Johann Wolfgang von Goethe
Naturwissenschaftliche Schriften 1792 - 1797
Johann Wolfgang von Goethe

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[Ordnung des Unternehmens]

 

I.

Das Unternehmen zu ordnen ist groß und schwer

Mit Ordnung zu wissen erfordert genauere Kenntnis der einzelnen Gegenstände

Aufmerksamkeit auf ihre Charaktere also Unterschied und Übereinstimmungen

Hiezu ist schon weit mehr als der sinnliche Blick und als das Gedächtnis nötig.

Einsicht in das Bezeichnende und Urteil hierüber.

Streben des menschlichen Geists was er behandelt zum Ganzen zu bilden.

Ungeduld des Menschen sich nicht genug vorzubereiten.

Übereilung im Abschließen

Kann nicht immer getadelt werden.

Erfahrungen der verschiedenen Zeitalter

Die früheren weniger vollständig.

Niemand, wer eine wissenschaftliche Kenntnis sich zuzueignen denkt fühlt gleich im Anfange die Notwendigkeit voraus daß er seine Denk- und Vorstellungsart immer werde höher spannen müssen.

Diejenigen, die sich mit den Wissenschaften beschäftigen fühlten dieses Bedürfnis nur erst nach und nach.

Heut zu Tage, da so vieles Allgemeine zur Sprache gekommen kommt der beinah nur handwerksmäßige botanische Gärtner stufenweise bis zu den schwersten Fragen, aber da er von den Standpunkten nichts weiß von wo aus sie zu beantworten wären so muß er sich entweder mit Worten bezahlen lassen oder kommt in eine Art von staunender Verwirrung.

Man tut also wohl sich gleich von Anfang auf ernsthafte Fragen und ernste Beantwortungen vorzubereiten.

Wenn man sich hierüber einigermaßen beruhigen will und eine heitere Aussicht verschaffen will, so kann man sich sagen daß niemand eine Frage an die Natur tue die er nicht beantworten könne, denn in der Frage liegt die Antwort das Gefühl daß sich über einen solchen Punkt etwas denken etwas ahnden lasse.

Freilich wird nach der verschiednen Weise der Menschen gar verschiedentlich gefragt.

Um uns in diesen verschiedenen Arten einigermaßen zu orientieren wollen wir sie einteilen in:

Nutzende
Wissende
Anschauende und
Umfassende

1. Die Nutzenden, Nutzen-Suchenden, -Fordernden sind die ersten die das Feld der Wissenschaft gleichsam umreißen, das Praktische ergreifen; das Bewußtsein durch Erfahrung gibt ihnen Sicherheit das Bedürfnis eine gewisse Breite.

2. Die Wißbegierigen bedürfen eines ruhigen uneigennützigen Blickes einer neugierigen Unruhe eines klaren Verstands und stehn immer im Verhältnis mit jenen, sie verarbeiten auch nur im wissenschaftlichen Sinn dasjenige was sie vorfinden.

3. Die Anschauenden verhalten sich schon produktiv und das Wissen indem es sich selbst steigert fordert ohne es zu bemerken das Anschauen und geht dahin über, und so sehr sich auch die Wissenden vor der Imagination kreuzigen und segnen so müssen sie doch ehe sie sichs versehen die produktive Einbildungskraft zu Hülfe rufen.

4. Die Umfassenden die man in einem stolzern Sinne die Erschaffenden nennen könnte verhalten sich im höchsten Grade produktiv, indem sie nämlich von Ideen ausgehen sprechen sie die Einheit des Ganzen schon aus und es ist gewissermaßen nachher die Sache der Natur sich in diese Idee zu fügen.

Gleichnis von Wegen hergenommen

Beispiel vom Aquädukt das Phantastische vom Idealen zu unterscheiden.

Beispiel vom dramatischen Dichter.

Hervorbringende Einbildungskraft mit möglicher Realität.

Bei allem wissenschaftlichen Bestreben muß man sich deutlich machen daß man sich in diesen vier Regionen befinden wird.

Man muß das Bewußtsein sich erhalten in welcher man sich eben befindet.

