegen die Amerikaner blieb er unversöhnlich in allem Edelmut. Erhabene Heldenliebe zur gerechten, aber längst verlorenen Sache seiner Rasse hatte ihn hoch hinaus über die angeborene, überwundene Natur einen steilen Zwangsweg geführt, auf dem es keine Umkehr mehr gab. Er erlebte die tiefste, die unentrinnbarste Tragik aller Patrioten: er vereinsamte. Die müde Masse blieb erkaltend unter ihm zurück und versank im Dunkel; er war allein.
Dennoch hielt er einstweilen bei Proctor aus. Der Sprung klaffte, aber noch erhoffte Tecumseh von den englischen Waffen einen durchschlagenden Sieg, der seinen Plänen zugute kommen würde. Er fand sich getäuscht. Der Frühherbst brachte Commodore Perrys bravourösen Wassersieg auf den Erie, bei der »Mittleren Schwester«-Insel, ein westliches Salamis; die Wege nach dem Nordwesten waren damit gesprengt, und Harrison mit einer Auslese der Erprobtesten sammelte sich zu entscheidendem Vormarsch.
Ruhmesnamen der Vergangenheit klingen auf. Der mächtige Isaac Shelby, Held vom Großen Kanawha und vom Königsberg, hat selbst die frische kentuckysche Verstärkung herangeführt; wen aber als seinen Adjutanten und Zeltgenossen, als Kundschafterhauptmann und Großmeister der Wildnis, zum Jubel des ganzen Lagers? Keinen Geringeren als Simon Kenton, den Gewaltigen, der da achtundfünfzigjährig noch einmal gewaffnet ins Abendlicht des Westens hinausritt. Und Oberst Johnson, gesäugt unterm Knattern und Heulen der Kämpfe um Bryants Fort, befehligt auf milchweißem Schimmel die kentuckysche Reiterei; und der uralte William Whitley, nächst dem verschollenen Wetzel unter allen Indianerwürgern der grimmigste, hat auch in Walnut Flat daheim keine Ruhe gehabt, mit Büchse und Beil bestieg er den Sattel, sich sein Teil an der Abrechnung zu holen. Wie die Odinsenkel zur Brawallaschlacht, so vereinigten sich als Führer der neuen Geschlechter scheidend die sagenumwobenen Streiter zum letzten Kampf mit dem Erbfeind. –
Harrison schickte Johnson voraus. Auf dem Blutfelde bei Frenchtown am Raisin wurde ernster Gottesdienst gehalten. Noch bleichten 483 die entfleischten Gebeine der Opfer in der blassen Herbstsonne; ein Massengrab nahm sie in den Erdfrieden auf. Mit schönem Tagesbefehl dämpfte Harrison die brandschwüle Stimmung: »Kentuckyer, gedenkt des River Raisin, aber länger nicht als bis zum erfochtenen Siege; an wehrlosem Feinde gibt es keine würdige Rache mehr.«
Dann nach Fort Malden. Die Amerikaner staunten. Nirgends ein Feind, der Platz selbst geräumt, Detroit gegenüber aufgegeben: die Wirkung von Perrys durchschlagendem Erie-Sieg. Eine kleine Abteilung genügte zur Besetzung Detroits, der alten Schicksalsstadt an den Dardanellen des Westens. Auch von Malden, dem heutigen Amherstburg, ergriff Harrison unter peinlichster Schonung englischen Privateigentums Besitz. Die Kasernen waren ohnehin abgebrannt, die Werke geschleift; und Proctor?
Nach Perrys Sieg konnte er sich auf den Halbinseln zwischen den Seen nicht länger halten. Vor drohender Flankierung oder gar Umfassung wich er zu Tecumsehs tiefstem Groll die kanadische Themse hinauf. Das Verhältnis zum großen wilden Kameraden wurde immer schlechter. Der Schawanese drängte auf eine Abwehrschlacht, auf bewaffneten Schutz der Nationen im Westen und Norden; das hatte für Proctor natürlich nicht das geringste Interesse. In finsterem Haß folgte ihm Tecumseh mit den täglich schwindenden Resten roter Bundesgenossen. Nun wußte er alles verloren; mit dem Fall von Malden und besonders Detroit, mit ihrer Preisgebung an die Amerikaner war das letzte Zutrauen der Indianer dahin. Ihre Dörfer niedergebrannt, ihre Maisfelder zerstört, ihre flüchtigen Familien hungerten im Norden droben bei den armen michiganischen Stämmen, die auch nichts zu beißen und zu brechen hatten; und nun war alles vergebens gewesen, nun blieben doch die Langmesser Sieger, und als Ende drohte ein harter Zwangsvertrag, der Verlust ihrer letzten Jagdgründe, die Ausweisung . . . Tecumseh in überströmender Bitterkeit hielt Proctor eine furchtbar ausbrechende, von heißen Anklagen und Beschuldigungen düster durchglühte Rede; allein Worte, wie tödlich treffend, wie hinreißend, änderten da nichts – und was lag England schon an einem indianischen Schwärmer? . . . Der Brite zuckte kalt die Achseln, die roten Banden sagten sich eine nach der anderen los, Tecumseh aber wünschte sich nur eins noch: den Tod. –
Und schon stürmt Harrison in langen Gewaltmärschen hinterm abziehenden Gegner her. Proctor verspürt den kalten Luftzug im Nacken; nun scheint es ihm doch geraten, die Schlacht in halbwegs 484 günstiger Stellung anzunehmen. In der Nähe eines kleinen Herrnhuter Dorfes auf dem rechten Flußufer ordnet er seine Scharen; er selbst mit Linie und Artillerie auf einer Art Halbinsel zwischen Strom und Moor, Tecumseh mit den noch verbliebenen Indianern jenseits des Sumpfes in die Wälder hinein. – Es ist der Morgen des 5. Oktober 1813; acht Tage später sollten die Angeln der Welt unter ganz anderen Donnern erbeben.
