Paul Grabein
Ursula Drenck
Paul Grabein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

7. Kapitel.

Monate waren vergangen, der Winter war vorüber, und der erste Frühling war mit lachendem Sonnenschein und mit zartem Grün ins Land gezogen. Auch in die dumpfe Krankenstube sandte er seinen hellen, hoffnungsseligen Schein.

Fred saß im Lehnstuhl des Majors am offenen Fenster und blickte gedankenverloren hinaus in den Hof des Hauses, drunten auf das kleine Gärtchen. Ein winziges Fleckchen Grün zwischen den starren, kalten Steinmauern ringsum, aber doch selbst hier war die Zauberhand des Lenzes zu spüren. An den paar Sträuchern flimmerte ein lichtgrünes Gespinst, und aus dem Starkasten an dem einzigen, noch kahl ragenden Baume klang munteres Zwitschern.

Mit tiefem, tiefem Atemzuge sog Fred Drenck die linde Sonnenluft ein. O, wie das gut tat, diesen balsamischen Hauch zu schlürfen nach dem endlosen Krankenlager in dumpfer Karbolluft! Mit wohliger Erschlaffung lag er in den Stuhl zurückgelehnt und trank begierig den Frühlingshauch. Er war ermüdet von dem ersten Ausgang, den ihm der Arzt heute gestattet hatte. Nur eine halbe Stunde hatte er mit Hilfe des Majors drunten die Promenade ausgedehnt, dann hatte er schon wieder hinauf gemußt, so angestrengt hatte ihn die Geschichte.

Lächerlich, ihn, der früher einfach nicht klein zu kriegen gewesen war, der nach durchtobter Nacht, ohne das Bett gesehen zu haben, in den Sattel gestiegen war und seine zehn Stunden den übermütigsten Gaul geklemmt hatte, ohne schlapp zu werden.

Das heißt, es war ja auch eine verdammt üble Chose gewesen, die er hier durchgemacht hatte. Teufel auch, er war dicht dran gewesen, abzustoppen! Und manchmal hatte er es wahrhaftig auch selber gewünscht. Zehnmal lieber doch sechs Fuß unter der Erde liegen als diese elende Schinderei in der Matratzengruft oder wohl gar ein ganzes Leben lang als siecher Lungenpfeifer sich herumzuschleppen. Nein, danke ergebenst!

Aber dann war es doch endlich besser geworden, und seit er nun wieder aus dem Bett war, im Lehnstuhl sitzen und dann gar im Zimmer herumgehen durfte, da war der alte Lebensmut wieder zurückgekehrt. Und nun jetzt erst, wo er die Nase wieder hinausstecken konnte ins Freie, wo draußen die Sonne lachte und lockte, neue Jugendkraft in die schlaffen Glieder strahlend – holla, nun bloß noch ein paar Wochen, dann war er wieder ganz der alte, da ritt er wieder vor seinem Zuge: Schwadron – Galopp! daß der Kies stob. Ah, wie freute er sich wieder auf den Dienst nach diesem endlos langen Lahmliegen! Und auf die Kameraden – Herrschaft, das erste Liebesmahl! Na, das würde eine schöne Bügelei werden. Und auf die Mädel seiner Garnison, die rassige, schicke Komteß Palzow namentlich, seine Tennis- und Eisbahnpartnerin! Ob sie ihn wohl ein bißchen entbehrt haben mochte?

Fred Drenck bemühte sich, sie sich vorzustellen – die schlanke, fast ein wenig eckige Figur, die aber eine wunderbare, elastische Schmiegsamkeit entwickeln konnte und eine Verve – famos, einfach Vollblut! Und dazu das pikante, hochmütige Gesicht. Aber sonderbar: wie sehr er sich auch bemühte, er konnte das Bild nicht fest vor seinen Blicken bannen. Die Linien zerflossen ihm vor den Augen und gingen in andere über – ein feines, blasses Antlitz mit schwermütigdunklen Augen, die einem so sanft und wohlig wie eine Mutterhand übers Gesicht glitten, und mit einem stillen Mund, aus dem aber so liebe, tröstende Worte kommen konnten: Ursula Drenck.

