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Spuren der Klerikalen.

Die Hauptstadt befand sich heute gewissermaßen in Aufregung, denn ein höchst wichtiges Begebnis fand statt, das – wenn auch nur eine Familienangelegenheit, doch bedeutende Folgen nach sich ziehen konnte: nämlich die Trauung Bazaines, des Marschalls von Frankreich und Oberbefehlshabers der französischen Okkupationstruppen, mit einer jungen Mexikanerin, der Tochter einer der reichsten und angesehensten Familien des Landes. – Also gewissermaßen ein Ereignis das, da es von dem »zweiten« (und viele betrachteten ihn als den ersten) Mann des Landes ausging, eine Verschmelzung des fremden Landes selber bedeuten konnte.

Und welche Folgen konnte das haben? – Was war vorausgegangen, um den Marschall von Frankreich dahin zu bestimmen, – denn daß wirkliche Liebe dabei die Hand im Spiel gehabt, glaubten nur wenige. Sollte die Okkupation des Landes durch die Franzosen dadurch permanent erklärt werden?

Daß Bazaine hier zu bleiben gedachte, schien schon daraus hervorzugehen, daß der Kaiser seiner Gemahlin an dem heutigen Tage den Palast Buenavista – ein prachtvolles Gebäude mit großem Park, das eine ganze Quadra einnahm und etwa 100 000 Pesos an Wert haben mochte – zur Mitgift geschenkt hatte. Aber war ein Frieden im Lande möglich, solange es von den Fremden besetzt blieb, und würden sich nicht immer wieder Banden bilden, die teils für die eine, teils für die andere Seite plünderten und mordeten?

Beunruhigende Gerüchte über neue Guerilla-Schwärme waren nämlich in den letzten Tagen aufgetaucht, die kein Ende dieses Elendes absehen ließen, denn General Pastera – bis dahin ein treuer Anhänger des Expräsidenten – sollte zu den Kaiserlichen übergegangen sein und das jetzt auf eine ganz eigene Art dokumentieren. – Anstatt sich nämlich in der Hauptstadt dem Kaiser zur Verfügung zu stellen, hatte er es vorgezogen, in einer Stadt des Innern, nach mexikanischer Art, sein Pronunciamento zu erklären. Ein paar hundert Anhänger, da es nur auf einen Plünderungszug abgesehen war, fand er leicht, oder zwang auch gewaltsam, was er unterwegs fand, zu seiner Fahne zu treten, und wie er früher ein grimmer Feind der monarchistischen Partei gewesen, so trat er jetzt ebenso wild und rücksichtslos gegen die Liberalen auf.

Aus seinen früheren Zügen unter Juarez kannte er dessen treueste Anhänger genau. Deren Wohnorte und Hazienden suchte er jetzt auf, und mordete und plünderte so rücksichtslos, daß schon der Schrecken seines Namens vor ihm herzog und die Unglücklichen, wenn sie nur seinen Namen hörten, lieber ihre Besitzung im Stich ließen, ehe sie ihr Leben daran wagten, seinen Besuch zu erwarten.

So hatte er schon einen Trupp von etwa vierhundert Mann zusammengebracht, mit denen er sich der Hauptstadt näherte, und das mexikanische Ministerium bat Bazaine dringend, einen Truppenteil gegen diese Bande auszuschicken, denn sie schändeten nicht allein den Ruf des Kaiserreiches, in dessen Namen der Bube alle diese Taten verübte, sondern richteten auch unsagbares Unheil an. Bazaine aber, mit den Vorbereitungen zu seiner Hochzeit beschäftigt, widmete der Sache keine besondere Aufmerksamkeit, und Hauptmann Graf Deverreux wurde mit einem kleinen Trupp ausgeschickt, um der Bande das Handwerk zu legen. Dieser aber mußte unverrichteter Sache wieder abziehen, denn er fand sich viel zu schwach, etwas Feindliches zu unternehmen, und als er einen Parlamentär zu Pastera sandte und von diesem eine Unterredung verlangte, empfing der General den Kapitän auf das hochmütigste und erklärte ihm, er führe jetzt dem Kaiser ein ganzes Regiment tapferer Soldaten zu und werde schon selber nach Mexiko kommen.

Graf Deverreux war mit seiner geringen Truppe nicht imstande, seine Mission zu erfüllen, ja er wußte eigentlich nicht einmal recht, wie er sich einem solchen eben übergetretenen Parteichef gegenüber, der einen höheren Rang bekleidete als er selber, zu benehmen habe. Keinesfalls wollte er ohne direkte Instruktionen handeln und zog sich deshalb wieder auf Mexiko zurück. Möglich auch, daß er Bazaines Ball nicht zu versäumen wünschte, aber im Hauptquartier schien man die Sache ebenfalls nicht zu beeilen. Der Marschall hatte in diesen Tagen wirklich keine Zeit, um sich mit solchen Kleinigkeiten zu befassen, und Pastera wurde vorderhand noch sich selber überlassen.

Graf Deverreux eilte, als er seine Rapporte alle abgestattet und für sich freie Zeit hatte, natürlich, so rasch er konnte, in das Haus seiner Schwiegereltern, um seine Braut zu begrüßen, die er jetzt eine ganze Woche nicht gesehen, fand aber die Familie in der größten Aufregung und den Herrn Roneiro selber mit finster zusammengezogenen Brauen in dem hohen und luftigen Gemach auf und ab gehen. Die Sennora saß mit totenbleichen Wangen am Fenster, und Inez selber kam ihm mit tränenden Augen entgegen. Der junge Offizier erschrak; etwas Entsetzliches mußte geschehen sein, und doch konnte er es sich nicht erklären, denn noch vor wenigen Tagen hatte er die Geliebte glück- und freudestrahlend verlassen; ihr sonniges Antlitz nur von dem Gedanken der kurzen Trennung getrübt, und jetzt, da er wiederkehrte, dieser Schmerz in ihren Zügen, die Trauer der ganzen Familie.

