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Daß diese Gestaltung der Dinge wohltätig auf Jakobli einwirkte, kann man sich denken. Er nahm sichtbarlich zu, ward munterer, vom lebendigen Geiste angesteckt, arbeitete mehr als sonst, drosch neben Meyeli wie tusig, gäb wie Anne Bäbi abwehrte, es wollte es nicht z'gut machen. Aber da es Jakobli so besserte und er zweg war wie nie, so ward es Anne Bäbi auch wohl trotz dem Arbeiten desselben. «He nu so de!» sagte es, «so können sie doch jetzt sehen, wer das Rechte gesinnet hat, ob Anne Bäbi oder öpper angers, und wer mehr verstanden hat, ein Dokter oder Anne Bäbi.» Seitdem Jakobli gwybet hätte, dünke es ihns, sei er ganz ein anderer; esse tue er wenigstens ds Halb mehr als sonst und rede fast wien e angere Mönsch.
Dieser Erfolg wirkte natürlich auch mit, daß Anne Bäbi umso eher mit Meyeli sich versöhnte. DHauptsach sei, daß es Jakobli bessere, sagte es, es sei dann zuletzt hell gleich, was er für eine Frau habe. Es sei gar nicht, daß es so an dem Zyberliblock ghanget sei, o Jere, gar nicht, es sei ihm nur wegem Wybe gewesen, und weil es geglaubt habe, wenns mit dieser nichts gebe, so bringe es ihn mit keiner Andern mehr zusammen. Es glaub fast selber, dSach sei nicht so bös gegangen, und es sei die Frage, ob die Angeri so gut sich hätte schicken können in alles. Darum sei es froh, daß es nicht so wüst getan hätte, wie manche andere Mutter getan hätte; e Angeri, die hätt ne wurde, bim Schieß! Aber es vergeß nie, was seine Großmutter allbets gesagt habe: weil man nie wisse, wie es komme, so müsse man nie meinen, man wolle etwas erzwingen, sonst könne man vrflümeret reuig werde u dörf doch notti niemere klage. Das vergeß es nie, u drum chönn ihm o niemere nahrede, daß es mein, es müß alles nah sym Gring gah.
Zu seiner Zufriedenheit trugen aber auch die Reden der Leute viel bei. Wenn ein neues Huhn in einen Hühnerhof kömmt, so drehen sich alle Hühneraugen nach ihm, alles marschiert um ihns herum, was Beine hat, hier kriegt es einen Pick, dort wieder einen; sie wollen halt sehen, ob seine Federn gut eingemacht sind, und es ist glücklich, wenn sein Heimischwerden nichts als Federn kostet. Etwas Ähnliches geht vor, wenn eine junge Frau in ein Dorf kömmt. «Hesch se gseh?» fragt Hans Eisi und Stüdi Benz. «Öppe e aparti Schöni isch si de öppe nadisch nit», sagt Stüdi, «dere hätt er de hie mängi funge, wenn er se nit bräver bigehrt het.» «Es ist bsungerbar e styfi, ih wüßt ere hie ume keni z'vergliche», sagt Benz, um Stüdi zu ärgern. «Ih hätt nit glaubt, daß me meh e selligi fung u de ume no mit eym Aug; er muß e Gfellige sy, es gseht ihms o niemer a.»
Aber so glücklich wie Benz und Stüdi waren wenige Leute, obgleich nichts unversucht blieb, um ebenso glücklich zu werden. Wer aufs Feld wollte, ging, wenns schon weitum war, bei Jowägers Haus vorbei, und wer irgend nur was ersinnen konnte, hoschete dort an; jemand hatte ein Haueli vergessen, jemand frug, ob man nicht ein Beil gefunden, das man ab dem Wagen verloren, jemand, ob Anne Bäbi nicht reistiges Tuch zu verkaufen hätte, jemand, ob seine Faselschweine ihm nicht feil wären.
