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Drittes Kapitel.
Die Wienerin.

In einem der neuerbauten palaisartigen Häuser am Mainquai saß an einem der tief herabgehenden Fenster des ersten Stockwerkes ein junges, sehr hübsches Mädchen. Sie sah träumerisch das gelbliche Mainwasser, worauf große Eisschollen trieben, und beachtete durchaus nicht, daß vor ihr auf einem silbernen Teller zwei dampfende Tassen Chocolade standen.

Als die Thür rasch geöffnet wurde und ein junger Mann hereintrat, schrak sie heftig zusammen. Der Eintretende gewahrte das und sagte vorwurfsvoll: »Seit wann erschrickst Du, Lori, wenn ich zu Dir komme?«

»Guten Morgen, Joseph!« sagte statt aller Antwort die Kleine und präsentirte ihm eine der Tassen, die er ohne Umstände annahm, während er noch einmal frug: »Seit wann erschrickst Du?«

[34] »Ich bin nicht erschrocken, weil Sie eintraten, sondern weil die Thüre rasch geöffnet wurde und ich in tiefen Gedanken saß.«

»Du erwartetest mich doch, denn die Chocolade war ja schon eingeschenkt?«

»Vorhin glaubte ich, Ihren Schritt zu hören, und da goß ich sie ein, – es war aber Jemand Anderes!«

»Früher irrtest Du Dich auch nicht in meinem Schritt! Du bist in Allem verändert!«

»Nein, Joseph, ich bin dieselbe geblieben! Glauben Sie mir's! – aber ich habe das Heimweh nach Wien, – Sie hätten mich nicht hierher bringen sollen. Ich gefalle in keiner Rolle!«

»Das ist nicht wahr; in allen Rollen, wo Dein wienerisches Sprechen keinen Anstoß giebt, ärndtest Du Applaus; – aber Du hast halt das Heimweh!«

»Ich habe halt das Heimweh!« sagte gedankenlos Lori und strich mit der Hand über ihre runde Kinderstirn, als wären da Falten wegzuwischen.

»Und warum sagst Du jetzt immer ›Sie‹ zu mir, auch wenn wir allein sind?«

[35] »Es ist mir halt nicht nach ›Du‹ um's Herz,« antwortete mit einem gewissen Trotz die Kleine und stand auf, öffnete ihren Flügel und schlug mit sicherer Hand ein paar Accorde an.

»Eine schöne Antwort für einen treuen Liebhaber!«

»Ach, Joseph, reden Sie mir nicht von Ihrer Treue, ich habe Sie ja nie darnach gefragt!«

»Ich soll wohl nicht von meiner Treue reden,« sagte gutmüthig lachend Joseph Huber, unser zweiter Bekannter aus dem Römischen Kaiser, »weil Du von der Deinigen nicht zu sprechen wagst?«

»Sie haben immer viel schlechte Eigenschaften gehabt, – aber eifersüchtig waren Sie bisher nicht, – fangen Sie das nicht auch noch an!«

»Doch, Lori, – denn ich habe jetzt Ursache dazu!«

Lori maß ihn vom Scheitel bis zur Sohle, dann sagte sie langsam und bitter: »Kein Recht und keine Ursache!«

Der gutmüthige Joseph selbst wurde aber jetzt ärgerlich. »Diese Manieren, Lori, gefallen mir nicht, [36] ich will nach Hause gehen und erst wiederkommen, wenn Du besserer Laune bist.«

»Thun Sie das, Herr von Huber!«

Joseph hatte schon, ohne Abschied zu nehmen, die Thürklinke in der Hand, aber seine freundliche Natur ertrug einen solchen Abschied nicht, er kam noch einmal auf das Mädchen zu und bot ihr die Hand: »Sekire mich nicht, Lori, komm –«

Lori sah aus, als wenn sie gemartert würde, sie überwand sich aber, legte ihre Hand in die seine und sagte leise: »Bitte, kommen Sie ein Paar Tage nicht, es ist Etwas in mir, das ich überwinden muß, ich weiß selbst nicht, wie ich es nennen soll: Heimweh, Unwohlsein, üble Laune, oder Verdruß, aber ich werde drüber 'naus, kommen, wenn man mir Zeit läßt.«

»Ein Paar Tage nicht, – das halt' ich nicht aus, Lori!«

»So kommen Sie wenigstens erst morgen früh, nicht heute um Ihre gewöhnliche Zeit, nach Tisch!«

»Gut, Lori, ich will Dir den Gefallen thun, aber überwinde Dein Heimweh, in ein Paar Wochen [37] sind meine Geschäfte zu Ende, ich kehre wiederum nach Wien zurück, und Dir auch verschaffe ich dort ein gutes, neues Engagement, und dann bist Du wieder mein altes, fröhliches Lorel!«

Lori nickte; er schüttelte nochmals ihre Hand und ging. Als er draußen war, schob sie schnell den Riegel vor und sank weinend in einen Sessel und rang die Hände.

