Friedrich Gerstäcker
Californien
Friedrich Gerstäcker

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11. Aus den Minen – Stockton.

Am ersten November, oder eigentlich schon am letzten Oktober hörte ich – wie ich es mir gleich von dem ersten Betreten des Mosquito-Gulch an vorgenommen – auf zu arbeiten, und die noch nicht einmal fertig ausgewaschene Stelle übergab ich anderen Deutschen. Morgens packte ich meine paar Sachen die ich in den Minen noch mein eigen nannte – Mosquito hatten wir schon in der letzten Woche verkauft – zusammen, und verließ den Mosquito-Gulch, verließ die Minen. Es ist aber sonderbar wie die Gewohnheit sich so leicht im Herzen fest zu nisten weiß. Lange Monate hindurch hatte ich diesen Augenblick herbeigesehnt, so lange ich in den Minen gelebt waren nichts als Beschwerden und Entbehrungen mein Loos gewesen, in denen mich oft wirklich nur die Hoffnung aufrecht erhielt, bald das wenige Reisegeld dessen ich bedurfte, zusammen zu bringen – wie ein gelähmter Storch hatte ich noch zuletzt die langen Wochen auf meinem harten Lager – die bloße Erde mit einer Decke darüber – verbracht, und nur seufzend an die Zeit gedacht, wo ich wieder hinaus könne gen Westen, der sinkenden Sonne nach, und jetzt – jetzt, als ich mein Ziel erreicht, als ich mich anschickte die Berge endlich zu verlassen, überkam mich ein Gefühl, als ob ich einem lieben Freund auf Nimmerwiedersehen die Hand drücke.

Ich würde mich sogar dieses Gefühls geschämt haben, wär' es anhaltender gewesen; es flog aber wie eine leichte Windwolke an der Sonne vorüber, und kaum hatte ich unsere Zelte hinter mir, als es mir wie Centnerlast von der Brust fiel. Nur die eine Empfindung gewann jetzt die Oberhand: frei bist du jetzt, frei, und kannst wieder hinaus in See, hinaus in die Welt, der Heimath, dem Vaterland entgegen.

Mein bisheriger Mitarbeiter, Haye, hatte mich schon vor fast 14 Tagen verlassen, um die Regenzeit über bei einem Mitpassagier des Talisman, der am Richgulch einen Laden hatte, zu arbeiten. Er bekam dort 100 Dollars den Monat, stand auf sehr freundschaftlichem Fuß mit seinem Principal (Kohlberg) und führte ein ganz angenehmes Leben. Jedenfalls hatte er dort den Winter über ein sicheres Brod; wer aber einmal das freie, ganz unabhängige Leben in den Minen – ein eigentliches Vagabundendaseyn, wenn die harte Arbeit nicht dabei wäre – gekostet hat, dem fällt es ungemein schwer sich wieder in ein anderes zu schicken, und so gut es Haye auch dort hatte, schien er gar nicht übel Lust zu haben zu den Minenarbeiten zurückzukehren. Ich schlief die Nacht in Kohlbergs Laden, und als am nächsten Nachmittag die erwarteten Maulthiere ankamen, die Fracht von Stockton brachten, und noch an demselben Abend eine Strecke Wegs zurückgingen bis wo sie gutes Futter und Wasser für ihre Thiere fanden, ging ich, nach herzlichem Abschied von Haye, den ich wirklich lieb gewonnen, und der sich mir auch hier als treuer Freund bewährt hatte, »an Bord« eines derselben, und trat auf dem breiten mexikanischen Packsattel meinen Rückmarsch nach dem Flachlande an.

Der Leser darf sich übrigens einen solchen Packsattelritt keineswegs zu angenehm denken; diese Sättel dienen bloß dazu, das Gepäck darauf festzuschnüren, und haben keine Steigbügel, stehen auch viel zu weit rechts und links hinaus, als daß man nur möglicherweise einen Schluß haben könnte: denkt man sich dazu noch ein fast stets obstinates Maulthier ohne Zügel, so kann man begreifen wie man unter solchen Verhältnissen der Gnade und Ungnade des Langohrs vollkommen übergeben ist. Diese Racker haben fast durchgängig folgende drei Eigenschaften: sie laufen stets, wenn sie auch sonst kaum von der Stelle zu bringen sind, in scharfem Trab bergab (ein sehr angenehmes Gefühl auf solchem Sattel, wo man nur hinten und vorne fest anhalten und sich der Gnade seines Schutzgeistes empfehlen muß – und ich bin fest überzeugt, daß der Schutzgeist in solchen Verhältnissen ebenfalls alle Hände voll zu thun hat): zweitens halten sie sich stets im dicksten Staub des ganzen Zuges, und ohne Zügel läßt sich dagegen natürlich gar keine Aenderung treffen: und drittens bleiben sie oft urplötzlich wie in tiefen Gedanken stehen, wobei sie weder Schläge noch Stöße achten, sehen still und bedächtig vor sich nieder und nehmen, wenn man sich dessen gerade am allerwenigsten versieht, wieder einen jähen Anlauf, ihre indeß etwas vorausgekommenen Kameraden einzuholen. Die Bestie die ich ritt, wußte mich denn auch richtig unterwegs zweimal auf solche Art, und zwar sehr zum Ergötzen der mexikanischen Treiber, die bequem in ihren ordentlichen Sätteln sitzen – zu »verschütten« – da die Thiere sonst aber geduldig genug und auch nicht sehr groß sind, so hat ein solcher Fall wenig zu sagen, man muß sich nur wieder »aufsuchen« und mitlachen.

Der Weg war mir außerdem, und noch besonders mit dem Gefühl, daß ich die Minen jetzt verließ, angenehm genug, – wie hatte sich aber in den wenigen Monaten, die ich in den Bergen verlebt, die Scenerie des Landes – freilich nicht zu ihrem Vortheil – verändert! Wo früher ein einziger, den ganzen Horizont umfassender Blumenteppich gewesen war, der sich von den Gipfeln der höchsten Hügellücken bis in die tiefsten Thäler hinabzog, da zeigten sich jetzt dem ermüdenden Blick nichts als dürrer Boden oder gelb gebrannte Halme, zwischen denen die umhergestreuten weißen Quarzsteine hervorblitzten. Kein Stück Wild ist dabei zu sehen, nicht einmal Vieh weidete an den unwirthlichen Flächen (und ich wüßte auch wahrlich nicht zu welchem Zweck, es müßte es denn höchstens zu seinem Vergnügen thun), und nur hie und da sieht man einen einsamen Esel oder ein Maulthier, das trübselig von Halm zu Halm wandert und sich sein frugales Mittagsmahl auf solche Art wirklich zusammenbettelt.