Fred stützte den Kopf in die Hand, sein Sinnen flog rückwärts. Kein Wunder am Ende, wenn dies Bild sich ihm immer wieder einstellte, hatte es doch monatelang leibhaftig, täglich, ja stündlich vor ihm gestanden. Ja, wenn sie nicht gewesen wäre mit ihrer aufopfernden sich schier selbst verzehrenden Pflege – wer weiß, ob er durchgekommen wäre! Der Doktor selber hatte es ihm heut gesagt.

Wenn er jetzt die Gedanken rückwärts schickte, den ganzen trübseligen Leidensweg entlang, auf allen Stationen dieses Passionspfades fand er sie an seiner Seite helfend, pflegend, tröstend. Und, wahrhaftig, er mußte es selbst eingestehen, wenn sie ihn nicht immer wieder hochgerissen hätte, er hätte schwerlich immer die nötige Widerstandskraft gefunden, er wäre sicher zusammengebrochen oder hätte in einem Anfall von Hoffnungslosigkeit kurzerhand Schluß gemacht.

Ursel – das liebe, gute Mädel! Im Geist fühlte er wieder, wie so oft, ihre weichen, zarten Finger seine Stirn berühren, wenn sie ihm Kompressen auflegte. Noch nie hatte er eine so feine, sympathische Hand gekannt und so unglaublich weich – es war wirklich schon ein Vergnügen, sich nur von ihr berühren zu lassen. Und ebenso wohlig streichelten ihre sanften Blicke, wenn sie ihn, den Ungeduldigen, mit so rührendem Ausdruck schweigend baten. Da mußte ja jede Laune schleunigst verfliegen.

Eigentlich war sie doch viel, viel feiner als die kleine Palzow mit ihrem etwas gesucht aparten Wesen. Und ihr Seelengehalt? Sicher kein Vergleich. Die hätte ihn mal drei Monate pflegen sollen! Fred mußte herzhaft vor sich hinlachen. – Das wäre was für die gewesen.

Wie konnte nur ein Mann, der solch famoses Mädel wie die Ursel sich gewonnen, es bloß fertig bringen, sie sich wieder zu verlieren! Freds Miene wurde wieder ernst – er hatte vom Onkel inzwischen alles erfahren – der Wigand war doch wirklich ein total verrückter Kerl! Komplett verrückt! Das hätte ihm nicht passieren können. Wenn er solch ein liebes, süßes Geschöpfchen einmal sein eigen genannt hätte, das hätte ihm kein Teufel wieder abholen sollen.

Aber freilich, die beiden hatten auch wirklich verdammt wenig zusammengepaßt. Für Ursel war's eigentlich ein Glück, daß alles so gekommen, daß sie den steifleinenen Pedanten noch beizeiten losgeworden war. Pech nur, daß er, Fred, die Zeche so teuer hatte bezahlen müssen. Na, Kavaliersache! So was soll man sich hinterher nicht reuen lassen.

Er hatte es Ursel, dem armen Mädel, noch keinen Augenblick nachgetragen, daß er ihretwegen solch Schmerzenslager durchgemacht hatte. Im Grunde auch Wigand nicht. Der Mensch war ihm zwar durchaus unsympathisch, und sein Benehmen an dem Ballabend war im höchsten Grade provokant gewesen. Aber nachdem er den Grund erfahren – du lieber Gott, er hätte es wahrscheinlich im gleichen Falle auch nicht anders gemacht. Und daß er ihn angeschossen hatte? Schließlich ja doch ein Zufall. Es hätte auch umgekehrt kommen können. Er konnte ihn deswegen wirklich nicht hassen. Übrigens hatte sich Wigand beim Austrag der ganzen Affäre auch absolut honorig, durchaus tadellos benommen. Und sein Teil hatte er ja auch weg. Es mußte ihm doch alles verdammt nahe gegangen sein – der Ausfall des Duells, der Verlust der Braut – daß er so in die Welt hinausgezogen war. Sie waren demnach eigentlich ja quitt miteinander.