»Aber was ist dir, Geliebte!« rief er, sie an sich ziehend und einen Kuß auf ihre Stirne drückend – »darf ein Bräutchen, nur wenige Tage vor der Hochzeit, dem Bräutigam ein solches Antlitz zeigen?«

»Der Teufel ist los, Graf Deverreux,« brach aber da der alte Sennor Roneiro in Ingrimm aus, »und weil er nicht selber kommen konnte, so hat er indessen einen Pfaffen geschickt.«

»Ihr ganzes Haus scheint in Trauer!« rief Deverreux; – als ich die Treppe heraufkam, saßen unten die Dienstboten ebenfalls und jammerten und lamentierten – was ist geschehen – darf ich es nicht wissen?«

»Sie müssen es wissen,« sagte Roneiro trocken, und Deverreux kam es vor, als ob er von dem allgemeinen Schmerz weniger ergriffen als erbost darüber wäre – »denn es geht Sie ebensoviel an wie uns. Der Padre Miranda ist unser Beichtvater, weigert sich aber, auf Labastidas Befehl, nicht allein, meine Tochter zu trauen, solange ich das ehrlich angekaufte, aber früher der Kirche gehörige Grundstück bewohne, sondern der Oberpfaff scheint auch jeden geistlichen Zuspruch in solchen Gebäuden untersagt zu haben, so daß Miranda nicht einmal einer alten, treuen Dienerin von mir, einer Indianerin, die unten schwer krank und wahrscheinlich dem Tode nahe liegt, die Sterbesakramente reichen will. Deshalb der Jammer unter den Leuten, von denen mir auch schon drei den Dienst gekündigt haben.«

»Aber mein lieber, verehrter Herr,« sagte Deverreux, »was für Sorgen machen Sie sich deshalb. Wir haben ja in der Armee Feldkaplane, und eine Trauung von denen ist gerade so gültig, als ob der Erzbischof selber –«

»Nie – nie!« rief aber die Sennora, von ihrem Stuhl emporspringend, »ich muß Frieden mit der Kirche und meinem Gott haben, und das kann ich nicht, wenn der Fluch des heiligen Vaters darauf ruht. O Bautista – was helfen uns irdische Güter, wenn unsere unsterblichen Seelen darüber zugrunde gehen. Sage dich los von den Feinden des Glaubens und gib Gott, was Gottes und dem Kaiser, was des Kaisers ist.«

»Mein liebes Kind,« rief Roneiro, der sich im vollen Unmut gegen seine Gattin drehte, »es ist das ein Kapitel, was wir schon früher behandelt haben, du kennst unsere Verhältnisse und –« Die Gegenwart Deverreux' genierte ihn; er brach kurz ab und setzte seinen Spaziergang wieder, nur mit noch rascheren Schritten, fort. Aber Sennora Roneiro war nicht gesonnen, ihn so loszulassen, und hoffte vielleicht gar in der Gegenwart des Schwiegersohnes eine Unterstützung zu finden. Mußte diesem doch besonders daran gelegen sein, jedes seiner Verbindung noch im Wege stehende Hindernis zu beseitigen.

»Du hast unrecht, Bautista,« rief sie, »doppelt unrecht, mir das vorzuwerfen, denn alle die Hindernisse, die uns damals im Wege standen, und die ich anerkennen mußte, sind jetzt beseitigt – deine Minen sind wieder frei, deine Einkünfte um das Zehnfache vermehrt worden, und es ist sündhaft, schnöden Mammons wegen unser Seelenheil – nicht in Gefahr zu bringen, nein, zu verderben. Sagen Sie selber, Graf Deverreux, ob Sie, als guter katholischer Christ, in eine Familie eintreten möchten, der die Absolution versagt, die ausgeschlossen von der Kirche ist, nur elenden Silbers wegen, das die Motten und der Rost verzehren.«

Graf Deverreux geriet in einige Verlegenheit. Persönlich lag ihm allerdings gar nicht so viel daran, daß sein künftiger Schwiegervater den »Mammon« verachten sollte, und Silber und Gold konnten auch nicht unter den Dingen verstanden sein, die möglicherweise von Motten oder Rost zu leiden hatten. Sein katholisches Christentum wurzelte außerdem nicht so tief, um sich nicht über Kleinigkeiten hinwegzusetzen. Aber sein Instinkt sagte ihm auch dabei, daß er es vor allen Dingen, wie auch die Sache ablief, nicht mit der »Schwiegermutter« verderben durfte, auf deren Seite jedenfalls Inez stand, und wie auch die Damen in Mexiko jetzt – ewig von der Geistlichkeit aufgehetzt und eingeschüchtert – über diese Verhältnisse dachten, wußte er außerdem gut genug.

»Sennora,« erwiderte er deshalb, »ich würde es gewiß für das größte Unglück halten, wenn sich Sennor Roneiro den Zorn der Kirche auflüde, aber sollte nicht mit den frommen Herren ein Abkommen zu treffen sein? Den kirchlichen Handlungen und Pflichten dürfen sie sich doch, wie ich bestimmt weiß, daß das Gesetz lautet, gar nicht entziehen.«

»Aber das nützt uns nichts mehr,« rief Roneiro, »denn durch das von Maximilian zuletzt erlassene Dekret ist die Kirche faktisch vom Staat getrennt, und dieser hat deshalb keine Macht, die Diener der Kirche zu irgend etwas in ihrem Beruf zu zwingen. Außerdem ist ein »Abkommen mit den Schwarzen« gar nicht denkbar, denn jetzt, mit dem Papst im Rücken und diesem stolzen, intrigierenden Labastida an der Spitze, kennt deren Übermut fast gar keine Grenzen mehr.«

»Der Erzbischof ist ein wackerer, frommer Herr,« rief die Sennora, »und du tust Sünde, ihm das geringste Böse nachzusagen, Bautista –«