Aber Wenige waren so glücklich, zum Zweck zu gelangen, Wenige hieß Anne Bäbi in die Stube kommen, sondern gab seine Erlässe über die Küchentüre hinüber, und Meyeli war nicht gwunderig, steckte sein Näschen nicht überflüssigerweise zum Läufterli hinaus. Nur wer das Glück hatte, Mädi in der Küche anzutreffen, kam manchmal in die Stube. Denn hoschete jemand, so sagte es: «Gang ume yche, si sy dinne; du chast nes de selber säge, was d witt!» Und es war nicht, daß Mädi das tat, weil es es nicht besser wußte, weil es übel dressiert war, sondern rein aus Boshaftigkeit. Anne Bäbi putzte ihns allemal ab und sagte: «Warum heißist doch alles ychecho, chast mr nit rüfe?» «Rüfe, was rüfe!» sagte dann Mädi, «das wär mr afe lustig, wenn ih da sött ga dr Narr mache u dLüt ga amelde wie im ene Herrehus! Nei, sellig neu Brüch wey mr notti nit afa; wer Tüfel wett dr Wyl ha, da geng ume- u anezgumpe, u my Sach macht mr niemere, u so wege ere sellige la ih mi de nit plage. Hätt si mira Kleider mitbracht, daß si sie zeige dörft; was vrmah ih mi desse, daß si ume Fötzeli het, nit emal öppe wien e rechti Jumpfere!» So tat und redete Mädi in den ersten vierzehn Tagen, wo Meyeli am übelsten zweg war; nachher, als dasselbe ihm Fürfüße und anderes geplätzet hatte, hätte es Mädi nicht mehr getan. So haben es die Menschen, daß sie eben am wüstesten tun, wenn ordlich tun am nötigsten wäre.
Eine große Zahl Leute und namentlich alle Mädchen in Gutmütigen, denen Jakobli entronnen war, blieb also auf den Anblick der jungen Frau gespannt und bildete sich ein, sie werde sicherlich am zweiten Sonntag in der Kirche erscheinen wie öppe üblich und bräuchlich. Denn auf dem Lande, wo man kein Theater hat, stellt sich das Weibervolk nicht ungern in der Kirche dem Publikum vor; es vergißt halt, daß die Kirche nur dazu da ist, sich Gott vorzustellen. Aber warum sollte man das dem Weibervolk, dem schwächern Teil, nicht verzeihen, da das Mannevolk nicht nur in der Kirche (wo es noch selten genug erscheinet), sondern im ganzen Leben Menschengunst nachstellt und an Gottes Gnade nicht denkt, Menschen fürchtet und Gott nicht, seinen Mantel nach den Winden hängt, welche von Menschen, dem Säuseln aber und den Stürmen, die von Gott kommen, Herzen und Ohren verschließt? Hui, da wäre ein Kapitel, wo was zu sagen wäre, aber da würde man nicht nur in einen Ast sägen, sondern kein Mensch wüßte, in wie manchen, muß aber doch einmal sein.
Was üblich sei, das werde auch die junge Frau tun, dachten die Gutmütiger, und wer leicht eine Gwundernase hatte in selbigem Dorfe, der machte sich an selbigem Sonntag zChilche; man kann denken, daß da viele Leute sich einfanden, denn in Gutmütigen sind die Gwundernasen nicht rarer als an andern Orten. Aber selben Sonntag gab es manchen styfen Äcken in den Weiberstühlen; denn so oft man jemand zur hintern Türe hereinkommen hörte, drehten sich alle Köpfe wie aufs Kommando, drehten sich und drehten sich, bis kein Tritt mehr zur Kirche hineinkam, und immer umsonst, denn kein Meyeli erschien. Und seit Gutmütigen stand, wurde nie so viel über Halsweh, und daß man den Gring nicht mehr drehen könne, geklagt als selbigen Sonntagabend.
Es hatte niemand etwas zu rühmen als der – Vikari.
Die Frau Pfarrerin war bekanntlich ein gutes Mutterli. Über Mittag, wenn sie den Suppenteller dem Vikari reicht sagte sie gewöhnlich: «Herr Vikari, Ihr habt heute wieder eine recht schöne Predigt gehabt.» Ausnahmsweise sagte sie: «On e prächtigi, es dünkt mich, sie sollte allen Leuten zu Herzen gegangen sein; es dünkt mich, die Leute sollten auch mehr darnach tun.» Zuweilen sagte ihr dann wohl ihr Herr später: «Aber wie hast du doch so was sagen können! Allbets hast du dich recht gut auf jede Predigt verstanden, und jetzt verstehe ich mich nicht mehr auf dich. Du rühmst dem Vikari Predigten, wo doch ume junges Zeug sind, alles durcheinander, ein Krausimausi, wo, was zvorderist ist, zhinderist ghörti, und Einleitungen, wo man gar nicht weiß, wo es hinaus soll, und so lange, daß man meint, die Predigt sei aus, wenns doch nur die Einleitung ist, und Einteilungen, es weiß kein Mensch, nach welcher Logik, es sind nicht Homilien, sie sind nicht analytisch, nicht synthetisch, kein Mensch weiß, was sie sein sollen. Und die rühmst du, als wenn du nie bessere gehört hättest.»
