Friedrich Gerstäcker
Herrn Mahlhuber's Reiseabenteuer
Friedrich Gerstäcker

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13.

Die Flucht.

Um 2 Uhr kam der Zug, bis dahin hatte er fast noch drei Stunden Zeit, und jetzt erst fiel ihm die ganze Größe der Gefahr ein, der er sich eigentlich muthwillig ausgesetzt. Muthwillig gewiß, denn was hätte ihm denn geschehen können, wenn er den jungen Leuten erklärte, er sei der Mahlhuber und so und so die Sache? War er nicht vollkommen unschuldig, und würden hundert andere ältliche Herren an seiner Stelle nicht Ebendasselbe gethan und einem jungen hübschen Mädchen, das sie darum ansprach, aus der Verlegenheit geholfen haben? Aber wenn ihn nun die Hitzköpfe nicht gehört, ihm nicht geglaubt hätten, wer konnte ihn denn in der Geschwindigkeit vor ihren Mishandlungen schützen? – Die Polizei? – Ja, mit der Polizei ist das eine eigene Sache; für den Betheiligten kommt sie in solchen Fällen immer ein kleinwenig zu spät, und straft allerdings nachher, wenn sie den Uebelthäter wirklich erreicht, bekümmert sich aber sonst meist nur sehr wenig um den Betheiligten selber, der in ihren Augen nur als corpus delicti einen Werth hat. Wegen des gegebenen und übertretenen Gesetzes wird bestraft, nicht wegen des Schadens, den der passive Theil gelitten hat, der kann gehen, wohin es ihm beliebt. Und durfte er sich überhaupt groß auf die Polizei berufen? Hatte er nicht sogar – er als königlicher Commerzienrath, mit dem Ludwigskreuz im Knopfloch – dem Gendarmen, dem officiellen Diener des Gerichts gegenüber eine wissentliche Unwahrheit unterstützt und behauptet, wo er in seiner Stellung dreifach verpflichtet gewesen wäre, das Gesetz eher zu unterstützen als zu hintergehen?

Er seufzte tief auf, und der schöne Spaziergang, von dem er sich einige Erholung für seine mishandelte Leber versprach, war ihm solcherart bös und bitter vergällt worden. – Und wenn die beiden unseligen, in den April geschickten Burschen die Schwester nicht in Koburg fanden und auf den unglücklichen Gedanken kämen, augenblicklich wieder nach Lichtenfels umzukehren? – Die Pferde liefen wie der helle Teufel, und für ein gutes Trinkgeld jagt so ein leichtsinniger Bursche von Postillon die besten Thiere aus seinem Stalle todt. Das wäre eine schöne Geschichte geworden, wenn ihn die beiden Männer jetzt noch, gerade vor der Abfahrt, erwischt hätten.

Der arme geplagte Commerzienrath lief mehr als er ging, den heißen Sonnenstrahlen zum Trotz, gen Lichtenfels, als ob er durch seine eigene Eile die Abfahrt des Bahnzugs hätte beschleunigen können. Der Schweiß rann dabei in großen Tropfen von der Stirn nieder, und die Leber mußte – dem Gefühl in der Magengegend nach – durch den übereilten Spaziergang wenigstens wieder um einen halben Zoll gewachsen sein; wie sollte das enden!

Athemlos und zum Tode erschöpft erreichte er endlich Lichtenfels und verlebte hier noch anderthalb qualvolle Stunden, ehe von Staffelstein das Zeichen heraufkam, daß der so heißersehnte Zug nahe. Sein Billet hatte er indessen durch einen der Packleute lösen und sein Gepäck bis Burgkunstadt aufgeben lassen, dadurch war er doch vielleicht im Stande die Verfolger irrezuführen, besonders wenn er in Burgkunstadt einen falschen Namen auf der Post angab. Heiliger Gott! wie viel Lügen hatte schon die einzige Unwahrheit nachgezogen, und in was für ein entsetzliches Gewebe von Falschheiten war er, der schlichte einfache Mann aus der Provinzialstadt, durch seinen bösen Stern gejagt, hineingerathen! Mußte er nicht zuletzt die Achtung vor sich selbst verlieren; nicht erröthen, wenn er das mit solcher Seligkeit erhaltene Ludwigskreuz wieder an seinen Rock knöpfte! Es war zum Verzweifeln!

