Johann Wolfgang von Goethe
Naturwissenschaftliche Schriften 1792 - 1797
Johann Wolfgang von Goethe

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Über die Farberscheinungen,
die wir bei Gelegenheit der Refraktion gewahr werden

Einleitung

1.

Die Wirkung der Refraktion, wodurch die Lichtstrahlen von ihrem Wege abgelenkt werden, wodurch uns das Bild eines Gegenstandes an einem andern Orte erscheint, als es sich wirklich befindet, ist ein sehr merkwürdiges Phänomen. Die Erfahrungen und Versuche, unter welchen Umständen sie bemerkt wird, die Gesetze, nach welchen sie sich äußert, sind von den Naturforschern beobachtet, geordnet und berechnet worden. Ich setze voraus, daß man wenigstens im allgemeinen mit dieser Lehre bekannt sei, indem ich nur von den apparenten Farben zu handeln gedenke, welche uns bei dieser Gelegenheit erscheinen.

 
2.

Diese Farbenerscheinungen sind unter gewissen Umständen so lebhaft, schön und überraschend, daß sie die Aufmerksamkeit der Naturforscher von jeher billig auf sich gezogen haben. Einige dieser Phänomene haben zu der fast allgemein angenommenen Theorie Anlaß gegeben, und doch ist mir unbekannt, daß die Erfahrungen und Versuche jemals vollständig gesammelt und in ihrer natürlichen Ordnung aufgestellt worden. Wir wollen versuchen, ob wir diese Erscheinungen bis zu ihren ersten Spuren verfolgen können; wir wollen sie von da bis auf den höchsten Grad ihrer Schönheit begleiten und ihnen alsdann bis dahin folgen, wo sie wieder verschwinden, und durch diesen Zirkel die Gesetze dieser Erscheinung an den Tag zu bringen bemüht sein.

 
3.

Vorher aber ist es nötig, daß wir die verschiedenen Versuche, welche wir bei dieser Gelegenheit anstellen, im allgemeinen betrachten und, was wir dabei zu bemerken finden, 381 festsetzen. Alle Versuche, welche bei dieser Gelegenheit vorkommen, lassen sich einteilen in

objektive
subjektive
verbundene und
gemischte Versuche.

 
4.

Objektive nenne ich diejenigen, wo das brechende Mittel sich nicht zwischen der Erscheinung und dem Beobachter findet, z. B. wenn wir das Sonnenlicht durch das Prisma fallen lassen und das farbige Bild an der Wand erblicken.

 
5.

Subjektive nenne ich, wenn das brechende Mittel zwischen der Erscheinung und dem Auge des Beobachters sich befindet, z. B. wenn wir ein Prisma vor die Augen halten und schwarze und weiße Tafeln dadurch betrachten, und die Ordnung der Farbenerscheinung an selbigen wahrnehmen.

 
6.

Wir werden genau zu bestimmen suchen, worin diese beiderlei Arten von Versuchen miteinander übereinkommen und worin sie voneinander verschieden sind. Wir werden sie neben einander stellen und sehen, in wiefern sie miteinander gleichen Schritt halten oder von einander abweichen. Auf diese genaue Absonderung kommt sehr viel an, da man sie gewöhnlich nur promiscue zu gebrauchen pflegt.

 
7.

Kennen wir diese Versuche genau, so werden wir sie desto eher beurteilen können, wenn wir sie in Verbindung untereinander zu betrachten haben. Es werden uns sehr merkwürdige und sehr komplizierte Phänomene nicht irremachen, welche uns durch diese verbundene Versuche dargestellt werden. 382

 
8.

Gemischte Versuche nenne ich zum Unterschied unreine, ohne Methode und Zweck vereinigte Versuche der objektiven und subjektiven Phänomene, welche nur alsdann vorkommen werden, wenn wir imstande sind, die Bemühungen unserer Vorgänger kritisch zu beurteilen.

 

Erster Abschnitt

Refraktion an und für sich selbst
bringt keine Farbenerscheinung hervor

Subjektive Versuche

 
9.
Erster Versuch

Man nehme ein Gefäß, das breiter als hoch ist, und stelle es vor sich in die Hellung des Tageslichts, und die innern Flächen desselben werden uns ihre eigne Farbe zeigen; es sei das Gefäß holzfarb, man streiche es weiß, schwarz, gelb oder blau an, so wird man, wie bei jedem andern Körper, den Anstrich der Oberfläche rein erkennen. Man gieße hierauf reines Wasser hinein; der Boden wird uns nach den Gesetzen der Refraktion erhöht, die Wände so viel verkürzt erscheinen. Man schaue durch das Wasser von allen Seiten, und es wird keine apparente Farbe in dem Gefäße erscheinen. Die Oberfläche des Bodens und der Wände wird uns ihren Anstrich wie vorher sehen lassen, obgleich die Refraktion schon vollkommen wirket und uns alle Stellen des Gefäßes an einem andern Platze zeigt.

 
10.
Zweiter Versuch

Man halte sodann das Gefäß schief, so daß der Boden mit dem Horizonte einen spitzen Winkel macht. Man stelle sich auf die Seite des spitzen Winkels, sehe abermals durch das Wasser in das Gefäß, man wird eben so wenig apparente Farben und nur die Farbe des Gefäßes wie vorher erblicken. 383

 
11.
Dritter Versuch

Man gehe um das Gefäß herum und stelle sich auf die Seite, wo das brechende Mittel am dicksten ist, auch da wird man keine Farbenerscheinungen sehen und in diesen drei Fällen völlig gleiche Erfahrungen machen.

 
12.
Vierter Versuch

Man nehme hierauf ein Gefäß mit einem Glasboden, richte es dergestalt, daß der Boden mit der Wasserwaage parallel sei und stelle es erhöht über ein weißes Papier; man sehe nun durch das Mittel auf das weiße Papier, man lege statt desselben ein schwarzes oder ein farbiges hin und man wird niemals apparente Farben sehen, ob man gleich die Fläche und ihre Teile nach dem Gesetz der Refraktion an einem ganz andern Orte erblickt, als wo sie sich wirklich befindet.

 
13.
Fünfter Versuch

Man hebe nun die eine Seite des Bodens dergestalt in die Höhe, daß der Glasboden einen spitzen Winkel mit der Wasserwaage macht, stelle sich an die Seite des Winkels und schaue dadurch auf die weiße oder farbige Fläche. Auch in diesem Falle zeigen sie sich vor wie nach, und keine apparente Farben erscheinen.

 
14.
Sechster Versuch

Man gehe nun abermals um das Gefäß herum, so daß man auf der dicken Seite des Mittels stehe, und dieser Versuch wird den vorigen gleich sein.

 
15.

Wir sprechen also das Resultat dieser Erfahrungen dergestalt aus: Das Auge sieht durch ein brechendes Mittel, es mag dasselbe parallel oder im Winkel sein, es mag die Brechung einfach oder doppelt geschehen, auf jeder Fläche, die nur mit einem reinen, gleichen Pigmente angestrichen ist oder, 384 welches eben so viel heißt, auf allen Flächen von einer gleichen Schattierung oder Farbe keine apparente Farben, sondern die Fläche und ihre Teile erscheinen uns, obgleich durch die Refraktion an einem andern Orte, doch völlig unverändert, als wenn wir sie durch kein Mittel sähen; es müßte denn sein, daß sie etwas dunkler oder trüber erschienen.

 
Objektive Versuche

16.

Daß man den drei ersten subjektiven Versuchen keine objektiven an die Seite setzen könne, folgt aus ihrer Natur, indem das brechende Mittel unmittelbar den Boden und die Wände berührt und also immer zwischen dem Auge und dem Gegenstande bleibt; den drei letztern Versuchen aber können wir folgende objektive an die Seite setzen.

 
17.
Siebenter Versuch

Man richte und stelle das Gefäß, wie in dem vierten Versuche, den gläsernen Boden mit der Waage des Wassers parallel und lasse die Sonnenstrahlen frei durch dasselbe auf eine weiße oder gefärbte Fläche fallen; auch da wird das Auge, das nunmehr unmittelbar auf die Fläche sieht, dieselbe erhellt sehen, aber darauf keine apparente Farben erblicken.

 
18.
Achter Versuch

Eben so wird es geschehen, wenn wir das Gefäß, wie bei dem fünften Versuche, zu einem spitzwinkligen Mittel umändern und diesen Winkel gegen die Sonne kehren.

 
19.
Neunter Versuch

Gleichfalls wenn wir die starke Seite des Mittels gegen die Sonne richten, wird das Auge des Beobachters auf der Fläche, sie mag eine Farbe haben, welche sie will, das Sonnenlicht zwar von seinem Wege abgelenkt, doch unverändert und farblos erblicken. 385

 
20.

Aus diesen objektiven Versuchen ziehen wir folgendes Resultat: Das Sonnenlicht kann durch ein brechendes Mittel hindurch scheinen, es kann darin gebrochen, von seinem Wege abgelenkt werden, und es bleibt demohngeachtet bei der stärksten wie bei der geringsten Ablenkung noch farblos wie vor seinem Eintritte.

 
21.

Halten wir nun diese Resultate der objektiven Erfahrungen mit jenen zusammen, welche wir aus den subjektiven (§ 15) gezogen, so dürfen wir wohl ohne Anstand als Axiom festsetzen: Refraktion an und fürsich bringt keine Farbenerscheinung hervor.

 

Zweiter Abschnitt

Zur Refraktion müssen sich noch andere Bedingungen hinzugesellen, wenn die Farbenerscheinung stattfinden soll

 
22.

Wer die in dem vorigen Abschnitt vorgelegten Versuche aufmerksam betrachtet, und die daraus natürlich gezogenen Folgerungen anerkannt hat, wird nunmehr billig die Frage aufwerfen: auf welchem Wege es uns denn gelingen könne, die Farberscheinung verbunden mit der Refraktion darzustellen, da wir bisher Refraktion ganz rein von aller Farberscheinung gefunden haben? Wir antworten hierauf, daß uns der Zufall dahin führe, und daß wir bei genauer Wiederholung der im vorigen Abschnitt angezeigten Versuche, besonders der objektiven, gelegentlich [haben] bemerken können, unter welchen Umständen apparente Farben erschienen. So wird man z. B. beim siebenten Versuche, § 17, wenn das Glas Knötchen oder Streifen hat, sogleich auf dem unterliegenden Papiere apparente Farben erblicken.

 
23.

