Theophil Gautier
Kapitän Fracasse. Zweiter Band
Theophil Gautier

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Brennesseln und Spinnweben

Da Isabella sich so plötzlich aus einer Komödiantin in eine vornehme Dame verwandelt hatte, so fesselte Sigognac nichts mehr an die Truppe. Er mußte auf einige Zeit verschwinden, bis der durch Vallombreuses wahrscheinlichen Tod erweckte Groll wieder beschwichtigt war. Nachdem er daher nicht ohne Gemütsbewegung von den wackeren Schauspielern, die ihm stets so gute Freunde und Kameraden gewesen, Abschied genommen, entfernte er sich von Paris auf einem kräftigen Pferde und die Taschen gut mit Gelde gefüllt, seinem Anteil an den Einnahmen. In kleinen Tagreisen näherte er sich seinem verfallenen Schloß. Es war der einzige Ort, wohin er sich flüchten konnte, und in seiner Hoffnungslosigkeit empfand er eine Art Genuß, wieder in die armselige Burg seiner Väter zurückzukehren, die er besser vielleicht nie hätte verlassen sollen.

»Ich bin,« sagte er unterwegs bei sich selbst, »am Ende vom Schicksal auserkoren, zwischen diesen alten Mauern, vor Hunger und Langweile zu sterben. Seinem Schicksal kann einmal niemand entgehen, und ich werde das meine erfüllen. Ich bin der Letzte der Sigognacs.«

Eines schönen Abends erblickte Sigognac von weitem die beiden Türme seines Schlosses, die sich, von der untergehenden Sonne beleuchtet, in scharfen Umrissen von dem violetten Hintergrund des Horizonts abhoben.

Dieser Anblick erweckte in dem Gemüt des Barons seltsam widerstreitende Empfindungen. Er hatte in diesem verfallenen Schloß viel gelitten und dennoch empfand er beim Wiederanblick das Gefühl, wie sie die Rückkehr eines Freundes erweckt, dessen Abwesenheit seine Fehler vergessen gemacht. Sein Leben war hier arm, dunkel und einsam, aber doch nicht ohne einige geheime Freuden verflossen, denn ganz unglücklich kann die Jugend nicht sein. Selbst die trostloseste hat noch ihre Träume und Hoffnungen.

Sigognac gab seinem Pferde die Sporen, um noch vor Einbruch der Nacht an Ort und Stelle zu gelangen. Bald bog er in den früher so besuchten, jetzt aber gänzlich verödeten Weg ein, der nach dem Schlosse führte. Ein schwaches fernes Hundegebell ließ sich in dem tiefen Schweigen des Gefildes hören. Sigognac hielt sein Pferd an, um besser zu horchen. Er hatte die heisere Stimme Mirauts zu erkennen geglaubt. Es dauerte nicht lange, so kam das Gebell näher und verwandelte sich in ein wiederholtes, freudiges, durch keuchend rasches Laufen unterbrochenes Gekläff. Miraut witterte seinen Herrn und kam mit der ganzen Schnelligkeit seiner alten Füße herbeigerannt. Der Baron pfiff auf eine besondere Weise, und nach wenigen Minuten kam der gute brave Hund schluchzend und fast menschliche Laute ausstoßend durch eine Lücke der Hecke hindurchgebrochen. Obwohl ganz außer Atem, sprang er doch dem Pferde bis an die Nase empor, suchte den Sattel zu erklettern, um bis zu seinem Herrn zu gelangen, und gab seine Freude auf die stürmischste Weise zu erkennen. Sigognac bückte sich und streichelte ihm den Kopf, um ihn einigermaßen zu beschwichtigen. Durch diesen Empfang zufriedengestellt und um diese frohe Botschaft den übrigen Bewohnern des Schlosses, das heißt Pierre, Bayard und Beelzebub, zu verkünden, schoß Miraut fort wie ein Pfeil und begann vor dem in der Küche sitzenden alten Diener dermaßen zu bellen, daß dieser sofort begriff, es müsse etwas Außerordentliches vorgehen.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Sollte der junge Herr zurückkommen?« sagte Pierre bei sich selbst, indem er sich erhob und hinter Miraut herging, der ihn am Schoße seines Kittels zerrte.