«O Papali», sagte dann das Mamali, «zürn mir doch recht nicht! Denk, es ist e junge Herr, dem muß man Mut mache. Bsinn dich, ihr habt ehmals auch nicht ungern gehabt, wenn man euch rühmte; jung Lüt sie mel so, und warum sollte man es ihnen nicht zu Gefallen tun? Doch seid ihr in einem Stück ganz anders gewesen, so wie ich mich daran bsinne, das muß ich bekennen. Es ist noch etwas an euch gewesen, und es hat etwas sein müssen, ehe ihr den Mut verloren. Die hütige junge Herrleni sy nume so Blütterlüpfe, es ist nüt mit ne. Sie machen wohl anfangs Gsichter, als ob sie wollten ohne Fecken zHimmel fahren, aber handkehrum, wenn ne nume e Mus über e Weg lauft, so mache si Gsichter, als ob sie jedem Muheim nachschlüpfen wollten in sein Loch, oder ob sie gar ds Loch suchten, wo me zur Welt uschunnt, Gott bhüet is drvor! Da, Papali, muß me wäger so einem jungen Herrn allbeeinist Mut machen; denk doch, wenns ein Unglück gebte, was man sich für ein Gewissen machen müßte!»
«Oh, häb doch nit unnötigen Kummer!» sagte dann der Pfarrer, «die heutigen Herren bekümmern sich gar nicht darum, was alle Leute loben oder tadeln; sie wissen alles viel besser als wir, und was wir auch sagen, das ist ihnen ganz gleichgültig.»
«Aber Papali», antwortete die Frau Pfarrerin, «zürn mir nicht, aber ich muß dir doch widersprechen. Du bist ein berühmter Pfarrer, keine so, aber so, wies e hütige Vikari, ja, ih möcht säge, all Mönsche hey, hest doch vrgessen. Sieh, wenn ich Visitaz habe und recht angewendet mit Kochen und Braten, so macht mich nichts so böse, als wenn mich niemand rühmt. Wenn ihr da so alles in euch hineinesset, als ob es Krüsch wäre, so denke ich, he nu so de, so will ich das andere Mal euch geradezu Krüsch anbrühen wie den, ich darfs nicht sagen, wem. Verzieht einer gar den Mund ob dem Essen, nimmt Salz nach oder läßt etwas über, und wenn er auch kein Wort sagt, so macht das mich so böse, ich kann dir nicht sagen wie, und ich muß immer denken: «O wie froh wäre der, wenn er es alle Tage so hätte!» Aber es ist immer wahr gewesen, daß die am meisterlosigsten sind, die daheim es am schlechtesten haben. Rühmt mich aber Einer und sagt, lange oder gar sein Lebtag hätte er nichts so Gutes gegessen, so tut mir das so wohl, du glaubst nicht wie, Papali, und ich nehme mir vor, es müsse nicht zu machen sein, sonst müsse der, so oft er zu uns komme, etwas Gutes haben, und anwenden wolle ich allemal, soviel mir möglich.
Und doch weiß ich wohl, daß ihr alle vom Kochen nichts versteht, und daß mir einer vielleicht nur ein Kompliment macht und es ihm ganz anders ist als er denkt; aber ich kann nicht helfen, ds Rühmen tut mir wohl, und ds Tadeln kann ich nicht leiden, und so, denke ich, hats so ein Vikari auch, Papali, emel die hütige. Wenn du ihn allbeeinist rühmtist und nicht allemal ungeduldig würdest, wenn ich es tue, es wäre möglich, er nähmte noch manchmal etwas von dir an, und du könntest ein Vater an ihm sein, während er jetzt tut, als ob er ein ungeschältes Ei wäre. Es hat mich schon dünkt, allemal wenn ich ihm gesagt habe, er hätte eine herrliche Predigt gehabt, so hätte er den nächsten Sonntag erst recht angewendet. Aber ich darf es gar selten tun, du machst mir dann ein so saures Gesicht, und ich möchte mein Papali für alles in der Welt nicht höhn machen.» Darauf hielt ihr dann das Papali gewöhnlich ein Kapitel über Wert und Folgen des Rühmens, das einen eigenen Platz haben muß.