Und die Neigung sich in einer so frei und gemütlich als in der andern zu bewegen.

Das Objektive und Subjektive des Vortrags wird also hier voraus bekannt und gesondert wodurch man hoffen kann wenigstens einiges Vertrauen zu erregen.

 

II. Genetische Behandlung

Es fällt in die Augen daß wir uns bei unsern Vorträgen meist auf den Grenzen der zweiten und dritten Region aufhalten werden, wir werden uns mit Bewußtsein aus einer in die andere bewegen.

Gewöhnlich nehmen die Wissenden instinktartig ihre Zuflucht zu den Anschauenden ob sie auch gleich oft in theoretischen Fällen durch einen falschen teleologischen Weg sich zu den Nutzenden zurückbegeben worunter wir alle Naturforschenden zur Ehre Gottes rechnen.

Ein Punkt, wo die Nähe der beiden Regionen anschaulich gemacht und genutzt werden kann ist die genetische Behandlung.

Wenn ich eine entstandne Sache vor mir sehe nach der Entstehung frage und den Gang zurück messe so weit ich ihn verfolgen kann, so werde ich eine Reihe Stufen gewahr die ich zwar nicht neben einander sehen kann sondern mir in der Erinnrung zu einem gewissen idealen Ganzen vergegenwärtigen muß.

Erst bin ich geneigt mir gewisse Stufen zu denken, weil aber die Natur keinen Sprung macht, bin ich zuletzt genötigt mir die Folge einer ununterbrochenen Tätigkeit als ein Ganzes anzuschauen indem ich das Einzelne aufhebe ohne den Eindruck zu zerstören.

Teilung in gröbere Momente.

Versuch einer feinern

Versuch noch mehrerer Zwischenpunkte.

Wenn man sich die Resultate dieser Versuche denkt, so sieht man daß zuletzt die Erfahrung aufhören das Anschauen eines Werdenden eintreten und die Idee zuletzt ausgesprochen werden muß.

Beispiel einer Stadt als Menschenwerks.

Beispiel der Metamorphose der Insekten als Naturwerks.

Lehre von der Metamorphose der Pflanzen in ihrer ganzen Bedeutung.

 

III. Organische Einheit

Identität der Teile in den verschiedensten Gestalten.

Eintretende wichtige Fragen

ob aus dem Samen das Vorhandene entwickelt wird?

Oder ob gegebene Anfänge gesetzmäßig fort- und umgebildet werden.

Atomistische Vorstellungsart hat eine gewisse Nähe zur gemeinen Ansicht

Zu einer gewissen Sinnesart.

Ist nicht ganz in Naturbetrachtungen zu entbehren

Aber sie ist hinderlich, wenn man ihr durchaus treu bleiben will.

Gewisse Geister können sich nicht davon los machen

Dynamische Vorstellungsart.

Ihre anfängliche Schwierigkeiten.

Ihre Vorteile in der Folge, mehrere Gegensätze der beiden.

Letztere zu unserm Vortrag einstweilen anzunehmen.

Sie muß sich durch den Gebrauch legitimieren.

Bei Betrachtung der Pflanze wird ein lebendiger Punkt angenommen, der ewig seines gleichen hervorbringt.

Und zwar tut er es bei den geringsten Pflanzen durch Wiederholung eben desselbigen.

Ferner bei den vollkommnern durch progressive Ausbildung und Umbildung des Grundorgans in immer vollkommnere und wirksamere Organe um zuletzt den höchsten Punkt organischer Tätigkeit hervorzubringen, Individuen durch Zeugung und Geburt aus dem organischen Ganzen abzusondern und abzulösen.

Höchste Ansicht organischer Einheit.

 

IV. Organische Entzweiung

Vorher ward die Pflanze als Einheit betrachtet.

Die empirische Einheit können wir mit Augen sehen.

Sie entsteht aus der Verbindung vieler verschiednen Teile von der größten Mannigfaltigkeit zu einem scheinbaren Individuo.

Eine einjährige vollendete Pflanze ausgerauft.

Ideale Einheit.