Ob Ursel sich wohl die Sache sehr zu Herzen nehmen mochte? Gewiß, ihr ganzes verändertes Wesen, die Absicht, Diakonisse zu werden! Aber war das schließlich alles nicht vielleicht doch mehr das drückende Bewußtsein des gesellschaftlichen Affronts? Im Grunde konnte sie Wigand mit seiner so absolut entgegengesetzten Natur doch wirklich nicht geliebt haben – im besten Falle ein Wahn, der nun aber gründlich gerissen war.

Aber dann sollte sie auch wahrhaftig nicht mehr so den Kopf hängen lassen und sich mit solch verrückten Gedanken tragen. Mein Gott, die Gesellschaft redete ja bald wieder von etwas anderem, und eine Entlobung war ja schließlich doch auch kein Verbrechen. Na, und seinetwegen? Unsinn, nun wo alles wieder im besten Zuge war! Und Fred nahm sich vor, der Cousine bei nächster Gelegenheit das alles mal ordentlich klarzumachen. Lustig sollte sie wieder sein, die Ursel, so ausgelassen wie vorher.

Donnerwetter, hatte ihr das gestanden, dies Temperament! Gewiß, ihr Wesen jetzt war ja auch tadellos, allen Respekt, und für seine Krankenzeit hätte er sich nichts Besseres wünschen können. Aber nun, wo das alles – Gott sei Dank – wieder vorbei war, nun wollte er auch sie wieder so haben wie früher. Und er wollte ihr dazu helfen; sie sollten die Rollen tauschen: Hatte sie ihn bisher hochgekriegt, nun wollte er ihr wieder in die Höh' helfen. Und Fred verlor sich weiter in diesen Gedanken. –

Das Gehen der Stubentür entriß ihn seinem Sinnen; Ursula selbst trat ins Zimmer. Auch sie war im Freien gewesen, der wundersame Frühlingshauch, die lachende Sonne hatten wieder ein zartes Rot auf ihre Wangen und lebhafteren Glanz in ihre Augen gezaubert. Wie sie da eben zu Fred in die Stube kam, noch im Hut und Jäckchen, einen frischblühenden Strauß von Maiglöckchen im Ausschnitt des Jacketts, die dunklen Haare um die Schläfe durchleuchtet von dem hinter ihr durch den Türrahmen goldig hereinflutenden Sonnenlicht, da erschien sie ihm selber ein Stück herzerfrischenden Frühlings.

Lebendig richtete sich Fred aus dem Lehnstuhl auf und streckte die Hände nach ihr aus.

»Ah, Ursel! Bringst mir den Frühling ins Haus?« Seine Hand deutete auf den Strauß an ihrer Brust, aber seine aufleuchtenden Blicke hafteten an ihrem Antlitz.

»Ja, Fred – für dich.« Und näher tretend, löste das Mädchen die Blüten von ihrem Jackett, sie ihm zu reichen. »Der erste Gruß des Frühlings. Ein Zeichen, daß nun auch du wieder aufblühen sollst – zu alter Kraft und Frische.«

Fred nahm die Blumen, aber hielt die Hand fest, die sie ihm reichte, schon des Handschuhs entledigt, und plötzlich neigte er sich schnell über diese Hand; seine Lippen küßten die zarten, noch vom Handschuh warmen Finger, die ihm so oftmals Linderung gebracht hatten.

»Dank – tausend Dank, Ursel!« Fast bewegt flüsterte er es; all seine tiefinnerste Dankbarkeit gegen die Pflegerin in schwerer Leidenszeit drängte sich in die Worte.

Ein tieferes Rot schoß in Ursulas Antlitz – sie war von dem Vetter das nicht gewöhnt, sie hatten sich sonst nur immer kameradschaftlich kräftig die Hände geschüttelt – und schnell wollte sie ihm die Rechte entziehen; aber Fred gab sie nicht frei.