Als die Frau Pfarrerin diesmal dem Vikari sein Lob abgestattet hatte, tat er bescheiden und sagte, er hätte nur getan, was in seinen Kräften gewesen, den besondern Eindruck hätte er dem Herrn zu verdanken, und er hätte Ursache, ihm zu danken, wenn der Eindruck größer gewesen sei als seine Zufriedenheit mit sich selbst. Darauf schwieg er und ließ den andern Platz zum Reden; da aber niemand es tat, räusperte er sich endlich und sagte, er sei seit einiger Zeit recht mutlos gewesen, und er hätte beinahe geglaubt, der Herr hätte ihn geprüft und in einen unfruchtbaren Acker gestellt, um zu sehen, wie lange er da aushalte, und er hatte des Geistes geharrt, der ihn aus der Wüste treibe. Wie er sich auch angestrengt, die Leute seien in ihrer Gleichgültigkeit verharret, und wie er auch gepredigt, die Kirche hätte sich nicht gefüllt, während an den Tanzsonntagen die Leute immer weniger Platz in den Pintenschenken hätten.
Jetzt scheine die Sache sich wenden, das Höhere zum Durchbruch kommen zu wollen, und er erfahre es, daß das Ausharren noch immer vom Herrn gesegnet sei. Schon am vorigen Sonntag hätte es ihm geschienen, als sei die Kirche angefüllter als sonst, und da sei es ihm gewesen, als fühle er klar ein eigenes Geisteswehen, und mit besonderer Kraft und Klarheit habe er gepredigt, wie der natürliche Mensch der Hölle verfallen sei, wie die Gerichte Gottes vor der Türe seien und ohne schleunige Zerknirschung und Umkehr ein greulich Ende. Es sei ihm fast zumute geworden, als sei er der Prophet Jonas, und als liege zu seinen Füßen die Stadt Ninive und hinter ihr Gottes schauderhafte Zorneswolke, und da habe er so recht feurig den Zorn Gottes in die Herzen hineingeredet, aber nicht wie Jonas in der Freude am Tode des Sünders, sondern in der Freude an seiner Bekehrung. Und heut habe er die Erquickung gehabt, daß endlich sein Wort durchgebrochen, das Volk wie das zu Ninive der Bekehrung sich zugewandt; die Kirche sei fast ganz angefüllt gewesen, und was ihn am meisten gefreut, er habe so manches Unterweisungskind wiedergesehen, das er lange nie in der Kirche gesehen, endlich scheine der Same, der unter dem Schnee gelegen, zum Leben gekommen zu sein. Das, er müsse es sagen, habe in ihm eine solche Freudigkeit erweckt, wie er sie noch nie empfunden.
«Verzeiht, Herr Vikari!» sagte Sophie, in deren Mundwinkeln es schon lange geblitzt hatte, «die vielen Leute sind dagewesen, um Jakobli Jowägers Frau zu sehen, man redet viel von ihr, und die Wenigsten haben sie noch gesehen.»
Die Mama stieß mit dem Ellbogen, konnte aber das Töchterlein nicht erreichen, welches sich in die nötige Ferne gesetzt hatte; der Papa machte ein streng Gesicht, aber das Töchterlein sah es nicht an. Der Vikari hatte noch ein schönes Stücklein Wurst auf dem Teller gehabt, das aß er kaltblütig, dann stand er auf voll heiligen Zornes, warf einen vernichtenden Blick auf die arme Sophie und schmiß sich schmetternd aus der Türe.
