Rudolf Greinz
Aus'm heiligen Landl
Rudolf Greinz

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Lipp in der Höll'.

Eigentlich konnte der Gluderer Lipp nur in die Haut hinein froh sein und unserm Herrgott kniefällig danken, daß er die Breitlahner Rosl nicht zum Weib bekommen hatte. Ja, wenn er ein besonders dankbarer Mensch gewesen wäre, dann wäre er jährlich einmal mit ungekochten Erbsen in den Stiefeln nach Absam oder gar nach Weißenstein wallfahrten gegangen. Das wäre noch immer das hundertmal kleinere Übel und die geringere Plag' gewesen als die Breitlahner Rosl, die der Schoaten Lenz nun schon seit einer langen Reihe von Jahren am G'nack hatte.

Deswegen konnte der Gluderer Lipp den Schoaten Lenz aber doch nicht ausstehen. Es gab für ihn im ganzen Dorf keinen Menschen, den er noch weniger hätte leiden können als den Lenz.

Das hatte seinen Grund in der verdammten menschlichen Eitelkeit. Als der Gluderer Lipp noch jünger an Jahren war und nicht schon ein tüchtiger Fünfziger, da hatte er die Breitlahner Rosl zum Schatz gehabt und war ernstlich mit dem Gedanken umgegangen, die Dirn zu heiraten. Damals war ihm der Schoaten Lenz in die Quere gekommen, hatte ihm 280 das Madl abspenstig gemacht und die Rosl auch richtig aufgeheiratet.

Für diese Heldentat hätte der Lipp dem Lenz von Rechtswegen Zeitlebens dankbar sein sollen. Denn sonst wäre eben jetzt er selber der geschlagene Häuter gewesen, der der Lenz in Wirklichkeit war. Der Lenz hatte sich nämlich ein rechtes Ehkreuz eingetan. Sein Weib hatte die Hosen und das Regiment im Haus, und der Schoaten Lenz traute sich für gewöhnlich gar nicht zu mucksen.

Das Alles stimmte aber den Lipp nicht im geringsten milder. Der Schoaten Lenz hatte ihm das Diandl damals halt doch abwendig gemacht. Er, der Lipp hatte den kürzeren gezogen. Und das konnte er dem Lenz einmal nicht vergessen und verzeihen.

Diese Abneigung beruhte übrigens auf Gegenseitigkeit. Der Lenz konnte den Lipp ebensowenig leiden. Bei dem Lenz war es ein Gefühl des Neides und der Reue. Daß justament er so sakrisch hatte hineinsitzen müssen, während der Lipp kreuzfidel und ledig in der Welt herumlief.

Dem Gluderer Lipp ging soweit auch gar nichts ab. Er hatte ein ganz schönes Güatl, auf dem er mit einer alten Dirn und einem Knecht hauste.

Schlecht ging es ja dem Schoaten Lenz auch nicht. Kinder hatte es keine abgegeben. Er mit seinem Weib hatte ein nettes Drauskommen. Wenn es nur mit der Rosl selber ein Auskommen gewesen wäre!

Wenn sich der Lipp und der Lenz trafen, dann gingen die Stichelreden hin und wider. Ein 281 paarmal waren sie auch schon zum Raufen gekommen. Dabei hatte jedoch der Lenz regelmäßig verloren.

Der Lipp war ein knochiger starker »Klachl« mit einem zerzausten, schon ziemlich grauen Schnauzbart im Gesicht und borstigem Haar. Der Lenz war schwächer. Vielleicht hatte dazu auch sein Ehkreuz beigetragen. Er hatte schon eine ziemlich starke Glatze und trug keinen Bart.

Daß die zwei zusammenkamen, ohne daß einer den andern »anhantigte«, konnte man sich fast nicht vorstellen.

An einem Novemberabend waren sie beide die letzten Gäste beim Engelwirt. Jeder hatte an einem andern Tisch seine eigene Gesellschaft gehabt. Alle übrigen waren bereits heimgegangen. Nur der Gluderer Lipp und der Schoaten Lenz hockten noch jeder allein an seinem Tisch.

