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Ein Entschluß.

Die Weihnachtsfesttage waren in der Hauptstadt, mit Ausnahme einiger kleinerer Zwischenfälle, ganz ruhig verlaufen. Ja, gerade während des Festes trafen sogar nacheinander äußerst günstige Nachrichten vom Kriegsschauplatze ein, und schienen zu bestätigen, daß der Norden von den Feinden reingefegt sei, und die einzige Arbeit nur noch bleibe, die revolutionären Banden im Süden aufzureiben oder auch nur zu zersprengen. Ohne einheitlichen Führer vermochten sie sich wohl noch eine kurze Weile in den Bergen zu halten, konnten dem Kaiserreich über nimmermehr gefährlich werden.

Eine andere Gefahr drohte jedoch dem Lande in dem Konflikt – nicht mit der Religion, sondern der übermütigen Kirche, und es war kein Absehen, wie oder wann er enden würde, während doch gerade der Staat jetzt vor allen Dingen Ruhe und Sicherheit verlangte, um die inneren Verhältnisse zu regeln und auszubauen.

In seinem Schlosse in Chapultepec, im engsten, man könnte fast sagen Familienrat, mit nur der Kaiserin, Don Jose Fernando Ramirez, dem Minister des Äußeren, Don Francisco Ramirez, Großalmosenier, Velasquez de Leon und dem Justizminister Escudero, schritt Maximilian am 27. Dezember 1864 in dem offenen und luftigen Gemach auf und ab, und schien sich in einer fieberhaften Erregung zu befinden. Die Kaiserin sah ebenfalls bleich und angegriffen aus, und Velasquez de Leon flüsterte ihr leise einige beruhigende Worte zu, während Escudero und Fernando Ramirez, der Minister des Äußeren, leise miteinander ein vor ihnen liegendes offenes Schriftstück diskutierten.

»Es kann nicht länger so fortgehen,« brach endlich der Kaiser das Schweigen, oder nahm vielmehr damit die vorhin abgebrochene Verhandlung wieder auf. »Sie haben gut reden, Velasquez, daß der Papst doch endlich unseren dringenden Bitten nachgeben muß, wenn er sieht, daß er im anderen Fall das ganze Land wieder in offene Empörung wirft, aber ich sage Ihnen, er tut es nicht. – non possumus, das ist, mit einem Achselzucken, die einzige Antwort, die sie für uns haben. Und wenn das ganze Land zugrunde ginge und wir mit, was kümmert das die stolze Priesterkaste; lieber das, ehe sie ein einziges ihrer nach und nach usurpierten Vorrechte wieder aufgeben. Lehren sie mich die Herren kennen, die ich an der Quelle studiert habe. Er tut es nicht, und wollen wir darauf warten, so hätte das mexikanische Volk mit vollem Recht Grund, uns deshalb anzuklagen. Nein, Escudero, es bleibt uns nichts anderes übrig, als einen entscheidenden Schritt zu tun, und je eher das geschieht, desto besser.«

»Ich glaube gar nicht,« sagte jetzt die Kaiserin, »daß der heilige Vater weiß, in welcher rücksichtslosen Art und Weise sein Gesandter hier auftritt, und noch weniger, daß er es billigen würde. Monsennor scheint aber auf keine Vorstellungen Gehör zu geben, mögen sie kommen, von welcher Seite sie wollen, und meiner Meinung nach wäre es das beste, ohne weiter hier mit ihm zu verkehren, augenblicklich eine Gesandtschaft an den Papst selber zu schicken. Wir sind darin ja auch vollkommen in unserem Rechte, da der Nuntius selber erklärt, daß er keine Vollmachten habe, um irgendwelche Unterhandlung zu leiten. Seiner Ansicht nach bringt er nur die Befehle des Heiligen Stuhles, denen wir uns zu fügen hätten, und danach scheint es, daß man in Rom gar nichts weiter für nötig gehalten. Es ist aber nötig, den heiligen Vater über unsere Zustände vollkommen aufzuklären, und je eher das geschieht, desto besser.«

»Und glauben Majestät nicht,« sagte Escudero, »daß der heilige Vater vollkommen über unsere Zustände hier – seien sie nun kirchlicher oder weltlicher Art – unterrichtet wäre? Täuschen Sie sich nicht darin. Erstlich ist ihm jede nötige Erklärung schon von unserer Seite selber geworden, dann aber kennt die Geistlichkeit hier auch recht gut die Schwierigkeiten, die uns entgegenstehen, und ich weiß, daß von verschiedenen Seiten, sogar im versöhnenden Sinne, ausführliche Berichte nach Rom abgesandt sind und Zeit gehabt hätten, beantwortet zu werden. Aber wir dürfen darauf nicht hoffen, und ich glaube selber, daß Seine Majestät in vollem Rechte ist, unter diesen Umständen einen entscheidenden Schritt zu tun. Etwas wirklich Geschehenes hat dann auch weit mehr Aussicht, von Rom aus sanktioniert zu werden. Eine Tatsache muß vielleicht zugestanden werden, wo man eine Bitte einfach abschlagen würde.«

»Und was sagt unser ehrwürdiger Bischof dazu?« fragte der Kaiser.