Harrison kommt, sieht, entfaltet seine Reihen. Nach kurzem, artilleristischem Vorspiel eröffnet kentuckysche Reiterei unter Johnson und Kenton mit wilder Attacke das Treffen. Beim ersten Ansturm wird sie blutig abgeschmettert; der alte Whitley fällt. Mit zweitem Ansprung wird die britische Linie durchbrochen, zertreten, zersäbelt, zerbeilt, von den Abgesessenen im Rücken beschossen, während kentuckysche Fußmiliz und Reguläre mit gefälltem Bajonett in der Front angreifen. Alles wankt, rennt, wirft die Gewehre weg, ergibt sich. Proctor mit seinem Stabe und zweihundert Dragonern hat gleich nach dem Durchbrechen in hellem Galopp Reißaus genommen. Großmütig läßt Harrison ihn laufen; der Hauptsieg ist erkämpft, die Entscheidung binnen einer Viertelstunde gefallen. Und die Reiterei kann besser gebraucht werden, als zur Verfolgung eines unfähigen Feiglings. Denn da ist ein anderer, der so schnell nicht weicht: Tecumseh.
Tecumseh, der nicht mehr um sein Leben kämpft, sondern um die ewigen Jagdgründe. Durch das feindliche Feuer hindurch stößt er mit erschreckender Wucht gegen die verhaßten Amerikaner vor. Sprengung droht; kaum vermag Shelby seine bestürzten Kentuckyer zu halten. Jetzt setzt die Reiterei helfend ein; auch sie wird teils abgewettert, teils bringt das morastige Gelände Pferde und Männer in gefährliche Verwirrung. Mächtig dröhnt Tecumsehs donnergrollende Urwaldstimme über das knallende, heulende, stampfende Gewühl; mit zerschmettertem Arm treibt er die todesmutigsten seiner Indianer immer wieder und weiter gegen die Langmesser vor, um ihn ballt und knäult sich das erbittertste Ringen. Da rafft Johnson eine Handvoll heiler Reiter auf, an deren Spitze er sich hart entschlossen ins heiße Getümmel hineinbohrt. Über ihm schlagen die Flammen zusammen. Er selbst erhält drei oder vier schwere Kugeln, sein leuchtender Schimmel Schuß auf Schuß. Im Sturz vom niederbrechenden Tier feuert er seine Pistole gegen die Stirn eines scheinbar gewöhnlichen Kriegers ab. Gleich darauf fahle Stille, Stocken und Starren, ein leerer Raum: – die 485 große Stimme aus den Wäldern war verstummt, Tecumseh gefallen . . .
Das Fieber der Nahschlacht ließ alsbald nach. Immerhin machten die verwaisten Indianer den Amerikanern noch eine Stunde lang verzweifelt zu schaffen. Erst als Harrison mit seinen Truppen vom rechten Flügel herüberkam, wichen sie nach und nach der geschulten Übermacht. Auch sie ließ der edelmütige General nicht weiter hetzen. Für ihr Schicksal und ihre Natur konnten die armen Menschen schließlich nicht, und in Tecumseh hatten sie ohnehin ihr Bestes verloren, ihre Seele.
Tief ergriffen stand Harrison vor der Leiche des gewaltigen Volkshelden, der ihn so oft durch die Hoheit seiner Gesinnung, durch das Urfeuer und den dichterischen Schwung seiner Sprache entzückt, mit dem er so mancher Unterredung gepflogen, zum letzten Male in jener Sommernacht, da rings im Mondschein die Adlerfedern der vierhundert berittenen Sioux gespenstisch fahl leuchteten. . . . Auch in der Todesstarre noch bewahrte das schöne, tiefernste Antlitz die angeborene Herrscherwürde, den erhabenen Stolz, den Abglanz des Geistes, der den Gefallenen seinen Schicksalsweg geführt. Unter dreißig Indianern, die um ihn her den Platz deckten, war er für jeden, auch für den Fremden, der nur von ihm gehört, auf den ersten Blick zu erkennen.