Der Lipp hatte offenbar schon stark geladen, während der Lenz noch einen völlig nüchternen Eindruck machte. Plötzlich erhob sich der Gluderer Lipp etwas schwankend und setzte sich zu seinem ehemaligen Nebenbuhler an den Tisch.

Der Schoaten Lenz schnitt ein gereiztes Gesicht; denn er wußte, daß es jetzt gleich wieder angehen werde. Darin sollte er sich auch nicht getäuscht haben. Der Lipp bestellte sich eine frische Halbe Wein, schenkte sich gemächlich ins Glas ein und schielte den Lenz von der Seite spöttisch an.

282 »Du, Lenz, hast du dir heut' schon deine Boaner numeriar'n lass'n?« frug der Lipp.

»Lass' mir mei' Ruah'!« brummte der Schoaten Lenz mürrisch.

»I lass' dir ja amerst dei' Ruah'!« erwiderte der Lipp mit einem gewissen höhnischen Mitleid. »Wenn lei sie dir a Ruah' laßt! Aber i moan', da hat's heut' an höllischen Hack'n! Getraust du di denn heut' no hoam? Es is schon glei Zwölfe in der Nacht! Drum hab' i dir ja g'sagt, du sollst dir deine Knochen numeriar'n lass'n! Weil d' sie sonst vielleicht gar nimmer z'sammen findest, wenn dir sie die Rosl alle ausanander schlagt!«

»I lass' mi nit schlag'n!« behauptete der Lenz.

»Naa, lass'n tatest di nit, wenn du di derwehren tatest! Aber so bist halt do a g'schlagener Hascher!«

»Schad', daß es nit du bist! Ich tat's dir vom Herzen vergunnen! Sell kannst mir glaub'n!«

»Dös glaub' i dir schon!« lachte der Lipp und goß sich den Rest aus seiner Flasche ins Glas. »Kellnerin, no a Halbe!« Heute hatte der Lipp einen Höllendurst. Mit der Zunge kam er auch nicht mehr recht vorwärts. Er begann schon zu lallen.

»Siehst, Lipp,« sagte der Schoaten Lenz, »i bin a g'schlagener Hascher. I hab' die Höll' schon auf derer Welt. Dafür kimm i amal vom Mund auf in Himmel. Du kimmst aber sicher in d' Höll'!«

»Was d' nit sagst!« meinte der Lipp, der auf 283 diese Wendung des Gespräches gar nicht gefaßt war, völlig erschrocken.

Die Kellnerin hatte ihm inzwischen den Wein gebracht. Er leerte zu seiner Stärkung gleich ein ganzes Glas voll auf einen einzigen Zug hinunter.

»Du kimmst amal so sicher und g'wiß in d' Höll', wia's Amen im Gebet is!« fuhr der Schoaten Lenz fort. »Wo sollst du denn anders hinkommen! Den Himmel hast ja schon auf der Welt da! Di plagt niamand, di schindet niamand. Du hast das ganze Jahr Kirchtag. Dafür werden's di nachher schon in der andern Welt zwicken, daß dir Hör'n und Seh'n vergeaht! Pass' lei auf!«

Von der Höll' hörte der Gluderer Lipp nicht gern reden. Das war seine schwache Seite. Den Teufel fürchtete er. Und wenn der hochwürdige Herr Pfarrer den räudigen Schäflein der Gemeinde die Hölle einmal ganz besonders heiß machte, dann begann der Lipp fast zu schwitzen vor lauter Angst.

Deswegen ging er aber doch in jede Predigt. Es war ihm eine Art schauriger Genuß, wenn von der Kanzel recht tüchtig heruntergeteufelt wurde.

Am liebsten besuchte er daher in der Fastenzeit die Bußpredigten der Missionäre. Da wurde die Hölle mitunter besonders saftig geschildert. Der Gluderer Lipp glaubte öfters beinahe einen Bratelgeruch von all den schmorenden Verdammten in den höllischen Pfannen und Sudkesseln in der Nase zu spüren.

