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Wie sie selbst erzählte, hatte sie von allem Anfang an die Ahnung, ihr Leben, ihr Künstler- und Liebesleben würde ein magisches Gewebe aus unvorhergesehenen Ereignissen sein; und aus einem ihrer seltenen Briefe, die man veröffentlicht hat, erhellt tatsächlich, wie selbst in ihren blendendsten Augenblicken, auf dem höchsten Gipfel ihres Ruhmes, in völliger Ruhe und üppigem Reichtum, als ihr die Großen und Mächtigen von ganz Europa zu Füßen lagen, als sie fühlte, ihr Traum, ein Idol auf einem sagenumwobenen Altar zu sein, habe sich verwirklicht, wie selbst da etwas auf dem Grunde ihres Seins bei der geringsten Erschütterung erzittert und bebt. Einem der Freunde, die sie am zärtlichsten liebten, schreibt sie einmal: »Schützen Sie mich doch vor so vielen Dingen, die mir Pein bereiten und mir sogar die Arbeit verleiden.« Und wenn man erwägt, was die Frau, die sich so ausdrückt, war, wenn man bedenkt, daß ihre Füße bei ihren Triumphfahrten damals nur auf Blumenteppiche traten, wenn man sich erinnert, daß Fürsten im Vorzimmer ihres Palais warteten, dann verliert man sich in quälenden Fragen nach den geheimnisvollen Stimmen des Schicksals. Diese Bajadere hatte also mitten in ihrem Glanz Anfälle von düsterer Angst? Ihr Denken und Fühlen jedoch war weder abergläubisch noch leichtfertig. Ihre Moral erscheint stets auf sehr klare, höchst kluge und trostreiche Regeln gegründet. »Ich glaube aufrichtig«, schreibt sie, »daß, wer Gutes sät, schließlich auch Gutes ernten und wer Schlechtes sät, schließlich nur Schlechtes ernten wird und wer den Zweifel sät, nichts anderes als nur den Zweifel ernten kann.« An dieselbe Person etwas weiter unten: »Zuweilen glaubt man an Überraschungen des Schicksals, aber bald bemerkt man, jedem wird das Schicksal zuteil, das er sich bereitet.« Hartnäckig, bestimmt und energisch wie sie war, verfehlte sie nicht, sich Rechenschaft abzulegen darüber, daß ihre Kunst und Schönheit in Verbindung mit ihrer Jugend schließlich die Grundlagen ihrer Herrscherwürde waren. Und wenn wirklich, wie alle, die mit ihr verkehrten, versichern und der oben zitierte Brief es besonders deutlich zu machen scheint, eine vage Furcht vor späteren düsteren Ereignissen in ihr gelebt hat, dürfte es logischer sein, sie verborgenen Warnungen des Schicksals zuzuschreiben, als zu glauben, diese Frau wäre zur Zeit ihrer ersten Erfolge bereits von schlimmen Ahnungen gequält worden, wie sie Missetäter ständig haben.
Hier glaube ich die Frage nach Mata Haris Unschuld an mich richten zu hören, die bereits mehrere spanische Schriftsteller, darunter der Senator Junoy, aufgeworfen haben. Nein, auf Pflicht und Gewissen gefragt, könnte ich nicht daran glauben.
Denn wenn man ohne Leidenschaft und Vorurteil die Akten ihres Prozesses liest, ist es unmöglich, die Schuld dieser Frau zu leugnen. »Sie war schuldig«, sagen uns ihre zwölf Richter. »Sie war vom deutschen Spionagedienst bezahlt.« Wie soll man nach solchen Worten noch zweifeln? ... Diese Wahrheit, durch ein fürchterliches Urteil bekräftigt, erscheint jedoch um so anfechtbarer, je besser man das Leben, den Charakter und die Vorstellungen der unglücklichen Tänzerin studiert.