Don Francisco Ramirez zuckte mit den Achseln. »Ich muß aufrichtig gestehen,« erwiderte er, »daß ich mich der Meinung des Ministers des Äußeren anschließe. Ich erwarte von einer Deputation nach Rom, wie sie Ihre Majestät vorgeschlagen, gar keinen Erfolg, wenn es sich nicht eben um eine vollbrachte Tatsache handelt, – und selbst dann ist meine Hoffnung auf einen solchen Schritt eine bescheidene. Die Art, wie Monsennor Meglia hier aufgetreten, zeigt von keinem versöhnenden, nachgebenden Geist, der den Heiligen Stuhl etwa beseelen könne. Man hat, wie es scheint, von Mexiko einen ganz entschiedenen Schritt zugunsten der Kirche erwartet, und fühlt sich schon dadurch gekränkt, daß noch Schwierigkeiten gemacht und Erörterungen notwendig werden. Auf eine wirkliche Weigerung dessen, was der Papst fordert, ist man, wie ich glaube, gar nicht gefaßt.«

»Und der Papst fordert alles!« rief der Kaiser heftig. »Ausschluß jedes anderen Glaubens als des katholischen; die Bischöfe vom Staat völlig unabhängig; die Klöster wiederhergestellt, also auch alles von der früheren Regierung durch Gesetze der Kirche abgenommene Eigentum wieder zurückerstattet; die Geistlichkeit allein als Beaufsichtiger des öffentlichen, wie selbst Privatunterrichtes – ei, Caballeros! » non possumus« sage auch ich. Es ist nicht möglich, oder wir kehren damit in das Mittelalter zurück und würden bei allen zivilisierten Völkern einen Schrei der Entrüstung Hervorrufen. Nein, ich denke den Herren einen Strich durch ihre ganze Rechnung zu machen.«

»Aber, Majestät,« sagte Velasquez, »wenn Sie meinem Rat nur in etwas folgen wollten, nicht in zu schroffer Weise. Bedenken Sie, daß Sie noch viele Feinde in Mexiko haben, und eigentlich zum großen Teil der Klerus es war, der Ihnen den Grund hier geebnet hat. Mißverstehen Sie mich nicht,« setzte er rasch hinzu, als ihn der Kaiser erstaunt ansah, »ich bin weit entfernt, zu denken, daß man die von dem Papst gestellten Bedingungen auch nur zum Teil annehmen und sich dem Klerus wieder unterordnen könne. Die Verkäufe der Kirchengüter sind einmal abgeschlossen, und keine Regierung der Welt, sei das nun ein Kaiserreich oder eine Republik, könnte sie wieder rückgängig machen, damit aber fällt alles übrige zusammen. Nur um das möchte ich bitten, Majestät, was auch immer geschehen muß, in so milder Form als möglich zu tun. In Kleinigkeiten könnte man ja nachgeben, den Geistlichen zum Beispiel für jetzt noch die Oberaufsicht der Schulen lassen – man könnte den Verkauf weiterer geistlicher Güter sistieren und dadurch den guten Willen zeigen, wenigstens das Mögliche zu tun, um den heiligen Vater zufriedenzustellen. Auch das wäre vielleicht ausführbar, den katholischen Glauben für den allein berechtigten zu erklären, denn ändern sich einmal später die Zeiten, und haben wir eine größere Einwanderung von Kolonisten zu erhoffen, so ließe sich das Gesetz, ohne besonders auffällig zu sein, auch mit leichter Mühe erweitern. Diese Forderung besonders schon jetzt, wo eigentlich noch kein Grund dazu vorliegt, ganz schroff abzulehnen, halte ich für ein wenig gefährlich. Ich glaube, daß der heilige Vater gerade darauf sehr viel gibt.«

Der Kaiser war unschlüssig geworden und sah den Bischof Ramirez an. Dieser sagte endlich, leise dazu mit dem Kopf vor sich hinnickend:

»Klug wäre es schon, ob es uns aber auf die Länge der Zeit etwas hülfe, will ich dahingestellt sein lassen, denn der Nuntius ist hauptsächlich hier – nicht um einen Vergleich mit der mexikanischen Regierung zu treffen, darüber dürfen wir uns keiner Täuschung hingeben, sondern um ein fest für alle Zeit bindendes Konkordat abzuschließen. Später aber nur einen einzelnen Paragraphen daran abzuändern, würde uns in die nämlichen Schwierigkeiten stürzen, denen wir jetzt unterzogen sind.«

»Einen Mittelweg gibt es nicht, Majestät,« rief auch jetzt der Minister des Äußeren, »glauben Sie mir: Meglia, der Nuntius, so oft er es mir gegenüber auch geleugnet hat, besitzt volle und ausführliche Instruktionen, denn der Papst tut nichts halb. Allem nach aber, was wir bis jetzt davon erfahren haben, lauten dieselben nicht dahin, sich in einen Vergleich einzulassen, sondern einfach unsere Zustimmung zu den römischen Forderungen zu erlangen, und es bleibt uns nichts auf der Welt übrig, als Ja oder Nein dazu zu sagen und dann die Folgen abzuwarten.«

»Ich glaube, Ramirez hat recht,« nickte auch Escudero, »ein Vergleich mit dem Klerus wird nicht möglich sein, und Majestät müssen jetzt einen Entschluß fassen, ob Sie das ganze Land in Aufruhr bringen wollen, indem Sie sich den Forderungen des Nuntius einfach fügen, oder fest für Ihr Recht und das nun einmal gegebene Gesetz einzugestehen gedenken. In diesem Fall ist eine spätere Aussöhnung mit dem Heiligen Stuhl jedenfalls möglich, wenn auch, wie ich Ihnen nicht verhehlen darf, ziemlich zweifelhaft.«

»O, nicht zweifelhaft, Sennores,« rief die Kaiserin bewegt aus, »glauben Sie um Gottes willen nicht, daß der heilige Vater unversöhnlich ist. Er wird gewiß, wenn er die volle Wahrheit hört, unseren schwierigen Verhältnissen hier Rechnung tragen und nicht gerade seinen schlimmsten Feinden die Waffen gegen uns in die Hände geben. Außerdem,« fuhr die Kaiserin fort, als die übrigen Herren keine Entgegnung machten, »haben wir ja doch selbst den Beweis in Händen, daß er versöhnlich gesinnt sei, denn gestand Ihnen, Sennor Ramirez, der Nuntius nicht anfangs selber zu, daß er über sieben der von uns aufgestellten Punkte unterhandeln könne?«

»Das tat er allerdings, Majestät,« erwiderte der Minister des Äußeren, »aber Sie wissen auch, daß er später erklärte, er könne über keinen Punkt unterhandeln, ohne vorher nach Rom darüber berichtet zu haben. Was ihn dazu bewogen haben mag, seine Meinung so rasch zu ändern, weiß ich nicht – wenn es nicht die Furcht vor dem Tadel des heiligen Vaters –«

»Aber ich weiß es,« sagte die Kaiserin heftig, »es waren die Einflüsterungen dieses stolzen, ehrgeizigen Priesters, des Erzbischofs Labastida, der an dem nämlichen Tage eine lange und geheime Unterredung mit dem Nuntius hatte. Das also schon ist ein Beweis, daß der heilige Vater selber keineswegs so unabweisbare Bedingungen stellen wollte. Im Gegenteil hatte der Nuntius sicher Instruktionen, mit uns zu verhandeln, und hat sie noch, und nur den Aufreizungen des hiesigen Klerus haben wir es zu verdanken, wenn alle unsere gütlichen Vermittlungen scheitern.«

»Es sind keine gütlichen Vermittlungen mehr denkbar,« sagte jetzt Maximilian, welcher der letzten Verhandlung schweigend und mit finster zusammengezogenen Brauen gelauscht. »Wir haben das Letzte erschöpft; das beunruhigte Land verlangt endlich eine Entscheidung, diese Tausende von Äckern unbenutzt liegenden Landes – diese zahllosen im Bau begriffenen Häuser, deren Arbeiten unterbrochen werden mußten, weil kein Mensch mehr seines Besitzes sicher war, verlangen ohne Säumen ein Gesetz, das ihre Rechte regelt und feststellt, und wir wollen es geben. Folgen Sie mir in mein Zimmer, Escudero, ich glaube, die Zeit ist gekommen, wo wir damit hervortreten können. Wenn uns der Klerus dann auch verdammt, das Volk selber wird fühlen, daß wir nur sein Bestes im Auge hatten, als wir es wagten, selbst der mächtigen Kirche entgegenzutreten, um es nicht wieder in das alte, unerträglich gewordene Joch zu spannen.«