Wenn es auch ziemlich aus der Mode gekommen ist, mit den ewigen Strafen gar zu dick aufzutragen, 284 so ergänzte die Phantasie des Lipp doch jede Andeutung des von der Kanzel wetternden Paters und baute an seinen Worten nach Belieben weiter.

Als daher der Schoaten Lenz auf einmal so mir nichts dir nichts behauptete, daß er, der Lipp sicher in die Höll' komme, war ihm dies entschieden sehr ungemütlich.

»Was woaßt denn du von der Höll'!« entgegnete er dem Lenz ausweichend. »Da versteahst du an Schmarrn davon! Du bist ja koa Pater nit!«

»I versteah' vielleicht mehr davon als wia a Dutzend Pater!« behauptete der Lenz. »Dö sagen dir grad' nit alles, wia's amal sein wird, weil sonst die Leut' vor lauter Schreck'n aus der Kirch'n laufeten! Aber i hab's g'lesen in an uralten Buach! Du wirst no ganz anders verzweifeln, wenn di der höllische Schürmoaster amal beim G'nack hat! Du wirst sprotzen

Der Lipp begann unruhig auf seinem Sitz hin und her zu rücken. Der viele Wein hatte ihm ohnedies schon »türmisch« gemacht. Jetzt begann er seinen Rausch noch mehr zu fühlen. Die Vorstellungen und Gedanken fingen sich ihm an zu verwirren.

»Du woaßt gar nix!« versuchte er dem Lenz noch einmal zu entrinnen.

Der ließ aber nicht los. Eine so günstige Gelegenheit kam nicht bald wieder, daß er sich an dem Lipp gehörig rächen konnte.

285 Der Schoaten Lenz gab seiner Stimme einen geheimnisvollen Ton und fuhr fort: »I sollt' dir's eigentlich nit sagen, wia's dir amal geaht, weil d' a zwiderer Kunt bist! Aber vielleicht kannst di no bekeahr'n . . . und i will nit die Schuld sein, wenn di der Tuifl holt. Auskommen wirst ihm freili desweg'n do nit!«

»Mi holt er nit!« schnaufte der Lenz mit ehrlicher Bestürzung.

»Di holt er, und dös g'schwinder, als du selber moanst! Wenn d' nachher unten bist, wirst an boade Haxen mit glüanige Hufeisen b'schlagen und muaßt in dem Zuastand glei an Landlerischen tanzen! Deine Haar' und dein' Schnauzer reißen sie dir aus und setzen dir dafür lauter glüanige Drahtstiften ein! Nachher kimmst in a Schwefelbad, a paar Tag lang, bis d' über und über voll Schwefel bist! Z'letzt wirst anzunden! Dös wird a Feuerl abgeben!«

»I bitt' di, hör' auf!« flehte der Gluderer Lipp, der bereits zu schwitzen begann wie bei den Bußpredigern.

»'s Allerärgste kimmt erst!« ließ sich der Lenz nicht beirren. »Wenn d' a paar Tag' lang brennt hast, darfst di an ganzen Tag und a ganze Nacht ausrasten und zu dein' Weib hoamgeah'n!«

»I hab' ja koa Weib nit!« wandte der Lipp ein.

»Da wirst di aber schneid'n!« sagte der Schoaten Lenz überlegen. »In der Höll' hat jeder a Weib! 286 Für was wär's denn sonst die Höll'! Ledige Fetzen gibt's da drunten koane! Da ging's den Verdammten viel z'guat! Du kriagst in der Höll' die Rosl zum Weib!«

»Naa! Naa!« protestierte der Gluderer Lipp. Er brüllte es ordentlich heraus und fuhr sich mit beiden Fäusten entsetzt durch seine Haarbürste am Schädel.