Als die Türe versurret hatte, sagte die Mama: «Aber Sophie, bist du doch immer das gleiche, und welch Verdruß machst du uns? Kannst du nichts als necken und die Leute plagen; willst du nie lernen, was Friede ist, und wie man ihn suchen muß?» «Aber Mamali, schmälet nicht!» sagte Sophie, «ich wollte den Vikari nicht beleidigen und trieb auch nicht Spott, aber er sagt immer, man müsse die Wahrheit sagen unter allen Umständen, und da habe ich auch nichts als die Wahrheit gesagt. Ds Peterlis Meyi hat mir gestern gesagt, als es Eier brachte, heute werde es viele Leute in der Kirche geben, es wolle alles ds Jowägers junge Frau sehen, es heiße, es sei gar eine hübsche, und sie hielten sie wie versteckt. Da habe ich denn gedacht, er müsse doch den wahren Grund wissen, ich sei es der Wahrheit schuldig, und er hat mehr als einmal gesagt, wenn man unumwunden die Wahrheit sage, so könne man nicht wissen, ob man nicht eine Seele aus dem Rachen des Teufels reiße.» «Sophie», sagte der Pfarrer streng, «mit solchen Dingen spottet man nicht. Wenn man dich um die Wahrheit fragt, so sage sie; jetzt hat dich niemand um sie gefragt. Wenn du allen Menschen die Wahrheit sagen wolltest, diesem: ‹Ihr habt rote Haare›, und jenem: ‹Ihr habt schwarze Zähne, wüste Augen, einen unflätigen Mund›, oder dir zum Beispiel ein jeder: ‹Mamsell Sophie, Ihr habt einen Fuß, daß Ihr barfuß übers Meer laufen könntet›, wo käme man hin, und was würdest du sagen?» «O Jere, Papa, so einen großen Fuß habe ich doch wahrlich nicht; wenn ich Sackgeld genug hätte, meine Schuhe beim Trechsel machen zu lassen, ich hätte einen Fuß so schön als Irgendeine. Aber so muß ich hier beim ersten besten Holzbodenbaggler schustern lassen und kriege darüber allerdings Tatzen, als ob der alte Bär im Graben mein Götti wäre, dem ich nachschlage.» «Sophie, Sophie», sagte der Papa, «das ist wieder Spott; aber ich möchte dich mahnen, an den Spruch zu denken vom Splitter und vom Balken, und wenn du deinen Balken haben willst, so brauchst du nur deine Hand nach deinem Gesichtchen zu strecken, so kriegst du ihn zu fassen.»
«Das ist eben» sagte Mamali, «was mir Kummer macht. Du bist so schnippisch gegen den Vikari und hängst ihm etwas an, wo du nur kannst, und wie oft habe ich dir schon gesagt, er werde dir das so auslegen, als sei es lauter Kyb, weil er nichts von dir wolle, weil er auf jedem Suppenbröcklein zu verstehen gibt, er verplämpere sich nicht, sondern er habe sehr gute Aussichten, mache Ansprüche an hohe Bildung, an eine religiöse Richtung und habe Hoffnungen, alle seine Erwartungen erfüllt zu sehen, mehr als er sich je hätte dürfen träumen lassen. Das sei der Grund, warum er hier nicht wohl sei, warum du namentlich ihn verfolgest, und wenn er dir Hoffnungen machen, mit dir, wenn auch nicht im Ernst, sich abgeben möchte, so würde man ihn auf den Händen tragen, aber so etwas verböten ihm seine Grundsätze.»
Da stand Sophie glührot auf, und zornige Tränen rollten ihm die Backen ab, und ohne das Stücklein Fastenbrot auf seinem Teller anzurühren, sagte es zornig, wenn die Eltern so seine Worte auslegten, so wüßte es allerdings, was es von fremden Menschen und namentlich von einer eiteln Seele zu erwarten hätte, aber es sei ihm gleich, es wisse am besten, wie unrecht man ihm tue, und wandte rasch sich nach der Türe.
Das sei eben die Frage, sagte der Papa, nahm ein Stücklein Brot und trank einen Schluck Wein. Mamali kannte dieses Zeichen wohl; es war gewöhnlich die Einleitung in ein langes Kapitel, diesmal wahrscheinlich über die Schwierigkeit der Selbsterkenntnis. Oh, so ein Mamali ist Goldes wert, sie kennt ihr Papali durch und durch, um und um, nicht nur jede Falte des Gesichts und jeden Ton der Stimme, sondern jegliche Gebärde, weiß, woher sie kömmt, wohin sie führt. Und diese Kenntnis hat sie sich erworben nicht aus Schlauheit und um das Papachen zu betrügen, wie listige Liebchen pflegen, sondern getrieben aus Ehrfurcht und Liebe, um Schmerz ihm zu ersparen und Ärgernis, um Liebes ihm anzutun und sein Wohl zu pflegen; er war ihr der Stellvertreter Gottes auf Erden, sie seine Priesterin, die ihrem Herrn opferte Dichten und Trachten, für ihn lebte, für ihn starb.