In neugieriger Ehrfurcht drängten sich die Kentuckyer heran: nun wollten sie alle den toten Riesen sehen, den sie im Leben gewiß hundertmal unbedacht geschmäht. Irgendeiner begann damit, daß er sich einen Flicken vom blutdurchstarrten Lederkleid des Häuptlings schnitt. Das Beispiel zündete; in die Waffen Tecumsehs teilten sich die Offiziere, um Mokassins, Gamaschen und Hemd riß sich die Mannschaft, bis jeder seinen kleinen Fetzen hatte, ihn als Reliquie des Größten aller Indianer an Kinder und Enkel zu vererben. Zartfühlend ließ Harrison einen Offiziersmantel über die Blöße des Königs der Wildnis spreiten; der Herbstabend sank über die goldglutbunten kanadischen Wälder, die Seele des »zum Sprung geduckten Berglöwen« aber eilte auf dem Schattenpfad der sinkenden Sonne nach in die Gefilde des Großen Geistes, nach der Prärie der Seligen, in die ewige Heimat. – –
Und noch ein anderer war in der Schlacht an der Themse gefallen, einer, dessen irdischen Resten die Amerikaner wohl schwerlich besondere Ehren erwiesen haben mögen: – – Simon Girty. Genaues ist nicht bekannt. Girty war in der Nähe begütert, sein Herz 486 gehörte nun einmal dem englischen Mutterlande und der Rasse, unter der er aufgewachsen, den Indianern. So liegt es nahe, daß er, obwohl hochbetagt, als ortskundiger Führer oder vielleicht als Proctors Dolmetsch und Vermittler an jenem Waffengange teilgenommen. Nun hatte auch er Ruhe vor allem Widerstreit innerer oder äußerer Welten, vor seiner Reue und seinem Gewissen. So rundet und schließt sich in diesem fast sagenhaften Kampfe alles Geschehen der alten Grenze. –
Am anderen Tage fand allgemeines Begräbnis statt. Whitley, der graue Indianerwürger, von einem Dutzend Kugeln durchbohrt, und Tecumseh, der rote Indianerfürst, erhielten abseits von den Gefallenen ihrer Farbe besondere Friedensstätten. Auf rohgefugter Bahre trugen gefangene und verbündete Häuptlinge den abgeschiedenen Sagamore unter dunkelzottigem Büffelvließ durch die Reihen der präsentierenden Soldaten, vorbei an den gesenkten Degen der amerikanischen und englischen Offiziere nach dem letzten kühlen Wigwam. Als Erster im Trauerzuge schritt Tecumsehs herangewachsener Sohn, der auch am Treffen teilgenommen. Über der offenen Grube sprach Harrison seinem geheimen Liebling einen kurzen schönen Nachruf: ». . . Er besaß die beiden wesentlichsten Eigenschaften eines Edelmanns: Selbstachtung und Selbstbeherrschung . . .« Dumpf wirbelten die verhüllten Trommeln, noch einmal senkten sich die Degen und entblößten Häupter vor der Majestät des armen Wilden, über den feuchten Hügel hin rollten die Ehrensalven und verhallten fern in den Wäldern . . . Dann war alles vorüber, Nacht kam mit ihrem Tau und Blätterfall, hoch über den Schlummer der Lebendigen und der Toten zogen von den Nordmooren gen Süd die Kraniche, Stimmen der Geister rannten und klagten im Ried . . .
In der Ehrung des Helden begegneten und versöhnten sich die Feinde. Georg IV. als Prinzregent übersandte dem Sohne Tecumsehs einen kostbar gearbeiteten Galadegen; der Witwe und sogar dem unseligen Propheten setzte die britische Regierung eine ansehnliche Pension aus. –
Es ist kein untergeordnetes Geplänkel, in dem Tecumseh als Blutzeuge seines Bekenntnisses gefallen; nächst Perrys blendendem Binnenmeersieg war die Schlacht an der Themse eine der entscheidendsten des ganzen Krieges, nach jenem Salamis das Platää des Westens. Die Indianer vor allem waren des aussichtslosen Kämpfens und Leidens nun gründlich müd, der letzte Schlag trennte sie auf immer von England, und das allein bedeutete für die so oft 487 heimgesuchten Ohiostaaten einen unschätzbaren Gewinn. Ein Häuptling nach dem anderen stellte sich mit der demütigen Bitte um gut Wetter, Quartier und Lebensunterhalt bei Harrison in Detroit ein, und sie alle ohne Ausnahme nahm der seltene Mann gütig, ohne Buße, ohne den leisesten Vorwurf in seinen Frieden auf. Auch für Linderung der hohlen Not wurde freigebigst gesorgt; betrübten Herzens hatte Harrison die Maispflanzungen der armseligen Dörfer zerstören müssen, jetzt spendete er mit vollen Händen. In den beiden folgenden Jahren hat er als Leiter von Grenzregelungskommissionen noch oft mit jenen nordwestlichen Stämmen verkehrt und ihnen manchen Beweis seines Verständnisses und seiner Milde gegeben. –
*