Da es Abend war, so hatte Pierre an dem Herde, wo er sein frugales Abendmahl kochte, einen harzigen Holzspan angezündet, dessen rötlicher Qualm am Eingange des Weges plötzlich Sigognac und sein Pferd beleuchtete.

»Ja, Sie sind es, Herr Baron«, rief der wackere Pierre beim Anblick seines Herrn freudig. »Miraut hatte es mir schon in seiner ehrlichen Hundesprache gesagt, denn wir sind hier so allein, daß Tiere und Menschen einander schließlich verstehen. Da Sie mir Ihre bevorstehende Rückkehr nicht angezeigt hatten, fürchtete ich mich zu täuschen. Seien Sie herzlich willkommen. Wir werden versuchen, Sie möglichst festlich zu empfangen.«

»Ja, ich bin es, mein guter Pierre«, entgegnete Sigognac; »Miraut hat dich nicht belogen. Wenn ich auch nicht reicher zurückkomme, so komme ich doch wenigstens gesund und wohlbehalten zurück.«

Nicht ohne Mühe öffnete Pierre die Flügel des alten Tores, und der Baron von Sigognac ritt unter dem von der Holzfackel phantastisch beleuchteten Portale hindurch.

Bei diesem Scheine schienen die drei Störche auf dem Wappenschild über dem Tore plötzlich Leben zu bekommen und mit den Flügeln zu schlagen, wie um die Rückkehr des letzten Sprößlings der Familie zu begrüßen, deren Symbol sie so viele Jahrhunderte hindurch gewesen waren.

Plötzlich ließ sich ein langgedehntes Wiehern vernehmen. Es war Bayard, der im Stalle seinen Herrn witterte und seiner alten asthmatischen Lunge diese Fanfare entlockte.

»Schon gut, schon gut, mein armer Bayard,« sagte Sigognac, indem er vom Pferde stieg und Pierre die Zügel zuwarf, »ich werde dich sogleich begrüßen.«

Und er lenkte seine Schritte nach dem Stalle, als er plötzlich beinahe gefallen wäre. Eine schwärzliche Masse verwickelte sich miauend, schnurrend und einen krummen Buckel machend, in seine Beine. Es war Beelzebub, der seine Freude auf alle dem Katzengeschlecht mögliche Weise zu erkennen gab. Sigognac hob ihn in seinen Armen bis zu seinem Gesicht empor. Der Kater geriet förmlich außer sich. Seine runden Augen schossen Phosphorblitze, und ein nervöses Zucken bewog ihn, seine Krallen bald zu öffnen, bald zu schließen. Dabei schnurrte er so rasch und heftig, daß er beinahe erstickt wäre, und stieß seine schwarze Nase zu wiederholten Malen gegen Sigognacs Schnurrbart. Nachdem der Baron ihn gebührend liebkost hatte, denn er war weit entfernt, diese Liebeszeichen bescheidener Freunde zu verschmähen, setzte er ihn behutsam auf die Erde nieder und klopfte nun Bayard zu wiederholten Malen mit der flachen Hand auf Hals und Rücken. Das gute Tier legte seinen Kopf auf die Schulter seines Herrn, kratzte mit dem Hufe auf dem Boden und versuchte mit dem Hinterteile eine gewagte Kurbette. Das Pferd, auf dem der Baron gekommen, wurde von Bayard höflich als Nachbar empfangen.