Vom ehelichen Joch kaum befreit, im Frühjahr 1905, kurz nachdem sie im Museum der Religionen debütiert hatte, finden wir sie in einem der vornehmsten Hotels auf den Champs-Elysées auf das Prächtigste eingerichtet. Sie besitzt einen eigenen Wagen und kostbarsten Schmuck. Aber es wäre wohl lächerlich, diesen damaligen Glanz mit dem Golde der Berliner Agenten irgendwie in Verbindung zu bringen. Welche Dienste, frage ich, konnte den Generalen, die einen eventuellen Krieg gegen Frankreich ausarbeiteten, eine Fremde ohne Beziehungen, ohne Anhang im Lande, und als exotische Tänzerin noch kaum bekannt, wohl leisten? Gar keine. Und seit jener Zeit bis zum Tage ihrer Verhaftung war sie stets von einem ähnlichen Luxus umgeben, zeigte sie sich immer höchst verschwenderisch, zwang sie ihre kostspieligsten und tollsten Launen den Legionen von Anbetern aus allen Teilen der Welt lächelnd auf. In der Anklageschrift ihres Pariser Spionageprozesses nennt man als Beweis ihrer Schuld ihre intimen Beziehungen oder, besser gesagt, ihre Liebesverhältnisse mit hohen Persönlichkeiten, z. B. mit dem deutschen Kronprinzen, dem Herzog von Braunschweig, dem Polizeipräsidenten von Berlin. Doch wenn meine Psychologie mich nicht täuscht, wäre das weit eher ein leises Zeichen für ihre Unschuld, denn ein kaiserlicher Prinz, ein regierender Herr und ein hoher Beamter, selbst wenn sie Preußen oder mit dem preußischen Herrscherhause verbunden sind, haben im allgemeinen ihre Maitressen nicht unter den Spioninnen gewählt. Ferner schreibt der Major Massard in einem furchtbaren Buche: »Die Angeklagte hatte ein leidenschaftliches Verlangen nach Extremen, und man kann das, was ihr der Chef der Spionage während der ersten beiden Kriegsjahre schickte, auf mehr als fünfundsiebzigtausend Francs veranschlagen, was geradezu ungeheuer ist, wenn man bedenkt, daß die gewöhnlichen Agenten fast niemals mehr als tausend Francs erhielten.« Diese letzten Worte sind richtig. Es ist allgemein bekannt, daß die Deutschen sich in Barcelona des Hauptmanns Estève von der französischen Kolonialarmee bedienten und ihm nur dreihundert Peseten monatlich bewilligten.
Wie dem auch sei, scheint es glaublich, daß Mata Hari sich während des Krieges für sechzigtausend Mark verkauft haben sollte, wenn sie in ihren Briefen vom Anfang des Jahres 1914 ganz deutlich die Absicht ausspricht, sich neue höchst wertvolle und teure Möbel zur Verschönerung ihres eigenen Hauses in Neuilly zu kaufen und einem Pariser Museum ein sehr kostbares Service aus altem Porzellan zum Geschenk anzubieten? Als Antwort auf solche Fragen zieht Massard, der in seiner frommen Ehrfurcht vor der entschiedenen Sache nicht den geringsten Zweifel an der Schuld der Tänzerin aufkommen läßt, eine geheimnisvolle Triebfeder heran. Er behauptet, schrecklich kindliche Beweggründe eines verletzten Stolzes hätten die Angeklagte zum Verbrechen geführt. »Vielleicht richtet der Stolz sie zugrunde«, sagt er wörtlich. »Die Künstlerin fand, daß die Franzosen sie nicht nach ihrem richtigen Werte schätzten. Der Ruf Isadora Duncans erregte ihre Eifersucht. Die Deutschen dagegen schmeichelten ihr und vergötterten sie. Daher ihre große Vorliebe für die Germanen, die vieles erklärt.