Es blieb Tecumseh erspart, den völligen Zusammenbruch seines Werkes zu erleben. Wenige Wochen vor der Schlacht an der kanadischen Themse, am 30. August 1813, eröffnete am Alabama drunten der große Weatherford seinen Krieg mit der Überrumpelung von Fort Mimms und einem geradezu grauenerregenden Brandmassaker unter der Besatzung und deren Familien. Aber hier im schwülen Süden war man anders leidenschaftlich als droben im zähblütigeren Norden. Siebzehn Tage nach der Katastrophe hatte man schon an die 4000 Wehrmänner und – wenigstens auf dem Papier – 300 000 Dollar für Sold und Verpflegung beisammen. Georgien stellte 900 Freiwillige unter Floyd, Mississippi ein ähnliches Aufgebot unter Claiborne, den Ausschlag aber gaben 2500 Tennessee-Schützen unter dem knüppelharten Andrew Jackson und General Coffee. Andrew Jackson, genannt »Old Hickory«, Nordcarolina-Mann von unverfälscht iro-schottischem Puritanerblut, ein Mensch von unerhörter Wildheit und Energie, ursprünglich Revolveradvokat, als Soldat ein rauher, volkstümlicher Praktiker einfachster Hinterwaldschule, fünfzehn Monate später der gefeierte Endsieger im ausklingenden Kampfe gegen England, vierzehn Jahre darauf der höchste Würdenträger des Staates, Präsident – Andrew Jackson, narbenstarrend von unzähligen Duellen, war in allen Zügen das vollendete Gegenbild des feingebildeten, noblen Harrison, ein rücksichtsloser Durchgreifer, ein Schraubklotz, ein Stier, und doch mit allen seinen Fehlern und Vorzügen einer der wesentlichsten Gestalter, eine der kennzeichnendsten Erscheinungen der alten Union und seiner eigenen südlichen demokratischen Partei. In ihm, diesem Marius der Hinterwäldler, lebte noch etwas 488 vom starr alttestamentarischen Würgengelgeiste der »Pilgerväter«; Worte wie Milde, Schonung, Großmut kommen in seinen wie mit siedendem Drachenblut geschriebenen Tagesbefehlen nicht vor. Nicht maßregeln und schrecken, sondern ausrotten und ausbrennen wollte er den Feind; er sprach es in roher Offenheit aus, und man hat ihm dies wie seine radikale, bluthündische Kriegführung und manches andere späterhin – mehr aus Partei- und Wahlgründen – oft genug vorgerechnet. In seinen Berichten findet sich aber auch der heroische Satz: »Solange ich nur einen Maiskolben oder etwas dergleichen täglich für den Mann habe, will ich den Feldzug nicht aufgeben.«
Oft war es bedenklich nahe daran. Gleich beim Übergang über die alleghanischen Ausläufer hatten die Milizen bitter unter Mangel zu leiden. Die bestellten und heilig zugesicherten Nachschübe blieben natürlich aus. Überhaupt wurde Jackson seine Aufgabe so schwer als nur möglich gemacht; er führte in Wahrheit einen fünffachen Krieg, gegen die Indianer, gegen die Not, gegen betrügerische Lieferanten, gegen seine mehrmals meuternden Truppen, gegen Angriffe und Ränke der Neider aus dunklem Hintergrund. Wenn die Creeks trotzdem in verhältnismäßig kurzer Zeit vollständig geschlagen und niedergeschmettert werden konnten, so lag das zu gutem Teil an ihren eigenen blutigen Parteifehden, dem inneren Kampf zwischen Weatherfords Fanatikern und den Friedensfreunden.
Am 3. November vernichtete Coffee mit der starken Übermacht von 900 Reiterschützen die ganze zweihundert Köpfe betragende Dorfschaft von Tallashatchee am Coosa-Fluß. Sein Bericht an Jackson kennzeichnet den furchtbaren Charakter dieser ganzen Unternehmung, aber auch die sagenhafte Tapferkeit jener noch von keinem Cooper besungenen südlichen Stämme: »Die Feinde zogen sich feuernd zurück in ihre Behausungen, wo sie allen nur erdenklichen Widerstand leisteten . . . Sie fochten mit wilder Wut, begegneten ohne Schauder oder Klage allen Schrecken des Todes; nicht einer bat um Schonung, alle kämpften, solange sie stehen oder sitzen konnten . . .« Genug. Fort Mimms war gerächt. Aber Jackson sann auf mehr als bloße Vergeltung.
Nachdem er an den sogenannten zehn Inseln des Coosa ein kleines Fort errichtet, eilte er in aufreibenden Gewaltmärschen südwärts nach Talladega, wo eine Gemeinde friedensfreundlicher Indianer sich verzweifelt gegen Weatherford und seine Eiferer verteidigte. Eben jetzt setzten Mißhelligkeiten mit den Generälen Cocke und White, Intrigen hinterm Rücken und Durchstechereien ein; der Hickory scherte sich den 489 Teufel drum, ging auf sein Ziel los und schlug Weatherford vor Talladega aufs Haupt.