Wir werden dadurch auf den Weg geleitet, bei subjektiven Versuchen das Bild zu begrenzen, bei objektiven dem Licht 386 undurchsichtige Hindernisse in den Weg zu setzen. Daraus entstehen nachfolgende Versuche, welche abermals in subjektive und objektive zerfallen. Ich werde jede Art abermals allein behandeln, doch beide in gleicher Ordnung und Folge, so daß sie zuletzt bequem gegeneinander gehalten und miteinander verglichen werden können.

 
Subjektive Versuche

Erstes Kapitel

Unter welchen Bedingungen
die Farbenerscheinung sichtbar wird

24.
Zehnter Versuch

Wir legen in das oben beschriebene Gefäß mit Wasser ein schwarz angestrichnes Blech, in dessen Mitte eine zirkelrunde weiße Fläche im Durchschnitt ungefähr einige Zoll gemalt ist, wir richten unser Auge so viel als möglich senkrecht auf den Mittelpunkt der Fläche, und wir werden keine Farbenerscheinung erblicken.

 
25.
Eilfter Versuch

Wir bewegen uns dergestalt von dem Gefäße hinweg, daß wir in einer schiefen Richtung nach der Fläche sehen, so erblicken wir bald eine Farbenerscheinung, und zwar so, daß der nächste Rand der weißen Fläche uns gelb und gelbrot erscheint, der entgegengesetzte Rand aber mit einer blauen Farbe eingefaßt ist.

 
26.

Wir erkennen also hier sogleich zwei notwendige Bedingungen, welche zur Refraktion hinzukommen müssen, um eine Farbenerscheinung hervorzubringen.

1. Begrenzung des Bildes (a).

2. Bestimmte Richtung des Auges gegen die Grenze des Bildes (b). 387

 
27.

Wir gehen nun weiter und bemerken zuerst, daß, wie wir uns um das Gefäß herum bewegen, die Farbe uns beständig nachfolgt, daß der uns nächste Rand der gelbe, der entgegengesetzte der blaue ist.

 
28.
Zwölfter Versuch

Verändern wir den Versuch dergestalt, daß wir eine schwarze Kreisfläche auf weißem Grunde unter Wasser beschauen, so finden wir, daß sich die Farbenerscheinung nicht nach der Nähe und Entfernung des Randes richte, sondern nach dem Verhältnisse der schwarzen oder weißen Fläche zu unserm Auge.

 
29.

Denn wenn uns das Schwarze zunächst und das Weiße hinter ihm liegt, sehen wir jederzeit einen gelben Rand; der Rand hingegen am Schwarzen, wenn das Weiße uns zunächst liegt, erscheint uns immer blau, und auch diese Erscheinung folgt uns, wenn wir um das Gefäß herumgehen.

 
30.
Dreizehnter Versuch

Um diesen Versuch zu vermannigfaltigen, machen wir uns nunmehr zum Mittelpunkte und bewegen das Gefäß um uns herum, anstatt daß wir uns bisher um das Gefäß bewegt haben. Die Erfahrung bleibt sich gleich, zeigt sich aber reiner in bezug auf den Beobachter, und wir werden zu dem einfachsten aller Versuche geführt, uns in die Mitte einer schwarzen oder weißen runden Fläche zu stellen, die mit dem Gegensatze begrenzt ist, ein brechendes Mittel zwischen die Fläche und unser Auge zu bringen, und die oben angezeigten Versuche nunmehr im ganzen zu sehen. In einem großen reinen Garten-Bassin, dessen Boden man mit Ölfarbe anstreicht, läßt sich dieser Versuch am schönsten darstellen (c). 388

 
31.
Vierzehnter Versuch

Er läßt sich aber auch, jedoch unvollkommen, im kleinen denken, wenn wir nämlich einen größeren weißen Kreis, z. B. von zwei Fußen, auf schwarzem Grunde in ein Gefäß mit Wasser bringen, unser Auge perpendikular auf den Mittelpunkt des Kreises richten, und dasselbe dem Wasser so lange nähern, bis wir die Farbenerscheinung nach obiger Ordnung erblicken (d).

 
32.

Man sieht leicht, daß alle diese Versuche im Grunde nur Variationen eines einzigen sind; allein es wird bei dieser Abhandlung die Vollständigkeit keinesweges gleichgültig: denn nur jetzt, nach der mannigfaltigen Anwendung dieser Erfahrungen, dürfen wir folgendes aussprechen: in unserm Auge liegt das Gesetz, bei Gelegenheit der Refraktion an dem Rande einer schwarzen Fläche auf weißem Grunde, in deren Mittelpunkte wir stehen, einen gelben Rand, an dem Rande einer weißen Fläche auf schwarzem Grunde einen blauen Rand zu sehen, vorausgesetzt, daß dieser Rand unter einem gewissen Winkel gesehen wird.

 
33.

Diese Erscheinung, welche wir bisher nur bei einer einfachen Refraktion bemerkt haben, verändert sich auch nicht bei der doppelten, vorausgesetzt, daß das Mittel parallel bleibt.

Fünfzehnter Versuch

Man bringe die oben gebrauchte Tafel unter ein durchsichtiges paralleles Mittel, richte das Auge schief gegen das Gefäß, um jene Erscheinung entstehen zu sehen; sie wird dieselbe sein, welche wir oben erblickten, man kann um das Gefäß herumgehen, und sie wird sich gleichmäßig verhalten.

 
34.

Wir gehen, nachdem wir durch diese einfachen Versuche 389 ein subjektives Gesetz des Auges mit seinen Bestimmungen festgesetzt, zu Mitteln über, welche nicht parallel sind, und bemerken auch durch solche die Erscheinung.

 
35.
Sechzehnter Versuch

Nehmen wir ein konvexes Glas vors Auge und sehen damit auf ein weißes Papier, so werden wir keine Farbenerscheinung erblicken, wenn das Papier ganz glatt und eben ist; an dem Rande hingegen eines jeden dunkeln Fleckens wird uns sogleich die Farbenerscheinung begegnen.

 
36.
Siebzehnter Versuch

Man nehme eine weiße Karte, worauf ein proportionierter schwarzer Kreis, ein solcher nämlich, der durch das Vergrößerungsglas auf einmal übersehen werden kann, gemalt ist, man betrachte selbigen durch das Glas und er wird, sobald er uns deutlich vergrößert erscheint, mit einem schönen gelb- und gelbroten Rande eingefaßt sein.

 
37.
Achtzehnter Versuch

Ingleichen wird ein weißer Kreis auf schwarzem Grunde unter diesen Umständen blau eingefaßt erscheinen.

 
38.

Man kann also sagen, daß das Auge durch ein Vergrößrungsglas die Farbenerscheinung nach eben dem Gesetze wie durch parallele Mittel erblickt (§ 31).

 
39.
Neunzehnter Versuch

Nimmt man dagegen ein konkaves Glas und betrachtet jene Karten dadurch, so wird die Erscheinung umgekehrt sein, der weiße Kreis ist gelb, der schwarze blau eingefaßt. 390

 
40.

Wir sehen aus diesen Erfahrungen, daß die Erscheinung der Farben sich immer in einem Gegensatze zeigt, daß sie sehr beweglich ist, ja daß sie völlig umgewendet werden kann. Wir fragen jetzt noch nicht nach nähern Ursachen, ob wir gleichwohl künftig, wenn wir alle Erscheinungen vor uns haben und die Berechnung uns zu Hilfe kommt, erwünschte Aufschlüsse hoffen dürfen.

 
41.

Wir schreiten nun zu denen vorzüglich sogenannten prismatischen Erfahrungen und Versuchen, welche mit denen erst erzählten völlig übereinstimmend sind.

 
42.

Man kann ein Prisma als ein Stück einer konkaven oder konvexen Linse ansehen, und wir werden also durch die Prismen nur diejenigen Erscheinungen sehen, die uns schon bekannt sind, nur müssen wir uns, wenn wir ein Prisma vor die Augen nehmen, in die Mitte einer großen auf die Erde gemalten schwarzen oder weißen Fläche denken, und alsdann werden wir uns die Identität der prismatischen Versuche mit denjenigen, welche wir schon kennen, leicht anschaulich machen.

 
43.

Es ist nötig, daß man diese ersten Versuche durch spitzwinklichte Prismen anstelle, welche kein Beobachter künftig entbehren kann, wenn er meiner vorzutragenden Lehre mit Überzeugung beitreten oder sie mit Gewicht bestreiten will.

 
44.
Zwanzigster Versuch

Man stelle sich also in die Mitte einer runden schwarzen Fläche, die auf der Erde gemalt und von Weiß begrenzt ist (e), und nehme das spitzwinklichte Prisma dergestalt vor die Augen, daß der spitze Winkel nach außen zugekehrt ist, 391 so wird der schwarze Kreis gelb umgrenzt erscheinen, und zwar deswegen, weil er nach dem Gesetz des konvexen Glases erscheint: denn indem die Schärfe des Prismas nach außen gewendet ist, so sieht mein Auge die Farben eben so, als wenn ich in der Mitte einer ungeheuern Linse stehen könnte und durch den Rand derselben die Grenze des Schwarzen und Weißen anschaute. Stelle ich mich in die Mitte eines weißen Zirkels, so seh' ich den mit Schwarz abwechselnden Rand alsdenn nach den Gesetzen blau gefärbt.

 
45.
Zweiundzwanzigster Versuch

Wende ich nun mein spitzwinkliges Prisma nach innen, und stelle mich wieder in den Mittelpunkt des schwarzen oder weißen Kreises, so werde ich die Erscheinung nach den Gesetzen des konkaven Glases sehen: denn es ist nunmehr eben der Fall, als wenn ich in der Mitte eines ungeheuern konkaven Glases stehen könnte und die Grenzen der Kreisbilder durch den Rand desselben beschaute.

 
46.

Hiermit wären nun die subjektiven Versuche, die uns bei Gelegenheit der Refraktion Farbenerscheinungen zeigen, so sehr simplifiziert und untereinander verbunden, als es mir vorerst möglich scheinen wollte. Wie notwendig diese Methode sei, wird demjenigen am besten einleuchten, der einsieht, daß man sich nicht eher an die Erklärung eines Phänomens wagen dürfe, bis man solches auf seine einfachsten Elemente zurückgeführt hat.

 
47.
Vierundzwanzigster Versuch

Wir können nunmehr nicht irre werden, wenn wir künftighin schwarz und weiße Tafeln an der Wand aufhängen: denn wir dürfen den schwarzen Kreis, in dem wir stehen, nur in Gedanken in eine ausgehöhlte Halbkugel verwandeln und supponieren, daß dieselbe weiß eingefaßt sei, so werden wir zwischen Schwarz und Weiß durchs Prisma den 392 farbigen Rand nach obigen Gesetzen so gut in der Höhe als vorher auf dem Boden erblicken.

