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Sechstes Kapitel

Verzweiflung

Die Wochen, die dem Tode seines Vaters folgten, waren traurig und leer für den einzigen Jolyon Forsyte, der nun zurückblieb. Über die notwendigen Formalitäten und Zeremonien – das Verlesen des Testaments, Abschätzung des Besitztums, Verteilung der Legate – wurden sozusagen über den Kopf des noch Unmündigen hinweg Bestimmungen getroffen. Jolyon wurde eingeäschert. Auf seinen speziellen Wunsch sollte niemand dieser Zeremonie beiwohnen oder Schwarz für ihn tragen. Von seinem Vermögen, das in mancher Hinsicht durch das Testament des alten Jolyon eingeschränkt war, hatte er für seine Witwe Robin Hill nebst zweitausendfünfhundert Pfund im Jahr auf Lebenszeit bestimmt. Abgesehen davon war in diesen beiden Testamenten auf etwas komplizierte Weise Vorsorge getroffen, für jedes der drei Kinder Jolyons für jetzt und in Zukunft gleiche Teile an dem Vermögen ihres Vaters und Großvaters zu sichern, nur sollte Jon, als männlicher Erbe, mit einundzwanzig Jahren die Verfügung über sein Vermögen erhalten, während June und Holly nur die Zinsen des ihrigen zugedacht waren, damit ihren Kindern einst das Kapital zufallen konnte. Wenn sie keine Kinder hatten, sollte alles auf Jon übergehen, falls er sie überlebte, und da June fünfzig war und Holly beinah vierzig, war anzunehmen, daß Jon, abgesehen von der Grausamkeit der Einkommensteuer, ebenso wohlhabend sein würde wie sein Großvater, als er starb. All das bedeutete nichts für Jon und wenig für seine Mutter. June erledigte alles Notwendige für ihren Vater, der seine Angelegenheiten in vollkommenster Ordnung hinterlassen hatte. Als sie wieder fort war und die beiden allein in dem großen Hause blieben, allein mit dem Tod, der sie einander näherte, und der Liebe, die sie voneinander trennte, verbrachte Jon sehr qualvolle Tage, da er im geheimen voll Widerwillen und enttäuscht über sich selbst war. Seine Mutter blickte ihn zuweilen mit so geduldiger Traurigkeit und doch voll instinktiven Stolzes an, als wolle sie ihren Widerstand verbergen. Wenn sie lächelte, quälte es ihn, weil er dies Lächeln so mißmutig und unnatürlich erwiderte. Er verurteilte oder verdammte sie nicht – das lag ihm ganz fern –, nicht einmal der Gedanke daran war ihm gekommen. Nein, er war mißmutig und unnatürlich, weil er ihretwegen nicht haben konnte, was er wünschte. An etwas fand er Trost, das mit dem Beruf seines Vaters zusammenhing, das June jedoch nicht anvertraut werden konnte, obwohl sie sich dazu angeboten hatte. Sowohl Jon wie seine Mutter hatten die Empfindung, daß, wenn sie die unausgestellten Zeichnungen und unvollendeten Sachen mit sich nahm, die Arbeiten seines Vaters bei Paul Post und andern Besuchern ihres Ateliers so eisige Aufnahme finden würden, daß selbst das Gefühl dafür in ihrem warmen Herzen bald erkalten mußte. Trotz ihres veralteten Niveaus waren die Arbeiten gut in ihrer Art, und sie konnten den Gedanken, sie verworfen und lächerlich gemacht zu sehen, nicht ertragen. Eine Sonderausstellung seiner Arbeiten war die kleinste Ehrenbezeigung, die sie ihm, den sie liebten, erweisen konnten, und mit der Vorbereitung dazu verbrachten sie manche Stunde zusammen. Jons Respekt vor seinem Vater hatte sich außerordentlich gesteigert. Diese Durchsicht offenbarte ihm die ruhige Ausdauer, mit der er ein mittelmäßiges Talent in etwas wirklich Individuelles umgewandelt hatte. Es war eine ganze Menge von Arbeiten da, die ein beständiges Wachsen an Tiefe und einen seltenen Reichtum an Phantasie verriet. Nichts davon freilich ging sehr tief oder erreichte große Höhe – aber wie die Arbeiten waren, atmeten sie Gründlichkeit, Bewußtheit und Vollkommenheit. Und wenn er daran dachte, wie sein Vater sich völlig fern von jeder »Richtung« oder Selbstgefälligkeit gehalten, an die ironische Bescheidenheit, mit der er immer von seinen eigenen Anstrengungen gesprochen, sich stets einen »Amateur« genannt hatte, mußte Jon sich sagen, daß er seinen Vater eigentlich nicht recht gekannt hatte. Sich selbst ernst zu nehmen, doch nie andere dadurch zu langweilen, daß er es sich anmerken ließ, schien sein oberster Grundsatz gewesen zu sein. Es war etwas darin, das den Knaben nachdenklich machte, und er stimmte der Mutter von Herzen zu, als sie sagte: »Er war wirklich ein feiner Mensch, und es war ihm bei allem, was er vornahm, unmöglich, nicht an andere zu denken. Und faßte er einen Entschluß, der ihnen zuwiderlief, so tat er es so schonend wie möglich – nicht wie andere in dieser Zeit, nicht wahr? Zweimal in seinem Leben war er genötigt, allem Widerstand entgegenzusetzen, allein es machte ihn nie bitter.« Jon sah Tränen über ihr Gesicht rollen, das sie sogleich von ihm abwandte. Sie sprach so wenig über ihren Verlust, daß er zuweilen gedacht hatte, sie fühle ihn nicht sehr. Jetzt, als er sie anschaute, empfand er, wie weit entfernt er von der Beherrschtheit und Würde seiner Mutter und seines Vaters war. Leise trat er zu ihr und legte den Arm um ihre Taille. Sie küßte ihn flüchtig, aber fast mit einer gewissen Leidenschaft, und ging aus dem Zimmer.