»Du kriagst in der Höll' die Rosl zum Weib!« wiederholte der Lenz mit unheimlicher Ruhe. »Dö bleibt dir nit aus! Siehst es, i hab' sie halt in dem irdischen Jammertal hab'n müass'n! Du muaßt sie aber ewig hab'n! Du wirst sie nimmer los!«

»Kellnerin, no a Halbe!« rief der Lipp verzweifelt.

»Da nutzt dir alles Saufen nix!« meinte der Lenz. »Geah' iatz g'scheuter hoam, erweck' Reu' und Leid und werd' a anderer Mensch!«

Der Lipp erwiderte gar nichts, sondern schenkte sich stumpfsinnig frischen Wein ein.

»Also die Rosl kriagst zu dein' höllischen Weib!« führte ihm der Schoaten Lenz abermals zu Gemüte. »Da wirst a Leb'n hab'n dabei! Tag und Nacht koa Ruah! Du wirst dem Herrgott danken, wenn dö kloane Rastzeit dahoam wieder um is, sie di wieder in's Schwefelbad tunken und du aufs neue für a paar Tag' anzunden wirst! Wia a Sommerfrisch wird's dir vorkommen gegen die Rosl!«

Der Gluderer Lipp ließ seinen halben Wein stehen und taumelte plötzlich in die Höhe. »Jatz geah' i hoam! Kellnerin zahlen!« erklärte er.

287 Er mußte in seinem Rausch mühselig die Münzen zusammensuchen. Endlich hatte er die Zeche berichtigt. Auch der Schoaten Lenz zahlte.

Der Gluderer Lipp torkelte ins Freie. Der Lenz schloß sich ihm an.

In der naßkalten Nachtluft wurde der Lipp etwa nicht nüchterner. Im Gegenteil. Die frische Luft wirkte nach der dumpfen, rauchigen Wirtsstube geradezu betäubend. Es drehte sich alles im Kreise um den Lipp. Bei einem Haar wäre er herg'schnellt, wenn ihn der Schoaten Lenz nicht noch rechtzeitig aufgefangen hätte.

Nun nahm ihn der Lenz unter den Arm und meinte: »Weil d' amerst in d' Höll' kimmst, will i di heut' hoamfüahr'n! Du findest den Weg ja nimmer alloan. In der Höll' wird di nachher schon die Rosl hoamfüahr'n! Dö kann's viel besser!«

»Höllischer –« gröhlte der Lipp. Mehr brachte er nicht mehr heraus. Dann vertraute er sich geduldig der Führung des Lenz an.

Der Gluderer Lipp merkte es in seinem »Mordszapfen« nicht, daß der Schoaten Lenz mit ihm eine Richtung eingeschlagen hatte, in der sein Gehöft gar nicht lag. Der Lenz ging gerade nach der entgegengesetzten Seite.

In dem Hirn des Lenz war ein teuflischer Gedanke erstanden. Er grinste boshaft vor sich hin, während er den taumelnden Lipp mühselig und langsam mit 288 sich fortschleppte. Heute wollte er es dem Lipp einmal eintränken, dachte der Schoaten Lenz.

Die beschwerliche »Plünderfuhr« war endlich etwa fünf Minuten außerhalb des Dörfels gekommen. Es war eine sternhelle Nacht. Der Mond hatte sich schon hinter die Berge verduftet. Der Lipp schlief im Gehen und begann sogar ganz behaglich zu schnarchen. Der Lenz störte ihn nicht im geringsten und schleppte sich im Schweiße seines Angesichts mit ihm weiter.

An einem kleinen Roan tauchten die Umrisse der Behausung des Schoaten Lenz auf. Der Lenz hatte den Gluderer Lipp an beiden Schultern gefaßt und schob ihn nun wie einen Karren vor sich her, während der Lipp alle Augenblicke den Knieschnapper bekam und ernstlich Miene machte, sich in aller Gemütsruhe auf den Boden niederzulegen.

Nun waren die beiden in dem Angerl vor dem Hause des Schoaten Lenz angelangt. Der Lenz schob seinen Begleiter noch einige Schritte vor sich her und setzte ihn dann behutsam auf die Bank vor dem Haus nieder. Der Lipp lehnte sich behaglich an die Hauswand und schnarchte.