»Ich? Böses nachsagen,« rief aber Roneiro jetzt gereizt, »ich will dir sagen, wer Labastida eigentlich ist, und wie er Erzbischof geworden, denn ich kenne seine Antecedentien genau. Durch seinen Gott weiß wie erworbenen Reichtum und seine Schmeichelei und Speichelleckerei war er bei dem früheren Prälaten Munguia gut angeschrieben, und dieser verwandte sich für ihn bei Santa Anna, daß er Bischof wurde – und Geld genug hat es ihm damals gekostet. – Die nötige Bestätigung des Papstes erschlich er sich dadurch, daß er sich den damals hier weilenden Nuntius kaufte, der Berichte nach Rom sandte, die Labastida als einen Heiligen und allbeliebten Mann hinstellten – und es kannte ihn fast niemand. Der Nuntius erhielt von Labastida für die guten Dienste, die er ihm geleistet, 400 Goldunzen und Monsennor Munguia Brillanten von ähnlichem Wert. Kaum aber hatte er seine neue Würde angetreten, als er sein Spiel, und zwar damit begann, daß er aus seinen Kirchspielen eine Masse Kirchenschmuck und Juwelen verkaufte und von dem Erlös einen Teil als »Peterspfennig« (Gott weiß, wie viele Tausende von Pesos es waren) nach Rom sandte, teils aber, um seine revolutionären Zwecke zu verfolgen, die in nichts Geringerem bestanden, als die Republik zu stürzen und in Mexiko eine Monarchie mit einem spanischen Prinzen zu gründen. Mit dem Rest aber unterstützte er Santa Anna, der sich damals in Guerrero aufhielt und gefährlich zu werden drohte. Das Geld aus den Kirchen wurde also nicht allein verwandt, um eine Revolution anzuzetteln und mexikanisches Blut fließen zu machen, nein, die Geistlichen wurden auch damit bestochen, Beichtgeheimnisse zu verraten und mißliebige Personen zu denunzieren. Aber mit Santa Anna vertrug er sich nicht lange und konspirierte wieder gegen diesen, bis er flüchten mußte – dann wurde Alvarez Präsident, dann Comonfort, und kaum trat dieser gegen den Klerus entschieden auf, als der Pfaff eine vollkommene Revolution des ganzen Klerus gegen ihn hervorrief und ihn dadurch stürzte. Dieser Miranda aber, dem du dein Seelenheil anvertraut hast, ist nichts als ein williges Werkzeug Labastidas, und erinnerst du dich noch, wie viele Tausende von Menschenleben es kostete, als gerade dieser Erzbischof sich in Puebla offen festsetzte, Soldaten warb und das ganze Land revolutionierte? Klerikale und Mönche durchzogen damals die Straßen von Puebla mit Pistolen bewaffnet und verkauften ihren Segen um Geld, und was war das Feldgeschrei dieser »frommen Diener und Knechte Gottes«? mueran los puros! (Tod den Puros!) Dreimalhunderttausend Pesos schlug er damals teils aus Puebla, teils aus anderen Kirchen zusammen. Die Klöster wurden zu Lazaretten vorbereitet, und die Mönche verkauften Kreuze mit der Inschrift: Viva la religion – muerte a los puros! Jeder aber, der sich weigerte, sie zu tragen, wurde mißhandelt.

Das alles geschah unter den Augen, ja unter dem Befehl des damaligen Bischofs, und Comonfort schickte zweimal Truppen gegen diese geistlichen Revolutionäre, die sie aber jedesmal zu sich übergewannen, bis endlich Puebla von den Truppen genommen und Labastida verbannt wurde. Von dort ging er nach Rom, und als Erzbischof Garza hier starb, brachte er es durch Geld und Intrigen wieder dahin, daß er von Rom aus dessen Rang und Posten bekam, während er zugleich bald darauf in Maximilian, als einem österreichischen Prinzen, ein gefügiges Werkzeug gefunden zu haben glaubte. Jetzt aber, wo er sieht, daß er sich in dem Kaiser geirrt, bläst er die Revolution wieder zu hellen Flammen an und unterstützt mit seinen Schätzen alle die Unzufriedenen, damit nur das Reich nie zur Ruhe kommt? Biographia de Monsennor Labastida – Maury. Mexiko. (Aus den geheimen Archiven, die vom Padre Fischer der Regierung des Juarez verkauft und später unter dem Titel: Documentos oficiales de los traidores, para servir a la historia de la intervencion im » Diario Oficial« der Republik veröffentlicht wurden. Das ist dein frommer Priester, das der Mann, dem das Heil unserer Seelen anvertraut sein soll. Caramba, mir läuft die Galle über, wenn ich dem schurkischen Pfaffen nur auf der Straße begegne.«

»Und deine Familie willst du unglücklich machen,« rief die Sennora, die nur ihr eines Ziel im Auge hatte und sich auf anderes gar nicht einließ, noch viel weniger daran dachte, dagegen zu argumentieren. – »Unten im Haus liegt die alte Candelaria im Sterben, und kein Priester darf es betreten, um ihr Trost zu bringen, und wenn dich Gott morgen heimsuchen sollte, oder mich, oder dein einziges Kind, so wird auch uns der Trost der Religion versagt, und wir sinken in ewiges, unrettbares Verderben.«

Roneiro hatte mit seiner Frau viel Geduld, und in der Weise dieser spanischen Rasse nahm er gern alles leicht und setzte sich über Unangenehmes hinweg, oder ertrug es wenigstens mit heiterer Miene. – Das hier war ihm aber doch zu viel geworden, und er sah, das schlimmste dabei, gar kein Ende. Außerdem wußte er recht gut, daß er von Deverreux keine Unterstützung hoffen durfte, da sich dieser jedenfalls auf seiten der Damen schlagen mußte, wenn er es nicht auf lange Zeit mit der Schwiegermutter verderben wollte. Es gab für ihn selber deshalb keine andere Rettung als schleunige Flucht, und, seinen Hut ergreifend, setzte er die denn auch, ohne nur noch eine Antwort zu geben, unverzüglich ins Werk. Deverreux mochte jetzt sehen, wie er mit den Frauen allein fertig wurde.

Anfangs, und noch oben an der Treppe, hatte er auch beabsichtigt, sich sein Pferd satteln zu lassen, als er aber hinunter in den Hof kam und dort die jammernde Dienerschaft fand, litt es ihn nicht länger da. Sie wollten auch schon auf ihn einstürmen, aber er wehrte sie ab, und, aus dem Haus eilend, atmete er erst wieder frei auf, als er die offene Straße betrat und dort wenigstens für kurze Zeit Ruhe fand. Wie es freilich werden sollte, wenn er wieder nach Hause kam? Denn auf der Straße konnte er doch nicht wohnen bleiben, aber » Quien sabe,« wer wußte denn, was sich bis dahin doch ereignete, und er hatte jedenfalls eine Frist gewonnen.