Wenn diese verschiednen Teile aus einem idealen Urkörper entsprungen und nach und nach in verschiedenen Stufen ausgebildet gedacht werden.

Diesen idealen Urkörper mögen wir [ihn] in unsern Gedanken so einfach konzipieren als möglich, müssen wir schon in seinem Innern entzweit denken denn ohne vorhergedachte Entzweiung des einen läßt sich kein drittes Entstehendes denken.

Diesen idealen Urkörper, der schon eine gewisse Bestimmbarkeit zur Zweiheit bei sich trägt, lassen wir vorerst im Schoße der Natur ruhen.

Wir bemerken nur daß sich hier die atomistische und dynamische Vorstellungsarten die Entwicklungs- und Bildungsmethoden gleich einander entgegen setzen.

Kurze Darstellung des Dualismus der Natur überhaupt.

Übergang auf die Pflanze

Sie ist obgleich an einem organischen Körper beinah physisch.

Keim der Wurzel und des Blatts

Sie sind mit einander ursprünglich vereint ja eins läßt sich nicht ohne das andere denken.

Sie sind auch einander ursprünglich entgegengesetzt.

Wir beantworten die Frage warum die Wurzelkeime sich abwärts, die Blätterkeime sich aufwärts entwickeln dadurch, daß wir sagen sie seien einander nach dem allgemeinen Naturdualism, der hier in ihnen spezifiziert ist, entgegengesetzt.

Indessen läßt sich über die nähern Bedingungen etwas sagen.

Eine Pflanze, wie jedes Naturwesen läßt sich nicht ohne umgebende Bedingungen denken.

Sie verlangt eine Base der Existenz zur Befestigung zur Hauptnahrung der Masse nach.

Sie verlangt Luft und Licht zur mannigfaltigen Entwicklung, feinere Nahrung und Ausbildung.

Wir finden die Wurzel bedürfe der Feuchtigkeit und der Finsternis, das Blatt des Lichts und der Trockne um sich zu entwickeln.

Und so sind diese Bedürfnisse von Anfang an bis zu Ende einander entgegen gesetzt.

An jedem Knoten, ja an noch viel mehrern Punkten des Pflanzenkörpers kann sich die Wurzel entwickeln wenn die Bedingungen Feuchtigkeit und Finsternis, ja nur jene gewissermaßen allein, gegenwärtig ist.

An jedem Punkte der Pflanze kann sich der Blattkeim entwickeln sobald Licht und Trockne darauf wirken.

Beispiele.

Hauptunterschied des Wurzel- und Blattkeims.

Jener bleibt immer einfach

Es ist nur eine Fortsetzung der Fortsetzung ohne Mannigfaltigkeit.

Diese entwickelt sich aufs mannigfaltigste und nähert sich stufenweise der Vollendung.

Diese befördern Licht und Trockenheit.

Feuchte und Finsternis hindern sie.

Gewisse Pflanzen besonders die rankenden welche an ihren Zweigen eine Quasiwurzel trotz Licht und Luft entwickeln haben bei einer gewissen Zähheit und Reizbarkeit viel Wäßriges in ihrer Mischung.

Wenn nun ein solches Wesen ursprünglich und anfänglich in seinem Ganzen mit einem Gegensatz gedacht wird, so werden wir in seinen Teilen auch eine solche Trennung wieder finden.

Wir werden sie wieder finden in der obern und untern Fläche des Blatts.

Im Splint der nach innen das Holz, nach außen die Rinde bildet usw. bis wir endlich den Gipfel der organischen Trennung die Scheidung in zwei Geschlechter erreichen.

 

Vorarbeiten zu einer Physiologie der Pflanzen

Begriffe einer Physiologie

Die Metamorphose der Pflanzen, der Grund einer Physiologie derselben.

Sie zeigt uns die Gesetze wornach die Pflanzen gebildet werden.

Sie macht uns auf ein doppeltes Gesetz aufmerksam

1. Auf das Gesetz der innern Natur, wodurch die Pflanzen konstituiert werden.

2. Auf das Gesetz der äußern Umstände wodurch die Pflanzen modifiziert werden.

Die botanische Wissenschaft macht uns die mannigfaltige Bildung der Pflanze und ihrer Teile von einer Seite bekannt und von der andern Seite sucht sie die Gesetze dieser Bildung auf.