Am rich gulch hinunter, wie überhaupt an den Wassern des Macalome, war aber die Gegend noch viel freundlicher, denn in den tief eingerissenen Schluchten der Berge hielt sich das Gras frischer und saftiger und die Bäume selbst mit ihren herrlichen immergrünen Wipfeln gaben der wilden Landschaft etwas ungemein freundliches. Die Ceder, oder das »Rothholz« wie sie die Amerikaner einfach genug nennen, ist mir von allen diesen der liebste Baum gewesen, und sie begleitete uns auch keineswegs mit ins Flachland, sie trennt sich nicht von ihren Bergen und Schluchten. – Neben ihr darf ich aber auch nicht vergessen der Zuckertanne ein paar freundliche Worte zum Lebewohl zu sagen, denn sie hatte uns manche Tasse Thee und Kaffee versüßt, und das verdiente jedenfalls Anerkennung.

Es ist dieselbe eben wegen dieses Zuckers, den der Stamm ausschwitzt, gewiß ein eigenthümlicher Baum, eine eigene Gattung des Nadelholzes, der ebenfalls nur in den Bergen wächst, und sich schon in seiner ganzen Form, mit den gerade aus und unregelmäßig gespreizten, oft horizontal vom Stamm abgehenden Zweigen und auffällig großen, meist von den Spitzen der Aeste herabhängenden langen Zapfen, wie durch die feineren breiten Nadeln auszeichnet. Diesen Zucker habe ich aber nie an jungen und gesunden Stämmen gefunden, sondern er bildet sich nur da, wo der Baum durch irgend einen Waldbrand unten vom Feuer versehrt ist, oder sonst anfängt morsch zu werden. An solchen schwarzgebrannten Stellen besonders dringt dann neben dem gewöhnlichen bitteren Harz der Fichte, dieser Zuckersaft heraus und verhärtet sich an der Luft, so daß er, gleicher, tropfenartiger Bildung wie das Harz, nur weißer und bröcklicher als dieses, außen am Stamme sitzt. Besonders reich habe ich aber den Zucker stets an solchen Bäumen gefunden, die unten am Stamm schon anfingen morsch zu werden; unter der dünnen Schale die man in solchem Fall gewöhnlich mit den Fingern selbst wegbrechen kann, saß dann der reine weiße mehlige Zucker oft in großen Quantitäten. Obgleich er aber roh genossen vollkommen süß schmeckt, hat er doch kaum so vielen Zuckerstoff als der aus Rohr oder Rüben gewonnene, denn zum Süßen des Thee's oder Kaffee's braucht man ziemlich viel.

Doch so ist der Mensch – sowie er eine Sache sieht, so fragt er gleich, was er von ihr auch zum »Hausgebrauch« benützen kann, und ich dachte an den Zucker, während mir die alten stattlichen Bäume zum letztenmal die dunkeln weitgespreizten Arme nachstreckten, und die kurzen zackigen Wipfel traurig im Winde schüttelten – ade, ade ihr flüsternden Schatten der Berge, ihr tiefen buschigen Schluchten, ihr wildromantischen Thäler dieses wunderlichen Landes, ade, ich seh euch nicht wieder, und luftig traben die Thiere mit uns dem stachen Lande, den baumarmen Ebenen entgegen.

Mit mir hatten noch drei andere Männer aus den Bergen, zwei Amerikaner und ein Ungar, »Passage« genommen – die beiden Amerikaner, zwei Brüder, gedachten in San Francisco zu bleiben und zu sehen, ob sie den Winter über nicht dort Geld verdienen könnten, der Ungar wollte zu Hause, und wenn sich unsere Maulthiere einmal bewegen ließen zusammen zu gehen, vertrieben wir uns die Zeit durch Erzählung unserer Erlebnisse aus den Minen.

Am Calaveres, wo wir kurze Zeit rasteten, fand ich auch den kleinen Stamm Indianer, mit denen ich mich früher manchmal unterhalten hatte, wieder, und vertheilte noch einige Kleinigkeiten, deren ich nicht mehr bedurfte, und die für sie noch immer Werth hatten, unter sie. Männer, Frauen und Kinder standen dabei um mich her und erzählten sich zu gleicher Zeit etwas in ihrer Sprache, was für sie von ungemeinem Interesse seyn mußte, denn sie winkten und gestikulirten dabei auf das Lebendigste und zeigten wie ich zu meinem Staunen bemerkte, sehr häufig auf meine rechte Tasche. Ich wußte erst gar nicht, was sie damit wollten, und griff endlich in die Tasche, zu fühlen ob etwas darin sey, was ihre Aufmerksamkeit angezogen habe, kaum brachte ich aber die Hand hinein, als sie Alle plötzlich, gerade als wenn ein Blitz zwischen sie hineingeschlagen wäre, mit Lachen und Schreien auseinander fuhren, und nicht näher zu bringen waren. Jetzt besann ich mich auch, daß ich gerade in der Tasche früher mein Brennglas getragen hatte, was die komischen Kerle wahrhaftig noch nicht vergessen konnten.

Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und mein Maulthier weigerte sich hartnäckig zurückzubleiben – es ließ mich kaum wieder aufsteigen.

Hier hörten wir übrigens eine sehr unwillkommene Botschaft: nämlich die, daß die Cholera unbarmherzig in Sacramento und San Francisco, sogar schon in Stockton wüthe und täglich viele Opfer dahinraffe. Es war ein fatales Gefühl, so aus den gesunden Bergen heraus jetzt in die von der Seuche heimgesuchten Städte zu müssen, es ließ sich aber nicht ändern, und wir setzten deßhalb, darauf noch immer vertrauend, daß solche Dinge meistens sehr übertrieben werden, ruhig unsern Weg fort.

Auffallend war indeß die Menge von Häusern und Zelten die, seit ich das letztemal hier durchgekommen, auf dem Weg nach den Minen errichtet waren. Selten mehr als in einer Meile Entfernung fand man wieder einen rancho (wie hier die Amerikaner das tituliren was sie zu Hause »Improvement« nennen würden), oder ein Schenkzelt, ja am Calaveres, wo damals nur ein ziemlich geräumiges Zelt gestanden, stand jetzt ein großes zweistöckiges Haus und an der »doppelten Quelle« (double Springs) zu gleicher Zeit Sitz der Districts court, fing sich an ein ordentlich kleiner Flecken zu bilden. Am Calaveres selbst hinunter schien das ganze Land in Besitz genommen zu seyn, denn überall glänzten aus dem herbstlichen Grün der Uferbäume die hellen Dächer neuerrichteter Blockhäuser oder das vorstechende Weiß noch primitiver Zelte heraus. Ob sich das Land übrigens, trotz der Nähe des Flusses, zum Ackerbau eignen wird, muß die Zeit lehren, die Dürre ist im Sommer fast zu groß, Vegetabilien lassen sich aber jedenfalls ziehen und die Viehzucht wird immer einen bedeutenden Erwerbszweig geben, jedes hier hineingesteckte Kapital reichlich zu verzinsen.

