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Dies Wort des Detektivs klang Ferris fort und fort in den Ohren; er ward es nicht wieder los. Solange Mansell ihm gegenüberstand, war er von seiner Unschuld überzeugt gewesen, aber je mehr er jetzt seine Unterredung mit ihm bedachte, um so ungewisser wurde er, was er von ihm zu halten habe. Dazu kam noch die Erwägung, daß Fräulein Dare, die ihn liebte, aus freien Stücken Zeugnis gegen ihn abgelegt hatte. Wie fest mußte sie an seine Schuld glauben, um einen solchen Schritt zu tun!
Besonders Orkutts wegen war es dem Bezirksanwalt in hohem Maße zuwider, gegen Mansell einzuschreiten. Wenn es irgend anging, wollte er dem Rechtsanwalt die Pein ersparen, das Mädchen, welches dieser liebte, als Zeugin gegen seinen Nebenbuhler vor Gericht zu sehen. Er beschloß daher, Mansell für jetzt nicht in Haft zu nehmen, sondern alle Beweise gegen beide Verdächtige, die er in Händen hatte, direkt bei der Großen Jury einzureichen, deren Mitglieder eidlich verpflichtet sind, das Geheimnis zu wahren. Sollte sich dann der Verdacht gegen Mansell als nicht genügend begründet erweisen, um ihn in Anklagestand zu versetzen, so würde von dem ganzen geheimen Verfahren nichts in die Öffentlichkeit gelangen. Würde dagegen nicht Hildreth, sondern Mansell vor Gericht gestellt, so traf ihn, Ferris, keinerlei Verantwortlichkeit, weder dem Rechtsanwalt Orkutt noch Fräulein Dare gegenüber.
Wie geheim jedoch der Bezirksanwalt auch die ganze Sache betrieb, es mußte sich doch ein Gerücht davon verbreitet haben. Orkutt selbst, mit dem Ferris seit einer Woche jede Begegnung vermied, redete ihn eines Tages in der Straße an und brachte das Gespräch darauf. Der Rechtsanwalt sah bleich und angegriffen aus und fragte voll Unruhe, ob es wahr sei, daß außer Hildreth jetzt noch ein anderer des Mordes der Witwe Klemmens verdächtigt werde. So sah sich denn Ferris zu der unerwünschten Erörterung genötigt. Er konnte seinem Freunde die verlangte Auskunft nicht verweigern und teilte ihm auf dessen stets dringender werdende Fragen nicht nur mit, daß ein starker Verdacht gegen den Neffen der Frau Klemmens vorliege, sondern auch, daß es hauptsächlich Fräulein Dare gewesen sei, durch welche die Aufmerksamkeit der Behörden auf Craik Mansell geleitet worden. Orkutt sah seine schlimmsten Befürchtungen bestätigt.
Aber das ist ja unmöglich; was kann sie von dem Morde wissen! rief er erregt, und der Bezirksanwalt erkannte mit steigender Verlegenheit, daß jener über Imogens Verhältnis zu Mansell völlig im Dunkeln sei.
Das Zeugnis des Fräuleins ist in der Tat von großer Wichtigkeit, erwiderte er. Verlangen Sie aber nicht, daß ich mich noch näher darüber auslasse; Sie erfahren alles weitere am besten von ihr selbst. Mir ist die ganze Sache in hohem Grade peinlich; wenn es sich irgend mit meiner Pflicht vereinbaren ließe, würde ich der jungen Dame, die Ihnen so nahe steht, sicher die Unannehmlichkeit eines öffentlichen Verhörs ersparen.
Orkutt lächelte bitter. Und sie hat sich aus eigenem Antrieb erboten, Ihnen diese Beweise gegen Mansell zu liefern?
Ja, ganz ohne mein Zutun.
Der Rechtsanwalt hatte genug gehört. Mühsam seine Fassung bewahrend, verabschiedete er sich von Ferris. Für Imogens Handlungsweise gab es nach seiner Meinung nur eineErklärung: sie hatte, getrieben von dem leidenschaftlichen Verlangen, Valerian Hildreth zu befreien, ein falsches Zeugnis abgelegt, um die Schuld auf einen andern zu wälzen. Die Worte ihres Abschiedsbriefes bestärkten Orkutt noch in diesem Argwohn. Für den Mann, den sie liebte, wie er nicht anders glauben konnte, war sie sogar bereit, einen Meineid zu begehen. Von Eifersucht gepeinigt, faßte Orkutt hundert verschiedene Pläne, um ihr Zeugnis zu entkräften, ihr wahnsinniges Vorhaben im Keime zu ersticken. Düster vor sich hinbrütend, wie es seine Gewohnheit war, seit ihn Imogen verlassen, saß er in seinem Studierzimmer und wieder und wieder klang es ihm in der Seele: Sie liebt ihn so unaussprechlich, daß sie willens ist, ihn durch einen Meineid zu retten.