Langsam, die Hände auf dem Rücken, schlenderte er die Straße hinab, den Weg nach der Alameda einschlagend, und passierte eben eine der dort liegenden Buchhandlungen, als jemand da heraus an das Fenster klopfte und er, sich umsehend, seinen alten Freund Bastiani erkannte.

» Adonde amigo?« rief ihn dieser an, als er die Tür geöffnet hatte und seinen Arm nahm, »Caramba Don Bautista, Sie schneiden ja ein verzweifeltes Gesicht. Doch nichts Unangenehmes zu Hause vorgefallen?«

»Bastiani,« rief Roneiro, den Arm, den er in dem seinen hielt, drückend, »ich wüßte nicht, wem auf der weiten Welt ich jetzt lieber begegnet wäre als Ihnen – Sie sollen mir Ihren Rat geben.«

»Und worin?« fragte Bastiani, indem er ihn mit einem drolligen Blick von der Seite ansah – »brauchen Sie einen Arzt oder einen Advokaten?«

»Ich fürchte, meine Frau braucht nächstens einen Arzt,« sagte Roneiro finster, »denn halb wahnsinnig ist sie schon jetzt.«

»Also ein häusliches Donnerwetter; wohin gehen Sie jetzt?«

»Nirgends bestimmt – nur von zu Hause wollte ich fort.«

» Bueno, dann schlendern wir zusammen nach der Alameda, und dort sind wir ungestört. Aber was ist vorgefallen?«

»Die Pfaffen –«

»Ahem – sie rühren und entwickeln eine außerordentliche Tätigkeit – sie müssen umfassende und bestimmte Befehle von oben erhalten haben, denn sie sind allerorten geschäftig.«

»Daß sie der Böse von der Erde fege!« rief Roneiro mit zusammengebissenen Zähnen.

»Und was ist geschehen?«

»Es hat lange gedroht,« sagte Roneiro, »und ich wußte, daß es bei der ersten passenden Gelegenheit zum Ausbruch kommen würde; aber die Unverschämtheit, mit der sie es jetzt treiben, ist zu bodenlos. Sie weigern sich, meine Tochter zu trauen und einer alten Indianerin im Hause, die sterbenskrank ist, die heiligen Sakramente zu reichen. Ist es denn gar nicht möglich, sie gerichtlich dazu zu zwingen?«

»Ich weiß es nicht,« sagte Bastiani, »und bezweifle es auch – jedenfalls wäre aber, bis der Prozeß entschieden würde, die alte Frau tot und Inez eine alte Jungfer. Wissen Sie übrigens, daß sie dasselbe Spiel vor acht Tagen bei mir gespielt haben?«

»In der Tat! Und wie endete das?«

»Wir wollten meinen jüngsten Enkel taufen lassen – die Hazienda hat ja aber ebenfalls früher der Kirche gehört, und die Frauen bei mir waren rein außer sich.«

»Und was taten Sie, um den Padre zur Zustimmung zu bewegen?«

»Ich versprach ihm die Rückerstattung des ganzen Grundes, der früher der Kirche gehört hatte.«

»Caramba, das ist ein Vermögen – ich habe Sie nicht für so reich gehalten.«

»Bin ich auch nicht,« lachte Bastiani, »und könnte und möchte die Hazienda wahrlich nicht entbehren.«

»Aber wenn Sie die Rückerstattung versprochen haben?«

» Pero amigo,« lachte Bastiani, »dem jetzigen Gesetz nach, oder dem, was Juarez gegeben und was noch vollkommen zu Kraft besteht, kann die Geistlichkeit ja gar keine Liegenschaften zu eigen haben, und rechnet deshalb bei einer solchen Rückerstattung nur allein auf eine Umwandlung des Gesetzes, wo ihr nachher die schon wirklich verkauften Grundstücke die meisten Schwierigkeiten machen würden. Alles aber, was sie von denen jetzt in die Hände bekommen könnten, wäre gewonnen, und deshalb auch nur der Eifer, mit dem sie dahinter her sind.«

»Und haben sie Aussicht?«

»Gar keine. Sie rechnen auf einen Donnerschlag aus Rom, der aber jedenfalls ausbleiben wird, da der heilige Vater schon mit Juarez nichts ausgerichtet hat und sich zweimal besinnen muß, ehe er sich zweimal blamiert.«

»Aber was nützt das Ihnen, wenn Sie Ihr Besitztum erst einmal versprochen haben?«

»Und was schadet es mir?« fragte Bastiani, und um seine Lippen zuckte ein Zug sarkastischer Schelmerei – »können Sie mich auf das Versprechen verklagen oder etwa zwingen, die Hazienda auszuliefern?«

»Also beabsichtigen Sie gar nicht das Versprechen zu halten?«

»Ich denke gar nicht daran,« sagte Bastiani ernst, »wenn sich die Pfaffen nicht schämen, in einer so grundgemeinen und nichtswürdigen Weise aufzutreten und das Heiligste, was der Mensch haben sollte – seinen Glauben – nur dazu zu mißbrauchen, um Geld und Gut aus ihm herauszulocken, dann brauche ich mir wahrlich kein Gewissen daraus zu machen, ihnen für ihre salbungsvollen Lügen eine andere zurückzuzahlen. Der Pfaffe hat jetzt mein Enkelchen getauft, die Frauen waren beruhigt, und wenn er morgen kommt und den Schein holen will, so sag' ich ihm, er solle sich nur an die Gerichte wenden, um dort den Kaufbrief aufzusetzen und zu beglaubigen – nachher wollte ich ihm die Hazienda übergeben.«

»Und wenn er es tut?«

»Bah, welches Gericht in Mexiko hat denn das Recht, nach den nun einmal bestehenden Gesetzen der Kirche wieder Grundeigentum zuzusprechen? Kein einziges, und wollte er es sich auf einen fremden Namen eintragen, so laß ich mich natürlich darauf gar nicht ein. Das Kind ist getauft, und bis wieder etwas vorfällt, wo wir ihn im Haus brauchen sollten – und die Zeit liegt hoffentlich noch fern, eil da kann sich manches geändert, und die Klerikalen müssen jedenfalls eingesehen haben, daß ihnen der Boden in Mexiko unter den Füßen weggezogen ist.«

