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So hört also, nach dem authentischen Zeugnis der Memoiren, gegen Ende Oktober 1903, das schlimme Dasein für Margarethe Gertrud auf. Es gibt keine unglückliche Gattin des Hauptmanns Mac Leod, keine verarmte Erbin des ehrenwerten Herrn Zelle mehr, Demütigungen, Tyrannei, Prügel, alles ist fort und ausgelöscht. Empor steigt ein völlig anderes Wesen, die seltsame Erscheinung Mata Hari, dazu berufen, mit ihren exotischen Tänzen die Welt in einen Taumel des Entzückens zu versetzen, um dann dieselbe Welt durch die Tragödie ihres Todes tief zu ergreifen und durch die Rätsel ihrer Seele unausgesetzt in Atem zu halten.
Also: Margarethe Gertrud Mac Leod, geborene Zelle hört auf zu sein. Sie hat die Sphäre der Bürgerlichkeit endgültig verlassen. Jetzt gibt es nur noch Mata Hari, die Künstlerin, die Tänzerin. Ein glänzendes, üppiges Leben beginnt mit allem Drum und Dran, Aufregungen und Intrigen. Aber dieses glänzende, dieses üppige Leben erscheint in den Aufzeichnungen der Tänzerin durchaus schlackenfrei, sehr zurückhaltend, sehr züchtig, denn was sie schreibt, ist vielmehr für einen Vater als für die Öffentlichkeit bestimmt.
Wenn ihre Seele, was wohl selbstverständlich ist, berauscht war von Freude über ihre ersten Triumphe in völliger Unabhängigkeit, fern dem ehelichen Zwist, den verletzenden Demütigungen von Seiten der Familie und nicht zuletzt fern dem üblen Klatsch der holländischen Gesellschaft, so ist davon doch so gut wie gar nichts in ihren Pariser Erinnerungen zu spüren. Zweierlei beschäftigt sie einzig und allein: ihre Zukunft und ihr Gatte, dessen Schatten fortfährt, ahnungsvoll auf ihrem Leben zu ruhen. Überall glaubt sie, ihn auftauchen zu sehen, um seine Rechte geltend zu machen, denn die Scheidung war vom Gericht in Amsterdam noch nicht ausgesprochen worden. Die tugendsamen Richter, voll heiliger Ehrfurcht vor der üblichen sozialen Disziplin, glaubten, ein höherer adeliger Kavallerieoffizier habe durchaus das Recht, seine Frau wie sein Pferd zu behandeln. Ja, wenn Mac Leod mit dem Etikett der Ehrenhaftigkeit die Scheidung betrieben hätte, würden die hohen Herren von der Justiz sich sicher beeilt haben, sie auszusprechen; aber das geschah erst drei Jahre später. Zunächst gefällt es dem würdigen Gatten, als er erfährt, seine sündige Ehehälfte widme sich im modernen Babel dem Tanze, ihr einen Brief zu schreiben mit der Drohung, er würde sie in ein Kloster sperren lassen. Als ob man noch in den Zeiten Ludwigs XVI. lebte! Eine Pariserin hätte sich über dieses urväterische Ansinnen krank gelacht. Die unerfahrene Holländerin ist bestürzt, im ersten Augenblick hilflos; sie weint und erfleht telegraphisch Rat, um schließlich in die Heimat zu eilen und sich in einem strengen Hause bei Verwandten in Nymwegen vor der Welt zu verschließen.
Mit erstaunlich kühler Entsagung schreibt sie im Januar 1904: »So bin ich also verdammt, hier zu bleiben ...« Hier, das ist das provinziale Grau eines nebligen, spießigen und freudlosen Haushalts, wo nur die blankgescheuerten Kupferkessel das Recht haben, zu glänzen, wenn es der bleichen Sonne beliebt, sie zu streicheln. Hier, das ist die ausgestorbene Straße, die träge Straße, die feindselige Straße, wo das Geräusch eines unbekannten Schrittes die Dienstmädchen verführt, neugierig verstohlene Blicke durch die Gardinen zu werfen. Hier, das ist ein Tulpengärtchen, dessen Pflanzen im kalten Wind erschauern. Hier, das ist der Nebel, der weiche Nebel, der alles wie in einen Schleier hüllt, der den Schall dämpft, der selbst das Glockenspiel der Rathausuhr nur mit dünnen Silbertönen erklingen läßt. Hier, das ist die nie aussetzende Überwachung durch die Mütter, Tanten und Basen, die etwas haben läuten hören von dem Skandal einer Flucht nach Paris und von öffentlichen Tänzen in Theatern. Hier, das ist kurz ein Gefühl der Schande und einer unstillbaren Sehnsucht nach ...
