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Im grauen Orden befand sich einmal ein heiliger Mönch, Bruder Felix mit Namen, der lebte versunken in die göttlichen Schriften, demütig wie Hiob und der Himmelskönigin von Grund seines Herzens ergeben. Des Todes eingedenk, kasteite er seinen Leib, dachte reuevoll, wie er den Stricken des Teufels entflöhe, lag des Nachts schlaflos in Gebet und Jammer und verachtete die Ehren der Welt. Keinem Mönche war er gram, schalt nie und vergalt kein Leid mit Leide, sondern ließ Alles schweigend hingehen.
Eines Morgens nun, als die Primzeit vorüber war, ging er aus dem Münster, in einem Buche lesend, wie er Heil für seine Seele erringen möchte, und fand darin das Himmelreich, Freude ohne Schwere und ewig und endlos verheißen. Da hub er seine Hände zum Herrn empor, der solche Freude geschaffen: es breitet sich der Himmelssaal im ewigen Licht, das nimmer verlischt, und eine Seligkeit tut sich auf, die keines Menschen Auge zu Ende sehen, kein Ohr ganz vernehmen und keines Herzens Gedanke denken und messen mag. Er aber mußte zweifeln, denn es dünkte ihn unmöglich.
Da kam plötzlich vom Himmel ein kleines Vöglein geflogen, das sang so lieblich, daß der Mönch aufsprang, das Buch zusammenschloß und vor gewaltiger Freude nicht mehr wußte, wo er war: was er je von Seligkeit gelesen, das deuchte ihn alles nicht wahr, so süß sang das Vöglein, der Schall von tausend Harfen hätte ihm nicht lieblicher geklungen. Der heilige Mann hätte es gern gefangen, aber das Vöglein floh auf schneeweißen Flügeln immer vor ihm her und hörte nicht auf, zu singen: da war es ihm, als vergingen ihm die Sinne, und das Paradies habe sich um ihn aufgetan. Doch das Vöglein flog unaufhaltsam von dannen. »O könnt ich dich festhalten, daß du wiederkämest«, rief er, »oh, liebes Vöglein, du hast mir mit deinem Gesange das Herz verzaubert, lebt' ich so lange wie Elias oder säß' ich gewaltig als Kaiser in dem Palast zu Rom, ich gäb' es hin um dein Singen, denn es ist süßer als aller Vöglein Singen und aller Harfen Schall. Was ist Menschenstimme wider deinen Gesang? O, daß du mir entflogen bist und ich dich nimmer hören soll, davon hat meine Freude sich in Galle getaucht und ich bin betrübt bis auf den Grund meines Herzens.«
Da erklang eine Glocke, man läutete Mittmorgen. Schnell eilte er zu der Pforte, reuig und in Sorgen, daß er so lange außen geblieben. Der Pförtner kam, da rief ihm der Mönch von draußen zu: »Lieber Bruder, laß' mich ein!« »Wer seid Ihr?« fragte der Pförtner. »Ich bin ein Mönch, Felix genannt«, erwiderte jener, »der Abt und die Gemeinschaft kennen mich wohl.« »Wo kommt Ihr her? Ich habe Euch nie gesehen«, sprach der Pförtner. »Laß den Spott, Bruder«, rief der Mönch, »Gott liebt den Hohn nicht.« Aber der Bruder Pförtner versicherte ihm: »Ich bin nun dreißig Jahre in dem Kloster hier gewesen. Doch ich habe Euch nie gesehen und weiß nicht, wer Ihr seid.« »Ich bin doch soeben, kaum daß die Primzeit vorüber war, aus dem Münster gegangen. Ein Vöglein verlockte mich mit seinem Gesang, doch ist es mir listig entflohen.« »Ihr seid betrunken, Wasser wäre Euch besser gewesen denn Wein, so müßtet Ihr wenigstens nicht vor der Tür stehen. Ihr bleibt mir draußen, das sag' ich Euch.« »In nomine patris«, rief da der Mönch, »ich habe heut nacht mit dem Abt zur Messe gelesen und ihm geholfen ein Responsorium singen. Ich kenne den Kellermeister, den Kämmerer, den Prior, seit langem schon les' ich im Kapitel und Chor.« »Geht Eure Straße, Ihr rast ja und habt wohl nie ein Wort in einem Kloster gelesen!« schrie der Pförtner. »Verleihe mir den rechten Glauben, Herr!« rief der Mönch zu Gott. »Was ist mit mir geschehen? Wenn ich zur Messe las, war es sonst allen Mönchen angenehm, und mein Gesang macht sie fröhlich. Sollt' ich mich so verwandelt haben, daß sie mir nun die Türe weisen? O dann möcht ich wüten und schreien, daß ich je des Vögleins Singen pries! Und doch: ich rede wie ein Narr! Denn wer es singen hörte, der mußte Freude empfinden und selig sein!« Aber der Pförtner ward zornig: »Wenn Euch der Wind nicht hereinbläst«, sagte er, »so müßt Ihr draußen bleiben!« Da flehte ihn der Mönch im Namen Gottes an, hineinzugehen und den Abt zu rufen.
So begab sich denn jener zu dem Abte und meldete ihm, daß ein Mönch vor der Pforte stehe, der behaupte, vierzig Jahre hier im Kloster gewesen zu sein und heute Nacht noch zur Messe gelesen zu haben, aber es sei alles Lug und Trug, denn er habe ihn nie gesehen. »Hat Gott ihn uns hergebracht«, sprach der Abt, »so laß uns brüderlich mit ihm verfahren.« Er nahm die Ältesten mit sich und ging an die Pforte. Aber alle sagten aus, sie hätten ihn nie gesehen. »Was ist es mit Euch, Bruder?« sagte der Abt. »Wenn es sich so verhielte, wie Ihr sagt, wahrlich, dies wäre allzu wunderbar. Folgt mir, im Siechenhause liegt ein alter Mönch, der wohl volle hundert Jahre hier im Kloster gelebt hat. Den wollen wir fragen!« Als sie zu dem greisen Bruder gekommen waren, fragte der Abt: »Bruder, kennt Ihr diesen Mann? Er sagt, er habe volle vierzig Jahre hier im Kloster gedient. Vielleicht redet er die Wahrheit.« Da antwortete der alte Mönch: »Als ich noch ein Novize war, lebte in diesem Kloster ein Bruder, Felix mit Namen, der gerne von Gott las, was er in den Schriften geschrieben fand, und wie ein Kristall vor allen Mönchen leuchtete. Er war ein heiliger Mann, eines Tages aber zur Primzeit ging er fort und niemand hörte seither von ihm. Die Gemeinschaft trauerte ihm lange nach, man glaubte nicht anders, als Gott habe ihn zu sich genommen. Er aber ist jetzt zurückgekehrt, denn dieser Mann, der hier vor mir steht, ist der Verschwundene, den ich in meiner Jugend gekannt.« »Und wie lange ist dies her?« fragte der Abt. »Es sind wohl hundert Jahre darüber vergangen«, erwiderte der Alte. Da ließ der Abt ein Buch herbeibringen, darin alle verzeichnet waren, die seit dreihundert Jahren in dem Kloster verstorben. Da erwies es sich, daß genau hundert Jahre verflossen waren, seit dem Tage, da Bruder Felix dem Vöglein nachgegangen. Ihm aber hatte es nur eine Stunde geschienen: seine Kleider waren nicht zermürbt, nur sein Haar war ergraut. So stand er schweigend in der Versammlung.