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Die Tertulia.

Es kam, wie Inez gedacht und der Cousine schon vorhergesagt. Der allerdings auch nur scheinbare Widerstand des Vaters wich endlich den überzeugenden Gründen seiner Gattin, und schon am nächsten Morgen befand sich Sennor Roneiro von sehr früher Stunde an auf den Füßen, um eine Menge der notwendigsten Bestellungen zu machen und Anordnungen zu treffen. Um 1 Uhr aber fuhr die Sennora mit ihrer Tochter Inez nach Chapultepec hinaus, um Ihrer Majestät der Kaiserin den gemeinschaftlichen wie persönlichen Dank für die unverhoffte und so ehrenvolle Auszeichnung darzubringen.

Welch unendliche Mühe hatte sich Pater Miranda mit der Frau gegeben und so eindringlich, so überzeugend zu ihr gesprochen, daß er sich schon fast am Ziel seiner Wünsche wußte und seinen Zweck vollständig erreicht zu haben glaubte. – Da trat der frommen und uneigennützigen Kirche die Flitterpracht des Hofes, der Glanz eines neuen Ranges gegenüber, und Pater Miranda konnte sich schon am nächsten Tage davon überzeugen, daß er allen Boden unter den Füßen verloren habe und mit seiner ganzen Arbeit wieder von vorne anfangen dürfe.

Ob die Kaiserin selber – von dem Besuch der Sennora wenigstens – besonders erbaut war, ist schwer zu sagen; sicher aber, daß Sennora Roneiro in echt mexikanischer herzlicher Weise sie, ehe sie nur ausweichen konnte, umarmte und ihr dann, ohne sich besonders unterbrechen zu lassen, erzählte, wie glücklich sie sich alle fühlten, daß der Kaiser nach Mexiko gekommen sei, und wie treu sie alle an dem Kaiserhaus hingen und für ewige Zeiten hängen würden.

Charlotte entließ auch die Damen auf das huldvollste und küßte beim Abschied Inez aus die Stirn. Inez war wirklich ein bildschönes Mädchen, und ihre edle, stolze Haltung mochte die Fürstin besonders für sie eingenommen haben.

An dem nämlichen Tage – wie es sich glücklich traf – war auch bei Roneiros Empfangsabend – eine Art von kleiner Tertulia – wozu eben nicht besonders eingeladen wurde, sondern die Freunde nur gesellig zusammenkamen, Da sich aber die Kunde, welche Gunst der Tochter des Hauses durch die Kaiserin widerfahren sei, rasch in der Stadt verbreitet hatte, so fanden sich die Gäste heute natürlich viel zahlreicher ein, als es sonst der Fall gewesen wäre, denn man benützte den Abend gleich mit zur Gratulation. Sennora Roneiro strahlte auch dabei in Glück und Seligkeit, während Inez, fast selber einer Kaiserin gleichend, das schöne, stolze Antlitz heute besonders erregt und wie von Rosenduft überhaucht, die dunklen Augen in Glück und Freude blitzend, trotzdem ein liebes Lächeln fast für jeden hatte – und doch war einer unter allen, der es all den anderen mißgönnte.

Silvestre Almeja wich fast nicht von ihrer Seite und – tat jedenfalls unrecht daran, denn er erreichte das für ihn gefährlichste – er wurde ihr nämlich lästig, und sie suchte zuletzt ihm auszuweichen.

Daß er sich schon lange um sie bemüht, wußte Inez sowohl, als es alle ihre Bekannten wußten, und Silvestre galt auch eigentlich als ihr erklärter Novio oder Anbeter – ja, manche gingen sogar so weit, zu behaupten, daß beide schon die Einwilligung ihrer Eltern zu einer in nächster Zeit stattfindenden Verbindung erhalten hätten. Inez war auch immer freundlich mit dem jungen Mann gewesen und schien sich bis vor kurzem in seiner Gesellschaft wohl zu fühlen. In neuerer Zeit erlitt die Sache aber doch eine Änderung, denn verschiedene französische Offiziere gewannen Zutritt in Roneiros Haus, und, gewandter im Umgang, wie der Sprache vollkommen mächtig, einige sogar mit hohen Titeln und ihre Brust mit Orden bedeckt, stellten sie mit ihren glänzenden Uniformen den armen Silvestre doch etwas in den Schatten. Wie auch Inez vielleicht im Herzen denken mochte, in Wirklichkeit vernachlässigte sie die wahrhaft aufopfernde Liebe ihres Getreuen, und heute besonders, wo sie die Huldigung des ganzen Kreises entgegennehmen mußte, schien es ihr rücksichtslos von Sennor Almeja, daß er verlange, sie solle sich allein ihm widmen. Sie zog sich auch deshalb fast auffallend von ihm zurück, hielt sich meist zwischen den Damen auf und unterhielt sich nur angelegentlich ein paarmal mit einem der jungen französischen Offiziere, einem Grafen Deverreux, der als Hauptmann noch bei den Chasseurs stand.

Graf Deverreux war aber auch in der Tat ein liebenswürdiger Gesellschafter, lebhaft und intelligent, dabei immer voller Rücksicht, ohne sich je aufzudrängen, und außerdem eine sowohl elegante als wirklich hübsche Erscheinung. Sein offenes Gesicht mit dem kleinen, schwarzen Schnurrbart und den großen, seelenvollen Augen bekam durch die breite Narbe, die ihm, ohne ihn zu entstellen, über die Stirn und die linke Wange herunterlief, sogar etwas höchst Interessantes, so daß er bald ein allgemeiner Liebling der Damen wurde. Und wie flott tanzte er dabei, wie vortrefflich spielte er Piano, und noch besser fast – wie die Herren eingestanden – Ecarté. Er mußte dabei sehr reich sein, – er hazardierte wenigstens häufig, ohne sich durch selbst zuweilen bedeutende Verluste nur im geringsten außer Fassung bringen zu lassen, – und das besonders hob ihn in der Achtung der Mexikaner.

