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Nun waren drei Jahre vergangen, seit der Pastor Uwe Nomsen und Antje Klähn zusammengegeben hatte. Der Sommer stand im Gold über Klähns-Hallig, und draußen auf dem Vorlande waren sie wieder im Heu.
Binne Bonken aber schaukelte im Schatten des Holunders, der gegen den Willen des Seewindes immer noch versuchte, auf das Dach des Hallighauses zu schauen, Jochen Nomsen auf ihrem Knie und deutete manchmal weithin über das Grasland. Da jubelte das kleine Herz des Kindes, denn es erkannte Antje Nomsen, die mit der Harke im Gras stand und die frischgehauenen Schwaden breitete. Und sie band ihr weißes Kopftuch ab und ließ es wie ein Fähnlein grüßend im Seewinde flattern; da streckte Jochen Nomsen seine Hände aus und wollte das flatternde Tuch fangen.
Sie hatten dem Kinde den Namen Jochen Klähns, des Seefahrers, gegeben; denn ihre Gedanken waren oft bei ihm; und der letzte Brief, den der Postschiffer gebracht, enthielt die Nachricht, daß er die Fahrt über das Weltmeer antrete und bei ihnen sei, ehe der Winterwind um die Werft auf Klähns-Hallig heule.
Auf Jochen wollte Olk Eike noch warten.
»Dann werd' ich sterben,« sagte sie; »ich bin sehr müde, aber ich kann nicht von hinnen fahren, ehe meine Augen ihn noch einmal gesehen haben.«
Seit ihr die Erinnerung an das Leid und Glück ihres Lebens immer trüber ward, redete sie selten. Und wenn es einmal kam, so sprach sie mit den Worten der Schrift, die sie noch immer auf ihren Knien trug und in der sie blätterte wie jemand, der lesen will. Sie schlug das Evangelium auf und sprach die Geschichte von der Gefangennahme Jesu, oder sie hielt die Bergpredigt mit geschlossenen Augen und das Evangelium Matthäi lag aufgeschlagen auf ihren Knien – das alte sporfleckige Buch mit den rauhen abgegriffenen Seiten; das war noch älter als Eike Klähn.
Und auch heute saß sie draußen an der Sonnenwand des Hauses, erzählte einen Abschnitt aus der Schrift und ließ sich die zerknitterten Wangen von der Junisonne streicheln. Manchmal geschah es, daß ihr Herz weiter dachte, als der Bericht der Evangelisten erzählte, und der alte Geist fand dann auch Worte für seine verträumten wunderlichen Gedanken.
Da schaute sich Binne Bonken um: »Was liest denn Olk Eike? Das steht ja gar nicht im Evangelium!«
»Nein, Binne Bonken, aber in Olk Eikes Herz!«
Das hatte die greise Frau den achtundneunzig Jahren abgetrotzt, die ihr mit harten Händen Wangen und Stirn gefaltet, aber das fromme Licht nicht ausgedrückt hatten, das in ihrem müden Herzen brannte. Und sie sprach mit festen Worten ihren Glauben; sie bekannte ihn jedem Tage, der an ihr vorüberging. Keiner hatte ihr noch etwas zu geben, aber ihr schlagendes Herz mit dem leise wehenden Lichte nahm ihr auch keiner.
»Ich gehe nun bald,« wiederholte sie, »ich bin sehr müde. Wenn Jochen gekommen ist!«
Aber Jochen Klähn kam nicht.
Da legte Olk Eike die Hände in den Schoß und wartete.