Da klopfte es wieder leise an die Thüre. Lori sprang auf, trocknete vor dem Spiegel ihre Thränen und ging dann zu öffnen. Obgleich es bis dahin eine ziemliche Weile gewährt, hatte dennoch das Klopfen sich nicht wiederholt; es mußte ein bescheidener Besucher sein. Dem war auch so, – vor der nun geöffneten Thür stand ein junges, bleiches, ärmlich gekleidetes Mädchen mit dem Ausdruck überstandener Leiden in den regelmäßigen Zügen.

»Wohnt hier Fräulein Günther?« frug sie ängstlich.

In Lori's abgespannten Zügen erwachte Teilnahme und Freundlichkeit.

»Sie heißen Lieschen, nicht wahr, und Herr von Huber schickt Sie zu mir?«

[38] »Ja wohl, er sagte, Sie würden mir Arbeit geben, da mich der Meister, bei dem ich bisher Schuhe einfaßte, entlassen hat.«

»Treten Sie ein, – setzen Sie sich!«

Aber das Mädchen blieb an der Thüre stehen und betrachtete mit scheuem Blick die eleganten Möbel und das schwere Atlaskleid der jungen Schauspielerin; – es lag nicht Verwunderung, sondern Mißtrauen in dem Blicke des armen Mädchens.

Lori war an das Fenster getreten und starrte in die gelben Wasser des Mainstroms und jede dahingleitende Eisscholle hätte sie fragen mögen: »Was soll ich thun?« Endlich blitzte ein Entschluß in ihrer Seele auf – und jeder Zweifel war in ihrer südlichen, sanguinischen Natur überwunden. Sie drehte sich rasch zur armen Näherin und sagte, indem sie dicht vor sie trat: »Wissen Sie, daß Gott Sie zu mir geschickt hat – in einem Augenblicke, wo ich ganz rathlos, ganz verlassen war?«

»Sie, Sie, rathlos, verlassen?« frug in ungläubiger Verwunderung Lieschen.

[39] »Ja doch! Ich befinde mich in einer unglücklichen Lage und habe keinen Freund, keinen Diener, dem ich vertrauen könnte – alle sind an Huber verkauft, sind seine Creaturen!«

Lieschen sagte nichts, aber ihr Erstaunen wuchs offenbar mit jeder Minute. –

»Sie werden mich verstehen, Mädchen, wenn ich Ihnen ein Paar Worte sage: Ich liebe ihn nicht mehr!«

»Sie lieben ihn nicht mehr? Was hat er Ihnen gethan?«

»Nichts, – gar nichts! Er überhäuft mich mit Geschenken, er kommt jeden Tag zweimal zu mir, – er sagt mir gar nichts als süße Worte, – aber – ich liebe ihn nicht mehr, – und ich will fort, – und das noch heute! Und Sie sollen mir behülflich sein.«

»Ich? Aber der Herr ist mein Wohlthäter. Wie ein Schutzengel ist er mir erschienen und hat mir das Leben gerettet und mich zu Ihnen geschickt, daß Sie mir Arbeit und Trost spenden, und Sie –«

[40] »Ich will, daß Sie sich mit mir gegen ihn verschwören. O, fürchten Sie nicht, ihn zu tief zu kränken, indem Sie mir zu meiner Flucht behülflich sind! Er wird mich bald vergessen, denn er ist grenzenlos leichtsinnig!«

»Aber gut!«

»Gut? Ja, das ist er und das ist das Einzige in ihm, was mich immer noch hielt. Für keinen Schmerz hat er ein hartes Wort, – das heißt, wenn dieser Schmerz unmittelbar vor ihn tritt; – auf der andern Seite kann er durch seinen Leichtsinn Hunderten das Leben rauben, ohne daran zu denken. Für jeden Bettler ist sein Beutel offen, und er ist doch nur nach Frankfurt gekommen, um ehrliche Leute um ihr Geld zu bringen, aber das nennt er negociren!«