Wenn nun die Bemühungen die große Menge der Pflanzen in ein System zu ordnen nur dann den höchsten Grad des Beifalls verdienen, wenn sie notwendig sind, die unveränderlichsten Teile von den mehr oder weniger zufälligen und veränderlichen absondern und dadurch die nächste Verwandtschaft der verschiedenen Geschlechter immer mehr und mehr ins Licht setzen: so sind die Bemühungen gewiß auch lobenswert, welche das Gesetz zu erkennen trachten, wornach jene Bildungen hervorgebracht werden und, wenn es gleich scheint, daß die menschliche Natur weder die unendliche Mannigfaltigkeit der Organisation fassen, noch das Gesetz wornach sie wirkt, deutlich begreifen kann, so ists doch schön, alle Kräfte aufzubieten und von beiden Seiten sowohl durch Erfahrung als durch Nachdenken dieses Feld zu erweitern.

Wir haben gesehen, daß sich die Pflanzen auf verschiedene Art fortpflanzen welche Arten als Modifikationen einer einzigen Art [anzusehen] sind. Die Fortpflanzung wie die Fortsetzung welche durch die Entwicklung eines Organs aus dem andern geschieht hat uns hauptsächlich in der Metamorphose beschäftigt. Wir haben gesehen daß diese Organe welche selbst von äußerer Gleichheit bis zur größten Unähnlichkeit sich verändern innerlich eine virtuelle Gleichheit haben, und für den Verstand

Wir haben gesehen daß diese sprossende Fortsetzung bei den vollkommenen Pflanzen nicht ins Unendliche fortgehen kann, sondern daß sie stufenweis zum Gipfel führt und gleichsam am entgegengesetzten Ende seiner Kraft eine andere Art der Fortpflanzung durch Samen hervorbringt. Wir finden den Hauptunterschied von der Fortsetzung durch Fortpflanzung von der durch Samen darin, daß an jenem die Triebe

 

Allgemeines Schema zur ganzen Abhandlung der Morphologie

  1. Einleitung, worin die Absicht vorgelegt und das Feld bestimmt wird.
  2. Von den einfachsten Organisationen und ihrer Entstehung an einander ohne Progression der Glieder an der Gestalt.
  3. Von den einfachsten Organisationen und ihrer Entstehung aus einander, ohne Progression der Glieder der Gestalt.
  4. Betrachtung über die beiden vorhergehenden untersten Stufen der Pflanzen und Tierwelt; Übergang auf die Gemmen.
  5. Metamorphose der Pflanzen die vollkommnern stehen höher in der Gestalt als die unvollkommnern Tiere. Ausbildung bis zu den zwei Geschlechtern. Absonderung der Keime nur durch zwei Geschlechter möglich.
    Observations sur les Plantes et leur analogie avec les Insectes (par Bazin) Straßb. 1741
  6. Über die Würmer, welche keine Verwandlung leiden, sie stehen auch in der Gestalt unter den Pflanzen. Hermaphroditische Würmer. Aufsteigen derselben bis zur folgenden Abteilung.
  7. Würmer, welche sich verwandeln. Hier ist eine große bedeutende Stufe der Natur.
  8. Fische und ihre Gestalt, wie sie mit dem Wurm der sich nicht verwandelt, zusammenhängen.
  9. Amphibien und ihre Verwandlung zum Beispiel der Frösche aus einer fischartigen Gestalt. Schlangen und ihre Häutungen und was sonst auf die Metamorphose deuten mag.
    Überhaupt Verfolgung aller dieser Geschöpfe von der ersten Entwicklung aus den Eiern.
  10. Von dem Typus der vollkommnern Geschöpfe im allgemeinen und wie er sich auf die Begriffe bezieht, die wir früher aufgestellt haben.

 

[Betrachtung über Morphologie]

Bezeichnung und Absonderung des Feldes, worin gearbeitet wird.

Phänomen der organischen Struktur.