 
48.

So sind also folgende Ausdrücke synonym:
 

Schwarz unten     nach innen
Schwarz oben. nach außen.
Weiß unten nach innen
Weiß oben. nach außen.
Der brechende Winkel des
Prisma nach unten.
gegen den Beobachter zu.
Derselbe nach oben. Von dem Beobachter ab.

 
49.

Die Zweckmäßigkeit und Konsequenz des bisherigen Vortrags wird hoffentlich allen Liebhabern einleuchten, welche die nötigen Werkzeuge zur Hand nehmen und die Versuche genau wiederholen wollen. Sie werden sich mit mir über folgende übereinstimmende Erfahrungen vereinigen:

1. Die Farbenerscheinung läßt sich nur an Rändern sehen; auf den Flächen, sie seien schwarz oder weiß, sehen wir nicht die mindeste apparente Farbe, sondern sie erscheinen uns nach der Refraktion wie vorher.

2. Der eine Rand erscheint jederzeit gelb und gelbrot, der andere blau.

3. Wir bemerken an dem gelben Rand, daß das Gelbe nach dem Weißen zu und das Gelbrote nach dem Schwarzen zu strahlt. An dem blauen Rande bemerken wir bei den ersten Versuchen nur ein reines Blau, das nach dem Weißen strahlt, die letzteren Versuche durch die Prismen aber, bei welchen die Erscheinung sich stärker zeigt, zeigen uns mit den übrigen Farben ein Violett, das nach dem Schwarzen strahlt. 393

 
Zweites Kapitel

Unter welchen Bedingungen
der Grad der Farbenerscheinung vermehrt wird

50.

Nachdem wir nun die einfachsten Erscheinungen und ihre Bedingungen beobachtet haben, so dürfen wir wagen, zu komplizierteren Phänomenen überzugehen, und zwar nehmen wir zuerst die Vermehrung des Grades der Erscheinung vor.

 
51.
Fünfundzwanzigster Versuch

Wir haben oben bemerkt, daß bei parallelen Mitteln eine gewisse schiefe Richtung gegen das Mittel und das Bild erfordert werde, wenn die Farbenerscheinung sich zeigen soll. Vermehrt man nun die schiefe Richtung des Auges gegen die Oberfläche des brechenden Mittels, so wird auch die Farbenerscheinung vermehrt. Es sehe z. B. ein Auge in A durch das Mittel ab nach den Rändern cd, so wird es daran Farben erblicken, wenn die Ränder ef noch farblos erscheinen. Dagegen wird ein Auge in B die Ränder ef farbig, die Ränder cd aber breiter gefärbt erblicken. Die erste Bedingung der verstärkten Farbenerscheinung ist also: schiefere Richtung des Auges gegen die Oberfläche paralleler Mittel, in welchen wir bei einfacher oder durch welche wir bei doppelter Brechung die Objekte erblicken.

 
52.
Sechsundzwanzigster Versuch

Ferner bemerken wir bei einer doppelten Brechung, sobald das Mittel aufhört parallel zu sein, daß die Farbenerscheinung sich gleichfalls verstärkt, zum Beispiel wenn das Auge in A durch das Mittel ab den Gegenstand cd betrachtet und die farbigen Ränder desselben wahrgenommen hat, so hebe man das Gefäß dergestalt in die Höhe, daß der Boden mit der Wasserfläche einen spitzen Winkel macht, und halte übrigens die Entfernung des Bildes soviel als möglich gleich; so wird man alsbald die Ränder zwar nach demselben 394 Gesetze wie vorher, jedoch viel stärker gefärbt sehen. Es wird sich künftig, wenn Maß und Berechnung uns zu Hilfe kommen, zeigen, was eigentlich hier vorgeht, ob auch hier eine größere Schiefe bewirkt wird? oder ob sich etwas anderes darein mischt?

Die zweite Bedingung der Farbenvermehrung ist also die Winkelgestalt des Mittels.

 
53.
Siebenundzwanzigster Versuch

Die dritte Art, den Grad der Erscheinung zu vermehren, ist: wenn das Mittel verdickt wird, es sei nun parallel oder im Winkel. Man sehe auf die unter dem Wasser liegenden Ränder unter einer gewissen Richtung. Man behalte seinen Platz und gieße mehr Wasser ins Gefäß, so wird die Erscheinung, wenn sie vorher nicht da war, entstehen oder, wenn sie schon bemerklich war, sich verstärken. Ingleichen wird ein Prisma, dessen brechender Winkel mehrere Grade hat, in eben der Entfernung von dem Gegenstand breitere Farben zeigen, als ein spitzwinkliges. Ob man nun sagen könne, daß bei dieser dritten Bedingung auch die Brechung vermehrt werde, indem das Phänomen an Stärke zunimmt oder ob ein ander Verhältnis des Gegenstands oder des Mittels daran Ursache sind, wird künftiger Untersuchung überlassen.

 
54.

Der vierte Fall, in welchem die Farbenerscheinung sich in einem hohen Grade vermehrt, ist, wenn man das winklige Mittel, durch welches wir schauen, von dem Gegenstande, den man beobachtet, nach und nach entfernt, und hier treten eigentlich erst diejenigen Versuche ein, welche man sonst per excellentiam prismatische Versuche zu nennen pflegt.

 
55.

Man nehme ein spitzwinkliges Prisma vor die Augen und beschaue dadurch einen kleinen weißen Kreis auf schwarzem Grunde, so wird man die Ränder nach obigen Gesetzen gefärbt sehen. Man entferne sich von dem Gegenstande, so 395 werden die Ränder breiter werden und mehr in das Schwarze und Weiße hineinstrahlen. Weil man aber, um die Erscheinung zu vermehren, sich allzuweit von dem Gegenstande entfernen müßte, wodurch derselbe sowie die Ränder, besonders bei nicht ganz reinen Gläsern, einigermaßen trübe wird, so nehme man gleich ein gewöhnliches gleichseitiges Prisma, trete ganz nahe zu dem Gegenstand, und man wird nur die Ränder wie durch das spitzwinklige gefärbt erblicken. Entfernt man sich, so vermehren sich die Strahlen der Ränder, und diese Strahlen reichen endlich zusammen und fangen an einander dergestalt zu decken, daß auf der weißen Fläche durch die Mischung von Gelb und Blau Grün entsteht, auf einer schwarzen durch die Mischung von Gelbrot und Blaurot ein Purpur erscheint. Bei noch weiterer Entfernung und sehr schmalen Gegenständen decken sich die innern entgegengesetzten Farben vollkommen, und die Erscheinung dieser drei Fälle sind folgende, vorausgesetzt, daß der brechende Winkel des Prismas unter sich gekehrt ist.

 
Erster Fall
Die Ränder stehen gegeneinander über:

Phänomen a und c
    Fig. 28 und 29.
        Gelbrot
        Gelb
        Weiß
        Blau
        Blaurot
    Phänomen b und d
    Fig. 28 und 29.
        Blau
        Blaurot
        Schwarz
        Gelbrot
        Gelb.

 
Zweiter Fall
Die Strahlungen der Ränder fangen an, sich zu decken:

Phänomen e
    Fig. 30.
    Gelbrot
    Blau
    Gelb
    Grün
    Blaurot
                   Phänomen f
    Fig. 30.
    Blau
    Blaurot
    Purpur
    Gelbrot
    Gelb.

Dritter Fall
Die Strahlungen der Ränder haben sich vollkommen gedeckt:

Phänomen g
    Fig. 31.
    Gelbrot
    Grün
    Blaurot
                   Phänomen h
    Fig. 31.
    Blau
    Purpur
    Gelb.

Was die beiden ersten Fälle betrifft, so habe ich solche in ihrem ganzen Umfange und mit allen ihren Abwechselungen in meinen optischen Beiträgen ausgeführt und darf also wohl dorthin verweisen. Der dritte Fall aber ist delikat zu beobachten. Es sollen die Umstände und Vorrichtungen bei und zu diesem zarten Versuche und die zu beobachtenden Kautelen von mir besonders vorgetragen werden.

 
56.
Entfernung vom Gegenstande bei nicht parallelen Mitteln

ist also die vierte Bedingung, unter der sich das Phänomen mächtiger sehen läßt. Hier scheint nun die Verstärkung nicht aus einer vermehrten Refraktion herzukommen: denn man stelle zwei Gegenstände dergestalt hintereinander, daß sie sich beinahe im Auge decken, und betrachte sie durchs Prisma, so wird die Brechung beide in gleichem Grade von der Stelle rücken, der entfernte hingegen wird proportionierlich farbiger erscheinen als der erste.

 
57.

Die nähern Umstände und die nächste Ursache dieser Erscheinung werden uns bei den objektiven Versuchen durch den Augenschein deutlicher werden, anstatt daß wir bei subjektiven nur die Wirkung bemerken. Ich beziehe mich also, was diesen Punkt betrifft, auf eine dort vorzutragende Ausführung. Haben wir nun bei diesen vier Bedingungen, welche ich samt und sonders der Aufmerksamkeit der Beobachter empfehle, mehr oder weniger zu zweifeln 397 Ursache gehabt, ob die Refraktion in demselben Grade vermehrt werde, als die Farbenerscheinung zunimmt, so finden wir dagegen eine fünfte Bedingung, welche, ganz unabhängig von stärkerer oder schwächerer Refraktion, uns eine vermehrte oder verminderte Farbenerscheinung zeigt.

 
58.

Es ist diese merkwürdige Bedingung erst in unsern Zeiten entdeckt und nach mancherlei Widerspruch endlich durch Versuche unumstößlich dargetan worden. Ich sehe mich genötigt, die Geschichte zu Hilfe zu nehmen, um für weniger unterrichtete Liebhaber der Naturlehre deutlich werden zu können.

 
59.

Es hatte Newton festgestellt, daß das weiße farblose Licht zusammengesetzt und teilbar sei, und zwar, daß solches besonders durch Refraktion geteilt, gespalten, zerstreut werde. Aus dieser Lehre, welche er durch mehrere Versuche darzutun glaubte, folgte natürlich, daß Stärke und Schwäche der Farbenerscheinung mit der Stärke und Schwäche der Refraktionskraft gleichen Schrittes gehe: denn warum sollte die Wirkung der Ursache nicht proportioniert sein? Auch waren mehrere Versuche dieser Meinung günstig, wie denn z. B. Wasser eine geringere Refraktionskraft und geringere Farbenerscheinung als das Glas bemerken läßt.