»Das verstehe ich nicht!«

»Das glaube ich wohl! Sieh, komm mit mir, Mädchen, hier an meinen Tisch; sieh diese Schieblade voll Schmucksachen, –«

»Hat er die alle Ihnen geschenkt?«

»Beinahe alle!«

[41] »Und Sie lieben ihn nicht mehr? Heiliger Gott! – ich liebe Heinrich auch nicht mehr, aber der ist immer leichtsinnig gewesen und hat mich verleugnet vor den Menschen, mich nicht kennen wollen, wenn er im Staat an mir vorüber ging, – hat mich belogen, betrogen und verlassen; – aber Ihr Liebhaber –«

»Hat mir all das geschenkt!« rief mit einem bittern Lachen die Schauspielerin und warf verächtlich in buntem Durcheinander die Spangen und Ketten, die Ringe und Berloquen auf den Tisch.

»Nimm das, Mädchen! – Du wirst mich nicht verrathen, wenn ich Dir schwöre, daß Niemand durch meine Flucht unglücklich wird. Der Theaterdirector, dessen Contract mit mir noch drei Monate läuft, findet hundert bessere Schauspielerinnen.«

»Aber er? –«

»Und er hundert bessere Geliebten! Neun und neunzig liebt er vielleicht schon jetzt neben mir, es braucht also nur die Hundertste für mich einzutreten. Nun höre mich! Nimm dies hier und trage es zu einem Juwelier und sage, es gehörte einer russischen [42] Gräfin, die in Geldverlegenheit ihren Schmuck verkaufen müsse. Wenn ihre Wechsel früh genug anlangten, werde sie ihn binnen drei Tagen wieder einlösen. Sage das, um keinen Verdacht zu erwecken.«

»Fräulein, ich thue das nicht gern!«

»Das weiß ich, – aber ich will Dir's reich belohnen! Sieh, selbst kann ich diese Sachen nicht verkaufen, ich bin zu sehr bekannt. – Jedermann hat mich auf der Bühne gesehen.«

»Ich begreife!«

»Wenn Du die Sachen verkauft hast, –«

»Soll ich sie um jeden Preis geben?«

»Gewiß! Mir liegt nichts daran, aber ich muß Reisegeld haben, – meine Gage ist längst ausgegeben, und von Huber mag ich doch zu diesem Zweck nicht unter falschem Vorwande mir Etwas geben lassen. Also wenn Du die Sachen verkauft hast, kommst Du mit einem großen Carton zu mir; man hält Dich dann für das Mädchen der Putzmacherin, die häufig zu mir schickt. Ich muß wegen meiner Hausleute und meines eigenen Stubenmädchens wegen [43] diese Vorsicht gebrauchen. Mit diesem Carton kannst Du drei-, viermal wiederkommen, – man denkt dann, ich habe Etwas ändern lassen. Ich werde unterdeß das Mädchen entfernt halten und Dir nach und nach alles einpacken, was ich unumgänglich nöthig brauche. In Deiner Wohnung hältst Du die Sachen bis zum Abend verborgen, Du nimmst dann einen Fiaker und fährst damit nach dem Posthofe, wohin ich von hier aus zu Fuß gehen werde. Willst Du, liebes, gutes Lieschen, willst Du?«

»Es ist so sehr undankbar gegen Herrn von Huber!« sagte in offenbarer Pein und von den widerwärtigsten Gefühlen bestürmt das Mädchen.

Es war zu natürlich, Lori konnte ihr nicht gefallen. Nervenaufgeregt wie sie war, mit ihrem heftigen, dilatorischen Wesen, umgeben und bereichert von Huber's Geschenken, den sie schmähte, aber auf eine Weise, die das einfache Mädchen nicht verstehen konnte, – mußte sie Lieschen gegen sich einnehmen, und das geschah auch; aber dennoch wagte diese dem heftigen Eindringen der stürmischen Lori keinen entschiedenen Widerspruch entgegen zu setzen. [44] Sie ließ sich geduldig die Kleinodien in ihr Arbeitskörbchen packen und ging damit fort, Lori aber ganz triumphirend im Zimmer herum, bis wiederum ein Klopfen an der Thüre sie aufschreckte.