Ja, einer Sehnsucht! Denn das hat ihr das kurze Leben in Paris bereits deutlich zur Erkenntnis gebracht: in der lächelnden gastlichen Lutetia wogt das Leben und die Leidenschaft, blüht Ruhm, Hoffnung, Freiheit, Glück. »Ich werde triumphieren, früher oder später!« – so denkt sie. Aber von ihren Verwandten, die sie beherbergen, hat jeder Künstler und ganz besonders ein Pariser nichts anderes zu erwarten als unendlichen Haß und tiefste Verachtung, und es ist selbstverständlich, daß diese holländischen Spießbürger sie mit Argusaugen bewachen, um eine Rückkehr in die Hauptstadt der Sünde zu verhindern, die sie, fanatische Leser der Bibel, nur ein Sodom und Gomorrha der modernen Welt nennen. Es ist nicht schwer, sich die reizende und verzagte Einsiedlerin in dieser Lage vorzustellen. Der lange Dornenweg ihrer Ehe liegt hinter ihr, vor ihrer Seele öffnet sich das Reich der Kunst und der Liebe, was wunder, daß sie nur darauf bedacht ist, völlige Unabhängigkeit zu erlangen, damit sie nach Frankreich zurückkehren kann. Ihr heller Verstand ahnt ganz richtig, daß ihre exotische Schönheit außerhalb Hollands so etwas wie ein Abgott werden würde. Sie spürt schon jetzt mit völliger Sicherheit, daß, einmal frei, Scharen von Anbetern ihr zu Füßen liegen und sich mit heißen Wünschen nach ihr verzehren werden. Ein berühmtes Bild, gemalt als sie auf der Höhe ihres Lebens stand, beweist, daß alle, die von ihrer unvergleichlichen Schönheit sprechen, nicht übertreiben. »Groß und schlank trägt sie auf einem wunderbaren, schmiegsamen und ambrazarten Hals ein faszinierendes Gesicht in vollendetem Oval. Der sibyllinische und verführerische Ausdruck darin wirkt zwingend. Der kräftig gezeichnete Mund bildet eine bewegliche, stolze und üppige Linie unter der geraden und feinen Nase, deren Flügel über zwei Grübchen an den Mundwinkeln betörend zucken. Die prachtvollen, sammetweichen und dunklen Augen sind umrahmt von langen, gebogenen Wimpern. Ihre leichte Verträumtheit erinnert irgendwie an die Hindurasse. Ihr Blick ist rätselvoll, er schweift ins Leere. Die tiefschwarzen, gescheitelten Haare geben dem Gesicht einen dunklen Rahmen. Das ganze Geschöpf atmet Wonne, wirkt verwirrend, ist voll überraschender Reize, zauberhafter Schönheit und erstaunlicher Reinheit der Linie«. Worte eines Schriftstellers, der das Bild sah. Diese gar nicht europäische, seltene Schönheit, dazu ausersehen, sich die Welt zu unterwerfen, war nichts für die guten Holländer. Sie sahen sie nicht, hatten kein Gefühl, geschweige Verständnis dafür. Sie sind an die alltäglichen blonden Üppigkeiten der drallen Frauenzimmer gewöhnt, die auf Terborchs Bildern z. B. lachend ihren Busen vor stumpfsinnigen Zechern zeigen, daher gehörten für sie Margarethe Gertruds köstliche Reize eher in das Gebiet der Karikatur als in das der Kunst. Ihre Pariser Freunde dagegen, die sie bisher nur flüchtig bewundern konnten, denken unaufhörlich an sie und fragen immer wieder, wann sie zurückzukehren gedenkt, um sie mit ihren Tänzen zu entzücken.
»Ja, wann?« –
So fragt sie auch sich selbst. Immer mehr wächst ihre Verzweiflung in dem zum Sterben öden Nymwegen, und trotz allwöchentlichen Drohbriefen ihres Gatten, worin er immer wieder für den Rest ihrer Tage mit dem Kloster droht, wenn sie noch ein einziges Mal seinen ehrlichen Namen auf der Bühne schändete, entschlüpft sie doch aufs neue im Frühjahr 1905 und debütiert kurz nach ihrer zweiten Ankunft in Paris, diesmal aber nicht mehr vor einem profanen Publikum, sondern im Tempel der orientalischen Religionen selbst, im Musée Guimet (Museum der Religionen) vor dem unergründlichen Lächeln eines großen goldenen Buddha. Die gesamte Presse äußerte am nächsten Morgen höchstes Lob über diese Veranstaltung. Man war aus dem Häuschen! Die Orientalisten zumal versetzte die plötzliche Offenbarung dieser unbekannten religiösen Ausdrucksformen in einen Rausch des Entzückens. Was wiederum auf Mata Hari rückwirkte: in einer Anwandlung von Autosuggestion ließ sie sich für eine eingeborene, gottgeweihte Tänzerin Indiens halten. Umgeben von kostbaren Reliquien, die Gelehrtenhände in Krishnas Heiligtum vereinigt haben, in einen durchsichtigen safrangelben Schleier gehüllt, zelebriert sie die nur in ihrer Phantasie vorhandenen Gebräuche einer feierlich sinnlichen Religionsübung. Die Erinnerung an das, was sie auf Java gesehen, und die Träumereien in der Einsamkeit zu Nymwegen haben sich dabei zu einem organischen Ganzen vereinigt.