 
60.

Newton bestärkte sich in dieser Idee, welche aus seiner Theorie unmittelbar folgte, durch einen Versuch, welcher beweisen sollte: daß die Farbenerscheinung niemals anders aufgehoben werden könne, als wenn durch eine entgegengesetzte Refraktion zugleich die Wirkung der ersten Brechung aufgehoben würde.

 
61.

Es dauerte achtzig Jahre, bis man den Irrtum und die Unzulänglichkeit des Versuches entdeckte, obgleich so 398 viele Gelehrte und gelehrte Gesellschaften in diesem Zeitraume behaupteten: die Newtonischen Versuche wiederholt, richtig befunden und sich von der Wahrheit seiner Sätze überzeugt zu haben. Endlich kam man auf einem sehr sonderbaren Wege zur Entdeckung: daß die Refraktionskraft mit der Kraft, die Farbenerscheinung darzustellen, in keinem Verhältnis stehe, so daß ein paar Mittel einander an Refraktionskraft gleich, an Kraft, die Farbenerscheinung zu bewirken, ungleich sein könnten, daß der umgekehrte Fall eben so gut stattfinden könne, daß man die Farbenerscheinung in einem Mittel vermehren und vermindern könne, ohne daß die Refraktionskraft in gleichem Grade verändert werde, daß man also nicht, wie man bisher geglaubt, sobald man die Refraktionskraft eines Mittels wisse, auch nun die Stärke der Farbenerscheinung nach der bekannten Formel ausrechnen könne, sondern daß man erst, wenn man durch Versuche sich mit der Refraktionskraft eines Mittels bekannt gemacht, neue Versuche anzustellen habe, um zu erforschen, welche Kraft die Farbenerscheinung mehr oder weniger darzustellen das Mittel besitze, genug, daß die Farben darstellende Kraft als von der Refraktionskraft unabhängig angesehen werden könne.

 
62.

Hier wird uns nun unsere gewohnte Art, Ränder durch Prismen zu betrachten, sehr zustatten kommen: denn man beschaue zum Beispiel durch ein Prisma von Flintglas, als welches die Farbenerscheinung am heftigsten hervorbringt, einen weißen Kreis auf schwarzem Grunde, und denselben gleich darauf, ohne den Ort zu verändern, durch ein Prisma von gemeinem Glase von gleichen Graden: so wird er im ersten Falle schon ganz mit Farben überdeckt sein, da in dem zweiten die weiße Mitte noch deutlich zu erkennen ist.

Die fünfte Bedingung der Farbenverbreiterung ist also oberwähnte Eigenschaft der brechenden Mittel, welche von der Refraktion, wo nicht unabhängig, doch außer allem Verhältnisse mit ihr wirkt, eine Eigenschaft, die wir übrigens noch nicht näher kennen. 399

 
63.

Diese fünf Bedingungen, wodurch die Farbenerscheinung bei Gelegenheit der Refraktion vermehrt wird, sind mir bisher bekannt geworden. Wie wichtig es sei, sie genau zu kennen und zu beobachten, wird uns erst bei der Anwendung recht deutlich werden.

Ich gehe nunmehr zu den Bedingungen über, unter welchen die Farbenerscheinung vermindert wird.

 
Drittes Kapitel

Unter welchen Bedingungen
bei fortdauernder Begrenzung des Gegenstandes,
der Grad der Farbenerscheinungen vermindert wird

64.

Zuerst ist offenbar, daß man die fünf in dem vorigen Abschnitte angezeigten Bedingungen der Vermehrung unserer Farbenerscheinung nur stufenweise aufheben oder rückgängig machen dürfe, um auch die Farbenerscheinungen auf eben dem Wege wieder zu vermindern, wie wir sie vermehrt haben. So darf man also nur auf das brechende parallele Mittel unter einem Winkel von mehreren Graden sehen, man darf den Winkel des Prismas vermindern, man darf von der Dicke des parallelen Mittels etwas hinwegnehmen, sich mit dem Prisma vorm Auge dem Gegenstande nähern oder durch chemische Vermischung die Kraft der Farbenerscheinung in dem Mittel schwächen; so wird jederzeit unter übrigens gleichen Umständen der Grad der Farbenerscheinung verringert zu bemerken sein. Es sind aber noch einige Mittel übrig, den Grad der Farbenerscheinung zu verringern, welche ich jedoch, um des Zusammenhangs willen und um mich nicht zu wiederholen, erst in dem folgenden Abschnitt, zu welchem ich sogleich übergehe, vorzutragen für rätlich finde. 400

 
Viertes Kapitel

Unter welchen Bedingungen
bei fortdauernder Begrenzung des Gegenstandes,
der Grad der Farbenerscheinungen gänzlich aufgehoben wird

65.

Wir hatten uns in dem ersten Abschnitte überzeugt, daß Refraktion an und für sich keine Farbenerscheinung hervorbringe, wir hatten zu Anfange des zweiten Abschnitts dem Bilde, das wir durch Refraktion betrachteten, schon entschiedene Grenzen gesetzt, und fanden die Grenzen des weißen Kreises auf schwarzem Grunde noch immer farblos, wenn wir das Auge senkrecht auf dessen Mittelpunkt richteten. Wir werden uns also um so weniger verwundern, wenn uns noch unter verschiedenen Umständen gelingt, die Farbenerscheinung aufzuheben, ohne daß die Refraktion zugleich zessiere.

 
66.
Dreiunddreißigster Versuch

Man lege zwei spitzwinklige Prismen aufeinander und verschaffe sich dadurch ein paralleles Mittel, man sehe durch solches nach dem eingeschränkten Gegenstande, dergestalt, daß das Auge senkrecht auf dem Diameter des Kreises stehe, und man wird die Ränder des Kreises farblos erblicken.

 
67.

Man ziehe nun die beiden Keile auseinander und schaue durch jeglichen besonders, so werden die Ränder nach den oben angeführten Gesetzen gefärbt erscheinen.

 
68.
Vierunddreißigster Versuch

Schöbe man beide gleiche Keile abermals voreinander, so würde die Farbenerscheinung wieder ganz aufgehoben werden; brächte man aber einen Keil von gleicher Glasart, aber von geringerem Winkel, hinter den ersten, so würde die Wirkung des ersten Keiles durch die Wirkung des zweiten 401 geschwächt, aber nicht aufgehoben. Die Farbenerscheinung würde also nach dem Gesetze des stärkeren Prismas sich zeigen, abgezogen die Wirkung, welche das schwächere Prisma ausüben würde, wenn man allein durchschaute.

 
69.

Dieses Phänomen ließe sich auch, wenn die Refraktionskraft und Farbenerscheinung gleichen Schrittes ginge, begreifen: denn wenn ich dem Prisma abc ein anderes Prisma von einem geringeren Winkel ace entgegensetzte, so ist es eben so viel, als wenn ich nachher durch ein spitzwinkligeres Prisma hindurchsähe, wie die verlängerten Linien aed und bcd ausweisen, indem eine stärkere Refraktion in dem ersten als in dem andern Falle stattfindet.

 
70.

Allein hier kann nun der Fall der fünften Bedingung eintreten, daß z. B. die Glasart des kleineren Prisma ace eine stärkere Kraft hat, die Farbenerscheinungen zu zeigen, als die Glasart des großen abc; beide Mittel aber an Refraktionskraft gleich sind. Hier bleibt also eine doppelte nicht parallele Refraktion übrig, welche wir sonst mit einer sehr lebhaften Farbenerscheinung verbunden fanden; allein wir sehen diesmal, wenn wir durch diese in gehöriger Proportion zusammengesetzte Mittel hindurch nach unserm gewöhnlichen Objekte blicken, nicht die mindeste Farbenerscheinung an den Rändern, ob wir gleich das Bild sehr stark von seinem Platze gerückt sehen. So hilft uns also die fünfte Bedingung, die Farbenerscheinung zu vermehren, welche wir oben kennenlernten, hier die Farbenerscheinung gänzlich aufheben, bei Fällen, wo die Refraktion noch ihre völlige Wirkung äußert.

 
71.

Es bleibt uns noch ein wichtiger Fall zu bemerken übrig, wo wir die Entfernung des Prismas vom Gegenstande, welche uns oben als ein vorzügliches Mittel, die Farbenerscheinung 402 zu vermehren, bekannt geworden, gebrauchen können, um die Farbenerscheinung bei bestehender Refraktion gleichfalls völlig aufzuheben. Ich muß, um auch hier deutlich zu werden, einiges schon mehrmals Beobachtete abermals wiederholen.

 
72.

Es schaue ein Auge durch ein aus zwei Prismen zusammengesetztes Parallelepipedum in a nach dem begrenzten Gegenstande in d, so werden die Ränder farblos erscheinen, ein gleiches wird sich zeigen, wenn Auge und Parallelepipedum sich nach b und c bewegen.

 
73.

Es schaue das Auge durch das spitzwinklige Prisma in a nach dem Gegenstande in d, so wird derselbe nach dem bekannten Gesetz gefärbt erscheinen. Die gleiche Erscheinung, jedoch proportionierlich schwächer, wird fortdauern, wenn Aug' und Prisma sich dem Gegenstande nähern und nach b und c hinrücken, wie oben umständlich ausgeführt worden ist.

 
74.

Sieht das Auge durch ein spitzwinklichtes Prisma, das in entgegengesetzter Richtung aufgestellt ist, nach demselben Gegenstande, so wird die Erscheinung umgekehrt, und gleichfalls in a b und c in einer der Entfernung proportionierten Breite gesehen werden.

 
75.
Fünfunddreißigster Versuch

Setzt man nun also zwischen das Prisma in a, wodurch das Auge hindurchsieht, und den Gegenstand d ein Prisma von gleichen Graden, aber in umgekehrter Richtung an den Ort b, so daß das Auge nunmehr durch beide nach dem Gegenstande d sieht, so wird das Auge die Ränder des Gegenstandes d nach dem Gesetz des ihm nächsten Prismas, nur nicht verhältnismäßig stark, zu seiner Entfernung erblicken: 403 denn das widersprechende Prisma in b vermindert die Wirkung des Prisma in a um die Hälfte, weil die Entfernung bd die Hälfte der Entfernung ad ist. Das Auge sieht also durch die Prismen in a und b die Farbenerscheinung nicht stärker, als wenn das Prisma a allein in b stünde, oder wenn sein Winkel nur die Hälfte Grade enthielte.