Ein zweiter Sieg erstritten, aber zu essen gab es nichts mehr. Zurück nach den zehn Inseln, wo die Vorräte eintreffen sollten. Keine Spur davon im Gesichtskreis, natürlich. Die Leute murrten. Jackson selbst knabberte Eicheln. Die Gegend war jedenfalls wildarm, oder sie wurde es infolge Mißbrauchs nach kurzer Zeit. Geist der Meuterei ging um, und die Ochsen und Mehlsäcke kamen und kamen nicht, und die Zeit verging; selbst für die Pferde kein Weidegras da, ein Jammer. Jackson in wütender Bitterkeit mußte endlich nachgeben, der Hunger siegte. Kaum ein paar Meilen weit heimwärts marschiert, begegnete man richtig einem Antrieb des ersehnten Schlachtviehs. Das gab ein Fest; aber satt abgekocht, mit geröstetem Eingeweide, wollten die Herren Milizen erst recht nicht nach den verdammten zehn Inseln und zu ihrer noch verdammteren Pflicht zurückkehren. Nun war man doch unterwegs zu den Ansiedlungen; und der Weihnachtswinter stand auch schon hinter den Bergen. Eine starke Abteilung setzte sich auf eigene Faust in Bewegung; mit drohender Pistole, Gebrüll und einer leidlich fahnentreuen Kompagnie trieb Jackson sie zwangsweise ins Lager. Wenige Stunden später ging dort der Skandal von neuem los; die Meuterer brachen einfach aus, aber der Hickory mit seiner Büchse warf sich den tausend Widerspenstigen entgegen, riß durch sein Beispiel die Offiziere und einige Soldaten mit und schüchterte die Bande wirklich ein. Wieder einige Tage darauf fanden die Freiwilligen ihre Dienstzeit abgelaufen; sie traten zur Abreise an, Jackson ließ Kanonen unter brennenden Lunten gegen sie auffahren. Das wirkte und bewirkte eben heimliche Fahnenflucht. Jetzt ließ Jackson ein paar aufgegriffene Deserteure kurzerhand hängen; dafür erfreute man ihn vor seiner Wahl zum Präsidenten mit dem öffentlichen Anschlag von Sargzetteln. Nirgends leicht, ein großer Mann zu sein; in Amerika aber am schwersten.
Mit dieser entzuchteten Milizcanaille war nichts mehr anzufangen, das sah der Hickory ein. Er schrieb an den Gouverneur von Tennessee, Blount, um neue frische reine Truppen. Der gute Blount wollte von solch gewagtem Aufwand nichts wissen; er riet zur Aufgabe des verfahrenen Karrens. Da kam er bei Jackson ja grad an den Rechten. Am liebsten hätte der auch ihn vor ein geladenes Geschütz oder auf die hundertfünfzig Meilen Entfernung bis Nashville vor seine Pistole gestellt; so setzte er ihm wenigstens eine andere Waffe auf die Brust: 490 Soldaten und Proviant, Sir, oder Ihre Ehre . . . Die Zufuhr erschraubte er sich übrigens selbst, mit blutigen Drohungen: wie er einst als Advokat an einem einzigen Tage 70 Prozesse anhängig gemacht, die er alle durch die Bank gewann. Ein Kerl war er schon, dieser eichene Axtstiel von Mensch; aber doch eine ziemliche Bestie. Und seine Lieferungen erhielt er.
Während er aber in ohnmächtiger Wut auf den zehn Inseln festsaß, verrichteten seine Rivalen Cocke und White aus dem östlichen Tennessee, die Georgier und die Mississippi-Männer ganze Arbeit. Ende November ließ White eine Dorfgemeinde friedenswilliger Creek-Indianer gnadenlos niederhauen; 256 Weiber und Kinder schleppte er in die Gefangenschaft. Floyd mit seinen Georgiern, unterstützt durch jenen halbblütigen Häuptling McIntosh, Weatherfords Todfeind, überfiel das große Doppeldorf Autossee am Tallapoosa-Fluß, schoß es mit seiner Artillerie in Brand und brachte durch Feuer und Eisen so viel als nur möglich des farbigen Gewürms um. Die Mississippi-Schützen unter Claiborne griffen die »heilige Stadt« Eckanabaska am Alabama an und bereiteten ihr dasselbe, allen Orakeln der Magier zuwiderlaufende Schicksal wie Harrison dem Hornissenneste von Tippecanoe . . . Und alle diese Henkergeneräle und Menschenjäger wetteiferten in möglichst gewissenhafter Aufzeichnung ihrer Strecken.
Gegen Mitte Januar war Jackson mit frischen Kräften wieder auf dem Posten. Vor dem befestigten, tief in Waldeinsamkeit verborgenen Dorfe Emukfau brachten die Creeks ihm allerdings eine sehr empfindliche Schlappe bei. Viele schöne tennessische Skalpe wurden erbeutet, nur mit Aufopferung seiner ganzen Artilleriemannschaft einschließlich aller Offiziere konnte der Hickory den bänglichen Rückzug durch die Engpässe der umgebenden Hügel erzwingen. Aber gerade diese für amerikanisches und nun gar südstaatliches Gefühl unerträglich brennende Schmach versorgte ihn reichlicher denn je mit lebendigem und lebenerhaltendem Nachschub. Jetzt auf einmal standen ihm mehr als 5000 Mann und entsprechende Vorräte zur Verfügung. Mit 3000 Schützen und den indianischen Partisanen unter McIntosh brach er Ende März zur Entscheidung nach Weatherfords großem Waffenplatz Tohopeka in der berühmten »Hufeisenkrümmung« des Tellapoosa-Flusses auf.
