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Zweites Kapitel.
In der Abteilung für das Nachrichtenwesen.

Als ich das Bankgeschäft verließ, war meine Geldbörse gut gespickt und in meiner Brieftasche steckten außerdem wohlgeborgen neue knisternde Banknoten für zweihundertfünfzig Pfund, und jetzt begann ich endlich an mein Glück zu glauben. Der Klang der Goldmünzen hat etwas Gediegenes an sich und wirkt überzeugend, während der große Geldmann, der noch vor kurzem das Blatt in seinem Hauptbuchs, woraus hervorging, daß ich mein Guthaben überschritten, mit finsterer Miene betrachtet hatte, durch die geschmeidige Höflichkeit seines Empfanges den Beweis lieferte, daß meine Stellung eine ganz andre geworden war.

Die Abenteuer und Ueberraschungen des Vormittages hatten eine beträchtliche Zeit in Anspruch genommen, und es war ziemlich spät geworden – zwölf Uhr war längst vorüber. Uns Mitgliedern der Nachrichtenabteilung galt es als Ehrensache, pünktlich in den Geschäftsräumen zu erscheinen – eine Stunde oder mehr vor zwölf Uhr. Daß ich eigentlich gar nicht nötig hätte, überhaupt noch zum Dienst zu gehen, war mir noch nicht eingefallen, denn ich hatte einige dreizehn Jahre unter der Wirkung militärischer Zucht gestanden, während das Bewußtsein, ein Erzmillionär zu sein, erst seit einigen Stunden in mir erwacht war. Außerdem gibt es auch etwas, was man esprit de corps nennt. Ich war ein Staatsdiener, dem verantwortungsvolle Arbeiten anvertraut waren, die ich, soweit es von mir abhing, nicht vernachlässigen durfte oder wollte – nein, nicht für alle Schätze Indiens.

So stieg ich denn also rasch die Stufen unter dem Denkmal des Herzogs von Park hinab und ging schnellen Schrittes durch den Park. Trotzdem überholte mich jemand in der Nähe von Birdcage Walk und sprach mich an, ohne sich jedoch mir zuzugesellen.

»Auf ein Wort, mein Herr, wenn ich bitten darf, in Ihrem eigenen Interesse. Aber, Schwerenot, halten Sie doch den verfluchten Hund zurück! Ein schönes Tier, ohne Zweifel, aber es wäre mir doch lieber, wenn er meine Buchsen nicht so beschnüffeln wollte.«

»Ruhig, Roy! Mein Hund wird Ihnen nichts zuleide thun,« antwortete ich höflich, »aber im Augenblick habe ich es sehr eilig …«

»Wenn Sie mir gestatten wollen, nur ein paar Schritte mit Ihnen zu gehen, wird es mir, wie ich glaube, wohl gelingen, Sie zu überzeugen, daß ich eine wohlbegründete Veranlassung habe, etwas von Ihrer kostbaren Zeit in Anspruch zu nehmen.«

Der Mann hatte ebenso viel Recht, durch den Park zu gehen, als ich, und ich erhob keine Einwendungen, als er sich mir anschloß. Außerdem war ich auch, wie ich eingestehen muß, neugierig, zu erfahren, was er von mir wollte.

»Sie haben Feinde, mein Herr,« begann er ohne Umschweife, und dabei sah er so possierlich aus, daß ich so unhöflich war, zu lachen. Er war ein untersetzter, wettergebräunter Mann mit einem breiten, durch eine umfangreiche Nase gezierten Gesicht von blühender Farbe und tadellos nach der neuesten Mode gekleidet, allein sein langes schwarzlockiges Haar verlieh ihm das Ansehen eines Schauspielers einer Schmiere, und seine Stimme klang tief und unheilverkündend, als er mich beschwor, seine Mitteilungen ernst zu nehmen.

»Die Sache ist wahrlich nicht zum Lachen, Kapitän; darüber werden Sie Ihre Feinde bald genug nicht im Zweifel lassen. Die haben Schlimmes im Sinne.«

Das sprach er, als ob er ein Todesurteil verkünde; er schien es wirklich sehr ernst zu meinen, und doch konnte ich es kaum ernst nehmen.