Phänomen der einfachsten die eine bloße Aggregation der Teile zu sein scheint, oft aber eben so gut durch Evolution oder Epigenese zu erklären wäre.

Steigerung dieses Phänomens und Vereinigung dieser Struktur zur tierischen Einheit.

Form.

Notwendigkeit, alle Vorstellungsarten zusammen zu nehmen, keinesweges die Dinge und ihr Wesen zu ergründen sondern von dem Phänomene nur einigermaßen Rechenschaft zu geben und dasjenige was man erkannt und gesehen hat andern mitzuteilen.

Diejenigen Körper, welche wir organisch nennen haben die Eigenschaft an sich oder aus sich ihres gleichen hervorzubringen.

Dieses gehört mit zum Begriff eines organischen Wesens, und wir können davon weiter keine Rechenschaft geben.

Das Neue, Gleiche ist anfangs immer ein Teil desselbigen und kommt in diesem Sinne aus ihm hervor. Dieses begünstigt die Idee von Evolution; das Neue kann sich aber nicht aus dem Alten entwickeln, ohne daß das Alte durch eine gewisse Aufnahme äußerer Nahrung zu einer Art von Vollkommenheit gelangt sei. Dieses begünstigt den Begriff der Epigenese, beide Vorstellungsarten sind aber roh und grob gegen die Zartheit des unergründlichen Gegenstandes.

An einem lebendigen Gegenstand fällt uns zuerst seine Form im ganzen in die Augen, dann die Teile dieser Form, ihre Gestalt und Verbindung.

Mit der Form im allgemeinen und mit dem Verhältnis und der Verbindung der Teile, in so fern sie äußerlich sichtbar sind, beschäftigt sich die Naturgeschichte, in so fern sie sich dem Auge aber erst darlegen, wenn die Gestalt getrennt ist, nennen wir diese Bemühung die Zergliederungskunst; sie geht nicht allein auf die Gestalt der Teile sondern auch auf die Struktur derselben im Innern und ruft alsdann wie billig das Vergrößerungsglas zu Hülfe.

Wenn dann so auf diese Weise der organische Körper mehr oder weniger zerstört worden ist, so daß seine Form aufgehoben ist und seine Teile als Materie betrachtet werden können, dann tritt früher oder später die Chemie ein und gibt uns neue und schöne Aufschlüsse über die letzten Teile und ihre Mischung.

Wenn wir nun aus allen diesen einzeln beobachteten Phänomenen dieses zerstörte Geschöpf wieder palingenesieren und es wieder lebendig in seinem gesunden Zustande betrachten, so nennen wir dieses unsere physiologischen Bemühungen.

Da nun die Physiologie diejenige Operation des Geistes ist, da wir aus Lebendigem und Totem, aus Bekanntem und Unbekanntem, durch Anschauen und Schlüsse, aus Vollständigem und Unvollständigem ein Ganzes zusammensetzen wollen, das sichtbar und unsichtbar zugleich ist, dessen Außenseite uns nur als ein Ganzes, dessen Inneres uns nur als ein Teil und dessen Äußerungen und Wirkungen uns immer geheimnisvoll bleiben müssen; so läßt sich leicht einsehen warum die Physiologie so lange zurückbleiben mußte, und warum sie vielleicht ewig zurückbleibt, weil der Mensch seine Beschränkung immer fühlt und sie selten anerkennen will.

Die Anatomie hat sich auf einen solchen Grad der Genauigkeit und Bestimmtheit erhoben, daß ihre deutliche Kenntnis schon für sich eine Art von Physiologie ausmacht.

Die Körper werden bewegt in so fern sie eine Länge, Breite und Schwere haben, Druck und Stoß auf sie wirkt, und sie auf eine oder die andere Weise von der Stelle gebracht werden können. Deshalb haben Männer, welchen diese Naturgesetze gegenwärtig und bekannt waren, sie nicht ohne Nutzen auf den organischen Körper und seine Bewegungen angewandt.

So hat auch die Chemie die Veränderung der kleinsten Teile so wie ihre Zusammensetzung genau beobachtet, und ihre letzte wichtige Tätigkeit und Feinheit gibt ihr mehr als jemals ein Recht ihre Ansprüche zu Enthüllung organischer Naturen geltend zu machen.