Auf den Zehenspitzen »tixelte« der Schoaten Lenz zur Haustür und klinkte sie auf. Dann hob er den Lipp von der Bank empor, führte ihn zur Haustür, schob ihn in den stockdunkeln, engen Hausflur und schloß die Tür wieder sorgfältig hinter ihm.

289 Mit leisen Schritten schlich er dann ums Haus herum nach dem Stadel und suchte sein Nachtlager im Heu.

Von den zunächst folgenden Ereignissen hörte der Schoaten Lenz nur einen gedämpften Schall. Er schien aber trotzdem von allem genau unterrichtet zu sein, als ob er es mit eigenen Augen geschaut hätte. Er rieb sich zufrieden die Hände.

Als er jedoch zuletzt ein dumpfes Getöse hörte, wie von einer schweren Tür, die zugeschlagen wurde, da zog er vor lauter Vergnügen die Knie fast bis zum Kinn empor und schüttelte sich vor Lachen.

Der Gluderer Lipp war also in den stockdunkeln Hausflur beim Schoaten Lenz getaumelt. Die Tür hatte sich hinter ihm geschlossen.

Zunächst rannte er mit dem Schädel gegen eine Wand. Davon wachte er einigermaßen auf, ohne sich jedoch von seiner augenblicklichen Lage irgendwelche Rechenschaft geben zu können.

Er tat daher das Vernünftigste, was sich in einer solchen Lage tun läßt, und hockte auf den Boden nieder.

Die Sache kam ihm trotz seines Rausches doch sonderbar vor, und er begann, soweit dies seine umnebelten Sinne gestatteten, darüber nachzudenken, was denn eigentlich mit ihm los sei. Da er auf diesem Weg zu keinem Resultat gelangte, versuchte er es, aufzustehen, kollerte aber sofort wieder zu Boden.

Nun unternahm er es, auf allen Vieren zu 290 kriechen, stieß jedoch gleich irgendwo mit dem Schädel an eine Wand, daß ihm die Funken nur so vor den Augen sprühten.

Schließlich und endlich riß dem Gluderer Lipp die Geduld. Er fing an gotteslästerlich zu fluchen.

Das sollte er aber nicht lange betreiben. Plötzlich mischte sich in dem undurchdringlichen Dunkel eine andere Stimme in die seinige . . . »Jatz kimmst hoam, du Lump, du elendiger! Du Nachtliacht, du verdammt's! Wo bist denn? Wart', i werd' dir kommen!«

»Himmel! Sait'n! Höll'n! Sakrament no amal eini!« lallte der Lipp in seinem Rausch. »Wo bin i denn!«

»I will dir schon zoag'n, wo du bist!« kreischte die andere Stimme durch das Dunkel, daß es dem Lipp förmlich in den Ohren gellte. »Du Mistkerl, du spottschlechter, b'soffener!«

Dabei schlug dem Lipp plötzlich etwas Borstiges und Rauhes um Schädel und Gesicht und kratzte und stach ihn, daß er verzweifelt mit beiden Händen danach fuhr. Da war es aber schon wieder verschwunden und drosch nun auf seinen Buckel los. Der Gluderer Lipp fing laut zu brüllen an: »Au! Höllteuxl! Auweh! Laßt's mi aus! Au! Au! Au!«

Es drosch aber trotzdem unbarmherzig auf ihn los. Dann fühlte sich der Gluderer Lipp plötzlich beim Kragen gepackt und irgendwohin nach unten gestoßen. In seinem Rausch merkte er es doch, daß er über ein paar Stufen kollerte.

291 Dröhnend schlug etwas ober ihm zu. Es war wie ein Donner. Der Lipp fuhr sich unwillkürlich nach beiden Ohren. Dann wurde es still.