In aller Stille wurde der Ort umzingelt. Jenseits des Stromes, im Dreiviertelrund des »Hufeisens« nahmen Coffee und McIntosh mit ihren Leuten Stellung, bereit und bestimmt, die Hinüberfliehenden 491 wie eingekesseltes Wild abzuschießen. Jacksons Artillerie zertrümmerte dann den Wall des Festungsgevierts; unter schweren Verlusten stürmte das Fußvolk die Breschen. Lange konnten die Indianer dem Flammenhagel der überlegenen Waffe natürlich nicht standhalten. Ihre Zauberpriester fielen, die angerufene Frühlingssonne versagte den Schutz. Etwa neunhundert oder tausend Creeks brachen schließlich aus und durch und retteten sich fechtend in den Wald, der mit dichtem Unterwuchs die Halbinsel im Strombug bedeckte. Auch hier setzten ihnen Granaten, Kartätschen und von einer sturmreifen Stellung zur anderen die Bajonette zu. So ging das Treiben auf Rotwild fünf Stunden lang fort. Gegen Abend waren von der ganzen Besatzung Tohopekas nur noch ein paar hundert übrig, die sich teils in den Felsschluchten der Talhänge, teils im Gehölz am Ufersaum versteckt. Auch ihnen gewährte der unmenschliche Sieger nicht Ruhe noch Gnade. Pechbrände wurden ins Dickicht, von oben herab in die Schlucht geschleudert; das märzendürre Gestrüpp fing augenblicklich Feuer; wer von den armen Teufeln nach dem flackerrot überspiegelten Strom ausbrach, wurde von drüben her, wer landein flüchtete, von Jacksons Schindern niedergeknallt. Coffee und McIntosh unterhielten die ganze Frühlingsnacht hindurch ihr grausiges Scheibenschießen. Noch am nächsten Morgen fielen sechzehn versprengte Opfer. Auf der Halbinsel allein zählten die gewissenhaften Jäger 657 tote Indianer. Gefangen hatte man nur zwei oder drei . . .
Das war Jacksons große, allbejubelte Heldentat. Sein Ziel hatte er jedenfalls erreicht: nicht väterlich gestraft waren die Creeks, sondern gesund vernichtet. Wie sich's für solch Gezücht schickte und gehörte; im Süden gab es Gottseidank keine Quäker . . . Dann wandte sich der General mit seinem Heere nach dem sogenannten Hickory-Grund am unteren Tallapoosa; dort gab es noch ein paar armselige Dorfgemeinden zu massakrieren. Hinter ihm im Talbogen des »Hufeisens« braute Verwesung zum Frühlingshimmel empor, schwärmten dunkel Aasvögel.
Schmelzhochwasser aus den Dug-Down-Bergen hielten Jackson unterwegs auf; jene letzten Hütten des unglücklichen Volkes blieben einstweilen verschont. Die Creeks dachten ohnehin an keinen Widerstand mehr. Was noch zu atmen wagte, bat himmelhoch um Frieden. Jackson begnadigte den kläglichen Rest: aber unter einer schweren, ja unerfüllbaren Bedingung: gegen die Auslieferung Weatherfords. Ihn wollte er haben und hängen. Die Indianer schraken zurück. Noch 492 jetzt nahte niemand ohne Zittern und Kniefall dem Häuptling; jene südlichen Stammesreiche waren keine losen Republiken wie die »Jagdgründe« des Nordens, sondern Monarchen, Despotien. Wer wollte sich am Fürsten vergreifen, ihn vor seinen Henker schleppen? Unmöglich. Aber Jackson beharrte eisern auf seiner Forderung.
Eines Tages, als er gerade im Zelte arbeitete, wurde ihm ein unbewaffneter Indianer gemeldet. Er winkte Einlaß; irgendeine Botschaft wahrscheinlich. Doch wie jener sich vorstellte, fiel der General bald vom Feldstuhl. Es war Weatherford selbst.
Dieser Bastard eines Hausierers und einer Seminolin, dieser rote Jugurtha, der da zum Marius der Hinterwälder gekommen, besaß trotz allem einen hohen geraden Charakter. »Ich bin Weatherford, der bei Fort Mimms anführte. Ich wünsche Frieden für mein Volk; ich bin hier, ihn zu erwirken.« Jackson maß den kühnen Wilden mit großem Blick. »Und da wagst du, frei und frech vor mir zu erscheinen? Gebunden wollte ich dich haben!« Der Mischling lächelte verächtlich. »Hier sind meine Hände, hier meine Füße. Tut mit mir, wie Ihr wollt. Ich bin ein Krieger, ich fürchte nicht den Tod. Ich bin ein Krieger, ich habe euch Weißen nach Möglichkeit alles Böse zugefügt, ich gebe es zu. Ich habe mich tapfer für die Freiheit geschlagen; ich würde es weiter tun, aber mein Volk leidet, meine Männer sind dahin, so bleibt mir nichts als die Klage.« Es gereicht Jackson zur Ehre, daß ihm irgend etwas in der Sprache dieses blutig aufrichtigen Menschen gefiel. »Gut. Geh. Kämpfe weiter. Dann aber hast du keine Gnade zu erwarten. Der Sieger bin ich, dem Sieger gehört die Beute, er hat die Bedingungen zu stellen, nicht der Geschlagene.« Allein Weatherford blieb stolz und freimütig. »Ja, jetzt kann der weiße General so mit mir reden. Es ist dessen noch nicht lange her, da konnte ich ihm andere Antwort geben, da hatte Weatherford die Wahl. Aber meine Krieger vernehmen nimmermehr die Stimme, die sie einst zur Schlacht begeistert; die Toten stehen nicht auf. Zu Talladega und Tallashatchee, zu Emukfau und Tohopeka morschen ihre Gebeine. Euer Volk hat das meine vertilgt. Ihr seid ein tapferer Mann, auf dessen Großmut und Verstand ich mich verlassen will. Ihr werdet keine anderen Bedingungen stellen als solche, die für eine zerschmetterte und verzweifelte Nation wirklich erfüllbar sind, Bedingungen, deren Annahme ich mit Strenge erzwingen und verbürgen kann. Rachgier, wie groß und natürlich sie sei, darf nicht Wahnsinn 493 werden, der ins äußerste Verderben, zum Verlust der letzten Habe führt. Ich bitte nicht für mich, sondern für mein Volk.«
Jackson war erschüttert, vielleicht zum ersten- und letztenmal in seinem Leben. Diesen Mann zu hängen, das brachte selbst er nicht fertig. Einige Tage behielt er ihn zur Beobachtung bei sich im Lager, dann entließ er ihn in die Wälder.