Montag den 4. November erreichten wir endlich gegen Abend Stockton und ich war auch hier erstaunt über das rasche Wachsen der Stadt, die sich wirklich um mehr als das Doppelte vergrößert hatte. Erst aber, als wir uns näher über die Cholera und ihr »Wüthen« erkundigt, darüber jedoch die beruhigendsten Nachrichten erhalten hatten, denn in Stockton schien die Krankheit nur einige Mexikaner ergriffen und fortgerafft zu haben – konnten wir uns dem vollen Genuß hingeben, die Stadt in dem Gefühl vollständiger Sicherheit zu durchwandern – wenn man überhaupt im Stande war, das einen Genuß zu nennen.

Die Verbesserungen derselben waren jedoch augenfällig, und schon die ganze Umgebung zeigte das – die Stadt hatte sich weit mehr ausgedehnt, und bessere Gebäude bekommen, über das breite Sumpfwasser, in dem wir auf unsrem ersten Marsch hier hinaus mit den Geschirren stecken geblieben war jetzt eine dauerhafte breite hölzerne Brücke gebaut, ja sogar kaum fünfhundert Schritt von dem Ort entfernt, stand ein stattliches, dreistöckiges Gebäude – das Stockton Theater – und Alles verrieth, daß der kleine Ort blühe und gedeihe. Der Handel besonders schien in nicht unbedeutendem Aufschwung zu seyn, und selbst an Vergnügungsorten fehlte es nicht mehr, wie eben dieß Theater und ein Circus. Auch die Spielhöllen waren brillanter angelegt worden als früher und vor allen Dingen ihre Orchester mit manchen neuen und oft wunderlich genug ausstaffirten Virtuosen vermehrt worden. Je tollere Musik aber gerade diese machten, und je toller sie dabei aussahen, desto lieber war es den Spielern, denn eben die Menschenklasse, die durch solches Spiel zu ihnen hereingelockt werden konnte, verlangte es so bunt als möglich. Daher kam es denn auch, daß gerade in jener Zeit ein Spielmann wahrhaft brillante Geschäfte machte und das Gold Unzenweis einnahm, das er sich bei uns daheim auf den Märkten dreierweis zusammen betteln mußte – jener Mann nämlich mit den vielen Instrumenten, mit einem Schellenbaum auf dem Kopf, einer Pansflöte vor dem Mund und Triangel, Zymbeln, Trommel und Gott weiß was sonst noch all für lärmmachenden Hölzern und Becken an Knien, Ellbogen und Hacken. Den umstanden die amerikanischen »Backwoodsmen« besonders, stets in dicht gedrängten Massen, jauchzten förmlich, sobald er mit allen Gliedern an zu schütteln fing, und jubelten wie die Kinder, wenn sie ein neues, bis dahin noch nicht bemerktes Instrument an ihm entdeckten. Er brachte dem Spielhaus, in dem er sich vorzüglich aufhielt, viele Kunden.

Sonst hörte ich aber, besonders was die polizeiliche oder vielmehr gesetzliche Sicherheit und Ordnung dort betraf, das schlechteste was sich nur über einen Ort sagen ließ, und zwar aus dem Mund der verschiedensten Leute. Ein gewisser Friedensrichter, Reynolds, scheint ganz ungestraft das Gesetz als eine förmliche Melkkuh betrachtet zu haben, die verpflichtet war ihn nicht allein täglich mit Milch, Butter und Käse zu versorgen, sondern in der kurzen Zeit, in der er sich ihres Besitzes erfreute, auch genug Vorrath hergeben sollte, für sein ganzes übriges Leben auszureichen. Er beging die schreiendsten Ungerechtigkeiten, erpreßte Geld auf das unverschämteste – wobei in nicht ganz bedeutenden Sachen nicht einmal eine Appellation möglich war – und trieb es endlich so weit, daß die Bewohner von Stockton das Gesetz in ihre eigenen Hände nahmen, und ihn zum Teufel jagten. Einige höchst interessante, ja fast komische Fälle – freilich nicht für die Parteien, die darunter leiden mußten, kamen dabei vor. So waren vom »Stockton Restaurant«, das ein Deutscher mit einem Elsäßer zusammenhielt, einzelne Fleischabfälle auf einem freien Platz dicht an ihrem Haus, allerdings gegen das Gesetz, hinausgeworfen und von irgend einem Constable gesehen worden, der davon Anzeige machte und der Staatsanwalt verklagte die Firma deßhalb. – Soweit schien die Sache vollkommen in Ordnung, und Herr Weber, der eine Inhaber des Geschäfts, wurde zu 25 Dollar Strafe wie in die Kosten, worunter sich ebenfalls 25 Dollar für den states attorney oder Staatsanwalt befanden, verurtheilt. Herr Weber wußte recht gut daß sich dagegen nichts machen ließ, und zahlte – bald nachher erhielt er aber noch eine Forderung des states attorney, wonach sich dieser noch einmal 25 Dollar ausbat, da das Geschäft zwei Besitzer habe, und jeder von ihnen die Summe zahlen müsse. So lächerlich diese Schlußfolge auch seyn mochte, traute Weber, der den Geschäftsgang in Stockton schon etwas kannte, doch gar nicht dem einfachen Rechte seiner Sache, und frug deßhalb einen ihm befreundeten Advokaten, der allerdings ebenfalls über die tolle Forderung lachte, ihm aber doch anrieth – sie zu bezahlen – wenn er sich nicht noch weiteren Unannehmlichkeiten aussetzen wollte. Das einzige, was er thun könnte, meinte der Advokat, sey, in der Sitzung noch einmal zum Richter selber zu gehen und ihn zu fragen, ob er verpflichtet wäre solcher unbilligen und nachträglichen Forderung zu genügen. Weber that dieß und der Richter erwiederte ihm nach kurzem Bedenken höchst salbungsvoll, daß er allerdings dazu verpflichtet sey.

»Aber Euer Gestrengen,« entgegnete ihm Weber, »wenn nun ein gleicher Fall zum Beispiel eine Aktiencompagnie von, wir wollen sagen, tausend Mitgliedern getroffen hätte, wie wir hier nur zwei Compagnons sind, würden da alle tausend ebenso verpflichtet gewesen seyn, dem States attorney Jeder seine fünfundzwanzig Dollars zu zahlen?« –

»Without the least doubt, Sir« entgegnete mit emporgezogenen Brauen und stierem Blick Judge Reynolds – und Weber, der wohl einsah, daß er nach solchem Richterspruch gegen einen Stuhl, von dem es in diesem Falle keine Appellation mehr gab, nichts würde ausrichten und höchstens noch vielleicht zehnfache Gerichtskosten bezahlen können, schickte dem Staatsanwalt die geforderten fünfundzwanzig Dollars. Wären es fünfzig gewesen, er hätte sie ebenso gut bezahlen müssen.