»Ein solche Drohung macht keinen Eindruck auf mich, denn, sehen Sie, mein Leben aufs Spiel zu setzen, ist mein Beruf. Die Königin hat manchmal Feinde, und die sind auch die meinen.«

»Die, von denen ich spreche, sind lediglich Ihre Feinde, Kapitän – Leute, die Ihnen Ihren neuen Reichtum mißgönnen.«

»Das haben Sie also schon gehört?«

»Gehört?« rief er mit großer Geringschätzung. »Es gibt nichts in der Welt, was Sie betrifft, das mir nicht bekannt wäre, Kapitän. Wie hat es Ihnen denn diesen Sommer am Cuyuniflusse gefallen, und waren Ihnen die Karten, die Sie in Angostura erhielten, von Nutzen?«

»Ruhig, Mann, ruhig! Wer und was sind Sie? Was, zum Kuckuck, führen Sie im Schilde?«

Wir hatten inzwischen Queen Annes Gate durchschritten und standen am Eingang des Dienstgebäudes.

»Ist hier Ihr Geschäftszimmer?« fragte er jetzt. »Darf ich nicht mit Ihnen eintreten – nur einen Augenblick? Die Sache ist dringlich und geht Sie sehr nahe an. Die Gefahr, in der Sie stehen, ist sehr drohend und Ihre Feinde haben sich verbunden, Ihnen ein Leid anzuthun – ein schweres Leid.«

»Ach was, so eilig wird es wohl nicht sein«, antwortete ich gereizt. »Ich habe jetzt wirklich keine Zeit mehr für Sie, denn ich werde hier erwartet. – Sir Charles ist wohl schon da?« fragte ich den Bureaudiener, den alten Feldwebel Peachey.

»Ja, Herr Kapitän, schon wenigstens seit drei Stunden. Er kam auf seinem Fahrrad – pünktlich um zehn Uhr und hat, glaube ich, schon zweimal nach Ihnen gefragt.«

»Sehen Sie wohl. Ihre Angelegenheit muß warten, Mr. …?«

»Snuyzer. Ich füge mich Ihrer Entscheidung, aber wenn Sie erlauben, werde ich Sie in Clarges Street aufsuchen, heute abend um …?«

»Wenn Sie denn durchaus darauf bestehen, so kommen Sie um Fünf. Guten Morgen,« antwortete ich und trat ins Dienstgebäude.

In der Nachrichtenabteilung hatte ich ein gemeinsames Arbeitszimmer mit Swete Thornhill von der Artillerie, der in seinen dienstfreien Stunden ein lebenslustiger junger Mann war, aber seine Arbeit gewissenhaft that – gewissenhafter als irgend ein andrer von uns, und wir alle waren wahrlich keine Müßiggänger.

»Dachte schon, du wärst gestorben,« begrüßte er mich kurz, ohne von seiner Arbeit aufzusehen. »Begreife nicht, weshalb du dir überhaupt die Mühe genommen hast, noch zu kommen.«

»Ich bin durch etwas Besonderes aufgehalten worden. Wichtige Geschäfte, und jedenfalls geht's dich nichts an,« antwortete ich gereizt.

»Doch, wenn es mich bei meiner Arbeit stört. Ich wollte, du kämst zu einem Entschluß, ob du überhaupt hier antreten oder wegbleiben willst. Den ganzen Morgen haben sie nach dir gefragt, und das ewige Kommen und Gehen hat mich furchtbar gestört. Ich bin mit der Berechnung der Durchschlagskraft der neuen Geschosse beschäftigt, und das ist eine verflucht schwere Arbeit.«

»Na, rauf' dir nur die Haare nicht aus – ich werde dich nicht stören. Aber wer hat denn nach mir gefragt?«