Eine edle Aufregung hatte sich des Kaisers bemächtigt – sein Antlitz glühte, sein Auge blitzte, seine ganze schlanke Gestalt hob sich. Gerade aber weil er sich der weittragenden Folgen bewußt war, die dieser Entschluß unfehlbar nach sich ziehen mußte, befestigte er sich mehr und mehr in ihm – und es hätte der neuen Anregung, die ihm gerade jetzt wurde, wahrlich nicht mehr bedurft, um ihn dabei beharren zu machen.

Gerade in diesem Augenblick ließen sich bei ihm drei Caballeros aus Mexiko anmelden, und zwar die Sennores Roneiro, Zamacona und Lucido, die, wie sie dem Kaiser sagen ließen, gekommen waren, um ihm eine Bitte der angesehensten Bewohner der Stadt, in betreff des Gesetzes der »toten Hand« oder der konfiszierten Kirchengüter, ans Herz zu legen.

»Ha,« sagte der Kaiser, aufmerksam werdend, »haben sich die geistlichen Herren auch hinter die Aristokratie gesteckt? – Unmöglich wäre es nicht, aber wunderbar jedenfalls, denn doch nur in deren Interesse hauptsächlich kämpfen wir ja den Kampf mit jenen.«

»Soviel ich weiß, Majestät,« lautete die Antwort, »möchte Wohl gerade das Gegenteil der Fall sein.«

»In der Tat? – Dann sollen sie gleich heraufkommen – trifft es sich doch gut mit unserer eigenen Verhandlung. Wir wollen gleich selber hören, was sie heraufgeführt – vielleicht, daß sie uns den schon einmal gefaßten Entschluß nur noch erleichtern.«

Die Unterhandlung war dadurch vollkommen abgebrochen, aber es dauerte nur wenige Minuten, daß Sennor Roneiro, von den Freunden gefolgt, in der Tür erschien und mit einer tiefen Verbeugung allerdings, aber doch auch etwas erstaunt, einen halben Ministerrat versammelt sah, wo er nur den Monarchen allein erwartet haben mochte, das Herrscherpaar begrüßte.

»Und was führt Sie zu uns, Sennor?« redete ihn Maximilian freundlich an, »etwas Wichtiges muß es jedenfalls sein, oder ich würde hier nicht eine Deputation der angesehensten Bürger Mexikos bei mir sehen. Bitte, reden Sie frei von der Leber weg.«

»Majestät,« sagte Roneiro, der von den übrigen als Sprecher gewählt worden – »eigentlich ist es zweierlei, das uns hierhergeführt – das eine aber, das Wichtigere, mag vorangehen, denn es betrifft unser großes Vaterland im allgemeinen, während sich das andere nur auf einen kleinen Kreis beschränkt. – Ich meine den päpstlichen Nuntius, Majestät?«

»Und was ist mit dem? Hat sich die Stadt über ihn zu beklagen?«

»Die Stadt wohl nicht, Majestät,« lächelte Roneiro etwas verlegen, »und direkt haben wir auch eigentlich mit dem ehrwürdigen Herrn noch gar nicht verkehrt, indirekt macht er sich aber desto mehr bemerkbar, und der Klerus – mit aller Achtung vor dem ehrwürdigen Herrn Bischof Ramirez hier, der, wie wir recht gut wissen, solchen Umtrieben fernsteht – scheint augenblicklich alle Minen springen zu lassen, um einen Hauptschlag gegen die Regierung auszuführen.«

»Gegen die Regierung? – Einen Hauptschlag?«

»Natürlich noch nicht mit Waffen in der Hand« erwiderte Roneiro, »obgleich es auch zuletzt wohl dazu käme, denn die Leperos Das eigentliche Proletariat Mexikos, Indianer, Mestizen, Zambos usw. wachsen in der Stadt wie Pilze aus der Erde, denen nur einmal wieder eine richtige Leva Die gewaltsamen Aushebungen, die unter den Republiken gewöhnlich stattfanden, wenn der Staat entweder rasch Soldaten brauchte oder eine Revolution in den Hauptstädten selber befürchtete. einen Damm vorsetzen könnte.«