Weniger liebenswürdig, soweit es allerdings das Äußere betraf, war ein Freund von ihm, ein Italiener, Signor Solfinto, der mit ihm zum Stabe des General Bazaine gehörte. Er mochte kaum älter als dreißig oder zweiunddreißig Jahre sein, aber seine Wangen zeigten schon zwei tiefe Furchen, und seine etwas dünn gewordenen schwarzen Locken sogar hier und da einige graue Haare. Aber einen besseren Gesellschafter gab es nicht auf der Welt, und mit seinem noch etwas gebrochenen Spanisch hielt sein trockener Humor, wenn er sich manchmal zwischen die jungen Damen setzte und ihnen erzählte, die ganze Schar des jungen Volkes in steter, oft zu lautem Ausbruch kommender Fröhlichkeit.

Solfinto hatte auch heute abend, als sich die junge Welt erst genügend über Inez und ihre neue, ehrenvolle Anstellung ausgesprochen, ein allgemeines Gesellschaftsspiel arrangiert, und zwar eine Kartenlotterie mit kleinen Einsätzen auf gezogene Karten, und Verauktionieren von anderen, wobei die Spieler dann noch auf ausgelegte Blätter wetten konnten. Silvestre hoffte dabei natürlich seinen Platz, wie oft schon früher, an Inez' Seite zu finden, und hatte sich seinen Stuhl dafür schon schlau gesichert. Unter den Händen aber schlüpfte sie ihm fort, indem sie, absichtlich oder zufällig, eine andere Dame in den reiferen Jahren an ihre Stelle schob. Dann glitt sie um den Tisch herum und ließ sich dort auf einem von zwei nebeneinanderstehenden freien Stühlen nieder. Daß sich der schon auf Wacht befindliche junge Graf Deverreux augenblicklich an ihrer Seite befand, ist natürlich; und ehe Silvestre Almeja nur zu einem Entschluß kommen konnte, sah er sich vollkommen von der Geliebten abgeschnitten. Und das nicht allein, – stundenlang mußte er, mit Qual und Pein im Herzen, der jungen Dame schräg gegenübersitzen und immer nur sehen, wie sie sich lächelnd mit ihrem Nachbar unterhielt, ohne für ihn auch nur einen Blick oder ein Wort zu haben.

Nicht imstande, das den ganzen Abend zu ertragen, erhob er sich endlich von seinem Sitz, warf der kalten Schönen noch einen vorwurfsvollen Blick zu, der aber total an ihr verloren ging und nur von dem lächelnden Grafen beobachtet wurde, und schritt in einer ganz verzweifelten Laune in das sogenannte Whistzimmer, wo sich die älteren Herren zu einer Partie zusammenfanden.

Um dahin zu gelangen, mußte er einen Teil der den Hof einschließenden Galerie passieren, die auch gewissermaßen das Vorzimmer bildete. Dort, auf einer breiten Kredenz aus wundervoll geschnitztem Mahagoniholz, standen sechs oder acht geschliffene Glaskaraffen mit Portwein, Xeres, Kognak, Rum, Wasser, Rotwein usw. und Gläser daneben zum beliebigen Gebrauch. Die Herren ausschließlich benutzten auch diesen Durchgang, um hier entweder ein Glas zu trinken, oder ihre Zigarette zu rauchen, wie auch miteinander über die schon wieder etwas verwickelten politischen Verhältnisse zu plaudern. Interessantes gab es auch dabei in der Tat genug, denn sowohl im Norden als im Süden befand sich die Armee noch in voller Tätigkeit, in Yucatan war sogar ein neuer Kampf ausgebrochen, in Nordamerika hatten die »Yankees« wieder eine Niederlage erlitten, und außerdem wurde der päpstliche Nuntius erwartet, dessen Sendung natürlich alle mit der größten Spannung erfüllte, da ihre eigenen Interessen innig damit zusammenhingen.

Das Kaiserreich wuchs dabei unzweifelhaft an Macht, und fast jeder Tag brachte Kunde von neuen Namen, die Juarez' Partei verlassen hatten und zu ihm übergegangen waren; aber die alten Mexikaner ließen sich trotzdem nicht dadurch zu extravaganten Hoffnungen hinreißen, denn sie kannten ihr Vaterland viel zu genau, um nicht zu wissen, daß es nur eines entscheidenden Erfolges auf der anderen Seite bedurfte, um im Handumdrehen einen Wechsel in den Gesinnungen hervorzurufen. Alles stützte sich ja hier in diesem Lande eben auf den Erfolg, der nur allein Berechtigung zu haben schien – ein wirkliches Prinzip erkannte man nicht an, und hatte es auch in der Tat nicht einmal.

Silvestre Almeja, in diesem Augenblick aber wahrlich nicht an Politik denkend, sondern nur in seinem Herzen tief verletzt, schritt langsam der Kredenz zu, an der schon einige der übrigen Gäste standen. Da berührte jemand seine Schulter, und als er den Kopf dahin wandte, erkannte er seinen Freund Mauricio Lucido.

»Ich hatte keine Ahnung, daß du hier wärest,« sagte Silvestre.

»Ich bin auch erst eben gekommen und gerade im Begriff, ein Glas Portwein zu nehmen. Trinkst du mit?«

» Como no – gewiß. Ein Glas Wein wird mir gut tun, denn mir brennt die Kehle.«

»Was hast du denn? Du stehst ja so verbissen aus. Ist irgend etwas Unangenehmes vorgefallen – etwas geschehen?«

»Ob etwas geschehen ist,« sagte Silvestre finster, »weiß ich nicht, aber daß etwas geschehen muß, wird mir mit jedem Tage klarer.«

»Und was? – Wenn ich fragen darf?«

Silvestre warf den Blick umher – die kleine Gruppe von Herren, welche bis dahin an der Kredenz gestanden, hatte sich in das Spielzimmer zurückgezogen. Jetzt flüsterte er, Mauricios Arm ergreifend:

»Daß wir dieser französischen Wirtschaft ein Ende machen, denn lange genug haben wir die auf unserem Vaterland lastende Schmach ertragen.«

Mauricio sah ihn fest an, dann sagte er lächelnd:

»Bist du eifersüchtig und wirst dadurch patriotisch? Als ich vorhin einen Blick in den Saal warf, sah ich Donna Inez neben einer französischen Uniform sitzen, und sich sehr lebhaft und freundlich mit ihr unterhalten. Ich konnte die Gesichter nicht erkennen, denn die Herrschaften drehten mir den Rücken zu, aber das Profil der jungen Dame glühte in lauter Vergnügen.«

»Die Pest über den Burschen,« knirschte Silvestre, »aber so sind sie alle. Aller Orten drängen sie sich, so wie in das Land so in einzelne Familien ein, und Fluch und Schmach folgt ihnen überall.«

»Caramba Compannero,« lachte Mauricio, während sich Silvestre eins der großen Wassergläser halb voll Xeres füllte und es auf einen hastigen Zug leerte. – »Du scheinst in etwas erregter Stimmung zu sein, und der Wein gerade wird dich nicht besonders abkühlen – aber was tun? Hätten wir die Franzosen nicht hier, so regierte jetzt der schmutzige Indianer Juarez in der Stadt, und da doch lieber einen Nachkommen Karls des Fünften, einen weißen Mann von edlem Blut, als jene Gesellschaft, in denen eigentlich nur die Neger fehlen, um ihre Blutmischung vollständig zu machen.«

»Ich weiß, daß wir von Juarez nicht viel zu hoffen haben,« sagte Silvestre finster – »gerade meine Familie haßt er auch besonders, weil wir uns damals fest zu Miramon gehalten, aber Porfeirio Diaz ist mit Roneiros eng befreundet, und durch den wäre am Ende noch ein Ausgleich möglich – wenn wir nur wenigstens dies französische Gesindel erst aus dem Lande hätten.«

»Du scheinst noch unschlüssig zwischen allen Parteien herumzuschwimmen,« lachte Mauricio, »ebenso wie in diesem Augenblick unser alter Roneiro. Inez' Hofdame – allen Respekt – auf einmal gut kaiserlich geworden, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn er nicht seine Tochter jetzt auch einem französischen Grafen – der junge Deverreux, der ihr seit einiger Zeit den Hof macht, ist ja wohl ein Graf – geben würde. Hast du übrigens die Neuigkeiten gehört? Oajaca, in dem sich Porfeirio Diaz noch mit allen Kräften hält, soll jetzt entschieden angegriffen werden, und wie man sich erzählt, will sich Bazaine selber an die Spitze stellen. Porfeirio Diaz möchte den Platz da unten bald zu warm finden.«

»Hol ihn der Teufel,« brummte Silvestre, der sich durch die vorige Anspielung Mauricios wahrlich nicht in der Stimmung befand, an irgend jemandem Anteil zu nehmen. »Weshalb hängt er auch, ein weißer Mann und echter Kreole, an dem roten Indianer und seinem Gesindel – weshalb schließt er sich nicht dem Kaiserreich an? Wären wir – alle Mexikaner – vereinigt, so wollten wir die Franzosen bald aus dem Lande hinaus haben, und selbst von den Nordamerikanern brauchten wir nachher nichts zu fürchten.«

»Und hältst du es für möglich,« lachte Mauricio, »alle Mexikaner zu einem Ziel zu vereinigen? Torheit – ebenso leicht könntest du auch aus allen Spitzbuben in Mexiko ehrliche Menschen machen. Hier selbst, im Lager des Kaisers, stehen sich die Klerikalen und Konservativen gegenüber und lassen sich von den liberalen Ministern vorderhand regieren; und oben bei Juarez im Norden bekämpfen sich die einzelnen Generale ebensogut untereinander und gehen bald zum Feinde über, bald laufen sie wieder zurück. Eine saubere Wirtschaft – und wen haben wir hier unter den treuesten Kaiserlichen? Miramon und Marquez, von denen der eine selbst gern Kaiser und der andere Präsident wäre, um seine sämtlichen Gegner hängen zu lassen und ihre Güter zu konfiszieren.«

»Miramon geht nach Europa –«

»Ja, ich weiß es; wenn aber der Kaiser alle wegschicken will, denen er nicht besonders trauen darf, so wird er einen verwünscht dürftigen Hofstaat behalten. Doch a fuera mit der Politik! Was kümmert sie unswir haben nichts damit zu tun, und wenn sie uns selbst zu Ministern oder Generalen machen wollten, würde ich doch – für mein Teil wenigstens – höflich dafür danken. Die Hauptsache ist: werden wir heute abend noch ein Spielchen arrangieren? Meinen Freund Solfinto habe ich schon da drinnen sitzen sehen, und er begnügt sich noch damit, an schüchterne Backfische aus Galanterie Medios zu verlieren – Gnade ihnen Gott aber, wenn sie ihm mit Unzen entgegentreten wollten. Dann ist er unerbittlich, und seine Galanterie augenblicklich zu Ende.«

»Hast du noch nicht genug an ihn verloren?«

»Allerdings – aber noch nicht genug von ihm zurückgewonnen; ich warte deshalb gerade auf eine passende Gelegenheit.«

»Ha,« sagte Silvestre aufhorchend, »da beginnt Musik. Es wird jedenfalls getanzt.«

»Willst du zusehen, wie der französische Graf mit deiner Novia tanzt?« lachte Mauricio.

Silvestre biß die Zähne fest zusammen, erwiderte aber kein Wort und schenkte sich nur noch einmal von dem starken Wein ein.

»Nimm dich in acht, Kamerad,« warnte ihn der Freund, »du kannst nicht viel vertragen und brauchst alle deine Sinne gerade heute abend. Denk an Inez.«

»Gerade weil ich an sie denke, muß ich trinken,« lachte der junge Mann trotzig, indem er das zweite Glas hinunterstürzte. » Caramba amigo, wir sind die Herren des Landes, wir Kreolen. Unsere Vorväter haben das Reich mit ihrem Schwerte errungen und den Kauf mit ihrem Blute besiegelt. Sollten wir uns jetzt von den Fremden Gesetze vorschreiben und in unseren eigenen Häusern beleidigen lassen? Tod und Verdammnis über sie – fort müssen sie wieder, ob wir nun die Schwarzröcke – oder den Teufel dabei zu Hilfe rufen sollten.«

