Rudolf Greinz
Aus'm heiligen Landl
Rudolf Greinz

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Die viereckete Seel'.

Der Romedius Glatzl war ein unverbesserlicher alter Wilddieb. Eigentlich schon ein uralter. Erst kürzlich hatte er seinen achtzigsten Geburtstag gefeiert. Etwa nicht daheim, sondern im Arrest des Bezirksgerichts zu Schlanders im Vintschgau. Das betrachtete aber der Glatzl nur als eine Art Erholung von den Anstrengungen seines Berufs.

Diesmal hatten sie ihn sechs Wochen eingesponnen. Die Ursache war ein fettes Haserl, das er dem Mauracher Sepp in Goldrain weggeschossen hatte. Eigentlich ein teures Bratl. Ließ sich aber bei den vielen Vorstrafen des Glatzl halt nicht anders machen.

Für gewöhnlich lebte der Glatzl in Goldrain, in der Nähe von Schlanders. Der Mauracher Sepp war dort ein begüterter Bauer, dem auch die Jagd in der Gegend gehörte. Im übrigen war der Sepp ein großer Geizhals, aber durchaus kein Kirchenlicht. Er zählte vielmehr unter die Dümmeren von der G'moan. So gescheit war er aber doch, den Glatzl wegen dem Haserl ins Kotterle zu bringen.

Mitten im Fasching ließen sie den Glatzl in Schlanders wieder aus. Noch an demselben 18 Nachmittag saß er ganz kreuzfidel beim Hirschenwirt in Goldrain und ließ sich ein paar Stamperln Schnaps schmecken.

Man hätte dem alten Haderlumpen seine Jahre nicht angemerkt. Der Glatzl besaß eine eiserne Gesundheit. Er war ein stämmiger, kurz gewachsener, vierschrötiger Kerl mit einem wohlgenährten, rundlichen Gesicht, das vor lauter grauen Bartstoppeln in seinem größeren Teil einer stark verbrauchten Bürste glich. Auch auf dem Kopf stellte er nach allen Seiten die Borsten in die Höhe.

Als der Glatzl gerade beim fünften Stamperl angelangt war, kam der Mauracher Sepp, ein hageres Bäuerl, in die Wirtsstub'n, wo sich der Glatzl bis dahin ganz allein dem stillen Suff hingegeben hatte.

Der Bauer wollte schon wieder bei der Tür hinaus, als er des Glatzl ansichtig wurde. Der nötigte ihn aber, an seinem Tisch Platz zu nehmen. Widerwillig schaffte sich der Sepp ein Viertel Wein an.

»Muaßt nit glei davonrennen, wenn wir uns so lang nimmer g'sehen hab'n!« meinte der Glatzl. »Wia geaht's dir denn nachher alleweil, Sepp?«

»I kann 's nit loben. Nit recht extra!« entgegnete der Sepp, dem es neben dem alten Haderlumpen immer ungemütlicher wurde.

»Ja, ja, schaust auch aus wia die sieben teuern Zeiten!« sagte der Glatzl mit einem gewissen Bedauern.

»Meinst wirklich, es is schon so weit mit mir?« fragte der Sepp, dem es ganz kalt über den Rücken 19 lief, ängstlich. Der Sepp litt stets an allerhand eingebildeten Krankheiten. Am unliebsten hörte er es bei seinem Geiz, wenn einmal zufällig die Rede aufs Sterben kam.

»I mein' schon, daß an dir die Würmer bald an Kirchtag kriag'n!« erklärte der Glatzl mit voller Seelenruhe. »Wenn amal a Mensch a so grüanzipfet ausz'schau'n anfangt wia du, nachher kann er Reu' und Leid mach'n! Da schau mich an!« grinste der Glatzl boshaft. »Achtz'g Jahr bin i iatz vorbei und tua noch lang nit sterben!«

»Ausschau'n tuast wia 's Leb'n!« Dabei schielte ihn der Sepp neidisch von der Seite an.

»Und iatz schon gar, wo sie mich in Schlanders so nobel außer g'fuattert hab'n!« rief der Glatzl. »A ausgezeichnete Kost, sag' i dir! Völlig g'mästet haben s' mich!«

»Ja, Glatzl, nachher verübelst mir 's am End' gar nit, daß i dich angeben hab', weißt schon, wegen demselbigen Hasl?« frug der Sepp kleinlaut.

»Aber koa Spur nit!« beruhigte ihn der Glatzl.

»Weißt, i hab' dich anzeigen müass'n!« suchte sich der Mauracher Sepp zu entschuldigen.

»Müass'n?« Der Glatzl schaute ihn verständnislos an.