»Der Alte selbst, Collingham, Sir Charles. Dreimal hat er nach dir geschickt, und zweimal ist er selbst dagewesen. Er wollte dir eine eilige Arbeit aufhalsen, und ich glaube, er hat sich jetzt selbst daran gemacht. Thut sie ein ganzes Ende besser, als du oder irgend ein andrer von uns.«

In diesem Augenblick trat ein Bureaudiener mit einem großen Pack Papiere ein, die er vor mich auf meinen Pult legte. Sie waren in dem gewöhnlichen grünen Umschläge, der »sehr dringlich« bedeutete, und darauf stand in großen, kühnen Schriftzügen: »Kapitän Wood – zum Vortrag.«

»Den Vortrag wird er wohl zum größten Teil selbst halten, denke ich mir,« fuhr Swete Thornhill boshaft fort. »Er ist fast für die Zwangsjacke reif. Geh hinein, mein Sohn, und nimm deine Nase mit Würde entgegen.«

Der ausgezeichnete Offizier, der zur Zeit an der Spitze unsrer Abteilung stand, war der Generalmajor Sir Charles Collingham, Inhaber des Victoriakreuzes und Ritter des Kommandeurkreuzes des Bathordens, einer der hervorragendsten Soldaten unsrer Tage, eifrig, furchtlos, sehr gewandt, tüchtig im Rate, tapfer im Kampfe, der in fast allen Kriegen, großen und kleinen, der letzten Zeit mitgefochten und daneben Muße gefunden hatte, sich mit der wissenschaftlichen Seite seines Berufes zu beschäftigen. Dazu hatte er weite Reisen gemacht und kannte viele Menschen und Städte. Bei Hofe war er ebenso zu Hause, wie im Feldlager, und in der Gesellschaft, die er in seinen Mußestunden besuchte, war er sehr beliebt, allein in seiner Arbeit durfte ihn nichts stören. Der Dienst ging unter allen Umständen vor, und das Höchste im Dienst war, wie er meinte, die wichtige, überaus nützliche Abteilung, an deren Spitze er stand.

Sir Charles erwartete, nein, forderte eine gleiche Hingebung von uns allen, den ihm unterstellten Offizieren, über die er in Hinsicht auf den Dienst mit eiserner Rute herrschte. Keiner von uns trat ihm gern gegenüber, wenn er ärgerlich war, und das war, wie ausgesprochen werden muß, nicht selten, denn er war aufbrausend und jähzornig, obgleich nicht bösartig. Tief verborgen unter seinem strengen Gesicht und rauhen Wesen lag eine gütige Natur, denn er trug sein Herz nicht offen zur Schau, jedenfalls nicht einem pflichtvergessenen Untergebenen gegenüber, und dafür hielt er mich im Augenblick.

Deshalb war mir sehr unbehaglich zu Mute, als ich vor dem großen Manne erscheinen mußte. Der General war von hohem Wuchse, sehr schlank und von gerader Haltung, während seine kräftigen, wettergebräunten Züge, deren tiefe Bronzefarbe in scharfem Gegensatz zu dem borstigen weißen Schnurrbart und den starken buschigen Brauen über den feurigen stahlblauen Augen stand, Achtung abnötigten.

Sofort fiel er über mich her.

»Kreuzhimmeldonnerwetter noch einmal, was soll denn das heißen, Wood?« rief er mit erstaunlicher Zungenfertigkeit und Kraft. »Was haben Sie zu Ihrer Entschuldigung vorzubringen? Natürlich müssen Sie sich verschlafen, wenn Sie Ihre Nächte dazu verwenden, Frida Fairholme, diesem Tollköpfchen, die Cour zu schneiden. Aber das lassen Sie sich ein für allemal gesagt sein: Dienstvernachlässigung dulde ich nicht. Sie kommen zu spät zur Parade, und Sie wissen doch, daß ich auf Pünktlichkeit halte und auch selbst thue, was ich predige. Schlag zehn Uhr war ich heute morgen hier, und vorher hatte ich schon die Fahrt nach Hounslow und zurück auf meinem Rade gemacht. Aber Sie werden es noch dahin bringen, daß ich die Geduld verliere: also thun Sie es nicht wieder.«

»Nein, Sir Charles,« entgegnete ich kleinlaut, indem ich mich zum Gehen wandte, wobei aber doch die Frage in mir aufstieg, warum ich, ein mehrfacher Millionär, mir eigentlich eine solche Sklaverei gefallen lassen solle.