 
76.
Sechsunddreißigster Versuch

Von diesem merkwürdigen Verhältnis der Entfernungen und der Winkel untereinander überzeugen wir uns aufs vollkommenste, wenn wir in b ein entgegengesetztes Prisma stellen, das den doppelten Winkel des Prisma in a hat, und alsdann durch beide nach dem Gegenstande schauen, man wird alsdenn die Ränder desselben völlig farblos erblicken.

 
77.

Wird nun bei dem ersten und dritten Fall, wo nicht ganz, doch zum größten Teil in dem Maße wie die Farbenerscheinung verschwindet, auch die Refraktion aufgehoben, so bleibt doch in dem fünften Falle die Refraktion wenigstens um die ganze Hälfte des Prismas in b übrig, wenn auch die andere Hälfte durch die entgegengesetzte Wirkung des Prismas in a aufgehoben würde, und der Gegenstand in d wird von seinem Orte gerückt und doch farblos erscheinen.

 
78.

Wir haben hier also den merkwürdigen Fall, daß wir durch zwei Prismen von einerlei Glasart, wenn wir nur ihre Winkel und ihre Entfernung vom Bilde proportionieren, eine starke Refraktion beibehalten und die Farbenerscheinung doch aufheben können.

 
79.
Siebenunddreißigster Versuch

Daß man nun zu diesen einander in verschiedenen Entfernungen entgegengesetzten Prismen von großen oder kleinen Winkeln auch verschiedene Glasarten nehmen könne, 404 um dieselbigen Effekte hervorzubringen, sieht man deutlich ein. Gesetzt also, man hätte eine Glasart, deren Farben zeigende Kraft noch einmal so groß wäre als die einer andern Glasart: so könnte man in b ein Prisma von gleichen Graden wie das in a umgekehrt hinstellen, und der Gegenstand in d würde farblos erscheinen, es möchte von Refraktion was da wolle übrig bleiben.

 
80.

Es folgt hieraus, daß man auf diesem Wege eine sehr bequeme Art finde, zwei Glasarten gegeneinander zu messen, in wiefern ihre Gewalt, die Farbenerscheinung zu verstärken, gegen einander proportioniert sei: denn man darf nur ein spitzwinkliges Prisma in a stellen und ein anderes von gleichem Winkel entgegengesetzt zwischen a und d hin und her bewegen, und auf der Linie cd, die in sehr genaue Maße eingeteilt sein kann, den Punkt bemerken, wo die Farbenerscheinung gänzlich zessiert, so wird sich alsdenn die Berechnung leicht anstellen lassen, welchen Winkel das Prisma von der stärkern Glasart haben müsse, um, unmittelbar mit dem Prisma von der schwächern Glasart verbunden, den Gegenstand farblos darzustellen.

 
81.

Hat man sich nun einmal diese Erscheinungen und ihre Bedingungen in ihrer natürlichen Folge vorzustellen gewöhnt, so wird man die nutzbare Anwendung derselben in vielen Fällen nach und nach zu entwickeln wissen, uns sei für diesmal genug, nur einen flüchtigen Rückblick zu tun. Wir haben zuerst durch Erfahrungen dargetan, daß Refraktion an und für sich keine Farbenerscheinung, und zwar in subjektiven sowohl als in objektiven Fällen hervorbringe. Wir haben sodann gefunden, daß eine Begrenzung des Bildes nötig sei, um unter gewissen Umständen die Farbenerscheinung darzustellen. Wir haben ferner die Bedingung aufgesucht, unter welcher sich die Farbenerscheinung vermehrt, wir haben sie auf ihrem höchsten Grade gesehen, wir sind ebenso wieder zurückgeschritten und haben sie zuletzt 405 völlig verschwinden sehen, ohne daß die Beschränkung des Bildes aufgehoben oder die Refraktionskraft vernichtet worden wäre.

 
82.

Nimmt man alles zusammen, so finden sich weit weniger Fälle, wo Refraktion und Farbenerscheinung verbunden sind, als Fälle, in welchen die Refraktion wirkt, ohne Farbenerscheinung zu zeigen.

 
83.

Von diesen subjektiven Versuchen, welche jeder Beobachter ohne große Umstände wiederholen kann, gehen wir zu den objektiven über, welche, ob sie gleich nichts weiter aussprechen, als was uns schon bekannt ist, dennoch sorgfältig von uns durchzugehen sind. Wir werden soviel als möglich die Vorrichtungen dazu gleichfalls simplifizieren, um jeden Liebhaber instand zu setzen, sich durch den Augenschein von der Wahrheit unseres Vortrags überzeugen zu können.

 

Versuch
die Elemente der Farbenlehre
zu entdecken

Arduum sane est hoc negotium, in quo plura esse existimo, quae sub occultioribus causis latent, quam quae sciuntur; pluraque quae dubitationem quam quae cognitionem pariant.     Aguilonius.

Von weissen, schwarzen, grauen Körpern und Flächen

1.

Es scheint nichts leichter zu sein, als sich deutlich zu machen, was man eigentlich unter Weiß verstehe und sich darüber mit andern zu vereinigen, und doch ist es 406 außerordentlich schwer, aus Ursachen, welche nur nach und nach entwickelt und erst am Ende dieser kleinen Abhandlung völlig ins klare gesetzt werden können. Ich erbitte mir eine parteilose Aufmerksamkeit für die Methode und den Gang meines Vortrags.

 
2.

Wir nehmen zuerst einen durchsichtigen, farblosen Körper, z. B. das Wasser, vor uns, und wir bemerken (die Refraktion abgerechnet), daß wir durch eine gewisse Masse desselben die Gegenstände ihrer Gestalt und Farbe nach deutlich erkennen; so daß ein Körper auf seinem höchsten Grade der Durchsichtigkeit für das Auge gleichsam kein Körper mehr ist und nur durch das Gefühl entdeckt werden kann.

 
3.

Es gehe nun das reinste Wasser in seinen kleinsten Teilen in Festigkeit und zugleich Undurchsichtigkeit über, und wir werden sodann den Schnee haben, dessen Anhäufung uns die reinste Fläche darstellt, welche uns nunmehr einen vollkommenen und unzerstörlichen Begriff des Weißen gibt. Eben so verwandeln sich durchsichtige Kristalle, zum Beispiel des Glauberischen Wundersalzes, wenn ihnen ihr Kristallisationswasser entgeht, in ein blendend weißes Pulver.

 
4.

Diese Körper gehen nun unter veränderten Umständen aus dem weißen undurchsichtigen Zustande in den Zustand der farblosen Durchsichtigkeit wieder zurück. So leiten wir die weißen Körper von den durchsichtigen farblosen ab, wir führen sie zur Durchsichtigkeit wieder zurück und diese unmittelbare Verwandtschaft, diese Rückkehr in den durchsichtigen Zustand ist aller unserer Aufmerksamkeit wert.

 
5.

Außer denen weißen Körpern, welche wir aus durchsichtigen entstehen und wieder in solche übergehen sehen, gibt es 407 ihrer viele, welche in den weißen Zustand versetzt werden können; teils durch Wasser, Licht und Luft, welche Operation wir Bleichen nennen, wodurch alle Teile, die wir nur einigermaßen farbig nennen können, aus ihnen ausgezogen und abgesondert werden; teils durch heftig wirkende Mittel, wodurch eine ähnliche Operation vor sich geht.

 
6.

Alle diese Wirkungen, wovon der Chemiker nähere Rechenschaft zu geben hat, bringen einen Effekt hervor, der uns zugleich mit dem Begriff vom Weißen den Begriff von unbedingter Reinheit und Einfachheit eindrückt; so daß wir auch im Sittlichen den Begriff von Weiß mit dem Begriff von Einfalt, Unschuld, Reinheit verbunden haben.

 
7.

Das Weiße hat die größte Empfindlichkeit gegen das Licht, eine Eigenschaft, welche von den Naturforschern genugsam bemerkt und auf verschiedene Art bestimmt und ausgedruckt worden ist. Uns sei genug hier anzuführen; daß eine weiße Fläche (worunter wir künftig diejenige verstehen, welche dem frischgefallenen Schnee am nächsten kommt) unter allen andern Flächen, sie mögen grau, schwarz oder farbig sein, wenn solche neben ihr einem gleichen Lichte ausgesetzt sind, die hellste ist, dergestalt, daß ihr Eindruck auf das Auge in der finstersten Nacht noch sichtbar bleibt oder doch am letzten verschwindet.

 
8.

Eine gleiche Empfindlichkeit hat das Weiße gegen alle Berührung anderer abfärbender Körper, sie mögen schwarz, grau oder sonst farbig sein. Der mindeste Strich, der mindeste Flecken wird auf dem Weißen bemerkt. Alles, was nicht weiß ist, zeigt sich im Augenblicke auf dem Weißen, und es bleibt also der Probierstein für alle übrigen Farben und Schattierungen. 408

 
9.

Wenn wir nun dagegen das Schwarze aufsuchen, so können wir solches nicht wie das Weiße herleiten. Wir suchen und finden es als einen festen Körper, und zwar am häufigsten als einen solchen, mit dem eine Halbverbrennung vorgegangen. Die Kohle ist dieser merkwürdige Körper, der uns diesen Begriff am strengsten gewährt.

 
10.

Versetzen wir nun durch irgendeine chemische Operation einen erst durchsichtigen Liquor in den Zustand, daß wir ihn schwarz nennen, so finden wir, statt daß das Weiße in Durchsichtigkeit überging, gerade die entgegengesetzte Eigenschaft. Man kann einen schwarzen Liquor verfertigen, der nicht trüb, sondern in kleinen Massen durchsichtig genug ist; aber er wird einen weißen Gegenstand, den wir durch ihn anblicken, verdunkeln. Sobald die Masse einigermaßen verstärkt wird, läßt er kein Bild, kein Licht mehr hindurch.

 
11.

So ist auch die Eigenschaft einer schwarzen Fläche eine gänzliche Unempfindlichkeit gegen das Licht.

Ein schwarzer Körper macht zwar, um mit den Alten zu reden, so gut die Grenze des Lichts, als ein anderer (terminat lucem). Die Lichtstrahlen kehren auch von demselbigen in unser Auge zurück: denn wir sehen einen schwarzen Körper so gut als einen andern. Wenn sie aber von einem weißen Körper in der größten Energie zurückkehren, so kehren sie von einem schwarzen mit der geringsten Energie zurück. So ist denn auch ein schwarzer Körper unter allen denjenigen, die neben ihm einem gleichen Lichte ausgesetzt werden, der dunkelste, und der Eindruck desselben aufs Auge verschwindet bei sukzessiver Verminderung des Lichtes am geschwindesten.