Es war Walram, der eintrat. »Guten Morgen, Fräulein Lori, wie geht es Ihnen? Ich komme, um Ihnen die verlorene Wette zu bringen.« Und er öffnete noch einmal die Thüre und nahm einem Jungen ein Hündchen vom Arme. »Sehen Sie, daß es noch ächte Bologneser giebt?«

»Ah, charmant! Wo haben Sie das kleine Prachtexemplar aufgetrieben?«

»O,« sagte Walram lachend, »Sie behaupten ja immer, ich habe gute Geister im Dienste, – die haben mir es verschafft!«

»Ja wohl! Ihr guter Geist ›Stanislaus‹ wird das gewesen sein, unterstützt von Ihrem andern guten Geist ›Geldbeutel.‹«

»Sein Sie heute nicht so prosaisch, Lori, Sie sind es ja außerdem nicht, und ich habe oft Huber um eine Freundin beneidet, die das Leben so ganz und gar von der lichten Seite nimmt.«

[45] »Sie wollen sagen, von der leichten! Aber beneiden Sie den guten Joseph nicht mehr. Ich habe die Absicht, ihn zu verlassen, – wieder nach Wien zurückzukehren. Was sagen Sie dazu, Herr Baron?«

»Thun Sie das nicht, Lori! Dann ist Joseph verloren! Sie müssen um Seinetwillen hier bleiben!«

»Um Seinetwillen!« sagte langsam das Mädchen.

Walram aber, ohne ihren Ausruf zu beachten, fuhr fort: »Ich brauche Ihnen Joseph's Charakter nicht auseinanderzusetzen, Sie kennen ihn besser, länger als ich. Er ist ein guter, liebenswürdiger, aber grenzenlos leichtsinniger Mensch. Es giebt keine Tollheit, keinen Unsinn, vor dem er zurückweicht; Bedenken kennt er nicht, dem Vergnügen gegenüber, und das, was man Gewissen nennt, hat er auch nicht, aus dem einfachen Grunde, weil er nie an die Vergangenheit denkt, das heißt, an eine Vergangenheit, die nicht Vergnügen ist, und weil er nur dem Augenblicke lebt.«

»Bei einem solchen Menschen bin ich ja auch überflüssig!«

[46] »Das sind Sie nicht! Sie sind die Einzige, die einen Einfluß auf ihn hat! Ich weiß nicht, soll ich es Liebe, Gewohnheit, oder einen kleinen Zauber nennen.«

»Das Letztere wird Ihnen wohl sehr schwer bei mir anzunehmen, Herr Baron?« sagte Lori, nicht kokett, sondern mit einer gewissen Aengstlichkeit.

Walram aber entgegnete ruhig: »Durchaus nicht, denn ich finde, daß Sie ein sehr hübsches, sehr gutes und sehr offenes Mädchen sind; ist das nicht genug, um zu bezaubern?«

»Nein,« sagte Lori trocken, »es gehört noch was Anderes dazu, – ein gewisser Reiz! –«

»Der ist aber für Jeden verschieden.«

»Wie heißt der, der Ihnen gefährlich wäre, Herr Baron?«

»Ach, liebe Lori,« sagte Felix, ihr die Hand reichend, »Sie sind die Einzige auf der ganzen Welt, der ich das sagen möchte! Glauben Sie mir, daß ich noch nie daran gedacht, wie eine Frau beschaffen sein müßte, die mir gefährlich würde?«

»So haben Sie sich also unbewußt dem Zauber hingegeben?«

[47] Felix schüttelte lächelnd den Kopf.

»Sie werden mich doch nicht wollen glauben machen, daß Ihnen schöne Frauen gar nicht gefährlich sind?«

»Keine Frau ist mir gefährlich,« sagte Felix aufstehend und im Zimmer auf und abgehend, – »aber sie sind mir werth – und ich halte sie hoch.«

Lori war auch aufgestanden, ein heller Zorn malte sich in ihrem lieblichen Gesichtchen, und sie murmelte leise zwischen den Zähnen: »Er ist doch ein Geck!«

Felix Walram aber, ihrer Gegenwart vergessend, ging immer noch gesenkten Hauptes im Zimmer auf und ab.