»Hm – und Sie meinen, Padre Miranda ließe sich darauf ein?«

»Miranda ist allerdings ein Fuchs, aber er kann nicht mehr verlangen, als daß Sie versprechen, Ihren Besitztitel an die Kirche wieder aufzugeben. Dann säumen Sie aber auch nicht lange mit der Hochzeit und lassen zugleich die alte Indianerin abfertigen. Ist das einmal geschehen, so machen Sie's nachher genau so wie ich –«

»Aber meine Frau –«

»Bah, die Weiber lamentieren, wenn ihnen das Feuer auf den Nägeln brennt, und ist das vorüber, so beruhigen sie sich ebenfalls wieder.«

»Und wie fange ich es am besten an?«

»Gehen Sie direkt zu Miranda und setzen Sie die Hochzeit dann gleich auf morgen an –«

»Das ist nicht möglich.«

»Nun denn übermorgen, denn lange Luft dürfen Sie ihm nicht lassen, und bestehen Sie dabei darauf, daß er gleich und unmittelbar mit Ihnen nach Hause geht und der Indianerin die letzte Ölung reicht – viele Umstände machen sie bei einer so armen Person ja doch nicht. Dadurch bekommen Sie Ihre Frauen gleich beruhigt, und das andere reguliert sich dann sehr leicht.«

»Aber er wird mich drängen, zu unterschreiben.«

»Setzen Sie die Stunde der Trauung fest mit ihm an, und dann verreisen Sie ein paar Tage, und kurz vor der Trauung erklären Sie nachher, wie ich es getan habe, daß der Kaufbrief vorher gerichtlich bestätigt werden müsse – auf keinen Fall geben Sie aber Ihr Haus wieder heraus.«

»Und glauben Sie, daß ich Miranda jetzt zu Hause finde?«

»Versuchen wir es – ich begleite Sie bis an seine Wohnung,« und kurz umbiegend schritten die beiden Sennores die Straße, die sie eben gekommen waren, wieder zurück.

*

In der Calle de la Perpetua, an der oberen Ecke, lag eine der besuchtesten Pulquerien Mexikos, und der Wirt, ein Altspanier, aber ein schlauer und durchtriebener Gesell, der schon seit über dreißig Jahren in Mexiko lebte und seit den letzten zehn sich in der Hauptstadt selber niedergelassen, hatte in der Tat alles getan, um den Platz so verlockend als nur irgend möglich zu machen.

Die Mexikaner, besonders die unteren Klassen, lieben nun einmal bunte Bilder und Gemälde. So wirklich große Ansprüche sie aber an modellierte Sachen machen, und in der Verfertigung derselben wahre Künstler sind, so bescheiden zeigen sie sich in ihren Anforderungen an Malereien, und durch ihre Heiligenbilder sind sie darin auch nicht besonders verwöhnt.

Eine Pulqueria aber, besonders mit unbemalten Wänden, würden sie nur schwer und im äußersten Notfälle besuchen, und Don Hernando, wie der Schenkwirt hieß, oder wenigstens von seinen Gästen genannt wurde, hatte nicht versäumt, diesem Geschmack Rechnung zu tragen.

Beiläufig bemerken muß ich aber hier, daß Don Hernando mit seinem Zunamen sogar noch Staat machte, denn er hieß – seiner Aussage nach – nicht allein Don Hernando, sondern auch Don Hernando Cortez und behauptete, in gerader Linie von dem großen Eroberer abzustammen. So geht es aber immer – großen Männern fehlt es nie an Verwandten, und in Mexiko leben zahllose Menschen, die sich dieser Auszeichnungen rühmen, die aber alle nicht damit prahlen würden, wenn ihr angeblicher Vorahn, was er seiner Menschenschlächterei und Golddiebstähle wegen tausendmal verdient hätte, gleich an Ort und Stelle gehangen worden wäre.

Doch um wieder auf die Pulqueria selber zurückzukommen, so bestand dieselbe aus einem kleinen Zimmer, dem Entree, in dem auch eine Art von Schenkstand aufgestellt war, und einem daranstoßenden größeren Gemach, in dem, wie fast in einer europäischen Wirtschaft, Tische und Stühle standen, und wo sich die Gäste eigentlich dem Genuß der Pulque hingaben.

Wunderbar geschmückt waren übrigens die Wände, denn auf dem einfach geweißten Untergrund zeigten sie ein wahres Gewirr der buntscheckigsten und schauderhaftesten Malereien, wie man sie bei uns nur auf den Mordgeschichtenbildern findet, während die Figuren hierin etwa vier Fuß Höhe ausgeführt standen.

Gleich vorn, daß sie von den Vorübergehenden leicht gesehen werden konnte, hatte der Spanier, mit großer Selbstverleugnung und nur seinem eigenen Interesse dabei folgend, eine Szene aus dem Befreiungskriege anbringen lassen, wo Indianer oder überhaupt farbige Menschen – aber alle in mexikanischer Tracht – die Spanier mit ihren kurzen Mänteln und Helmen vor sich herjagten. Besonders hervorragend zeigte sich dabei die einzelne Figur eines Indianers, der einem fliehenden Spanier die Lanze so weit durch den ganzen Körper gestoßen hatte, daß sie vorn, vollkommen rot gefärbt, wenigstens drei Fuß lang wieder heraussah, was aber den Gespießten nicht im geringsten zu hindern schien, noch aus vollen Kräften weiterzulaufen.

Rechts davon war – eigentlich nicht ganz passend – eine Szene aus der Mythologie der alten Griechen angebracht, und allem Anschein nach sollte es den Moment vorstellen, wo Jupiter die Europa als Stier entführt ein sehr wenig bekleidete Dame saß wenigstens nach Art der Mexikanerinnen, und wie die Männer ebenfalls reiten, auf einem Ochsen, der aber nicht frei lief, sondern den ein ehrwürdiger, aber sonst vollkommen nackter Greis mit einer dreizackigen Harpune in der Hand an einem Strick führte und in das Wasser hineinzog.