Das Atelier, wo sie die Sachen sortiert und mit Aufschriften versehen hatten, war einst Hollys Schulzimmer gewesen, in dem sie sich ihren Seidenwürmern, getrocknetem Lavendel, der Musik und andern Unterrichtsgegenständen gewidmet hatte. Jetzt, Ende Juli, kam trotz der nach Norden und Osten gelegenen Fenster eine warme, einschläfernde Luft durch die längst verblichenen lila Leinenvorhänge. Um den einstigen Glanz des Raumes, der, von seinem Herrn verlassen, einem gemähten, verdorrten Felde glich, ein wenig wiederherzustellen, hatte Irene eine Schale mit roten Rosen auf den mit Farbe befleckten Tisch gestellt. Dies und Jolyons Lieblingskatze, die noch an dem verlassenen Aufenthaltsort hing, waren die Zierden dieses unordentlichen, traurigen Arbeitsraums. Jon, der an dem Nordfenster stand und die rätselhaft mit dem Duft warmer Erdbeeren gewürzte Luft einatmete, hörte ein Auto vorfahren. Wieder die Anwälte, irgendeines Unsinns wegen? Weshalb tat der Duft einem so weh? Und woher kam er nur – es waren keine Erdbeerbeete an dieser Seite des Hauses. Instinktiv nahm er ein zerknülltes Stück Papier aus der Tasche und schrieb einige abgerissene Worte darauf. Eine Wärme begann sich in seiner Brust zu verbreiten, er rieb sich die Hände. Und plötzlich hatte er dies entworfen:

Erklänge doch in mir ein kleines Lied –
Ein kleines Lied, zu sänftigen mein Herz!
Dann will ich nur von kleinen Dingen singen,
Vom Wasserplätschern, von beschwingten Schwingen,
Vom Löwenzahn, wenn er in Blüte steht,
Vom Regentropfen, der im Sturz verweht,
Vom Vogelzwitschern und vom Katzenschnurren,
Vom Gräserrauschen und Insektensurren,
Vom Wind, der wild durch Bäum' und Sträucher fährt,
Von all den Lauten, die ich je gehört.
Mög' mein Gedicht so fein und leicht gelingen,
So zart wie Blüten und der Flug von Schmetterlingen.

Erklinge nun in mir, du kleines Lied,
Und bringe Ruhe meinem armen Herz!

Er murmelte es am Fenster nochmals vor sich hin, als er seinen Namen rufen hörte, und, als er sich umwandte, Fleur erblickte. Bei dieser überraschenden Erscheinung machte er erst keine Bewegung und gab keinen Ton von sich, während ihr klarer strahlender Blick sein Herz entzückte. Dann trat er an den Tisch und sagte: »Wie hübsch von dir, zu kommen!« worauf er sie zurückweichen sah, als hätte er etwas nach ihr geworfen.