»Freilich! Es war ja doch a Diabstahl. Und an Diab muaß man angeb'n, heißt 's im G'setz!«

»Ah so? Wirst schon recht hab'n, Bauer. I 20 hab' mir lei denkt, 's Hasl hat dich so viel g'reut, weil d' a solcher Geizkrag'n bist!«

»Naa! Naa!« versicherte der Sepp. »Grad' weg'n dem G'setz! 's Hasl hätt' i dir gern vergunnt!«

»Bin i doch froh für dich, Sepp, daß d' koa Geizkrag'n bist, weil dich der Geiz sonst noch viel eher in die Gruab'n bringet! Und sterben tuat schließlich koans gern!« meinte der Glatzl.

Dem Sepp begann es schon wieder ungemütlich bei dieser Wendung des Gespräches zu werden. »Mich wundert 's grad, wia lang du 's noch machst! Du bist alleweil so frisch beim Zeug! Es is, als wenn du verhext wärst!«

»Naa, verhext bin i nit!« meinte der Glatzl.

»Amal wird 's dich schon auch hab'n!« tröstete sich der Sepp.

»Mich hat 's nia!« versicherte der Glatzl.

»Ewig kannst ja nit leb'n!« meinte der Bauer.

»I kann leb'n, solang i mag!« grinste der Glatzl und zeigte dem Sepp sein tadelloses Gebiß.

»Laß dich auslachen!« meinte der Mauracher Sepp zweifelnd.

»Wenn du 's nit glaubst, nachher laßt es bleib'n!« erwiderte der Glatzl ruhig, stopfte sich seine kurze Reggelpfeife und begann daraus zu qualmen.

»Aber amal kannst doch krank werd'n!« hob der Sepp nach einer Pause wieder an.

»I kann nit krank werd'n!« erklärte der Glatzl und rauchte weiter.

21 »Ja, was tuast denn du nachher?«

»Dös sag' i nit!«

Der Mauracher Sepp rückte ganz nahe an den Glatzl heran und fragte ihn geheimnisvoll: »Hast a b'sonders g'weiht's Amulett

»Naa!«

»Nit?« Der Sepp war ganz starr vor Verwunderung. »Ja was hast denn du nachher?«

»Dös will i dir schon sag'n!« erwiderte der Glatzl halblaut. »Aber du darfst es koan' Menschen verraten! Du bist der erste, dem i 's anvertrau'!«

»I schwör' dir zehn heilige Eid', i sag' nix!« beteuerte der Sepp und reckte drei Finger der rechten Hand in die Höhe.

»Also paß auf!« fuhr der Glatzl fort. »I hab' nämlich a viereckete Seel'! Und dö andern Menschen, dö hab'n a runde Seel'! Dös wirst wohl begreifen, daß a runde Seel' bei a runden Loch viel leichter außi fahrt, als wia a viereckete! A viereckete Seel', dö derschnaufst ja gar nit außi; dö bleibt dir ja glei überall stecken!«

»Ja, warum hast denn just du a viereckete Seel'?« fragte der Sepp und riß Mund und Augen auf.

»Dös is a lange G'schicht'. Dö erzähl' i dir a andersmal. I hab' halt a Trankl, dös oan' die Seel' vierecket macht!«

»Jessas! Wann i dös hätt'!« geriet der Sepp in Aufregung. »Kannst mir 's nit verschreib'n?«

22 »Naa!«

»Geh, sei so guat!«

»Daß d' mich wieder einsperren laßt!«

»Naa, g'wiß nimmer!« beteuerte der Sepp.

»Und wenn i mir wieder an Hasen hol'?«

»Wegen meiner, wia viel d' willst!«

»Wird dir aber z' lötz sein, dös Trankl!«

»Is es recht lötz?«

»Höllisch lötz!« versicherte der Glatzl.

»I sauf's schon!« erklärte der Sepp nach kurzem Überlegen. »Weißt, mir is so viel wenig drum ums Abkratzen

»Also du sollst 's Trankl hab'n! Schon weg'n der guat'n Kost in Schlanders!« versprach ihm der Glatzl. »Morgen holst dir 's bei mir! Übermorgen is Faschingssonntag. Da saufst zuerst die ganze Flasch'n voll aus, und nachher gehst als Huttlee nach Schlanders!«

»Warum denn dös?«

»Mit dem Trankl im Leib muaßt Bewegung im Freien mach'n, damit die Seel' g'schwinder vierecket wird! Je mehr du springst, desto vierecketer wird die Seel'! Dös wird dir doch einleuchten?«

»Ah ja!« versicherte der Sepp und schnitt ein womöglich noch blöderes Gesicht, als er gewöhnlich hatte.

»Und da gehst am g'scheitesten als Huttlee, daß d' recht narrisch umhupfen kannst!«

23 »Dös is wahr!« nickte der Sepp beifällig.