Gegenüber dagegen, an der linken Wand, mit einem kleinen Gefäß für Weihwasser darunter angebracht, unter dem wieder eine Lithographie der heiligen Jungfrau von Guadelupe klebte, war eine Szene aus der biblischen Geschichte dargestellt, und zwar jene, wo Christus mit der Mutter Maria auf einem Esel reitend und von Joseph begleitet, seinen Feinden entflieht. Alle diese südamerikanischen Völker haben aber eine solche Vorliebe für Johannes den Täufer, daß er fast auf keinem Bilde fehlen darf, und so ging denn auch hier der Knabe Johannes mit seinem kleinen Kreuzchen hinterdrein.

Das war aber nur gewissermaßen das Entree, und die Hauptkunst schien auf das eigentliche Pulque-Zimmer verwandt zu sein. Das Zentrum der ganzen Szenerie bildete hier, und zwar die Hälfte der einen Wand einnehmend, ein Gegenstand, der viel zu interessant für alle Mexikaner war, um nicht die Aufmerksamkeit jedes neu Eintretenden gleich zu fesseln, und zwar stellte das Bild die Beraubung einer Diligence, aber mit so vielen kleinen Einzelheiten dar, daß man sich des Gedankens nicht erwehren konnte, der Maler müsse selber ein oder eist paar Mal dabei gewesen sein – und seine Kunst hätte ihm dabei sicherlich nicht im Weg gestanden.

Rechts daneben befand sich das friedliche Bild eines Pulquesammlers, wie er sich, mit dem Schlauch auf dem Rücken, gerade zwischen die Blätter der Magehpflanze hineinzwängt, links aber hatte der mexikanische Maler, wahrscheinlich zum Amüsement seiner Gäste, die französischen Moden charakterisieren wollen, denn einige Damen in höchst auffallender Kleidung gingen dort mit Herren, die sämtlich gelbe Hosen und blaue Fracks, wie auch sehr spitze Hüte trugen, spazieren, und zogen endlose Schleppen hinter sich her.

Dazwischen zeigten sich noch Figuren aus der heiligen Geschichte, mexikanische und französische Soldaten und vielerlei anderes bunt zusammengeworfen, und wo sich dabei irgendwo eine mexikanische Fahne anbringen ließ, hatte es der Maler gewissenhaft benutzt.

Der Raum selber war, wie gesagt, auf das einfachste möbliert und enthielt nur Bänke und Tische aus Kiefernholz und braun angestrichen, charakteristisch nur sah der Hintergrund aus, wo auf ein paar alten Rumfässern etwa ein halbes Dutzend mit Pulque gefüllte Ziegenschläuche lagen, um dem Bedarf der Trinker zu genügen, und an anderen Abenden wurden diese auch rasch genug verbraucht. Heute schien aber das Gastzimmer ziemlich leer, und das erklärte sich daher, daß fast alle die sonstigen Gäste ausgezogen waren, um sich, wenn auch nur von außen, Bazaines Hochzeitsfeier zu betrachten. Etwas später trafen sie aber desto sicherer wieder ein, denn Stammgäste gibt es in beiden Hemisphären.

Zehn oder zwölf Männer saßen nur in dem Raum zerstreut und an den verschiedenen Tischen; sie schienen einander fremd und waren auch wohl meist unregelmäßige Gäste, die, wenn sie gerade Durst haben, in die erste beste Pulqueria eintreten. Nur an dem einen Tisch hatten sich drei von ihnen zusammengefunden und plauderten, die großen Gläser mit Pulque vor sich (die etwa so aussah wie durch Wasser verdünnte Milch), in halblauter Stimme miteinander.

Draußen in das Entreezimmer trat ein Mexikaner, die bunte Serape um die Schulter geschlagen, und blieb vor dem kleinen Schenkstand stehen, wo ihm Don Hernando auf sein Verlangen ein Glas des in Lande gebrannten Rums vorsetzte. Der Mann, der die großen Sporen noch an den Füßen trug, schien erst vom Pferd gestiegen zu sein, und lehnte sich eine Weile mit dem Ellbogen auf den Schenkstand, dann trank er sein Glas auf einen Zug aus, zahlte und wollte schon wieder das Lokal verlassen, als es ihm einfiel, noch einen Blick in den anderen Raum zu werfen, ob er dort nicht vielleicht Bekannte träfe.

»Caracho! Jablonsky!« rief ihm aber von dort schon eine Stimme entgegen, wie er nur seine Gestalt in der Tür zeigte, » entra hombre, entra – ven aqui. – Wie geht's, alter Junge? Wir haben uns ja seit einer Ewigkeit nicht gesehen.«

»Hallo Geronimo – bist du das? Caballeros – buenas tardes« – und mit einer höflichen Verbeugung gegen die übrigen, die nie von einem Mexikaner außer acht gelassen wird, nahm er an dem Tische Platz.«

»Und woher kommst du, amigo

»Aus dem Innern,« erwiderte der neu Eingetretene.

»Aus dem Innern? – Von ihm

Jablonsky schüttelte lachend mit dem Kopfe. »Nein,« sagte er, »der Alte hat seine Rolle vorläufig ausgespielt, und ich denke gar nicht daran, mich im Land fortwährend hin und her hetzen zu lassen, nur um eine hoffnungslose Sache zu verteidigen. Ich bin mit Leutnantsrang in das Regiment eines alten Freundes getreten und muß in diesen Tagen meine Uniform bekommen.«

»Caracho!« lachte Geronimo, »Leutnant Jablonsky – famos, alter Bursche, wie lange wird's dauern, so bist du General.«

» Quien sabe!« meinte achselzuckend der Geschmeichelte – »und was treibst du? Bist du nicht in die Armee getreten?«

»Ich besinne mich eben noch,« sagte mit einem kaum bemerkbaren Zucken um die Mundwinkel der Müßige, »möglich – möglich auch nicht. Jetzt verdien' ich mir auch so mein Brot mit Wachsfiguren, und habe damit in der letzten Zeit brillante Geschäfte gemacht. Jedweder Fremde will eine Kiste voll davon nach Hause schicken.«

»Hm – das ist ein sehr ruhiger Erwerb,« sagte Jablonsky, »und den habe ich dir eigentlich gar nicht zugetraut.«

