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Neuntes Kapitel.
Auf der Verfolgung.

Mr. Snuyzer fährt in seinem Bericht an die Herren Saraband fort, wovon ein großer Teil, der dem Leser durch die vorstehende Erzählung schon bekannt ist, ausgelassen wird.

In ziemlich guter Laune verließ ich Hill Street, denn Miß Frida Fairholme hatte mir eine Anweisung auf eine Abschlagszahlung gegeben, die mich hätte veranlassen können, Ihnen untreu zu werden, falls sie mir den Vorschlag gemacht hätte, in ihre Dienste zu treten. Als ich meine Wohnung erreicht und Joe Vialls gesagt hatte, daß er sich bereit halten solle, mich zu begleiten, wartete ich auf meine letzten Befehle. Man hatte mich benachrichtigt, ich solle in Verbindung mit einem englischen Offizier, einem Freunde des Kapitäns, handeln, der sich mir sofort anschließen werde, so daß wir ohne Zeitverlust nach Plymouth abfahren könnten. Allein dieser feine Herr erschien nicht so bald, und als er endlich auftauchte, machte er mir den Eindruck eines hochfahrenden Gecken, den ich kaum für was Besseres hielt, als einen Einfaltspinsel. Aber da war ich auf dem Holzwege, und ich will gleich eingestehen, daß ich mich später sehr zu ihm hingezogen fühlte.

Meine Anweisungen kamen in einem an mich gerichteten Briefe, der in einem mit »eilig« bezeichneten und die Bemerkung »Königliche Dienstsache« tragenden Umschlag eingeschlossen war, obgleich ich, wie Sie wissen, gar nicht in königlichem Dienste stehe und auch nicht zu stehen wünsche, da ich ein frei geborener, getreuer Unterthan Onkel Sams bin. Der Kopf des in dem Umschläge steckenden Briefes war mit dem königlichen Wappen geziert, und unterschrieben war er: »Charles Collingham, Generalmajor.« Das Schreiben setzte mich davon in Kenntnis, daß der Schleppdampfer »Jakob Silverton« zur Ausführung eines besonderen Auftrages gechartert sei und an demselben Abend mit zurückgeschobenen Feuern klar zum augenblicklichen Auslaufen in Plymouth liegen werde.

»Wie ich von Lloyds höre,« hieß es weiter in dem Briefe, »und wie es auf Grundlage der Admiralitätskarten, der Geschwindigkeit und der bis zum Eingang der letzten Nachrichten von der Jacht zurückgelegten Strecke berechnet worden ist, wird die ›Fleur de Lis‹ morgen früh bei Tagesanbruch oder, sagen wir, zwischen halbvier und vier Uhr morgens auf der Höhe von Kap Lizard sein. Wenn der Schlepper Plymouth um Mitternacht verläßt, kann er bei Tagesanbruch so weit sein, daß er Aussicht hat, der ›Fleur de Lis‹ zu begegnen und ihren Kurs zu kreuzen. Falls Sie die Jacht nicht gleich sehen, müssen Sie beidrehen und auf sie warten, denn vorüber kann sie noch nicht sein.

»Wenn Sie sie abfangen, was sicher geschehen wird, so wird ein Offizier meiner Abteilung an Bord gehen. Dieser Offizier, der Sie begleiten soll, wird die erforderliche Vollmacht der Admiralität, die Jacht anzuhalten und zu durchsuchen, bei sich führen. Er ist ermächtigt, wenn nötig, Gewalt zu gebrauchen, zu welchem Zwecke eine Anzahl von Polizeibeamten und Mannschaften der Küstenwache auf dem Schlepper sein wird.

»Major Swete Thornhill von der königlichen Artillerie, der Ueberbringer dieses Briefes, wird mit Ihnen nach Plymouth reisen. Er ist ein Kamerad und persönlicher Freund Kapitän Woods und wird mit Freuden zu seiner Befreiung mitwirken und jede mögliche Hilfe leisten.«

In der vor meiner Thür stehenden Droschke fand ich einen großen, militärisch aussehenden Herrn.

»Steigen Sie ein,« rief er mir freundlich zu, »wir haben eben noch Zeit, den Fünfuhrschnellzug zu erreichen.«

Da Joe bei mir war, zog ich vor, mit diesem zu fahren, aber auf dem Bahnhof von Paddington, wo mein feiner Herr eine Abteilung genommen hatte, vereinigten wir uns wieder und begannen sofort, von unsern Angelegenheiten zu sprechen.