« Offen gesagt, mir erscheinen diese psychologischen Erklärungen Massards bei weitem nicht so klar wie ihm selbst. Als Künstlerin scheint Mata Hari tatsächlich mehr Eitelkeit als Stolz besessen zu haben. Ihre Briefe beweisen das; man findet darin nicht die Begeisterung, die eine Isadora Duncan schwärmen läßt, wenn sie das göttliche Geheimnis ihrer Kunst auseinandersetzt; man findet darin auch nicht das heitere olympische Vertrauen, das die Geständnisse der Loïe Fuller durchzieht und über die man bisweilen wohl spötteln, denen man aber schließlich die Achtung nicht versagen kann. Nein, für unsere exotische Tänzerin ist die Kunst zunächst die Rettungsbrücke, die zur Befreiung aus dem ehelichen Joch hinüberleitet, und dann nie etwas anderes als ein Mittel, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, sich im Glanz ihrer Schönheit zu zeigen, schließlich, die Männer zu verführen. Einem Freunde, der lange vor dem Kriege sie fragte, warum sie sich von der Kunst zurückgezogen, antwortete sie: »O, ich bin durchaus gerüstet, von neuem zu tanzen und auf mein leichtes Leben zu verzichten, um wieder die Hoffnungen, die der Ruhm notwendigerweise anstachelt, zu schlürfen, aber ich möchte wenigstens, sozusagen urheberrechtlich geschützt sein und könnte nicht dulden, daß andere meine Ideen ausplündern.« Einem Komponisten, der ihr einen buddhistischen Tanz vorschlägt, schreibt sie: »Ein Hindutempel mit der Göttin, das gefällt mir. Vor einem ähnlichen Hintergrunde begann ich im Museum der Religionen zu tanzen; meine Porträts hängen noch dort. Andere haben das nachgeahmt. Freilich kann mir das Vorrecht meiner Erfindung niemand rauben. Sie ist die einzige Art, den geweihten Tänzen einen wirklich entsprechenden Rahmen zu geben. Der Tempel kann so chimärisch sein, wie man will, denn ich, ich bin es ja auch.« Weiter sagt sie, als sie ein Ballett bestellt, wie man ein Kleid bestellt, dem Musiker, der die Musik schreiben soll: » Die geweihte Blume soll die Legende einer Göttin sein, die die Macht hat, sich in einer der Blumen zu verkörpern, wie sie auf ihrem Altar als Opfergaben verbrannt werden. Der Prinz betritt das Heiligtum; er hält Orchideen in der Hand; er verbrennt sie; und aus dem Rauch löst sich die Göttin und tanzt. Ich muß die Orchidee sein, ganz aus Gold und Diamanten. Ich weiß, wie ich das machen muß. Paul braucht mir nur ein Zeichen zu geben, wenn er mich braucht: ich werde bereit sein. Ich möchte, daß er mir die Partitur widmet. Das fließende Wasser soll das Vorspiel bilden, denn der Tempel liegt in einem Walde neben einem Wasserfall.« Ihre künstlerischen Einfälle sind alle von dieser Art: ungenau und kindlich, aber immer mit szenischen Möglichkeiten, die ihr erlauben, sich gleichsam nackt zu zeigen unter Schmuck, Gold, rhythmischen Linien und transparenten Hilfsmitteln. Die Furcht, sie könnte den religiösen Exotismus falsch auslegen, hemmt sie nicht im geringsten bei der Ausarbeitung ihrer Pläne. Ihre Gelehrsamkeit ist unklar und ihre Kenntnis der Götterlehre reichlich dunkel. Man sieht, daß sie alles, was sie weiß, aus höchst bunter Lektüre gelernt hat mit der einzigen Absicht, alles zu persönlichen Zwecken auszunützen. »Paul«, schreibt sie ein andermal, »muß in seiner Musik folgende drei Vorstellungen ausdrücken: Werdezeit, Wachstum, Blütezeit. Diese drei Entwicklungsstufen entsprechen den Kräften von Brahma, Vischnu und Shiva, das heißt der Schöpfung, Fruchtbarkeit, Zerstörung. Die Zerstörung ist in diesem Fall schöpferisch; daher kommt Shiva Brahma mindestens gleich, wenn er ihn nicht noch übertrifft. Aus der Zerstörung ins Werden und schließlich zur Schöpfung, das muß der Tanz ausdrücken.« Das Thema der geweihten und sinnlichen Blume, die sich beim Hauch der mystischen Liebe verklärt, scheint sie nicht mehr loszulassen. Diese und eine Bronzestatue und ein Prinz, dessen hieratische Gesten das buddhistische Ritual heraufbeschwören, das sind ihr genügend Elemente, um sich daraus einen Rahmen zu machen für die Wirkungen ihrer Ambranacktheit. Diese Wirkungen ließen sie nicht im Stich; sie äußerten sich in Murmeln der Überraschung und Schauern der Wollust.