Der gesetzliche Zustand Californiens liegt überhaupt noch sehr im argen; in den Minen ist es nun einmal gar nicht möglich das Gesetz aufrecht zu halten. Die Amerikaner mögen in ihren Meetings noch so sehr damit prahlen, daß sie selbst in den entferntesten Gebirgen die Gerechtigkeit handhaben und schützen können, es ist nicht wahr – die einzelnen Alcalden fürchten die Haufen wüster Gesellen und Spieler, den Auswurf der Union, der stets wie ein Sack voll Nägel zusammenhält – und lassen ihr Urtheil, sie mögen dagegen sagen was sie wollen, von dieser Furcht bestechen. Die Ausländer werden unter diesen Umständen stets im Nachtheil bleiben, und mancher traurige Auftritt wird davon noch die Folge seyn.

In San Francisco mag sich dieß alles schon ein wenig mehr geregelt haben, Geld spielt aber auch dort eine sehr bedeutende Rolle, und ein armer Teufel wird schon meistens durch die enormen Kosten verhindert sein Recht zu suchen. Alle Männer die hier ein Amt bekleiden, sind nach Californien gekommen, Geld zu verdienen, nur Geld zu verdienen, und die meisten leider entschlossen das zu thun, sey es unter welcher Bedingung es wolle.

In Stockton schien sich indessen die Verbindung mit San Francisco um ein sehr bedeutendes gebessert zu haben. Früher liefen nur drei kleine Dampfer zwischen San Francisco und der Hauptstadt der südlichen Minen, während jetzt weit zahlreichere und bequem eingerichtete große Dampfboote die früheren kleinen ganz verdrängten oder auf die höhere Stromschiffahrt anwiesen. Auch der Preis ist billiger geworden, denn wo ich im Frühjahr, bei weit weniger Bequemlichkeiten und keinem Bett, 30 Dollars für die Fahrt von Stockton nach San Francisco, die in 12 bis 14 Stunden vollendet ist, zahlen mußte, fuhr ich jetzt in der Cajüte, incl. eines guten, wenigstens erträglichen Bettes, für 15 Dollars. Californien (oder, wie sich es meine Landsleute »aus dem Mittelstande« nicht nehmen lassen zu sagen: »Califonium«) hatte sich gebessert.

Mittwoch den 16. Nov. Morgens vor Tagesanbruch legten wir an einem der neuangebauten Werfte San Francisco's an, und mit Sonnenaufgang wanderte ich, mit einem Neger neben mir, der meine Sachen trug, in die Stadt hinein. Hierbei möchte ich vorher noch eine anscheinende Kleinigkeit erwähnen, die aber insofern von Wichtigkeit ist, als sie vielleicht irrige Gerüchte widerlegt. Der Neger bot sich mir selber an, meine Sachen zu tragen, etwas mißtrauisch aber gemacht gegen die hohen Preise, und noch immer die Anekdote von dem Manne im Kopf, dem ein Fremder vier Dollars bot, seinen Koffer in das nächste Hotel zu tragen, und der dem Fremden dann aus seiner eigenen Tasche vier Dollars gab mit der Bitte, es selber zu thun, frug ich den düstern Sohn Afrika's vor allen Dingen, was seine »Fahrtaxe« sey: »Quarter Dollar, Sir«, lautete seine bescheidene Antwort, und ich war damit gern einverstanden. Auf einen Vierteldollar ist also das herabgekommen, was sonst manchmal gar nicht für Geld zu erlangen war, und mancher, der in Europa früher dachte: »ei, wenn es nicht anders geht, trag' ich Koffer für vier Dollars das Stück«, möchte sich jetzt in seinen Erwartungen etwas getäuscht finden!

Als ich den Werft, der jetzt über eine halbe Meile weit in die See hinausgeht, hinab war und die Stadt betrat, mußte ich wirklich stehen bleiben und die Veränderung förmlich anstaunen, die in den wenigen Monaten San Francisco ein ganz anderes Ansehen gegeben hatte. Zelte und Holzhäuser mit schlammigen Straßen, in denen Menschen versanken und Maulthiere umkamen, hatte ich verlassen, und eine Stadt fand ich nach fünf Monaten wieder, die sich wahrlich den größeren Städten Europa's hätte anreihen können. Allerdings blieben Holzhäuser noch immer die Mehrzahl, sie waren aber schon im besseren, dem Auge gefälligeren Styl errichtet, die Zelte ganz verdrängt und eine sehr große Menge von Backsteinhäusern aufgebaut worden. Ja die eine Fronte des öffentlichen Platzes – leider freilich zugleich der Sitz des kalifornischen Lasters, der Spielhäuser – bestand aus lauter massiven mehrstöckigen Gebäuden, mit eisernen Ballonen und Fensterläden. Das aber, was der Stadt vor allen Dingen ein wohnliches, bequemes und zugleich reinlicheres Ansehen gab, waren die durchgängig gedielten Straßen, die wie durch Zauberei dem Boden entwachsen schienen. Nicht allein die Seitengänge mehr für Fußgänger, nein, die Straßen selber, in ihrer vollen Breite waren mit starken Planken belegt und an der Seite mit Rinnen versehen, so daß sie jetzt beim tollsten Regen den Einwohnern einen verhältnißmäßig trockenen und von Schmutz befreiten Weg boten. Auch hoffte man daß sie, wie Viele meinten, keineswegs die Feuersgefahr der Stadt vermehren, sondern eher dazu beitragen sollten sie zu mindern, da sie jedenfalls jetzt den Spritzen eine rasche unbehinderte Passage boten, die früher nur zu häufig im Schlamm und Morast der ungedielten Straßen stecken geblieben waren.

Mit dem größeren Gefühl der Sicherheit wenden dann auch die Kaufleute mehr auf das Ausschmücken ihrer Läden, und geben selbst dadurch den Straßen etwas Freundlicheres. Das jedoch allgemein zu machen dazu ist die Stadt, wenigstens für jetzt noch, aus zu viel verschiedenen Elementen zusammengesetzt und die einzelnen geschmackvoll aufgeputzten Verkaufslokale gehören bis dahin fast noch einzig und allein den Franzosen. In dieser Gemischtheit übrigens, denn toller sind wohl nirgends auf der weiten Welt die Nationen, ja selbst die Gebäude zusammengewürfelt als gerade hier, behält San Francisco doch immer noch einen hervorstechenden nordamerikanischen Anstrich, während das frühere Spanische derselben total untergegangen ist. Spanische Läden sieht man fast gar nicht mehr, sehr selten nur noch hie und da einmal eine spanische Überschrift – das compra oro (Goldstaub wird gekauft) ausgenommen, das von der Mehrzahl der Läden neben dem englischen gold dust bought den Fremden darauf aufmerksam macht, daß er sich nicht allein in einer Handelsstadt, sondern auch in einem Goldlande befinde.