»Hol' der Henker diesen William Wood,« hob der Major an. »Ich wollte, er läge auf dem Boden des Meeres, wo es am tiefsten ist. Heute abend wollte ich an einer großen Fütterung im Charlatan-Klub teilnehmen, und nun liege ich statt dessen auf der Eisenbahn, und obendrein habe ich auch noch eine Nase vom Alten gekriegt, denn wir waren alle zum Frühstück gegangen, als er auftauchte, und da ich zuerst zurückkam, mußte ich seinen ganzen Zorn auf mich nehmen und diesen langweiligen Auftrag dazu. Ist denn alles wahr? Haben sie den kleinen Willie wirklich eingefangen? Wollen ihn wohl über die Planke laufen lassen, und so weiter?«

Nun erzählte ich ihm die ganze Geschichte von Anfang bis zu Ende, die er teils lachend, teils mit großem Ernst anhörte.

»Willie ist ein geborener Esel, aber ein guter Kerl. Das Hemd vom Leibe gibt er weg, und er ist immer bereit, andrer Leute Arbeit zu verrichten, wenn sie ihn gewähren lassen. Nun will ich aber auch mein Möglichstes thun, ihn aus dieser Klemme zu befreien. Wie stehen denn unsre Aussichten? Lassen Sie 'mal sehen.«

Bei diesen Worten zog er eine Karte und einen Zirkel aus der Tasche. Wir besprachen einen Punkt nach dem andern, und er fand mit einer bewundernswert raschen Auffassungsgabe sofort heraus, worauf es bei jedem ankam. Es war das erste Mal, daß ich mit einem englischen Offizier arbeitete, und wenn sie alle so sind, wie dieser Major, dann sind sie eine gescheite und schneidige Gesellschaft, und das sollten wir uns merken.

»Die ganze Geschichte dreht sich um die Zeit,« sagte er, indem er ein Kreuz auf die Karte zeichnete und eine kleine Berechnung anstellte. »Hier müßte die ›Fleur de Lis‹ bei Tagesanbruch sein, oder drei, höchstens vier Meilen weiter westlich. Mit der uns bekannten Geschwindigkeit fahrend, wird sie schwerlich einen Vorsprung gewinnen, aber vielleicht kann sie im Notfälle noch ein paar Knoten mehr machen. Wo aber werden wir um diese Zeit sein? Das kommt darauf an, wie unser Kasten dampft, und das können wir nicht eher wissen, als bis wir an Bord sind.«

Als wir ankamen, lag der »Jakob Silverton« am Staden der Millbay-Docks, und da wir erwartet worden waren, dauerte es nicht lange, bis wir in See gingen, aber es war doch schon kurz vor ein Uhr geworden. Der Major hatte sich sogleich nach der Fahrgeschwindigkeit erkundigt und ermittelt, daß der Schlepper nicht mehr als höchstens neun Knoten machen konnte. Bis Tagesanbruch waren nur noch drei Stunden, und bis dahin konnten wir kaum dreißig Meilen zurückgelegt haben.

»Es handelt sich um Haaresbreite,« meinte der Major, »aber wir können uns immerhin ein paar Minuten Schlaf gönnen, während sie den alten Kasten unter Volldampf und ordentlich in Gang bringen.«

Ich war seit einigen Nächten nicht im Bett gewesen und lag in tiefem Schlafe, als mich der Major weckte.

»Wir haben Pech, Snuyzer,« begann er ohne weiteres. »Die ›Fleur de Lis‹ ist uns gerade entschlüpft. Habe sie ganz deutlich gesehen, ein Irrtum ist völlig ausgeschlossen. Sie segelte etwa drei Meilen westlich, und wir fuhren gerade auf sie los. Doch offenbar gefielen wir ihr nicht, denn sie ging sogleich unter Volldampf weiter. Ob wir sie jetzt noch einholen, erscheint mir sehr fraglich.«

»Natürlich müssen wir ihr auf den Fersen bleiben. Läuft sie schneller als wir?« fragte ich besorgt.