»Nebenbei gesagt, Wood, bringen Sie mir doch den Bericht über die Verteidigungswerke der westindischen Kohlenstationen. Ich darf doch wohl annehmen, daß er fertig ist, wie?«

»Nein, Sir Charles, noch nicht ganz; ich bin aufgehalten worden durch …«

»Großer Gott!« unterbrach er mich, sofort in Wut ausbrechend. »Sie Erzfaulpelz. Sie wollen mich wohl rein toll machen? Sie wissen doch ebenso gut als ich, daß das Ministerium des Auswärtigen auf die Arbeit dringt, die ich Lord Salisbury innerhalb einer Woche versprochen habe, und da treten Sie vor mich hin, Sie, Sie … O, machen Sie, daß Sie fortkommen – ich will nichts von Ihren Entschuldigungen hören. Das stößt dem Faß den Boden aus! Sie machen der Abteilung Schande, und ich kann Sie nicht mehr brauchen. Sie können zu der langweiligen Leier des Truppendienstes zurückkehren und auf Wache ziehen, und wenn Ihre Seele in dem Hundeloch Bermuda bei langsamem Feuer geröstet wird, haben Sie Zeit genug, darüber nachzudenken, welche Gelegenheit Sie sich haben entschlüpfen lassen. Machen Sie, daß Sie fortkommen, sage ich; ich bin fertig mit Ihnen, Ihr bloßer Anblick ist mir verhaßt.«

Ich entfernte mich und faßte in meiner Wut – denn auch ich war jetzt wütend – den Entschluß, ihn beim Worte zu nehmen und das Haus ohne weiteres zu verlassen. Allein die Gewohnheit ist stark, der Geist der Unterordnung, des Gehorsams ist nicht im Augenblick auszurotten, wenn er einmal in Fleisch und Blut übergegangen ist. Als ich meinen Schreibtisch wieder erreichte und die dort liegenden Papiere sah, erinnerte ich mich daran, daß ich durch meine Ehre verpflichtet war, meine Obliegenheiten zu erfüllen.

An meinem Bericht über die Kohlenstationen fehlte nicht mehr viel, und ich beendete ihn sofort. Hierauf schickte ich ihn dem Chef zu und machte mich an den zweiten Pack Papiere, der als »streng vertraulich« bezeichnet war und sehr geheimnisvoller und wichtiger Natur schien. Ueber den Inhalt kann ich weiter nichts verraten, als daß es sich um ein Anerbieten Spaniens handelte, Cuba zeitweilig an England abzutreten und so den Schwierigkeiten mit den Vereinigten Staaten von Amerika aus dem Wege zu gehen. Da ich vor kurzem in Havanna gewesen war, sollte ich den Vorschlag vom militärischen Gesichtspunkt aus beleuchten. Das Ganze war eine außerordentlich heikle Sache, denn wenn das Geringste darüber bekannt wurde, konnten sehr ernste Mißhelligkeiten mit den Vereinigten Staaten daraus entstehen. Allein jetzt fiel mir wieder die Bemerkung »zum Vortrag« ins Auge, und ich ersah daraus, daß ich mir mündliche Anweisungen holen mußte, bevor ich mich an die Arbeit machte. Wieder sollte ich meinem gereizten Vorgesetzten gegenübertreten, und dazu hatte ich sehr wenig Lust. Früher oder später mußte es aber doch dazu kommen, weshalb ich es vorzog, gleich in den sauren Apfel zu beißen und ihm ein paar rasch hingeworfene Zeilen hineinzubringen.

Der General, der mit meinem andern Bericht beschäftigt vor einem Stehpult stand (er setzte sich selten), sah sich bei meinem Eintritt um und nickte mir freundlich zu. Heller Sonnenschein war in seinem reizbaren Gemüte bereits wieder an die Stelle des vorübergezogenen Sturmes getreten.