»Und inwiefern macht er sich indirekt bemerkbar – ich verstehe das nicht.«

»Durch unsere Frauen, Majestät,« seufzte Roneiro, und Zamacona nickte dazu so bedeutsam mit dem Kopfe, daß der Kaiser ein Lächeln kaum unterdrücken konnte. – »Die Geistlichkeit läßt augenblicklich kein Mittel unversucht, um auf ihre Beichtkinder einzuwirken – soviel ich gehört habe, wird sogar eine Monstrepetition vorbereitet, die von allen Frauen Mexikos unterschrieben werden soll und nichts Geringeres bezweckt, als Eure Majestät zu einem Konkordat mit dem Papst zu treiben.«

»Und Ihr Wunsch dabei, meine Herren?«

»Nur unsere Ansicht, Majestät, Und zwar die Ansicht von Leuten, die das Land genau kennen, daß wir es für ein unabsehbares Unheil betrachten würden, wenn der Staat der Kirche die schon verkauften und wieder verkauften Kirchengüter zusprechen sollte.«

»Und wenn es nicht geschieht, tut uns der Papst in den Bann,« sagte Maximilian, und Roneiro sah erschreckt zu ihm aus, denn die wenigen Worte schienen einen schon vorgefaßten und unheilvollen Entschluß anzudeuten. Aus des Kaisers Gesicht las er auch nicht das Gegenteil heraus, denn die Züge des Monarchen verbargen in dem Augenblick seine eigenen Gedanken vollkommen.

»Majestät!« stammelte da Roneiro, »und fürchten Sie inmitten Ihres treuen Volkes selbst in dem – fast undenkbaren Falle eine wirkliche Gefahr für Ihr hohes Haupt?«

»Von mir selber kann dabei keine Rede sein,« erwiderte der Kaiser ernst, »ich für mich fürchte keine Gefahr, aber wie stünde es nachher mit dem Lande?«

»Der Bann,« sagte Roneiro fest, »würde so harmlos daran vorübergehen als damals, wie der Erzbischof Labastida die französische Armee exkommunizierte, und danach von dem General Bazaine gezwungen wurde, sie öffentlich selber einzusegnen. Das gab der früher gefürchteten Macht der Kirche den Todesstoß in den Augen des Volkes. Selbst der gedankenlose Indianer sah, daß hinter dem Bannfluch des Priesters nicht die Hand des Himmels stand – daß es nur eben frevle Worte waren, die der übermütige Geistliche gesprochen hatte – und ich müßte mich sehr irren, wenn nach dieser Erfahrung, die Seiner Heiligkeit in Rom kein Geheimnis geblieben sein kann, das Haupt der Christenheit den doch immer etwas gefährlichen Versuch erneuern sollte.«

»Und was würden Sie selber in dem Fall tun, meine Herren?« fragte Maximilian – »nicht Sie allein hier, persönlich, meine ich, sondern Ihre ganze Partei im Lande. Wie würden Sie sich verhalten, und auf welcher Seite stehen?«

»Majestät!« rief Don Lucido, »bis zum letzten Blutstropfen – bis zum letzten Peso auf der unseres verehrten Monarchen.«

»Und ist das auch Ihre Meinung, meine Herren?« – fügte Maximilian mit einem leichten, fast sarkastischen Lächeln hinzu – »wenn nicht Ihr letzter Blutstropfen, sondern nur Ihr vorletzter Peso in Anspruch genommen werden sollte?«

Die Antwort lautete echt mexikanisch. »Alles, was wir haben, steht zur Verfügung Eurer Majestät,« riefen Roneiro und Zamacona zu gleicher Zeit, »wir sind sogar von unseren Freunden beauftragt, auszusprechen, daß sich der Kaiser, wie auch die Würfel fallen, fest und sicher auf sie verlassen könne.«

Maximilian sah eine Weile still und schweigend vor sich nieder. Er wußte schon, was in den meisten Fällen diese Redensarten, besonders in spanischen Kolonien, bedeuten, aber waren denn wirklich alle falsch, gab es nicht auch unter diesen Menschen treue und edle Herzen, die im Unglück ehrlich aushielten und ein gegebenes Wort als heilig betrachteten? Ein lichtes Lächeln flog über seine offenen Züge, und indem er die drei Mexikaner freundlich ansah, sagte er:

»Beruhigen Sie sich, Sennores, und haben Sie insoweit Vertrauen zu mir, daß ich, solange ich die Ehre genieße, an der Spitze Ihrer Regierung zu stehen, nichts tun werde, was dem Lande den geringsten Nachteil bringen könnte.