»Ich fürchte, ja, ein wenig, aber bestimmt kann ich es nicht sagen. Das Schlimmste ist, daß sie einen mehr südlichen Kurs eingeschlagen hat.«

»Warum ist das so schlimm?«

»Sie steuert auf die französische Küste los, das liegt doch auf der Hand. Wenn sie einen französischen Hafen oder auch nur die französischen Gewässer erreicht, also drei Meilen von der Küste, kann sie uns ins Gesicht lachen. ›Hier dürft ihr mich nicht anrühren,‹ wird sie sagen.«

Mir schwebte ein schwerer Fluch auf den Lippen, aber ich wandte mich ab und lief an Deck, um mich selbst von der Sachlage zu überzeugen.

Es war ein herrlicher Morgen, die Sonne schien hell, der Himmel war wolkenlos und das Wasser glatt wie Glas. Dort lief unser Wild und ließ eine schwarze Rauchwolke hinter sich, die sich deutlich in der See spiegelte.

»Offenbar haben sie allen Dampf auf, den sie ihr zumuten können,« sagte ich zum Kapitän, als ich auf die Kommandobrücke stieg, wo sich uns der Polizeisergeant zugesellte. »Gewinnt sie Vorsprung?«

»Nicht viel, nicht viel. Ich bezweifle, ob sie überhaupt Vorsprung gewinnt. Die nächste Stunde wird das entscheiden.«

»Glauben Sie, daß sie uns erkannt hat?«

»Das muß doch wohl der Fall sein, sonst hätte sie ihren Kurs nicht geändert,« antwortete der Sergeant.

»Wie steuert sie?«

»W.S.W. zu S.,« antwortete der Kapitän, »so daß sie die Küste der Bretagne etwa in der Nähe von Ouessant erreichen wird.«

»So, wie wir jetzt steuern, sind wir neunzig Meilen vom nächsten Lande entfernt,« sagte der Major, der sich uns auf der Brücke zugesellt hatte. »Müßten es früh am Nachmittag erreichen, irgendwo zwischen Lannion, Roseoff oder St. Pol, wenn wir denselben Kurs und dieselbe Geschwindigkeit beibehalten.«

»Was für eine Art von Land ist denn das?« fragte ich. »Sind große Städte oder Häfen in der Nähe?«

»Morlaix ist der nächste, und Brest, der große Kriegshafen, liegt gleich um die Ecke.«

»Glauben Sie, daß sie sich dort mit den Behörden in Verbindung setzen wird? Das dürfte ihr doch kaum ratsam erscheinen, sollte ich denken.«

»Schwerlich. Sie wird nicht viel Geschmack daran finden, sich an die französische Polizei oder die Gendarmen oder die Douaniers zu wenden, und wohl jede Berührung mit Behörden zu vermeiden suchen, wenn wir sie nicht dazu zwingen.«

»Wie könnte das geschehen?«

»Sie wissen ja, Mr. Snuyzer, daß ich an Bord dieser Jacht gelangen muß. Ich habe die Absicht, sie mit Gewalt oder List, mit gesetzlichen oder ungesetzlichen Mitteln vom Bug bis zum Stern zu durchsuchen. Sie hat verbotene Ware an Bord, aber sie werden uns natürlich nicht heranlassen, und im Falle der äußersten Not könnten sie sich, um unser Eingreifen zu vermeiden, unter den Schutz der französischen Behörden stellen.«

»Sie wird sich, wie ich es beurteile, bald im französischen Wasser befinden.«

»Deshalb möchte ich mich gern zwischen sie und die französische Küste drängen, um sie auf offener See zu stellen. Aber ich fürchte, wir haben nicht die erforderliche Geschwindigkeit. Wir müssen alles versuchen und je nach den Umständen handeln, wenn sich uns eine Gelegenheit bietet.«

Hierauf stiegen wir wieder aufs Deck hinab und fetzten dort unsre Beobachtungen fort. Gegen Mittag kam die französische Küste in Sicht, und als wir uns dieser bis auf einige Meilen genähert hatten, sahen wir, wie ›Fleur de Lis‹ plötzlich langsamer fuhr, als ob sie sich einer Einfahrt nähere, irgend einem kleinen Hafen, wo sie in Ruhe und Sicherheit vor unsrer Verfolgung Zuflucht finden konnte.