Das Einzige, das inmitten dieser krausen Gefühle immer eine klare Haltung zeigt, scheint nicht den Bucherinnerungen, sondern der Tiefe ihres Charakters zu entspringen: und das ist der innerste Kern ihrer Philosophie. Wir zitieren wieder einen Brief an einen Freund. Da schreibt sie: »Du wirst sterben, wie alles stirbt; spürt man, daß der Tod naht, dann muß man in vollen Zügen die schönen und stolzen Augenblicke auskosten: es ist mehr wert, auf Erden nur ein kurzes und angespanntes Leben zu verbringen, als sich bis in ein Alter ohne Schönheit hineinzuschleppen.« Offenbar also ist für die Tänzerin die Schönheit nicht das, was sie für die orientalischen Weisen ist, die auch von einem Dasein ohne Hinfälligkeit im Alter predigen; sie ist für sie weder ein geistiger Glanz noch eine reine, ideale, völlig in Anspruch nehmende Kunstbegeisterung; sondern einzig und allein das Zusammenspiel von Wille und Charme, wodurch sie sich ihren unmittelbaren Triumph, ihre persönliche Verführungsgabe sichert.
Geldgier, die Massard ihr zuschreibt, ist nicht ganz deutlich ersichtlich aus den authentischen Berichten über sie. Gegen alle, die in ihr einen Luxusgegenstand sahen und ihre Gunst zu erobern trachteten, war sie zweifellos so etwas wie ein Raubvogel; aber gleichzeitig darf man nicht außer acht lassen, mit welcher Freigebigkeit sie denen, die ihr dienten, einen Teil ihrer Reichtümer spendete.
»Nehmt«, schien sie ihnen zu sagen, »nehmt und versucht von diesem Golde wegzuwischen, was ihm von Spuren der Schande etwa anhaftet.« Denn auf dem Grunde ihrer echt holländischen Seele, bei ihrer Wohlerzogenheit, Ehrfurcht vor der sozialen Rangordnung, Erpichtheit als Aristokratin genommen zu werden, muß ihr die wahre Quelle, woraus ihr Luxus floß, zweifellos recht anrüchig erschienen sein. Jemand, der sie genau kannte, legt ihr folgenden charakteristischen Monolog auf die Lippen: »Jetzt bin ich Königin ... Ich habe meinen Hof und meine Höflinge. Ginoceli mit seiner Hyänenschnauze und seiner Verrätermiene würde es sich nicht entgehen lassen, mich zu besuchen und säße ich eines Tages selbst in der Hölle. Und Cravard, der Millionär, wäre imstande, meinetwegen den lieben Gott zu verschachern! ... Und Lord Clavenmoore, äußerlich ebenso puritanisch, wie innerlich ein lockerer Zeisig! Ah! Ihre Juwelen und Blumen sind mir ein Greuel! ... In der Schönheit steckt ein gut Teil Verruchtheit. Die Männer sind schrecklich. Die mich anbeten, macht ein Lächeln von mir rasend, so daß sie oft nahe daran sind, einander beinahe aufzufressen. Der Großfürst Basil, ein Nero, wenn er betrunken ist, oh, wie abscheulich! Und der Graf von G ..., Intimus des Kaisers, Offizier der Garde, den braucht man nur essen zu sehen, dann weiß man alles! ... Oh, diese Ungeheuer! Ihre Schmeicheleien machen mich krank; ihre Zärtlichkeiten machen mich erstarren ...« Daß diese Äußerungen wirklich so gefallen sind, ist sehr wahrscheinlich; nur war Mata Hari viel zu eitel, sie vor ihren Freunden laut werden zu lassen: statt zu tadeln, verhehlte sie; und um ihr Spiel zu verbergen, um nicht als käufliche Kurtisane dazustehen, sondern als Göttin, hatte sie sich ihre wunderliche Kunst bereitet und ihren geweihten Ursprung erfunden ...