Aus allem diesem, wenn man auch das Übrige was ich hier übergehe, nicht in Betracht zieht, sieht man leicht ein, daß man Ursache hat alle Gemütskräfte aufzubieten, wenn wir im ganzen nach Einsicht dieser Verborgenheiten streben, daß man Ursache hat alle innere und äußere Werkzeuge zu brauchen und alle Vorteile zu benutzen, wenn wir an diese immer unendliche Arbeit uns heranwagen. Selbst eine gewisse Einseitigkeit ist dem Ganzen nicht schädlich, es halte immer ein jeder seinen eignen Weg für den besten wenn er ihn nur recht ebnet und aufräumt so daß die Folgenden bequemer und schneller denselben zurücklegen.

 

Rekapitulation der verschiedenen Wissenschaften.

  1. Kenntnis der organischen Naturen nach ihrem Habitus und nach dem Unterschied ihrer Gestaltsverhältnisse.
    Naturgeschichte.
  2. Kenntnis der materiellen Naturen überhaupt als Kräfte und in ihren Ortsverhältnissen.
    Naturlehre.
  3. Kenntnis der organischen Naturen nach ihren innern und äußern Teilen, ohne aufs lebendige Ganze Rücksicht zu nehmen.
    Anatomie.
  4. Kenntnis der Teile eines organischen Körpers in so fern er aufhört organisch zu sein, oder in so fern seine Organisation nur als Stoffhervorbringend und als Stoffzusammengesetzt, angesehen wird.
    Chemie.
  5. Betrachtung des Ganzen in so fern es lebt und diesem Leben eine besondere physische Kraft untergelegt wird.
    Zoonomie.
  6. Betrachtung des Ganzen in so fern es lebt und wirkt und diesem Leben eine geistige Kraft untergelegt wird.
    Physiologie.
  7. Betrachtung der Gestalt sowohl in ihren Teilen als im ganzen, ihren Übereinstimmungen und Abweichungen ohne alle andere Rücksichten.
    Morphologie.
  8. Betrachtung des organischen Ganzen durch Vergegenwärtigung aller dieser Rücksichten und Verknüpfung derselben durch die Kraft des Geistes.

 

Betrachtung einer Morphologie überhaupt

Die Morphologie kann als eine Lehre für sich und als eine Hülfswissenschaft der Physiologie angesehen werden. Sie ruht im ganzen auf der Naturgeschichte, aus der sie die Phänomene zu ihrem Behufe herausnimmt. Ingleichen auf der Anatomie aller organischen Körper und besonders der Zootomie.

Da sie nur darstellen und nicht erklären will, so nimmt sie von den übrigen Hülfswissenschaften der Physiologie so wenig als möglich in sich auf, ob sie gleich die Kraft- und Ortsverhältnisse des Physikers [sowohl] als die Stoff- und Mischungsverhältnisse des Chemikers nicht außer Augen läßt, sie wird durch ihre Beschränkung eigentlich nur zur besondern Lehre, sieht sich überall als Dienerin der Physiologie und mit den übrigen Hülfswissenschaften koordiniert an.

Indem wir in der Morphologie eine neue Wissenschaft aufzustellen gedenken, zwar nicht dem Gegenstande nach, denn derselbe ist bekannt, sondern der Ansicht und der Methode nach welche sowohl der Lehre selbst eine eigne Gestalt geben muß als ihr auch gegen andere Wissenschaften ihren Platz anzuweisen hat, so wollen wir zuvörderst erst dieses letzte darlegen und ihr Verhältnis zu den übrigen verwandten Wissenschaften zeigen, sodann ihren Inhalt und die Art ihrer Darstellung vorlegen.

Die Morphologie soll die Lehre von der Gestalt der Bildung und Umbildung der organischen Körper enthalten sie gehört daher zu den Naturwissenschaften, deren besondere Zwecke wir nunmehr durchgehen.

