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Die Memoiren Garibaldi's.
3. Juli 1872.
Dies war Garibaldi's Geburtstag, an dem er sein 65. Lebensjahr vollendete, wie er auch weiterhin in der Vorrede selbst erwähnt.]
Ein stürmisches Leben, aus Gutem und Bösem zusammengesetzt, wie bei der Mehrzahl der Menschen. Das Bewußtsein, für mich und für meinesgleichen stets das Gute erstrebt zu haben. Und habe ich zuweilen Böses getan, so tat ich es sicherlich unfreiwillig. Ein Feind der Gewaltherrschaft und der Lüge, in der festen Überzeugung, daß in ihnen die Hauptursache der Übel und der Verderbnis des menschlichen Geschlechts liegt. Deshalb Republikaner, da Republik die Staatsform der ehrlichen Leute, die vernunftgemäße Staatsform ist, die von den meisten erstrebt wird und darum nicht durch Gewalt und Betrug auferlegt zu werden pflegt. Duldsam jedoch und kein Eiferer, bin ich unfähig, meine republikanische Gesinnung gewaltsam aufzudrängen: wie etwa den Engländern, wofern diese mit der Regierung der Königin Viktoria zufrieden sind; denn wenn sie zufrieden sind, so darf ihre Regierung als eine republikanische betrachtet werden. Republikaner also, aber je länger desto inniger überzeugt von der Notwendigkeit einer ehrenhaften, zeitweiligen Diktatur für diejenigen Länder, die (wie Frankreich, Spanien und Italien) die Opfer des verderblichsten Byzantinismus sind. –
Alles, was ich in meinen Lebenserinnerungen erzähle, kann als geschichtlich gelten. Von dem größten Teil der erzählten Vorgänge bin ich Augenzeuge gewesen.
Ich bin in Lobsprüchen für die Toten, die auf den Schlachtfeldern der Freiheit gefallen sind, verschwenderisch gewesen. Weniger habe ich die Lebenden, zumal die mir Nahestehenden gelobt. Und wenn ich gerechten Unwillen gegen diejenigen, die mir zu nahe getreten sind, empfunden habe, so habe ich meine Entrüstung zurückzudrängen gesucht, bevor ich auf die Beleidigung und den Beleidiger zu sprechen kam.
In allem, was ich niedergeschrieben, habe ich das Priesterwesen stets besonders bekämpft, weil ich in ihm stets die Stütze jeglichen Despotismus, jeglichen Lasters, jeglicher Verkommenheit zu erblicken geglaubt habe. Der Priester ist die Personifikation der Lüge, der Lügner aber ist ein Räuber, ein Räuber ist ein Mörder, und ich könnte beim Priestertum noch andere Attribute der Niedertracht aufdecken. Viele Leute – und ich selbst gehöre zu ihnen – bilden sich ein, die Welt mittels Bildung von dem Aussatz des Priesterwesens befreien zu können; aber sind nicht auch die Privilegierten gebildet, die die Welt regieren und sie in ihrer Lasterhaftigkeit belassen? »Freiheit für Alle«, heißt es in der Welt, und bei den am besten regierten Völkern beobachtet man auch diesen Grundsatz. Also Freiheit für die Räuber, die Mörder, die Stechmücken, die Vipern, die Priester! Und diese letztere schwarze Brut, dies die Menschheit verpestende Unkraut, dieser Tragbalken der Throne, setzt sich, noch stinkend von verbranntem Menschenfleisch, da wo die Gewaltherrschaft im Flore ist, unter die Sklaven und zählt sich ihrer verhungerten Schar zu. Aber in den freien Ländern erstrebt sie Freiheit und will nichts anderes als diese, keine widergesetzliche Begünstigung, keine Unterstützung – die Freiheit allein genügt dem Reptil. An Trotteln und Betschwestern hat die Welt keinen Mangel, und an solchen, die aus der Stupidität und dem Aberglauben der Massen Vorteil ziehen, ist sie stets überreich!