»Bitte, laß mir – noch einen Augenblick! – deine Hand, Ursel, die mir so viel Gutes getan hat.« Sein Blick suchte jetzt den ihren. »Ich hab' dir ja noch gar nicht einmal so recht von Herzen gedankt für alles, was du an mir –«

»Nicht doch, Fred.« Entschieden lehnte Ursel seinen Dank ab, und mit sanfter Gewalt machte sie ihre Hand frei. »Was ich tat, war nur meine Pflicht. Das heißt, natürlich – ich hab' sie von Herzen gern getan. Konnte ich so doch wenigstens ein bißchen gutmachen von dem –«

»Bitte!« Energisch fiel ihr jetzt Fred seinerseits ins Wort. »Nichts mehr davon! Im Gegenteil: fort mit diesen Gedanken! Du machst mich wirklich böse, wenn du noch mal davon anfängst, hörst du, Ursel?«

Die Cousine sah zu ihm auf, zu der schlanken, jetzt schmächtig gewordenen Gestalt, um die die Litewka lose und schlecht sitzend, hing; zu dem hageren Antlitz mit dem mädchenhaft zarten, blaßrosigen Teint, mit dem das keck wieder aufgebürstete Bärtchen und das sorgfältig gescheitelte Blondhaar sonderbar kontrastierten. Was war aus diesem einstigen Bilde überschäumender Jugendkraft geworden! Mit einer geheimen Angst nahm sie die nach vorn geneigte Haltung des vor ihr Stehenden wahr. Gewiß strengte ihn auch das Stehen noch an.

»Bitte, Fred, setz dich wieder.« Und sanft drängten ihn ihre Hände zum Stuhl hin.

»Na, erlaub mal.« Er wollte ein bißchen ärgerlich werden. »Du tust ja gerade, als ob ich noch wer weiß wie klapprig wäre.« Und er sträubte sich ein wenig.

»Nur heute noch ein bißchen Schonung, Fred!« bettelte sie. »Wo du das erstemal draußen warst! Bitte, bitte – mir zuliebe!«

Da sah er ihre dunklen, ihn warm anleuchtenden Augen, und plötzlich strömte ein so wunderbares, heißes Gefühl in seine Brust. Tief senkte er seine Blicke in die ihren, und mit Bedeutung sagte er:

»Gut, Ursel – dir zuliebe!« Und er setzte sich.

Verwirrt senkte Ursula Drenck die Lider und nestelte mechanisch die Knöpfe an ihrem Jackett auf. Aber es entging ihr dabei doch nicht, daß Fred den Maiblumenstrauß jetzt ans Gesicht geführt hatte und ihn, um seinen Duft voll zu schlürfen, dicht an sich gepreßt hielt. Mit geschlossenen Augen saß er so ein Weilchen, unbeweglich zurückgelehnt, und sie glaubte zu sehen, daß seine Lippen die zarten, schneefarbenen Glöckchen wiederholt berührten. Mein Gott, was sollte das alles?

»Ich liebe diese Blumen so.« Fred sagte es und sah jetzt zu ihr auf. »Sie erwecken mir immer die Vorstellung des duftig Mädchenhaften – mit ihrem lichten, zarten Grün und dem jungfräulichen Weiß.«

Ursula erwiderte nichts. Sie hatte inzwischen ihr Jäckchen abgestreift, nun tat sie auch den Hut ab und ordnete vor dem Spiegel über der Kommode mit etwas hastigen Griffen ihr Haar.

Freds Blicke folgten ihren weichen Bewegungen und umfingen dann liebevoll ihre ganze, feine Gestalt, die, ein wenig rückwärts geneigt, mit den hoch erhobenen Armen in der Tat voll anmutigsten Reizes war. Und wie er so still auf sie schaute, spann er immer weiter seine geheimen, hoffnungsfrohen Gedanken.