»Da geht sie hin!« rief der Major, als die Jacht zwischen zwei niedrigen, felsigen Vorgebirgen verschwand. »Nehmen Sie die Peilung dieser Einfahrt. Wir müssen ihre Lage feststellen und sie auf der Karte aufsuchen.«

Wie es sich herausstellte, war es ein kleiner Weiler, St. Guignon, nur ein paar Häuser, die am Fuße eines steilen Berges im Hintergründe einer kleinen, rings von Land umschlossenen Bucht lagen. Auf der Karte sah man, daß eine Straße durch den Ort führte, die fast parallel mit der Küste lief und zuerst St. Pol, dann einige andre Dörfer und zuletzt Morlaix berührte.

»Sie denken, wir könnten ihnen nichts anhaben; das mag sein, aber ich beabsichtige, es trotzdem zu versuchen. Was haben Sie für Pläne?«

Nun besprachen wir die Sache sehr lange und gründlich und kamen schließlich über folgende Punkte überein: Erstens, daß wir vor eingetretener Dunkelheit nicht viel machen könnten, es sei denn, daß die Jacht den Hafen wieder verließ, was nicht zu erwarten war. Natürlich mußten wir auch darauf gefaßt sein und deshalb unter leichtem Dampf kreuzen, bereit, die Verfolgung wieder aufzunehmen, falls es erforderlich werden sollte. Zweitens war es notwendig, daß wir uns Aufklärung verschafften. Irgend jemand mußte sich nahe genug an die Jacht heranschleichen, sie beobachten, ohne selbst gesehen zu werden, und womöglich ihre Pläne ermitteln. Drittens war es unsre Aufgabe, sie, wenn sie blieb, wo sie war, während der Nacht herauszuholen. Das war ein kühner Streich; die Leute auf der Jacht konnten Widerstand leisten, wodurch wir in ernstliche Mißhelligkeiten mit den französischen Behörden geraten wären, denn das war eine kriegerische Handlung in neutralen Gewässern, ein frecher Bruch des Völkerrechts. Allein der Major lachte nur über diese Bedenklichkeiten und sagte, er werde es trotz allem versuchen.

»Was ich am meisten befürchte, ist, daß sie uns entschlüpfen – an Land gehen und entfliehen.«

»Am hellen, lichten Tage könnten sie den Kapitän Wood nicht mit Gewalt mitschleppen, und freiwillig wird er schwerlich gehen.«

»Da haben Sie recht, Snuyzer. Ich hoffe, sie werden bleiben, wo sie sind, in der Erwartung, daß wir der Sache müde werden. Sie können jedoch auch ein wenig zu lange bleiben. Ich gehe jetzt an Land und werde Joe mitnehmen.«

Der Major war eine gute Stunde abwesend und kam allein zurück, da er Joe auf Posten gelassen und ein paar einfache Zeichen mit ihm verabredet hatte, mittels deren er uns von den Vorgängen auf der Jacht unterrichten sollte. Wenn diese sich anschickte, ihren Ankerplatz zu verlassen, sollte er seine Mütze schwenken, wenn sie ein Boot an Land schickte, ein Taschentuch, und so weiter.

»Sehr behaglich fühlen sie sich nicht an Bord,« sagte der Major. »Sie haben einen Ausguck im Top, und ich glaube, der kann unsern Rauch sehen. Ihre Feuer sind zurückgeschoben. Sollte mich gar nicht wundern, wenn sie nach eingetretener Dunkelheit versuchten, zu entschlüpfen, deshalb müssen wir wachsam und bereit sein, die Verfolgung jeden Augenblick wieder aufzunehmen, sonst entgehen sie uns abermals.«

»Aber Sie werden doch hoffentlich so lange warten, daß wir den Jungen wieder an Bord nehmen können?« fragte ich, denn ich fühlte mich verantwortlich für Joe, und es wäre mir sehr fatal gewesen, wenn dem armen Kerl etwas zugestoßen wäre.

»O, das ist geordnet, und er weiß Bescheid. Wenn wir genötigt sind, in großer Eile abzufahren, muß er sich allein nach England zurückfinden. Ich habe ihm hinreichend Geld und genaue Anweisungen gegeben. Seinetwegen brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen.«

Während des ganzen Nachmittags und Abends gab uns Joe kein Zeichen. Die Zeit verging uns indes ziemlich rasch, denn der Major und ich besprachen, was wir zu thun beabsichtigten und wie wir es ausführen wollten. Der verwegenste Plan hatte die größte Anziehung für uns, und wir entschieden uns dafür, mit unsrer gesamten Mannschaft geradeswegs auf die »Fleur de Lis« loszurudern, Joe unterwegs aufzunehmen, die Jacht zu entern und im übrigen auf das Glück und unsre Frechheit zu vertrauen.