Die Kunst und die Schönheit, ganz besonders die Schönheit, genügten von Anbeginn ihres freien Lebens mit dem Stempel der großen Abenteuerin, ihr eine beneidenswerte Lage zu sichern. Selbst Caroline Otero, die bis dahin allen nach dem Erbe ihres Szepters begierig Haschenden sich weit überlegen fühlte, sah, daß diese neue Herrscherin im Begriff war, sich Gebiete zu erobern, die weiter reichten, als die ihrigen. Und Mata Hari begnügte sich nicht wie Liane de Pougy, Emilienne d'Alençon, Rosario Guerrero, Odette Valery über einer Gruppe von Nachtschwärmern zu thronen, worin man Künstler und Bankiers, Aristokraten und Söhne vermögender Väter, aber kaum jemals eine Persönlichkeit von wirklicher innerer Bedeutung bemerkte. Mata Hari wollte höher hinaus und sie wußte, daß es ihr gelingen würde. Mata Haris Galane mußten Minister, Prinzen, Botschafter, Generale, Akademiker sein: Was sage ich? In ihrem orientalischen Boudoir zwischen einer Tanagrafigur und einem Buddha aus antiker Bronze standen in reichen Filigranrahmen die Photographien zweier Monarchen. Mit ihren Widmungen bekennen sie sich als enthusiastische Bewunderer der großen Künstlerin.
Zwei Souveräne, jawohl: der eine starb vor ihr; der andere, ritterlich und edelmütig, bat persönlich den Präsidenten Poincaré um ihre Begnadigung. Und hier frage ich mich, ob jemand, mit diesem königlichen Schritt und seiner Erfolglosigkeit bekannt, noch zweifeln könne, daß die Tänzerin schuldig gewesen sei? Denn daß der Chef des französischen Staates der Bitte des Monarchen eines befreundeten Landes nicht willfahren zu können glaubte, ist der deutlichste Beweis für seine ganz feste Überzeugung, Mata Haris Verbrechen gehörten zu den unverzeihlichen.
– Jawohl, aber sie bleiben unerklärlich, diese Verbrechen – so höre ich meinen guten Freund Junoy murmeln.
Endnote: Der spanische Senator Junoy, einer der besten Freunde Mata Haris, hat immer an ihre Unschuld geglaubt. »Sie werden sehen«, sagte er mir vor etwa vier oder fünf Jahren (1920), »Sie werden sehen, Frankreich, das einzige Land mit einem nationalen Gewissen, wird schließlich die Revision des Mata Hari-Prozesses fordern, wie es das auch im Fall Dreyfus getan hat.« Damals konnte ich über diese Worte nur lächeln, weil ich fühlte, daß der größte Teil der Franzosen von der Schuld Mata Haris überzeugt sei Jetzt frage ich mich aber, ob Junoy nicht doch ein wirklicher Prophet gewesen ist, als er so zu mir sprach. Tatsächlich bringt das Pétit Journal, also eine der verbreitetsten Zeitungen in Paris, unter dem 16. Juli 1925 einen von Marcel Nadaud und André Fage unterzeichneten Artikel, worin ich folgende Zeilen finde:
»Memoirenschreiber und Publizisten, wie z. B. Mas_sard in seiner Broschüre ›Les Espionnes à Paris‹, glaubten, durch Dokumente den sicheren Beweis für ihre Schuld belegen zu können. Für jeden unparteiischen Forscher jedoch bleibt diese Frage offen.
In den Augen sehr vieler eine unheilvolle Spionin, darf man jedoch nicht vergessen und übersehen, daß sie bei Lebzeiten hartnäckige Verteidiger hatte, und das waren Leute von höchster Bildung und Verstand. Heute ist sie nur noch eine Erinnerung, nachdem ihr Leib den Studenten der Medizin als wissenschaftliches Objekt auf den Anatomietisch gelegt wurde. Aber ihr Gedächtnis ist noch lebendig in vielen treuen Freundschaften.
