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Neununddreißigstes Kapitel.

Buchlehner hatte Dombrowsky ehrlich Mitteilung gemacht, wie er Gertrud getroffen und sie am Abreisen gehindert habe. Detlev antwortete lange nicht darauf. Dann endlich kam der erwartete Brief, dessen Quintessenz im ersten Teil trübste Niedergeschlagenheit, im zweiten erwachende Hoffnung, in beiden jedenfalls Treue ohne Ende war.

Professor Buchlehner zieht, während er ganz langsam durch die Straßen geht, nochmals das Schreiben des Barons heraus und übersieht es zum weiß Gott wievielsten Mal. Schmerzlich verzieht sich sein Gesicht bei der Stelle, da Detlev äußert, er meine, niemals über den Eindruck hinwegzukommen, den ihm Onkel Tonis Wiedergabe von Gertruds Beschreibung der Todesstunde des Vetters gemacht. Die schöne, erhabene Gestalt des Seedländer Heiligen sei ihm nun grausam auf ewig verzerrt worden. Er werde sich nie wieder der Erinnerung an diesen Mann, dem er so viel danke und dessen Gedächtnis er so viel schulde, mit jenem früheren Gemisch schmerzlichen Glücksgefühls hingeben können. Er habe die Empfindung, als sei ein leuchtender Stern seines Lebens erloschen, der sonst den Tod Halligers zu überdauern vermocht hätte. Nie wären ihm ähnliche Gedanken aufgestiegen, wenn er sich Gertrud entfremdet gefühlt habe, und er hätte stets die Ursache dazu in irgend welchen noch ungeklärten Irrtümern gesucht. Dieser Schmerz einer furchtbaren Enttäuschung aber reiche jetzt dem über den herben Verlust der heißgeliebten Frau die Hand. Zusammen würden sie ihn nun durch ein Leben ernster Arbeit begleiten. Sein heißestes Hoffen ginge dahin, daß Gertrud wirklich Trost, Halt und – Ersatz für das Verlorene in ihren Kindern finden möge. Er sei zwar zum ruhigen Abwarten, ohne eine Gelegenheit zum Kampf verdammt tue es aber nicht in absolut hoffnungsloser Verzweiflung. Er glaube bis jetzt noch nicht an ein solches Im-Sand-verlaufen einer Liebe wie der ihrigen. – Dann dankte Detlev auch Onkel Toni, daß er Frau Halliger an der Ausführung ihres ja nur in einer Stunde größter Erregung gefaßten Plans, zu ihm zu fahren, gehindert habe.

»So denke ich bei jedem aufsteigenden Tag, daß er mir doch noch ein Fünkchen Glück bringen könne, bei jedem scheidenden, daß er etwas von meinem Leid verschlungen hat, indem wieder ein Stückchen eines verpfuschten Lebens vergangen ist!«

Nein, nein, denkt Buchlehner und steckt den Brief wieder ein. Ich möcht wirklich net im Detlev seiner Haut stecken. Ein ganzer Mann, ein echter, rechter Kraftmensch sein, mit einem solchen eisernen Willen und einer solchen Tatkraft und nachher verurteilt werden zum Hindämmern, Hoffen und Harren! Grad nur immer wieder ein Stückerl Zucker zeigt kriegen, – ja Prost, – weg ist's dann – und wieder nix ist's! Was nützt dich jetzt alle innere und äußere Stärke? Mein arm's Trauderl aber, die ist halt schon wirklich, wie's scheint, im Zeichen des Leidens geboren. Wenn's nur tatsächlich endlich die reichsten Früchte als Ersatz ernten kann an ihre zwei Kinder. Der To wird ja prächtig, und i mein, die Lisl macht si' auch!!

Mit seinen, ihn so tief bewegenden, lebhaft kreisenden Gedanken war der Professor wirklich zu langsam gegangen; nun muß er sich beeilen, wenn er Grete Mannes noch zur Zeit am Isartalbahnhof treffen will. Er geht gar zu gern mit ihr auf den Bauplatz. Gar zu gern hört er auch, wenn sie ihm vertrauensvoll ihr Herz ausschüttet und Beichten ablegt in ihrer frischen, ehrlichen Art, wie doch so manches in ihrem Beruf sich anders und weniger rosig gezeigt, als sie erwartet habe, und wie viele, viele schwere Hindernisse zu überwinden seien. Der Bauamtmann hatte mit seinen damaligen Einwendungen und Klarlegungen gewiß größtenteils recht gehabt; aber dennoch, – sie wolle es packen. Es macht ihm solche Freude, das energische, zielbewußte Mädchen in ihrer Tätigkeit zu beobachten. O nein, jetzt lacht man schon nicht mehr über Grete. Nun glaubt auch längst keiner der Arbeiter mehr, daß er dem ›g'schupften Mädl‹ da auf der Nase tanzen darf. Donnerwetter, hat die Gretel eine Schneid! Und immer ist sie am Ort, in Wind und Wetter, am frühesten Morgen schon und bis zum letzten Tageslicht! Wie stolz, mutig und frei sie auf dem Gerüst herumspaziert, als ginge sie auf einer Landstraße. Und wie sie ihren Polier neulich heruntergeputzt hat! Ein Staat war das einfach!