»Bst! Compannero,« warnte ihn der vorsichtigere Mauricio, indem er sich nach allen Seiten umsah, »dort kommen wieder Leute. Einverstanden bin ich vielleicht mit dir, aber je weniger wir darüber reden, und je mehr wir handeln, desto besser. Hier aber in diesen Häusern, die früher der Geistlichkeit gehörten, haben die Wände Ohren, und – wenn du meinem Rat folgen willst, so trinkst du heute abend keinen Tropfen mehr.«

»Du hast recht, Mauricio,« rief der junge Mann, indem er die dunklen Locken aus seiner Stirn zurückwarf, aber fortwährend dabei nach dem anderen Zimmer horchte, »wir müssen allerdings unsere Sinne beieinander behalten. – Aber dort drüben rücken sie die Stühle. Das Spiel ist aus – die Musik beginnt im Ernst. Kommst du mit in den Saal? Dein Italiener ist drüben.«

»Der fehlt allerdings nicht,« sagte Mauricio mit zusammengezogenen Brauen, »aber er beginnt nie selber ein Spiel, sondern läßt sich immer dazu nötigen.«

»Und findet auch immer Toren, die es tun,« nickte Silvestre finster, und miteinander schritten jetzt die beiden jungen Leute in den Saal zurück. Hier fanden sie aber in der Tat die ganze Gesellschaft eben auf das eifrigste beschäftigt, den großen Tisch aus der Mitte fort und hinüber in ein anderes Zimmer zu schaffen, wie auch die zahllosen Stühle an den Wänden aufzustellen. Augenscheinlich wurde alles für einen Tanz arrangiert, und Silvestre machte sich von Mauricios Arm los. Er sah Inez an einem Ende des Zimmers mit den kleineren Geschwistern beschäftigt, während der verhaßte Franzose am anderen Ende mit einigen Kameraden plauderte, und suchte sich deshalb vor allen Dingen den ersten Tanz zu sichern, aber – er kam zu spät.

»Ich bedaure sehr, Sennor,« sagte die junge Dame – und ihr Antlitz sah dabei nicht einmal so aus, als ob sie überhaupt etwas bedaure – »aber ich glaubte, Sie hätten uns schon verlassen – Sie waren auf einmal verschwunden – ich bin engagiert.«

»Auf den ganzen Abend, Sennorita?« fragte Silvestre, und mußte sich in der Tat Mühe geben, seine Fassung zu bewahren.

Inez zögerte einen Moment mit der Antwort, dann sagte sie leise: »Nein.«

»Und darf ich Sie nachher bitten?«

»Spielen Sie nicht Whist?«

»Bin ich Ihnen so unangenehm, Inez?«

»Unangenehm? – Nein – gewiß nicht. Was macht Sie das glauben?«

»Sie sind so förmlich – so kalt.«

»Kalt?« lachte die junge Dame – »es herrscht hier eine glühende Hitze.«

Silvestre biß sich auf die Lippe. »Also Sie verweigern mir einen Tanz?« sagte er.

»Nein,« erwiderte Inez freundlich – »nachher gewiß nicht, wenn Sie es wünschen – aber wir tanzen auch Extratouren.«

»Eine Neuerung der Franzosen.«

»Es ist zu reizend – und außerdem,« setzte sie schelmisch hinzu, »können Sie ja ebenfalls davon profitieren.«

Ihr Blick traf ihn dabei wieder mit dem alten, lieben Lächeln, daß es ihm durch alle Nerven zuckte, und leidenschaftlich ergriff er ihre Hand und zog sie an seine Lippen. Aber sie ließ ihm dieselbe nicht lange, und, sich von ihm abwendend, schlüpfte sie in eine Schar junger Mädchen hinein, die sich in einer Ecke gesammelt hatten und dort miteinander lachten und plauderten.

Die Paare sammelten sich bald. Die Gesellschaft überstieg heute bedeutend die eines gewöhnlichen Rezeptionsabends; und während sich die jungen französischen Offiziere dem Tanze mit aller Leidenschaft hingaben, war Signor Solfinto, der daran wohl kein Vergnügen fand, langsam hinüber in das Spielzimmer geschlendert und beobachtete dort – wie Mauricio ganz richtig vorhergesagt – so lange die verschiedenen Whistpartien, bis er von einigen Herren wiederholt gebeten wurde, eine Bank aufzulegen. Er ließ sich dazu auch endlich bereit finden, tat aber dadurch nicht nur dem Whist, sondern auch dem Tanze Abbruch, denn alle spanischen Völker haben eine Leidenschaft für das Hazardspiel und geben sich ihm meist immer – wenn auch äußerlich kalt und ruhig – doch gewöhnlich mit der größten Leidenschaft hin.

So verging der Abend. Viele der älteren Herren und Damen hatten sich allerdings schon entfernt, und die Gesellschaft fing an sich auf einen kleinen Kreis zu beschränken. Selbst die Whisttische waren verlassen, die Lichter heruntergebrannt; nur am Montetisch, auf den Solfinto seine Bank gelegt, und wo sehr hoch gespielt wurde, standen noch etwa zehn oder zwölf Herren, und unter ihnen Mauricio Lucido. Aber wie verändert sah der Unglückliche aus – totenbleich, die Lippen fest zusammengebissen, die Augen stier und geisterhaft auf die Hände des Spielers geheftet, stand er, wie durch eine unheimliche Macht gefesselt, am grünen Tisch, und Summe nach Summe wanderte in den Besitz seines Gegners.

Silvestre hatte ihn dort gefunden und einmal auch versucht, ihn hinwegzuziehen, aber Mauricio wich und wankte nicht, und – selber den starken Wein im Kopfe und dabei erhitzt und aufgeregt – achtete er zuletzt nicht mehr auf ihn. Er eilte in den Tanzsaal zurück, aber es war zu spät geworden, und die Musik schwieg; die Gesellschaft löste sich auf. Inez hatte Abschied von den Freundinnen genommen – Deverreux stand noch vor ihr und hielt ihre Hand lange, lange an seinen Lippen. Silvestre fühlte, wie ihm das Herzblut kochte, und kaum war er imstande, sich zu mäßigen.