Selbst die Chinesen, soviel es deren auch noch zerstreut in der Stadt geben mag, sind mehr als früher zurückgedrängt; zwar bildeten sie vor einiger Zeit, als San Francisco die Aufnahme Californiens in die Vereinigten Staaten in einem festlichen Aufzug und verschiedenen Zweckessen feierte, einen besondern, allerdings pittoresken Zug, mit einer Flagge voran auf der sie auch den übrigen Nationen schriftlich sagen wollten daß sie die »China boys« wären; wie sie aber ihre langen Zöpfe unter die europäischen Mützen verstecken, so verstecken sie sich selber auch meistens in den Häusern, und man bekommt sie wenig mehr zu sehen.

Bei dieser Feierlichkeit, da ich sie doch gerade erwähne, passirte übrigens ein merkwürdiger Fall – die große kalifornische Fahne nämlich, wurde von drei Männern, zufällig alle drei aus der Mission Dolores getragen. Ihre Namen waren der schon früher einmal erwähnte Hermann, ein anderer Deutscher der nur unter dem Namen Heinrich in der Mission bekannt war und dort ein halb irisches halb deutsches Wirthshaus hielt, und ein Amerikaner Laners oder Landers – diese drei feierten natürlich mit den übrigen, als die Festlichkeit vorüber war, einen fidelen Abend, gingen dann zu Haus in ihre verschiedenen Wohnungen – denn sie schliefen wirklich gerade an den drei verschiedenen Enden der Mission, und starben alle drei in derselben Nacht an der, gerade in dieser Zeit ausbrechenden Cholera.

Doch zu San Francisco zurück, so sind jetzt, nach den Amerikanern, jedenfalls Franzosen und Deutsche am meisten hervorstechend. In den Händen der Franzosen befinden sich dabei fast ausschließlich die Putzläden, Restaurationen und Conditoreien, während die deutschen Israeliten, fast ohne Ausnahme, sämmtliche Kleiderläden San Francisco's in Beschlag haben. Es ist wahrhaftig fast als ob unsere deutschen Schacherer den ganzen bekannten Küstenstrich der Welt mit ihren Kleiderhandlungen umziehen; wo ich auch jetzt noch gewesen bin, hab' ich es so gefunden – erst kommt das Meer, dann der Strand, dann ein schmaler freier Platz der Durchfahrt wegen, und dann gleich darauf eine ununterbrochene Reihe von Kleiderhandlungen mit lauter Firmas wie »Kaufmann, Levi und Comp.,« »Rosenberger und Feigenlaub,« »Herz, Löwenhaupt und Sohn,« »Meyer, Schwerin und Gutmuth« ec.

Das ist aber natürlich nur eine einzige Klasse für sich, die mit andern wenig verkehrt und auch von keiner andern aufgesucht wird. Außerdem gibt es hier noch sehr bedeutende deutsche Häuser, und unter den deutschen Kaufleuten wie Deutschen überhaupt viele liebe und wackere Leute. Ich selber bin von ihnen stets auf das Herzlichste aufgenommen und werde gewiß stets, wenn ich mich all der Beschwerden und Mühseligkeiten die ich in Kalifornien ertragen, erinnere, auch mit Vergnügen der vielen frohen Stunden gedenken die ich in ihrer Gesellschaft verlebte.

Daß aber die Deutschen in San Francisco auch fühlen wie sie in dem fremden Land etwas enger zusammenstehen und näher bekannt mit einander werden müssen, das beweist die jetzige Gründung eines »deutschen Vereins,« bei dem sich wenigstens die Mehrzahl der gebildeten Deutschen betheiligt hat. Die Idee ist für den ersten Anfang nur noch eine rein gesellschaftliche, und kann auch nicht viel mehr für ein Beginnen seyn, da die Verfolgung eines bestimmten Zweckes in San Francisco nicht allein ein bedeutendes Kapital – das wäre vielleicht anzuschaffen, nein auch volle Einigkeit unter den Deutschen erforderte, und das wird kein Mensch, der Deutsche zu Hause oder in fremden Ländern kennen gelernt hat, von ihnen verlangen.

Leider konnte ich keiner Versammlung dieses neugegründeten Vereins mit beiwohnen, da unser Schiff gerade in dieser Zeit segelte.

San Francisco ist gegenwärtig die bedeutendste Stadt und wird und muß es auch seiner ganzen Lage nach bleiben. Die nur zu häufigen Feuer sind allerdings ein ziemlich bedeutender »Drawback« wie die Amerikaner sagen, aber auch eine unvermeidliche Folge der zahlreichen Holzhäuser die noch stehen, und der wahrhaft riesigen Kosten die mit dem Bau steinerner Gebäude verknüpft sind. Aber selbst dieß Uebel muß und wird sich in der natürlichen Reihenfolge der Dinge heben, und das frühere so unbedeutende kleine Städtchen Yerba buena der bedeutendste Ort an der Westküste Amerika's, vielleicht an den Ufern des stillen Meeres werden.

Nach ihm nimmt jetzt in Alta- oder Obercalifornien Sacramento City den nächsten Platz ein, den dritten Stockton. In Sacramento wüthete gerade in dieser Zeit die Cholera ziemlich bedeutend, und auch in San Francisco nahm sie viele Opfer, keinesfalls war es aber so arg wie es uns in den Minen erzählt worden, und am schlimmsten Tag in San Francisco starben nur 42 Personen an der Seuche.

Was die kalifornische Literatur betrifft, so liegt die allerdings noch sehr im Argen, und beschränkt sich für jetzt nur einzig und allein auf Zeitungen; alles Uebrige wird mit den anderen Waaren importirt, und die Zeitungen sind eben so gut wie alles andere Speculation. Sie beschränken sich auf eine bis anderthalb Seiten starke Berichte über städtische Verhältnisse und Correspondenzen aus den Minen, und füllen ihre übrigen Spalten mit einträglichen Annoncen. Die Berichte von Ort und Stelle müssen treu seyn, weil sie zu viele überwachen, was es aber mit denen aus den Minen für eine Bewandtniß hat, kann man sich leicht denken, wenn man die Verhältnisse nur ein klein wenig kennt. Honorar ist bei den hiesigen Blättern »nicht zu fürchten«, die Editoren zahlen grundsätzlich keins, sie sagen: daß sie doch genug Berichte aus den Minen gratis eingesandt bekommen. Und das ist auch in der That der Fall, sie bekommen mehr Material als sie überhaupt verwenden wollen (denn bezahlte Annoncen sind immer noch einträglicher als selbst Gratis-Manuscripte). Was aber sind das für Berichte, und wer schreibt sie?