»Sehr schön, lieber Wood, nur noch ein oder zwei Punkte müßten etwas ausführlicher behandelt werden,« sagte er, worauf wir diese Punkte besprachen.

Sodann befragte ich ihn wegen der andern Angelegenheit und hatte bald alles erfahren, was ich wissen mußte, aber ich kann hier nichts Näheres darüber mitteilen, da die ganze Angelegenheit sehr geheim zu behandeln war – sie war von der größten Wichtigkeit für beide Länder – und Sir Charles machte mich sehr nachdrücklich und mit großem Ernste darauf aufmerksam, daß ich die Papiere unter keinen Umständen aus den Händen lassen dürfe.

»Sie werden in Ihrer eigenen Bude daran arbeiten müssen, denn der Bericht soll Ende der Woche fertig sein, aber, bitte, seien Sie ja recht vorsichtig. Schließen Sie bei Nacht die Papiere sorgfältig ein und behandeln Sie die Sache als streng geheim.«

»Es wäre möglich, Herr General, daß Sie die Arbeit einem andern anvertrauen müßten, da ich schwerlich lange genug hier bleiben werde, sie zu vollenden,« entgegnete ich etwas förmlich, indem ich ihm den Bogen Papier überreichte, worauf ich mein Abschiedsgesuch geschrieben hatte.

»Was, Wood! Zum Donnerwetter noch einmal; das ist doch wohl nicht Ihr Ernst?« rief Sir Charles ganz erschrocken. »So übel können Sie doch das, was ich vorhin gesagt habe, nicht nehmen. Ich war vielleicht etwas heftig, aber es war nicht schlimm gemeint. Nein, nein, nehmen Sie das häßliche Ding zurück, oder lassen Sie es mich zerreißen. Das geht doch nicht! Vergeben und vergessen Sie, mein Junge. Hier meine Hand – ich bitte Sie um Verzeihung, und ich weiß, daß Sie sich nicht wieder verspäten werden.«

Nunmehr beeilte ich mich, zu erklären, daß mein Abschiedsgesuch durchaus nicht durch Aerger veranlaßt worden sei, sondern daß andre Gründe mich bewögen, den Militärdienst aufzugeben.

»Die Sache ist nämlich einfach, daß ich eine Erbschaft gemacht habe,« entgegnete ich, »eine ganz hübsche Erbschaft.«

»Na, wie viel ist es denn, wenn die Frage erlaubt ist? Ich erkundige mich danach, weil Sie vielleicht ein ganz hübsches Einkommen haben mögen, ein sehr schönes Einkommen, und doch besser thäten, im Dienst zu bleiben. Für jeden unabhängigen jungen Mann ist die Zucht, die in der regelmäßigen Arbeit liegt, sehr gesund. Glauben Sie mir. Sie würden es sehr bald überdrüssig werden, wenn Sie ganz Ihr eigener Herr wären. Legten sich aufs Trinken oder Spielen oder ließen sich mit den Unterröcken ein und gingen zum Teufel. Wie viel ist es denn – zwei-, drei- oder viertausend jährlich?«

»O, es ist viel mehr, Sir Charles,« fuhr ich fort. »Ich glaube, ich bin ein zwei- bis dreifacher Millionär. Wollen Sie so gut sein, diesen Brief zu lesen?« schloß ich, indem ich ihm das Schreiben meines Rechtsanwalts übergab.

»Hui!« Er pfiff ein paar Takte eines beliebten Gassenhauers (aber sehr falsch), faltete den Brief zusammen und händigte ihn mir wieder ein.

»Wahrhaftig, Wood, Sie thun mir leid,« sagte er langsam, aber mit gütigem Nachdruck, indem er mir ins Gesicht sah.

Das war nicht gerade das, was ich von diesem erfahrenen, klugen Mann von Welt erwartet hatte, und er mochte wohl meine Enttäuschung in meinen Zügen lesen.