Nun war Ursula fertig und wollte ihre Sachen aus dem Zimmer tragen; da aber bat Fred:

»Ach, laß doch und setz dich noch ein Weilchen zu mir ans Fenster, solange die Sonne noch draußen ist. Ich hab' dir auch allerlei zu sagen, was mir heute durch den Kopf gegangen ist.«

Mit einem leisen, heimlichen Erschrecken vernahm es Ursula. Nach seinem eigentümlichen Benehmen eben – was würde da wohl kommen? Aber sie wollte ihm den Wunsch nicht abschlagen, und so rückte sie denn einen Stuhl an seine Seite.

»Nun, was hast du denn für große Neuigkeiten?« suchte sie sich selbst die Befangenheit wegzuscherzen.

»Sieh mal, ich habe heute so nachgedacht: Noch ein paar Wochen längstens und ich kann wieder Dienst tun. Na, dann sitze ich also nachher glücklich wieder in Kassel, und ihr seid wieder allein.«

»Ja, freilich! Dann wird's hier recht trübe aussehen.« Ein schwerer Seufzer hob Ursulas Brust: Sie selbst als Lehrschwester im Diakonissenhaus – der Plan war immer fester in ihr geworden – der Vater mit Tante Marie hier allein – trübselige Zukunftsbilder, grau in grau. »Der arme Vater! Er ist dann ganz verlassen.« Traurig kam es von ihren Lippen.

»Na, sag mal, Ursel, soll denn das wahrhaftig dein Ernst sein – das mit der barmherzigen Schwester?«

Das Mädchen nickte nur ernst, mit stiller Entschlossenheit. Da ergriff Fred lebhaft ihre Hand:

»Aber Ursel – nimm mir's nicht übel – das ist ja heller Unsinn. Ein Mädel wie du und ewig in der Matratzenburg, das wär' ja geradezu sündhaft. Herr Gott nicht noch mal, wie kannst du bloß auf solche Gedanken kommen!« Und er suchte ihr mit größtem Eifer alle Gründe dafür auszureden.

»Nein, Ursel,« schloß er, »es wäre wahrhaftig eine Sünde an dir und deiner Jugend! Und nun denk' mal an deinen armen Vater. Soll der denn gar nichts mehr auf der Welt haben?«

Ursula atmete schwer. Das war es ja, das auch ihr noch immer wieder das Herz belastete und die Ausführung ihres Entschlusses so erschwerte. Aber es half ja alles nichts.

»So wie ich jetzt bin, könnte ich Vater doch nichts mehr sein.« Mit dieser schmerzlichen Resignation suchte sie Fred und sich selbst den letzten Grund zu benehmen. Aber jener gab den Kampf noch längst nicht auf.

»Pfui – Ursel – so schlapp?« tadelte er. »Das hätt' ich nicht von dir geglaubt – weiß Gott nicht! Darf ich dir mal ganz offen meine Ansicht sagen?« Sie nickte nur schwach.

»Also: es gibt, meiner Meinung nach, in deinem Fall nur zwei Möglichkeiten. Die eine ist: Du liebst Wigand noch –«

Jähe Röte schoß plötzlich in des Mädchens Wangen. »Nenn mir seinen Namen nicht mehr, ihn, der mich so kaltherzig meinem Schicksal überlassen hat!« Leidenschaftlich entfuhr es ihren Lippen.

Mit geheimer Befriedigung vernahm es Fred.

»Brav so!« rühmte er. »Hätte es auch – offen gestanden – charakterlos bis in die Puppen gefunden, wenn du nach allem –«

Sie machte eine heftige Gebärde der Abwehr.

»Gut, gut! Also bleibt logischerweise nur noch Nummer zwei: Du liebst ihn nicht. Na, dann aber versteh' ich wirklich nicht, warum du dich ihm zu Gefallen wie so eine indische Witwe selber opfern – bloß zur Abwechslung statt verbrennen, dich lebendig begraben lassen willst im Krankenhaus.«

Ursula wollte einen Einwand erheben, aber er ließ sie gar nicht erst zum Wort kommen.