 
12.

Nehmen wir nun irgend zwei Körper, die wir für schwarz und weiß erkennen, und mischen sie aufs feinste gerieben 409 untereinander, so nennen wir das daraus entstehende Pulver grau. Haben wir nun vorher gesehen, daß Schwarz und Weiß die strengsten Gegensätze sind, die wir vielleicht kennen, daß Schwarz und Weiß in ihrem höchsten und reinsten Zustande gedacht und dargestellt werden können, so ist offenbar, da wir nun den Zustand eines Körpers, der aus beiden gemischt ist, Grau nennen, daß das Schwarze und das Weiße aus dem Grauen gesondert werden, niemals aber aus dem Grauen entstehen könne. Denn wenn z. B. die Kreide von dem Magnet angezogen würde, so könnte man sie mit leichter Mühe von der Kohle separieren, und beide Pulver würden nunmehr nebeneinander in ihrer höchsten Reinheit sich befinden. Wenn ich eine graue Leinwand auf die Bleiche bringe, so entsteht nicht das Weiße aus dem Grauen, sondern die Leinwand wird weiß, wenn alle die fremden, feinen, dem Pflanzenstoff anhängenden farbigen oder graulichen Teile durch Wasser, Licht und Luft hinweggenommen und die leinenen Fäden in der höchsten Reinheit dargestellt werden.

 
13.

Das Graue muß also die notwendige Eigenschaft haben, daß es heller als Schwarz und dunkler als Weiß sei. Weiß und Schwarz sind nicht die äußersten Enden eines Zustandes, den wir Grau nennen, sondern Grau entsteht aus Vermischung oder Verbindung jener beiden Gegensätze.

 
14.

Man vergleicht also billig das Weiße mit dem Lichte, weil es das Hellste ist, was wir kennen, und das Schwarze mit der Finsternis, weil uns nichts Dunkleres bekannt ist, das Graue mit dem Schatten, der, solange keine völlige Beraubung des Lichts vorgeht, gewöhnlich grau erscheint.

 
15.

Es ist hier der Ort zu bemerken: daß eine Verminderung des Lichtes, welchem eine Fläche ausgesetzt ist oder eine 410 Beschattung derselben anzusehen ist, als würde die Fläche mehr oder weniger mit einer schwarzen durchsichtigen Tusche überstrichen, daraus denn ein Grau entsteht, wie wir es auch bei Zeichnungen nachahmen. Ein weißes Papier, das im Schatten liegt, könnte gegen alles, was neben ihm liegt, noch für weiß gelten; es ist aber in diesem Zustande eigentlich grau und zeigt sich besonders als ein solches gegen ein weißes Papier, das dem vollen Lichte ausgesetzt ist. Ein schwarzer Körper, den man dem vollen Lichte aussetzt, wird eigentlich grau, weil es einerlei ist, ob man ihm mehr Licht gibt oder ihn mit einem weißen Körper vermischt. Das Weiße kann nie Schwarz, das Schwarze nie Weiß werden; sind sie im Grauen vermischt, so muß dem Weißen erst der schwarze Teil, dem Schwarzen der weiße Teil genommen werden, alsdann sind beide wieder in ihrem reinen Zustande, und das Graue hört auf zu sein, sowie der Knoten aufhört zu sein, wenn man die beiden Enden des Bandes, aus denen er geknüpft war, wieder voneinander löst.

 
16.

Schließlich bemerke ich, daß wir alle Körper und Pigmente, welche entweder weiß, schwarz oder grau sind, farblos nennen, weil sie uns nur das Helle und Dunkle, gleichsam in abstracto durch Anstrengen und Abspannen des Auges, ohne Nebenbegriff, ohne ein Verhältnis gegeneinander, als das Verhältnis des strengsten Gegensatzes und der gleichgültigsten Vermischung darstellen. Weder Schwarz noch Weiß, für sich, noch nebeneinander, noch in Vermischung, lassen dem Auge die mindeste Spur jenes Reizes empfinden, welchen uns farbige Flächen gewähren; so daß vielmehr eine Fläche, auf welcher wir Schwarz, Weiß und Grau verbunden sehen, das Traurigste ist, was wir nur erblicken können. Wir gehen nun zu den Körpern und Flächen über, welche wir eigentlich farbig nennen. 411

 
Von farbigen Flächen

17.

Wir kennen nur zwei ganz reine Farben, welche, ohne einen Nebeneindruck zu geben, ohne an etwas anders zu erinnern, von uns wahrgenommen werden. Es sind

Gelb und Blau.

Sie stehen einander entgegen, wie alle uns bekannte entgegengesetzte Dinge oder Eigenschaften. Die reine Existenz der einen schließt die reine Existenz der andern völlig aus. Dennoch haben sie eine Neigung gegeneinander, als zwei entgegengesetzte, aber nicht widersprechende Wesen. Jede einzeln betrachtet, macht einen bestimmten und höchst verschiedenen Effekt, nebeneinandergestellt machen sie einen angenehmen Eindruck aufs Auge, miteinander vermischt befriedigen sie den Blick. Diese gemischte Farbe nennen wir

Grün.

Dieses Grün ist die Wirkung der beiden vermischten, aber nicht vereinigten Farben, in vielen Fällen lassen sie sich sondern und wieder zusammensetzen.

 
18.

Wir kehren zurück und betrachten die beiden Farben Gelb und Blau abermals in ihrem reinen Zustande und finden, daß sie uns heller und dunkler ohne Veränderung ihrer Eigenheit dargestellt werden können. Wir nehmen zum Beispiel rein aufgelöstes Gummi Guttä und streichen davon auf ein Papier. Sobald es getrocknet, überstreichen wir einen Teil zum zweitenmal usf. und wir finden, daß je mehr Farbeteile das Papier bedecken, je dunkler die Farbe wird. Eben diesen Versuch machen wir mit feingeriebenem und diluiertem Berlinerblau.

 
19.

Wir können zwar auch die helle Farbe dunkler erscheinen machen, wenn wir das Papier vorher mit einer leichtern 412 oder stärkern Tusche überziehen und dann die Farbe darüber tragen; allein von der Vermischung der Farben mit Schwarz und Weiß darf bei uns nicht die Rede sein. Hier fragt sich's nur: sind die Farbenteile näher oder entfernter beisammen, jedoch in völliger Reinheit? Die schönsten Beispiele wird uns der Chemiker durch mehr oder weniger gesättigte Tinkturen liefern.

 
20.

Auf obgemeldete Weise verstärken wir aber die Farbe nicht lange; so finden wir, daß sie sich noch auf eine andre Art verändert, die wir nicht bloß durch dunkler ausdrücken können. Das Blaue nämlich sowohl als das Gelbe nehmen einen gewissen Schein an, der, ohne daß die Farbe heller werde als vorher, sie lebhafter macht, ja man möchte beinah sagen: sie ist wirksamer und doch dunkler. Wir nennen diesen Effekt

Rot.

So ist ein reines trocknes Stück Gummi Guttä auf dem frischen Bruch orangenfarb. Man lege es gegen ein Stück Siegellack, das wir für schön Rot erkennen, und man wird wenig Unterschied sehen. Blut mit Wasser vermischt erscheint uns gelb. Die Platina-Auflösung in Königswasser, welche sehr verdünnt gelb erscheint, wird bei mehrerer Sättigung mennigfarb. So schimmert das Berlinerblau, der echte Indig, auf dem Bruch ins Violette. Ich besitze einen sehr konzentrierten Indig, dessen Bereitung mir unbekannt ist, der in seinem trocknen Zustande beinah ins Kupferrote fällt und das Wasser mit dem schönsten reinsten Blau färbt.

 
21.

Rot nehmen wir also vorerst als keine eigene Farbe an, sondern kennen es als eine Eigenschaft, welche dem Gelben und Blauen zukommen kann. Rot steht weder dem Blauen noch dem Gelben entgegen; es entsteht vielmehr aus ihnen; es ist ein Zustand, in den sie versetzt werden können, und zwar wie wir hier vorläufig sehen, durch Verdichtung und durch Aneinanderdrängung ihrer Teile. 413

 
22.

Man nehme nun das Gelbrote und das Blaurote, beides auf seiner höchsten Stufe und Reinheit, man vermische beide, so wird eine Farbe entstehen, welche alle andern an Pracht und zugleich an Lieblichkeit übertrifft; es ist der

Purpur,

der so viele Nüancen haben kann, als es Übergänge vom Gelbroten zum Blauroten gibt. Die Vermischung geschieht am reinsten und vollkommensten bei prismatischen Versuchen, die Chemie wird uns die Übergänge sehr interessant zeigen.

 
23.

Wir kennen also nur folgende Farben und Verbindungen:

                 Purpur
             ┌─────┴──────┐
          Gelbrot      Blaurot
           Gelb         Blau
             └─────┬──────┘
                  Grün

und stellen dieses Schema in einem Farbenkreise hier neben vor.

 
24.

Wir kennen, wie oben schon gesagt, keine Verdunkelung dieser Farben durch Schwarz, welche immer zugleich eine Beschmutzung mit sich führt und unnötig die Zahl der Abstufungen vermehrt.

 
25.

Wir enthalten uns gleichfalls der Vermischung mit Weiß, obgleich diese unschuldiger ist und bei trockenen Pigmenten ohnegefähr das wäre, was das Zugießen des Wassers bei farbigen Tinkturen ist. 414

 
26.

Jene oben angezeigte, in unserm Schema aufgestellte Farben erkennen wir für die einzigen reinen, welche existieren können. Sobald man verschränkte Vermischungen, zum Beispiel Purpur und Grün, Blaurot und Gelb, Gelbrot und Blau vermischt, entstehen alsobald schmutzige Farben. Der Maler bedient sich ihrer bei Nachahmung natürlicher Gegenstände, der Färber bei Hervorbringung der Modefarben.

 
27.

Wir haben aber noch auf einen merkwürdigen Umstand achtzugeben. Sobald wir alle Farben des Schemas in einer gewissen Proportion zusammenmischen, so entsteht eine Unfarbe daraus. Man könnte dieses sich a priori sagen: denn da die Farben eben dadurch Farben sind, daß sie besondere Kriteria haben, die unser Auge unterscheidet, so folgt, daß sie in einer solchen Vermischung, wo keines dieser Kriterien hervorsticht, eine Unfarbe hervorbringen, welche auf ein weißes Papier gestrichen, uns völlig den Begriff von Grau gibt, wie uns ein darneben gestrichener Fleck von Tusche überzeugen kann.