Die Flasch'n mit dem geheimnißvollen Trankl holte sich der Sepp pünktlich ab. Der Glatzl, der auf einmal sein bester Freund geworden war, hatte inzwischen auch ein Huttleeg'wand für ihn versorgt.

So kam der Faschingssonntag. Nachdem der Sepp sich zu Mittag etliche Knödel einverleibt hatte, schlich er auf seine Kammer, holte die Flasch'n unter dem Bett hervor, tat den Propfen weg und roch einmal vorsichtig dran.

Gut roch es nicht. Der Sepp wagte einen kleinen Schluck.

»Himmelblauer Höllteufel!« rief er und sprang unwillkürlich in die Höhe. »Is dös Zeug hantig

Unschlüssig stierte er eine Weile die Flasche an; dann setzte er sie an den Mund und goß mit wahrer Todesverachtung den ganzen Inhalt hinunter. Es war schrecklich. Den Sepp beutelte es am ganzen Leib vor Grausen. Er sprang einigemal gegen die Wände seiner Kammer. Die Bewegung ergab sich von selbst. Der Glatzl hätte sie ihm gar nicht zu verordnen brauchen.

Der Sepp schluckte und würgte noch immer verzweifelt, als er das Trankl schon längst im Leibe hatte und es gar nichts mehr zu schlucken gab. Dann riß er die Kammertür auf, polterte über die Stiege hinunter, beim Haus hinaus und rannte spornstreichs den Weg nach Schlanders. Der Sepp erinnerte 24 sich nicht, zeitlebens so viel Bewegung gemacht zu haben.

Das Trankl wütete in ihm wie tausend losgelassene Teufel. Das zwickte und brannte und juckte, daß es den Sepp springen machte wie einen verrückten Heuschreck'n. Dabei schüttelte er fortwährend den Kopf und streckte die Zunge heraus. Es grauste ihn fürchterlich. Er brachte den Geschmack der Wundermedizin nicht mehr los. Und auf der Zunge brannte es ihn noch immer, daß er sie fortwährend in die kalte Winterluft recken mußte, um sie einigermaßen zu kühlen.

Schnell wie ein Sturmwind kam der Mauracher Sepp nach Schlanders. Dort erregte er berechtigtes Aufsehen. Er war entschieden der lustigste Huttlee von allen.

Arme und Beine bewegte er in den sonderbarsten Verrenkungen, schnitt die schauerlichsten Grimassen und brüllte und johlte, daß er beständig einen bewundernden Haufen hinter sich hatte. Vor dem Bärenwirt in Schlanders entstand ein förmlicher Auflauf.

»Mich z'reißt's! Mich z'sprengt's!« heulte der Sepp in allen Tonarten. »Pfui Teuxel! O du verflixte viereckete Seel'!« Dabei sprang der Sepp wie ein Seiltänzer und bleckte die Zunge heraus, soweit er sie aus dem Rachen brachte. Die Wirkungen des Trankls waren immer unheimlicher geworden. Dem Mauracher Sepp stand der kalte Angstschweiß auf der Stirn. Er glaubte jeden Augenblick, zu lauter Fetzen zerrissen, in die Luft zu fliegen.

25 Jubelnder Beifall lohnte seine Produktionen. Das machte den Sepp endlich ganz wütend. Er stürzte sich auf seine ehrlichen Bewunderer. Es entstand eine regelrechte Rauferei, in deren weiterem Verlauf der Mauracher Sepp unter dem dringenden Verdacht der totalen Betrunkenheit verhaftet wurde.

Im Arrest klärte sich die Sache dann allerdings langsam auf. Als man erkannte, daß es sich doch nicht um einen Betrunkenen handelte, wurde der Sepp wegen seiner hartnäckigen Behauptung, die viereckete Seel' mache ihm so viel zu schaffen, zunächst als vollkommen geistesgestört behandelt.

Über Nacht blieb er im Arrest und verfiel endlich in einen tiefen Schlaf. Am nächsten Morgen hatte er sich so weit erholt, daß er vernehmungsfähig war und im Laufe des Tages nach Goldrain entlassen werden konnte.

Dem Glatzl trug die Geschichte einen neuen unfreiwilligen Aufenthalt in Schlanders ein. Weiteren Schaden hat das Trankl dem Mauracher Sepp nicht gebracht. Offenbar besaß er die viereckete Seel' ohnedies schon. Sonst hätte er die Roßkur wohl schwerlich so gut vertragen.

Die Untersuchung ergab, daß das Zaubertrankl des Glatzl ungefähr folgende Bestandteile gehabt hatte: abgekochten Gamskreß, Stiefelwichse, Arnika, Tabaksaft, Pfeffer, saure Milch, Viehsalz, Rizinusöl, Juckpulver, Brennspiritus, Schnupftabak und Petroleum. 26

 


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