Da, während der Pfarrer noch seinen Wein dem Brot nachsandte, sagte sie: «Hör, Sophie, wie machst du aber und fährst auf bei dem geringsten Wort! So wirst du nie witzig, von wegen man kann dir nie erklären, wie man es meint, und meint man es doch so gut mit dir. Ds Papali hat ganz recht: wenn der Vikari artiger gegen dich wäre und nicht so vom Himmel oben aben, so würdest du nicht so jedes Stäubli an ihm sehen und mit Gelegenheit daran stichelen. Wenn ein Herr nicht höflich gegen uns ist, es macht uns allemal bös, und bsunderbar wenn er uns von weitem schon den Verstand machen will, er sei für uns, was für eine Katze eine Speckseite im Kämi ist. Das ist so unsere Art, auch wenn wir im mindesten nicht meinen oder wünschen, daß er uns nehmen solle, aber es macht uns böse, wenn man uns so unter dem Arm durch behandelt. Aber eben da müssen wir nicht dergleichen tun, am allerwenigsten, daß wir böse seien, müssen die jungen Herren mit ihren Einbildungen manövrieren lassen, als ob das alles uns nichts anginge, und höflich sein und bleiben; das ists, was wir müssen. Ich bin auch eine Pfarrerstochter gewesen, und wir haben auch Vikarine gehabt, gäll, Papali! Aber geh und sieh doch, sind nicht Hühner im Garten? Das ist mir doch e tusigs Sach, hey mir selber keine, und jetzt plagen uns alle Tage fremde, und dürfen nichts sagen, sie kaum jagen.»
Über ihnen schritt mit starken Schritten der Vikari auf und ab, studierte nicht seine Kinderlehre, sondern was er gegen solche Bosheit vorzukehren, wer solches wohl der Tochter eingegeben hätte, ob Papa oder Mama, oder ob sie es verschmähter Liebe wegen selbst ersonnen.
Der arme Vikari! Er war stark in der Exegese, und seine Professoren hatten ihn im Hebräischen und Griechischen stark gefuchset, und wenn er auf eine dunkle Stelle kam im Hiob oder in den Sprichwörtern, so kriegte er Angst, zog Stiefel an und lief auf Bern, denn es war ihm heiliger Ernst um die Sache. Wenn ihm dann dort Einer sagte, es sei ein Punkt versetzt, oder das Ding beziehe sich aufs Nachfolgende und nicht aufs Vorhergehende, ihm den Schlüssel zum verschlossenen Heiligtum in die Hände gab, so ward er wieder glücklich, lief heim, den Kopf voll Licht, lief herum daheim mit langen Beinen, und es dünkte ihn, es sollte ihm jedermann ansehen, was er Neues heimgebracht, welch tiefen Grund er gefunden.
Aber ach, über die Exegese des Lebens hatte kein Professor ihm was gesagt, für die war an der Hochschule kein Lehrstuhl, und Vater und Mutter, die sonst sehr oft in solchen Dingen gelehrter sind, die größten Utüfle von Professoren, hatten ihn in diesem Punkte auch nicht gehörig gefuchset. Es ist prächtig, wenn man in Platos Gesprächen grübeln kann nach dem, was Plato eigentlich meine, und wenn man im Cicero lesen kann, wie er dem Verres den Marsch macht, und wenn man weiß, wie viele Codices man für das Neue Testament hat, und welche die besten sind, und was nach Altgriechischem schmeckt, oder was chaldäische Anklänge hat, und ob und wie die Mythen von Vorderindien und Hinterindien zusammenhängen. Das ist alles prächtig, ja notwendig, will ich sogar sagen.