Etwa gegen acht Uhr sank die Nacht dunkel und sternlos herab, und da wir es für ratsam hielten, uns ungesäumt an die Arbeit zu machen, beschlossen wir, um Neun aufzubrechen; allein kurz vor dieser Stunde hörten wir schwach, aber unverkennbar in der Ferne Schüsse und den Lärm eines Kampfes. Ganz zweifellos ging etwas vor, und zwar im Innern der Bucht, denn das Geräusch kam aus der Richtung, wo die Jacht lag.

»In einen Kampf wollen wir uns nicht mischen, wenigstens nicht eher, als bis wir dazu gezwungen werden,« sagte der Major ruhig. »Die Nacht ist eben erst angebrochen, und sie liegt noch ganz vor uns.«

So warteten wir denn noch eine halbe Stunde und waren gerade im Begriffe, unser Unternehmen zu beginnen, als wir das Geräusch sich nähernder Ruderschläge vernahmen.

Was mochte das bedeuten?

Kurz darauf hörten wir den leisen Anruf: »Holla! ›Jakob Silverton‹ ahoi!« in Joes Stimme, der auch bald längseit lag und zwar in einem Boote, das der »Fleur de Lis« gehörte. So behauptete er wenigstens, und wir mußten ihm glauben, obgleich die Geschichte, die er erzählte, sehr abenteuerlich klang.

Zwischen den Felsblöcken am Strande versteckt, hatte er die Jacht beobachtet. Trotz der eingetretenen Dunkelheit war ihm ihr Rumpf deutlich auf dem Wasser sichtbar geblieben, auch warm Lichter an Bord, die sich im Meer gespiegelt und helle Streifen darauf geworfen hatten, wodurch einzelne Teile des Schiffes noch mehr hervorgehoben worden waren.

Plötzlich hatte er bemerkt, wie ein Mensch über das Heck in ein Boot kletterte, das, wie es schien, dort absichtlich bereit gehalten und jedenfalls auch losgemacht worden war, denn es hatte sich langsam und geräuschlos entfernt. In der Mitte zwischen Land und Jacht hatte sich ein Mensch, der bis dahin auf dem Boden gekauert haben mußte, wo er nicht gesehen werden konnte, aufgerichtet, auf die Bank gesetzt und dann wie wahnsinnig gerudert.

Joe hatte rasch seinen Entschluß gefaßt, denn er wollte unbedingt mehr von dem Boote und dem Manne wissen. Deshalb war er auf die Spitze des Felsens geklettert, wo eine ebene Fläche war, und dann so schnell, als ihn seine Beine trugen, nach dem innersten Punkte der Bucht gerannt, wobei er sich durch das Geräusch der Ruder hatte leiten lassen und auch dann und wann einen Blick nach dem schwarzen Fleck, als der das näherkommende Boot erschien, geworfen hatte. Endlich hatte er es auch erreicht, und zwar fand er es auf dem trockenen Lande liegen, aber von dem Manne war keine Spur mehr zu sehen.

Joe war ein geriebener Junge, er wußte, was er zu thun hatte, und das war, uns sofort zu melden, was er gesehen hatte. Das ging am schnellsten, wenn er das Boot benutzte, weshalb er es wieder ins Wasser schob und in die See hinausruderte, wobei er sich im Schatten des Landes hielt und die Jacht in weitem Bogen umfuhr.

Als er ungefähr mit dieser auf gleicher Höhe war, hatte sich dort ein wütendes Gezänk erhoben. Mehrere Schüsse waren in rascher Folge gefallen, und es war geschrieen und geflucht worden. Joe hatte bemerkt, daß das Toben am Lande gehört worden war, denn im Dorfe waren Lichter hin und her gelaufen, und es war Lärm geschlagen worden. –

»Die Gendarmen werden bald hinter ihnen sein. Jetzt ist die Zeit zum Handeln gekommen. Wir wollen ihnen ihr Boot wiederbringen; das liefert uns einen guten Vorwand, an Bord zu kommen,« meinte der Major, »aber wir müssen uns eilen, Kapitän. Bemannen Sie ein Boot, nehmen Sie alle Leute mit, die Sie entbehren können, aber machen Sie rasch.«

Als wir die Jacht erreichten, lag bereits ein Boot vom Lande längseit, das die Beamten gebracht hatte, denn als wir die »Fleur de Lis« anriefen, wurde uns in französischer Sprache geantwortet, wegzubleiben, die Polizei habe die Jacht besetzt, und wenn wir etwas mitzuteilen hätten, müßten wir warten, bis es Tag geworden sei.