Wenn nur das Wetter nun nicht etwa umschlägt für die Festtage! Verregnete Ostern! Zu schade wär's! Onkel Toni hat einen Plan, den er heute noch in Vorschlag bringen will, wenn sie um fünf Uhr zum Diner bei Schleich zusammen kommen werden. Das gibt er der Lisl zu Ehren. Ein wahrer Jammer, daß das fidele, alte Paar nicht dabei sein kann. Aber das bummelt gerade in Rom, – will sich auch den neuen Papst ansehen und was es sonst noch freut.

Während der Professor in der Elektrischen sitzt, denkt er mit Befriedigung daran, daß der heutige Vormittag für Gertrud ausgefüllt sein werde, indem sie voll Spannung des Endresultats der Examina ihrer Tochter harre. Nicht, daß Lise etwa vorbeirutschen könnte. Aber bei ihrem glühenden Ehrgeiz empfände diese es als direktes Unglück, nicht ganz prima abzuschneiden. Außerdem weiß er, daß Hubmair um zehn Uhr bei Frau Halliger vorsprechen würde. Sie hatte Buchlehner erzählt, daß sie sich den Hausherrn bestellt habe, um ihn nach Kräften zurecht zu rücken und ihn bestmöglichst für die Sonca günstig umzustimmen. Onkel Toni muß jetzt ganz und gar für sein Traudl sorgen, denn die Gretl hat zu viel zu tun, als daß sie etwa der Freundin die Mucken hätte austreiben können. Und die hat jetzt Mucken! Und ob! Freilich rennt sie plötzlich nicht mehr für andere; wenn sie auch früher übernommenen Verpflichtungen noch nachkommt. Sie entzieht sich allem Neuen, was ihr die Gräfin oder Doktor Mutzinger etwa aufladen wollen, und spinnt sich völlig ein. Allein ein reizendes Frühlingsgewand, ganz à la Sonca, macht sie für ihre Lise ohne alle Hilfe. Und mit welch einem Geschmack, wie fein in den Farben, mit welcher Liebe auch, fertigt sie es! Sie will die, jetzt so eitel gewordene Kleine damit überraschen, so daß diese zu ihrem Ehrendiner nur hineinzuschlüpfen braucht. Und dabei klagt Gertrud noch, daß sie nichts Rechtes gelernt, keinen Beruf und deshalb keinen wahren Lebensinhalt habe. Wirklich ganz recht hatte neulich jene charmante Frauenrechtlerin gehabt, – Buchlehner kann nicht mehr auf ihren Namen kommen, – als sie in ihrem prächtigen Artikel behandelte, wie mißverstanden doch vielfach der für Frauen und Mädchen bestimmte Auf- und Weckruf werde. Es müsse eben jede mit feinem Gefühl, Liebe und Herzenstakt und nicht selten auch mit großer Entsagungsfähigkeit erkennen, wo sie am richtigen Platz sei, wo ihr wahrer, bester Wirkungskreis liege und was ihr Ziel sein müsse. Die Drommeten und Hörner, die da geblasen werden, um Schlafende aufzurütteln, sollen doch nicht irr und wirr machen und in falsche Bahnen lenken. Sie müßten eben auch nicht von schlechten Musikanten geblasen werden. Nur keine falschen Töne! Aber man hört so viele solche! Und dann werden sie auch Wohl zum Überfluß noch fein in Noten gedruckt und fliegen darauf schwarz-weiß in die Welt hinaus, um weit verbreitet Unheil zu stiften, aus Zufriedenen Unzufriedene, aus richtigen Arbeiterinnen des Familienherdes Fahnenflüchtige zu machen, solche, die dann erst recht niemals Ganze werden, immer nur Halbe bleiben! Wie unrecht, wie unverantwortlich! Gerade dafür hat die Dame so treffende Beispiele aufgeführt, zu denen jeder Leser ein Seitenstück hätte hinzufügen können. Es ist eben ein übertriebenes Zeitalter, in dem wir leben, denkt der alte Professor. Ihm, der gar nicht altmodisch und konservativ, sondern recht modern und fortschrittlich gesinnt ist, hatte gerade das vernünftige, einsichtsvolle Maßhalten dieser Rechtlerin so gefallen. So eine, – ja die mag der großen Sache wohl wirklich dienen! Auch die grenzenlose Hochnäsigkeit, die Überhebung hat sie denjenigen gesteckt, die ›einen Beruf, einen Beruf‹ schreien, wenn sie schon keinen Mann haben ergattern können. Dann meinen sie, nur außerhalb, ihr Glück sehend auf andere herunterblicken zu dürfen. ›Pflicht gegen sich selbst,‹ ›dem eigenen Ich leben!