So ist der Mensch glücklich zu preisen, welcher ein Auge hat, denn was ist der Mensch, wenn er kein Auge hätte! Aber schöner und besser als ein Auge sind zwei, und zwei hat Gott dem Menschen gegeben, und halbblind ist und bleibt der immer, der nur eines hat. Und wie Gott dem Menschen zwei Augen gegeben hat, so hat er ihm auch zwei Bücher gegeben, das heilige alte Buch, das nicht bloß ein Vikari soll exegisieren können, sondern jeder Christ verstehen, aber auch das wunderbare Buch, das alt ist und doch jeden Tag neu wird, das wunderbare Buch, das aus göttlichem Quell entsprungen, wie durch unzählige Bäche ein Strom genährt wird, durch Quellen aus jedes Menschen Brust, das Gott mit lebendigem Atem durchhaucht und Blatt um Blatt beschreibt vor der Menschen selbsteigenen Augen.
Und wie die beiden Augen einander helfen auf unerklärliche Weise und eins ohne das andere verwaiset sich fühlt und einsam und nur noch halb so gut als früher, so hat es auch ein Buch mit dem andern Buch; ein Buch wirft Licht auf das andere Buch, beide strömen Leben sich zu, und halbdunkel wenigstens bleibt ein Buch ohne das andere Buch.
Ein Mensch, der nur in einem der Bücher lesen kann, ist gleichsam nur ein halber Mensch, nur halbwitzig, oder ist, als ob er nur ein Auge hätte. Kann er nur lesen in der alten, lieben Bibel, so kömmt er wohl zur Erkenntnis dessen, was gewesen ist, aber nicht dessen, was ist; er erkennt wohl, was Gott ist, wie er aber waltet, das bleibt ihm verborgen, zur Rechtgläubigkeit kömmt er, aber im Leben findet er sich nicht zurecht. Wer aber nur im Leben lesen kann, liest und liest und kömmt nie zum Verständnis, findet Satz um Satz, aber nie deren Sinn, zieht Perlen um Perlen an einen unendlichen Faden, aber zu einer Kette kömmt er nicht, läuft und läuft, aber an den Ausweg gelangt er nicht, sucht, und das Rechte findet er nicht, im Leibe findet er den Geist nicht, in der Welt Gott nicht, und darum findet er das Heil nicht, denn das ist allein bei dem Heiligen, der unser Vater im Himmel ist. Wo nun das erste Buch vor Augen liegt, da wird dem Menschen begreiflich der Fall und Ungehorsam der ersten Eltern im Paradiese, und wie notwendig zur Auferstehung dem Menschen ein Heiland geworden, aber den eigenen Fall, und wie er selbst sich aufzurichten, begreift er nicht; und wo er nur siehet ins andere Buch, da wird ihm sein Fall nur zu begreiflich, aber ein Heiland scheint ihm nicht nötig; die Auferstehung, welche das Leben fordert, scheint ihm zu liegen im Bereiche der eigenen Kraft.
Aber wo der Mensch mit beiden Augen in beide Bücher sieht, da nahen sich Himmel und Erde, ist der Himmel offen, Engel Gottes steigen auf und nieder, strömende Offenbarungen Gottes verklären das Leben, heiligen die Zustände, die Bibel gibt dem Leben seine Weihe, das Leben macht die Bibel lebendig. Gott wird ihm lebendig und klar der Mensch in der eigenen Brust. Er sieht, wie Gott den Menschen ziehen will nach oben, der Mensch dagegen Gott niederkämpfen will in den Staub, er fühlt den Kampf in der eigenen Seele, in tiefer Demut erkennet er sein sündig Wesen in jeglicher Verzweigung, in froher Zuversicht aber auch seine hohe Berufung und die Macht Gottes über die Sünde. Gott ist sein Leben, und sein Leben ist Gott, und was trennt ihn nun noch von Gott, wenn er so mit Andacht und Heilsbegierde mit beiden Augen in beiden Büchern lieset?