Ein amerikanischer Schriftsteller, der schon seit dreißig Jahren in Frankreich lebt, äußerte sich über die aufsehenerregenden Anfänge der berühmten Tänzerin etwa so:
Ich sah sie nicht im Musée Guimet, wo nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten sie bewundern konnte; aber ein paar Tage später, auf einem Fest, das die ersten Damen der Diplomatie besuchten, hatte ich das Vergnügen, eine der Pantomimen Mata Haris zu sehen; man hielt diese Tänze damals für eine peinlich genaue Wiederherstellung der geweihten Bajaderentänze von Benares. Ich erinnere mich, daß vor Beginn ein sehr würdiger Greis dem Publikum die Bedeutung der rhythmischen Zeremonie klar machte und betonte, es wäre wohl immerhin eine Art Vorzug, diesem Schauspiel beiwohnen zu dürfen. »Eine Jungfrau, schön wie Urwasi, rein wie Damayanti und wie Sakuntala aus einem Kloster,« so sagte er, »wird Ihnen die Sage der schwarzen Perle vermitteln.« Und als der gelehrte und verehrungswürdige Vortragende seine dunkle Geschichte beendet hatte, sahen wir ein schmächtiges weibliches Wesen erscheinen: braune Haut, herbe Züge, feurige Augen. Sie trug einen Rock, der den Leib frei ließ und begann langsam zu tanzen. Sie beschwor Szenen eines sagenhaften Dramas herauf. Prinzessin Anuba weiß, daß auf dem Grunde des Meeres eine Muschel mit einer schwarzen Perle ruht, gleich der, die im Dolchknopf Meschebs glänzt, und ihr ganzes Trachten geht dahin, den Fischer Amry zu verführen, damit er sich entschließt, das Kleinod heraufzuholen. Entsetzt über diesen Vorschlag, antwortet der Fischer der Prinzessin, es wäre Wahnsinn, was sie verlange, denn die Muschel würde bewacht von einem Ungeheuer, das jeden, sobald er sich ihr naht, verschlingt. Aber sie läßt nicht nach, sie verlegt sich aufs Schmeicheln; sie berauscht ihn mit ihren Blicken, und schließlich taucht der Fischer ins Meer hinab, kehrt zurück, halbtot und geschunden aus dem Kampf mit dem Ungeheuer. So überreicht er der Prinzessin die Perle. Und die Prinzessin streichelt das blutbefleckte Kleinod, tanzt und tanzt und ist hingerissen von Entzücken über diesen Besitz ... Mir ist es, offen gesagt, nicht gelungen, den religiösen Kern in dieser Sage aufzufinden; dagegen konnte ich mir sehr gut die Begeisterung erklären, die bei der Pariser Künstlerschaft mit ihrem ständigen Hunger nach exotischen Sensationen gerade diese Tänzerin auslöste. Denn in Mata Hari, die so vortrefflich die tragische Koketterie spielte, mit dieser Koketterie das Leben eines Menschen forderte, um dafür mit teuflischer Freude einen Kuß zum Lohn zu geben und alles das nach vorausgegangener Sättigung mit den grausamsten Reizen; in dieser Mata Hari steckte eine leidenschaftliche Flamme, die alles mögliche vortäuschen, mitreißen, Furcht einflößen konnte ...
In ihren Memoiren erwähnt die Tänzerin auch diesen Abend bei dem Gesandten von Chile, aber nur nebenbei, wenn dagegen die Prinzessin Murat sie einladet, sich in ihrem Palais gleichsam nackt zu zeigen oder wenn der Prinz del Drago ihr zu Ehren ein Fest gibt, dann merkt man den Stolz, womit sie diese Namen in ihren schriftlichen Erinnerungen festhalten will.
Noch mehr Stolz liest man heraus, wenn sie am Ende der Memoiren gesteht, daß sie eine fürstliche Wohnung im Palasthotel auf der Avenue des Champs-Elysees und einen eigenen Wagen besitzt. Welch ein Gemisch von Eitelkeit und Einfalt! Sie merkt nicht, während sie das ihrem Vater schreibt, daß jeder, der ungefähr weiß, was eine Künstlerin verdient, das Recht hat, zu glauben, dieser Luxus könne unmöglich nur aus den Einnahmen der gesellschaftlichen Soireen, der Vorstellungen in der Olympia und der Vorführungen im Museum der Religionen bestritten werden. Bei einer Frau, die so völlig Herrin ihrer selbst, so vorsichtig, so zurückhaltend ist, erscheint eine derartige Unachtsamkeit um so rätselhafter, als sie auf jeder Seite ihres Buches sich eifrigst bemüht, an ihre tadellose Lebensführung glauben zu machen, ihr Gatte also, wenn er behauptet, sie schleife seinen Namen durch zweifelhafte Nachtkabaretts, sie verleumde.
»Beweis hierfür ist,« so sagt sie nochmals, »daß, als Anfang 1906 er selbst die Scheidung verlangt, die mir verweigert wurde, man nicht das geringste gegen meine Lebensführung in Holland und Java einwenden konnte.« Damit schließt sie ihre Bekenntnisse und scheint nicht zu ahnen, daß mancher Leser unbescheiden genug sein wird, vor sich hinzumurmeln: – In Java und in Holland? ... Möglich ... Aber in Paris??