»Jedenfalls wollen wir mit dem Schlepper in die Bucht einlaufen und uns in der Nähe halten, damit wir morgen früh bei der Hand sind,« schlug ich vor, und dieser Rat wurde gut befunden, obgleich der Kapitän wenig Lust hatte, in dunkler Nacht ein ihm fremdes Gewässer zu befahren.

Am folgenden Morgen wurden uns neue Schwierigkeiten gemacht, und es war schon ziemlich spät, als der Major und ich den Fuß aufs Deck der »Fleur de Lis« setzten. Vom Lande waren noch mehr »große Tiere« gekommen – ein Richter, ein paar Aerzte und ein Gendarmerieoffizier – und sie hatten angefangen, einen »procès verbal«, wie sie es nannten, aufzunehmen, denn es waren an Bord der Jacht Körperverletzungen und sogar ein Mordversuch begangen worden.

Wie es sich herausstellte, hatten sich die Spitzbuben unter sich veruneinigt, und zwar vom Standpunkte einiger von ihnen aus mit gutem Grunde. Mc Quahe, der Oberst aus Klondyke, hatte sich mit Lawford überworfen, weil dieser unserm Kapitän Wood zur Flucht von der Jacht verhalfen hatte. Sowie er das Verschwinden Woods erfahren hatte, war Mc Quahe über Lawford hergefallen, denn er war mit dem Schießen sehr bei der Hand, und hatte seinen unglücklichen Spießgesellen ziemlich viel Blei in den Leib gejagt, so viel, daß dieser übel zugerichtet war.

Auf des Verwundeten eigenen Wunsch wurde Major Thornhill erlaubt, mit ihm zu sprechen, wodurch etwas Licht in die letzten Vorgänge kam. William Wood war unter scharfer Bewachung als Gefangener in der »Fleur de Lis« bis hierher gebracht worden, aber mit Lawfords Hilfe entflohen und mit dem Boot ans Land gelangt. Natürlich war er der Mann gewesen, den Joe gesehen hatte.

Auf die Frage, ob die geheimen Papiere an Bord wären, schüttelte Lawford den Kopf.

»Die hat der Herzog behalten, denn es steckt Geld darin, und er fährt mit dem morgen abgehenden Postdampfer über die Pfütze, um sie Onkel Sam zu verkaufen. Den Herzog werden Sie wohl schwerlich einholen, und wenn Sie versuchen, ihn bei der Landung zu verhaften, hat er die amerikanische Regierung auf seiner Seite, denn die hat einen wahren Heißhunger nach diesen Papieren; darauf können Sie jede Wette eingehen.«

»Und Sie behaupten mit aller Bestimmtheit, daß sie nicht hier sind?«

»Muß ich Ihnen das nochmals versichern? Von dieser Bande habe ich nichts mehr zu erwarten, als meinen Tod; folglich liegt es in meinem Interesse, der andern Seite zu dienen. Wenn Sie diese Papiere wieder haben wollen, müssen Sie sie an Bord der ›Chattahoochee‹ suchen, und die verläßt Southampton morgen (Sonntag) vormittag.«

Zur Zeit war es Sonnabend nachmittag, und wenn wir sofort mit Volldampf abgefahren wären, hätten wir noch rechtzeitig in Southampton eintreffen können, aber die französische Polizei und französische Gerichtspersonen sind viel langsamer und umständlicher als englische, und sie verlangten von uns, daß wir einen neuen » procès verbal« unterschrieben, der unsre eigenen Angelegenheiten betraf. Alle diese Förmlichkeiten wurden erst Sonntag morgen erledigt, und als wir endlich zur Abfahrt nach England bereit waren, war es so spät geworden, daß die »Chattahoochee« den Solent bereits verlassen haben mußte.

Wir schlugen jedoch die Richtung auf Weymouth, den nächsten Landungspunkt, ein, wo wir abends anlangten. Von da fuhren der Major und ich nach London, doch keiner von uns war in besonders rosiger Laune, denn mehr oder weniger war die ganze Geschichte ein »Reinfall«.


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