Man wird mich des Pessimismus beschuldigen; aber wer die Geduld hat, mich zu lesen, wird mir verzeihen. Ich vollende heute mein 65. Lebensjahr, und nachdem ich den größten Teil meines Lebens hindurch an ein Besserwerden des Menschengeschlechts geglaubt habe, erfüllt es mich mit Bitterkeit, so viele Übel und so große Verderbtheit in diesem sogenannten bürgerlichen Jahrhundert erblicken zu müssen.
Da ich mich keines hervorragenden Gedächtnisses erfreue, so hab ich vielleicht einige teure und verdienstvolle Menschen zu nennen vergessen. Unter den Ärzten, die von Montevideo bis Dijon die Mühen der Feldzüge mit mir teilten, will ich hier die folgenden aufführen. Odicini, Wundarzt bei der Legion von Montevideo, machte sich um unsere Landsleute, die ihr als Soldaten angehörten, durch die ihm eigene, nicht gewöhnliche Geschicklichkeit in seinem Berufe sehr verdient. Ripari, ein mir sehr werter Freund, war mein Gefährte in Rom (1849), wo er mich von einer Wunde wiederherstellte. Als Chefarzt bei der Expedition der Tausend lag er seinem schwierigen, edlen Berufe mit Vaterlandsliebe und dem hervorragenden Geschick, das er besaß, ob. Bei Aspromonte verdankte ich die Erhaltung meines rechten Fußes und vielleicht selbst meines Lebens der hingehenden Sorgfalt der Wundärzte Ripari, Basile und Albanese. Bertano war Chefarzt der von mir 1859 und 1866 befehligten Streitkräfte, und seine große Befähigung als Chef und als Arzt ist unbestreitbar. Auch 1867 in der unglücklichen Schlacht von Mentana tat er sich hervor. Die ausgezeichneten Professoren Partridge, Nélaton und Pirogoff erwiesen durch den hochherzigen Eifer, den sie meiner gefährdeten Lage gegenüber betätigten, daß das wahre Verdienst, die wahre Wissenschaft innerhalb der menschlichen Familie keine Grenzen kennt. Auch den werten Doktoren Prandina, Cipriani, Riboli schulde ich, wie dem Doktor Pastore, ein Wort der Dankbarkeit. Doktor Riboli, Chefarzt des Vogesenheeres in Frankreich, hatte selbst unter einem ernsthaften hartnäckigen Unwohlsein zu leiden; gleichwohl ließ er nicht nach, wirksamste Hilfe zu leisten.
Bei der Abschätzung des besonderen Verdienstes eines jeden, der in meiner Begleitung gewesen ist, beanspruche ich keine Unfehlbarkeit; wenn ich mich aber geirrt habe, so ist das, ich wiederhole es, unfreiwillig geschehen.
4. Juli 1872.
Ob die Gesellschaft von heute sich in einem normalen Zustand befinde, überlasse ich jedem verständigen Menschen zu beurteilen. Die Stürme haben die von Leichengeruch verpestete Luft noch nicht gereinigt, und schon denkt man an Erneuerung des Kriegsspiels! Garibaldi spielt hier auf die Bestrebungen der sogen. Irredentisten an, die durch erneuten Krieg mit Österreich die ihrer Nationalität nach vorwiegend italienischen Landschaften von Triest und Trient (Südtirol) für das Königreich Italien zu gewinnen hofften – Bestrebungen, die bekanntlich auch in der Gegenwart noch Anhänger in Italien zählen. Die Menschen sind von Leiden aller Art bedrängt: Teuerung, Überschwemmung, Cholera: was tuts! alle bewaffnen sich bis auf die Zähne, alle sind Soldaten. Und dazu der Priester – die wahre Geißel Gottes! In Italien hält er eine feige Regierung in erniedrigendster Unterwürfigkeit und erhebt sich wieder inmitten der Verderbtheit und der Leiden des Volkes. In Frankreich hetzt er jene unglückliche Nation zum Kriege. Und in Spanien treibt er es noch ärger: er hetzt zum Bürgerkriege, führt selbst fanatische Banden an und sät allerorten die Zerstörung.
Auch wir, die wir den Frieden, das Recht und die Gerechtigkeit lieben, müssen nichtsdestoweniger mit dem Leitspruch eines amerikanischen Generals schließen: »La guerra es la verdadera vida del hombre.« Der Krieg ist das wahre Leben des Menschen.