‹ Jawohl, jawohl! Wie kann man aber auch einen echten Weckruf so überhören, ihn mißverstehen oder einem wirklich falschen gleich willig das Ohr leihen! Wie sehen auch oft diese arbeitenden Frauen auf diejenigen, welche nach ihrer Ansicht ohne Beruf leben, herab, als auf Armselige, Feige, Drohnen! Freilich! Diese oder jene pflegen ja zum Beispiel nur einen alten Vater, eine Mutter oder beide, – und oft sind das auch recht grämliche, egoistische und nörglerische Leutchen. – Eine andere hat einem Bruder zuliebe, dem sie haushalten will, leise einen Herzenswunsch, vielleicht auch einmal ins Leben hinaus zu können, begraben, und wieder eine lebt mehr als ihrer Abstammung und Erziehung würdig einer niedrigen Magd gleich, vielleicht um kleiner Geschwister willen, denen sie etwas sein kann. Aber diese alle tun ihre Pflicht, und viele tun sie innerlich freudlos genug und lassen doch heldenhaft nichts merken und es keinen entgelten. Sie wirken tausendmal mehr vor dem Auge des Gerechten als eine beträchtliche Anzahl derjenigen, die draußen arbeiten, sich selbst ihr Brot verdienen. – Achtung und Hut ab vor der Frau, die erwacht mit klarem Blick und offenem Ohr, die richtig versteht, was gemeint ist mit der Befreiung der Frau. Ehrfurcht fordert die, die ohne Pflichtverletzung, in rechter Beurteilung dessen, was sie vor sich selbst, – nicht vor der sogenannten Welt, – darf, handelt und sich ihr Leben deichselt. Nieder mit allen, die braven und tapferen Kämpferinnen um ihr Menschenrecht Steine in den Weg legen wollen. Steht doch keine mit der höchsten Gewalt so gut, daß diese erst bei ihr angefragt hätte, ob sie vielleicht als weibliches Wesen geboren sein wolle. Die Männer aber, die liebenden wie die hassenden, sind es gerade, die es den Frauen so schwer machen. Und dann das Übertriebene mit der Mutterschaft, mit dem Kind! Jessas, lauter G'schmalg halt, denkt Buchlehner, i mein, früher, da denk i jetzt wirklich altmodisch, is halt einfach weniger drüber geredet worden, weil man so vieles für selbstverständlich g'halten hat, was heutzutage als was ganz Besonderes gilt. Noch weniger aber hat man d'rüber geschrieben! Trotzdem waren aber die Altmodischen doch die bessern Mütter, mein i. In aller Stille hat man das Kind rechtschaffen in Ehren g'halten und sich dran g'freut und hat's net g'macht wie jetzt die Modernen. Es gibt Mädeln, die sich ein Kind leisten wirklich nur aus einer Art Modefexerei und Erlebsucht. So ganz programmatisch, um sich den im Augenblick so geschätzten Nimbus der ledigen Mutter zu geben. Das ist halt dann ein Grausen! Ja, wenn's kommt aus der großen Lebens- und Liebessehnsucht, so aus dem heißen Herzen der Natur und ihrem Trieb und endlich in der Erfüllung gipfelt, – dann Augen zu und doch auf und Händ und Herz auch und hinein und hinaus hören, bis man das Klopfen und Hämmern erlauscht hat im Innern der Erde, das mit dem Himmel in Kontakt steht!

»Ja, Onkel Toni! Sie bleiben ja wie festgewachsen da drinnen! Schlafen Sie denn?«

Er fährt erst jetzt auf; vorher hatte er weiter sinniert, trotz des Rufens des Kondukteurs: ›Isarbahnhof‹ und des eiligen Aussteigens der übrigen Wageninsassen.