Es sind Mittheilungen von Leuten die persönlich dabei interessirt sind daß irgend etwas über ihren Platz in den Minen, und zwar etwas gutes das Leute dahin lockt, gesagt wird. Also entweder und meistentheils die dortigen Krämer und Schenkwirthe, denen vorzüglich daran liegen muß zahlreiche Kunden zu haben, oder auch selbst die Alcalden oder Friedensrichter, die, wenn einmal als solche gewählt, den Platz doch nicht gleich wieder verlassen können, und nun ebenfalls all ihre Kräfte aufbieten soviel als möglich Leute dorthin zu ziehen. Wer kein Interesse dabei hat, gibt sicherlich seine Zeit nicht dazu her, denn Ehre ist ungemein wenig dabei zu erwerben. Was ist aber die Folge dieses Systems? Die lügenhaftesten, gewissenlosesten Berichte werden über die Minen verbreitet, jeder kleine Fund wird auf das unverschämteste übertrieben, und eine Masse von Geschichten förmlich erfunden nur um irgend einen Ort, für den sich der Schreibende interessirt, in Aufnahme zu bringen. Ja ich weiß daß sogar »Accounts,« wie sie es nannten, an die Zeitungen in San Francisco, Stockton und Sacramento von Menschen eingeschickt wurden die mit Lastwägen Fracht hinaufbrachten, und einer von diesen sagte einmal ganz treuherzig zu mir: »wenn's die Leute nachher oben nicht so finden wie es in den Blättern steht, ei so zahlen sie uns noch einmal, daß wir ihre Sachen nur wieder fort und woanders hinschaffen.«

Aus den einheimischen Zeitungen gehen solche Erzählungen natürlich zuerst in die amerikanischen, dann in die aller andern Länder über, und die Wahrheit muß dabei natürlich zu kurz kommen.

Auch über die Vergnügungen San Francisco's möchte ich noch einige Worte sagen – es wird nicht viel Raum einnehmen, denn wenn man nicht die Spielhöllen dazu rechnet, so hatte die Stadt damals noch deren sehr wenige aufzuweisen. Alle derartigen bestehenden Plätze waren auch keineswegs aus dem Bedürfniß des Publikums dafür, hervorgegangen, sondern lauter rasch entstandene Speculationen, eben so rasch eine gewisse Summe Geldes zusammenzuwerfen – ob das Publikum dabei befriedigt oder geprellt wurde, blieb sich ziemlich gleich, so es nur den Zweck erfüllte.

Mit anderem Enthusiasmus war auch das Jenny Lind excitement aus den Vereinigten Staaten nach Californien gedrungen – schon befuhr ein kleines Dampfboot »Jenny Lind« die Bai, gleich darauf entstand ein »Jenny-Lind-Restaurant« (und das sey Gott geklagt, denn aus lauter Verehrung für die Künstlerin ließ ich mich dort einmal verleiten zu essen, und mußte für meinen Dollar noch nachher eine andere Restauration aufsuchen um mich wieder zu erholen), und natürlich auch ein »Jenny-Lind-Theater.« Das besuchte ich eines Abends – ich mußte doch einmal ein californisches Theater sehen, bezahlte mit Todesverachtung meine zwei Dollars Entree, und kam auf eine hölzerne Schulbank, in einem langen durch zwei Kronleuchter erhellten Saal zu sitzen, an dessen einem Ende vor einem rothen Vorhang das Orchester war. Rechts und links befanden sich ein paar schauerlich gemalte Figuren, von denen ich eine dunkle Ahnung habe, daß der Maler möglicherweise beabsichtigte, durch sie Apollo und die tragische Muse darzustellen, trotzdem konnte ich aber nicht genau unterscheiden, ob die Figur rechts oder die links Apollo seyn sollte. Die Beleuchtung war gut, und wie sich später auswies, viel zu gut.

Der Zettel sagte: Erstlich, der »Kaufmann von Venedig« (vier Akte), nachdem wird Madame Van Gulpen Cersinski eine Arie aus der Tochter des Regiments, Salut à la France, singen, und zum Schluß noch eine einaktige Posse: »der gespenstige Bräutigam.« Directoren des Ganzen waren ein Mr. Stark und eine Mrs. Risby, und wir sind das von Deutschland schon nicht mehr gewohnt, daß der Direktor auf seinem eigenen Zettel ausposaunt wird als »Mr. Stark – in his great character as Shylok

Das Orchester trug einige sehr hübsche Sachen geschickt vor – es bestand auch meistens aus Deutschen – und der Vorhang rollte endlich auf. Lieber Leser, ich habe noch in meinem Leben keine Theater-Recension geschrieben, und will hier in Californien nicht den Anfang damit machen, nur so viel genüge dir: daß mir zwei Akte des »Kaufmann von Venedig« vollkommen genügten, und ich das Uebrige gern im Stich ließ. O Magnus, Magnus! armer, vom Schicksal wild herumgeworfener Theaterdirector, wie oft hab' ich über dein kleines Winkeltheater in Dresden gelacht, und dort kostete der zweite Platz doch nur einen guten Groschen, und hier mußte ich zwei Dollars bezahlen – und wo hab' ich mich mehr amüsirt?

Die ganze Geschichte kam mir wie ein Puppentheater vor – eben solche Coulissen, eben solche Garderobe (die Damengarderobe ausgenommen) und ich war froh, als ich endlich wieder das Freie erreichte. An der Thüre stand ein Menschenkenner der sehen mußte was in meinem Innern vorging, denn er wollte mir keine Contremarke geben.

Mr. Stark hatte als Director wohl auch des Löwen Antheil, denn heute als Shylock, stand er für den nächsten Abend schon wieder als Hamlet auf dem Zettel.

Noch ist ein anderes Theater hier das etwas besser seyn soll, ich verzichte aber darauf, und vor dem Circus wurde ich von guten Freunden gewarnt, so daß ich also auch diesem entging.

Außer diesen kostspieligen theatralischen »Vergnügungen« gibt es. noch billigere hier, in den sogenannten Cafés chantants, die besonders von Franzosen gehalten werden. Diese Café's sind gewöhnliche Trinklokale, hinten aber mit einer Art von Bühne und einem Fortepiano versehen. Abends setzt sich nun ein hiezu besonders engagirtes unglückliches Individuum vor dieses hin und schlägt Clavier, denn es ist contractlich verpflichtet, all' den Lärmen, das Lachen und Sprechen das aus dem Saal dabei von den sich nicht im mindesten genirenden Gästen zu ihm herüberschallt, zu übertönen.

In dem Café chantant, an welchem ich mehreremale vorüberging, und in dem ich auch einigemale ein Glas schauerlichen Punch trank, trat gewöhnlich ein sehr dicker Herr in schwarzem Frack und weißen Glacéhandschuhen auf und sang mit sehr starker, volltönender Stimme ein französisches Lied, wobei ihn der Mann am Clavier begleitete. Wenigstens vermuthe ich das, denn er schlug fortwährend auf die Tasten und schien dabei mit seinen Schulterblättern sehr viel Gefühl auszudrücken; hören konnte ich aber nichts davon. Dann trat eine sehr dürre Dame auf und sang, wahrscheinlich ein komisches Lied, denn sie hatte ein Notenblatt dabei in der Hand, sah ungemein freundlich aus, machte fortwährend den Mund auf und zwei oder dreimal die Augen zu – aber ebenfalls – meiner Meinung wenigstens nach, lautlos.

