Rudolf Greinz
Aus'm heiligen Landl
Rudolf Greinz

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Die Lies.

Der Herr Bezirksrichter Leonhard Astl hatte heute keinen guten Tag. In aller Herrgottsfrüh' kamen schon die Bauern und stritten sich herum.

Es war Markttag. Den benützten die Bauern gewöhnlich zur Austragung ihrer Zivilhändel. Das Vorzimmer, das in die Kanzlei des Bezirksrichters führte, war gesteckt voll von Leuten.

In der Kanzlei selbst stand der Herr Bezirksrichter, ein kleiner dicker Mann mit einem rötlichen, grau melierten Vollbart und einer Brille. Er gab sich alle erdenkliche Mühe, zwei Bauern, die besonders hartnäckig auf ihren vermeintlichen Rechten beharrten, zu versöhnen. Dabei wischte er sich vor Anstrengung öfters mit seinem bunten Taschentuch den Schweiß von der Stirne; denn draußen war es drückend heiß und schwül.

Die Leute im Vorzimmer verhielten sich natürlich auch nicht lautlos. Sie stritten eifrig weiter. Es war ein Höllenspektakel. Vergebens mahnte der Herr Kanzlist zur Ruhe. Seine Worte wurden überhaupt nicht gehört.

Plötzlich wurde die Tür des Vorzimmers aufgerissen. Herein stürzte in atemloser Eile ein 163 »Hearrischer«. Hinter ihm folgte wütend und aufgeregt die Kasbacher Bäurin.

Die Bauern reckten neugierig den Kragen. Was hatte es da gegeben? Die Kasbacher Moid, das war »koa Guate nit«. Das Paar rannte, ohne anzuklopfen, in die Kanzlei des Herrn Bezirksrichters.

Der war ganz verdutzt. »Hinaus!« schrie er dann die Moid an.

»I geah' nit außi!« kreischte die Moid, ein großes, derbes Frauenzimmer, Mitte der Vierzig. »I bin in mein' Recht!«

»Hinaus!« schrie der Herr Bezirksrichter neuerdings.

Die Moid wich jetzt unwillkürlich etwas zurück, faßte sich dann aber gleich wieder, rüttelte den »Hearrischen« energisch beim Arm und belferte: »Da! Den könnt's anbrüll'n, aber nit mi! Der hat's tan, der verdammte –«

»Später!« rief der Richter und machte die Türe auf. Er versuchte die Moid hinauszuschieben.

Die stellte sich aber breitspurig auf, steckte ihre beiden Hände unters Fürtuach, verzog ihr breites eckiges Maul zu einem Grinsen und sagte: »I bleib' iatz da!«

»Ich muß Sie dringend ersuchen, Herr Bezirksrichter,« mischte sich jetzt der Herr, ein jüngerer, schlank gewachsener Mensch mit einem feschen Schnurrbart, ins Gespräch. »Meine Zeit ist gemessen! Heute Nachmittag muß ich wieder in Innsbruck sein.«

164 »Alsdann geht's Ös Zwoa außi derweil!« entschied der Herr Bezirksrichter und schob seine beiden störrischen Bauern zur Tür hinaus.

Der Herr Bezirksrichter schloß die Tür. Die Moid wollte zu reden anfangen. Jedoch der Richter machte eine gebieterische abwehrende Handbewegung. Er setzte sich an den Schreibtisch, nahm die Brille herunter, hauchte sie an und begann sie zu putzen.

Die Moid konnte es vor Ungeduld schon nicht mehr aushalten. »Er hat sie umbracht!« fing sie an.

»Nur Geduld!« meinte der Herr Bezirksrichter. »I werd' schon fragen!«

Dabei putzte er seine Brille fertig, setzte sie umständlich auf, rückte das Tintenfaß zurecht und nahm ein Formular.

»So lang hab i nit derweil!« sagte die Moid.

»Ich auch nicht!« murrte der Herr.

»Der da hat die Lies umbracht!« schrie die Moid, wütend auf den Herrn deutend.

»Red', wenn du g'fragt wirst!« herrschte sie der Richter an. Dann nahm er den Federhalter zur Hand und begann zu schreiben. »Sie heißen?« frug er den Herrn.