Weatherford hielt getreulich sein Wort. Aber nun fielen die Überlebenden der verbündeten Südnationen – Creeks, Choctaws, Chickasaws, Cherokesen und Seminolen – haßvoll übereinander her, die früher Mißhandelten und vergewaltigten »Friedensfreunde« über die ohnehin grausam aufgeriebene »Kriegspartei«: – das politische Schau- und Trauerspiel, wie es sich von Althellas und der Belagerung Jerusalems bis auf 1919 hundertfach wiederholt.
Jackson ordnete die Entwaffnung der Indianer durch umherziehende Streifkorps an; dann sonderte er die fünf Völkerschaften durch ausgiebige Gebietsabtretungen derart gründlich voneinander ab, daß jede ihrem eigenen Schicksal überlassen blieb.
Dem unerbittlichen Schicksal aller roten Männer: entweder Not und Verfall, oder plötzliche Verdrängung aus kaum neugegründetem Wohlstand und den Anfängen sogenannter Gesittung; dem unvermeidlichen Ausgang letzter verzweifelter Erhebungen und dessen Folgen, Gebietsverweisung, Hinterziehung und Verschleppung aller Art, endlich Abschub in die Fremde . . . Packt euch; wir brauchen euer Land . . .
Tecumseh droben in der kühlen, kanadischen Erde unterm Zug der Wanderkraniche hatte es gut. Seine Seele weilte in den Savannen der Seligen, er rauchte die Pfeife des Friedens mit dem Großen Geiste, sein Kriegspfad war beendet; der Leidensweg seiner Rasse aber führte noch achtzig Jahre weit durch Wüsten und Abgründe, durch Nebel und Nacht, durch einen Sumpf von Blut, Branntwein, Fäulnis und Niedertracht.
*
Eines Abends im Jahre 1816 erschien vor Fort Osage fern im Westen ein später Gast. Einlaß wurde ihm gewährt; staunend sahen die Offiziere auf den uralten hageren Mann, der wie ein Gespenst längstversunkener Zeiten aus dem Dunkel hervor in den Kerzenschein ihrer Tafel trat. War es denn möglich? . . . Dieser Greis, dessen Wohnsitz einige hundert Meilen weit hinter Wäldern und Prärien lag, hier in Fort Osage! . . . Es war der zweiundachtzigjährige Daniel Boone. 494
Ja, Boone lebte immer noch, und immer noch unternahm er zweimal des Jahres seine ausgedehnten Streifzüge durch die stille Wildnis. Der ältere der beiden Söhne, die ihm geblieben, selbst schon ein gestandener Mann und Vater, betrieb ja jetzt mit Fleiß und Glück eine Salzsiederei; all die anderen, Kinder, Neffen, Enkel und Urenkel waren gleichfalls versorgt; was sollte er da daheim hocken und des Strohtodes dahinsterben? . . . Nur mit der geliebten Einsamkeit wollte es nicht mehr gehen. Ein Ereignis, von dem er vernommen, hatte Boone gewarnt. Harrod, sein alter Waffengefährte, der gleich ihm von Wald und Wild nicht lassen konnte, war von einer seiner Wanderungen nicht mehr heimgekehrt, und niemand erforschte oder erfuhr je seinen Aufenthalt. Vielleicht hatte den Neunzigjährigen irgendwo in den Schluchten die erste und letzte Schwäche übermannt, oder er war eines Morgens aus dem Schlafe am verglimmenden Lagerfeuer nicht mehr erwacht; seine Spur verlor sich im Süden gegen den Cumberland hin. Boone aber nahm sich die Kunde zu Herzen; von nun an duldete er einen Begleiter, einen angedungenen Träger oder Büchsenspanner, den er schriftlich dazu verpflichtete, ihn lebendig oder tot nach Hause zu bringen. Die Vorstellung verlassenen Sterbens unter den Wölfen und Geiern der Wildnis scheint den alten Mann oder seine Familie doch beunruhigt zu haben; so jagt er nun als Fürst und Patriarch der Hinterwäldler bedächtig weiter in seinem unermeßlichen Revier.