Pierre deckte eiligst den Tisch, an dem Sigognac sein frugales Abendmahl einzunehmen pflegte, setzte auf die eine Seite den Becher, auf die andere den mit dünnem Wein gefüllten Steinkrug und stellte sich dann hinter seinen Herrn wie ein Majordomo, der einen Prinzen bedient. Dem früheren Zeremoniell zufolge betrachteten Miraut, der rechts, und Beelzebub, der links saß, den jungen Baron mit Begeisterung und folgten den Wanderungen seiner Hand von der Schüssel nach dem Munde und von dem Munde nach der Schüssel in der Erwartung, daß ihnen ebenfalls ein Bissen zufallen würde. Dieses bizarre Gemälde wurde von dem Schein des harzigen Spans beleuchtet, den Pierre in einer eisernen Klammer im Innern des Kamins befestigt, damit der Qualm sich nicht im Zimmer verbreite. Es glich so genau der zu Anfange dieser Geschichte geschilderten Szene, daß der Baron, von dieser Ähnlichkeit betroffen, sich einbildete, bloß geträumt und sein Schloß niemals verlassen zu haben.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

Die Zeit, die in Paris so rasch und ereignisvoll vergangen war, schien in dem Schloß Sigognac stehen geblieben zu sein. Die eingeschlafenen Stunden hatten sich nicht die Mühe genommen, ihre staubbedeckte Sanduhr umzudrehen. Alles war noch an derselben Stelle.

Sigognac verlor sich unwillkürlich in stumme Betrachtungen, die Pierre achtete, und Miraut und Beelzebub nicht durch unzeitige Liebkosungen zu stören wagten.

Aber es gelang ihm, sich aus diesem Stumpfsinn aufzurütteln, und da er in Pierres Augen schüchterne Fragen leuchten sah, so erzählte er diesem würdigen Diener kurz die hauptsächlichen Ereignisse, die ihn in dieser Geschichte interessieren konnten.

Bei dem Bericht über die beiden Kämpfe seines Schülers mit Vallombreuse strahlte der alte wackere Pierre vor Stolz und Freude, einen solchen Schüler ausgebildet zu haben und machte mit einem Stocke die Stöße, die Sigognac ihm beschrieb, an der Wand nach.

»Ach leider, mein wackerer Pierre,« sagte der Baron seufzend, »hast du mich deine Fechtergeheimnisse zu gut gelehrt. Dieser Sieg hat mich zugrunde gerichtet und mich auf lange Zeit, wo nicht auf immer, in dieses armselige, traurige Schloß gebannt. Besser wäre es gewesen, ich wäre bei diesem letzten verhängnisvollen Kampfe verwundet oder getötet worden.«

»Die Sigognacs«, sagte der alte Diener salbungsvoll, »können nicht geschlagen werden. Was auch geschehen möge, gnädiger Herr, ich bin froh, daß Sie diesen Vallombreuse getötet haben. Ganz gewiß ist alles den Regeln gemäß zugegangen, und mehr kann man nicht verlangen. Was kann wohl ein Mensch, sobald er sich ausgelegt hat, dagegen einzuwenden haben, wenn er an einem schönen Degenstoß stirbt?«

»Sicherlich nichts,« antwortete Sigognac, dem diese Philosophie des alten Fechtmeisters ein Lächeln abnötigte, »aber ich fühle mich ein wenig müde. Zünde die Lampe an und geleite mich auf mein Zimmer.«

Pierre gehorchte. Der Baron stieg hinter seinem Diener und von seinem Hund und seiner Katze gefolgt, langsam die alte Treppe mit der verblichenen Freskomalerei hinauf. An der Tür des Zimmers angelangt, nahm er die Lampe aus Pierres Händen und schickte diesen wieder fort, um ihn nicht seine Gemütsbewegung sehen zu lassen. Langsam durchschritt er das erste Zimmer, in dem vor einigen Monaten das Nachtessen der Schauspieler stattgefunden hatte. Die Erinnerung an dieses fröhliche Mahl stimmte ihn noch trauriger.

Sigognac trat endlich in sein Schlafzimmer und setzte die Lampe auf den kleinen Tisch, auf dem noch der Band Gedichte lag, in dem er gelesen hatte, als die Schauspieler nächtlicherweile an das Tor des alten Schlosses pochten.