Außerdem gehörte zu den Virtuosen dieses Café auch noch ein junger Mann von etwa 20 Jahren, ebenfalls in schwarzem Frack und weißen Glacéhandschuhen, und dann noch außerdem in einer sehr steifen weißen Halsbinde mit sehr langen spitzen Vatermördern, sehr weißer Weste und sehr blonden Haaren. Ich glaubte erst es solle dieß eine Art Komiker seyn, aber er diente nur, allem Anschein nach, mehr zum Zierrath, sang mit der dürren Dame den Chor zur Marseillaise, unterhielt sich mit dieser in den Pausen, und stieß, wenn er abging, die Stühle um.

In dem Café selbst saßen noch als besondere Lockvögel ein paar Französinnen, die auf allerdings nichts weniger als jungfräuliche Art mit ihren Gästen, hauptsächlich mit langen ungeschlachten Yankees, kokettirten, so daß diesen armen Teufeln zwischen den süßen Blicken und dem sauren Punch wohl und wehe ums Herz werden mußte. Das Brustbild der ältesten, lebensgroß, in etwas schwärmerischer Stellung und rosenfarbener Seide, hing – ich weiß nicht ob als Ausschmückung – über dem Schenktisch, und darunter saß, so bis zwischen 11 und 12 Uhr Abends das Conterfey, und bemühte sich mit schon schlafmüden Augen durch den dicken Tabaksdampf hindurch nach den langen Down Easters hinüber zu lächeln, um diese Unglücklichen zu noch einem zehnten Glas zu verleiten.

Die Yankees nennen diese Cafés Schangtangs, und sagen, es käme aus dem Chinesischen.

Die Hauptversammlungsplätze der Bewohner San Francisco's sind aber doch die Spielhäuser, auf die aller nur mögliche Luxus verschwendet wird. Die größten und besuchtesten liegen im Haupttheil der Stadt, am öffentlichen Platz, in der schönsten Lage, und wenn auch schon zwei oder dreimal abgebrannt, sind sie doch zu einträglich auch nur eine Stunde im Schutt liegenzubleiben, und werden so lange Unerfahrene und Leichtsinnige plündern und ihre falschspielenden Priester bereichern, bis einmal das Volk selber aufsteht und das ganze Spiel mit einem »Schachmatt« über den Haufen wirft. Für jetzt grünen und blühen sie noch, und Alles was nur durch Kunst gethan werden kann, Opfer anzulocken, ist in diesen Räumen benützt.

Die meisten und bedeutendsten davon liegen in einer Reihe an der Plaza und wurden nach dem letzten Feuer von Backsteinen brillant genug wieder aufgebaut; da aber ein jedes von ihnen ein besonderes Musikchor hält, so kann man sich denken, welches Gewirr von Tönen jene Räume durchfluthet.

Das prachtvollste von allem, im Inneren und Aeußeren ist jetzt das, vor dem Feuer noch in einem Zelt gehaltene »El Dorado.« Parterre ist der ungeheure Spielsaal mit den verschiedenartigsten Spieltischen – Monte – ein spanisches Spiel, wenigstens hier durchgängig mit spanischen Karten gespielt, was sonst aber viel Aehnlichkeit mit unserem Landsknecht hat, Pharao, vingt un, Roulet, Würfel, Häufeln, Dreikarten – kurz jede derartige Erfindung die nur bis jetzt bekannt geworden, findet hier ihren Repräsentanten. Unter diesen Sälen befinden sich dann die Kellerräume, in denen vier elegante Kegelbahnen (das Kegelspiel wird in Amerika ebenfalls fast nur als Hazard getrieben) angelegt und so besucht sind, daß sie fast den ganzen Tag über nicht leer stehen, und im ersten Stock liegen vorn heraus die Billardräume, und hinten heraus ist eine Schießbahn angelegt, wo mit Zündhütchenpistolen und Kugeln nach der Scheibe geschossen wird. Lauter wohlthätige Zwecke, den Leuten auf angenehme Art das Geld aus der Tasche zu locken.

In den feineren Spielsalons finden sich zwei verschiedene Ladentische, der eine als Schenkstand, der andere zum Confekt- und Café-, Chokolade- und Theetisch. Hinter dem ersteren stehen männliche »Barkeeper« oder Ausschenker, hinter dem zweiten stets eine junge hübsche Lady in schwarzseidenem Kleid. Die Wände sind meistens mit obscönen Bildern oder wenigstens solchen, auf welchen sich Damen in sehr starkem Negligé befinden, geziert: ein solches Hauptgemälde nimmt auch gewöhnlich die Mitte der Hauptwand ein.

Die Spieltische in diesen Sälen sind ebenfalls nicht nur von Männern, sondern manchmal auch von Frauen gehalten, die allerdings dann meistens der gemeinsten spanischen Race angehören. In ein Haus kam ich übrigens auch einmal ganz zufällig, im untern Theil der Stadt, wo eine kleine allerliebste Französin hinter einem Würfeltisch und einem recht anständigen Haufen Silbergeld saß, und frisch darauf los hazardirte, während sie mit ihrem komisch gebrochenen Englisch Dollars und Unzen auf die liebenswürdigste und unbefangenste Art von der Welt einkassirte.

Interessant war mir ein Yankee, der mit ihr würfelte und fortwährend dabei nach ihr hinüberschmachtete, ohne daß sie auch nur die geringste Notiz weiter von ihm nahm, als daß sie nach jedem Wurf mit einem »lost Sir« sein gesetztes Geld einstrich. Endlich hatte er die letzte Unze geopfert und holte seine Taschenuhr hervor – auch fort! – noch eine Uhr – zu den Uebrigen – noch eine Uhr. – Wie die Vorgänger – Noch eine – der Mann mußte alle Taschen voll Uhren haben, denn wohin er die Hand steckte, kam eine andere zum Vorschein. Die kleine Französin lachte – auch diese ging. Jetzt zog er einen Ring vom Finger –

»Combien?« lautete die lakonische Frage.

»Tres ounces,« erwiederte in Verzweiflung der Yankee. –

»Oh no, no, no,« lachte die Spielerin – »una watch – pas plus.«

Dießmal gewann der Yankee und sie schob ihm eine der Uhren, ohne sie weiter eines Blicks zu würdigen, hin, mit dem nächsten Wurf ward er aber auch diese wieder los und nachher den Ring dazu.

Ob die unerschöpflichen Taschen später noch andere Bijouterien producirt haben, weiß ich nicht, denn ich verließ das Haus.

Wenige Tage vorher, ehe ich San Francisco betrat, hatte Kalifornien, um auch in dieser Hinsicht nicht hinter dem Mutterlande zurückzubleiben, den Reigen seiner Dampfbootexplosionen auf der Bai und zwar gleich auf furchtbare Weise eröffnet.