»Selbstverständlich kämpfte die Verteidigung tapfer für einen guten Ausgang.«
Nach der warmen Verteidigungsrede Clunets schien es einen Augenblick lang als wäre die Tänzerin tatsächlich wenigstens von dem Hauptanklagepunkt entlastet. Aber dem war nicht so. Und da sieben Offiziere sie verurteilt haben, müßten wir uns eigentlich ohne Vorbehalt diesem Soldaten-Wahrspruch beugen.
»Leider befällt uns jedoch ein arges Mißtrauen gegen die Atmosphäre, worin die Verhandlungen geführt wurden. Wenn der Feind so dicht vor der Hauptstadt steht, wenn die Spionage unumschränkt herrscht, wenn man, um nicht als Miesmacher zu erscheinen, seinen Kopf sogar dem einfachsten kritischen Verständnis verschließt, ist man wohl berechtigt, sich zu fragen, ob der Gerichtshof seine völlige Unabhängigkeit und unentbehrliche Erhabenheit hat wahren können.
Wieviel Urteile des Kriegsgerichts mußten seitdem verworfen werden! Wie Viele mußten für unschuldig erklärt werden, nachdem man sie der scheußlichsten Verbrechen beschuldigt hatte: Fahnenflucht, Verrat, im Stich lassen des Wachtpostens, Spionage.
Gewiß, man kann niemand geradezu anklagen. Der Krieg allein ist der Schuldige. Er führte bisweilen das Schwert der Gerechtigkeit mit unbesonnener Eile in Dunkelheit. Heute jedoch, im Frieden, in der wiedergefundenen Ordnung gibt es kaum eine strengere Pflicht, als die Revision der Urteile, auf denen der Nimbus des Geheimnisses zurückgeblieben ist, als vor aller Welt die Aktenstöße der Prozesse auszubreiten, auf denen noch der schwere Schatten des Zweifels ruht.
Gestern unterbreiteten wir unsere Befürchtungen einem jener Justizbeamten, die im Prozeß gegen Mata Hari fungierten. Er antwortete uns:
›Sie wissen nicht alles ... Es gab da geheime Urkunden, die geradezu niederschmetternd waren ...‹
Aber acht Jahre nachher ist das Geheimnis nicht mehr unerläßlich. Zur Beruhigung unseres Gewissens und auch zur erfolgreichen Beseitigung des fremden Feldzugs gegen diesen Prozeß, aus dem man letzten Endes Mata Hari als eine Miß Cavel, als eine Märtyrerin herausführen möchte, beanspruchen wir im Namen aller wahrheitsliebenden Franzosen die Veröffentlichung dieser Dokumente.«
Fraglos sind sie unverzeihlich, besonders wenn man, wie der unversöhnliche Massard, die Triebfeder dafür im Eigennutz und im Trotz entdecken will. Für sechzigtausend Francs verschreibt eine Frau, zu deren Füßen Bankiers seufzen und Minister weinen, sich nicht der niedrigsten und gefährlichsten aller Beschäftigungen. Um kleinliche Rachegefühle, die mit ihrer Kunst zusammenhängen, zu befriedigen, setzt eine reiche, überall bewunderte Tänzerin nicht ihre Ehre und ihr Leben aufs Spiel.
– Was also bleibt?