 
28.

Alle Körper und Flächen nun, welche dergestalt mit einfachen oder gemischten Farben erscheinen, haben die Eigenschaft gemein, welche alle unsre Aufmerksamkeit verdient: daß sie dunkler als Weiß und heller als Schwarz sind, und sich also von dieser Seite mit dem Grauen vergleichen lassen.

 
29.

Dieses zeigt sich aufs deutlichste, wenn wir abermals zu den durchsichtigen Körpern zurückkehren. Man nehme jedes reine Wasser in einer gläsernen Flasche oder in einem Gefäße mit gläsernem Boden; man vermische mit dem Wasser irgendeinen leicht aufzulösenden farbigen Körper, so wird das daruntergelegte weiße Papier uns zwar einen höchst anmutigen Eindruck machen, dabei aber schon bei der geringsten Farberscheinung sogleich dunkler als vorher 415 aussehen. Wir können dieses Dunkle so weit treiben, daß nach und nach durch mehrere Beimischung eines solchen auflöslichen Farbenstoffes die Tinktur endlich völlig undurchsichtig wird, und kaum einen Schein der unterliegenden weißen Fläche oder eines andern Lichts durchläßt.

 
30.

Diese Annäherung an das Schwarze, an das Undurchsichtige, folgt natürlich aus der Eigenschaft der Farbe, daß sie dunkler als Weiß ist und daß sie durch Anhäufung ihrer Masse zur Undurchsichtigkeit und zur Annäherung an das Schwarze kann gebracht werden, obgleich eine Farbe als solche, wie sich aus Begriffen derselben schon herleiten und durch Versuche dartun läßt, so wenig Schwarz als Weiß werden kann.

 
31.

Da es von der höchsten Wichtigkeit ist, daß wir die Erfahrung, alle farbigen Flächen seien dunkler als die weißen, die mit ihnen einem gleichen Licht ausgesetzt sind, recht fassen; so bemerken wir nur, was an einem andern Orte umständlicher auszuführen ist: daß die reizende Energie, womit farbige Körper auf unsre Augen wirken, mit der Helligkeit, womit das Weiße auf das Auge wirkt, nicht zu verwechseln sei. Eine orangefarbige Fläche neben einer weißen wirkt gewaltsamer auf das Auge als jene, nicht weil sie heller ist, sondern weil sie einen eignen Reiz besitzt, da das Weiße uns heller, aber nur gleichgültig erscheint. Von verschiedenen Wirkungen der Farben auf die Augen und das Gemüt wird besonders zu handeln sein.

 
32.

Man nehme zwei Flaschen von dem reinsten Glase, man gieße in beide reines destilliertes Wasser, man bereite sich nach dem oben angegebenen Schema farbige Tinkturen, die sich chemisch nicht dekomponieren, sondern sich friedlich vermischen, man tröpfle in eine von den Flaschen gleichviel von jeder hinein und man beobachte das Phänomen, das entstehen wird. Das durchsichtige Wasser wird gefärbt 416 werden, wie die Liquoren hineinkommen, nach den verschiedenen Mischungen wird die gemischte Farbe erscheinen, ja man wird zuletzt ein unfärbiges Wasser unter verschiedenen Proportionen der Liquoren hervorbringen können. Allein niemand wird behaupten, daß dieses Wasser nun so hell sei, als das in der Flasche, in welche keine farbige Liquoren eingetröpfelt worden. Was hat man also getan? So lange man harmonische Tinkturen hineingoß, hat man das Wasser gefärbt, und da man widersprechende Farben hineinbrachte, hat man das Wasser beschmutzt; man hat ihm eine Unfarbe mitgeteilt, man hat ihm aber von seiner Hellung, und wenn ich so sagen darf, von seiner spezifischen Durchsichtigkeit genommen. Dieses wird um so deutlicher, wenn die Dose der Farben, welche man in das Wasser eintröpfelt, verstärkt wird, wo man bald eine dunkelgraue oder bräunliche, in geringer Masse schon undurchsichtige Tinktur erhalten wird. Man denke sich nun dieses dergestalt gefärbte Wasser in Schnee verwandelt; so wird man schwerlich behaupten, daß er so weiß als der natürliche werden könne.

 
33.

Wir haben oben schon die Wirkung der Farbenmischung gesehen und können auch nun hier daraus folgern und weitergehen. Alle Farben zusammengemischt bringen eine Unfarbe hervor, die so temperiert werden kann, daß sie uns den Eindruck von Grau, den Eindruck eines farblosen Schattens macht, welcher nur immer dunkler wird, je reiner man farbige Pigmente und in je verstärkterem Grade man sie genommen.

 
34.

Diese Unfarbe aber muß jederzeit dunkler als Weiß und heller als Schwarz sein: denn da jede einzelne Farbe eben diese Eigenschaft mit dem Grauen gemein hat, so können sie, solche untereinander gemischt, nicht verlieren, sondern sämtliche Farben, welche die Eigenschaft eines Schattens haben, müssen, wenn durch Vermischung die Kriterien aufgehoben werden, die Eigenschaft eines farblosen 417 Schattens annehmen. Dieses zeigt sich uns unter jeder Bedingung, unter allen Umständen wahr.

 
35.

Man mag die Farben unsres Schemas als Pulver oder naß durcheinandermischen; so werden sie, auf ein weißes Papier gebracht, unter jedem Lichte dunkler erscheinen als das Papier; man mag unser Schema auf ein Schwungrad anbringen und die Scheibe nunmehr mit Gewalt umdrehen; so wird der vorher durch verschiedene Farben sich auszeichnende Ring grau, dunkler als das Weiße und heller als das Schwarze erscheinen. (Welches man am deutlichsten sehen kann, wenn man die Mitte weiß läßt und einen schwarzen Kranz außen um das Schema zieht.) So viele tausend Maler haben ihre Paletten so oft geputzt und keinem ist es je gelungen, noch wird ihm gelingen, durch die Vermischung aller Farben ein reines Weiß hervorzubringen; viele tausend Färber haben oft alle Arten von Farbenbrühen zusammengegossen, und niemals ist das hineingetauchte Tuch weiß hervorgezogen worden. Ja, ich darf dreist sagen, man erdenke sich Versuche, von welcher Art man wolle; so wird man niemals imstande sein, aus farbigen Pigmenten ein weißes Pigment zusammenzusetzen, das neben oder auf vollkommen reinem Schnee oder Puder nicht grau oder bräunlich erschiene.

 
Übergang zur Streitfrage

36.

Hier könnten wir die gegenwärtige Abhandlung schließen, weil uns nichts übrig zu sein scheint, was in der Reihe dieser Darstellungen noch weiter abginge, wenn uns nicht die Frage aufgeworfen werden könnte: woher denn nur die Idee, ein weißes Pigment aus farbigen Pigmenten zusammenzusetzen, ihren Ursprung genommen habe? Wir geben davon folgende Rechenschaft.

 
37.

Newton glaubte aus den farbigen Phänomenen, welche wir bei der Refraktion unter gewissen Bedingungen gewahr 418 werden, folgern zu müssen, daß das farblose Licht aus mehreren farbigen Lichtern zusammengesetzt sei; er glaubte es beweisen zu können. Seinem Scharfsinn blieb nicht verborgen, daß wenn dieses wahr sei, auch wahr sein müsse, daß Weiß aus farbigen Pigmenten zusammengesetzt werden könnte. Er sagt daherOpt. Prop. V. Theorem IV. Libr. I. Part. II.: »Die weiße und alle graue Farben zwischen Weiß und Schwarz können aus Farben zusammengesetzt werden.«

 
38.

Wer meiner obigen Ausführung mit Aufmerksamkeit gefolgt ist, wird sogleich einsehen, daß diese Proposition nicht rein und richtig ausgesprochen ist. Denn es ist zwar der Erfahrung gemäß, es kann durch viele Versuche dargestellt werden, daß aus Vermischung aller Farben ein Grau hervorgebracht werden könne. Es ist auch nichts natürlicher, als daß es von uns abhänge, dieses Grau so hell zu machen, als es uns beliebt. Allein es folgt aus dem Begriff des Grauen selbst, daß Grau niemals Weiß werden, daß Grau nicht mit dem Weißen auf diese Art verglichen werden könne. Analysiert man jene Proposition, so heißt sie: Das Weiße in seinem ganz reinen Zustande, sowie im Zustande, wenn es mit Schwarz gemischt ist, kann aus allen Farben zusammengesetzt werden. Das letzte leugnet niemand, das erste ist unmöglich. Wir wollen nun sehen, was sein Experiment beweist.

 
39.

Ehe Newton dasselbe vorträgt, präludiert er schon: daß alle farbigen Pulver einen großen Teil des Lichtes, von dem sie erleuchtet werden, in sich schlucken und auslöschen, er gibt davon eine Ursache an, die er aus prismatischen Versuchen herleitet. Was er daraus folgert, setze ich mit seinen eigenen Worten hierher. »Deswegen ist nicht zu erwarten, daß aus der Vermischung solcher Pulver eine helle und leuchtende Weiße entstehen könne, wie die Weiße des Papiers ist, sondern eine dunkle und trübe Weiße, wie aus der Vermischung des Lichts und der Finsternis, oder aus Schwarz und 419 Weiß entstehen mag: nämlich eine graue oder dunkle Mittelfarbe, wie die Farbe der Nägel, der Asche, der Steine, des Mörtels, des Kotes und dergleichen, und eine solche weißlich-dunkle Farbe habe ich aus farbigen, untereinandergemischten Pulvern öfters hervorgebrachtHoc certum est, quicquid in contrariam sententiam afferat Newtonus, colorum rubri, flavi et coerulei mixtione nec lucem nec colorem generari album, sed omnis generis fuscos, badios, rufos, glaucos, cinereos; prout plus ex uno quam ex altero simplicium participant.

Mayer de affinitate colorum § 8.

 
40.

Man sieht aus diesen Worten ganz deutlich, daß er nichts anders beweist, als was wir schon zugegeben haben, daß nämlich Grau aus Mischung aller Farben entstehen könne. Denn wer sieht nicht, daß das Wort Weiß hier ganz willkürlich gebraucht wird und eigentlich ganz unnütz und überflüssig dasteht. Ja ich darf kühnlich fragen, welchem Beobachter und Theoristen unsrer Zeit man erlauben würde zu sagen: weiß wie Asche, Mörtel und Kot?

 

41.