»Fritz Neuwirt.«

»Stand?«

»Ingenieur. Aber wozu denn das alles!« rief der Fremde ärgerlich. »Die Sache ist einfach die . . .«

»Dös verzähl' i!« kreischte die Kasbacherin. »Du hast sie umbracht mei Lies mit dei'm verfluacht'n Rad . . .«

165 »Also Sie hatten einen Radfahrerunfall?« wandte sich der Richter an den Herrn.

»Ganz richtig!«

»Naa! Umbracht, überfahr'n hat er sie, die Lies! Hin is sie . . .« zeterte die Kasbacher Moid.

»Hast du der Gendarmerie die Anzeige gemacht?« fragte sie der Richter streng.

»Naa. I bin schnurstracks zu Enk her g'rennt!«

Der Richter machte die Vorzimmertür auf und rief nach dem Kanzlisten. »Der Postenführer Stöger soll g'schwind kommen!« befahl er.

Der Kanzlist ging ab. Die Bauern draußen gerieten in Aufregung. »Der Schandarm! So eppes! Da hat oaner oane umbracht!«

»Wozu denn diese Umstände?« fragte der Ingenieur ärgerlich. »Ich habe wirklich keine Zeit! Mein Rad ist beschädigt! Ich verlange Schadenersatz!«

»So? Du verlangst Schadenersatz?« belferte die Moid. »Und wer ersetzt denn mir mei Lies, dö du umbracht hast!«

»Ach was! Nun hören Sie einmal auf! Mein Rad ist auch kaput! Zu was mußte sie mir denn über'n Weg laufen!«

»Herr Richter, dem müaßt's a harte Straf' geben! Der hat gar koa Herz nit!« forderte die Moid.

»Das scheint mir auch!« erklärte der Richter mit einem strafenden Blick auf den Angeklagten.

»Aber wieso denn?« fuhr der Ingenieur auf. »Ich zahle ja! Aber dann will ich meine Ruhe haben.«

166 »Ah, mit Zahlen wird das nit zu machen sein! Das gibt der Herr wirklich gut!« bemerkte der Richter.

»Freilich muaß er zahlen!« forderte die Kasbacher Moid.

»Mit der Person ist überhaupt kein vernünftiges Wort zu reden, Herr Richter!« erklärte der Radfahrer.

»I bin ganz vernünftig, i!« protestierte die Moid. »I will lei nit z' kurz kommen bei der Sach'! Die Lies hätt' no lang' g'lebt!«

»Wie wollen Sie denn wissen, wie lange sie noch gelebt hätte!« sagte der Ingenieur.

»Dös woaß i!« behauptete die Moid. »Dö hat a ganz besonders zach's Leben g'habt!«

In diesem Augenblick drängte sich bei der Kanzleitür wer herein. Eine vierschrötige Weibsperson.

Die Kasbacher Moid stürzte sich mit dem Ausruf: »Jessas, die Lies!« auf sie zu und wollte sie bei der Tür hinausdrängen.

»Was is denn iatz wieder los?« rief der Herr Bezirksrichter.

»So geah' aus'm Weg!« und die Person gab der Kasbacherin einen Schubs.

Es war die Thres, die Magd beim Bezirksrichter, eine unbeholfene Pustertalerin. Sie trug in ihrer derben Faust eine tote Henne, weiß und gelb gesprenkelt.

167 Nun trat sie mit dem Federvieh vor den Amtstisch des Bezirksrichters und sagte: »Die Frau Bezirksrichter laßt fragen, ob sie die Lies kaufen soll!«

Die Kasbacher Moid versuchte es, die Thres bei den Kittelfalten zurückzuziehen, bekam aber einen neuerlichen Schubs.

»Was für a Lies?« fragte der Bezirksrichter ganz verständnislos.

»Ja, die Lies von der Kasbacherin, dö g'rad vorher oaner überradelt hat!« brachte die Thres in ihrer langsamen Art heraus.

»Die Lies von der Kasbacherin? Bist verruckt?« Der Richter stierte seine Magd ganz verwirrt an.

»Naa!« sagte die Thres. »Die Frau Bezirksrichter hat g'moant, es gäb' no a guate Supp'n davon!«

»Von der Lies? Brrr! Pfui Teufl!« Der Richter fuhr empor. Es würgte und schüttelte ihn ordentlich vor Grausen.