Noch hatte er ja keine Anrechte an das junge, schöne Mädchen – sie waren noch nicht wirklich miteinander verlobt worden – aber sahen die Eltern nicht seine Werbung, und billigten sie dieselbe nicht? Ja, Inez selber begünstigte ihn bisher vor allen anderen, und in der Stadt war die Verbindung der beiden jungen Leute schon seit längerer Zeit als eine abgemachte und vollständig entschiedene Sache betrachtet worden. Sollte er sich jetzt auf eine so schmähliche Weise, und noch dazu nur zugunsten eines der hergelaufenen und verhaßten Fremden behandeln lassen? Und selbst in der Gesellschaft war es ja nicht unbeachtet geblieben – man hatte darüber geflüstert und gelacht, und Grimm und Eifersucht drohten ihm das Herz zu zerreißen.

Aber Gewißheit wollte er haben – und zwar heute noch – gleich, denn diesen Zustand glaubte er nicht länger ertragen zu können. Daß es, kurz vor Mitternacht, wohl kaum die rechte Zeit sein möchte, um eine Erklärung zu fordern, fühlte er nicht. Der starke Wein, mit der kochenden Leidenschaft im Herzen, hatte seine Sinne verwirrt, und, anstatt den nächsten Morgen abzuwarten und sein Blut vorher abzukühlen, zog er sich, als der Rest der Gesellschaft Abschied nahm, draußen auf die Galerie zurück und war fest entschlossen, von Inez, sobald er sie nur für einen Moment allein sprechen konnte, eine feste und bestimmte Erklärung zu fordern.

Der alte Sennor Roneiro hatte indessen mit der gewöhnlichen mexikanischen Höflichkeit seine Gäste bis an die Treppe und sogar noch ein Stück hinuntergeleitet und kam eben wieder zurück, um noch einmal in das Spielzimmer zu gehen, wo noch etwa sechs oder sieben der Herren zurückgeblieben waren. Da trat einer der Diener zu ihm heran und sagte mit halb unterdrückter Stimme:

»Sennor, es ist soeben ein fremder Herr in das noch offene Haus gekommen und ohne weiteres in Ihr Zimmer gegangen.«

»Ein fremder Herr und in mein Zimmer zu dieser Zeit der Nacht?« rief Roneiro erstaunt aus, »aber caramba hombre, weshalb hast du das geduldet? Was hat ein fremder Herr in meinem Zimmer zu suchen? Wer ist es?«

» Quien sabe, Sennor,« erwiderte der Diener; »er sah aber sehr anständig aus und schien auch vollkommen bekannt hier im Hause, denn er wußte genau, wohin er sich zu wenden habe.«

»Und was sagte er?«

»Daß ich Ihnen nur melden möge, es wünsche Sie ein »alter Freund« in Ihrem eigenen Zimmer unter vier Augen zu sprechen.«

»Ein alter Freund?« wiederholte Roneiro sinnend. »Das ist ein weiter Begriff; aber wie sah er aus? War er alt oder jung?«

Der Diener zuckte mit den Achseln. »Ich weiß es nicht, Sennor,« sagte er, »er trug seine Serape um das halbe Gesicht geschlagen, während der breitrandige Hut die Stirn ebenfalls beschattete. Die Stimme kam mir allerdings bekannt vor, aber ich wäre doch nicht imstande, zu sagen, wem sie gehörte. Im Hause hier muß er aber schon gewesen sein, so viel ist gewiß.«

Der alte Herr schüttelte immer noch leise und erstaunt vor sich hin den Kopf, aber er wußte auch, daß weitere Fragen nichts bezwecken konnten. Der Fremde, wer es auch war, wollte augenscheinlich nicht im Hause gekannt sein, und in der jetzigen Zeit ließ sich das schon nach verschiedenen Richtungen hin entschuldigen – also mußte er selber vor allen Dingen sehen, wer es war, und was er von ihm wollte. Inez, die noch einer Freundin einen Rebozo zum Umhängen geborgt, denn die Nächte fingen an kühl zu werden, kam gerade an ihm vorbei, um in den Saal zurückzugehen, und er redete sie deshalb an.

»Liebes Kind, im Spielzimmer sind noch einige Gäste. Sollte irgend wer nach mir verlangen, so gehe ich nur für einen Moment in meine Stube und komme dann gleich wieder zurück.«

»Schön, Papa. Wo ist Mama eigentlich? Schon zu Bett?«

»Ich glaube ja; sie kann das lange Aufsitzen nicht vertragen und klagte vorhin über Kopfschmerzen. Es war überhaupt heute ein bewegter Tag, und ich glaube, du wirst besser tun, ebenfalls dein Zimmer zu suchen, denn es ist sehr unbestimmt, wie lange die Herren da drin noch beim Spiel sitzen bleiben – buenas noches Querida,« damit küßte er sie leicht auf die Stirn und schritt dann seinem eigenen sogenannten Arbeitszimmer zu.

Als er an der Kredenz vorüberging, sah er, wie dort ein einzelner junger Manu, den Hut auf dem Kopf und augenscheinlich zum Gehen gerüstet, stand und eben ein Glas Kognak auf einen hastigen Zug leerte. Es war Mauricio Lucido, aber wie bleich – wie totenbleich er aussah – wie glanzlos sein Auge umherstarrte. Sennor Roneiro wollte ihn anreden, aber Mauricio sah ihn gar nicht, schritt den Gang entlang und stieg dann, sich am Geländer festhaltend, die Treppe hinab.

»Unverbesserlich,« nickte Roneiro, ihm nachschauend, vor sich hin, »er läßt nun einmal das Spiel nicht, und sein Vater wird wieder eine schöne Rechnung für ihn zu bezahlen haben.« – Aber andere Gedanken gingen ihm jetzt im Kopf herum, als sich länger wie für den Moment mit dem unglücklichen Spieler zu beschäftigen. Wer konnte der Fremde in seinem Zimmer sein, und was wollte er von ihm? Die Zeit war freilich danach angetan, daß manche, die sonst gerade in dieser Stadt die höchsten Ehrenstellen bekleidet hatten, jetzt bei Nacht und Nebel und nur verstohlen die Stätte ihres früheren Glanzes betreten mußten. Aber wer von allen denen konnte gerade ihn aufgesucht haben, da er doch selber gar keine Rolle in der Politik des Landes spielte, und auch nicht den geringsten Einfluß auf die besaß, die gegenwärtig das Ruder in Händen hielten. Aber das alles mußte sich ja rasch aufklären. Wenige Sekunden später hatte er sein Zimmer erreicht, und die Tür öffnend, während eine von der Decke niederhängende Astrallampe ein helles Licht in dem nicht großen Raum verbreitete, sah er den Fremden mitten in der Stube stehen.