»Den Erwerb?«

»Die Ruhe meine ich – du warst früher rastloserer Art.«

»Und was verdienst du als Soldat?«

»Blutwenig,« sagte achselzuckend Jablonsky, »aber ich hoffe auf einen Zug ins Innere, wo wir unserer Kasse wieder auf die Beine helfen können.«

»Mit Plündern.«

»Kriegsgebrauch, Compannero – Sie tun's alle hier, weshalb sollten wir eine Ausnahme davon machen.«

Geronimo lachte. – »Und wie sieht's draußen im Lande aus? Sind die Leute zufrieden mit der neuen Regierung?«

»Sie sehen wohl ein, daß der Kaiser gern alles tun möchte, um sie zufriedenzustellen, aber wie können sie es sein, bis sie nicht Ruhe und Sicherheit bekommen? Für wen sollen sie ihre Acker bestellen, für die Juaristen oder die Kaiserlichen, denn sie selber bekommen doch wahrhaftig nichts davon, und heute streifen Banden von der, morgen von der Farbe herum und plündern oder zerstören, was sie erreichen können. Jetzt treibt wieder Pastera, und noch dazu hier ganz in der Nähe sein Wesen, und hat erst vor ein paar Tagen die Hazienda eines Davilo, der augenblicklich noch zu Juarez hält, geplündert und in Brand gesteckt. Caracho, wenn Bazaines Flitterwochen erst vorüber sind, wird er dem Herrn wie ein Donnerwetter über den Hals kommen. Wie ich höre, ist ja jetzt ein neues Gesetz erlassen, das überwiesenen oder vielmehr auf der Tat erwischen Ladrones augenblicklich den Strang zuspricht.«

»Ja,« nickte Geronimo, und wieder zuckte ein spöttisches Lächeln um seine Lippen, »das Gesetz haben sie allerdings erlassen, aber das Schwierige ist nur das, die »Ladrones« ebenso zu fassen, daß man ihnen einen Strick um den Hals bringen kann. Caramba! Mit ihrer Infanterieeskorte und der Soldadera dabei wissen die Herren von der Straße immer genau, wo sie sich befinden, und können sich die Sache nach Bequemlichkeit einrichten.«

»Es sollen von jetzt ab nur berittene Eskorten die Straßen bewachen,« bemerkte Jablonsky, der möglicherweise ebenfalls dabei interessiert war, »und ebenso sagte mir Lopez, daß man sie verdoppeln will, um auch stärkeren Trupps die Spitze zu bieten.«

» Que importe,« meinte achselzuckend Geronimo – » uns beide interessiert das doch nicht – Lopez soll übrigens, wie ich höre, sehr in Gnaden bei dem Kaiser stehen.«

»Sehr!« nickte Jablonsky – »und verdient es auch, denn er ist ein wackerer Soldat und ein tüchtiger Kerl.«

Geronimo lachte, und Jablonsky sah ihn rasch und mißtrauisch an, aber ihr Gespräch wurde unterbrochen, denn in diesem Augenblick wälzte sich ein ganzer Schwarm von Gästen in das Zimmer, die alle von Bazaines Hochzeit gekommen waren, d. h. außen gestanden und die .Geladenen hatten ankommen sehen, wonach sie dann noch eine Weile der Musik gehorcht. Überall drängten sie sich an die Tische, und eine weitere Unterhaltung war nicht mehr möglich.

Geronimo und seine Begleiter blieben auch nicht mehr lange sitzen; nur noch eine kleine Weile horchten sie dem Plaudern um sich her, das die glänzenden Anzüge der Damen und die blitzenden Uniformen der Fremden, wie all die Pracht und Herrlichkeit besprach, die der französische Marschall heut' entwickelte. Dann standen sie auf und schritten hinaus auf die Straße.

»Wohin, Compannero?«

» Quien sabe,« sagte Geronimo, »nach Hause wahrscheinlich. Bleibst du jetzt für längere Zeit in Mexiko?«

»Vorderhand jedenfalls – ich habe das Herumstreifen satt; aber Geronimo,« fuhr er fort, indem er den Freund am Arm nahm und ein wenig beiseite führte, »noch eine Frage: Wie stehst du mit der Geistlichkeit?«

Geronimo lachte. »Meinst du, wie oft ich in die Kirche gehe?«

»Nein – wie du mit dem Klerus stehst. Du weißt doch, daß etwas im Werke ist.«

»Und wie steht Sennor Lopez damit?«

»Torheit,« rief Jablonsky, »der ist jetzt bis über die Ohren kaiserlich, und denkt gar nicht daran, sich mit den Schwarzen einzulassen.«

»Ich glaube, er hat recht,« nickte Geronimo. »Deine Meinung darüber, amigo

»Ich bin ein guter katholischer Christ.«

»Niemand zweifelt daran – aber deine Meinung darüber, amigo

»Hm – ich denke mir so: die Geistlichkeit hat in Mexiko ihr Spiel verloren, und je weniger wir uns mit ihr einlassen, desto besser, denn sie kann nicht mehr bezahlen und fängt schon mit Versprechungen an. Das ist immer ein böses Zeichen. Ich habe mich deshalb zurückgezogen – ganz darf man's aber doch nicht mit ihr verderben, denn – der Teufel könnte sein Spiel haben.«

»Wacker gedacht, Compannero,« nickte lachend Geronimo, reichte ihm die Hand und schlenderte dann langsam, in anderer Richtung, als sie jener nahm, die Straße hinab.

*

In Roneiros Hause war noch alles in der furchtbarsten Aufregung, denn die alte Indianerin unten schien kränker zu werden – die Weiber jammerten und wehklagten, und als Sennora Roneiro von ihrem Mädchen hörte, daß ihr Gatte zurückgekommen sei, fing sie an Krämpfe zu bekommen, warf sich auf das Sofa und schluchzte laut.