»Ich bin aus meiner Heimat hierher gekommen, um Ihnen den Frieden und geregelte Zustände zu geben; ich werde nicht selber Hand anlegen, um solche zu zerstören. Weiter kann ich Ihnen aber heute noch nichts darüber mitteilen, das ausgenommen, daß Sie nicht viele Tage länger darüber im Zweifel bleiben sollen. Ich fühle selber, wie gerade diese Ungewißheit drückend und schädigend auf dem ganzen Staate ruht. Doch was war das zweite, was Sie mir vorzutragen hatten?«

»Majestät,« rief Roneiro, »wir danken Ihnen aus vollem Herzen für diese tröstenden Worte und sehen jetzt der Zukunft vertrauend entgegen. Was sie auch bringen mag, sie wird das Band zwischen Fürst und Volk nur fester und unauflöslicher binden, und das Vertrauen, das Sie jetzt in uns setzen, wird nie getäuscht werden.«

»Wir wollen es recht aus voller Seele hoffen,« nickte der Kaiser ernst vor sich hin »aber Ihre zweite Bitte?«

»Betrifft eigentlich nur Lokales, Majestät,« sagte Roneiro – »und zwar die Unsicherheit der Straßen in der Nachbarschaft, die anfängt einen beunruhigenden Charakter anzunehmen. In der unmittelbaren Nähe von Puebla – wie Majestät jedenfalls schon gehört haben, ist seit einigen Monaten zum erstenmal in diesem Land ein bisher hier ungekanntes Verbrechen unternommen und ausgeführt worden. – Ein angesehener Kaufmann dort wurde, in der allernächsten Umgebung der Stadt, kaum fünfhundert Schritt vom öffentlichen Paseo, von Strolchen aufgegriffen, fortgeschleppt und mit seinem Leben bedroht, wenn er nicht ein sehr bedeutendes Lösegeld zu einer bestimmten Frist herbeischaffe – nur damit konnte er auch sein Leben retten. Durch diesen ersten Erfolg aber kühn gemacht, sind solche Überfälle in den letzten Monaten in frecher Art erneuert worden und sollen, bis hier in der Nähe der Hauptstadt, vorgekommen sein, daß man fast kaum mehr wagen kann, die Stadt zu verlassen.«

»Ich weiß es – ich weiß es,« sagte der Kaiser finster, »nur zu viele Berichte habe ich leider darüber bekommen, und ich fürchte fast, die Polizei hat nicht allerorten ihre Schuldigkeit getan. Das soll anders werden!«

»Und das nicht allein,« fuhr Roneiro fort, »die regelmäßigen Posten werden jetzt jede Woche ein paarmal, selbst mit einer gewissen Regelmäßigkeit, überfallen und geplündert, und es liegt fast eine Art von Humor in der Sache, wie man es betreibt. Vorgestern ist erst wieder die Diligence von Cuernavaca von zwei Vermummten angegriffen und total ausgeraubt worden, und die Schurken haben dabei eine nicht unbeträchtliche Beute gemacht, denn es befanden sich tausend Unzen Gold auf dem Wagen, die sie nur dadurch fortbrachten, daß sie vier von den Maultieren ausschirrten und bepackten.«

»Ich weiß es – ich weiß es,« sagte der Kaiser ungeduldig, »aber sechs bewaffnete Männer saßen zu derselben Zeit in der Diligence und haben auch nicht den geringsten Versuch gemacht, den Räubern Widerstand zu leisten, ja sogar noch ihre Waffen an sie abgeliefert. Das ist denn doch auch so unerhört wie unbegreiflich!«

Roneiro zuckte mit den Achseln. – »Majestät, das läßt sich allerdings nicht leugnen, es war sogar ein Vetter von mir unter den Passagieren, dem ich selber einen scharfgeladenen Revolver mitgegeben hatte, aber – der Mann hat Familie und führte nur einige fünfzig Pesos Geld bei sich. Sollte er sich einer so kleinen Summe wegen der Gefahr aussetzen, zum Krüppel geschossen oder gar getötet zu werden? Er zog es vor, sein Leben mit dem zu erkaufen, was er bei sich führte.«

»Es ist allerdings schlimm,« sagte der Kaiser, »aber ich bin fest überzeugt, die Raubanfälle würden zu den Seltenheiten im Land gehören, wenn das Publikum selber die Sicherheitspolizei nur ein klein wenig dabei unterstützte. Zwei- oder dreimal solchen Menschen nur einen energischen Widerstand entgegengesetzt, und sie würden sich wohl hüten, einzeln oder zu zweien einen Wagen voll Bewaffneter anzugreifen. Wie mir aber erzählt wurde, soll ja schon einmal eine verkleidete Frau die Diligence eine ganze Woche lang hintereinander ausgeplündert haben, bis ein Franzose sie verwundete und die Passagiere dann die beschämende Entdeckung machten, vor wem sie sich eigentlich gefürchtet hatten.«