Isabella hatte hier geschlafen. Ihr schön geformtes Haupt hatte auf diesem Kissen geruht, diesem Vertrauten so vieler Träume! Bei diesem Gedanken fühlte Sigognac sein Herz von einem angenehmen Schmerz gemartert. Seine Phantasie malte sich die Reize jenes anbetungswürdigen Mädchens mit den lebhaftesten Farben. Seine Vernunft sagte ihm in zudringlichem, ärgerlichem Ton, daß Isabella auf immer für ihn verloren sei, und dennoch glaubte er infolge einer durch die Liebe herbeigeführten Sinnestäuschung dieses reine, liebenswürdige Antlitz zwischen den Falten der ein wenig geöffneten Vorhänge zu sehen, wie das eines keuschen Weibes, das die Rückkehr des Gatten erwartet.

Um diesen Illusionen ein Ende zu machen, kleidete er sich aus und legte sich nieder. Trotz seiner Ermüdung aber dauerte es lange, ehe der Schlaf kam, und seine Augen irrten über eine Stunde in dem zerfallenen öden Zimmer umher.

Wenn aber auch der Herr wachte, so schlief doch das Tier. Beelzebub, der sich zu Sigognacs Füßen zu einer Kugel zusammengerollt, schnarchte wie die Katze Mahomets auf dem Ärmel des Propheten. Die tiefe Ruhe des Tieres bemächtigte sich endlich auch des Menschen, und der junge Baron trat die Reise in das Land der Träume an.

Als der Tag graute, war Sigognac von dem Zustande der Verödung, in dem sein Schloß sich befand, betroffener, als am Abend vorher. Der Tag hat mit dem Verfalle kein Mitleid. Er beleuchtet grausam die Falten, die Flecken, den Staub, den Moder. Die Nacht dagegen, barmherziger, milderte alles mit ihrem freundlichen Schatten.

Es dauerte jedoch nicht lange, so kehrte er zu dem alten Leben zurück wie in ein altes Kleid, das man auf einige Zeit abgelegt, um ein neues anzuziehen. Er fühlte sich wohl in diesem abgetragenen Gewande, dessen Falten die Gewohnheit gebildet hatte.

Während der ersten Tage hatte die Betäubung aller seiner so dicht aufeinander gefolgten Abenteuer, die Überstürzung des Schicksalswechsels, die notwendige Zerstreuung der Reise ihn abgehalten, sich von dem wirklichen Zustand seiner Seele Rechenschaft zu geben. Zur Einsamkeit, zur Ruhe und zum Schweigen zurückgekehrt, fand er, daß Isabella die Achse war, um die alle seine Träume sich drehten. Sie erfüllte seinen Kopf und sein Herz.

So vergingen zwei oder drei Monate. Sigognac saß in seinem Zimmer und suchte die Schlußpointe eines Sonnettes zum Lobe seiner Geliebten, als Pierre ihm meldete, daß ein Kavalier da sei, der ihn zu sprechen wünsche.

»Ein Kavalier, der mich zu sprechen wünscht?« sagte Sigognac. »Du träumst, oder der Kavalier irrt sich. Mir hat kein Mensch auf der ganzen Welt etwas zu sagen. Jedoch, in Anbetracht der Seltenheit der Tatsache, führe diesen sonderbaren Sterblichen herein. Wie heißt er denn?«

»Seinen Namen wollte er nicht nennen, sondern erklärte, er würde Ihnen auch keinen Aufschluß geben«, antwortete Pierre, indem er die Flügeltür weit aufriß.

Auf der Schwelle erschien ein schöner junger Mann in einem eleganten braunen, mit Silber verzierten Reitkostüm, grauen Filzstiefeln mit silbernen Sporen und seinen breitkrämpigen, mit einer langen grünen Feder geschmückten Hut in der Hand haltend, so daß man sein stolzes, zartes, schönes Antlitz sehen konnte. Dieser vollendete Kavalier schien aber durchaus keinen angenehmen Eindruck auf Sigognac zu machen, denn dieser wurde ein wenig bleich, sprang nach seinem neben dem Bett hängenden Degen, riß ihn aus der Scheide und legte sich aus.