Die Naturgeschichte nimmt die mannigfaltige Gestalt der organischen Wesen als ein bekanntes Phänomen an. Es kann ihr nicht entgehen, daß diese große Mannigfaltigkeit dennoch eine gewisse Übereinstimmung teils im allgemeinen, teils im besondern zeigt, sie führt nicht nur die ihr bekannten Körper vor, sondern sie ordnet sie bald in Gruppen bald in Reihen nach den Gestalten, die man sieht nach den Eigenschaften, die man aufsucht und erkennt, und macht es dadurch möglich die ungeheure Masse zu übersehen; ihre Arbeit ist doppelt teils immer neue Gegenstände aufzufinden, teils die Gegenstände immer mehr der Natur und [den] Eigenschaften gemäß zu ordnen und alle Willkür, in so fern es möglich wäre, zu verbannen.

Indem nun also die Naturgeschichte sich an die äußere Erscheinung der Gestalten hält, und sie im ganzen betrachtet, so dringt die Anatomie auf die Kenntnis der innern Struktur, auf die Zergliederung des menschlichen Körpers als des würdigsten Gegenstandes und desjenigen, der so mancher Beihülfe bedarf, die ohne genaue Einsicht in seine Organisation ihm nicht geleistet werden kann. In der Anatomie der übrigen organisierten Geschöpfe ist vieles geschehen, es liegt aber so zerstreut, ist meist so unvollständig und manchmal auch falsch beobachtet, daß für den Naturforscher die Masse beinah unbrauchbar ist und bleibt.

Die Erfahrung, die uns Naturgeschichte und Anatomie geben, teils zu erweitern und zu verfolgen, teils zusammen zu fassen und zu benutzen, hat man teils fremde Wissenschaften angewandt, verwandte herbei gezogen, auch eigne Gesichtspunkte festgestellt, immer um das Bedürfnis einer allgemeinen physiologischen Übersicht auszufüllen, und man hat dadurch, ob man gleich nach menschlicher Weise gewöhnlich zu einseitig verfahren ist und verfährt, dennoch den Physiologen der künftigen Zeit trefflich vorgearbeitet.

Von dem Physiker im strengsten Sinne hat die Lehre der organischen Natur nur die allgemeinen Verhältnisse der Kräfte und ihrer Stellung und Lage in dem gegebenen Weltraum nehmen können. Die Anwendung mechanischer Prinzipien auf organische Naturen hat uns auf die Vollkommenheit der lebendigen Wesen nur desto aufmerksamer gemacht, und man dürfte beinah sagen, daß die organischen Naturen nur desto vollkommner werden, je weniger die mechanischen Prinzipien bei denselben anwendbar sind.

Dem Chemiker, der Gestalt und Struktur aufhebt und bloß auf die Eigenschaften der Stoffe und auf die Verhältnisse ihrer Mischungen acht hat, ist man auch in diesem Fache viel schuldig und man wird ihm noch mehr schuldig werden, da die neueren Entdeckungen die feinsten Trennungen und Verbindungen erlauben, und man also auch den unendlich zarten Arbeiten eines lebendigen organischen Körpers sich dadurch zu nähern hoffen kann. Wie wir nun schon durch genaue Beobachtung der Struktur eine anatomische Physiologie erhalten haben, so können wir mit der Zeit auch eine physisch-chemische uns versprechen, und es ist zu wünschen, daß beide Wissenschaften immer so fortschreiten mögen als wenn jede allein das ganze Geschäft vollenden wollte.