»Das ist allerdings Tatsache, Majestät,« sagte etwas scheu Zamacona, »und ich muß gestehen, daß ich ihr selber einmal mein Geld ausgeliefert habe. – Ja, Sie lachen,« setzte er dann hinzu, als er sah, daß sich selbst die Kaiserin abwandte, um den Herrn nicht durch ein zu freundliches Gesicht zu kränken – »aber wir bekamen von ihr immer zuerst die Mündung eines Trabucos zu sehen, die sie in den Wagen hielt. Allerdings war derselbe, wie sich später herausstellte, gar nicht geladen.«

Zamacona kam nicht weiter, denn Escudero, Ramirez und selbst der Bischof konnten jetzt ihr Lachen nicht mehr zurückhalten, und auch Maximilian versuchte es vergebens, ernsthaft zu bleiben.

»Andere Räuber haben aber geladene Waffen und gebrauchen sie auch,« fiel Roneiro ein, der sich über die Einfalt seines Gefährten ärgerte. »Auf dem Wege nach Queretaro sind erst im vorigen Monat drei französische Offiziere, die Widerstand leisteten, auf das grausamste ermordet worden. In einem anderen Wagen, ebenfalls auf der Straße nach Cuernavaca, aus dem ein Schuß auf die Angreifer fiel, wurde von der ganzen Bande gefeuert, und zwei Frauen, tödlich verwundet, starben, ehe sie die nächste Station erreichten. Majestät sehen also, daß das Gesindel blutigen Ernst macht, wo es selber angegriffen wird, und ich kenne nur ein Mittel, um diese Banden einzuschüchtern und vor weiteren Überfällen zurückzuschrecken.«

»Und das wäre?« fragte Maximilian.

»Augenblickliche Todesstrafe selbst durch die Patrouille, durch welche sie überrascht und gefangen werden,« sagte der Mexikaner; »denn die wenigen, die man bis jetzt wirklich erwischt hat, wurden ruhig eingesperrt und entkamen dann nach kurzer Zeit wieder, ohne die geringste Strafe erhalten zu haben. Daß die Räuber dadurch nur immer übermütiger werden, ist natürlich, und es sollte mich gar nicht wundern, wenn nächstens einmal ein paar von uns mitten in der Hauptstadt aufgegriffen und fortgeschleppt würden, um von unseren Familien ein bedeutendes Lösegeld zu erpressen. Hängt man dagegen nur erst einmal ein halbes Dutzend dieser Schufte an den nächstbesten Baum als abschreckendes Beispiel für die übrigen, auf, so werden die anderen scheu, und ehrliche Leute können ungefährdet ihren Geschäften wieder nachgehen.«

»Aber Sie gestehen mir doch selber zu, Sennor,« sagte Maximilian, »daß nur in seltenen Fällen Blut geflossen ist. Diese Wegelagerer haben, wie es scheint, nur auf die – nur auf den ruhigen Charakter der Passagiere spekuliert und sich selten darin getäuscht gesehen. Ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich da nicht gleich mit zu strengen Strafen Vorgehen möchte. Ich werde General Bazaine bitten, zahlreiche Patrouillen auszuschicken, ja ich habe selber im Sinne, eine mexikanische Gendarmerie zu errichten, und dann gebe ich Ihnen mein Wort, daß ich ein strenges Gesetz erlassen werde, um das Ausbrechen der Gefangenen zu verhindern; aber – ich möchte nicht gleich mit zu großer Strenge auftreten, solange es noch möglich erscheint, Blutvergießen zu verhüten und Menschenleben zu schonen.«

»Aber Majestät,« sagte Lucido, »die Räuber gehen doch auch darauf aus, Menschenleben zu nehmen, sobald sie Widerstand finden und Gefahr für sich selber sehen.«