Wirkliche Freunde besaß er überhaupt nicht mehr; die ihn kannten und aus seiner Zeit heraus verstanden, waren alle tot oder unerreichbar fern. Die Neugier der Einwanderer und durchreisenden Offiziere belästigte ihn mehr als sie ihn erfreute; doch nahm er solche Gäste aus dem Osten stets freundlich auf, und erwiesene Teilnahme vergalt er mit manchem wertvollen Rat. Wahrhaft vermißte er aber vielleicht nur den anhänglichen Jean Martin, den Zugelaufenen, der ihm seine Duldung, seine menschliche Herablassung zu ihm, dem verachteten Coureur, dem Spieler und Trinker, mit dauernder Treue und wahrhaft unschätzbaren Diensten gedankt. Der liebe kleine Kanadier war nicht mehr. Vor einigen Jahren schon, lange noch vor Ausbruch des letzten Unabhängigkeits- und Indianerkrieges hatte er sich an seiner eigenen Unverwüstlichkeit einen ehrenhaften Mannestod geholt. Immer noch betrieb er rüstig den einbringlichen Pferdehandel nach Virginien und Pennsylvanien; da reitet ihn eines Tages der Teufel, einen anderen Teufel, einen »ungebrochenen« Bocker reiten und »brechen« zu wollen. Nom d'une bête noire, wirst du Diable nicht 495 parieren, eh? . . . Wart der alte Martin wird dich lehren, du Hesse, du cochon, der Wellington, nom d''une merde! Und schon sitzt der stramme Fünfundachtzigjährige im Sattel. Wenige Augenblicke später trug man ihn mit eingeschmettertem Kopf ins nächste Haus. Drei fleißige, sorgfältig erzogene Söhne erbten seinen redlich erworbenen, aber keineswegs engherzig verwalteten Wohlstand.
Um die großen Ereignisse im Osten und in der alten Welt, um Tecumseh und die Erhebung der Creeks hat Boone sich kaum mehr bekümmert. Seine Kräfte nahmen ab, der irdische Gesichtskreis schwand, die Flamme sank zusammen, der Schicksalsweg war durchmessen. Kurz vor seinem Tode besuchte ihn ein Maler, den die neugierigen Leute in den Städten ausgeschickt, den wunderlichen Alten abzuschildern und von ihm zu berichten. Er fand den greisen Weidmann in seiner heroischen rohen Blockhütte, müde und welk auf dem Lager von Fellen; aber handgerecht überm Feuer schmorte doch die saftige Hirschkeule am fleißig gedrehten Ladestock.
Das letzte Bild aus Boones großartig einfachem Heldenleben; bald darauf verlosch das niedergebrannte Licht. Im bunten Herbst, wenn die Wildherden sich zu geheimnisvollen Wanderungen sammeln und zarter Fahldunst über der Prärie webt, im heiligen Herbst machte sich diese abgekehrte Seele auf den letzten Pfad, hinauf zum Allvater des Lebens und seinen ewigen Jagdgründen. –
Auf die Kunde von Boones Scheiden – 13. September 1820 – brachen mehrere amerikanische Parlamente ihre Sitzungen ab; zwanzigtägige Ehrentrauer wurde beschlossen. Ein Vierteljahrhundert später erfolgte die Überführung der Reste nach Francfort, der kleinen Hauptstadt des von Boone erschlossenen Kentucky. Abertausende von hinterher dankbaren Amerikanern nahmen am geschmacklosen Gepränge teil, und sie wären nicht Amerikaner gewesen, hätten sie nicht selbst die Länge des Geleitzuges ziffernmäßig vermerkt. Über mehr als eine englische Meile soll er sich erstreckt haben – »der längste Leichenzug, der je zwischen dem Mississippi und dem Atlantischen Ozean sich über amerikanische Erde bewegt hat«, würde man in der Sprache jenes oft erbitternd kindischen Volkes sagen.
Bildnisse des einsamen Alten zieren die Kapitole von Francfort und Washington; ein hageres gütiges Antlitz sieht uns versöhnlich an. Man hätte den menschenscheuen Lederstrumpf einstweilen getrost in der Erde westlicher Wildnis, unter den Donnern der Büffel, unter den dröhnenden Jagdritten der Osagen- und Pawnee-Horden, unterm 496 Brausen des Savannenlandes schlafen lassen dürfen; dort ruhte er im Schoße seiner Mutter, der reinen Natur, der inwendigen Heimat. Nach einem weiteren halben Jahrhundert freilich waren die unermeßlichen Herden des Großen Geistes, die dunklen Bisontenvölker auch hier ausgerottet, hinweggeschunden aus der Schöpfung, die Ratsfeuer der roten Rasse auch hier erloschen oder erstickt: – und auch darin hatte er, der sich stets als Werkzeug der Vorsehung betrachtet, hatte der gejagte Jäger, der getriebene Führer mit seinem Schicksal sein Teil von tragisch unschuldiger Schuld.
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