Grete Mannes steht gelassen in dem tröpfelnden Regen, ohne Schirm, in ihrem Gummimantel, mit derben Stiefeln, kurzem Rock und wetterfestem Hut. In diesem Augenblick ähnelt sie in Gestalt und Erscheinung wieder so sehr der Malerin Burkstaller. Aber nicht nur ihr lichtes, hübsches Antlitz macht sie doch wieder so anders; nein, das ist es nicht, wie Buchlehner jetzt empfindet: ein kühler, herber Hauch geht von Grete aus. Ein Gewand mattgrüner, brennender Nesseln oder eines aus feinen, weißen Eiskriställchen scheint sie zu umkleiden. Aber darunter klopft es doch warm, wenn auch nicht wild wie bei Ottilie! – Allein diese! Ein häßliches Gesicht! Gewiß! Jedoch jede Linie darinnen bezeichnet ein wunschreiches pulsierendes Leben! Ein ewiges Herausfordern, ein An- und Aufstacheln, freilich ohne Absicht und Wollen, liegt um den großen Mund mit seinen weißen Zähnen. Eine heiße Lohe, ein aufregender, wollüstiger Hauch wehen von dem prachtvollen Körper, den stets ein blutrotes Gewand zu decken scheint, wenn er auch ein noch so bescheidenes, farbloses trägt. Energie, – Tat vor Wort, – ein eisernes Wollen, das alles ist auch Grete Mannes zu eigen. Immer aber ist es bei ihr verbunden mit etwas Weichem, Holdem, aber doch auch Kühlem, – etwas das die Männer mehr fern hält als anlockt. –

Schweigsam gehen Grete und Buchlehner ihren Weg. Tief atmen sie den Werdeduft des Kommenden ein, den sie empfinden wie eine frohe Verheißung. Plötzlich bleibt der Professor stehen.

»Ja, denken's nur, Gretl, – die Traudl meint, sie könnt und wüßt ja nix und sie hält' vor allem keinen Beruf.«

Wie hinter einem Schleiergespinst aus zarten grauen Nebeln liegt nun unter ihnen die Stadt, aus der die Zwiebeltürme ragen. Hinter einem Schleier auch steht Grete Mannes vor dem Künstler. Mit leiser Stimme sagt sie:

»Keinen? Jeden!! Vor allem aber erfüllt sie den Beruf, ein Weib zu sein, nach dem Herzen Gottes. Sie ist es immer und immer! Unter allen Umständen weiß sie den Platz auszufüllen, auf den das Schicksal sie stellt. Das ist ja wohl mit das Größte, was wir erreichen können. Sie aber strebt dabei immer weiter empor, stets empor, wie hoch der Platz oder wie niedrig er auch sei. Sie ist für mich einfach: Das Weib!«

»Gretl,« er greift nach ihrer Hand, »Sie sind ein g'scheiter Kerl! Sie sind, sind, – Sie sagen jetzt das, was i vorher erst gedacht hab und, – Herr Gott, schauen Sie nur, wie schön unser gut's München jetzt wieder da unten liegt, – schön selbst hinter Regen und Nebeldunst, schauen Sie, Gretl, und die Traudl ist ein Münchener Kindl! Glauben Sie mir, das ist kein schlechter Schlag! Mir haben sogar mehr solche. Aber es ist sonderbar damit: Oftmals gedeihen sie eine Zeitlang wirklich besser in einer andern Luft. Die unsere ist gar so stark oft! Ganz damisch kanns machen! Aber wann die Kinder später gut ausg'wachsen und groß g'worden z'rückkommen, schauens dann, – dann sinds aber auch was Rechtes! Mir geht's jetzt so wirr im Kopf rum, als wie wenn i betrunken war. Ob das G'schoddel von der Elektrischen schuld ist? Gretel! Dort unten unser niedergehende Kunststadt! Wie jetzt grad' das helle Sonnenfleckerl drüber hinwitscht, genau über die Türm! I glaub halt a Mal dran, daß immer noch viel Großes und Schönes in der Luft schwebt, wenn's auch noch so stark nach Hopfen und Malz riechen mag. Mag ja sein! Aber unser Kunst versauft do net! Nie, nie, und unsere Kinder a net, wenigstens net die Rechten und die Starken; um die andern aber is net schad. Jawohl, unser Traudl, das den alten Dom so lieb hat, ist ein Münchener Kindl und deshalb bin ich so durchdrungen davon, daß sie sich noch durchbeißt!«

»Onkel Toni, – o Sie, Sie verkappter Enthusiast und Schwärmer!«

»Obacht geben Mäderl, geben's doch acht! Net ins Wasser treten, Sie haben ja net a Mal Gummischuh an!«


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