»Ich fragte nach dir«, sagte sie, »und man wies mich hier herauf. Aber ich kann ja wieder gehen.«

Jon umklammerte den mit Farbe befleckten Tisch. Ihr Gesicht und die Gestalt in dem duftigen Kleide photographierten sich mit so erschreckender Lebhaftigkeit auf seine Netzhaut, daß er sie noch hätte sehen müssen, wenn sie in den Boden gesunken wäre.

»Ich weiß, daß ich dich belog, Jon. Aber ich tat es aus Liebe.«

»Ja, o ja! Das macht ja nichts.«

»Ich beantwortete deinen Brief nicht. Welchen Zweck hatte das – es war ja nichts zu beantworten. Anstatt dessen wollte ich dich lieber sehen.« Sie streckte beide Hände aus, und Jon ergriff sie über den Tisch hinweg. Er versuchte, etwas zu sagen, aber seine ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, ihren Händen nicht weh zu tun. Die seinen fühlten sich so hart an und ihre so weich. Sie sagte beinah trotzig:

»Diese alte Geschichte – war sie denn so furchtbar?«

»Ja.« Auch in seiner Stimme war ein Anflug von Trotz.

Sie zog ihre Hände fort. »Ich glaube nicht, daß Söhne auch heutzutage an den Schürzenbändern ihrer Mütter hängen.«

Jons Kinn hob sich, als hätte ein Schlag es getroffen.

»Ach! Jon! So meinte ich es nicht. Wie schrecklich, so etwas zu sagen!« Sie kam rasch dicht zu ihm hin. »Jon, Lieber, ich meinte es nicht so.«

»Schon gut!«

Sie hatte ihm ihre Hände auf die Schulter gelegt und ihre Stirn darauf; der Rand ihres Hutes berührte seinen Hals, und er fühlte ihn beben. Allein wie gelähmt gab er keine Antwort. Sie ließ seine Schulter los und wandte sich ab.

»Gut, ich werde gehen, wenn du mich nicht willst. Aber ich hätte nie gedacht, daß du mich aufgeben würdest.«

»Das habe ich auch nicht getan«, rief Jon, der plötzlich wieder zu sich kam. »Ich kann es nicht. Ich werde nochmals einen Versuch machen.«

Ihre Augen glänzten, sie schwankte auf ihn zu. »Jon – ich liebe dich! Gib mich nicht auf! Wenn du es tust, weiß ich nicht – ich bin so verzweifelt. Was hat diese Vergangenheit denn zu sagen – im Vergleich zu diesem?«

Sie hängte sich an ihn. Er küßte ihre Augen, ihre Wangen, ihre Lippen. Doch während er sie küßte, sah er die Bogen jenes Briefes auf den Boden seines Schlafzimmers fallen – sah seines Vaters weißes Gesicht – seine Mutter davor knien. Fleurs Flüstern: »Bringe sie dazu! Versprich! O Jon, versuche es!« klang kindisch in seinem 0hr. Er fühlte sich sonderbar alt.

»Ich verspreche es!« murmelte er. »Nur du verstehst es nicht.«

»Sie will uns unser Leben verderben, nur weil – – –«

»Ja, weswegen?«

Wieder diese Herausforderung in seiner Stimme, und sie antwortete nicht. Ihre Arme umschlangen ihn enger, und er erwiderte ihre Küsse; doch selbst als er nachgab, arbeitete das Gift in ihm, das Gift des Briefes. Fleur wußte nicht – sie verstand nicht – sie beurteilte seine Mutter falsch, sie kam aus dem Lager des Feindes! So reizend, und er liebte sie so – doch selbst in ihrer Umarmung vermochte er die Erinnerung an die Worte Hollys: »Ich glaube, daß ›Haben‹ eine große Rolle bei ihr spielt«, und die seiner Mutter, »Mein lieber Junge, denke nicht an mich, denke an dich selbst!« nicht auszulöschen. Als sie wie ein leidenschaftlicher Traum gegangen war und ihr Bild auf seiner Netzhaut, ihre Küsse auf seinen Lippen gelassen hatte, und solch einen Schmerz in seinem Herzen, lehnte Jon am Fenster und hörte sie mit dem Auto davonfahren. Noch immer der Duft wie von warmen Erdbeeren, immer noch die leisen Sommerlaute, die sein Lied hervorgerufen, immer noch all die Verheißung von Jugend und Glück in dem seufzenden, fließenden, flatternden Juli – die sein Herz zerrissen; das Verlangen in ihm so stark; die Hoffnung wach in ihm und doch mit niedergeschlagenen Augen, wie beschämt. Die elende Aufgabe vor ihm! War Fleur verzweifelt – so war er es auch –, als er da die Pappeln schwanken, die weißen Wolken vorüberziehen sah und das Sonnenlicht auf dem Rasen beobachtete.