Da sie beide aber nur trennend sind und die chemischen Zusammensetzungen eigentlich nur auf Trennungen beruhen, so ist es natürlich, daß diese Art sich organische Körper bekannt zu machen und vorzustellen, nicht allen Menschen genug tut deren manche die Tendenz haben von einer Einheit auszugehen, aus ihr die Teile zu entwickeln und die Teile darauf wieder unmittelbar zurück zu führen. Hierzu gibt uns die Natur organischer Körper den schönsten Anlaß: denn da die vollkommensten derselben uns als eine von allen übrigen Wesen getrennte Einheit erscheinet, da wir uns selbst einer solchen Einheit bewußt sind, da wir den vollkommensten Zustand der Gesundheit nur dadurch gewahr werden daß wir die Teile unseres Ganzen nicht, sondern nur das Ganze empfinden, da alles dieses nur existieren kann in so fern die Naturen organisiert sind, und sie nur durch den Zustand, den wir das Leben nennen, organisiert und in Tätigkeit erhalten werden können: so war nichts natürlicher, als daß man eine Zoonomie aufzustellen versuchte und denen Gesetzen wornach eine organische Natur zu leben bestimmt ist nachzuforschen trachtete; mit völliger Befugnis legte man diesem Leben, um des Vortrags willen, eine Kraft unter; man konnte, ja man mußte sie annehmen, weil das Leben in seiner Einheit sich als Kraft äußert die in keinem der Teile besonders enthalten ist.

Wir können eine organische Natur nicht lange als Einheit betrachten, wir können uns selbst nicht lange als Einheit denken, so finden wir uns zu zwei Ansichten genötigt und wir betrachten uns einmal als ein Wesen das in die Sinne fällt, ein andermal als ein anderes das nur durch den innern Sinn erkannt oder durch seine Wirkungen bemerkt werden kann.

Die Zoonomie zerfällt daher in zwei nicht leicht von einander zu trennende Teile, nämlich in die körperliche und in die geistige. Beide können zwar nicht von einander getrennt werden, aber der Bearbeiter dieses Faches kann von der einen oder der andern Seite ausgehen und so einer [oder] der andern das Übergewicht verschaffen.

Nicht aber allein diese Wissenschaften, wie sie hier aufgezählt worden sind, verlangen nur ihren Mann allein, sondern sogar einzelne Teile derselben nehmen die Lebenszeit des Menschen hin, eine noch größere Schwierigkeit entsteht daher, daß diese sämtliche Wissenschaften beinah nur von Ärzten getrieben werden, die denn sehr bald durch die Ausübung, so sehr sie ihnen auch von einer Seite zu Ausbildung der Erfahrung zu Hülfe kömmt, doch immer von weiterer Ausbreitung abgehalten werden.

Man sieht daher wohl ein daß demjenigen, der als Physiolog alle diese Betrachtungen zusammenfassen soll, noch viel vorgearbeitet werden muß wenn derselbe künftig alle diese Betrachtungen in eins fassen und, in so fern es dem menschlichen Geist erlaubt ist, dem großen Gegenstande gemäß erkennen soll. Hierzu gehört zweckmäßige Tätigkeit von allen Seiten, woran es weder gefehlt hat noch fehlt, und bei der jeder schneller und sichrer fahren würde, wenn er zwar von Einer Seite aber nicht einseitig arbeitete und die Verdienste aller übrigen Mitarbeiter mit Freudigkeit anerkennte, anstatt wie es gewöhnlich geschieht, seine Vorstellungsart an die Spitze zu setzen.

Nachdem wir nun also die verschiedenen Wissenschaften, die dem Physiologen in die Hand arbeiten, aufgeführt und ihre Verhältnisse dargestellt haben, so wird es nunmehr Zeit sein daß sich die Morphologie als eine besondere Wissenschaft legitimierte.

So nimmt [man] sie auch; und sie muß sich als eine besondere Wissenschaft erst legitimieren, indem sie das, was bei andern gelegentlich und zufällig abgehandelt ist, zu ihrem Hauptgegenstande macht, indem sie das, was dort zerstreut ist, sammelt, und einen neuen Standort feststellt, woraus die natürlichen Dinge sich mit Leichtigkeit und Bequemlichkeit betrachten lassen. Sie hat den großen Vorteil daß sie aus Elementen besteht, die allgemein anerkannt sind daß sie mit keiner Lehre im Widerstreite steht, daß sie nichts wegzuräumen braucht um sich Platz zu verschaffen daß die Phänomene, mit denen sie sich beschäftigt höchst bedeutend sind und daß die Operationen des Geistes, wodurch sie die Phänomene zusammenstellt, der menschlichen Natur angemessen und angenehm sind, so daß auch ein fehlgeschlagener Versuch darin selbst noch Nutzen und Anmut verbinden könnte.

 


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