Aber eben das ist das Unglück, daß die Meisten nur in einem lesen, die Einen in diesem, die Andern in jenem, und meinen doch, sie lesen alles, was zu lesen sei, und dann hat der Eine dies gelesen und der Andere etwas anderes, und dann zanken sie sich fürchterlich wie Halbblinde, von denen der eine nur die Blumen links gesehen, der andere die rechts, die einen waren rosenrot, die andern himmelblau, und der eine will, alle Blumen seien himmelblau gewesen, der andere rosenrot, und einer schiltet den andern, einer legt Hand an den andern, beide wähnen sich im heiligen Recht, und keiner denkt, daß er nur links gesehen oder nur rechts. Freilich geschieht es wohl auch, daß die Augen gehalten sind; sie mögen lesen, in welchem Buch sie wollen, sie finden die Wahrheit nicht, finden nichts in ihm als den Irrtum, in welchem ihrer Seele befangen ist. So fand zum Beispiel der Antoni Unternährer in der Bibel die Schweinereien, welche in seiner begehrlichen Seele gewachsen waren; so finden Andere im Leben nichts, als was ihr eigen Herz in ihre Seele wirft, buchstabieren aus demselben nichts heraus als ihre Lust, ihre Liebe, ihr Wünschen und Hassen, ihr Neiden und Trachten, und was sie zu finden meinen, soll absolute, objektive Wahrheit sein; darum zanken sie sich wie eingefleischte Philologelein, und mögen sie mit Worten nicht kommen, so werden sie handgreiflich. Da ist Heini wie Hans und Hans wie Heini, und Anne Mey, das nichts als spinnen kann, und zwar nur Kuder, ist nicht schlechter als ein Pädagögelein, das nur Wursts Ding im Leibe hat und ds Buße Rechenbüchlein an den Fingern.
Aber, und das ist eben vom Übel, daß die Gstudierten mehr und mehr das Leben verachten und dagegen als natürliche Wirkung das Volk das Heilige Buch, daß die einen meinen, das Buch sei veraltet, die andern, das Leben bedeute nichts, und dessen Verständnis lerne man von selbst wie die Buben das Pfeifen; daß die einen meinen, wenn einer im Urtext herumfahren könne wie eine Hex, so sei er ein Hexenmeister, und wenn er blindlings die Klassen der Engel aufzählen könne, so sei er selbst ein Engel; die andern aber, daß, wer das Leben am besten auszubeuten wisse zu seinem Nutzen und zur Stillung seiner Triebe, so sei er selbst Gott geworden, des Lebens Herr. So entsteht eine fürchterliche Einseitigkeit, welche in die klarsten Dinge Verwirrung bringt, eine Kluft, welche unwiederbringlich die Menschen scheidet, eine babylonische Sprachverwirrung, wo keiner den andern mehr versteht, keiner dem andern mehr ein Bruder zu sein vermag.
Ach, unser arme Vikari, wie der die Stube auf und nieder rannte, an Rache dachte, und wie immer und immer wahr bleibe, daß dem Guten der Neid auf der Ferse folge, und wie hier sein Bleiben nicht sei, wo man seines Tuns nur spotte, seine Erfolge ihm nicht gönnen möge, der Feind so sichtbarlich umhergehe und am heiter-hellen Tag Unkraut in seinen Acker streue! Es reute ihn nur eins, daß er die Gäxnase nicht zurechtgewiesen, ihr so recht vaterländisch den Text gelesen und ihr gesagt, sie solle doch nicht an sich selbst abnehmen, warum andere Leute in die Kirche gingen, das ungebildetste Mädchen in Gutmütigen hätte höhern und christlichern Sinn als sie. Das hätte er ihr sagen sollen, das hätte sie geschlagen; aber sie müsse es doch noch einmal hören, gelobte er sich.
So ging es der armen Sophie mit ihrer Erklärung einer Tatsache, mit ihrer Exegese; es ging ihr immer so arg wie manchem Professor mit der Erklärung einer Stelle, ja es hätte ihr gehen können wie vor alten Zeiten den Ketzern, mit denen man kurzweg ins Feuer fuhr, wenn nämlich der Vikari Papst gewesen wäre. Und doch, wer hatte recht?
Das hätte der Vikari bei jedem Stüdi vernehmen können, aber er frug nicht; warum fragen, wenn man eine Sache bestimmt weiß?
Der Gwunder lag so unverhehlt und arglos zutage, daß bei der geringsten Berührung des Predigtfleißes jedermann ihm gesagt hätte, es werde den andern Sonntag vielleicht noch mehr Leute geben, denn da werde doch, so Gott wolle, des Jowägers Sühniswyb sich afe dörfe zeige.
Das wäre aber noch die Frage gewesen, wenn nicht der Hechler kühn die Sache ins Gleis gebracht hätte. Der ging nämlich hin und nahm Meyeli zur Gotte.