Ich übergehe daher die Erzählung, wie Newton aus Mennige, Grünspan, Bergblau und Karmin ein Kotweiß zusammengemischt hat. Ich bemerke nur: daß die meisten dieser Pigmente, besonders trocken gerieben, eine grauliche mehlige Eigenschaft an sich haben. Jeder, der Lust hat, dergleichen Pigmente durcheinanderzureiben, wird es gar leicht dahin bringen, sich ein Pulver zu verschaffen, das er mit der Asche vergleichen kann.

 
42.

Da er nun also bis dahin nur den einen Teil seiner Proposition bewiesen, daß nämlich Grau aus allen Farben zusammengesetzt werden könne, welches aber in der Reihe seiner Demonstration von keiner Bedeutung, von keinem Gewicht gewesen wäre, so muß er, da er Weiß nicht aus den 420 Farben zusammensetzen kann, wenigstens das zusammengesetzte Grau weiß zu machen suchen. Dieses zu erreichen nimmt er folgende Wendung. »Es können auch«, fährt er fort, »diese dunklen oder graulichen Mittelfarben (hier ist das Wort weiß weggelassen, da es doch in der Proposition steht, auch bisher immer gebraucht worden; allein der Widerspruch wäre zu offenbar) aus Weiß und Schwarz in verschiedenen Mischungen hervorgebracht werden, und folglich sind sie von den wirklichen weißen nicht der Art der Farbe nach, sondern nur im Grade der Hellung verschieden, und damit sie gänzlich weiß werden, wird nichts weiter erfordert, als daß ihr Licht vermehrt werde. Wenn nun also diese Farben nur durch Vermehrung des Lichts zu einer vollkommenen Weiße gebracht werden können, so folgt daraus, daß sie von derselben Art seien, wie die besten Weißen, und von ihnen in nichts unterschieden sind, als bloß in der Menge des Lichts.«

 
43.

Ich rufe eine unparteiische Kritik zur Beurteilung dieser Wendung auf; hier ist Newton selbst genötigt, Schwarz und Weiß als zwei entgegengesetzte Körper anzunehmen. Aus diesen mischt er ein Grau zusammen, und dieses Grau will er wieder nur durch ein verstärktes Licht zu Weiß machen. Wird er denn jemals auch durch das verstärkteste Licht das Weiße, zum Beispiel die Kreide, wieder so weiß machen als sie war, ehe sie mit dem Schwarzen, zum Beispiel mit der Kohle, gemischt war, und fällt das Falsche dieser Behauptung nicht gleich in die Augen, sobald das Grau aus mehr Schwarz als Weiß gemischt ist? Wir wollen nun sehen, wie er auch diese Assertion zu beweisen gedenkt.

 
44.

Er nimmt ein hellgraues Pulver und legt es in die Sonne, legt nicht weit davon ein weißes Papier in den Schatten, vergleicht beide miteinander, und da, besonders wenn man sie von ferne betrachtet, beide einen gleichen Eindruck auf das Auge machen, so folgert er daraus, das graue Pulver sei nun 421 durch das vermehrte Licht weiß geworden. Auch hier wird man ohne scharfsinnige Untersuchung leicht bemerken, daß das hellgraue Pulver nicht dadurch weiß geworden, daß man es dem Sonnenlichte ausgesetzt, sondern daß das weiße Papier grau geworden, weil man es in den Schatten gelegt, und daß man also hier eigentlich nur Grau und Grau vergleiche. Ich habe oben jederzeit bemerkt und darauf bestanden, daß farbige und farblose Körper, wenn man sie in Absicht auf Hell und Dunkel vergleichen will, beide einem gleichen Grade von Hellung ausgesetzt werden müssen. Und folgt nicht dieses aus der Natur der Vergleichung selbst? Ja wo würde jemals etwas vergleichbar oder meßbar sein, wenn man so verfahren wollte? Wenn ein Mann sich gegen ein Kind bückt oder das Kind auf den Tisch hebt, wird nun gesagt werden können: eins sei so groß als das andre? Heißt das messen, wenn man die Kriterien des Unterschieds gegeneinander aufhebt?

 
45.

Ich artikuliere also hier wiederholt, daß die Newtonische Proposition falsch und kaptiös gestellt, auch von ihm keinesweges durch Experimente erwiesen worden, ja daß vielmehr seine Experimente sowohl als seine dürren Worte beweisen: daß aus farbigen Pigmenten ebenso wie aus Weiß und Schwarz nur ein Grau zusammengesetzt werden könne, das mit dem reinen Weißen, wie es uns sehr viele Körper darstellen, unter einerlei Hellung verglichen, jederzeit dunkler als dasselbe erscheint, wie es unter eben dieser Bedingung gegen Schwarz jederzeit heller erscheinen muß. Es gründet sich diese Behauptung auf die Begriffe der Dinge selbst, mit denen wir umgehen, auf mehrere übereinstimmende Erfahrungen. Sie fließt aus einem, wie mir dünkt, ganz natürlichen Räsonnement her, und mir bleibt weiter nichts übrig, als sie einer scharfen Prüfung zu überlassen. 422

 
Rekapitulatio

Von weißen, schwarzen, grauen Körpern und Flächen

  1. Schwierigkeit, sich zu erklären und zu vereinigen, was man unter Weiß verstehe.
  2. Der Vortrag fängt mit Betrachtung einiger Eigenschaften der durchsichtigen farblosen Körper an.
  3. Ein solcher Körper, der in seinen kleinsten Teilen in Undurchsichtigkeit übergeht, wird weiß.
  4. Ein solcher Körper kann wieder in den Zustand der farblosen Durchsichtigkeit zurückgeführt werden.
  5. Viele Körper werden weiß, indem man sie bleicht.
  6. Alle weiße Körper geben uns einen Begriff von Reinheit und Einfachheit.
  7. Das Weiße hat die größte Empfindlichkeit gegen das Licht. Eine weiße Fläche ist die hellste unter allen, die mit ihr einem gleichen Lichte ausgesetzt sind.
  8. Das Weiße ist gegen alle Berührung anderer abfärbender Körper sehr empfindlich.
  9. Das Schwarze kann nicht wie das Weiße hergeleitet werden. Es wird uns als ein fester undurchsichtiger Körper bekannt.
  10. Ein schwarzer klarer Liquor ist in geringer Masse undurchsichtig.
  11. Eine schwarze Fläche ist die unempfindlichste gegen das Licht, und die dunkelste aller, die neben ihr einer gleichen Hellung ausgesetzt werden.
  12. Aus dem Schwarzen und Weißen entsteht das Graue.
  13. Das Graue hat die Eigenschaft, heller als Schwarz und dunkler als Weiß zu sein.
  14. Man vergleicht das Weiße mit dem Lichte, das Schwarze mit der Finsternis und das Graue mit dem Schatten.
  15. Wenn man eine weiße Fläche in den Schatten legt oder sie mehr oder weniger mit Tusche überstreicht, bringt man einerlei Effekt hervor; sie scheint oder wird dadurch grau.
  16. Alle Körper und Pigmente, welche schwarz, weiß oder grau sind, werden farblos genannt. 423

 
Von farbigen Flächen

  1. Wir kennen nur zwei Grundfarben, Gelb und Blau, aus ihrer Mischung entsteht Grün.
  2. Jene beiden Farben können durch Aneinanderdrängen ihrer Teile dunkler gemacht werden.
  3. Von Vermischung mit Schwarz oder Weiß darf hier die Rede nicht sein.
  4. Blau und Gelb verstärkt, werden beide Rot.
  5. Rot wird vorerst als keine eigne Farbe angenommen.
  6. Das Gelbrot und Blaurot vermischt, bringt Purpur hervor.
  7. Schema der Farben, ihrer Abstufungen, Übergänge und Verbindungen.
  8. Verdunkelung der Farben durch Schwarz wird abermals widerraten.
  9. Gleichfalls Vermischung derselben mit Weiß.
  10. Verschränkte Vermischungen bringen schmutzige Farben hervor.
  11. Alle Farben in einer gewissen Proportion vermischt, bringen eine Unfarbe hervor.
  12. Alle Farben haben die Eigenschaft, daß sie dunkler als Weiß und heller als Schwarz sind.
  13. Durchsichtige farbige Liquoren machen ein farbloses Wasser immer dunkler.
  14. Nähern sich bei mehrerer Sättigung der Undurchsichtigkeit, daher dem Schwarzen.
  15. Die reizende Energie, womit die Farben auf unsere Augen wirken, ist wohl von der gleichgültigen Helligkeit des Weißen zu unterscheiden.
  16. Die Eigenschaft der Farben, dunkler als Weiß und heller als Schwarz zu sein, kommt natürlich auch der Unfarbe zu, welche aus Mischung aller Farben entsteht.
  17. Sie macht daher den Eindruck von Grau.
  18. Dieses zeigt sich uns unter jeder Bedingung wahr.
  19. Verschiedene Beispiele. 424

 
Übergang zur Streitfrage

  1. Frage, woher die Idee, ein weißes Pigment aus farbigen Pigmenten zusammenzusetzen, ihren Ursprung genommen habe?
  2. Newton bemerkt, daß wenn ein weißes Licht aus farbigen Lichtern zusammengesetzt sein sollte, auch ein weißes Pigment aus farbigen Pigmenten entstehen müsse. Er bejaht diese Proposition in dem Gang seiner Demonstrationen.
  3. Das Unreine und Unrichtige dieser Proposition folgt aus der umständlichen Ausführung, die wir bisher geliefert.
  4. Wie Newton bei seinem Versuche präludiert. Er gesteht selbst, nur ein Kotweiß hervorgebracht zu haben.
  5. Das Wort Weiß ist also ganz willkürlich gebraucht und steht unnütz sowohl in der Proposition als in der Ausführung.
  6. Bemerkung der Pigmente, aus welchen Newton ein aschgraues Pulver hervorbringt.
  7. Er nimmt nun die Wendung, durch vermehrtes Licht ein hellgraues Pulver heller erscheinen zu machen, und behauptet: das beste Weiß sei vom Grauen nicht der Art nach unterschieden.
  8. Eine unparteiische Kritik wird zur Beurteilung dieser Wendung aufgefordert, und der Hauptpunkt, worauf die Entscheidung beruht, nochmals eingeschärft.
  9. Er sucht seine Assertion dadurch zu beweisen, indem er ein hellgraues Pulver in die Sonne legt und solches mit einem weißen, aber im Schatten gelegenen Papier vergleicht. Heißt das messen, wenn man die Kriterien des Unterschieds gegeneinander aufhebt?
  10. Artikulierte Wiederholung der diesseitigen Behauptungen. 425

 


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