That is the question. Oder vielmehr, das ist das Geheimnis; um es zu ergründen, ist es vielleicht am besten, darüber nachzudenken, was es an Unklarem, Weiblichem, Unvernünftigem überhaupt gibt, was in den Augen eines ernsthaften Moralisten stets als literarische Phantasie gelten wird, was nur durch den Triumph der Eitelkeit und die Niederlage des Stolzes zu erklären ist, was uns schließlich immer und immer wieder zeigt, wie verworren, albern, schwach, sorglos, klein und blind das Menschenherz sein kann. Nicht sie trägt die Verantwortung, sondern der Egoismus der Männer, die die Frauen in den Abgrund stürzen. Sie wurde in erster Linie das Opfer ihres eigenen Prestiges. Die Deutschen wußten natürlich sehr wohl, welchen Vorteil sie aus ihren Beziehungen ziehen konnten, und so verführten sie diese Frau sehr geschickt mit kindlichen und unwiderstehlichen Schmeicheleien. »Sie sind die Einzige, die fähig ist zu verstehen ... Sie üben den größten Einfluß aus ... Sie wünschen den Frieden ... Sie fühlen die ganzen Schrecken des Krieges ... Sie könnten so mancher armen Familie Trauer, Tränen und viel Elend ersparen.« Und die schöne Dame in gutem Glauben, alle diese huldigenden Worte gelten ihr persönlich, ließ sich ins Netz der Spionage locken wie der Vogel auf den Leim. Hätte man ihr unumwunden irgendeine Summe angeboten, damit sie sich den Berliner Agenten zur Verfügung stelle, wäre dieses Ansinnen höchstwahrscheinlich als Beleidigung zurückgewiesen worden; aber die großen Organisatoren der verborgenen Kräfte waren höchst feine Psychologen, in allen Wassern des lichtscheuesten Diplomatenfaches gewaschen. Die Worte, die Dumur Louis Dumur: Les Défaitistes. dem deutschen Gesandten in Bern auf die Lippen legt, sind echt: »Was uns am meisten fehlt, sind geschickte und kluge Freunde mit überlegener Begabung und vornehmer Gesinnung und bereit, uns in Paris zu helfen, all diesen Greueln ein Ende zu setzen. Die Franzosen sind in diesem Punkt passiv, und es wäre wichtig, ihnen das Verständnis dafür in ihrem eigenen Interesse beizubringen; wir, wir hassen niemand; wir wünschen einzig dem Ansturm von hundert gegen das Reich verbündeten Völkern nicht zu erliegen.« So wurde aus Arendsen bei Dumur Louis Dumur: Les Défaitistes. ein Kleingläubiger und wahrscheinlich aus Mata Hari eine Spionin.
Meine Hypothese erscheint vielleicht manchem ebenso schwach wie die Massards! Ich würde mich nicht darüber wundern. Von fern, durch Zeit und Raum betrachtet, haben die sittlichen Wechselfälle der europäischen Tragödie häufig ein unerklärliches Gesicht. Besonders bei allem, was auf die Spionage Bezug hat, muß man die Atmosphäre der großen neutralen Städte berücksichtigen, Genf, Madrid, Amsterdam, wenn man ein Bild davon gewinnen will, wie unwahrscheinlich leicht die deutschen Agenten mehr oder minder selbstlose Mitarbeiter in allen sozialen Klassen fanden. »In dem durch den Krieg erregten Strudel war die Spionage etwas ganz Geläufiges; alle gaben sich ihr hin, einer spionierte den anderen aus!«. Louis Dumur: Les Défaitistes. In den kosmopolitischen Zirkeln von Madrid, im Palace-Hotel, im Ritz-Hotel, war Spionage an der Tagesordnung. Schöne Abenteuerinnen, die ebensogut französisch wie deutsch sprachen, genierten sich kaum, am hellichten Tage in die Botschaften einzudringen. »Eine Spionin!