Zeichnung Karl M. Schultheiss

»Bei Gott, Herr Herzog,« rief er, »ich glaubte Sie getötet zu haben. Sind Sie es, oder ist es Ihr Geist, der mir erscheint?«

»Ich bin es selbst, ich, Hannibal von Vallombreuse«, antwortete der junge Herzog. »Ich bin es selbst mit Fleisch und Bein und so wenig tot als möglich. Stecken Sie aber diesen Degen nur immer wieder ein; wir haben uns schon zweimal geschlagen. Dies ist genug. Ich komme nicht als Feind. Wenn ich mir Ihnen gegenüber einige kleine Sünden vorzuwerfen habe, so haben Sie sich dafür hinreichend revanchiert, und wir sind quitt. Um Ihnen meine guten Absichten zu beweisen, überreiche ich Ihnen hiermit ein vom König unterzeichnetes Patent, durch das Ihnen ein Regiment verliehen wird. Mein Vater und ich haben Seine Majestät an die Anhänglichkeit der Sigognacs an die früheren Könige erinnert. Ich wollte Ihnen in eigener Person diese gute Nachricht überbringen, und nun – denn ich bin Ihr Gast – lassen Sie irgendeinem Tier den Hals umdrehen und stecken Sie an den Spieß, was Sie wollen, aber um Gottes willen geben Sie mir zu essen. Die Gasthäuser dieser Straße sind entsetzlich, und meine Wagen, die in einiger Entfernung von hier im Sande stecken, enthalten meine Mundvorräte.«

»Ich fürchte sehr, Herr Herzog, mein Mittagessen könnte Ihnen als eine Rache erscheinen,« antwortete Sigognac mit heiterer Höflichkeit, »aber legen Sie das armselige Mahl, das ich Ihnen bieten kann, nicht als Bosheit aus. Ihr offenes, herzliches Verfahren rührt mich in tiefster Seele, und Sie werden künftig keinen ergebeneren Freund haben als mich. Obwohl Sie meiner Dienste nicht bedürfen werden, so gehören sie doch Ihnen. Heda, Pierre, hole Hühner, Eier und Fleisch und suche diesen Kavalier, der vor Hunger fast stirbt und nicht daran gewöhnt ist wie wir, so gut zu bewirten, als es in deinen Kräften steht.«

Pierre schwang sich aufs Pferd und sprengte mit verhängtem Zügel in das nächste Dorf, um Lebensmittel zu holen. Er fand einige Hühner, einen Schinken, eine Flasche alten Wein und bei dem Pfarrer eine Entenleberpastete, die würdig war, auf der Tafel eines Bischofs oder eines Prinzen zu stehen. Nach Verlauf einer Stunde kam er wieder zurück, beauftragte eine große, hagere, zerlumpte Dirne, die er unterwegs getroffen und kurzweg in das Schloß geschickt hatte, mit dem Drehen des Bratspießes und deckte in dem Porträtsaale die Tafel, indem er von dem Porzellangeschirre die Stücke auswählte, die nicht mehr als einen Sprung oder eine Scharte hatten, denn an Silbergeschirr war nicht zu denken, weil das letzte Stück davon schon längst eingeschmolzen war. Dann meldete er seinem Herrn, daß »serviert sei«.

Vallombreuse und Sigognac setzten sich einander gegenüber auf die am wenigsten hinkenden der sechs Stühle, und der junge Herzog, den diese für ihn ganz neue Situation sehr heiter stimmte, hieb mit wirklich spaßhaft grimmigem Appetit auf die von Pierre mit so großer Mühe zusammengebrachten Gerichte ein. Seine Zähne zermalmten, nachdem sie ein ganzes Huhn verzehrt, die rosigen Schnitten von einem Bayonner Schinken. Die Entenlebern erklärte er für ein köstliches, ausgesuchtes, ambrosisches Gericht und fand, daß der grüngewürzte Ziegenkäse ein vortrefflicher Sporn zum Trinken sei. Er lobte auch den Wein, der wirklich alt und von einem guten Jahrgange war, und dessen schöne Farbe in den altväterischen venezianischen Gläsern wie Purpur glühte.

Sigognac schmauste ebenfalls tapfer, obschon es ihm wie ein Traum vorkam, daß er diesen eleganten stolzen Kavalier, – vordem sein Nebenbuhler, der mehrmals versucht hatte, ihn durch Banditen aus dem Wege zu räumen, – jetzt vertraulich an seinem Tische sitzen sah.