Er behielt aber den Hut noch auf dem Kopf und die Serape um die Schulter geschlagen, so daß sie den unteren Teil seines Gesichtes vollständig bedeckte, regte sich auch nicht, als Roneiro eintrat, und erst, als dieser, erstaunt über das wunderliche Benehmen seines späten Besuches, und hier inmitten seiner Leute keine Gefahr fürchtend, die Tür hinter sich zuzog, ließ er langsam die Serape fallen. Der Hut beschattete aber noch immer sein Gesicht, Roneiro konnte dessen Züge nicht erkennen, und wie er den Fremden ruhig einen Moment betrachtet hatte, sagte er artig, aber doch zurückhaltend:

»Und mit wem hab' ich die Ehre, wenn ich fragen darf?«

Der Fremde antwortete nicht, aber langsam nahm er den Hut ab, so daß das Licht der Lampe voll auf sein Antlitz fiel, und Sennor Roneiro rief in vollem Erstaunen, doch allem Anscheine nach viel mehr erschreckt als erfreut, aus:

» Purisima! Porfeirio Diaz! – Compadre

*

Der Saal hatte sich indessen geleert. Nur die Diener gingen herum, um einen Teil der vollkommen niedergebrannten Kerzen abzunehmen und die übrigen auszulöschen. Jetzt waren sie damit fertig und zogen sich zurück, und nur auf dem Instrumente brannten noch zwei Lampen.

Inez trat wieder in den Saal; sie mußte, da ihre Mutter schon das Lager gesucht, doch nachsehen, ob das Silbergeschirr weggetan und verschlossen sei und keine Feuersgefahr mehr durch vernachlässigte Lichter entstehen könne. Es beunruhigte sie auch, das Haus allein zu lassen, und da ihr Vater gesagt hatte, daß er gleich zurückkäme, beschloß sie, ihn lieber zu erwarten. Sie beschäftigte sich indessen damit, die an dem Abend gebrauchten Spielmarken wieder in ihre verschiedenen Kästchen zu ordnen; allerdings wußte sie, daß sich noch einzelne Herren im Spielzimmer befanden, diese aber, wenn sie das Haus verließen, passierten nicht mehr den Salon, und daß sich Silvestre noch dort aufhielt, ahnte sie natürlich nicht.

Dieser hatte indessen, Eifersucht und Leidenschaft im Herzen, und jede sonst gewiß streng beobachtete Form hintansetzend, seinen vorher gefaßten Entschluß noch nicht aufgegeben, sondern sich eher durch das lange Warten darin befestigt. Mit dem starken Wein im Kopf und fast fieberhaft schlagenden Pulsen, zwang er alle Vernunftgründe, die in ihm aufstiegen, zurück und schritt, als er die Geliebte allein in dem Saal bemerkte, direkt auf sie zu.

Inez, mit ihrer Arbeit beschäftigt, vernahm wohl die Schritte, achtete aber nicht darauf, weil sie natürlich glaubte, daß es einer der zurückgebliebenen Leute wäre. Da hörte sie leise ihren Namen nennen, und emporschreckend rief sie aus:

»Sennor Almeja? – Sie noch hier, wo alles schon die Räume verlassen hat?«

»Und setzt Sie das so sehr in Erstaunen, Sennorita?« sagte der junge Mann mit vor innerer Aufregung fast heiserer Stimme.

»Allerdings,« erwiderte die junge Dame, sich vielleicht einer Schuld gegen den bisher Begünstigten bewußt, aber doch auch in ihrem Stolz gekränkt, daß er gerade heute und zu dieser Stunde wagte, ihr zu nahen – »ich hatte keinen der Herren mehr im Salon erwartet.«

»Ich habe auch nur Sie gesucht, Inez!« fuhr dann Silvestre, sich gewaltsam fassend, fort, »und diesen Moment, wo ich Sie allein noch sprechen konnte, mit fast verzehrender Ungeduld herbeigesehnt.«

» Mich? – Allein sprechen? – Und weshalb?« sagte Inez kalt; »ich glaube doch kaum, daß diese Zeit dazu die passende ist. Kommen Sie morgen gegen Mittag, und wir können dann alles besprechen – wenn wir etwas zu besprechen haben sollten.«

»Weichen Sie mir nicht aus, Inez,« bat aber Silvestre, kaum seiner Sinne mehr mächtig, denn so kalt und stolz, so entsetzlich stolz und zurückweisend klangen ihre Worte – »ich habe den ganzen Abend mit mir gekämpft und mir alles gesagt, was mir die Vernunft sagen konnte; aber die Pein, die mir das Herz zerriß, war mächtiger als alle Gründe, die ich dagegen einwenden konnte. Sie müssen mich hören – müssen mir Rede stehen.«

» Ich muß Ihnen Rede stehen,« sagte das junge Mädchen – jedes der Worte scharf betonend, während ein verächtliches Lächeln ihre Lippen kräuselte – »wie soll ich das verstehen, Sennor, und was berechtigt Sie, so zu mir zu sprechen?«

»Verstellen Sie sich nicht, Inez,« fuhr aber Silvestre, durch den Wein zu ungewohnter Kühnheit getrieben, und diesmal fest entschlossen, sich wenigstens auszusprechen, fort – »Sie wissen recht gut, was ich Ihnen zu sagen, was ich von Ihnen zu fordern habe; denn daß Sie mich heute abend schwer gekränkt, konnte nicht unbewußt geschehen sein, und war es nicht.«

»Ich Sie gekränkt?« sagte die Sennorita, den Kopf halb zur Seite wendend – »ich wüßte nicht, womit, Sennor! Denn, soviel ich weiß, haben wir heute den ganzen Abend kaum zwanzig Worte miteinander gewechselt.«