»Weiß schon, du willst die Welt fliehen, wegen des Geredes. Aber siehst du, Ursel, das nenne ich eben schlapp! Kann mir nicht helfen. Zum Teufel, was ein rechter Kerl ist – und dafür, Mädel, hab' ich dich doch immer gehalten – der pfeift auf die Welt, auf die ganze edle Bande von Waschweibern und Giftmäulern jeglichen Geschlechts. – Und vor diesem Gesindel willst du ausrücken, dich feige verkriechen? Wahrhaftig? – Du, Ursel, das fände ich einfach kommun, das wäre ganz ordinäre Kneiferei!«

Das Mädchen fuhr hoch, eine aufsteigende Röte im Gesicht.

»Wenn du mich nur beleidigen willst –«

Aber Fred hielt sie bei den Händen bittend fest, und außerdem – sie mußte sich gestehen: er hatte nicht so ganz unrecht. Bisweilen hatte sie sich selber schon ähnliches zugerufen. Wollte sie es denn schließlich nicht ebenso machen wie Jörg – sich auch mutlos flüchten, anstatt trotzig aufrecht standzuhalten?

Alfred Drenck sah ihrer Miene an, was in ihr vorging, und eifrig suchte er weiter in sie zu dringen.

»Siehst du, Ursel, du fühlst es ja selber, du bist es dir geradezu schuldig: du mußt hier aushalten auf deinem exponierten Posten, du mußt kämpfen und durchkommen! Aber – und siehst du, das ist heute bei mir beschlossene Sache geworden – du sollst nicht allein stehen in diesem Kampfe: Ich will an deine Seite treten!«

»Wie – du?« Fast erschrocken sah sie ihn mit großen Augen an.

Fred nickte nur, mit einem frohen Lächeln, daß seine Ankündigung sie so in Staunen setzte.

»Aber du mußt doch nach Kassel, zum Regiment.«

»Zunächst gewiß! Aber, wenn ich nun nach ein paar Wochen wiederkäme – auf Kommando nach Berlin – was würdest du dazu sagen?« Und er ergriff ihre beiden Hände, erwartungsvoll seine Blicke in die ihren senkend.

Ursula aber senkte die Lider. Eine geheime, große Angst schlich ihr plötzlich über die Seele. Sie konnte ja eigentlich nun nicht mehr zweifeln: sein Benehmen vorhin und jetzt dieser Entschluß – es geschah ja alles nur um ihretwillen. Er – er – sie dachte die Schlußfolgerung nicht zu Ende. Mein Gott, es konnte – es durfte ja nie sein!

Gewiß, sie war ja wieder frei, sie hätte ihre Hand geben können, wem sie wollte; aber sie konnte nicht, sie wollte nicht – jetzt, wo noch all das furchtbar Schmerzliche so frisch in ihr war. Und nun gar ihm, der bei den schrecklichen, ihr unvergeßlichen Vorgängen so eng beteiligt war, ihm – den die Leute ja gerade insgeheim für den Urheber der ganzen Affäre hielten. Wenn sie seine Hand annähme, so hätten ja die Klatschmäuler recht bekommen. Dann wäre es ja für sie klar bewiesen, daß zwischen Fred und ihr heimlich etwas gespielt hatte, was Jörg zur Aufhebung ihrer ersten Verlobung gezwungen hatte. Dann war sie in Wahrheit vernichtet in ihrem Rufe.

Ursula sprang auf; ihre zitternden Hände entzogen sich heftig dem Griffe Freds.

»Nein, nein, Fred! Niemals! Das geht nicht – das bist du mir schuldig. Du darfst dich nicht nach hier versetzen lassen. Du mußt in Kassel bleiben!«

Und eilends, um jedem Einwand von seiner Seite vorzubeugen, stürzte sie aus dem Zimmer, wo Fred betroffen zurückblieb. Seine eben noch so frohe Miene verdüsterte sich. Wie hatte da vorhin alles so glatt und hoffnungshell vor ihm gelegen – warum nun das?

 


 << zurück weiter >>