»Die Beweise dafür sind noch sehr sparsam,« sagte der Kaiser kopfschüttelnd, »und bedenken Sie, Sennores, in welchem ungeregelten, ja man könnte fast sagen wilden Zustand das Land seit den letzten Jahrzehnten existiert hatte. Eine Revolution, ein Pronunciamento ist dem anderen gefolgt, die republikanischen Chefs hatten es dabei im Gebrauch, wohin sie kamen, Levas auszuheben und die Bevölkerung – nur um ihr eigenes, revolutionäres Heer zu vergrößern – ihrer Arbeit und ihren friedlichen Beschäftigungen gewaltsam zu entreißen. Kann man es da den Unglücklichen verdenken, wenn sie nicht gleich gewillt sind, wieder in ein geregeltes und gesetzliches Leben zurückzukehren? Aber das wird jetzt alles anders werden. Im Norden sind die Banden des früheren Präsidenten durch die Tapferkeit unserer und der französischen Truppen aufgerieben und zersprengt. General Bazaine wird in den allernächsten Tagen selber nach dem Süden abgehen, um dort, in Oajaca, noch das letzte Bollwerk der Revolution zu zerstören, und dann hoffe ich, daß ich mein Versprechen erfüllen und das Land dem vollen Frieden entgegenführen kann. Dann aber werden jene Räuberbanden auch von selber zerschmelzen, wie der Schnee der Cordilleren an der Julisonne, und sobald sie ihren regelmäßigen und lohnenden Arbeiten zurückgegeben sind, denen sie jetzt ja nur gewaltsam entrissen wurden, können wir nachher so sicher jede Landstraße wandern wie daheim in meinem Vaterlande. Nein – noch sind wir nicht zum Äußersten gezwungen, Sennores, und mir blutet das Herz jetzt schon bei dem Gedanken an die vielen Menschenleben, die dieser unselige Bürgerkrieg gefordert hat. Lassen Sie uns nicht Grausamkeit mit Grausamkeit erwidern, und hoffen wir, das Volk mit Ernst, aber Milde zu seiner Pflicht zurückzuführen.«

Eine freundliche Handbewegung entließ die Herren; Roneiro war schon Hofmann genug geworden, um dieses Zeichen zu verstehen. Sie zogen sich zurück, und wenn auch Roneiro nicht erreicht hatte, daß der Kaiser größere Strenge gegen die gesetzlos das Land durchstreifenden Banden anzuwenden versprochen, so war doch die Versicherung, die er ihnen hinsichtlich des Klerus gegeben, um so beruhigender und entschiedener.

Als sie den schmalen Weg zusammen abwärts stiegen, der von dem Schloß niederführte, sagte er zu den Freunden:

»Jetzt sind wir sicher – der Kaiser gibt nicht nach, und Sennor Meglia kann sich mit unserem Erzbischof nun in Wut und Ingrimm hineinarbeiten, aber ihren Zweck erreichen sie nicht.«

»Der Kaiser meint es gut,« erwiderte Lucido nach einer kleinen Pause, »aber ist er auch der Mann, um dies Land zu regieren? – Gesetze und immer nur Gesetze – die Gefängnisse will er durch Gesetze fest machen, das Land durch Gesetze in Ordnung bringen, und wen um Gottes willen hat er, um sie auszuführen und in Kraft zu halten? Ich fürchte, ich fürchte, erdenkt sich die Verhältnisse und das Volk noch viel zu sehr nach europäischer Art, und Dank erntet er nicht dafür – darauf kann er sich verlassen.«

»Vor allen Dingen,« sagte Roneiro, »wollen wir froh fein, wenn diese Hauptgefahr an uns vorübergeht. Der Klerus wird wütend werden, aber – que importe? Solange die französischen Truppen im Lande stehen, dürfen sie keinen feindseligen Schritt wagen, und nachher? Caramba, dann haben wir jedenfalls festen Boden unter den Füßen und unser Grundeigentum gesichert, und dann – kann sich der Kaiser auch fest auf die Unterstützung des ganzen Landes verlassen.«

Zamacona erwiderte gar nichts; er schien nicht recht mit sich zufrieden, denn er hatte das unbestimmte und gerade nicht eben wohltuende Gefühl, sich ein klein wenig blamiert zu haben – er war wenigstens ganz entschieden mit seinem Bericht über den Raubanfall ausgelacht worden. – Aber trotzdem sagte er mit Roneiro » que importe,« was schadet es. Die Hauptsache schienen sie doch jedenfalls erreicht zu haben, und die Frauen daheim? – Seine eigene Familie? – Bah, jetzt waren sie ja doch bloß durch die Pfaffen aufgehetzt und angereizt worden gegen ihre eigenen Interessen, nur der Kirche wegen, anzukämpfen. – Verloren dagegen die Priester ihr Spiel, nun, dann fanden sie sich auch schon in das Unvermeidliche, und sie selber hatten dann doch jedenfalls das Gesetz und den Schutz der Regierung auf ihrer Seite.


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