»Inez,« rief Silvestre, fast außer sich über die herzlose, ja schneidende Antwort – »und haben Sie ganz vergessen, welches Glück Sie mich früher erwarten ließen – ja, mehr als das, was Sie mir schon fest zusicherten?«

»Ich erinnere mich nicht,« erwiderte die junge Dame kalt, »Ihnen je etwas fest zugesichert zu haben, es müßte denn vielleicht ein Tanz oder irgendein anderer gleichgültiger Gegenstand gewesen sein. Haben Sie unsere freundschaftlichen Gesinnungen gegen sich und Ihre Familie falsch ausgelegt, so ist das wahrlich nicht meine Schuld. Übrigens, Sennor, muß ich Sie wiederholt darauf aufmerksam machen, daß diese Stunde nicht passend ist, eine weitere Unterhaltung zwischen uns fortzuführen. Sie hätten Takt genug haben müssen, um das selber einzusehen.«

Silvestre faßte sich den Kopf mit beiden Händen. Er wußte kaum, ob er wache oder träume; denn wo er geglaubt hatte, daß ihm Inez beschämt oder doch ihrer Schuld bewußt gegenüberstehen werde, fand er sich kalt und fast höhnisch abgewiesen, wie in seinen heiligsten Gefühlen verletzt.

»Und dies Ihr letztes Wort, Inez?« stöhnte er endlich, »aber es kann ja nicht sein – es ist nicht möglich – Sie dürfen nicht so schlecht und wortbrüchig handeln. Ihr Vater selber wird es nicht dulden, der mich stets wie einen Sohn behandelt.«

»Desto schlimmer dann,« sagte die junge Dame, sich hoch emporrichtend, »daß Sie dessen Tochter hier und auf solche Art und, wie ich glauben muß, vom Wein erregt, zur Rede stellen. Sie werden mich entschuldigen, Sennor, wenn ich Sie allein lasse – mein Vater ist in seinem Zimmer. Haben Sie noch Wichtiges, mitten in der Nacht, zu besprechen, so muß ich Sie ersuchen, sich an ihn zu wenden« – und nun, selbst ohne weiteren Gruß, drehte sie sich um und verließ den Salon.

Silvestre stand noch einen Moment und starrte ihr nach, als ob eben ein Geist seinen Blicken entschwunden wäre. Abgewiesen – verachtet – aufgegeben, eines der verhaßten Fremden, der Eindringlinge in ihr Land, wegen. Was kümmerte es die stolze, hochmütige Dirne, daß mexikanisches Blut an dessen Händen klebte – Hofdame der Kaiserin – Braut eines fremden Grafen, der in blitzender Uniform von Gold und Orden strotzte. Und er jetzt? Der Hohn, mit dem seine Freunde und Bekannten auf ihn herabsehen würden – der Spott, dem er überall ausgesetzt blieb, und mehr noch das mitleidige Lächeln – nein, bei Gott nicht! So leicht gab er sein Anrecht nicht auf; und wenn er doch dazu gezwungen wurde, so wollte er nicht still und schweigend zurücktreten, sondern die Sennorita sollte genötigt sein, diesen plötzlichen Wechsel offen und vor der ganzen Stadt und ihrem Urteil zu vertreten. Welches Recht hatte sie, ihn zu einem Spielball ihrer Laune zu machen? – Und ihr Vater – war er einverstanden mit dem Schritt, und hatte auch ihn der Glanz und Schimmer des neuen Kaiserreichs geblendet?

»Mein Vater ist in seinem Zimmer,« hatte Inez gesagt, und mit der kochenden Leidenschaft im Herzen, vom Wein erregt, und durch den Hohn des Mädchens jetzt fast zum Wahnsinn getrieben, stürmte er, ohne sich weiter zu besinnen, ja, ohne nur zu denken, hinüber.

*

In Roneiros Zimmer standen sich die beiden Männer still gegenüber, und Roneiro selber schien vor Staunen über die unerwartete Erscheinung des Generals, der als der gefährlichste Feind der jetzigen Regierung überall gekannt war, fast sprachlos. Dieser aber, während ein leichtes Lächeln um seine Lippen zuckte, wiederholte mit ruhiger Stimme:

»Ja, Porfeirio Diaz! – Übrigens, glaube ich, wäre es besser, wenn Sie meinen Namen nicht so laut ausriefen, compadre; denn er ist hier in der Hauptstadt – wie ich fast vermute – nicht gern gehört, und Sie selber scheinen keine rechte Freude daran zu finden.«

»Und was, um Gottes willen,« rief Roneiro mit unterdrückter Stimme, »führte Sie hierher nach der Hauptstadt, in die Höhle des Löwen, oder« – setzte er, von einem plötzlichen Gedanken ergriffen, rasch und freudig hinzu – »sind Sie hergekommen, um dem Kaiser Ihre Unterwerfung anzuzeigen? – O, Gott gebe es, Gott gebe es! Sie würden damit den Frieden und das Glück des Landes bringen.«

»Bst, amigo,« sagte Porfeirio Diaz, über dessen bleiches, aber edles Antlitz ein Zug von Wehmut zuckte; »vor allen Dingen nicht so laut. In einem solchen undenkbaren Falle würde ich aber kaum nötig haben, so vorsichtig und geheimnisvoll aufzutreten, denn ich weiß recht gut, daß man mich hier mit offenen Armen empfinge.«

»Aber was hat Sie dann hergeführt, und haben Sie auch die Folgen bedacht, wenn man Sie entdeckt?«

»Allerdings, compadre,« erwiderte ernst der Offizier, »ich habe mich einmal dem Vaterlande geweiht und fürchte den Tod nicht, in welcher Gestalt er mir auch erscheinen möge. Ich bin nun einmal Republikaner und bleibe es bis in den Tod

»Und was, um der Jungfrau willen, treibt Sie da mitten zwischen Ihre Feinde, wo wir Sie alle in Oajaca und in voller Tätigkeit glaubten. Hier rüstet sich alles, um gegen Sie zu ziehen, denn Juarez ist an die äußerste Grenze des Reiches – wenn nicht schon ganz hinüber getrieben, und hat kaum mehr einen Freund, der zu ihm hält.«