Stockfinster um ihn her. Der Lipp verlegte sich neuerdings aufs kriechen. Der Boden war schlüpfrig und feucht. Kaum hatte sich der Lipp etwas nach vorwärts bewegt, stieß er schon wieder an eine Wand.

Er versuchte es nach einer andern Richtung. Das gleiche Resultat. Nun versuchte er aufzustehen. Als er sich aber ganz emporrecken wollte, rannte er sich den Schädel oben an. Nun hockte er sich endgültig auf den Boden nieder.

Der Gluderer Lipp probierte es neuerdings nachzudenken. Der Rausch hatte ihn noch immer gehörig am Bandel. Es wollte daher mit dem Denken gar nicht recht gehen.

Eine dumpfe Verzweiflung bemächtigte sich des Lipp. Was nur mit ihm los war? . . .

Nachdem er lange vor sich hingebrütet hatte, dämmerte ihm plötzlich etwas in seinem Gehirn auf. Die Stimme da, früher im Dunkeln, kam ihm bekannt vor. Er begann nun mit aller Anstrengung nachzudenken, wer das eigentlich gewesen sein konnte. Dabei brannte ihn das ganze Gesicht und schmerzte ihn der Buckel. Er mußte ja grün und blau geprügelt sein.

»Jessas! Mariand Josef!« fuhr der Gluderer Lipp auf einmal entsetzt in die Höhe, um sich gleich darauf wieder auf den feuchten Boden niederzuhocken; denn er hatte sich neuerdings den Schädel angeschlagen.

292 Es war dem Lipp völlig klar geworden, daß die Stimme niemand anderem gehörte, als der Rosl vom Schoaten Lenz.

Der Lipp war schon etwas nüchterner geworden. Seine Gedanken bekamen eine bestimmte Richtung. Er erinnerte sich nun nach und nach der Höllendrohungen des Lenz beim Engelwirt. Was war aber dann gewesen? . . . Darüber konnte sich der Gluderer Lipp beim besten Willen nicht klar werden. Es kam ihm nur noch dunkel vor, daß er gezahlt hatte und heimgehen wollte.

Herrgott, wenn es nur nicht so dunkel gewesen wäre und wenn er sich nur nicht bei jeder Bewegung den Schädel angerannt hätte! Und wie kam er denn auf einmal zu der Rosl? . . . Und die Schläg'! Die Höllenschläg'! Er rieb sich abwechselnd mit beiden Händen den Buckel und versuchte es bei dieser Beschäftigung, so tief als möglich nachzudenken.

Es durchfuhr ihn eiskalt und dann wieder glühend heiß. Ein lähmendes Entsetzen bemächtigte sich seiner. Alle heiligen Nothelfer, wenn er jetzt mitten in seinem Rausch von der Welt abgekratzt und in die Höll' gekommen wäre!

Hatte ihm der Schoaten Lenz nicht gesagt, daß er in der Höll' drunten die Rosl zum Weib kriegen würde? . . . Und die würde ihn »turmantern« Tag und Nacht, bis er wieder ins Schwefelbad käme und angezunden würde.

293 Der kalte Angstschweiß brach dem Gluderer Lipp aus allen Poren. Er begann krampfhaft in allen Taschen nach seinem Rosenkranz zu suchen und fand ihn nicht. Den hatte er richtig daheim gelassen. Nicht einmal was Geweihtes trug er bei sich. Er war dem Teufel verfallen mit Haut und Haaren.

Ja, hatte er denn überhaupt fleißig gebetet? Gar keine Spur. Seit Portiunkula war er nicht mehr beichten gewesen. Räusch' hatte er geliefert; geflucht hatte er. Neulich hatte er sogar an einem Freitag ein Stückel Speck gegessen . . .

So spottschlecht und elend war dem Gluderer Lipp in seinem ganzen Leben noch niemals gewesen. Er versuchte es, den Rosenkranz zu beten. Es wollte aber gar nicht recht gehen. Er verhaspelte sich immer wieder.