Endlich erhob er sich und verließ das Haus. Die Uhr hatte acht geschlagen, und ohne daß er sich selbst recht klar war, was er eigentlich beabsichtige, begab er sich nach Professor Darlings Villa und ließ Imogen um eine Unterredung bitten.
Sie weigerte sich zuerst, ihn zu empfangen, und als sie seiner wiederholten Aufforderung endlich Folge leistete, zeigte ihre stolz abweisende Miene nur zu deutlich, welche Ueberwindung es sie koste, sein Verlangen zu erfüllen.
Er war darauf gefaßt, sie kühl und unnahbar zu finden. Imogen, was haben Sie getan? rief er ohne weitere Vorbereitung, sobald sich die Türe hinter ihr geschlossen hatte.
Herr Orkutt, entgegnete sie matt und niedergeschlagen, als ich Ihr Haus verließ, schrieb ich Ihnen, daß ich durch die Erfüllung einer unseligen Pflicht auf immer von Ihnen getrennt sei. Warum versuchen Sie die Kluft zu überbrücken, die uns scheidet?
Was nennen Sie Ihre Pflicht? gab er zornig zurück. Reden Sie, ich will es wissen! Speisen Sie mich nicht länger mit leeren Ausflüchten ab, wo es sich um eine Lebensfrage handelt!
Sie sagten mir in unserer letzten Unterredung, erwiderte sie, Valerian Hildreth könne nur frei werden, wenn sich aufs überzeugendste herausstellte, daß ein anderer die Tat begangen hat. Ich glaubte die Beweise dafür in Händen zu haben und tat sie den Behörden kund, denn Hildreth muß um jeden Preis gerettet werden, hören Sie – um jeden Preis!
Und in Ihrer rasenden Liebe für diesen Menschen wollen Sie einen Meineid schwören, wollen das Gericht glauben machen, daß Ihre erfundenen Beweise auf Wahrheit beruhen, und die Schmach auf den unschuldigen Mansell wälzen?
Wie tief mußte ihr Stolz bereits gebeugt sein, daß sie solche Worte ohne Entrüstung anzuhören vermochte! Was ich sage, ist die Wahrheit, murmelte sie, ich habe nichts erfunden.
Orkutt starrte sie mit ungläubigem Staunen an. Sie hatten wirklich Beweise gegen diesen Mansell, rief er, und haben Ihr Zeugnis zurückgehalten, obgleich der Mann, den Sie liebten, in Todesgefahr schwebte – das ist undenkbar!
Sie stand einen Augenblick in heftigem Kampf mit sich selbst, dann schien sie einen plötzlichen Entschluß zu fassen. Wozu es noch länger verbergen? sagte sie. Früher oder später werden Sie es ja doch erfahren. Nicht Hildreth ist es, den ich liebe, sondern der andere, dessen Namen Sie nannten – Craik Mansell.
Das Wort war heraus, das ihr nicht über die Lippen gewollt hatte. Eine Weile herrschte tiefes Schweigen, dann gewann Imogen Kraft und Fassung zurück.
Was ich sage, mag Ihnen unglaublich klingen, fuhr sie fort, doch es ist wahr. Ich lernte ihn in Buffalo kennen; sein entschlossenes, kräftiges Wesen zog mich von vornherein an; er war der erste Mann, der mir je einen tieferen Eindruck gemacht hatte. Sein hohes Streben erschloß mir eine Welt, die ich nie gekannt, mir war, als habe auch mein Dasein auf einmal Inhalt und Zweck gewonnen. Ich horchte auf seine Stimme, erwiderte seine Blicke und ehe ich es noch selber recht wußte, hatten wir Worte der Liebe getauscht. Es war der Anfang des furchtbaren Kampfes, dessen Ende – – lassen Sie mich nicht daran denken, oder ich gerate von Sinnen!
In leidenschaftlicher Erregung hatte Orkutt ihre Erklärung vernommen. Endlich fand er Worte: Und mit der Liebe für einen andern im Herzen kehrten Sie in mein Haus zurück, hörten den Ausdruck meiner Gefühle für Sie an, und gaben mir Hoffnung, Sie dereinst zu besitzen?
Wirklich, tat ich das? Ich glaubte, ich hätte Sie nur gebeten, nicht weiter in mich zu dringen. An jenem furchtbaren Tage, als Sie mir Ihre Hand antrugen, wollte ich Ihnen nur zeigen, daß ich nicht undankbar sei für so viel Güte. Zudem war meine Liebe völlig aussichtslos. Hing doch unsere Zukunft von dem Erfolg einer Maschine ab, an deren Ausführbarkeit niemand glauben wollte.
Dem Rechtsanwalt schwebte eine bittere Erwiderung auf den Lippen, doch bezwang er sich und sagte kurz:
Sie haben mir nicht mitgeteilt, welche Beweise Sie gegen Craik Mansell vorzubringen hatten.
Ich habe Herrn Ferris davon unterrichtet und das genügt, war ihre Antwort.