Er wartete bis zum Abend, bis nach ihrem schweigsamen Mahl, bis die Mutter ihm vorgespielt hatte – und immer noch wartete er, denn er fühlte, daß sie wußte, was er hinausschob. Sie küßte ihn und ging nach oben, aber immer noch zögerte er, beobachtete das Mondlicht und die Motten und das Unwirkliche der sich leise wandelnden Färbung der Sommernacht. Er hätte alles darum gegeben, die Vergangenheit wieder zurückrufen zu können – nur die Zeit vor drei Monaten; oder weit voraus zu sein, Jahre, in der Zukunft. Die Gegenwart mit ihrer düsteren Grausamkeit einer Entscheidung nach dieser oder jener Seite schien unmöglich. Er begriff jetzt so viel lebhafter, was seine Mutter empfand, als anfangs; als habe die Erzählung in dem Briefe einen giftigen Keim in ihn gelegt, der ihn förmlich zu fieberhafter Parteinahme zwang, so daß er wirklich fühlte, wie sich zwei Lager gebildet hatten, das seiner Mutter und seins – Fleurs und das ihres Vaters. Mochte sie tot sein, die alte Geschichte von Besitz und Feindseligkeit, aber tote Dinge wirken vergiftend, bis die Zeit sie aus dem Wege räumt. Sogar seine Liebe war angesteckt davon, nicht mehr so voll Illusionen, viel irdischer, und lauernd regte sich der tückische Verdacht, daß Fleur, wie ihr Vater, vielleicht nur besitzen wollte; nicht deutlich, nur ganz verstohlen, seiner unwürdig, schlich er sich ein, die Inbrunst seiner Erinnerung zu bedrohen, mit seinem Atem die Lebhaftigkeit und Anmut des holden Antlitzes und ihrer Gestalt zu trüben – ein Verdacht, nicht wirklich genug, ihn von seinem Vorhandensein zu überzeugen, aber wirklich genug, einen unerschütterlichen Glauben zu zerstören. Und ein unerschütterlicher Glaube war für Jon, den noch nicht Zwanzigjährigen, das Wesentliche. Er besaß noch den Eifer der Jugend, mit beiden Händen zu geben, mit keiner zu nehmen – liebevoll jemand zu beschenken, der, wie er, impulsive Großmut besaß. Sicherlich hatte sie die! Er erhob sich von seinem Fensterplatz und wandelte in dem großen grauen, geisterhaften Raum umher, dessen Wände mit silbrigem Segeltuch bespannt waren. Dies Haus war, wie sein Vater in seinem Totenbettbrief sagte – für seine Mutter gebaut worden, um darin mit – Fleurs Vater zu leben! Er streckte seine Hand im Halbdunkeln aus, wie um die Schattenhand des Toten zu ergreifen. Er ballte sie zur Faust, versuchte, die dünnen Finger seines Vaters zu fühlen, sie zu drücken und ihm zu versichern, daß er – auf seiner Seite war. Tränen, die er zurückhielt, machten seine Augen trocken und heiß. Er ging zurück ans Fenster. Es war wärmer, nicht so unheimlich, tröstlicher draußen, wo der Mond golden hing, in drei Tagen mußte er voll sein; der Friede der Nacht war ihm ein Trost. Wenn nur er und Fleur einander auf einer öden Insel begegnet wären, ohne eine Vergangenheit – und die Natur ihr Heim! Jon hatte noch eine große Vorliebe für öde Inseln, wo Brotfrüchte wuchsen und das Wasser blau über den Korallen war. Die Nacht war tief, war frei – sie hatte etwas Verführerisches, war eine Lockung, eine Verheißung, eine Zuflucht vor Wirren und Liebe! Ein Muttersöhnchen, das an den Röcken seiner Mutter hing – –! Seine Wangen brannten. Er schloß das Fenster, zog die Vorhänge zu, löschte das Licht aus und ging nach oben.