Und die Dunkelheit. Und die Schläg' am Buckel. Und das »G'friß« brannte ihn, als ob er die »glüanigen Drahtstiften«, von denen ihm der Schoaten Lenz erzählte, schon eingesetzt hätte.

Endlich erlöste der Schlaf den Gluderer Lipp aus seiner dumpfen Verzweiflung und Höllenangst. Der Wein tat wieder seine Wirkung, und der Lipp schlief wie erschlagen . . .

Am nächsten Tag in aller Früh war die Rosl vom Schoaten Lenz schon in der Kuchl und kochte die Brennsupp'n. Ab und zu warf sie einen grimmigen Blick nach dem Hausflur, der auch bei Tag nur durch ein winziges vergittertes Fensterl spärlich erleuchtet war.

294 Mitten im Boden des Hausflur befand sich eine schwere Falltür, die in den Keller führte. Eigentlich war es gar kein richtiger Keller, sondern nur ein enges Erdloch, in dem man nicht einmal aufrecht stehen konnte.

Durch die Falltür, die mit einem plumpen hölzernen Riegel verschlossen war, ließ sich von unten ein dumpfes Schnarchen vernehmen.

»I werd' dir glei kommen!« grollte die Rosl, ein dürres, hageres Frauenzimmer mit rostbraunen Haaren und hervorstehenden Backenknochen.

Zuerst kochte sie noch die Brennsuppe fertig. Dann machte sie die Falltür auf und ging wieder in die Küche. Dort schöpfte sie aus dem Kuchelschaff einen Milcheimer voll Wasser und goß es in einem Schwall in das Kellerloch hinunter.

Von drunten hörte man ein verzweifeltes Schnappen nach Luft und gleich darauf ein kurzes Brüllen. Dann kroch es auf allen Vieren die paar Stufen herauf. Der Gluderer Lipp kam tropfnaß zum Vorschein.

Als er die Rosl erblickte, war er einen Augenblick starr vor Entsetzen. Dann sah er sich mit stieren Augen rings im Kreise um. Da die Rosl keine Anstalt traf, auf ihn loszugehen, dämmerte dem Lipp offenbar eine Hoffnung auf Rettung auf.

Ohne recht zu wissen, was er tat, war er in zwei Sätzen durch den Hausflur nach der Tür gesprungen und ins Freie gerannt.

Die Rosl vom Schoaten Lenz war, als sie des Gluderer Lipp plötzlich ansichtig wurde, nicht viel weniger erschrocken als dieser. Sie ließ den Eimer 295 fallen und konnte sich einmal vorderhand keinen rechten Reim auf die Geschichte machen.

Der Lipp rannte, was er konnte. Er begann sich erst zu verschnaufen, als er seinen Hof unmittelbar vor Augen sah.

Was mit ihm eigentlich passiert war, darüber wurde er sich nur allmählich klar. Alles Nähere erfuhr er erst am nächsten Tag von andern Leuten, die ihn gewaltig für'n Narren hielten. Der Schoaten Lenz hatte es natürlich nicht verabsäumt, den Streich, den er dem Lipp gespielt hatte, gleich im ganzen Dorf herum zu »trompeten«.

Der Schoaten Lenz ist an jenem denkwürdigen Tag nicht vor dem Mittagessen heimgekommen. Wie er von der Rosl empfangen wurde, darüber wollen wir den Schleier der Vergessenheit breiten.

Der Gluderer Lipp kann seitdem den Schoaten Lenz noch viel weniger leiden. Er läßt ihn aber sorgsam in der Ruhe, weil er es sonst immer riskieren würde, daß der Lenz die Sprache auf die Rosl und das Kellerloch bringt.

Von seiner Höllenangst im Kellerloch hat der Gluderer Lipp nie gegen Jemanden ein Wörtl verlauten lassen. Sonst hätte man ihn ja noch mehr »aufzwickt«.

Einen moralischen Einfluß hat das Erlebnis aber immerhin auf ihn gehabt. Er vergißt seitdem nie mehr, den Rosenkranz in den Sack zu stecken. 296

 


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