Der Herzog von Vallombreuse verstand Sigognacs Gedanken, ohne daß dieser sie aussprach, und als der alte Diener noch eine Flasche edlen Wein und zwei Gläser, kleiner als die andern, auf den Tisch gesetzt und sich entfernt hatte, zog er die Spitzen seines Schnurrbarts durch die Finger und sagte zu Sigognac mit freundschaftlicher Offenheit:

»Trotz aller Ihrer Höflichkeit, mein lieber Sigognac, sehe ich wohl, daß Ihnen der Schritt, den ich getan, ein wenig seltsam und unerwartet vorkommt. Sie sagen bei sich: ›Wie kommt es, daß dieser stolze, arrogante und gebieterische Vallombreuse sich aus dem Tiger, der er war, in ein Lamm verwandelt hat, das eine Schäferin am Bändchen führen könnte?‹ Während der sechs Wochen, die ich gezwungen war, das Bett zu hüten, habe ich einige Betrachtungen angestellt, wie selbst der Mutigste sich im Angesicht der Ewigkeit wohl erlauben darf. Ich lernte die Nichtigkeit vieler Dinge einsehen und nahm mir für den Fall, daß ich wieder aufkommen sollte, vor, ein anderes Leben zu führen. Da die Liebe zu Isabella in reine, heilige Freundschaft übergegangen war, so hatte ich keinen Grund mehr, Sie zu hassen. Sie waren nicht mehr mein Nebenbuhler. Ein Bruder kann nicht eifersüchtig auf seine Schwester sein. Ich dankte Ihnen im stillen für die ehrerbietige Zärtlichkeit, die Sie nicht aufgehört hatten ihr zu bezeigen, als sie noch einem Stande angehörte, der so mancherlei Freiheiten gestattet. Sie waren der erste, der unter der Maske der Komödiantinnen das reine, edle Gemüt erkannte. Obwohl arm, boten Sie doch der armen Verachteten den größten Reichtum, den ein Edelmann besitzen kann, den Namen seiner Ahnen. Jetzt, wo sie reich und vornehm ist, gehört sie daher mit vollem Rechte Ihnen. Der Geliebte Isabellas muß der Gatte der Gräfin von Lineuil werden.«

»Aber,« antwortete Sigognac, »sie hat mich ja stets hartnäckig zurückgewiesen, obschon sie an meine unbedingte Uneigennützigkeit glauben konnte.«

»Aus übergroßem Zartgefühl und reiner Selbstverleugnung fürchtete sie Ihrem Glück hinderlich zu sein. Diese Erkenntnis aber hat die Situation geradezu umgedreht.«

»Ganz recht. Jetzt wäre ich ein Hindernis für ihre hohe Stellung. Habe ich wohl ein Recht, weniger Selbstverleugnung zu zeigen als Isabella?«

»Lieben Sie meine Schwester immer noch?« sagte der Herzog von Vallombreuse in ernstem Tone. »Ich habe als Bruder das Recht, diese Frage an Sie zu richten.«

»Von ganzer Seele, von ganzem Herzen, mit meinem ganzen Blute,« antwortete Sigognac, »so sehr und mehr, als je ein Mensch ein Weib auf dieser Erde geliebt hat, auf der, außer Isabella, nichts vollkommen ist.«

»In diesem Falle, Herr Kapitän der Musketiere und bald Gouverneur einer Provinz, lassen Sie Ihr Pferd satteln und kommen Sie mit mir nach Vallombreuse, damit ich Sie in aller Form dem Prinzen, meinem Vater, und der Gräfin von Lineuil, meiner Schwester, vorstelle. Isabella hatte den Ritter von Vidaline, den Marquis von l'Estang, zwei sehr schöne, junge Leute, meiner Treu, als Gatten abgelehnt. Aber ich glaube, sie wird, ohne sich allzusehr bitten zu lassen, den Baron von Sigognac annehmen.«

Am Tage darauf ritten der Herzog und der Baron nebeneinander auf der Landstraße nach Paris.

*


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