Sein Blick streifte indessen unruhig von dem Bahngleis, das von Staffelstein herausführte, nach der lichtenfelser Chaussée hinüber, deren weißer Streifen scharf gegen den dunkeln Hintergrund des Waldes abstach – und dort kam ein Wagen herunter, die Pferde liefen was sie laufen konnten, und in dem Wagen – wenn die beiden Menschen darin saßen, war er verloren.

»Gehen Sie da vom Gleis herunter, mein bester Herr Commerzienrath«, sagte der Gendarm, ihm freundlich auf die Achsel klopfend, und sein Herz schlug ihm fast hörbar in der Brust, als er die Uniform erkannte, »da hinten können Sie schon den Dampf vom herankommenden Zuge erkennen.«

»Ich – ich bin Ihnen sehr dankbar«, stammelte der Commerzienrath, »nicht wahr, der Zug hält sich nur sehr kurze Zeit auf?«

»Fünf Minuten etwa –«

Fünf Minuten – der Wagen mußte indessen Lichtenfels erreicht haben.

»Das Gepäck von Ihrem Fräulein Nichte ist wol auch schon besorgt?« sagte der Gendarm wieder.

»Von meiner Nichte?« stöhnte der Gepeinigte.

»Ach, wird wol Alles in Ordnung sein«, beruhigte ihn der Schrecken der Vagabunden, »ich sah wie sie es vorhin dem Packmeister übergab.«

Der Commerzienrath wäre vor Schrecken beinahe in die Knie gesunken und durfte jetzt nicht einmal, dem Manne gegenüber, das geringste Erstaunen über die Nachricht bezeigen. Seine Nichte, das unglückselige Frauenzimmer, war wieder hier, fuhr mit ihm wahrscheinlich wieder in einem Zuge und mußte ja jeden Unbefangenen selbst in dem Verdacht bestärken, daß sie Beide nach einem gemeinschaftlichen Plane handelten. Und dazu der Wagen; das hatte noch gefehlt. Ein möglicher Ausweg zur Rettung blieb ihm aber noch; Zeit genug sein Billet umzutauschen hatte er, und in den Wagen erster Classe saßen gewöhnlich, wie er schon früher bemerkt hatte, immer nur sehr wenig Personen. Dort konnte er sich dann in eine Ecke drücken und, von Niemand gesehen, bis zu seiner Station sitzen bleiben. Den Entschluß auch sofort zur Ausführung bringend, zahlte er was er noch auf ein Billet erster Classe zu zahlen hatte, und traf eben wieder zur rechten Zeit vor dem Bahnhofgebäude ein, den Zug heranbrausen und halten zu sehen, während zu gleicher Zeit hinter der Restauration das schmetternde Horn eines Postillons erklang.

Vor den Augen flirrte und flimmerte es ihm; ohne aber den Kopf auch nur nach Irgendjemand noch umzudrehen, zog er seinen Mantel fest um sich her, griff Reisesack, Schirm und Stock auf und wandte sich an den ersten Conducteur, der vom Wagen sprang, seinen Platz erster Classe angewiesen zu bekommen.

»Bis wohin?«

»Burgkunstadt.«

»Steigen Sie nur hier ein«, rief der Mann sehr artig, »hier ist Platz genug.«

»Empfehle mich Ihnen, Herr Commerzienrath«, sagte der Gendarm, und im nächsten Augenblick saß der gequälte Mahlhuber, Todesangst im Herzen, fest in einer Ecke des vollkommen leeren Coupé gedrückt und zählte unter Zittern und Zagen die Secunden bis zur Abfahrt.

Draußen vor dem Coupé wurden jetzt Stimmen laut.

»Machen Sie rasch, meine Herrschaften«, drängte der Conducteur, »die Zeit ist schon abgelaufen und wir sind überdies sieben Minuten zu spät.«

»Hier in dem Coupé sitzen der Herr Commerzienrath«, sagte zugleich die zuvorkommende Stimme des Gendarm – und Mahlhuber's Blut stockte – sein Puls hörte auf zu schlagen.

Die Thür wurde in diesem Augenblick aufgerissen und ein junger Mann sah hinein; ein scharfer Pfiff der Locomotive ließ ihm aber keine Wahl weiter, und er sprang rasch die eisernen Tritte hinauf, drehte sich in der Thür um, um einen Reisesack in Empfang zu nehmen, und half dann einer Dame nach. Die Thür wurde zugeworfen. »Ihre Billets, meine Herrschaften«, sagte der Conducteur, und der Zug setzte sich langsam in Bewegung.



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