»Und ist das wirklich begründet? – Ich befinde mich schon seit sechs Tagen hier in der Stadt, habe aber die widersprechendsten Nachrichten darüber gehört. Einige behaupten, daß er sogar ein neues Heer gesammelt habe und nächstens gen Süden vorbrechen werde.«

»Das sind absichtlich ausgestreute Lügen,« sagte Roneiro »seine Sache ist hoffnungslos verloren, denn alles fällt von ihm ab.«

»Nach dem, was ich hier in Ihrem eigenen Hause sehe,« sagte Diaz ruhig, aber nicht ohne Bitterkeit im Ton, »sollte ich es selber glauben, denn als ich Ihr Portal, das Haus eines der eifrigsten und wärmsten Republikaner, betrat, begegnete ich einer Anzahl französischer Offiziere, die doch jedenfalls aus Ihrer Gesellschaft kamen. Und haben auch Sie sich vollständig den Fremden zugewandt? Ist es Wahrheit, was man sich in der Stadt über Ihre neue Stellung selbst zum Hof erzählt? Sie, der sonst der klerikalen Partei so fest und entschieden entgegentrat und sich weder durch ihre Drohungen noch Versprechungen einschüchtern ließ? Was haben Sie an diesem fremden Kaiser? Glauben Sie, daß die Mexikaner einen solchen, ihnen aufgezwungenen Monarchen dulden werden, sobald sie nur erst einmal die Macht der Franzosen ermüdet oder gebrochen sehen, denn ewig kann doch Napoleon keine Armee in diesem Lande erhalten.«

»Maximilian ist ein Ehrenmann und meint es gut mit Mexiko,« sagte Roneiro.

»Ich glaube es – ja,« erwiderte Diaz ruhig – »aber in dem Falle hätte er das Land nie betreten sollen, denn er gehört nicht zu uns.«

»Und glaubt Ihr,« rief Roneiro, »daß je in einer Republik Frieden unter Euch selber bestehen, und Mord und Blutvergießen, das dies schöne Land verwüstet, seit die Spanier den ersten Fuß daraufsetzten, je ein Ende nehmen wird?«

Porfeirio Diaz seufzte tief auf. »Gott weiß es,« nickte er still vor sich hin; »es ist wahr, diese unseligen Kämpfe haben unser armes Vaterland seit langen, langen Jahren in ein Schlachtfeld verwandelt. – Aber wenn auch – nicht die Fremden sind berufen, sich da einzumischen. Es ist ein Familienzwist, den wir untereinander auszumachen haben, und wir gestehen niemandem das Recht zu – und wenn er es gut mit uns meinte – darin den Richter zu spielen. – Doch lassen Sie es sein, Bautista,« setzte er ruhiger hinzu, »nicht um mit Ihnen über Politik zu streiten, bin ich hierher gekommen. Ich glaubte in Ihnen noch den treuen Anhänger des alten Systems zu finden – sehe aber jetzt, daß ich mich geirrt. Sie haben sich, wie ein schwankend Rohr, der neuen Strömung in der Luft geneigt und sich von einer Krone blenden lassen. Ich – bin enttäuscht und muß jetzt eine andere Quelle aufsuchen, um meinen Zweck zu erreichen.«

»Ihren Zweck?« rief Roneiro, »Sie wollen Aufruhr hier in der Stadt entzünden – wollen neue Ströme Blutes in den Straßen fließen machen? O, Porfeirio, wenn Sie den Kaiser kennten –«

Er fuhr erschreckt in die Höhe, denn in dem Moment wurde die Tür aufgerissen, und eine bleiche, erregte Gestalt, die Roneiro nicht einmal gleich erkannte, stand auf der Schwelle.

Porfeirio Diaz griff unwillkürlich nach seiner ihm noch von der Schulter niederhängenden Serape, um sie wieder über das Gesicht zu ziehen, aber voll stand er dabei im Licht der Lampe, und der Eindringling rief erstaunt, ja fast erschreckt seinen Namen.

»Don Silvestre,« sagte aber jetzt auch Roneiro, ärgerlich über diese unwillkommene und rücksichtslose Störung – »darf ich fragen, was Sie zu dieser Stunde so – unerwartet – in mein Zimmer führt?«

Der junge Mann aber, von Aufregung und Wein erhitzt, seiner Sinne kaum noch mächtig, war – mit dem Staunen, den Mann plötzlich hier vor sich zu sehen, der als der gefährlichste Feind des Kaiserreichs galt – so verwirrt, daß er seine Gedanken gar nicht sammeln konnte. Vor diesem konnte er ja doch nicht sprechen, und wie er fühlte, daß er sich selber auch zu viel zugetraut und seine Kräfte ihn verließen, streckte er nur wie abwehrend die Hand vor, eilte mit raschen, unsicheren Schritten hinaus auf den Korridor, diesen entlang und die Treppe hinab, und verließ wenige Sekunden später das Haus, um seine eigene Wohnung wieder aufzusuchen.

Porfeirio Diaz hatte, solange er dort stand, keinen Blick von ihm verwandt. Jetzt warf er sich die Serape um die Schulter und griff seinen Hut auf.

»Sie wollen fort?« rief Roneiro; – »wohin noch in dieser Nacht? Schlafen Sie wenigstens hier.«

»Um in den Händen französischer Gendarmen zu erwachen, wie?« sagte Diaz bitter.

»Es war Almeja, mein künftiger Schwiegersohn.«

»In der Tat?« nickte der General; – »aber amigo, ich traue auch nicht einmal Ihrem künftigen Schwiegersohn, da hier mehr als mein eigenes Leben, da das Wohl und die Rettung des Vaterlandes von meiner Sicherheit abhängen.«

»Aber mir trauen Sie doch, compadre,« rief Roneiro.

»Nein,« sagte der General – »seit Sie sich den Fremden zugewandt, auch Ihnen nicht mehr – Sie sind für uns verloren« – und ohne Gruß, ohne nur den Blick zurückzuwerfen, verließ er das Zimmer und das noch offene Haus und schritt langsam, wie einer der Gäste, die eben aus einer Gesellschaft heimwärts gehen, die Straße hinab.


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