»Wissen Sie,« bemerkte Lori endlich, »daß es keine größere Beleidigung für eine Frau giebt, als wenn ein Mann ihr sagt: daß ihr Geschlecht ihm gleichgültig sei?«

»Das habe ich nicht gesagt!« rief Felix eifrig und stillstehend in seiner Promenade,

»Doch etwas Aehnliches! Ja, ja, ich will wieder nach Wien zurückkehren, denn die drei Herren, die [48] hier Zutritt bei mir haben: Sie, Huber und Heathcote sind mir denn doch zu ›schlecht gesinnt.‹ Huber ist durch und durch blasirt, ›ausverliebt,‹ wie ich es nenne, Herr Heathcote hat gar kein Herz, und Sie –«

»Ich habe Anderes zu thun, als mich um dies unbequeme, egoistische Ding, in der Beziehung, wie Sie es meinen, zu kümmern. Freilich bei uns Dreien kann es einem jungen, schönen, anbetungbedürftigen Mädchen nicht gefallen. Ich sage aber doch, bleiben Sie hier und halten Sie Ihre Hand über Joseph!«

»Nein, ich gehe, Herr Baron, und wenn ich fort bin, dann« – ihre Stimme wurde weicher – »dann nehmen Sie sich seiner an, und vor Allem verrathen Sie ihm nie diese Unterhaltung!«

Felix sagte: »Was haben wir denn so Wichtiges gesprochen, das er nicht wissen dürfte?« und verletzte durch diese Worte ein ihm zugethanes Herz auf's Tiefste.

Kalt entließ ihn Lori, und auch der arme, kleine Bologneser, den sie mit solchem Entzücken empfangen, [49] mußte ihren Zorn büßen, – sie würdigte ihn weiter keines Blicks und verließ das Zimmer, und das hülflose Thier rannte mit leisem Wimmern aus einer Ecke des ihm fremden Raumes in die andere.

 

Währenddeß lief Lieschen bei allen Juwelieren Frankfurts herum. Man bot ihr überall eine so kleine Summe, daß sie gar nicht wagte, die schönen Juwelen, das funkelnde Geschmeide dafür herzugeben. Endlich mußte sie sich doch dazu entschließen und unter dem Vorbehalt, es im Laufe der nächsten drei Tage wieder einlösen zu dürfen, gab sie es her und brachte mit trauriger Miene die Goldstücke zu Lori, die aber vollkommen damit zufrieden war, da die Summe mehr betrug, als sie zu ihrer Reise nach Wien bedurfte. Sie packte nun Lori eine Masse ihr unentbehrlich scheinender Dinge auf und bat sie, im Laufe des Nachmittags noch einmal wiederzukommen. Als Lieschen aber nicht kam und die Uhr sechs schlug, – um sieben ging der Postwagen ab, den sie benutzen wollte, – nahm sie von allen ihren zurückbleibenden kleinen Herrlichkeiten mit leichtem Herzen Abschied, packte den armen Bologneser, das [50] Geschenk Walram's, unter den Arm, warf einen dunklen Mantel über, knüpfte, statt des Hutes, ein Tuch über den Kopf, und machte sich auf den Weg nach dem Posthofe.

Als sie in den Thorweg eintrat, war das Erste, was sie im hellerleuchteten Posthofe stehen sah, – Joseph Huber in seinem ihr wohlbekannten Ueberwurf mit der rothen Sammtcapuze. Er erwartete sie offenbar, denn gespannten Blickes sah er nach dem Eingange, konnte sie aber nicht in ihrem verhüllenden Anzug, dem groben Mantel, dem dunklen Kopftuche erkennen. Statt zurückzugehen, schritt sie an ihm vorüber, aber in möglichster Entfernung, gesenkten Hauptes. Eben schlug die Uhr halb sieben. Ein Postillon stieß in's Horn, der Conducteur, am Schlage eines fahrfertigen Wagens stehend, rief mit lauter Stimme: »Alles complet?« und wollte eben die Thüre schließen, als Lori sich an ihn drängte und sagte: »Ich fahre noch mit!«

»Haben Sie Ihr Passagierbillet?«

»In der Tasche! Aber lassen Sie mich hinein, ich gebe es Ihnen später.«

[51] Der Mann sah in ein Paar sehr hübsche Augen und machte weiter keine Einwendungen, und eine Secunde später rollte der Wagen mit Lori an Joseph vorüber, der immer noch auf sie wartend am Thorwege stand. Lori aber legte sich zurück und sagte bitter: »Also auch sie hat mich verrathen! – ich habe kein Glück!«

Armes Lieschen! Wie unrecht wurde Dir gethan! Im nächsten Kapitel werden wir sehen, wie wenig sie Lori's Vertrauen getäuscht, und wie theuer der Aermsten dies Vertrauen zu stehen gekommen.



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