Sennor Roneiro blieb auf der Schwelle stehen und betrachtete sich schweigend die Szene, wie Inez nach Eau de Cologne flog und die Kammerfrau den Kopf der Sennora hielt und ihr ein nasses Tuch um die Schläfe legte. Er sprach aber dabei kein Wort, und nur ein halbverstecktes Lächeln lag in seinen Augen, mit denen er bald den Bewegungen der Tochter, bald denen der Kammerfrau folgte. Inez betrachtete ihn sich auch erstaunt von der Seite – sie wußte gar nicht, wie sie sich sein Benehmen erklären sollte – endlich aber sagte er mit vollkommen ruhiger Stimme:

»Aber Kinder! Was um Gottes willen ist denn hier vorgefallen? Ist die Mama krank geworden, Inez?«

»Nein, Papa – aber sie hat ihre Krampfanfälle – durch die Aufregung.«

»Ist Graf Deverreux fort?«

»O, schon lange, Papa, – er ging gleich nach dir – er sah, in welch furchtbarer Aufregung wir uns befanden.«

»So? – Hm – und weshalb, Kind? – Was ist denn geschehen?«

»Geschehen? Aber Papa, du weißt ja doch alles – die alte Candelaria liegt unten im Sterben –«

»Und wenn sie Gott zu sich nimmt, können wir es ändern?«

»Aber ohne geistliche Tröstung – alle ihre Verwandten sind unten und außer sich. Sie weinen und jammern ja, daß man es bis hier herauf hört. Die heilige Jungfrau schütze uns, aber ich weiß nicht, wie das enden soll.«

»Ich habe gar nichts gehört, als ich den Hof betrat,« sagte Sennor Roneiro, »und welchen geistlichen Zuspruch verlangt sie mehr als den Padre Mirandas!«

»Aber hat sich der ehrwürdige Herr denn nicht geweigert, das Haus je wieder zu betreten? Ach, guter, lieber Papa, du kannst ja doch das alles nicht so geschehen lassen, oder du machst dich, die Mutter und – deine Tochter unglücklich.«

»Aber ich begreife euch gar nicht,« sagte Don Bautista, mit dem Kopf schüttelnd – »Padre Miranda ist schon seit einer Viertelstunde unten bei der Candelaria, und sie liegen dort jetzt wahrscheinlich alle auf den Knien und beten.«

»Padre Miranda ist im Haus?« rief Inez erstaunt, ja überrascht den Vater ansehend – »aber wie ist das möglich?«

»Und läßt dir sagen,« fuhr Don Bautista ebenso ruhig fort, »daß du dich zu deiner Hochzeit bereithalten sollst – morgen oder übermorgen, aber übermorgen spätestens.«

»Übermorgen?« rief die Sennora, die trotz ihrer Ohnmacht kein Wort von der Unterredung verloren hatte und jetzt, ihre Krämpfe ganz vergessend, vom Sofa in die Höhe fuhr, »aber das ist ja nicht denkbar!«

»Ah, Querida!« rief Don Bautista, »wie froh ich bin, dich von deinen Krämpfen geheilt zu sehen – ich hatte solche Sorge um dich.«

»Aber was ist geschehen, Bautista – Padre Miranda ist im Haus?«

»Hast du es schon gehört? Gewiß, Querida – bei der Candelaria, und wenn du dich wohl genug fühlst, wird er dich nachher ebenfalls besuchen – aber ich fürchte, du wirst zu schwach sein.«

»O nein – gewiß nicht – es war nur ein Anfall – die unsagbare Angst, die mich erfaßt hatte – o Bautista, hast du die Kirche versöhnt? Hast du gehandelt, wie du als guter und ehrlicher katholischer Christ handeln mußtest

»Ich glaube,« sagte Sennor Roneiro, »ich habe meine Schuldigkeit getan, aber an dir ist es jetzt, zu zeigen, daß du auch Entbehrungen tragen kannst.«

»O so gern, so gern!« rief die Sennora, indem sie aufsprang und sich leidenschaftlich an die Brust des Gatten warf, »du sollst sehen, wie ich mich allem willig füge.«

»Unsere Equipage werden wir abschaffen müssen,« sagte der Sennor.

»Glaubst du wirklich, daß das nötig ist?« fragte seine Gattin bestürzt, »solange aber Inez noch bei Hofe erscheinen muß, ist das ja gar nicht möglich.«

»Sie geht ja nicht so oft,« sagte Roneiro, »wir werden jedesmal einen Mietswagen nehmen müssen.«

»Aber das sieht so ärmlich aus, Bautista,« sagte die Sennora doch ein wenig kleinlaut, »läßt es sich denn nicht vielleicht in anderer Weise arrangieren? Du hast doch jetzt wieder so schöne Einnahmen von deinen Minen gehabt.«

»Viel weniger, als wir zum Leben jetzt brauchen, mein Herz; ich bitte dich auch dringend, morgen zusammenzusuchen, was du von deinen Brillanten nicht notwendig brauchst – wir müssen doch jedenfalls ein anständiges Haus mieten, und ich habe in diesem Augenblick nicht zweihundert Pesos in meiner Kasse.«

»Bautista!« rief die Sennora erschreckt aus, ihr Gatte aber zuckte mit den Achseln und sagte:

»Was hälfe es mir, dir die Wahrheit zu verschweigen; lange könnte ich es doch nicht durchführen, und je eher du dich darein findest, desto besser. Mit dem moiré antique-KIeide für Inez ist es jetzt auch nichts – unter achtzig Pesos bekomme ich keins hier, und die kann ich wirklich im Augenblicke nicht entbehren.«

Die Sennora seufzte recht aus voller Brust. »Wenn es sein muß, Bautista,« sagte sie dann nach einer Pause, »so sind doch wenigstens unsere Gewissen beruhigt. Der Fluch der Kirche ist von uns genommen, und wir dürfen wieder frei zu dem blauen Himmel aufblicken.«

»Du hast es nicht anders haben wollen, Querida.«

»Ich beklage mich nicht – ich beklage mich nicht, Bautista,« sagte die Frau – aber die Aufregung war zu viel für sie. Hatte sie vorhin nur eine Ohnmacht vorgeschützt, so bekam sie jetzt in allem Ernst heftige Weinkrämpfe, und erst als Sennor Roneiro sah, daß sie sich wieder etwas erholte und außerdem in bester Pflege befand, verließ er das Gemach und schritt, sich leise und behaglich die Hände reibend, in sein eigenes Zimmer hinüber.


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