»Das gefällt Ihnen nicht, was? Sie halten sich wohl für den glücklichsten jungen Mann unter der Sonne? Aber da sind Sie sehr im Irrtum. Großer Reichtum ist eine Last – und noch Schlimmeres.«

»Eine Last?« fuhr er fort, im Zimmer hin und her gehend und seine Worte mit lebhaften Gesten begleitend. »Ein Tyrann ist der Reichtum. Er wird Sie bedrücken und Ihnen ewig Sorge machen. Gerechter Himmel! Diese Masse Geld zu verwalten, weise zu gebrauchen und zu bewahren! Die ganze Menschheit, mein lieber Wood, besteht aus zwei Klassen: die eine hat das Geld, und die andre will es ihr rauben. Es wird nicht lange dauern, so werden Sie eine viel schlechtere Meinung von der menschlichen Natur haben, die beständig schreit: ›Gib, gib!‹ – Aber lassen Sie uns über Sie selbst reden. Was haben Sie vor?«

»Ehrlich gestanden, Sir Charles, weiß ich das selbst noch nicht. Im Augenblick bin ich durch das Vorgefallene noch wie betäubt. Wollen Sie mir nicht einen guten Rat geben?«

»Das ist nicht so leicht, mein Sohn. Sehr viel kommt auf Sie selbst an – Ihre Grundsätze, Ihren Geschmack, Ihre Neigungen. Natürlich werden Sie heiraten, und ich habe auch schon ein Vögelchen pfeifen hören, wen Sie im Auge haben. Ich kenne sie sehr gut – Frida Fairholme, die kleine Wetterhexe. Miß Frida wird Ihnen schön zum Tanze aufspielen.«

»Aber Sir Charles, ich habe ihr gegenüber noch kein Wort fallen lassen und habe keinen Grund zu der Voraussetzung, daß sie mich erhören würde, wenn ich es thäte.«

»Lassen Sie es nur auf die Probe ankommen,« erwiderte der General trocken. »Sie haben drei Millionen und eine Kleinigkeit darüber – neue und sehr beredte Gründe, sie von Ihrer Würdigkeit zu überzeugen.«

»Nein, Sir Charles, das ist gar nicht ihre Art.«

»Dann müßte sie nicht von Eva abstammen. Ich kenne sie von Kindesbeinen an. Schön ist sie ja, das gebe ich zu, und sie hat auch ein hübsches Vermögen, aber, beim Satan, mir ist es lieber, wenn Sie sie heiraten, als wenn ich es thun sollte. Es ist nicht leicht, mit ihr fertig zu werden, und sie wird Ihnen genug zu raten geben. Miß Frida wird das Geld unter die Leute bringen, und Sie werden ihr dabei helfen. Na, vielleicht um so besser.«

»Also raten Sie mir, den Dienst zu verlassen?«

»Unbedingt müssen Sie den Dienst aufgeben,« brüllte er, plötzlich in Wut ausbrechend. »Was! Ein Kapitän mit hundertfünfzigtausend Pfund jährlich! Davon kann gar keine Rede sein. Aber übereilen Sie sich nicht, Wood. Wie nun, wenn es sich herausstellte, daß die ganze Geschichte Schwindel wäre? Sie können ja zunächst einmal Urlaub nehmen – obgleich ich nicht weiß, wie ich Sie entbehren kann, wo alle diese wichtigen Angelegenheiten im Gange sind …«

Urlaub war eine schwache Seite bei Sir Charles.

»Indessen,« fuhr er fort, »was nicht zu ändern ist, ist eben nicht zu ändern, aber, bitte, nicht in den nächsten Tagen. – Und, Wood, lieber Junge, versäumen Sie mir diesen Bericht über Cuba nicht. Ich verlasse mich in dieser Hinsicht ganz auf Sie; Sie sind drüben gewesen und wissen Bescheid.« –

Während des Restes des Nachmittags blieb ich demnach an der Arbeit mit meinen Papieren, und als ich fortging, trug ich dem Bureaudiener auf, sie in einer verschlossenen Mappe nach Clarges Street zu tragen.


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