Er schwieg einen Augenblick. Ferris ist Bezirksanwalt und verfolgt den Verbrecher, sagte er dann. Ich aber bin Ihr Freund und kann Ihnen raten und beistehen in der seltsamen Lage, in die Sie sich gebracht haben – wenn Sie offen gegen mich sind.
War denn noch irgendeine Aussicht auf Rettung? Ein Schimmer von Hoffnung schien ihr in der Dunkelheit aufzuleuchten.
Und Sie wollten mir wirklich helfen? fragte sie gerührt. Sie wären großmütig genug, zu vergessen, daß ich Ihnen Schmerz, ja vielleicht Schmach bereite? Sie würden mir Ihren Beistand nicht verweigern, wenn erstatt Hildreth vor Gericht gestellt werden sollte?
Es war ein großer, ein folgenschwerer Entschluß, den sie von ihm forderte; Orkutt war nicht so leicht bereit, sich durch ein Versprechen zu binden.
Zuerst muß ich den Tatbestand kennen, ehe ich mich weiter darüber ausspreche, entgegnete er.
Imogen sah sich ängstlich nach allen Seiten um, dann flüsterte sie: An jenem Morgen war Craik Mansell von allen unbemerkt im Hause seiner Tante. Der Ring – –
Nun? fragte Orkutt gespannt; alle Zweifel und Unruhe, die ihm dieser Ring schon bereitet hatte, bestürmten ihn von neuem.
Er gehörte ihm, fuhr sie fort, es war ein Erbstück seiner Mutter; er hatte den Diamant für mich neu fassen lassen. Tags zuvor trafen wir uns im Walde hinter dem Hause seiner Tante, er wollte mir den Ring an den Finger stecken, aber ich litt es nicht. Die Zutunst sah zu trübe aus, es war keine Aussicht vorhanden, daß unsere Wünsche je in Erfüllung gehen würden.
Verstehe ich Sie recht? fragte Orkutt halb staunend, halb entrüstet. Sie hatten im Walde eine Zusammenkunft mit diesem Menschen am Tage vor der Mordtat? Und am andern Morgen begab er sich nach dem Hause und verlor dort im Zimmer den Ring?
Ja, so ist es.
Schweigend schritt der Rechtsanwalt mehrmals in dem Gemach aus und ab, endlich blieb er vor Imogen stehen.
Also nur, weil Sie den Ring jenes Herrn dort im Zimmer fanden, halten Sie ihn für den Mörder seiner Tante? – Es lag etwas wie Spott in dem Ton seiner Frage.
Es beweist seine Anwesenheit daselbst; dazu kamen die furchtbaren Worte der Sterbenden: »Ring« und »Hand«, und wenn ich an Herrn Mansells Aeußerungen bei unserer Unterredung denke – sie hielt inne, von Grauen überwältigt.
Was hat er Ihnen damals gesagt? drängte der Rechtsanwalt.
Imogen schüttelte das Haupt, dann murmelte sie: Die fünftausend Dollars, die seine Tante hinterläßt, waren gerade die Summe, die er brauchte, um sein Glück zu begründen.
Wenn das auch der Fall war, Imogen, ja, wenn er das selbst Ihnen gegenüber betont haben sollte, so sind solche Reden kein Beweis. Wollen Sie nicht bewirken, daß er verurteilt wird, so schweigen Sie davon.
Der Unschuldige darf die Strafe nicht für den Schuldigen erleiden, sagte sie hart und streng.
Orkutt schien die Bemerkung zu überhören.
Ist das alles, was Sie mir mitzuteilen haben? fragte er.
Ja, alles – und ich flehe Sie an, sagen Sie mir, was habe ich zu erwarten?
Der Fall ist höchst merkwürdig, Imogen, erwiderte der Rechtsanwalt sichtlich erleichtert; mir ist in meiner Praxis noch kein ähnlicher vorgekommen. Jedenfalls ist abzuwarten, gegen welchen der beiden Männer die Große Jury die Anklageakte erläßt, ehe ich mich weiter darüber äußere.
Und Sie glauben, daß noch ein Zweifel möglich ist?
Ein Zweifel besteht immer, wenn der Beschluß von dem Urteil vieler abhängt. Kein Mensch kann jetzt vorhersehen, wer von den beiden Verdächtigen vor Gericht gestellt werden wird; mir scheinen die Indizienbeweise, welche gegen sie vorliegen, gleich stark. Weil Sie Mansell für den Schuldigen halten – –
Daß er es ist, weiß ich nur zu gut, murmelte sie.
Deshalb steht noch lange nicht fest, daß die Große Jury dieselbe Entscheidung trifft. Bis dahin wäre es ganz vergeblich, von Zukunftsplänen und Möglichkeiten zu reden. Leben Sie wohl, Imogen – wenn der Würfel gefallen ist, sollen Sie weiter von mir hören.
Aus dem Abschiedsblick, den er ihr zuwarf, sprach das ganze Feuer seiner geheimen Leidenschaft. Er preßte ihre Hand an die Lippen und verließ eilends das Gemach.