Die Tür seines Zimmers war offen, das Licht angedreht, seine Mutter, noch in ihrem Abendkleid, stand am Fenster. Sie wandte sich um und sagte:

»Setze dich, Jon, laß uns miteinander reden.« Sie setzte sich auf den Fensterplatz, Jon auf sein Bett. Ihr Profil war ihm zugewandt, und die Schönheit und Anmut ihrer Gestalt, die zarte Linie der Brauen, die Nase, der Hals, die fremdartige und beinah abgeklärte Vornehmheit in ihr rührten ihn. Seine Mutter gehörte nie zu ihrer Umgebung. Sie kam gleichsam von irgendwoher hinein! Was wollte sie ihm sagen, der selbst so viel auf dem Herzen hatte?

»Ich weiß, daß Fleur heute hier gewesen ist. Es überrascht mich nicht.« Es war, als hätte sie hinzugefügt: »Sie ist die Tochter ihres Vaters!« Und Jons Herz verhärtete sich. Irene fuhr ruhig fort:

»Ich habe Vaters Brief. Ich hob ihn neulich auf und behielt ihn. Willst du ihn wiederhaben, Lieber?«

Jon schüttelte den Kopf.

»Ich hatte ihn natürlich gelesen, bevor er ihn dir gab. Er ist meiner Schuld nicht ganz gerecht geworden.«

»Mutter!« kam es von Jons Lippen.

»Er stellte es sehr liebevoll dar, aber ich weiß, daß ich etwas Furchtbares tat, als ich Fleurs Vater ohne Liebe heiratete. Eine unglückliche Ehe, Jon, kann, ganz abgesehen von dem eigenen, solche Verheerung im Leben anderer anrichten. Du bist furchtbar jung, mein Liebling, und ungeheuer liebevoll. Glaubst du, daß es dir möglich sein würde, mit diesem Mädchen glücklich zu sein?«

Auf ihre dunklen Augen starrend, die durch den Schmerz jetzt noch dunkler schienen, erwiderte Jon:

»Ja, o ja – wenn du es wärst!«

Irene lächelte.

»Bewunderung der Schönheit und Verlangen nach Besitz ist nicht Liebe. Wenn dein Fall dem meinen gliche, Jon – wo das Tiefste verschüttet ist; im Fleisch vereint, und geistig im Kampf!«

»Warum sollte es das, Mutter? Du denkst, sie müsse sein wie ihr Vater, aber das ist sie nicht. Ich habe ihn gesehen.«

Wieder kam das Lächeln auf Irenens Lippen, und in Jon bebte etwas; es lag solche Ironie und soviel Erfahrung darin. »Du bist der Gebende, Jon, und sie die Nehmende.«

Wieder dieser unwürdige Zweifel, wieder die spukende Ungewißheit! Er sagte heftig:

»Das ist sie nicht – das ist sie nicht! Nur kann ich es nicht ertragen, dich unglücklich zu machen, Mutter, wo Vater jetzt –« Er schlug mit den Fäusten an die Stirn.

Irene erhob sich.

»Ich sagte dir neulich in der Nacht, du solltest dich um mich nicht kümmern. Ich meinte es auch. Denke an dich selbst und an dein Glück! Ich kann ertragen, was noch kommt. Ich habe es selbst über mich gebracht.«

Wieder brach das Wort »Mutter« von Jons Lippen.

Sie kam zu ihm herüber und legte die Hände auf die seinen. »Schmerzt dein Kopf, Liebling?«

Jon schüttelte ihn. Was er fühlte, saß in der Brust – es war wie ein Zerreißen des Gewebes darin durch die beiden Lieben.

»Ich werde dich immer in gleicher Weise lieben, Jon, was du auch tun magst. Du wirst nichts einbüßen.« Sie strich ihm leise übers Haar und ging von ihm.

Er hörte die Tür schließen, warf sich aufs Bett und lag atemlos, mit einem schrecklichen Gefühl im Herzen da, das er zu unterdrücken suchte.


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