»Joa!« versicherte die Thres. »Die Diarn vom Kasbacher hat s' bracht. Um zwanzig Kreuzer wär' sie z' haben!«

»Wer?« schrie der Richter.

»Die Lies!« antwortete die Magd ganz ruhig.

»So! Um zwanzig Kreuzer!« rief nun der Ingenieur aufgebracht. »Und von mir hat sie drei Gulden Schadenersatz verlangt, weil sie die beste Bruthenn' in der ganzen Gegend sei!«

»Wer?« brüllte nun der Richter.

Er erhielt keine Antwort. Dafür stieß die Thres 168 ein höhnisches Gelächter aus . . . »Dös die beste Bruathenn'! Daß i nit lach'! Dö hat ja längst koane Oar mehr g'legt!« drehte sie sich langsam gegen die Kasbacher Moid um. »Du hast sie ja schon neulich der Richterin um vierzig Kreuzer als Suppenhenn' verkaufen wollen!«

»Dös is nit wahr!«

»Ja, wahr is's!« Die beiden Weiber standen sich feindselig gegenüber und maßen sich mit giftigen Blicken.

»Und von mir verlangte die Person für eine alte Henne drei Gulden!« rief der Ingenieur neuerdings empört.

»Ruhe!« rief nun der Herr Bezirksrichter, dem es allmählich klar zu werden begann, aus Leibeskräften. »Es handelt sich also um eine überfahrene Henn'?«

»Um was denn sonst!« bemerkte der Ingenieur ungeduldig.

»Und das is die Lies von der Kasbacherin?« fragte der Richter und deutete auf das Federvieh, das die Thres in der Faust trug.

»Joa. Dös is mei' Lies!« rief die Moid. »Und es is nit wahr, es is derlog'n . . .«

»Ja, Himmel! Herrgott! Sakrament!« rief jetzt der Herr Bezirksrichter wütend und schlug mit beiden Fäusten zugleich auf den Amtstisch hinein. »Glaubst du vielleicht, du kannst 's G'richt für an Narren halten! A Henn' also, und koa Madl! Ja, warum 169 hast denn du dös nit glei' g'sagt!« fuhr er die Kasbacher Moid an.

»Ös habt's g'sagt, Ös werdet's schon frag'n!« grinste die Moid boshaft.

Der Herr Bezirksrichter Leonhard Astl setzte sich erschöpft auf seinen Schreibtischstuhl und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Eine Weile musterte er die Anwesenden nach der Reihe mit Blicken still resignierter Verzweiflung.

»Soll die Frau Richter nachher die Lies kauf'n?« fragte endlich die Magd.

Der Richter fuhr wieder empor. »Naa! Koa Spur!« rief er. »Dö liegt mir eh' schon im Mag'n! Brauch' i sie nit in der Supp'n aa no'!«

»I will aber mei' Recht hab'n!« keifte die Moid.

»Ich ersetze den Schaden mit einer Krone!« schlug der Ingenieur vor.

»Dös is z' weanig!« protestierte die Moid.

»Dös is meahr als z' viel für a alte Suppenhenn'!« erklärte die Thres.

»Vierzig Kreuzer hast verlangt! A Kron' is übrig's g'nua! Und iatz zapf' di' bei der Tür außi! Wann der Herr wollt', könnt' er dir a anders Liadl aufspiel'n. Drei Gulden! Dös is ja Betrug!« fuhr der Richter die Moid an. »Und die Henn' g'hört dem Herrn!«

Die Thres gab die Henne an den Radfahrer. Der aber legte sie entrüstet auf den Amtstisch, gab der Moid eine Krone und empfahl sich. Die Moid und die Thres folgten ihm.

170 Der Herr Bezirksrichter blieb mit der toten Henne allein zurück. Eine Weile betrachtete er in dumpfem Brüten das Federvieh. Dann rief er den Kerkermeister und übergab ihm die Lies zur Aufbesserung der Kost der paar Arrestanten und Schüblinge, die beim Bezirksgericht inhaftiert waren.

»Aus der Haut fahr'n könnt' eins!« brummte er ärgerlich vor sich hin. 171

 


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