Die zahlreichen, durch das Platzen von Dampfbootkesseln herbeigerufenen Unglücksfälle, die auf dem Mississippi etwas ängstliche Passagiere stets in einer gewissen wohlthätigen Aufregung halten, hatten bis jetzt hier noch keine Nachahmung gefunden, bis vor einigen Wochen der Sagamore, ein zwischen Stockton und San Francisco fahrendes Boot, den Anfang damit machte und zwar auf so traurige Art, daß es gleich eine große Anzahl Unglücklicher vernichtete. Wie viele, läßt sich nicht genau bestimmen, weil man auf diesen Booten gar keine Passagierlisten weiter nimmt, als das Aufzeichnen des Namens, wenn das Passagiergeld bezahlt wird; der Sagamore war aber eben erst vom Lande gestoßen und es hatten sich deßhalb vielleicht kaum zehn Personen beim Buchführer desselben gemeldet. Schauerlich sollen die zerstückten Leichname anzusehen gewesen seyn, die in der Bai schwammen und von rasch herbeistrebenden Booten mit den Verwundeten und noch Lebenden aufgelesen wurden. Noch mehrere Tage darnach fand man Theile von Körpern, die an die Werfte antrieben und der Verlust an Menschenleben muß enorm gewesen seyn.

Eine eigene Kette von Unglücksfällen reihte sich aber hierbei für einen kleinen Theil der Passagiere auf eine Weise aneinander, daß es dem Beobachter fast so vorkommen mußte, als habe das Schicksal mit diesen Unglücklichen eine Art entsetzlichen Humors getrieben, wie es die Katze etwa mit der gefangenen Maus zu treiben pflegt. Wollte der Schriftsteller einen solchen complicirten Fall von Fällen in einem Roman benützen, der Leser würde rufen: »So etwas kommt nicht vor – das ist übertrieben und wunderlicher kann es der Mensch doch nimmermehr erfinden, als es im Leben wirklich vor unseren Augen geschieht, wenn wir nur recht darauf achten wollten.

Einen Tag vorher, ehe der Sagamore in die Luft flog, hatte ein anderes Dampfboot, dessen Namen ich jetzt vergessen habe, einen der San Franciscowerfte ebenfalls mit Passagieren für die Minen verlassen. In der Bai aber schon lief dasselbe mit einem ihm begegnenden durch die Unvorsichtigkeit der Steuerleute zusammen und sank. Nur wenige Passagiere verunglückten jedoch hierbei, fast alle wurden von dem nach San Francisco bestimmten anderen Boot gerettet und dorthin zurückgebracht, wo die meisten von diesen auf dem nächstabgehenden Boot, eben dem Sagamore, auf's neue Passage nahmen. Das Unglück mit diesem habe ich schon oben erwähnt – nur sehr wenige der Passagiere kamen ganz unbeschädigt davon, die meisten waren getödtet, viele aber auch schwer verwundet und diese wurden in das am Hügel hinter der Stadt liegende Stadthospital geschafft, geheilt zu werden. Aber die Unglücklichen waren noch nicht fertig. In dem nämlichen Hospital brach gleich in der ersten Nacht Feuer aus und es brannte bis auf den Grund ab; die darin Liegenden wurden allerdings augenblicklich auf die Straße geschleppt und es sollen keine im Feuer umgekommen seyn, an den Folgen des Schrecks, wie der ganzen Aufregung und des raschen rauhen Umzugs starben aber doch mehre und für die, damals gerade am stärksten eintretende Cholera, blieb dann der Rest.

Ungemein rasch, aber ganz dem schnellen Aufwachsen des übrigen entsprechend, hatte sich in den wenigen Monaten die Zahl der Dampfboote vermehrt. Im vorigen Herbst fuhren nur erst wenige, und das zwar ganz kleine unbedeutende Dampfer, nach Sacramento, Stockton und Pueblo San José; jetzt befahren allein 28 Dampfboote die Bai, die gar nicht gerechnet, die weiter im Lande drinn bloß zur Stromschifffahrt bestimmt sind. Die prachtvollsten Dampfschiffe besorgen dabei die Paketfahrten zwischen Panama und der »Königin des Westens,« und jeden Monat fast kommen neue um Cap Horn herum, theils mit dieser Linie zu concurriren, theils wahrscheinlich zu einer noch später beabsichtigten Verbindung mit den Sandwichsinseln und China verwandt zu werden.

Was Unternehmungsgeist anbetrifft, so kommt überhaupt wohl kein Volk der Erde dem amerikanischen gleich. Ein sprechender Beweis hiefür ist in jeder Hinsicht, besonders aber in seiner Ausdehnung, San Francisco. Manche lachten, als Amerikaner schon im vorigen Jahr große Summen für Plätze bezahlten, die noch über hundert Fuß draußen in der See lägen und selbst während der Ebbe nicht trocken wurden, und jetzt stehen noch mehrere hundert Fuß selbst über diese Stellen hinaus große Gebäude und auf den daran hinlaufenden Werften liegen die größten Fahrzeuge. Solid gebaut wird nun freilich nicht, die Pfähle, auf denen die Werfte stehen, waren nicht tief genug in den weichen Boden eingeschlagen, und die langen Werfte möchten einmal bei einem recht heftigen Sturm, wenn besonders große Schiffe dagegen liegen, leicht Schaden leiden. Ebenso flüchtig sind jetzt die Straßen in San Francisco gebohlt und an hundert Stellen ist die Erde unter den Planken nur eben aufgeworfen. Bei den anhaltenden Regengüssen des dortigen Winters wird wohl manche Straße hie und da nachgeben, aber das thut auch jetzt keinen so großen Schaden mehr, das meiste davon ist doch geschehen, und wo es im vorigen Winter fast unmöglich war, durch den rasenden Schlamm der Stadt kleine Fuhren Sand an Ort und Stelle zu schaffen, können jetzt über die festen Planken hin Reparaturen, wo sie einmal nöthig werden sollten, mit leichter Mühe und wenigen Kosten ausgeführt werden.

Es ist das ein Fehler fast aller amerikanischen Arbeiten, aber sie ersetzen dafür in der Masse, was sie im Einzelnen versäumen, und wo der Deutsche z. B. über irgend ein Unternehmen Jahre lang grübeln und rechnen und theoretisch versuchen würde, ob die Sache auch ausführbar und einträglich genug sey, Arbeit und Kosten in sicherer Weise an sie zu verwenden, wirft der Amerikaner eine Masse von Dampfmaschinen dagegen und versucht es zuerst gleich in der Ausführung. Gewöhnlich geht es dann auch und geht es einmal nicht, ei, dann ist es eben nur ein Versuch gewesen und der nächste, der vielleicht glücklicher ausfällt, bringt die verlorenen Kosten des ersteren wieder mit ein.


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