« sagte man. Und man sagte das ohne Überraschung, ohne Abscheu. Eine riesige Nachsicht herrschte teils aus Skeptizismus, teils aus Gewohnheit, immer und überall dasselbe zu hören. Obendrein konnte man in gewissen Kreisen eine krankhafte und exaltierte Sympathie feststellen für die elenden Geschöpfe, die, mit falschen Pässen ausgerüstet, unter Lebensgefahr gingen und kamen, um nach den Blutbädern, Schiffbrüchen, Katastrophen die ausgesetzten Prämien zu gewinnen. Denn jeder Angriff der Unterseeboote, jeder Sturm auf die schwachen Punkte der Front waren die Folge von irgendeiner Mitteilung des Spionagedienstes. Die militärischen Leiter allein können die tragische Bedeutung eines in unseren Augen ganz nichtssagenden Details ermessen. Daher empfinden sie nichts von dem Mitleid, das uns packt, wenn wir unerbittliche Urteile fällen hören. Man merke sich, was im Mata Hari-Prozeß einer der Richter zu Massard sagte: »Das war eine kategorische Antwort an die Person, die die Spionin H 21 zu retten versucht. Ich beglückwünsche Sie dazu. Worauf gründet dieser Mensch seine Verteidigung? Ich fühle mich zur sicheren Annahme der Schuld berechtigt nach den Beweisen, die ich in Händen gehabt habe, und nach den eigenen Geständnissen dieser verworfenen Spionin, die vielleicht mehr als fünfzigtausend der unsrigen im Felde fallen ließ, die nicht gerechnet, die infolge ihrer Angaben auf dem Meere umkamen.« Dieser haßerfüllte Ton, der alle ehrlichen Zweifler leider nicht entwaffnen kann, überrascht und erschüttert. Aber das liegt wahrscheinlich daran, daß wir uns unmöglich in die Seele dieser harten Soldaten versetzen können, die vier Jahre lang gepeinigt lebten nicht nur durch die Kugeln der feindlichen Front, sondern auch durch die Dolche, die sie drohend im Rücken fühlten. »Diese verächtlichen und blutdürstigen Geschöpfe,« sagt der Ankläger im Prozeß Mata Hari, »diese Verworfenen, die im Dunkel das Blutbad vorbereiten und sich ihrer Schönheit bedienen, um das Zerstörungswerk unserer Feinde zu fördern, verdienen nur den Tod; das sind teuflische Kreaturen und Megären.« Als diese Worte gesprochen wurden, wird die Tänzerin sicher am meisten entsetzt gewesen sein, und zwar deshalb, weil in ihr, ebenso wie in den meisten berufsmäßigen Spionen zu solchen Leidenszeiten, eine Art Gewissenlosigkeit herrschte, die ihr nicht erlaubte, die unheilvolle Tragweite ihres Tuns richtig abzuschätzen. Ihrer krankhaften und perversen Neugierde ist das Ausforschen der Heldenseelen, die, zwischen zwei Schlachten, in ihrem Schlafzimmer ein wenig Vergessen suchten, nur ein ihrer Eitelkeit und ihrem Abenteuerinstinkt höchst willkommenes Spiel gewesen. Sie blieb unfähig, die Folgen ihrer Handlungsweise zu ermessen. Es schmeichelte ihr zweifellos, daß die Leiter des deutschen Spionagedienstes in Madrid ihr sagten, sie wäre die einzige Frau, die wichtige französische Persönlichkeiten zwingen könnte, ihre Dienstgeheimnisse preiszugeben. Es gefiel sicher ihrer Eigenliebe, wenn ihrer Schönheit zugestanden wurde, die verwegensten Krieger in girrende Seladons zu verwandeln, die ihr dann, ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, ganze Provinzen verrieten. Sehr stolz war sie darauf, daß sie es verstand, ihre Manöver allen zu verbergen. Hätte aber eine ernste Stimme, unmittelbar nachdem ein Fliegerkadett oder ein Minister-Naivling sie verlassen, ihr ins Ohr geraunt, wieviel Schmerzen, Tränen und Trauer sie durch Preisgabe der erlisteten Geheimnisse heraufbeschwor, sie würde ihr Verhalten sicher abscheulich gefunden haben. Mehr noch: hätte sie ihre Verbrechen nackt vor sich sehen können, ihre Bestürzung wäre sicher unermeßlich groß und schmerzlich gewesen. Um das zu verstehen, möge man sich der Zeugenaussagen erinnern, die ihre Dienerschaft gemacht hat. »Sie war sehr gut, sehr freigebig, sehr mildtätig, sie hatte für das Unglück anderer stets ein Herz.« So lauten die Worte dieser Leute. Und ihre Geliebten, selbst wenn sie Opfer ihres intimen Betruges geworden sind, müssen anerkennen, daß sie eine kühne, vornehme Frau war, allerdings von ungestümem Charakter und wechselnder Laune, aber stets fähig zu Liebe und Wohlwollen.